Beautiful Day von Saria-chan (Ludwig & Gilbert) ================================================================================ Kapitel 1: Beautiful Day ------------------------ Die Sonne stand als glühender Stern aus reinem Weiß inmitten das makellosen Blau über den Dächern Darmstadts und ließ die Luft rund um die schwarzen und roten Schindeln der Jugendstilhäuser flimmern. Vor den Mauern der Hochschulstadt standen die Felder in vollem, gelben Korn. Träge wiegten sich die prallen Ähren, die kurz vor der Ernte standen, in einer leichten Brise, während Grillen zwischen den Halmen ein verschlafenes Sommerlied spielten. Gilbert spazierte mit seinem jüngeren Bruder über einen dicht mit Bäumen bestandenen Feldweg in der Nähe der Stadt, den das helle Mittagslicht in einen Säulengang von Grün und Gold verwandelte und den Boden mit einem unregelmäßigen Teppich aus Hell und Dunkel auslegte, und Preußen musste zugeben, dass dieser 25. August 1902 – zumindest was das Wetter anbelangte – keinen Anlass zur Klage gab. Dennoch wäre es eine Lüge gewesen, wenn der Albino behauptet hätte, dass er ihn uneingeschränkt genoss. Viele Dinge bereiteten dem weißhaarigen Land in letzter Zeit Sorgen – und die größte von allen befand sich in Form des kleinen Ludwigs am anderen Ende seiner rechten Hand. Die junge Nation war seit Wochen außergewöhnlich in sich gekehrt und gleichzeitig erfüllt von einer inneren Unruhe, die Preußen nicht verborgen geblieben war.. wohl nicht verborgen bleiben hätte können, da er sie selbst in seiner Brust spüren konnte – die wachsende Unzufriedenheit seines Volkes, seitdem Kaiser Willhelm an der Macht war. Wenn ihr gemeinsamer Herrscher weiterhin seine Minister öfter wechselte als die eigene Unterwäsche und seinen Wankelmut nicht bald in kontrollierte Bahnen lenkte, würde er sowohl das Deutsche Reich als auch ihn selbst ins Verderben stürzen. Diese unangenehme Zukunftsvision mit einem Schaudern verscheuchend wanderten Gilberts im Zwielicht purpurrote Augen zurück zu Ludwig. Wie er Grund seiner Sorgen war, so war er auch der Grund, warum sie diesen Ausflug eigentlich erst unternommen hatten. Preußen hatte gehofft, seinen Bruder damit auf andere Gedanken zu bringen. Viel zu selten hatte er in letzter Zeit dieses zuckersüße und niedliche Lächeln voller Unbeschwertheit auf dem Gesicht des Deutschen Reiches gesehen und war momentan bereit, alles zu tun, um es wieder zurückzubringen. Aber nichts, was sie unternommen hatte, hatte in Ludwig sonderliches Interesse wecken können. Er war Preußen als schweigsamer Schatten gefolgt und mit sich und seinen eigenen Gedanken beschäftig gewesen. Der Einfall, den Jüngeren mit einem Programm aus Kultur, Militär und Natur zu beschäftigen und der ihm heute Morgen noch so genial erschienen war, hatte sich bereits wie seine vorrangegangen Aufmunterungsversuche als absoluter Fehlschlag entpuppt. Mit einer steifen Förmlichkeit und Gleichgültigkeit hatte Ludwig dem Vorschlag zugestimmt, dass der Albino bei der bloßen Erinnerung daran einen stumpfen Schmerz in seinem Brustkorb spürte. Als wäre er irgendein ordinäres Familienmitglied, gegenüber dem es galt, irgendeine Verpflichtung zu erfüllen. Gilbert war wütend, auch wenn er nicht wusste, auf wen genau. Doch was er wusste war, dass er nicht jahrelang Krieg geführt hatte, um Ludwigs Existenz zu sichern und für eine sorglose Kindheit seines Bruders gefochten hatte, nur um letztere jetzt schon wieder beendet zu sehen. Dieser ernste Ausdruck auf Ludwigs kleinem Gesichtchen, der nunmehr beinah schon manifest geworden war, sollte da nicht sein. Nicht jetzt. Nicht schon so früh. Irgendwie musste er sich doch auslöschen lassen! Er war Preußen, verdammt! Preußen, das sich unter der Führung des Eisernen Kanzlers halb Europa zu eigen hätte machen können, wenn es ihm beliebt hätte! Er konnte doch nicht einfach gegen so ein paar düstere Gedanken verlieren! Allmählich wurden die Abstände zwischen den Bäumen größer und gaben den Blick auf eine abgemähte Sommerwiese frei, die der Albino in seiner Wut vielleicht gar nicht bemerkt hätte, wenn nicht lautes Stimmengewirr von ihr zu ihnen herangedrungen wäre und Ludwig unvermittelt angehalten hätte. Verwirrt über den plötzlichen Widerstand an seiner Hand hielt Preußen ebenfalls an und sah hinunter zu seinem Bruder. Die Stirn des Deutschen Reiches lag in kritischen Falten und es war deutlich zu erkennen, wie angestrengt es zu erkennen versuchte, was die etwa zwanzig jungen Männer auf der Mitte des Feldes dort trieben und welche zugleich Ursprung des Lärms waren. Die Frustration in den azurfarbenen Seelenspiegeln der blondhaarigen Nation wuchs zusehends, als sie sich keinen Reim darauf machen konnte, was die Jugendlichen mit der Lederkugel zwischen ihren Füßen anstellten und schließlich blickte er auf zu Gilbert. „Was machen die da?“ fragte das kleine Land. Die Brauen des Albinos schossen erstaunt nach oben. Zum einen, weil es das erste Mal seit langem war, dass Ludwig so offensichtliches Interesse an etwas bekundete. Andererseits, weil das Deutsche Reich tatsächlich nicht zu wissen schien, welchen Sport da die jungen Männer verfolgten, wo die Freizeitaktivität in den vergangenen Jahren in seinem Land doch immer populärer geworden war. Aber Ludwig war selbst nach menschlichen Maßstäben immer noch jung, ein Kind. Und Kinder hatten andere Dinge im Kopf, als sich darum zu kümmern, was im Land gerade vor sich ging. Oder sollten es zumindest. „Sie spielen Fußball.“ Das Deutsche Reich wandte seine Augen von der Menge ab, die den Ball untereinander hin und her schoss, und blickte auf zu Gilbert, das leuchtende Blau voller unausgesprochener Fragen. „Fußball?“ Preußen nickte, dann grinste er breit, weil er wusste, dass er nun die uneingeschränkte Aufmerksamkeit des blondhaarigen Jungen hatte. „Ein englischer Ballsport, der zur Abwechslung mal was taugt. Kann aber auch daran liegen, dass wir ihn noch einmal verbessert haben.“ Er ging neben seinem Bruder in die Hocke und zog ihn etwas dichter zu sich heran, während er mit der freien Hand an Ludwig vorbei auf das Feld deutete. „Siehst du die beiden Stangen mit der Schnurr dazwischen, die dort auf beiden Seiten der Wiese stehen?“ Der blonde Junge nickte gespannt. „Das sind die Tore. Dazwischen befindet sich das Spielfeld, auf dem zwei Mannschaften versuchen, den Ball mit den Füßen in das jeweils gegnerische Tor zu schie0en. Der Torhüter, der da zwischen den Stangen steht, versucht das zu verhindern.“ Das Deutsche Reich hang förmlich an seinen Lippen, und jedes Wort aus dem Mund des Albinos schien ein kostbarer Schatz für ihn. „Natürlich ist es nicht ganz einfach und es gibt ziemlich viele Regeln, aber es macht einen unheimlichen Spaß.“ Gilbert klopfte sich mit der Faust in einer anerkennenden Geste selbst auf die Brust. „ Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich ein großartiger Spieler bin.“ Zwar hatte der Ältere selbst noch nicht oft gespielt, aber zumindest hatte noch keine der Mannschaften, in denen bisher Mitspieler gewesen war, eine Partie verloren, und das war ja wohl genug Beweiß für seine Genialität, oder? Ludwigs Blick verweilte für einen Moment auf Preußens Gesicht, hin- und hergerissen zwischen Unglauben und Annerkennung, doch schnell galt sein Interesse wieder dem Spielfeld und der Gruppe junger Männer darauf, von denen einige bestimmt professionellere Spieler aus dem englischen Verein waren, den es hier in der Stadt gab. Zumindest erweckte die Gruppe dort hinten nicht den Eindruck, als ginge sie diesem Sport nur gelegentlich nach. Die Bewunderung in Ludwigs Gesicht für diese Freizeitbeschäftigung war kaum zu übersehen. Seine Augen folgten jeder Bewegung der Lederkugel, beobachteten die verschiedenen Schussarten und den scheinbar mühelosen Umgang der Spieler mit dem Ball vor ihren Füßen und Preußen war sich sicher, wenn er nun hier weggehen und erst in einer Stunde wiederkommen würde, dass er seinen kleinen Bruder immer noch an der gleichen Stelle stehend vorfinden würde. Die Seelenspiegel des Albinos wanderten ein weiteres Mal zwischen der Wiese und seinem Bruder, als ihm eine Idee kam, mit der er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte, gleichzeitig Ludwig und sich selbst eine Freude machte. „Soll ich es dir beibringen?“ Ludwig sah aus, als wüsste er nicht, wohin mit seiner Freude. Das klare Blau seiner Augen strahlte vor Begeisterung und die Lippen waren zu einem ungläubigen, halben Lächeln verzogen, für das Gilbert den Kleinen am liebsten sofort in die Arme gezogen und mit brüderlicher Zuneigung überschüttet hätte, weil er so unverschämt niedlich damit aussah. „Ja!“, stieß das Deutsche Reich aufgeregt hervor, gefolgt von einem energischen Nicken. „Dann lass uns nach Hause gehen.“ Schlussendlich konnte Gilbert sich doch nicht länger zurückhalten. Er legte die Hand auf Ludwigs Kopf und zerzauste die goldenen Strähnen mit seinen Fingern. Auf den fragenden Blick des Jüngeren antwortete er mit einem selbstischeren Lächeln. „Damit du auch mal siehst, was für ein toller Torhüter dein Bruder ist.“ Mit einem anerkennenden Kopfbewegung besah sich Gilbert die zwei langen Stangen, die als Torbegrenzung dienten und die fachmännisch in einem freien Stück von Preußens Garten aufgestellt worden waren.. Für ihr kleines Training waren sie mehr als ausreichend, Während er sich in den freien Raum zwischen ihnen stellte, nahm Ludwig einige Meter vor ihm seine Position ein, die braune Lederkugel in den Händen und mit einem Ausdruck höchster Konzentration und Anspannung auf den schmalen Zügen. „Versuch, an mir vorbei zu schießen.“ Das Deutsche Reich nickte und platzierte den Ball vor seinen Füßen. Das Albino machte eine ausschweifende Handbewegung. „Du darfst natürlich nicht traurig sein, wenn es nicht gleich auf Anhieb klappt. Es ist noch nicht vielen gelungen, an mir...“ Gilbert hatte noch nicht einmal richtig ausgesprochen, als der erste Ball an ihm vorbei ins Tor zischte. Er starrte auf seinen kleinen Bruder, dann auf den die Lederkugel im Gebüsch hinter ihm und wieder zurück. Preußen hatte sie überhaupt nicht kommen sehen. Wann hatte Ludwig überhaupt geschossen? Er räusperte sich, während er den Fußball aus dem Gewirr von Blättern befreite. Nun, das passierte. Auch jemand wie er hatte einmal seine schwachen Momente. Gilbert nahm seinen Platz zwischen den Stangen und beförderte mit einem lockeren Tritt die Kugel zurück zu Ludwig. „Nicht schlecht für den Anfang. Aber du hast mich überrascht. Den nächsten halte ich.“ Was... er nicht tat. Genauso wenig wie den danach und den darauffolgenden. Seinen Bruder ein Naturtalent zu nennen, wäre eine maßlose Untertreibung gewesen. Das Deutsche Reich führte den Ball mit einer solchen Natürlichkeit, als hätte er sein Leben nichts anderes getan und wofür Menschen Jahre trainierten, das setzte Ludwig instinktiv um. Zudem war die Anspannung im Gesicht des Jüngeren vollkommen gewichen. Stattdessen fand sich nun ein Ausdruck darauf wieder, wie Preußen ihn selten bei dem sonst eher zurückhaltenden Kind erlebt hatte. Die Züge des jungen Landes waren erfüllt von einer leidenschaftlicher Hingabe für dieses Spiel, zusammen mit einer diebischen Freude darüber, dass er es offensichtlich so gut beherrschte und seinen Bruder übertrumpfte. Etliche Hechtsprünge, Schlitterpartien auf dem Boden und Grasflecken auf seiner weißen Hose später gab Gilbert den Entschluss, die unhaltbaren Bälle des Deutschen Reiches blocken zu wollen, allerdings endgültig auf (allein schon deswegen, weil seine Meinung über sein eigenes Talent in diesem Spiel gehörig ins Wanken geriet, und das konnte er nicht zulassen). Als Ludwig zu einem weiteren Schuss ansetzte, der bestimmt ebenfalls ein Treffer geworden wäre, wenn das junge Land ihn ausgeführt hätte, verließ der Albino seinen Platz zwischen den Pfosten und rannte mit keiner anderen Absicht, als die Vorherrschaft über diese braune Lederkugel zu erlangen, auf das Deutsche Reich zu. Er würde seinem Bruder schon zeigen, was es bedeutete, richtigen Fußball zu spielen. Ludwig, zunächst überrascht über den plötzlichen Angriff und den Verlust des Balls vor seinem Fuß, fing sich jedoch rasch und nahm es als eine stumme Herausforderung an, wie Gilbert den Schuh überlegen auf seiner eroberten Beute platzierte. Er stürmte auf seinen Bruder zu, fest entschlossen, sich das Leder zurückzuerobern. Preußen wartete noch einen Moment, um das Deutsche Reich in seinem offensichtlichen Plan nicht völlig chancenlos zu lassen, ehe er ebenfalls losrannte und den Ball vor seinen Füßen tanzen ließ. Allerdings schloss der Jüngere schneller auf, als der Albino erwartet hatte. Ein verschwommener Schatten aus Gold und Schwarz schlitterte vor ihm über den Boden und nahm die dunkelbraune Kugel mit sich. Verdutzt blieb Gilbert stehen und blickte neben sich, wo sich Ludwig gerade aufrappelte. Triumph stand in großen Lettern über das verschwitze Gesicht des jungen Landes geschrieben, als das Purpurrot das helle Azurblau traf. Aber so einfach würde er es seinem Bruder nicht machen, dachte Preußen entschlossen und hetzte dem Deutschen Reich hinterher, welches bereits schon wieder damit begonnen hatte, Abstand zwischen sich und Gilbert zu bringen. Die Abendsonne malte bereits mit breiten Pinseln ihr rötliches Licht über den Abendhimmel und warf lange Schatten in den großen Garten, als die gegenseitige Hatz der beiden Länder nach dem Ball ihr – allerdings eher unfreiwilliges – Ende fand. Ludwig, die Tritte durch die zunehmende Erschöpfung schon längst nicht mehr so sicher, verlor das Gleichgewicht, nachdem er seinen Fuß in einem unglücklichen Winkel auf die Lederkugel gesetzt hatte und abrutschte. Er taumelte rückwärts gegen den Albino, der ihm dicht auf den Fersen gewesen war und Gilbert, der nicht auf den Zusammenstoß vorbereitet gewesen war, kämpfte nun ebenfalls mit seiner Balance. In einem Chaos aus rudernden Armen und verdrehten Beinen fielen beide der Wiese entgegen und landeten fast zeitgleich auf ihren Hosenboden. Ob Ludwigs verdutzten Gesicht konnte Gilbert nicht anders als auflachen und fand das helle Kichern seines Bruders schnell mit seiner Stimme verbunden. Noch während sie über ihr gemeinsames Missgeschick amüsierten, beugte sich Preußen vor und zog Ludwig auf seinen Schoß. Ein liebliches Rot huschte über die Wangen des Deutschen Reiches, und Verlegenheit ließ sich ihn einen Moment versteifen, dann jedoch schmiegte er sich an die Brust des Älteren. Während die Finger des weißhaarigen Landes durch die schweißnassen, goldenen Strähnen im Nacken seines Bruders strichen, drehte Ludwig den Kopf nach oben. „Bruder?“ „Ja?“ erwiderte Preußen, in seiner Bewegung für einen Moment innehaltend, als sich die Lippen des Deutschen Reiches zu einem Lächeln kräuselten. „Danke.. dass du es mir beigebracht hast“ In einer Geste der Zuneigung, die der Albino eher von Italien erwartet hätte, schlang Ludwig die Arme um den Hals seines Bruders und drückte einen Kuss auf Gilberts Wange. „Ich hab dich lieb.“ Preußen blinzelte erstaunt, erwiderte das vorangegangene Lächeln seines Bruders mit einem Grinsen und drückte das Deutsche Reich an sich. „Ich dich auch.“ Scheinbar zufrieden, ließ sich Ludwig wieder zurück in seine ursprüngliche Position gleiten, als der weißhaarige Mann ihn aus seiner Umarmung entließ, doch in seinen blauen Augen lag eine Frage, als er danach erneut hinauf zu dem anderen Land blickte. „Können wir nicht irgendwie machen, dass viel mehr Leute in meinem Haus Fußball spielen?“ „Natürlich. Wir gründen einen Klub, in dem jeder mitspielen kann. Und aus den Besten machen wir dann eine Mannschaft, mit der du dann gegen andere Länder spielen kannst“, versicherte Preußen ihm, worauf ihn sein kleiner Schützling anstrahlte. „Das wäre großartig.“ Gilbert nickte zustimmend und überlegte, ob er England nicht vielleicht bei der nächsten Gelegenheit dafür danken sollte, dass der von ihm erfundene Sport ihm einen so wunderbaren Tag mit seinem Bruder beschert hatte und Ludwig endlich wieder lachte. Vielleicht. Er konnte allerdings auch warten, bis Ludwig die Weltmacht bei einem internationalen Turnier übertrumpfte und sich dann an ihrem fassungslosen Gesicht amüsieren. Der Gedanke gefiel ihm sogar noch besser. Denn wenn er sich in einem sicher war, dann darin, dass die Zukunft noch Großes für seinen Bruder in diesem Sport bereithielt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)