Kaltherzig von P-Chi ================================================================================ Kapitel 4: the golden necklace ------------------------------ In der nächsten Nacht war ich bis an die Zähne bewaffnet. Weil diese leuchtenden Wolfsaugen immer wieder vor meinem inneren Auge auftauchten, wollte ich erst gar nicht an die Grenze zurückkehren, aber ich weigerte mich Angst zu empfinden, musste mir aber gleichzeitig eingestehen, dass es kein Wunder war, dass ich verloren hatte. Ich hatte noch nicht einmal ein Schwert bei mir getragen! Meine Selbstüberschätzung hätte mich beinahe mein Leben gekostet, doch einen guten Dienst hatte mir der Schattenwolf dennoch erwiesen. Er hatte mich wieder daran erinnert, was für Monster Werwölfe eigentlich waren. Daher kam es mir sehr gelegen, als Tristan in der nächsten Nacht wiederkam. Entspannt und schutzlos schlenderte er auf die Grenze zu, wo ich ihn bereits mit meinem geschliffenen Schwert erwartete. Abwartend saß ich auf einem Ast und in dem Moment, als er einen Fuß außerhalb des Waldes setzte, sprang ich direkt vor ihn und schleuderte ihn gegen einen Baum. Bevor er auch nur begreifen konnte was passierte, war ich bereits wieder bei ihm und drückte ihn mit einer Hand gegen den Stamm, mit der anderen drückte ich ihm das Silberschwert an die Kehle. „Es war ein Fehler hierher zukommen“, zischte ich. „Letzte Nacht habt Ihr Euer Todesurteil besiegelt. Sprich, wer war es?“ Tristan blieb völlig ruhig, ein wahres Musterbeispiel an Selbstbeherrschung, nur eine tiefe Falte zeichnete sich zwischen seinen Augenbrauen ab. „Wovon redest du, Becca?“ „Spielt nicht den Unschuldigen“, knurrte ich und bohrte meine Nägel tiefer in seine Haut. „Ich spreche von dem Köter, der mich gestern angegriffen hat. Also, sagt mir auf der Stelle was das war oder ich schwöre, ich werde Euch hier und jetzt in so viele Stücke schneiden, dass Euer Volk Monate damit verbringen wird, wieder alles von Euch einzusammeln.“ „Becca, ich habe keine Ahnung wovon du sprichst.“ Er packte die Klinge meines Schwertes und versuchte sie wegzudrücken. Sofort zischte seine Haut und ein Rinnsal von Blut floss die Schneide hinab. Ich stemmte mich gegen ihn, um das Schwert möglichst in seiner Nähe zu behalten, doch die Klinge zitterte nun direkt zwischen uns. „Ihr seid ein Lügner, Tristan“, erwiderte ich kalt, ließ plötzlich locker und sah zu wie der stämmige Mann mit dem Gesicht nach vorne fiel. In einer schnellen Bewegung fixierte ich ihn mit dem Schwert, das ich ihm durch die Schulter rammte, und drückte ihn mit einem Fuß fest auf den Boden. Schon besser, dachte ich, zufrieden mit mir selbst. Ich hatte mich gestern derart hilflos und schwach gefühlt, dass in mir nun pure Freude aufstieg, als ich meine Dominanz demonstrieren konnte. Ich fühlte mich stark. Unbezwingbar. Er verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse, gab aber weder einen Laut von sich, noch versuchte er sich zu wehren. Als versuchte er ein wildes Tier zu beruhigen. „Wollt Ihr sterben?“, fragte ich ärgerlich. „Warum kämpft Ihr nicht?“ „Weil du das nur als Beweis für meine Schuld ansehen würdest“, keuchte er. „Ich habe nichts mit dem Angriff auf dich zu tun.“ Ich kniff die Augen zusammen. Er klang ehrlich, doch das musste in der Regel gar nichts bedeuten. Allerdings wäre er entweder lebensmüde oder einfach nur dumm, wenn er hier noch einmal aufkreuzte, sollte er doch etwas mit dem Schattenwolf zu tun haben. Es wäre klüger – und vor allem einfacher – wenn ich ihn einfach köpfte. Dann wäre der Spuk mit ihm vorbei und ich könnte mich besser darauf konzentrieren, die Grenze vor dem Schattenwolf zu schützen. Ich stieg von ihm runter und zog ihm das Schwert aus der Schulter. „Hört auf hierher zu kommen. Bleibt weg.“ „Erst wenn ich weiß, was dich so besonders macht“, erwiderte er und setzte sich auf. „Ich bin nur eine Grenzwächterin.“ Bis auf die Tatsache das ich nicht gewandelt worden und königlichen Blutes war – aber das musste er nicht unbedingt wissen. Es würde meine Situation nur komplizierter machen. Tristan schnaubte und massierte seine Schulter. „Du traust mir nicht“, sagte er nach einer Weile und wagte es tatsächlich empört zu klingen. „Werwölfe verdienen mein Vertrauen nicht. Sie sind hinterlistig und primitiv.“ „Als ob Blutsauger besser wären“, feixte er und das war das erste Mal, dass ich einen Ausdruck von Verachtung in seinen Augen erkannte. Etwas, worauf ich schon die ganze Zeit gewartet hatte. Tristan erhob sich geschmeidig und ging auf die Mauer zu. Kurz bevor er den kalten Stein berührte, sprang ich vor ihn und stieß ihn zurück. „Kommt der Mauer nicht zu nahe, sonst muss ich Euch wirklich töten.“ Der Werwolf hielt die Hände in die Höhe, um zu zeigen, dass er sich friedlich benehmen würde. „Ich wollte dir etwas geben, aber ich würde dir lieber nicht zu nahe kommen, solange du das Schwert in der Hand hast.“ Erstaunt beobachtete ich ihn wie er ein goldenes Collier – verziert mit weißen Perlen und einem granatfarbenen Diamanten – aus seiner Hosentasche zog. Viele dicke Schnörkel aus Gold, die hin und wieder von den Perlen durchbrochen wurden, umschlangen den funkelnden Diamanten in der Mitte. Ich war begeistert, aber zu misstrauisch um mich richtig darüber freuen zu können. „Soll das auch wieder eine Art ‚Dank’ sein?“ Tristan zuckte die Schultern. Ich konnte den Stolz und die Zufriedenheit, die von im ausging, praktisch riechen. Er wusste genau, wie sehr ich dieses Schmuckstück begehrte und von dessen Perfektion verzaubert war. Er legte mir die Kette um den Hals. Diesmal wehrte ich mich nicht über die Berührung, auch wenn seine Hände länger als nötig in meinem Nacken ruhten und ich an mich halten musste, um das Schwert nicht in seine Brust zu stoßen. „Warum?”, fragte ich verwirrt, trat einen Schritt zurück und brachte etwas Abstand zwischen uns. Das Collier fühlte sich kalt und schwer auf meiner Haut an, verursachte aber auch ein angenehmes Kribbeln, das mein Herz schneller schlagen ließ. Es war beinahe zwölf Jahre her, seit ich das letzte Mal Schmuck getragen hatte. Ich hatte schon ganz vergessen, wie gut es sich eigentlich anfühlte. Tristan zuckte die Schultern. „Weil du die Kinder gerettet hast? Weil du mich nicht getötet hast, obwohl du mehrmals die Chance dazu hattest? Es gibt viele Gründe.“ „Dann sind wir wohl quitt.“ „Bei weitem noch nicht“, erwiderte er mit einem mysteriösem Lächeln. „Ich gehe jetzt besser. Es sei denn, du möchtest, dass ich bleibe.“ „Lebt wohl, Tristan.“ Er grinste. „Wir werden sehen.“ Als ich mir sicher war, dass er außer Hörweite war, fuhr ich mir mit der Hand über das Gesicht und verfluchte mich für meine Schwäche. Was war ich nur für eine Närrin! Nicht nur, dass ich mich praktisch vom ihm hatte bezahlen lassen, nein, ich musste ihn auch noch laufen lassen. Ich hatte den Verstand verloren! Es war die einzig plausible Erklärung für mein abartiges Verhalten. Nachdem ich meine Runden auf der Ostgrenze gedreht hatte und auf der Nord- und Südseite nach dem Rechten gesehen hatte, machte ich mich auf den Weg zurück zum Schloss. Ich sah den Himmel bereits heller werden, wie er einen rosigen und orangen Ton annahm, der mir Gänsehaut bereitete. Der Tagesanbruch vertrieb mich von meinem Platz, während die gewandelten Jäger gezwungen waren, sich in der Erde zu vergraben und bis zum Nachtanbruch auszuharren. Oleen erwartete mich bereits und hielt mir das Tor offen, durch das ich schnell schlüpfte und sofort in den Westflügel eilte. „Willkommen zurück, Mylady“, begrüßte sie mich leise und nahm mir den Umhang, sowie meine Waffen, ab. Ihr Blick fiel auf die Kette um meinen Hals. „Ein Geschenk“, antwortete ich auf ihren fragenden Blick hin. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, doch sie ließ es zum Glück auf sich beruhen. „Gibt es Neuigkeiten, was Leonore anbelangt?“ Die Messerwerferin schüttelte den Kopf. „Nein. Sie verhält sich ausgesprochen ruhig. Auch ihre Diener halten sich zurück.“ „Gut, beobachte sie dennoch weiter. Gab es neue Anschläge?“ Wieder ein Kopfschütteln. Ich erwischte mich dabei, wie ich fragte: „Bei dem letzten Angriff, sagtest du, einige Werwölfe konnten nicht fliehen. Sind noch welche am Leben?“ Sie nickte leicht und beschleunigte ihren Schritt, um mit mir mitzuhalten. „Sechs Männer und eine Frau. Sie konnten nicht sehr weit vordringen, als die Schergen der Königin eingriffen. Fünf von ihnen sind tot und zwei haben wir gefangen genommen. Sie wurden in den Kerker gebracht.“ Ich stoppte bei der Erwähnung des albtraumhaften Kerkers. Mit zusammen gekniffenen Augen drehte ich mich zu ihr um, woraufhin sie sofort einen Schritt zurück trat und beschämt den Kopf senkte, auch wenn sie im Grunde nichts falsch gemacht hatte. „Lasst die Gefangenen frei“, befahl ich ausdrücklich und hoffte dieses Thema schnell erledigen zu können, aber meine sonst so treue Dienerin rührte sich nicht vom Fleck. „Ich weiß, wie es anmaßend es sein muss Euch dies zu fragen, aber warum wollt Ihr diesem Abschaum wieder die Freiheit schenken, obwohl sie das Schloss angegriffen und vierzehn Vampire getötet haben?“ Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen, aber noch war keine Spur von dem Blau zu erkennen, das sich zeigte wenn sie sich ernsthaft aufregte. „Was glaubst du, was passiert, wenn die Wölfe Wind davon bekommen, dass es noch Überlende gibt?“ Die Vampirin schwieg. „Natürlich werden sie versuchen ihre Kameraden zu befreien und du weißt, wie leicht diese Monster Tagsüber bei uns eindringen könnten, wenn sie es wollten. Wenn wir die Gefangenen fliehen lassen, dann könnten wir sie möglicherweise so lange Ablenken, bis wir uns eine neue Strategie überlegt haben.“ „Aber werden diese Bestien sich nicht erst recht rächen wollen, wenn sie merken, wie schlimm die Gefangenen gefoltert wurden?“ Da hatte sie nicht Unrecht. Entweder die Werwölfe würden es als Warnung oder als Provokation ansehen. Nicht als einen Gefallen meinerseits. „Lass das meine Sorge sein. Sie werden nicht wieder angreifen. Jedenfalls nicht aus diesem Grund.“ Die Messerwerferin verzog das Gesicht, was wohl als Lächeln gelten sollte. „Ich verstehe immer noch nicht, warum Ihr nicht den Thron angenommen habt“, schmeichelte sie mir und führte mich zu einer steinernen Treppe, die steil in die tiefsten Tiefen des Kellers führte. Rechts an der Wand, hatte man in fünf Meter Abständen Fackeln befestigt, die es den menschlichen Dienern vereinfachen sollten, sich hier unten zurechtzufinden. Es lebten nicht viele Menschen im Schloss – von den Gefangenen und Blutwirten abgesehen. Höchsten so um die fünf, die wohl alle hofften, dass jemand sie zu einem der Unsrigen machte. Ich persönlich war noch keinem begegnet, und war auch relativ froh darüber. Unten angelangt, durchquerten wir einen kleinen Torbogen und bewegten uns weiter fort, wobei wir uns die ganze Zeit geduckt halten mussten, um nicht mit dem Kopf an der bedrohlich tief liegenden Decke anzustoßen. Nach zwei Minuten wurde der Gang breiter. An den Wänden reihten sich verschlossene Stahltüren, die kein Mensch je durchbrechen könnte. Die Werwölfe wurden ganz am Ende, in den sogenannten Käfigen, gefangen gehalten. Ein Gefängnis mit Gittern aus reinem Silber. Wir bogen um eine Ecke, an deren Ende sich der Käfig mit den beiden Gefangenen befand. Die beiden Männer darin schienen jung zu sein, aber ich hatte früh genug gelernt mich von Äußerlichkeiten nicht täuschen zu lassen. Die beiden Körper, die mit Silberketten an der Steinwand gekettet waren, sahen ziemlich zerschunden und blutig aus. Schweiß troff ihnen aus allen Poren und ihre Hautfarbe war vor lauter Schmutz kaum noch zu erkennen. Mit einem kurzen Kopfnicken schickte ich die beiden Wächter, die zu beiden Seiten der Zellen standen und mich misstrauisch gemustert hatten, weg. Ich zog den alten Zentralschlüssel aus meiner Tasche und schloss auf. „Könntest du mir bitte einen Samtbeutel bringen?“, bat ich Oleen und konnte in ihrem Gesicht ablesen, wie sehr sie mit sich rang mich hier alleine zu lassen, aber schließlich vertraute sie auf meine Fähigkeiten und nickte. Sobald sie in dem anderen Gang verschwunden war, beugte ich mich zu dem etwas weniger schlimm aussehenden Jungen und strich ihm eine sandblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Er rührte sich nicht, also klatschte ich ihm ein paar Mal gegen die Wange, bis er blinzelnd die neblig blauen Augen öffnete. Ein Knurren stieg aus seiner Kehle, als er erkannte welches Wesen es gewagt hatte ihn anzurühren. „Bevor Ihr voreilige Schlüsse zieht, muss ich erwähnen, dass ich nicht hier bin, um euch hinzurichten.“ Ich beeilte mich auf den Punkt zu kommen. „Willigt ein mir einen Gefallen zu tun, dann lasse ich euch frei.“ „Eher friert die Hölle zu!“, fauchte er und um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zerrte er an seinen Ketten und versuchte nach mir zu schnappen. „Bring es hinter dich und töte mich endlich, Blutsauger!“ „Vielleicht komme ich noch darauf zurück, wenn Ihr nicht aufhört so herum zu brüllen. Sagt Euch der Name Tristan etwas?“, versuchte ich es erneut und warf einen kurzen Blick auf seinen Freund, der noch immer schlaff an der Wand hing. Der Blonde schob trotzig das blau geprügelte Kinn vor. „Nie von ihm gehört.“ Ich blickte kurz über meine Schulter. Niemand war zu sehen. Umso besser. Ich legte das Collier ab und ließ es vor seiner Nase baumeln. „Wirklich nicht? Denn er hat mir dies geschenkt, im Gegenzug für eure Freiheit.“ Mich interessierte nicht, ob meine Lüge plausibel klang oder nicht, denn eigentlich wollte ich nur die Kette loswerden und die Gefangenen möglichst unbemerkt heraus schaffen. Bevor der Werwolf weiter nachfragen konnte, tauchte Oleen wieder auf und reichte mir einen dunkelblauen Samtbeutel. Ich ließ das Collier hineinfallen und knotete den Beutel fest zu. „Oleen, befreie den anderen von seinen Ketten.“ Sie tat wie geheißen, während ich ebenfalls versuchte dem Blonden zu helfen. Nachdem die Schlösser aufgeschlossen waren, rieb sich der Werwolf die blutverschmierten Handgelenke. Er bedachte mich mit einem abschätzigen Blick und warf sich mit erstaunlicher Kraft seinen bewusstlosen Freund über die Schulter. „Du lässt uns wirklich gehen?“, fragte er noch einmal nach, und ließ mich keinen Moment aus den Augen. Sein Argwohn überraschte mich nicht, denn wie oft passierte es schon, dass ein Vampir so etwas wie Gnade walten ließ? Ich verdrehte die Augen und bedeutete ihnen, dass sie mir folgen sollten. „Meine Herrin nimmt ein großes Risiko auf sich, euch gehen zu lassen“, verteidigte mich Oleen und bildete die Nachhut. Sie schien nicht gerade viel Angst vor den Werwölfen zu haben, was ich ihr hoch anrechnete. Wahrscheinlich hielt sie dennoch ihre Wurfmesser bereit. „Pah! Als ob euch Blutsaugern untereinander etwas passieren würde!“, meinte der Junge skeptisch. „Ihr wärt überrascht“, murmelte ich und erreichte endlich den Ausgang. Die Gänge schienen wie leer gefegt. Kein Wunder. Denn laut den zugezogenen Vorhängen, war bereits die Sonne aufgegangen. Es war so unheimlich still, dass ich fürchtete der leiseste Atemzug den ich von mir gab, würde mich verraten und die ganze Meute auf mich hetzen. Aber nichts. Alle schliefen tief und fest. Als der Werwolf mit seinem Freund drohte umzukippen, stützte Oleen ihn, obwohl sie sich sichtlich davor ekelte ihn zu berühren, während wir in den Nordflügel eilten. Ich hielt mich im tiefen Schatten der Tür verborgen, als ich diese aufzog. Selbst die sonst so mutige Messerwerferin wich auf der Stelle zurück, als das Licht über die Türschwelle fiel und den Gang erleuchtete. „Hier, fang“, sagte ich ruhig und warf ihm den Beutel zu. Er fing den Beutel mit einer Hand auf und zog verwirrt die Stirn in Falten. „Richtet Tristan aus, dass ich mich nicht bestechen lasse, schon gar nicht von einer Rasse, die ich bis aufs Blut verabscheue.“ Seine Augen warfen blaue Blitze auf mich ab. „Und wer soll ihm diese Nachricht ausgerichtet haben?“ „Becca“, antwortete ich etwas unwirsch und schlug die Tür hinter ihnen zu. Diese Hitze war einfach unerträglich. Auch Oleen wirkte ziemlich mitgenommen und blass. Bereits der kleinste Sonnenstrahl fühlte sich für uns an, als ob man uns die Haut in Schichten abzog. Man hatte mich als Kind tagsüber immer im Zimmer einsperrt, da ich nicht auf die Warnungen meiner Eltern und Diener hören wollte, die mir diese unmöglich erscheinenden Geschichten von brennenden und zu Asche zerfallenden Körpern erzählten. Ich glaubte einfach nicht daran und war zu sehr von mir – einer Reinblüterin – überzeugt. Ich kam mir immer unbesiegbar und mächtig vor. Eines Tages, als man mich wieder wegsperren wollte, versteckte ich mich in einem der Zimmer der menschlichen Dienstmägde. Sie waren gerade alle weg gewesen, um zu putzen, sich ausbluten zu lassen oder was auch immer, und ich nutzte die Gelegenheit um den Sonnenaufgang mitzuerleben. Ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um über den Rand des großen Fensters blicken zu können. Zuerst faszinierten mich noch die Farbenübergänge von schwarz zu blau zu violett, doch sobald die rosaroten, orangen und hellblauen Farbtöne erschienen, setzten die Kopfschmerzen ein, was für mich keinen wahren Hinderungsgrund darstellte. Stur starrte ich weiterhin aus dem Fenster, ohne zu wissen, wie sehr ich es bereuen würde. Und dann, in dieser einzigen Sekunde, sah ich den allerersten Lichtstrahl aus dem Horizont kommen und das Zimmer erleuchten, nur um mich im nächsten Moment schreiend und weinend auf dem Boden wiederzufinden. Meine Augen hatten schlimmste Verbrennungen davongetragen und es bedurfte mehrere Liter Blut, ehe sie wieder geheilt waren. Dennoch blieb ich noch für einige Tage blind, mit einem unauslöschlichen Brandmal auf meiner Seele. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)