Das unbekannte Leben unserer Helden von Veroko (Eine Aktion der Schreibzieher) ================================================================================ Das Dungeon ----------- Die Straßenlaterne leuchtete nur widerwillig. Immer wieder flackerte das Licht, wurde aber dennoch von irgendeiner höheren Macht am vollständigen Ausgehen gehindert. Beachten tat diesen ständigen Kampf von Licht und Dunkel keiner, es war fast vier Uhr morgens und niemand blieb wach, um zu dieser Nachtzeit das Schicksal einer Straßenlaterne zu beobachten. Also beachten auch wir sie nicht weiter. Viel interessanter ist es in einer kleinen Wohnung, nicht weit entfernt. Zu dieser gehörte auch das einzig noch beleuchtete Fenster der ganzen Straße. Dort schien es sich also zu lohnen, um diese Uhrzeit noch nicht zu schlafen. Durch die Scheibe sehen wir einen jungen Mann, der mit der einen Hand rhythmisch die Tasten seiner Tastatur und mit der anderen seine Maus bediente. Er saß vor einem Bildschirm, auf dem sich viele verschiedenartige Gestalten bewegten, und fluchte gerade aufs Äußerste. Lasst uns einen genaueren Blick wagen... "Lia! Lia!" Die Angesprochene spürte, wie sie an der Schulter geschüttelt wurde und schlug mit einiger Anstrengung die Augen auf. Der plötzliche Lichteinfall schmerzte ihrer Netzhaut und sie gab ein undefinierbares Brummen von sich. "Lia, bist du wieder da?" "Ich denke schon." Mit Hilfe der anderen stellte sie sich auf die Beine, die ihr schon relativ vertrauenserweckend vorkamen. Mit einem kurzen Blick verschaffte sie sich wieder einen Überblick. Ihre Gefährten waren wohlauf, sie befanden sich immer noch im Tempelgarten und in unmittelbarer Nähe lagen die leblosen Körper dreier Elite Tempelwächter. Es ragten ein paar Pfeile aus den unansehnlichen Leichen, Andromeda war einfach eine erstklassige Bogenschützin. "Ein Glück, du hast ganz schön was abbekommen", meinte diese gerade und gab der eben noch Bewusstlosen ihre Messer zurück. Zu dem Team gehörte auch der Krieger Girold mit seinem ausladenden Polearm und die Heilerin Sambra. Sie selbst gehörte der Klasse der Schurken an und war aus Versehen ins Sperrfeuer dieser Elitemonster geraten. Langsam konnte sie sich wieder erinnern, was passiert war. Die vier Gefährten waren in dieses Gebiet eingedrungen, um den sich im Zentrum des verfallenen Tempels befindlichen Schatz für König Agir zu bergen. Eigentlich hatten sie mit drei Gegnern solcher Statur nur wenig bis keine Probleme, dass es jemanden erwischte war eher die Ausnahme. Denn trotz ihrer Größe und Stärke waren diese behaarten Grünhäuter ziemlich beschränkt im Kopf. Sie hatten zwar eine gute Panzerung, wussten aber nicht, sich sauber zu verteidigen. Nun, sie hatten nicht unendlich Zeit, also hielten sie sich nicht weiter an den Kreaturen auf. Die Anlange war schon lange nicht mehr in Betrieb, der Begriff "Tempel" war lediglich aus alten Zeiten übernommen worden, denn damit hatte das Gelände nichts mehr gemein. Die Mauern waren nur noch Ruinen, der Garten war überwuchert. Es war leicht für Kreaturen jeglicher Art, sich hier zu verstecken, auf welcher Seite auch immer sie standen. "Wisst ihr, wo wir am besten hineinkommen?", ließ sich Girold vernehmen. "Ja, ich war schon einmal hier“, kam prompt die Antwort von Andromeda, „Wir müssen auf die Ostseite, dort ist ein Spalt in der Mauer, der nicht bewacht wird." Ohne weiteres Zögern schritten die Kämpfer voran. Dieses Gebiet ermöglichte es ihnen nur begrenzt zu bleiben. Nach einer bestimmten Zeitspanne mussten sie hier wieder hinaus, sonst würden sie den Schutzmechanismus der Anlage auslösen, der alles vernichtete. Lia war dafür zuständig, die Zeit im Auge zu behalten, sie schaffte das von allen am besten. Sie hatten noch etwas über eine Stunde. Die Lücke in der Mauer fanden die Gefährten ohne weiteres und schlüpften einer nach dem anderen hindurch. Vor ihnen lang ein steinerner Raum, der nichts beherbergte. Wirklich waren keine Gegner zu sehen, nur eine Tür an der gegenüberliegenden Wand. Zielstrebig gingen sie los, doch plötzlich sank unter Lia der Boden weg und sie rutschte immer tiefer hinab. Es wurde schwarz um sie herum, doch dann kam eine Schicht Grün, ein bisschen Braun und anschließend sah sie den Stein des Fundaments von unten und fiel und fiel und fiel... "Gott verdammt! Der Bug ist immer noch nicht draußen!" Der junge Mann an seinem Schreibtisch fluchte lauthals. "Gut, probieren wir es anders, wenn es kein Collision-Trigger war, muss der Fehler woanders liegen." Er wechselte die Fenster und scrollte durch einige Zeilen Quellcode. Ein Außenstehender kann damit nicht viel anfangen und wäre hilflos verloren. Der Mann aber scrollte hierhin, stellte dort eine Verbindung her, löschte woanders etwas und übersetzte im Geiste, was auf seinem Bildschirm in technischer Sprache stand. Er wechselte wieder das Fenster und öffnete eine weitere Code-Datei. "Warum steht hier immer noch die Verbindung zur enemy sphere? Die habe ich doch vor zwei Tagen erst rausgenommen. Tobi wieder, kein Wunder, dass es nicht funktioniert!" Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer, ohne dass er sich im geringsten Gedanken um die Uhrzeit machte. "Tobi! Ich habe dir doch gesagt, dass du nie alte Dateien verwenden sollst. Wir hatte zwei verschiedene Versionen und meine wurde überschrieben." Er hörte auf das, was an der anderen Leitung gesprochen wurde. "Ja, ich weiß. Jedenfalls habe ich den Bug jetzt womöglich gefunden, wann können wir in eine neue Runde starten?" Wieder schwieg er für eine Weile. "Ja gut, schau, was du machen kannst. Ach, und pass das nächste Mal besser auf, dass mir deine Andromeda mehr Rückendeckung gibt, die Viecher können mein Ausweichen lahmlegen." Seufzend legte er das Telefon weg und rieb sich die Augen. Er gönnte sich einen Moment, griff nach der Flasche auf dem Tisch und lehnte sich zurück. Dann nahm er sich wieder den Quellcode vor und arbeitete an einer anderen Stelle weiter. Er wollte bei der Gelegenheit gleich das Gelände des Dungeons weiter ausbauen. Gestern hatte er angefangen, an der Südseite ein Nadelöhr einzubauen, das erschweren sollte, in einer geschlossenen Gruppe anzugreifen. Sie standen alle im Raum und nichts tat sich. Lia war einfach im Boden versunken, und sie wussten nicht so recht, was sie tun sollten. Sie war die einzige gewesen, die immer die Zeit im Auge hatte und keiner der Anwesenden wusste nun, wie lange ihnen noch blieb. Es war schon öfter vorgekommen, dass einer von ihnen einfach verschwand, mal gingen sie durch eine Wand oder kamen nicht mit durch die Tür, allen war das schon mal passiert und jedes Mal brachte es Probleme mit sich. Nun wussten sie nicht, wie schnell sie die Anlange hinter sich bringen mussten und ein guter Kämpfer fehlte ihnen auch. Doch es blieb ihnen keine andere Wahl als weiter zu gehen, wenn sie nicht einen qualvollen Tod sterben wollten. "Kommt, sie wird schon wieder auftauchen, wie jedes Mal. Wenn wir Glück haben, sogar vor dem großen Wächter." Doch die restliche Zeit, die ihnen blieb, würden sie nie mehr herausfinden. "Wir sollten uns beeilen, damit wir auf jeden Fall noch Reserve haben, falls etwas passiert." Die restlichen nickten und sie setzen sich in Bewegung. Vorsichtig arbeiteten sie sich durch die zahllosen Gänge und Säle. Durch die gesteigerte Geschwindigkeit kam die reduzierte Gruppen gut voran. Es dauerte nicht lange, bis sie an einen Abgrund kamen. Sie standen am Rand und blickten in die Tiefe. Würde man einen Stein über die Kante kicken, müsste man sehr lange warten, bis der Aufschlag die zerklüfteten Wände nach oben schallte. Andromeda legte nachdenklich die Stirn in Falten. "Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Das war letztes Mal noch anders, das gibt’s doch nicht!" Die drei Gefährten gingen die Felsspalte in beide Richtungen ab, sie endete jedoch beiderseits in massiver Wand, nirgends gab es auch nur den Hauch einer Chance, den Abgrund zu überwinden. Doch so schnell ließen sie sich nicht unterkriegen. Sie durchkämmten die gesamte Umgebung, ob sich nicht parallel zu dem entstandenen Abgrund ein neuer Durchgang aufgetan hatte, aber nachdem sie sämtliche Monster im Umkreis aufgescheucht und besiegt hatten, sahen sie ein, dass sie in nächster Zeit nichts mehr finden würden. "Wie viel Zeit haben wir jetzt hierfür verbraucht?", fragte Andromeda. Sambra hatte die Aufgabe übernommen, die Zeit im Auge zu behalten. "Zwanzig Minuten", antwortete sie auch sogleich. "Ich befürchte fast, uns rennt sie Zeit davon, wir müssen eine Lösung finden!" Girold lachte bitter. "Leichter gesagt als getan, hast du schon was vor?" Sie versanken in bedrücktem Schweigen. Doch da schrie Sambra plötzlich auf: "Wir haben doch ein Seil dabei! Andromeda, wenn du das Seil auf die andere Seite schießt, kann ich mich rüberschwingen. Ich bin leicht genug, das sollte klappen. Dann kann ich das Seil drüben befestigen und ihr könnt nachkommen." Erwartungsvoll sah sie in die Runde. Die anderen zogen nur zweifelnd die Augenbrauen Richtung Haaransatz. "Das klingt... sehr unrealistisch", meinte Girold zur Enttäuschung von Sambra. Die kleine Heilerin ließ sich aber nicht so leicht abspeisen. "Leute, wenn wir es nicht versuchen, sind wir so oder so tot. Dann können wir auch gleich in den Abgrund springen." Andromeda trat an den Rand der Spalte und nahm die andere Seite in Augenschein. "Wo soll ich den Pfeil denn deines Erachtens hinschießen, damit er stecken bleibt?" "Du hast doch die legendären Pfeile der Andale, die jede Rüstung durchschlagen. Zusätzlich kannst du für kurze Zeit die Durchschlagskraft noch weiter erhöhen, dann wird er direkt in den Stein dort drüben einschlagen." Andromeda wandte sich Girold zu. "Das könnte tatsächlich klappen, ein Versuch wäre es wert. Sie kann ihre Ausrüstung ja bei uns lassen." Gegen seine zwei weiblichen Mitstreiter konnte sich der Krieger nicht behaupten. Grummelnd händigte er ihnen sein Seil aus. Der Pfeil blieb tatsächlich in der Säule auf der anderen Seite stecken. Auch als sie probeweise an dem Seil zogen fiel er nicht mehr heraus. Es war auch lang genug, dass Girold es sich nicht nehmen ließ, ein gutes Stück vom Ende abzuschneiden, um es Sambra um die Taille zu binden. Sie sah sich noch einmal zu den anderen um, dann sprang sie über die Kante. Der Pfeil hielt. Sambra hing über der Kante und stützte sich mit den Beinen von der Felswand ab. Langsam zog sie sich nach oben und kletterte über die Kante. Girold auf der anderen Seite atmete erleichtert aus. "Ich sag doch, dass es funktioniert", jubelte die Heilerin. Sie band das Seil von dem Pfeil und schlang es um die Säule für einen zuverlässigeren Halt. Der Krieger tat am anderen Ende das gleiche, während Andromeda einen Teil der zurückgelassenen Ausrüstung verstaute. Nun konnten sie sich einer nach dem anderen über den Abgrund hangeln. Nach kurzer Zeit, war die kleine Gruppe wieder vereint und auf der anderen Seite der tiefen Spalte. Gerade als Andromeda sich den Staub von ihrem Wams geklopft hatte tat es hinter ihnen einen Krach, der sie herumfahren ließ. Über dem Abgrund spannte sich nun elegant eine schmale Brücke aus Stein, gerade breit genug für eine Person. Ein Augenblick der Ungläubigkeit blieb ihnen, da erschien aus dem Nichts eine klauenbewehrte Gestalt, groß wie ein Haus, das verärgert mit den mächtigen Flügeln schlug. Doch von alldem bekamen die drei Gefährten nichts mehr mit, denn alles, was im nächsten Augenblick von ihnen und dem Gringer zurückblieb, war eine Erinnerung von Bits und Bytes. Der Mann vor dem Bildschirm streckte sich und gähnte ausgiebig. Sah man durch das Fenster, konnte man schon das zarte Rosa des nahen Morgens ausmachen. Zeit, um sich eine Weile aufs Ohr zu legen, beschloss er. Er schaltete den Computer aus und erhob sich aus seinem Stuhl. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)