Martini von Malerin ================================================================================ Kapitel 5: neuer Auftrag ------------------------ Ich hörte mehrere Stimmen. Verschlafen blickte ich auf die Uhr, die an einer weißen Wand hing. Es war drei Uhr mittags. Hatte ich tatsächlich fast elf Stunden geschlafen? Die Sonne schien hell in das Zimmer hin nein. Es war ein freundlicherer Tag als gestern. Ich blickte über die Lehne des Sofas auf dem ich geschlafen hatte. Am anderen Ende des Zimmers sah ich Shuichi, Shinichi und diese Jodie an einem runden Tisch sitzen. Sie sprachen mit einem gesenkten Ton, wahrscheinlich um mich nicht zu wecken. Irgendwie freundlich von ihnen mich ausschlafen zu lassen. Ich fühlte mich so um einiges besser als am Vorabend. Sie merkten nicht, dass ich wach war. Also lehnte ich mich zurück und schloss nochmal die Augen. Aber es war unvermeidbar ihnen zu zuhören: „Was verlangen sie, Shinichi?“ „Sie haben etwas von Martini gesagt. Ich vermute, dass es der Deckname des Jungen ist.“ Weg war die Entspannung, die ich bis vor einige Minuten gehabt hatte. Bitte, Gin. Warum tust du mir das an? „Was sollen wir tun?“ „Wir können den Jungen nicht einfach so ausliefern.“, meinte Jodie. „Aber wir können auch nicht Mais Schule in die Luft fliegen lassen.“ Mais Schule? Meine Schule? War Mai in der Schule? In die Luft? Was wollte Gin nur erreichen? Er sollte aufhören. Tränen flossen meine Wangen hinunter. Es war aussichtslos. Wenn sie sich einmal entschieden hatten jemanden zu ermorden, dann würden sie es tun. Mai… Warum hatte ich sie nur kennengelernt? Wieso war ich in Amerika in das Flugzeug nach Japan gestiegen? Wieso war ich nicht von dem nächsten Gebäude gesprungen als ich noch die Gelegenheit dazu hatte? Ich war ein Idiot. „Sollen wir versuchen das Gebäude zu evakuieren?“, wieder war es Jodie, die sprach. „Nein. Das ist zu riskant. Es wird nicht funktionieren. Sie sind keine Amateure.“ „Wir liefern den Jungen aus. Fertig. Es geht um das Leben meiner Tochter und hundert anderer Kindern.“ „Nein, Shinichi.“, erläuterte diesmal Shuichi „Ersten können, nein, dürfen wir nicht den Jungen aufopfern und zweitens würden sie auch, wenn sie ihn bekommen, die Schule explodieren lassen. Du kennst ihr Vorgehen.“ Ich hatte alles versaut. Shuichi hatte Recht. Nichts würde mehr Mais Leben retten können. Benommen stand ich auf. Sie blickten alle auf, als sie mich bemerkten. „Morgen.“, murmelte ich und schliff mich zu ihnen an den Tisch. Ich setzte mich auf einen vierten, freien Stuhl. „Hast du alles mitgehört?“, fragte mich Shuichi. „Ja. Fast alles, denke ich“ „Bist du Martini?“ Ich nickte. Shuichi und Shinichi musterten mich aufmerksam. Dann wollte Shinichi wissen: „Bist du mit Gin oder Vermouth verwandt?“ „Ja.“ Während Shinichi seine Schlussfolgerung bestätigend nickte, schien Jodie noch nicht zufrieden mit meiner Antwort. „Mit wem von den beiden? Weißt du, alle aus dem Team haben schon Wetten auf deine Verwandtschaft gemacht. Fünf glauben, dass du mit Gin verwandt bist, zwei sind überzeugt, dass du es mit Vermouth bist.“, scherzte sie. Ich fand es gar nicht so witzig. Es enttäuschte mich, dass man mich eher mit Gin verglich. „Ich bin mit beiden verwandt. Sie sind meine Eltern.“ Ich erkannte eine Mischung aus Mitleid, Entsetzten und Anwidern in ihren Gesichtern. Aber es kümmerte mich nicht, ich verstand wie sie jetzt über mich fühlten. Ich fühlte die letzte Zeit dasselbe, wenn ich in den Spiegel sah. Shuichi fasste sich am schnellsten wieder. „Gut, Kai. Hast du vielleicht eine Idee, wie wir aus dieser misslichen Lage rauskommen?“ Ich schüttelte den Kopf. Shinichi beugte sich verzweifelt. Seine Arme lagen angespannt auf dem Tisch. Verzweifelt waren seine Augen zugekniffen. „Wieso können sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Wieso? Meine arme Tochter… Was soll ich tun?“ Beschämt schaute ich auf den Boden. Shuichi ging in die Küche. Jodies Handy vibrierte. Sie antwortete auf eine Nachricht. Alle schienen verlegen. Niemand konnte Shinichi ansehen. Zu tief fühlten sich alle schuldig. Sie hätten gestern anders reagieren sollen. Shuichi setzte mir etwas zu Essen vor. Eine halbe Fertigpizza. „Ich dachte mir du willst vielleicht das Frühstück überspringen. Sind nur Reste. Wir haben schon vor einer Stunde zu Mittag gegessen.“, erklärte er mir. Jodie schaltete den schon eingeschalteten Fernseher laut, wo gerade über Mais Schule berichtet wurde. “…Bomben wurden in dem Gebäude gefunden. Die Schüler sind als Geiseln gefangen. Noch ist unklar, was die Geiselnehmer verlangen…“, hörte ich eine Nachrichtensprecherin sagen. Ich schloss die Augen. Gestern noch hatte ich gedacht, dass ich mit meinem Handeln Mai retten könnte. Kaum zwölf Stunden später stellte ich fest, dass alles nur noch schlimmer war. Dem FBI waren die Hände gebunden. Und ich könnte auch nichts tun. Oder doch? „Shuichi, wo ist die Toilette?“ Er deutete auf eine Tür. Ich verschwand hinter dieser. *** Ich blickte auf das Handydisplay. Mit Leichtigkeit hatte ich Jodie ihr Handy geklaut. Kleine Taschendiebtricks hatte ich schon in meiner frühen Jugend von der Organisation gelernt. Es hatte sich schon oft als praktisch erwiesen. Ich war nervös. Sollte ich das folgende tun? Ja, welche Wahl hatte ich denn noch? Ich tippte mit zittrigen Fingern die Nummer ein. „Gin?“, flüsterte ich. „Wer ist da?“ Kurz dachte ich, dass ich noch die Möglichkeit hatte auf zu legen. Doch ich redete trotz meiner Todesangst weiter. „Kai. Dein Sohn.“ „Du bist nicht mein Sohn, du bist ein Verräter.“ Ich seufzte. Ich wusste, dass er so dachte. „Gin. Bitte lass Mai leben. Bitte…“ Ein Lachen ertönte an das andere Ende der Leitung. „Wenn du sie leben lässt, komm ich zurück.“ „Okay, komm zurück.“ Klar, würde er sie trotzdem töten lassen. Er log wie gedruckt. „Ich meine das ernst, Gin. Wenn du sie leben lässt, werde ich dir gehorchen. Egal was du verlangst.“ „Glaubst du, dass du mir so wichtig bist? Das du eine Bedeutung für die Organisation hättest?“ „Gin…bitte…“ „Aber komm nur zurück. Mal gucken, vielleicht bin ich wirklich mit deiner kleinen Freundin gnädig. Ich werde dich so oder so kriegen.“ „Gin, hör mir zu. Ich werde alles tun für die Organisation, solange Mai am Leben bleibt und sie sicher ist. Ich verkaufe meine Seele an dich.“ „Du hast noch eine Seele?“, spottete er. „Ich meine die Reste meiner Seele.“ „Für ein Mädchen?“ „Ja.“ Es wurde still. Gin dachte über mein Angebot nach. „Wir sehen uns um vier im am Hafen. Wehe, du bist mit dem FBI da. Wenn du nicht allein bist, fliegt die Schule in die Luft.“, drohte er mir. „Vier? Gin es ist halb vier!“ „Na und? Ich dachte du seist ein guter Läufer.“ Er legte auf. Verdammt. Vier Uhr. Ich könnte es schaffen. Die Frage war nur, wie kam ich hier weg? Meine drei Freunde vom FBI würden mich bestimmt nicht gehen lassen. Ich blickte aus dem Fenster. Wir waren mindestens im zehnten Stock. Hier die Regenrinne runterklettern? Völliger Wahnsinn. Aber ich war wohl wahnsinnig. Nachdem ich Jodies Handy im Klo versenkt hatte, öffnete ich das Fenster und griff nach der Regenrinne. Ich hangelte mich aus dem Fenster. Jetzt hatte ich schon das Badezimmer verlassen. Was ich angefangen hatte, musste ich auch beenden. Ich durfte mir außerdem nicht viel Zeit lassen. Wenn sich Shuichi fragte, wieso ich solange ich auf Klo war oder wenn mich ein Passant von außen bemerken würde, wäre alles vorbei. Mit schnellen und präzisen Bewegungen nährte ich mich den tieferen Stockwerken. Leider bemerkte ich zu spät, dass mein rechter Arm wegen meiner Verletzung dabei kaum behilflich sein konnte. Ich sah ein Kind am Boden stehen, das mich mit großen Augen angaffte. Glücklicherweise hielt sich niemand anderes länger mit mir auf. Ich war fast am ersten Stock, als jemand plötzlich schrie: „Da klettert jemand am Gebäude.“ Ich erschrak mich so sehr, dass ich den nächsten Moment meinen Fuß unglücklich aufsetzte. Ich konnte nichts mehr tun, denn im nächsten Moment war ich schon in der Luft. Verzweifelt griff ich nach der Regenrinne, doch ich fiel. Als ich auf den Boden prallte, schrie ich auf. „Hilfe! Ein Notarzt.“, rief jemand. Ein Mann mittleren Alters beugte sich zu mir runter. „Hey, alles klar?“ Ich nickte, mir war ein wenig schwindelig. Mein Arm tat mir weh. „Hast du dich verletzt?“ Ich schüttelte den Kopf. Weitere Personen kamen auf mich zu. „Der Junge gehört zu uns. Japanische Polizei. Bitte gehen sie weiter.“ Verwundert drehte ich mich um und erkannte Shinichi. Er hatte einen Polizeiausweis. Komisch, ich dachte er gehörte zum FBI? Tatsächlich hörten die Leute auf ihn. Sie gingen erschrocken weg. „Ich arbeite auch für die japanische Polizei. Das macht unsere Arbeit einfacher wie du siehst.“, beantwortete er meinen fragenden Blick. Jodie kniete sich zu mir nieder. Bedauernd schüttelte sie den Kopf: „Was machst du für Sachen? Aus dem zwölften Stock klettern. Bist du noch ganz dicht?“ „Wo bist du verletzt?“, fragte mich Shuichi. „Wie viel Uhr haben wir?“ „Zehn vor vier. Wo bist du verletzt?“ Ich blickte sie noch kurz an. Ja, natürlich wäre ich gerne bei ihnen geblieben. Ich hatte mir beim Fall meinen Arm gebrochen. Ich spürte weder meine Finger noch meine Hand, an meinem rechten Arm. Aber was ich wollte, musste ich in den Hintergrund stellen. Ich musste es einfach vergessen. „Darf ich ihren Schal, Jodie?“ „Ähm, ja. Aber wofür?“ Ich nahm ihn, bannte ihn um meinen gebrochenen Arm, sodass der Schmerz geringer wurde. „Hast du dir den Arm gebrochen?“ Ich nickte. Ich hatte kaum noch zehn Minuten. Ich stand auf. Bevor die anderen überhaupt reagieren konnten, rannte ich. Mein zweiter Fluchtversuch. Er war noch schlechter durchplant als mein erster. Alle drei rannten mir hinterher. Aber ich war schneller. Außerdem war ich im Vorteil, weil ich wusste wo lang ich wollte. „Haltet ihn auf. Er ist ein Dieb.“, rief Jodie. Doch den Leuten, die mich aufhalten wollten, wich ich geschickt aus. Ich kam in eine Menschenmenge. Hier würde ich sie abhängen können. Es war zehn nach vier, als ich stehen blieb. Ich war am Hafen. Das FBI hatte ich vor ca. 15 Minuten abgehangen. Wieder war ich um meine schnellen Beine dankbar. Hatte Gin die Geduld gehabt zu warten? Oder war Mais Schule nur noch Asche? Und sie selber auch tot… Ich entdeckte den schwarzen Porsche. Selbstbewusste schritt ich auf ihn zu. Schauspielern konnte ich nach meiner Mutter gut, denn innerlich hatte ich Angst wie noch nie. „Martini? Fast hätte ich gedacht, du würdest kneifen.“ Gin stieg aus dem Wagen. Seine Zigarette brannte. Sein Grinsen war teuflischer denn je. „Steht mein Angebot?“ „Ja.“ Er schritt auf mich zu. Hinter ihm kam Wodka aus dem Auto. Gin persönlich durchsuchte mich nach Wanzen. „Du hast die den Arm gebrochen?“, fragte er. „Ja. Gab Kompilationen bei der Flucht.“ Er grinste breit. „Du liebst dieses Mädchen wirklich, oder? Martini, ich dachte, ich hätte dich besser erzogen.“ Ich stieg ins Auto. Ich war sehr überrascht, als ich sie im Auto sah. Sie hatte sich anscheinend schonwieder neue Sachen gekauft. Sie schminkte sich so als wäre sie eine Teenagerin. Ich fand es albern, aber die meisten fanden es attraktiv. „Hello, sweetie.“ „Mum?“ „Dein Vater hat mich hergebeten. Du hast ihn anscheinend völlig zur Verzweiflung gebracht.“, lachte sie und kniff mir dabei gespielt in die Wange. „Ich hab sie hergebeten, weil ich dachte, dass sie dich zur Vernunft bringen könnte.“, verbesserte Gin. „Das hab ich doch gesagt, oder nicht?“, behauptete Vermouth. „So, what happend?“ „Nichts.“ Ich wollte nicht mit ihr reden. Auch wenn ich mich jetzt in ihrer Anwesenheit beschützter fühlte, wollte ich ihr nicht alle Geschehnisse erklären. „You fell in love with that girl Mai, didn’t you?“ Genau deswegen. Ich schwieg zur Antwort. Sie schmiss sich mir um den Hals. „Mein Kleiner ist groß geworden! Er hat sich das erste Mal verliebt.“ Gin und ich seufzten synchron. „You broke your arm.“, stellte sie fest. Sie krempelte mir den Ärmel hoch und packte irgendwoher plötzlich ein Erste-Hilfe-Pack. Sie begann mich zu verarzten. „How did that happen?” “I fell, while I was climbing out of the window.” Warum war wohl niemand von den Anwesenden sonderlich überrascht? „Gut, Martini. Du hast versprochen alles zu tun.“ Ich nickte. „Ja.“ „Erschieße Shinichi Kudo.“ *** Nach vier Wochen war mein Arm wieder verheilt. Es waren langweilige vier Wochen gewesen. Da ich nicht mehr zu Schule gehen konnte, kam mich immer ein Privatlehrer besuchen. Er war auch Mitglied der Organisation. Es war anstrengend seiner einschläfernden Stimme zuzuhören. Gin ließ mich nicht mehr aus den Augen. Mein Fenster war abgeschlossen. Ich war ein Gefangener. Ein eingesperrter Hund, der auf sein Herrchen hören musste. Selbst wenn ich laufen gehen wollte, kam jemand mit, der auf mich achtete. Meistens fuhr der dann mit einem Fahrrad hinter mir her. Ja, ich fühlte mich tatsächlich wie ein Hund. Trotzdem hatte ich mir gewünscht, dass diese vier Wochen niemals enden würden. Denn sobald ich meinen rechten Arm wieder einsetzten könnte, wusste ich, was auf mich zukommen würde. Wir waren im neuen Hauptquartier beim Arzt. Wir hatten ein neues, denn die Gefahr war groß gewesen, dass ich doch jemand unser altes Hauptquartier verraten hatte. Der Arzt öffnete den Gips. Er verkündete fröhlich, dass alles wieder in Ordnung sei. Doch ich war alles andere als fröhlich. Gin schien auch zufrieden. Ihn hatte es genervt, dass ich meinen Gips die ganzen vier Wochen als Ausrede für jegliches Training und Aufträge genommen hab. Noch dazu unterstützte mich meine Mutter, was ihn machtlos machte. „Komm mit, Martini.“, befahl er. Wir gingen in einen Raum, in dem die Waffen der Organisation in einem begehbaren Tresor gelagert waren. Es war eine beachtliche Sammlung. Von kleinen Pistolen, Gewehren bis hin zu Bombenbausätzen war alles zu finden. „Such dir eine aus. Entfernung ca. 950 Yard.“ Ich nickte und griff mir eine geeignete Waffe. *** Wir waren zu zweit auf einem Hochhaus. „Ein Auftrag nur zu zweit?“, fragte ich verwundert mit der Waffe lässig über meiner Schulter. „Nein, ein Auftrag nur für dich.“ „Was machst dann du hier?“, meinte ich frech. „Dir deinen Auftrag erklären. Außerdem wer sagt, dass wir dir vertrauen, Martini? Du hast Glück, dass Vermouth dich so gern hat und der Boss sie gern hat.“ „Du hättest also kein Problem damit, deinen eigenen Sohn zu erschießen?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon kannte. „Nein.“ Dann setzte er mit einem Grinsen fort: „Ich würde dich liebend gern erschießen. Du gehst mir auf die Nerven.“ Okay, das tat schon ein wenig weh. Gin nahm meine Waffe und stellte sie auf. Nachdem er fertig war, ließ er mich durchschauen. Sie war auf ein Gartentor gerichtet. Diese war 1054 Yard weit weg. Es war fast unmöglich zu treffen. Wollte Gin so sehr meine Grenzen testen? Ich hatte sein über einen Monat keine Waffe mehr in der Hand gehabt. „Gin, das schaff ich nicht.“, behauptete ich, während ich anfing die Waffe zu justieren. „Doch. Solltest du.“ Ich schluckte. „Auf wen soll ich schießen?“ „Shinichi Kudo. Das ist das neue Haus der Kudos. Sie sind nach dem Vorfall mit dir umgezogen. Aber nicht sehr weit weg. Selber schuld…“ Ich spielte an der Waffe rum. Ich lenkte sie vom Haus weg, schoss in den Himmel knapp an einer fliegenden Taube vorbei. „Was soll das, Martini?“ „Tut mir leid.“ Ich hatte mich ablenken wollen. Ich wollte mein Gewissen ausschalten. Keine Sekunde später war die Waffe wieder auf das eigentliche Ziel gerichtet. „Wann kommt er?“ „In ungefähr zehn Minuten. Wenn er das Gartentor aufmacht, schießt du.“ Ich studierte das Ziel. Das Gartentor ging nach außen auf. Ungewöhnlich. Aber ich würde es ausnutzen können. Es war ungefähr einen Kopf höher als Shinichi. Mai… bitte… verzeih mir. Doch ich wüsste, dass sie es wahrscheinlich niemals könnte. Ungeduldig beobachtete ich alles. Das Tempo der vorbeifahrenden Autos. Die Mütter, die ihre Kinder von einer nahengelegen Grundschule abholten. 1054 Yard. Würde ich es schaffen? Dann sah ich Shinichi, er ging die Straße runter. Ich war geschockt, denn er trug seinen zwei jährigen Sohn Kogoro auf den Schultern. „Gin, das war nicht geplant gewesen?“ „Doch.“ „Ich werde doch nicht schießen können ohne den kleinen Kogoro mitzutreffen.“ „Ist mir egal, ob du ihn auch erschießt oder nicht. Das liegt allein an deinen Fähigkeiten.“ Ich schluckte. Mein Plan war durchkreuzt. Oder vielleicht doch nicht? Noch vier Sekunden, dann wäre er am Tor. Sollte ich den Versuch wagen? Drei Sekunden. Kogoro fuchtelte wild mit den Armen in der Luft herum. Er sollte aufhören. Zwei Sekunden. Shinichi öffnete das Tor und setzte einen Fuß in den Vorgarten. Noch eine Sekunde. Ich war in meinem Element. Ich vergaß die Welt um mich herum. Es gab nur noch mich, das Gitter vom Tor und Shinichis Kopf dahinter. Plötzlich bewegte sich für mich alles in Zeitlupe. Ich konnte jede Bewegung Shinichis und Kogoros vorhersehen. Schuss. Shinichi lag am Boden. Kogoro stand auf. Er weinte nicht, denn er verstand nicht was passiert war. Ein Grinsen huschte mir übers Gesicht. Das ganze Schießtraining hatte sich mehr als gelohnt. „Erledigt.“ Mein Vater lächelte zufrieden. *** [Shinichis Perspektive] Als ich aufwachte sah ich zuerst Rans besorgtes Gesicht. „Shinichi?“ Ich blinzelte um besser sehen zu können? Was war passiert? Es roch nach Krankenhaus. Ich fand mich in einem weißen, sterilen Bett wieder. „Dad? Geht es dir gut?“, es war mein Sohn der zu mir sprach. Mai stand weinend neben ihm. „Warum weinst du meine Süße?“, fragte ich sie. „Wieso ich weine, Dad? Du wurdest angeschossen.“ „Was meinst du?“ Ran erklärte es mir. „Ein Scharfschütze hat auf dich geschossen, Shinichi. Er hat zum Glück nicht genau getroffen, sondern nur deinen Kopf gestreift. Wir hatten auch Glück, dass Kogoro nicht getroffen wurde. Du hast aber eine Gehirnerschütterung. Du brauchst Ruhe.“ Ich nickte. Jetzt war mir einiges klarer. „Geht bitte kurz raus. Ich muss mit Shinichi alleine reden.“ Erst jetzt sah ich Shuichi in der Ecke stehen. Meine Familie verließ das Zimmer. Man sah, dass sie erleichtert waren, dass es mir gut ging. Shuichi schloss die Tür hinter ihnen. „Es war die Organisation.“, fing er an. „Ich vermute schon.“ „Sie haben von 1000 Yard Entfernung geschossen.“ Ungläubig starrte ich ihn an. „Ich weiß es klingt unmöglich. Aber sie müssen einen neuen Scharfschützen haben. Einen ziemlich begabten. Einen der besser ist als Chianti und Korn.“ Ich schwieg. Wenn das wahr war, hatten wir ein Problem. „Nach ihrem Stil wäre es wahrscheinlich, dass sie Martini gefragt haben dich zu erschießen.“ Ich seufzte. „Wie haben sie es nur geschafft aus einem gerademal 16-Jährigen einen Killer zu machen?“ „Ich glaube sie haben es nicht geschafft.“ Verwundert sah ich ihn an. „Du meinst...? Er hatte so genau treffen können von der Entfernung? Es war absichtlich nur ein Streifschuss?“ Shuichi nickte. Er zeigte mir Fotos von Kratzern auf meinem Gartentor. „Er hat sogar die Winkeländerung bei Berührung des Tors mitbedacht oder besser gesagt eingeplant.“ „Glaubst du nicht, dass es eher ein Zufall ist?“ „Das wäre schon zum zweiten Mal ein Zufall. Du hast doch selber vermutet, dass er Scharfschütze absichtlich sein Opfer bei dem Vorfall vor ein und halb Monaten leben gelassen hat.“ „Da warst aber du davon überzeugt gewesen, dass es ein Zufall sein muss.“, erwiderte ich. Ich dachte an das Geschehen von damals zurück. Ich war bei dabei gewesen. Als der Politiker plötzlich am Kopf getroffen wurde. Was von der Öffentlichkeit zu seinem Schutz geheim gehalten wurde, war dass er überlebt hatte. Es wurde ein Teil des Gehirn getroffen, dessen Verletzung nicht zum Tod führte. Der Politiker würde in einigen Monaten wieder ein ganz normales Leben führen können. Solche glückliche Fälle waren selten, aber es gab sie. Was mich stutzig gemacht hatte, war die Uhrzeit. Die Organisation einigt sich oft auf runde Uhrzeiten. Auch war ihr Plan eindeutig zeitabhängig gewesen. Aber der Scharfschütze hatte nicht genau um 8:00 Uhr, sondern um 8:01:13 geschossen. Was war das für eine Zeit? Es hatte keinen Sinn gemacht. Stundenlang hatte ich mir die aufgenommene Rede rauf und runter angehört. Während mein Team sich nichts dachte und manche meinten, der Scharfschütze hätte einfach der Rede zugehört, glaubte ich an was anderes. Er hatte gewartet. Darauf, dass der Politiker seinen Kopf so drehte, dass er einen nicht tödlichen Kopfschuss ausführen konnte. Das war meine unglaubwürdige Theorie. Aber noch unglaubwürdiger war, dass der Schütze von 1000 Yard Entfernung mit Hilfe des Tores, an meinem Sohn vorbei mich mit einem gefährlich aussehenden, aber doch harmlosen, Schuss getroffen hatte. Und dazu soll dieser begabte Scharfschütze der blonde, schmächtige Freund meiner Tochter sein? „Aber ich bin mir sicher, dass Kai geschossen hat. Warum haben sie denn sonst vier Wochen gewartet? Sie haben gewartet bis Kais gebrochener Arm verheilt war, damit er, indem er dich umbringt, seine Loyalität beweist.“, meinte Shuichi. „Shinichi, du wirst dich hier verstecken müssen. Wenn sie erfahren, dass du lebst, könnte Kai in Gefahr kommen.“ „Na ja, wenn du davon ausgehst, dass er mich nicht einfach nur verfehlt hat.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)