Cherry Blossom Palace von Centurion (Byakuya x Ulquiorra) ================================================================================ Kapitel 3: Etikette im Überfluss -------------------------------- Ein weiterer Tag war seit Ulquiorras Ankunft vergangen. Nach seinem gestrigen Arztbesuch hatte er tatsächlich den ganzen restlichen Tag sowie die Nacht gebraucht, um sich zu erholen. Für eine menschenscheue Person wie ihn war es immer wieder eine Qual, in Kontakt mit solch aufdringlichen Leuten wie Szayel zu treten. Er war fast schon froh, dass er an diesem Tag nur Kuchiki, den ebenfalls sehr ruhigen Schlossherrn sehen musste, auch wenn dieser ihm „Verhaltensregeln“ beibringen wollte, damit er sich in Gesellschaft besser benehmen könne. Es war nicht so, dass Ulquiorra viel daran lag, einen guten Eindruck zu erwecken, aber sein Onkel wollte es, und so musste er es auch wollen. Das Frühstück unter den Kirschblüten war bereits beendet, dennoch standen Ulquiorra und Byakuya nun vor einer gedeckten Tafel im freien. Zu Übungszwecken, wie ihm erklärt wurde. „Der erste Schritt, wenn du Gastgeber einer Feierlichkeit oder geladener Gast bist, ist die Begrüßung. Wichtig ist dabei, dass du um den Rang und Stand eines jeden Gastes weißt, damit du diesem angemessen grüßen kannst“, begann der Selbsternannte Mentor mit seiner Lektion und erntete einen verwirrten Blick. „Ich habe nicht vor, solche Leute einzuladen oder dahin zu gehen. Warum soll ich mir das alles merken…?“ Das war Ulquiorra viel zu umständlich. Er kannte außerdem überhaupt niemanden, den er einladen könnte. Da gab es seinen Onkel, ein paar Geschäftspartner von diesem, die er bei Gelegenheit hatte kennenlernen müssen und den Adeligen, der nun vor ihm stand. Nun, und einige Bedienstete von zu hause und hier, aber die zählten nicht. „Es spielt keine Rolle, ob du willst oder nicht. So lange du hier lebst, wirst du an solchen Festivitäten teilhaben müssen.“ Dass sein Wille nirgendwo eine Rolle zu spielen schien, hatte Ulquiorra bereits begriffen. Eigentlich wurde ihm das auch oft genug gezeigt, schon allein dadurch, dass er sich in diesem Palast befand und alberne Dinge wie eine Begrüßung lernen musste. Bisher hatte er die meisten Leute zur Begrüßung nur angestarrt, im besten Fall sogar ein „Guten Tag“ von sich gegeben. Was nütze es, höflich zu sein, wenn man die meisten sowieso nicht leiden konnte? Die Welt war so kompliziert… Der Adelige ihm gegenüber schien die Zweifel seines Schützlings entweder nicht zu merken oder sie einfach zu ignorieren, denn er fuhr unbeirrt mit seiner Lektion fort. „Es gilt, dass der, der den Raum oder Saal betritt, zuerst grüßt. Als eintretender Gast grüßt du zuerst, als Gastgeber umgekehrt. Wichtig ist dabei, welchen Rang die jeweiligen Besucher haben. Gäste von höherem Rang, also Adelige, hast du mit einer Verbeugung zu grüßen, da du nicht adelig bist. Auch darfst du dich Ranghöheren nicht selbst vorstellen, sondern wartest…“ „Wer sprach davon, dass ich mich irgendwem vorstellen will?“, warf Ulquiorra ein, wurde allerdings nicht beachtet. „… bis du vorgestellt wirst. Von mir zum Beispiel, da ich in der Regel all meine Gäste kenne.“ „Aha.“ Eine kurze Stille entstand nach dieser recht trockenen Antwort und Ulquiorra starrte sein Gegenüber – wie üblich – mit ausdruckslosem Blick an. Erwartete dieser ernsthaft, dass er all diese Regeln anwenden würde? „Hast du das verstanden?“ „Ja.“ „Bist du dir sicher?“ „Ja.“ „Dann fahren wir mit einer praktischen Übung fort.“ Der blasse Jüngling musste ein Seufzen unterdrücken. Praxis. Er hasste praktische Übungen. In der Regel musste man dabei sprechen und sich bewegen. So umständlich. Gnadenlos winkte der Schlossherr seinen Ananasartigen Diener herbei, der anscheinend Hilfestellung bei dieser Übung geben sollte. „Renji ist nun der Gastgeber, du der Gast.“ „Ich dachte, er ist der Diener und ich wohne nun hier.“ Ein paar eisige blaue Augen starrten ihn an. Byakuya wirkte kurz, als wolle er etwas sagen, schien es allerdings wieder zu verkneifen und ignorierte diesen Einwand. „So ist es. Aber dies ist eine Übung, wie bereits erklärt. Wir simulieren lediglich, dass Renji ein adeliger Gastgeber ist und du sein Gast.“ „Bin ich auch adelig?“ „Du bist der Neffe eines Geschäftsmannes. Warum solltest du adelig sein?“ „Ich dachte, wir simulieren.“ „Aber nur bei ihm. Du bist du. Verstanden?“ „Ja.“ Diese Antwort wurde mit einem zweifelnden Blick beantwortet, aber hingenommen. Ulquiorra musste nun also einfach er selbst sein. Das konnte er gut. Er blieb stehen und starrte Renji ausdruckslos an. Dieser blickte eine Weile verwirrt zurück, bis es fragend zu seinem Dienstherrn sah, dessen Züge mittlerweile eine leichte Genervtheit ausdrückten, die man wohl allerdings nur sah, wenn man sein Gesicht schon oft genug angesehen hatte. „Was tust du?“ Auch seine Stimme klang nicht mehr ganz so ruhig wie zuvor, aber mindestens genau so kalt. „Ich dachte, ich sollte ich selbst sein. Ich würde nie freiwillig einen Adeligen besuchen.“ Eine für ihn logische Antwort, für andere anscheinend unverständlich. Aber warum sollte er nun auch als Gast eintreten, wenn er doch sein sollte, wie er war? Er hatte das Grundprinzip der Etikette noch nicht ganz durchschaut. „Das mag sein. Wir simulieren es allerdings nur. Du bist ein Gast, der eintreten möchte. Also musst du Renji begrüßen.“ „Also… soll ich doch nicht ich selbst sein?“ Diese ganzen Anweisungen brachten ihm nichts weiter als Verwirrung. Erst sagte man ihm, er solle sein wie er war und nun war es doch falsch. Er fragte sich, ob man es Adeligen überhaut Recht machen konnte… Sein gegenüber allerdings blieb unter großer Bemühung geduldig, und setzte zu einer erneuten Erklärung an. „Von deinem Stand her bist du du selbst. Du bist Ulquiorra. In der höheren Gesellschaft zeigt man sich allerdings nie so, wie man wirklich ist.“ „Man spielt anderen nur etwas vor.“ Dies war keine Frage, sondern eine Feststellung. Er hatte schon oft gesehen, wie sein Onkel anderen eine Seite von ihm vorgespielt hatte, die in Wahrheit nicht existierte. Er gab sich gerne großzügig und gönnerisch, dabei war er vermutlich der größte Geizkragen, den diese Welt je gesehen hatte. Doch auch das änderte nichts an der Dankbarkeit, die Ulquiorra seinem letzen Verwandten entgegenbrachte. Erneut musste er sich daran erinnern, für wen er das alles durchstand. „Nicht ganz. Aber in der Art.“ „Und was bringt das?“ Den Grund für dieses Gehabe hatte er, wenn er ehrlich sein musste, noch nie ganz verstanden. Die Kuchikis Mimik drückten nun deutlich ein „Wie naiv kann man sein?“ aus. Gut, dass Ulquiorra Mimiken nicht gut lesen konnte. „Alles andere wäre unhöflich.“ „Das heißt, alle Menschen sind von Natur aus unhöflich und man kann nur dann mit ihnen reden, wenn sie so tun, als wären sie anders?“ Diese Welt war ihm wirklich viel zu kompliziert. Stille entstand, als müsste Byakuya (und auch Renji, der die ganze Zeit über verkrampft daneben gestanden hatte) diese Offenbarung erst einmal verarbeiten, bis er langsam nickte. „Das soll es heißen. Würde man immer das sagen, was man denkt, würde man von allen gehasst werden. Wird man gehasst, kann man keine Geschäftsbeziehungen aufbauen. Man hätte weder Ansehen noch Geld.“ „Geht es nur um Ansehen und Geld?“ Byakuya sah aus, als müsse er überlegen. Wenn man ihm in die Augen sah, konnte man erkennen, dass sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde weich wurde, fast bedauernd, bist er seine üblichen versteinerten Züge annahm. „Ja. Das soll es heißen. Und nun lass uns fortfahren.“ Diese hart klingenden Worte hatten auf Ulquiorra doch eine ernüchternde Wirkung. Wenn Kuchiki sagte, es ginge nur um Ansehen und Geld… war dies bei seinem Onkel denn auch so? Hatte er ihn vielleicht fortgeschickt, damit sein Neffe ihn bei dem Vorhaben, mehr Ansehen und Geld zu erlangen, nicht hinderte? Und war er selbst seltsam, weil er nicht nach Geld und Ansehen strebte? Er konnte sich nicht erinnern, je nach etwas bestimmten gestrebt zu haben. Außer vielleicht, seinem Onkel Dankbarkeit entgegen zu bringen. Aber das hieß nicht, dass er auch so werden wollte. Nachdem die Begrüßungslektion mehr schlecht als recht gelungen war, da Ulquiorra nie die richtige Tiefe einer Verbeugung gefunden hatte oder schlichtweg die Begrüßung zu unhöflich aussprach, wurde die nächste Lektion eingeleitet. Kuchiki hoffte anscheinend, dass sich alles Weitere noch ergeben würde, oder er hatte sich eingestanden, dass es so nichts brachte und würde Ulquiorra einfach Niemandem seiner Gäste vorstellen. Das war dem Jungen, wenn er ehrlich war, auch mehr als recht. Den anderen konnte er ja schließlich auch nicht viel bedeuten, denn wenn jeder nur auf Geld und Ansehen aus war, würde ihnen die Bekanntschaft eines siebzehnjährigen, etiketteunwilligen Jungen mit Sicherheit nichts bringen. Er hatte weder Geld noch Ansehen, das besaß nur sein Onkel. Und nur, weil jemand nett zu dessen Neffen war, würde es dieser Person nichts bringen. Vielleicht sollte sich der Junge bei dieser mit Sicherheit bevorstehenden Feierlichkeit einfach in eine Ecke verziehen und warten, bis alles vorbei war. Ihn würde bestimmt niemand beachten, auch nicht Kuchiki. Dieser wollte anscheinend auch nur Geld und Ansehen. Wenn Ulquiorra darüber nachdachte, war der Adelige in seinem Ansehen bei ihm etwas gesunken, seit er diese Bemerkung gemacht hatte. Nicht, dass er ihn vorher hoch angesehen hatte, er war wenigstens nicht allzu nervig, schließlich schwieg er viel. Aber dennoch machte ihn diese Ansicht unsympathisch. Vermutlich gingn es dabei nich einmal um Kuchiki selbst, sondern um die gesamte höhere Gesellschaft, die nur Geld und Ruhm brauchte. Es mochte auch sein, dass Ulquiorra selbst diese Wahrheit bereits erkannt hatte, und sie nur nicht wahr haben wollte. Wenn es überhaupt eine Wahrheit war. Doch zu philosophieren brachte nichts. Nun musste er lernen, wie man richtig aß. Es klang albern, doch genau so wurde es von Byakuya ausgedrückt, so, als hätte Ulquiorra in seinem vorherigen Leben nur wie ein unzivilisierter Barbar gegessen, der nun erst lernte, wie man Nahrung aufnahm, ohne dass der Großteil der Speise überall landete, nur nicht im Magen. Die steife Sitzhaltung allein war schon nicht angenehm, aber nun musste man auch noch rätseln, welche der vielen Messer und Gabeln neben dem Teller man benutzen durfte. Wie viele waren es genau? Der blasse Junge hatte keine Lust, sie zu zählen. Ein Räuspern hinter seinem Rücken erklang. „Der erste Gang wird aufgetischt. Welches Besteck nimmst du?“ Woher sollte er das wissen? Im Grunde konnte es doch egal sein, welches man nahm. Besteck war Besteck, ob es nun groß war oder klein. In diesem Sinne griff er sich blindlings eine per Zufall ausgewähltes Messer und irgendeine Gabel. Gefolgt von einem genervten Seufzen. Wie erwartet, hatte er etwas falsch gemacht. „Man fängt von außen nach innen an. So schwer ist das nicht zu merken.“ Auf Ulquiorra klang es mehr wie eine Umschreibung von „Wie blöd bist du eigentlich?“, doch wie er es gelernt hatte, sagte er nichts dagegen. Sich gegen beleidigende Äußerungen zu wehren, entsprach sicher auch nicht der Etikette. „Wozu braucht man überhaupt so viele Messer und Gabeln? Das ist doch Verschwendung…“ „Verschwendung, wie du es nennst, ist in der höheren Gesellschaft ein Statussymbol.“ Diese Erklärung klang logisch. Adelige und Reiche warfen ihr Geld aus dem Fenster um zu zeigen, wie viel sie davon hatten. Es reichte also nicht nur, reich zu sein, man musste es auch noch in aller Öffentlichkeit zeigen und sich bewundern lassen. Er musste zugeben, dass sein Onkel wirklich gut in diese Gesellschaft passte. „Es wundert mich, dass Ihr das auch noch zugebt…“ Dieses leise Eingeständnis musste Ulquiorra nun doch erbringen. Hieß es nicht erst, die höhere Schicht sei verlogen, um Ansehen zu erhalten? „Anders begreifst du es anscheinend nicht. Es geht nicht darum, dass man zu einem guten Menschen wird. Es geht darum, sich anzupassen. Das ist alles.“ Wenn er so sprach, klang er fast wie eine Maschine. Gleichbleibend, ohne verändernden Rhythmus oder Tonhöhe. Ohne Gefühle. Es war schwer zu ergründen, ob er diese Worte tatsächlich so meinte, wie er sie sagte, oder ob er es sagte, weil er es sagen musste. Es war vorstellbar, dass man vieles sagen musste, weil es eine Art Gesetz dafür gab. Schließlich musste man auch lügen und angeben. Aber warum dachte er überhaupt darüber nach, wie dieser Mann, der ihm eigentlich so fremd war, klang? Wenn er doch so gern in dieser Welt lebte, musste man sich schließlich keine Sorgen darum machen, ob er nun gefühlvoll klang oder nicht. Ulquiorra selbst klang schließlich auch oft genug emotionslos. Auch darüber machte sich niemand Gedanken. „Was muss ich also als nächstes tun?“ Er beschloss, dass es vielleicht am besten sei, diesen Unterricht schnell hinter sich zu bringen. Er hatte nicht vor, sich irgendwann wirklich zu verstellen um einer Welt angehören, zu der er nicht gehören wollte, aber zumindest zu wissen, wie es ging, schien ja seine Pflicht zu sein. „Du musst Messer und Gabel richtig halten.“ Er nahm das richtige Messer und die richtige Gabel und hielt sie, wie er sie immer hielt. „Richtig halten, sagte ich.“ Selbst für solche Banalitäten gab es Regeln. Wer sollte überhaupt darauf achten, wie ein unscheinbarer Junge wie er sein Besteck hielt? Langsam vermutete er, dass auf Adeligen Feiern so etwas wie Etikettewachen herumliefen, die peinlich genau jeden Verstoß gegen die herrschenden Regeln dokumentierten und sie danach der Öffentlichkeit preisgaben, damit jeder wusste, wer Geld und Ansehen verdiente und wer nicht. „Und wie geht richtig?“ Mit verkrampften Händen bemühte er sich, die versilberten Werkzeuge anders zu greifen. Es klappte nicht und sah lächerlicher aus als zuvor. Zu allem Übel war er auch noch so verkrampft, dass es schmerzte. Wenn Adlige auf diese Art ihr Besteck hielten, mussten sie allesamt Masochisten sein. Auch dem Meister wurde es nun anscheinend zu viel, denn dessen Hände bewegten sich von hinten langsam auf Ulquiorras bleiche Greifer zu, um ihm Hilfestellung zu leisten. Er zuckte kurz, als ihn die weichen, aber dennoch kalten Finger berührten und seinen Griff dahingehend änderten, dass es wohl richtig war. Es war seltsam. Normalerweise hasste es der Junge, von anderen berührt zu werden, erst Recht, wenn es ungefragt war. Doch dieses Mal hatte er nicht einmal Abscheu empfunden. Es wäre vielleicht zu viel gewesen, es als „angenehmes Gefühl“ zu beschreiben. Es war passabel. Vielleicht lag es daran, dass von dem anderen keine Aura der Aufdringlichkeit ausging, die vermuten lies, dass ihm solche Belästigung auch noch Freude bereitete. Ulquiorra versuchte, es als eine Art Verbundenheit einzuordnen, eine Verbundenheit, da sie beide so reserviert waren und Körperkontakt eher mieden. Plötzlich verspürte er das Bedürfnis, Byakuyas Gesicht zu sehen und blickte fragend auf. Ob dieser wohl auch so etwas empfand, wie er es grade tat? „Richtig so.“ Der Adelige hatte den fragenden Blick anscheinend so gedeutet, dass es Ulquiorra interessierte, ob er das Besteck nun richtig hielt. Ernüchternd. „Wenn du dich ein wenig bemühst, schaffst du es vielleicht wirklich, die Etikette bis in einer Woche zu beherrschen.“ Es war kaum zu überhören, dass die Betonung auf „vielleicht“ lag. „Was ist denn in einer Woche?“ „Ich veranstalte eine Feier. Ein paar der Gäste werden allerdings schon früher eintreffen. Du wirst sie mit mir empfangen müssen.“ „Wann denn?“ „Morgen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)