Eine Geschichte über Egoismus von minikeks ================================================================================ Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Mittlerweile geht die Sonne wieder unter. Barrel liegt eingerollt auf dem Bett und starrt zu Boden. Ich stehe am Fenster und starre hinaus. Jack und Sally ruhen sich im Schlafzimmer aus. Sie wussten wohl nicht, was sie sagen sollten, nachdem Oogie gegangen war, denn sie schwiegen. Sally hatte mich in den Arm genommen und leise geschluchzt. Jack stand neben uns und war scheinbar unschlüssig. Noch immer saß das Entsetzen über meine vermeintliche Hinrichtung, mein plötzliches Auftauchen und meinen Verrat tief in seinen Knochen. Er half mir, Barrel hinauf in unser Zimmer zu tragen und auf Shocks Bett zu hieven. Er schaute mich kurz an, öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn aber wortlos wieder und ging nach nebenan zu Sally, die sich erschöpft auf dem Bett niedergelassen hatte. Es musste alles zu viel für sie gewesen sein. Ich kümmerte mich um Barrel, zog seine Schuhe aus und verarztete die Platzwunde an der Stirn, die er von der Wache erhalten hatte. Während ich sie vorsichtig mit einer stark riechenden Tinktur betupfte, öffnete er langsam seine Augen. Schwach flüsterte er meinen Namen und als er begriff, was er sah, setzte er sich ruckartig auf. Er bereute es jedoch sofort wieder, denn sein Schädel dröhnte, was ich an seinem Schmerz verzerrten Gesicht sehen konnte. Ich entnahm dem Blister eine Tablette und warf sie in das Glas Wasser, das auf dem Nachtschränkchen stand. Als sie sich aufgelöst hatte, reichte ich die Lösung an Barrel weiter, der es ohne zu zögern hinunterstürzte. „Danke!“ seufzte er und betrachtete mich dann schweigend. „Sag was.“ murmelte ich, während ich seine Stirn erneut betupfte. „Um ehrlich zu sein, warte ich darauf, dass DU etwas sagst.“ Ich senkte meine Hand und atmete tief aus. Und dann begann ich zu reden. Und redete immer weiter, bis es dämmerte. Ich sprach von meiner Mutter, von Oogie, von Pain und Misery. Ich berichtete ihm von der Nacht in ihrem Haus, wie es für mich war, als Shock zu Oogie stieß, was ich während all dieser Zeit gefühlt hatte. Wie es war, als Jack und Sally uns aufgenommen hatten und als Oogie mich nach all diesen Jahren heimgesucht hatte. Ich erzählte von den schrecklichen Sachen, die ich für Oogie getan hatte, nur um Shocks Blick nicht standhalten zu müssen. Mein Monolog endet mit der Inszenierung meiner Hinrichtung, während ich vor dem Fenster stehe und den Sonnenuntergang beobachte. Barrel hatte sich währenddessen auf dem Bett zusammengerollt und mich nicht unterbrochen. Nun schweigt er. Ich bin mir sicher, dass er mich verabscheut wie er Oogie verabscheut. In wenigen Sekunden wird er mich angreifen, mir sagen, dass ich zum Teufel gehen soll... oder zurück zu Oogie, was auf das Gleiche hinausläuft. Ich warte darauf. „Hältst du uns wirklich für so bescheuert?“ Leise dringt Barrels Stimme aus dem Bettdeckengewirr. „Hast du wirklich geglaubt, wir wüssten nicht, dass es dir schlecht geht? Dass du still vor dich hin leidest?“ Ich schaue ihn an. „Guck mich nicht so mitleidig an, als hätte ich keine Ahnung, wovon ich rede!“ Er hebt seinen Kopf und sieht mich an „Wir wussten doch, dass da etwas war. Du bist nämlich kein so guter Schauspieler, wie du denkst! Es ist doch genauso wie bei Shock! Du hast doch auch bemerkt, wie unsicher und sensibel sie war! Bei dir war es nichts anderes!“ Seine Gerede wird fast ein Brüllen. Er bemerkt es, und senkt die Stimme wieder. „Ihr beide seit euch so ähnlich. Die Welt, in der ihr lebt, ist nicht halb so ignorant, wie ihr beide glaubt. Aber ihr seit ja fest davon überzeugt, alles mit euch allein ausmachen zu müssen, weil ja niemand da ist, der euch zuhört oder aufsammelt. Ihr seit beide gleich ignorant!“ Ich vergrabe das Gesicht in meinen Händen. Meine Stimme zittert. „Ich kann es doch nicht ungeschehen machen. Geschweige denn wieder gut! Was soll ich denn jetzt machen, Barrel? Sag es mir!“ Er hat immer ein tröstendes Wort auf den Lippen. Einen Ratschlag. Eine Meinung. Etwas, das einem weiterhilft. Er ist mein bester Freund. Er hat mir bisher immer geholfen. Er hat gelacht und geweint, er hat Shocks und meine Launen ertragen und er war immer er selbst. Er weiß immer weiter. Er seufzt. „Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung.“ Eine Weile vergeht. Keiner von uns beiden sagt ein Wort. Fieberhaft durchforste ich mein Hirn nach einer passablen Lösung, aber mir will verdammt noch mal nichts einfallen. Barrel räuspert sich. „Wo ist Oogie angreifbar? Wie kann man ihn schlagen?“ Ich schüttle den Kopf. „Gar nicht. Da ist nichts. Niemand kann uns helfen. Niemand hat die Macht dazu. Das, was er da veranstaltet, dieses Voodoo-Zeug…“ Plötzlich fällt es mir siedend heiß wieder ein. Das Gerippe! Er sagte, er könne ihn wieder loswerden! Es ist das Einzige, was bleibt. Ich muss zu ihm. So schnell wie möglich. Bevor Shock in Oogies dreckige Hände fällt. „Was ist? Ist dir was eingefallen?“ Barrel setzt sich auf und sieht mich erwartungsvoll an. Nein, ich kann ihn nicht um Hilfe bitten. Ich will ihn nicht in Gefahr bringen. Außerdem, und mein Egoismus diktiert mein Vorgehen, ist dies meine einzige Chance, es vielleicht wenigstens ein bisschen wieder gut zu machen. Ich muss es im Mindesten versuchen. „Komm schon! Ich weiß, wie wir ihn loswerden können. Ein für alle Mal!“ Barrel springt auf und folgt mir nach unten zur Haustür. Im Türrahmen drehe ich mich abrupt zu ihm um und ramme meine Faust mit voller Wucht in seine Magengegend. Benommen taumelt er zurück, mit dem Kopf gegen die Wand, und sinkt zu Boden. Ich richte seinen Oberkörper auf, hocke mich neben ihn und befühle seinen Hinterkopf. Keine Wunde vom Sturz. Gut. Ich werfe einen Blick auf sein Gesicht. Seine Augenbrauen sind selbst in der Ohnmacht sorgenvoll zusammengekräuselt. „Du hast dir immer Sorgen um mich gemacht und ich habe dir nichts als Schmerzen bereitet. Ich weiß das und es tut mir leid, mein Freund. Ehrlich.“ Ich lege eine Hand auf sein Haar und zerzause es. „Mach‘s gut, Barrel.“ Als ich mich erhebe, fällt mein Blick auf den oberen Absatz der Treppe. Jack steht dort, scheinbar unschlüssig, ob er etwas sagen oder tun soll. Lange schauen wir einander an. Ich halte seinem Blick stand. Es ist an der Zeit, dass ich für meine Taten geradestehe. Ich bin es ihnen schuldig. Ich habe nichts mehr zu verlieren und alles, was ich jetzt noch tun kann, ist Buße zu tun. Ich zertrümmere das kleine Fenster, strecke meinen Arm hinaus und öffne von außen die Eingangstür. Die beiden Wachen vor der Tür richten ruckartig ihre Hellebarden auf mich. Binnen Sekunden habe ich sie entwaffnet. Ich bin zu wütend und zu entschlossen, um mich von ihnen aufhalten zu lassen. Ich wende mich zurück an Jack. „Verzeiht mir.“ rufe ich lautstark und eile zur Tür hinaus. Im Augenwinkel sehe ich gerade noch, dass er ansetzt um etwas zu sagen, aber ich will es nicht hören. So schnell mich meine Beine tragen, renne ich in die Menschenwelt, zu dem Friedhof, den ich schon vor einer gefühlten Ewigkeit mal besucht habe. Ich suche nach der Gruft mit dem oben aufthronenden Engel, der mich auch jetzt noch an Shock erinnert. Rasch werde ich fündig und stoße die Tür auf. Das Gerippe ist nicht da. Ich laufe hinaus, die Grabsteinreihen entlang und rufe laut nach ihm. „WELCHER IDIOT WILL WAS VON MIR!?“ brüllt er vom anderen Ende des Friedhofes. Als ich mich nähere, erkennt er mich. „So. Du bist das. Das hätt‘ ich ja nicht mehr gedacht. Na, hat der alte Sack alles in Schutt und Asche gelegt?“ „Fast. Es dauert nicht mehr lange.“ antworte ich nach Luft schnappend und stütze mich auf meine Knie. Ich habe Seitenstiche. Ich habe keine Zeit zu verschnaufen. Das Gerippe sieht mich ungeduldig an. Ich hole noch einmal tief Luft und beginne dann zu erzählen. Vom Angriff, der Unterwerfung, den Hinrichtungen. Während ich berichte, gehen wir zurück zu seiner Gruft. Dort angekommen setzt er sich hinter seinen Schreibtisch. Als ich geendet habe, frage ich: „Steht dein Angebot noch, mir zu helfen ihn zu beseitigen?“ Die Miene des Gerippes hellt sich auf. „Na, aber sicher doch. Kann doch nicht zulassen, dass er wirklich auch das letzte Bisschen meines Zuhauses zerstört.“ „Du kommst auch aus Halloween Town?“ „Natürlich, du Idiot! Oder sehe ich aus wie ein Leprechaun oder ein verdammtes Karnickel?“ giftet er. Ich schüttle den Kopf. „Na also! Ich ging damals fort, als Oogie plötzlich besessen wurde. Besessen von dieser Frau!“ „Frau? Was für eine Frau?“ Ich sehe ihn fragend an. Das Gerippe winkt ab. „Ist nicht so wichtig!“ „Oogie wird sowieso bald tot sein! Also kannst du es mir also auch erzählen!“ Er taxiert mich kurz mit seinen mürrischen Augen und beginnt zu erzählen. Oogie, Finkelstein und das Gerippe verliebten sich alle in dieselbe Frau, mit der sie zusammen studierten. Diese heiratete aber kurze Zeit später einen anderen Mann. Das Gerippe wendete sich anderen Damen zu und Finkelstein setzte sich an die Entwicklung einer künstlichen Frau. Nur Oogie konnte die Abfuhr nicht ertragen und belästigte sie weiter. Er stellte ihr nach, rief sie täglich Dutzende Male an, schrieb ihr Liebesbriefe, Sonette, Lieder. Er lauerte ihr in der Uni auf, setzte sich neben sie und in den Laboren wich er ihr nicht von der Seite. Irgendwann geriet ihr Ehemann so in Rage, dass sie anfingen sich zu prügeln. Dabei stießen sie einige der Kolben und Bunsenbrenner um, sodass ein Feuer ausbrach. Manche der Kolben barsten durch die Hitze und die darin enthaltenen Chemikalien verspritzten überall. „Die anderen Studenten brachten sich in Sicherheit, nur die beiden Raufbolde blieben da drin. Ihr Ehemann schaffte es schließlich auch gerade eben so, sich durch ein Fenster zu retten. Oogie hatte nicht so viel Glück und verbrannte dort drin bei lebendigem Leibe.“ „Und wie kam es, dass er aus dem Geziefer und dem Leinensack wieder auferstand?“ Das Gerippe kratze sich knirschend am Kiefer. „Das war meine Schuld. Wir waren immer noch Freunde und ich konnte ihn nicht im Stich lassen. Tja, ich kenne mich mit diesem ganzen Voodoo-Quatsch aus, wie du weißt, also haben Finkie und ich einen Weg gefunden, ihn aus den verkohlten Überresten wieder auferstehen zu lassen. Damals hatten wir noch nicht so viele Möglichkeiten wie heute, darum mussten wir eben mit etwas Minderwertigen wie einem Leinensack und Insekten auskommen. Heute sähe sowas natürlich ganz anders aus, aber die Methoden waren eben noch nicht so weit entwickelt. Wie dem auch sei! Statt sich bei uns zu bedanken, dachte der Mistkerl immer noch an dieses Weibsbild und entwickelte eine Manie, wie sie schlimmer hätte kaum sein können. Mehrmals versuchte er den Ehemann des Weibs zu töten, aber er scheiterte.“ „Und was wurde aus den beiden?“ „Oogie ließ von ihnen ab, als die beiden ein Kind bekamen. Zumindest dachten wir, dass er endlich von seiner Besessenheit geheilt wäre. Er schmiedete aber insgeheim immer noch Rachepläne. Allerdings baute er auch sein kleines Verbrechersyndikat auf. Finkelstein und ich wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Finkie arbeitete danach an seiner künstlichen Intelligenz und ich kam hierher, um mein Geschäft aufzubauen und um meiner Frau willen.“ Er deutete auf ein Foto, das in einem Bilderrahmen auf seinem Schreibtisch stand. Das Gerippe, das darauf zu sehen ist, ist etwa doppelt so groß wie jenes, welches hiervor mir sitzt. Es trägt ein geblümtes Kleid und einen übergroßen Hut auf dem kahlen Schädel. Selbst ohne Haut und Haaren muss ich erkennen, dass es sich dabei zweifellos um eine hübsche Frau gehandelt haben musste. Kurze Zeit starrt das Gerippe das Foto an. Dann schüttelt er den Kopf und wendet sich wieder mir zu. „Ich habe gehört, er hätte die beiden später abgeschlachtet oder besser gesagt abschlachten lassen. Hat wohl ein Handlanger zusammen mit ihm erledigt.“ Bei seinen letzten Worten wird mir schwindelig. Ich lasse mich schwankend auf einem Stuhl nieder, der neben der Tür steht. „Wie hießen die beiden?“ murmele ich. „Ihr Name war Pain. Er hieß Misery, glaube ich. Keine Ahnung wie ihr Kind hieß oder ob es ein Mädchen oder ein Junge war.“ „Ein Mädchen.“ bringe ich erstickt hervor und schüttle entsetzt den Kopf. Das Gerippe sieht mich zuerst fragend an, kommt dann aber scheinbar zu dem Entschluss, nicht weiter nachhaken zu wollen. Stattdessen gibt er mir einen Schlag auf die Schulter. „Was ist nun, du Idiot? Willst du da noch lange rumleiden oder können wir uns Oogies Ableben widmen?“ Ich reiße mich zusammen. Es fällt mit schwer, meine Gedanken auf die Erklärungen des Gerippes zu konzentrieren, der verschiedene Materialien zusammenträgt und das Ritual in allen Einzelheiten beschreibt. „Hast du alles behalten? Das hoffe ich für dich, ich werde es nämlich keine zweites Mal erklären.“ „Ja doch.“ murmele ich und packe die Sachen zusammen, die für das Ritual notwendig sind. „Nimm am Besten Finkie, der ist noch am frischesten. Weißt du, wo man ihn hingebracht hat?“ Ich schüttle den Kopf. „Keine Ahnung, aber vermutlich liegt er noch auf dem Feilbeilplatz. Es wird sich niemand die Mühe gemacht haben, ihn oder einen von den anderen Rebellen zu begraben.“ „Fein.“ Wir schweigen uns eine kurze Zeit lang an. Dann grummelt er: „Bist du sicher, dass du das durchziehen willst oder kannst?“ „Sicher.“ Ich sage es möglichst beiläufig. Ich habe Angst, plötzlich unentschlossen zu werden, wenn ich jetzt mit meinem Entschluss hadere. Wieder sagt keiner von uns ein Wort. Ich wende mich zum gehen, hebe kurz die Hand, bevor ich die Gruft verlasse, und rufe ihm zu: „Also, mach’s gut. Und danke nochmal.“ Während ich an den Grabsteinreihen entlangeile, keift er mir hinterher: „Und lass dich hier nicht noch einmal blicken, du Rotzbengel!“ Ich drehe mich kurz um, grinse ihn an und winke. Er wedelt mit seinem Krückstock durch die Luft. Ich weiß nicht, ob es sich dabei um Drohgehabe handelt oder um einen Abschiedsgruß. Ich gehe von Letzterem aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)