Memori3s von _Myori_ ================================================================================ Prolog: Prolog: Mad World ------------------------- Taro Motogawa schob vorsichtig die Trümmer zur Seite und sprang im nächsten Moment erschrocken zurück, als sich eine Schuttlawine löste. Staub wirbelte auf und er musste schrecklich husten. Warum er? Das hatte er sich in der letzten Stunde unzählige Male gefragt. Warum wurde ausgerechnet er geschickt, dieses dämliche Ding unter Augenschein zu nehmen? Warum jetzt? Dieses dumme Parkhaus stand schon fast ein halbes Jahrhundert hier und nachdem diese merkwürdige Organisation das Gebäude vor etlichen Jahren bezogen hat, war es komplett in Vergessenheit geraten. Niemand wollte davon etwas gewusst haben, aber es hatte schon seine Gründe gehabt, warum dieses protzige Ding nach dessen Schließung nicht sofort abgerissen worden war- Gründe im mehrstelligen Bereich… Und als vor über einem Jahr diese Mafia- wie hieß sie noch gleich? Olymp? – in dem großen Bandenkrieg untergegangen war, (Gott, war das eine Schlagzeile gewesen!) war das Parkhaus von der Polizei gesperrt worden… als wenn das jemandem davon abhalten würde, in ein leer stehendes Gebäude zu gehen, das so eine Geschichte auf dem Buckel trug. Tja, und nun kam sein Chef ins Spiel- dieser begnadete Bauherr, dieser in Geld badende Architekten- Aristokrat… Dieser dämliche Idiot, der dieses dämliche Parkhaus gekauft hat, um es abzureißen und ein Kaufhaus seiner eigenen dämlichen Kette auf dieses schöne Fleckchen Erde zu pflanzen- umgeben von Striplokalen und Prostituierten. Als wenn die sich für Elektrogeräte, Küchen oder den schnell zu erreichenden Supermarkt um die Ecke interessieren würden… Das würde sich schon etablieren, hatte sein Chef gesagt. Wenn er nicht vorhatte, aus dem restlichen Rotlichtviertel gleich eine Shoppingmeile mit zu machen, könnte ihm jeder Praktikant prophezeien, dass die Idee- mit Verlaub- für den Allerwertesten war. Wäre die Stadt nicht so überglücklich gewesen, dieses verfluchte Ding, das eh nichts mehr wert war, für einen mehr als großzügigen Betrag losgeworden zu sein, hätte selbst sie Taros Chef ins Gesicht gelacht und ihn für bescheuert erklärt. Hat sie aber nicht- sie konnte das Geld gut gebrauchen und wie sagte man so schön: einem geschenktem Gaul… Die Krönung der ganzen Sache, weshalb Taro seinen Vorgesetztem in letzter Zeit nicht mehr für voll nahm, war allerdings seine Blitzidee, dieses Gebäude doch noch einmal vorher in Augenschein zu nehmen, bevor es dem Erdboden gleichgemacht werden würde, vielleicht findet man ja noch was wertvolles- das fiel ihm natürlich erst nach der ersten Sprengung ein. Und wer durfte das wieder machen? Na? Nein, nicht seine persönlichen Stiefellecker, die zu allem Ja und Amen sagten, was ihr ach so toller Chef vor sich hinplapperte- natürlich nicht, die könnten ja dabei draufgehen und dann würde man ihn nicht mehr in allem bestätigen! Stattdessen schickten sie den ehrlich und hart arbeitenden Angestellten mit Familie und Schulden. Ihn! Sie sind doch ein geschickter und vernünftiger Mann, Ihnen wird da unten schon nichts passieren. Und haben Sie nicht schon oft den Gutachter bei früheren Projekten begleitet? Sie erkennen doch bestimmt sofort, wenn sich dort noch etwas Wertvolles befindet. Wer weiß- vielleicht machen wir noch die große Entdeckung, hatte sein Chef gesagt und ihm verschwörerisch zugezwinkert. Was dachte er da unten vorzufinden? Das war ein Parkhaus und nicht die Schatzhöhle der Vierzig Räuber! Und was sollte dieses ‚wir‘? Er war der einzige, der hier verschüttet werden würde, er sprach nicht von sich im Plural und er war auch ganz bestimmt nicht schizophren. Außerdem, seit wann arbeitete er für die Presse? Dieser Geldhai wollte doch nur wieder in die Nachrichten kommen… Verdammt, er war Handwerker und kein Indiana Jones! Taro hustete den letzten Staub aus seinen Lungen und leuchtete mit der Taschenlampe in den Gang, der durch den Einbruch freigeworden war. Gut, er musste zugeben- dieses Ding war nicht einfach nur ein Parkhaus. Vielleicht war die Spitze des Eisbergs ein Parkhaus, so, wie ihn alle sahen, aber mit diesem unterirdischen Tunnelsystem hätte auch er nicht gerechnet. Als die Sprengmeister ihm davon erzählt hatten, hatte er sie mit gerunzelter Stirn angeschaut und sich gegen die Schläfe getippt. Aber jetzt? Er stand mitten drin, er konnte es also nicht länger bestreiten. Ob Olymp das alles gebaut hat? Der Nebel aus feinem Staub hatte nachgelassen, sodass er über den Schutthaufen hinweg klettern und den Gang betreten konnte. Etliche Türen waren in die Wand eingelassen, ein paar standen offen, andere waren vollkommen aus ihren Angeln gerissen und lagen zerbeult auf dem Boden. Die erste Detonation, obwohl sie frühzeitig dank dem Chef wieder abgebrochen worden war, hatte deutliche Spuren hinterlassen. Unsicher leuchtete Taro zur Decke und schluckte. Überall waren feine Risse zu sehen und ab und zu rieselte Putz und Betonstaub auf ihn herab, sodass er blinzeln musste. „Ich bin wahnsinnig…“, murmelte er zu sich selbst. Was bekam er hierfür eigentlich? Eine Lohnerhöhung und Schmerzensgeld, das würde das mindeste sein- und danach würde er kündigen, jawohl! Sollte sich der große Bauherr für seine zukünftigen Geistesaussetzter einen anderen Idioten suchen! Langsam schritt er den Gang hinab, leuchtete im Vorbeigehen in die Räume und blieb dann stirnrunzelnd vor einer der Türen stehen. Es musste sich um einen Vorraum handeln, zumindest sah es so aus, als würde es hinter dieser getönten Scheibe vor Kopf noch weitergehen. Eine merkwürdige Neugier kroch in Taro hoch und zögernd betrat er den Raum. Er hatte Recht gehabt, da war tatsächlich eine weitere Tür und nun, wo er näher vor der Scheibe stand, erkannte er, dass sie gesprungen war. Glasscherben lagen auf dem merkwürdigen Schaltpult, das davor angebracht worden war, verstreut und selbst der Boden knirschte unangenehm. Die Tür, die zu dem anderen Raum führte, war verbogen und ließ sich wahrscheinlich nicht mehr öffnen- aber vielleicht konnte er ja etwas durch die Scheibe sehen… Und er sah. Nicht sofort, aber er sah. Dort unten stand ein elektrischer Stuhl. Man hatte ihn etwas verändert, aber er war sich sicher, dass es einer war. „Mein Gott…“, keuchte Taro und ließ die Taschenlampe scheppernd zu Boden fallen, die durch den Aufprall augenblicklich erlosch. Wo war er hier gelandet? Was waren das für Leute gewesen, die hier gelebt haben? Mit wild pochendem Herzen tastete er nach der Taschenlampe, hob sie auf und schaltete sie wieder ein. Er wollte hier weg und zwar ganz schnell! Taro verließ den Raum, über dessen frühere Funktion er nicht weiter nachdenken wollte, und betrat wieder den Gang mit den vielen Türen, als plötzlich ein leichtes Zittern durch die Wände fuhr und das Rieseln von der Decke stärker wurde. Erstarrt blieb Taro stehen und schaute sich mit weit aufgerissenen Augen um. Verdammt, woher kam auf einmal diese Erschütterung? Die Sprengmeister hatten klare Anweisungen erhalten, nicht zu sprengen, solange er hier unten war! Aber wahrscheinlich war das Gemäuer schon so brüchig geworden, dass schon ein vorbeifahrender Laster ausreichen würde, das Ding zum Einsturz zu bringen. Er musste hier unten raus, das Zittern war Warnung genug für ihn gewesen. Allerdings war die Warnung zu spät gekommen. Taro hatte sich dem Ausgang, dem Schutthaufen, der vor ein paar Minuten in sich zusammengestürzt war, bis auf wenige Schritte genährt, als der Boden erneut und diesmal auch stärker zu zittern begann. Ein ohrenbetäubendes Geräusch folgte der Erschütterung. Plötzlich sah er nichts mehr und fand sich in einer Staubwolke wieder. Erschrocken riss er die Arme vors Gesicht und stolperte rückwärts. Nach Zehn Sekunden war der dann Spuk vorbei und er konnte das gesamte Ausmaß seines Dilemmas durch den hellen Dunst erahnen. Die Decke war um den Ausgang herum heruntergekommen und hatte seinen Fluchtweg versperrt. Fortuna hatte es wohl gut mit ihm gemeint und verhindert, dass er bei lebendigem Leibe unter den Trümmern begraben wurde, aber viel hätte dazu wirklich nicht gefehlt. Verstört plumpste Taro auf seinen Hosenboden und fluchte atemlos ein paar Mal vor sich hin. Irgendwann machte sich Verzweiflung in ihm breit und er zog die Beine an den Leib, umschlang seine Schienbeine und starrte weiterhin auf den verschütteten Gang vor ihm. Es war aussichtslos. Er würde hier nie wieder rauskommen. Und dabei wollte er seine Frau und seine Tochter doch noch einmal in die Arme schließen- vor allem seine Frau. Nach dem Streit gestern, war sie ihm konsequent aus dem Weg gegangen und hatte ihm nicht einmal viel Glück für den heutigen Einsatz gewünscht- gut, ob ihm das im Nachhinein nun etwas gebracht hätte, sei jetzt mal dahingestellt, aber das war ihm egal. Wie nun alles egal war, dachte Taro verbittert und spürte die Tränen hochkommen. Wieder rieselte es und diesmal stand er alarmiert auf. Okay, vielleicht war alles aus, aber das hieß ja noch lange nicht, dass er nicht an seinem Leben hing! Er langte nach der Taschenlampe und nahm die Beine in die Hand. Keine Sekunde später ertönte erneut das Geräusch, das ihn an eine Mischung aus Wellenrauschen und dem Einstürzen einer Sandburg erinnerte- nur ungefähr hundertmal lauter und gefährlicher. Taro drehte sich nicht um, er wusste auch so, dass der Gang noch weiter eingestürzt war. Mit Mühe unterdrückte er die Tränen. Weichei, schimpfte die Stimme seiner Frau in seinem Kopf, und zu mir sagst du immer, ich soll mich zusammenreißen, wenn Bambis Mutter stirbt. Bambi war ein verdammtes Zeichentrickvieh mit zu großen Augen, keifte er in Gedanken zurück, das hier war was ganz anderes- hier ging es um sein Leben und das fühlte sich ziemlich echt an! Nach ein paar Metern und einer imaginären Diskussion mit seiner Gattin später, blieb er stehen und sah keuchend zurück. Hinter ihm lagen nur noch Schutt und Trümmer. Hier draußen war er nicht mehr lange sicher. Als wenn er hier irgendwo sicher war, dachte er bitter und lachte freudlos. Aber wenn er schon draufgehen musste, konnte er sich ja wenigstens ein gemütliches Plätzchen zum Sterben suchen- so auf dem Gang herumzuliegen war doch wirklich nicht heldenhaft. Sollten sie sich ruhig die Füße nach ihm wund suchen- wenn sie überhaupt suchten… Aber ein wenig Zeitvertreib konnte ja nicht schaden, dachte er. Wer weiß, vielleicht gab es hier unten ja noch etwas anderes als elektrische Stühle und Türen- mehr Foltergeräte zum Beispiel, oder aber auch Anzeichen auf einen halbwegs körperlich gesunden Menschen, der hier gelebt hat. Dass hier jemand geistig gesund gewesen war, bezweifelte Taro stark. Willkürlich zog er Türen auf, untersuchte die Zimmer dahinter und fand zur seiner Erleichterung keine weiteren elektrischen Stühle oder eiserne Jungfrauen. Die meisten Räume ähnelten Krankenzimmern oder Büroräumen. Er fand sogar etwas, das wie ein OP aussah. War das hier eine Krankenstation gewesen? Nun, Verletzte hatte man bestimmt immer zu versorgen gehabt. Laut dem Bericht, der damals durch die Nachrichten und Zeitungen gegangen war, war das Parkhaus das Hauptquartier von Olymp gewesen- warum dann nicht auch ein Lazarett untertage? Taro hatte den zweiten Gang fast komplett durchquert, als er wieder zufällig eine Tür auswählte, die nicht ganz so instabil und zerbeult aussah, und sie aufzog. Diesmal schien es sich um ein Büro zu handeln- ein vollgestopftes Büro… Überall lagen Blätter und Ordner auf dem Boden herum, die nicht mehr in die überfüllten Regale und Schubladen gepasst hatten- vielleicht hatte aber auch die Explosion dieses Chaos verursacht. Ein alter Eichentisch stand dort, den ersten, den er hier unten sah; das meiste hier war aus Metall gebaut worden. Er stellte den Stuhl wieder auf, der umgefallen war, und rückte ihn an den Tisch, sodass Jahre alter Staub aufwirbelte und ihn zum Husten brachte. Er hasste Unordnung und warum sich dieses Zwangsverhalten ausgerechnet jetzt bemerkbar machen musste, war ihm schleierhaft, aber hieß es nicht immer, dass der Mensch ein Gewohnheitstier sei? Marotten konnte man halt schwer ablegen, selbst, wenn es eigentlich egal war, ob man sie nun auslebte oder nicht, weil es eh keinen mehr juckte. Sinnlosigkeit hin oder her, Taro konnte dieses Chaos hier nicht ertragen. Und vielleicht wäre er bis zum Ende seines Lebens- das ja nicht mehr so weit entfernt lag- damit beschäftigt gewesen, seine innere Putzfrau wüten zu lassen, hätte sich Fortuna nicht wieder in diesem Moment an ihn erinnert und ihn mit der Nase zuerst in die eine große Entdeckung gedrückt- oder besser gesagt: mit dem Oberschenkel voran… Fluchend umklammerte er sein schmerzendes Bein und setzte sich auf den Stuhl. In dem spärlichen Licht der Taschenlampe hat er die vorstehende Schublade gar nicht gesehen. Taro nahm die untreue Funzel, leuchtete in die Lade hinein und legte augenblicklich die Stirn in Falten. Unzählige kleine Kassetten lagen in der hölzernen Schublade. Vorsichtig nahm er eine heraus und betrachtete sie näher. Solche steckten auch in seinem Anrufbeantworter… Er drehte die Kassette in der Hand und entdeckte einen Schriftzug. In eckigen Buchstaben stand dort nur ein Wort: Vermächtnis. Taro runzelte die Stirn noch mehr, legte die Kassette auf den Tisch vor sich und nahm eine weitere, doch was auf dieser stand, war noch verwirrender. In derselben krakeligen Schrift stand hier: Ares. Wieder schaute er in die Schublade und diesmal nahm er eine ganze Hand voll Kassetten heraus. Persephone und Äneas stand auf einer, auf der nächsten Orpheus, wieder eine andere war mit Apollon beschriftet und die letzte, die er in der Hand hielt, trug die Aufschrift Nero… Langsam begann es in seinem Hirn zu rattern. Bis auf Nero waren das alles Namen von Göttern und Personen der griechischen Mythologie, wenn er sich richtig erinnerte. Und hieß nicht der Berg, auf dem die ganzen Gottheiten saßen, Olymp? Er schüttelte den Kopf. Was war das hier nur für ein Verein gewesen? Nach diesen Kassetten zu urteilen, entweder eine Hochburg für Fanatiker des Fantasy- RPG und Cosplaying oder ein wissenschaftliches Zentrum für altertümliche Bräuche, Riten und Götterkult- es hörte sich beides in seinen Ohren absurd an, zumal nachgewiesen worden war, dass Olymp eine ernst zu nehmende Untergrundgröße gewesen war, die viele Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Taro würde vermutlich nur herausfinden, was es mit den Kassetten auf sich hatte, wenn er sie abspielte. In seinem linken Augenwinkel blitzte etwas auf. Er griff danach und hielt es ins Licht der Taschenlampe. Ein Diktiergerät, wenn auch veraltet. Etwas machte Klick in seinem Kopf. Er schaute zu dem Stapel Kassetten und zurück auf das rechteckige Gerät in seiner Hand. Vielleicht… Taro nahm die Kassette mit der „Vermächtnis“- Aufschrift und steckte sie in das Diktiergerät. Sie passte perfekt, sodass er etwas grinsen musste. Wenn er jetzt noch Glück hatte und die Batterien des Gerätes etwas Saft übrig hatten, dann- Aufregung machte sich in ihm breit, als er den Knopf des Diktiergerätes herunterdrückte und das Tape sich tatsächlich anfing zu drehen. Rauschen durchschnitt die Stille seines unterirdischen Gefängnisses und nach ein paar Sekunden ertönte die Stimme eines Mannes; ein tiefer, vernünftig klingender Bariton, der langsam und sachlich sprach. „Wenn das hier jemand hört, heißt das, dass ich entweder nicht mehr zu Olymp gehöre oder tot bin… egal, was nun zutrifft, es bedeutet, dass Olymp dem Untergang geweiht ist oder schon gefallen ist.“ Stirnrunzelnd starrte Taro auf das Gerät hinab. So richtig verstand er dieses Gefasel nicht- wer war dieser Ich- Typ und was sollte dieses Gerede von „wenn das jemand hört“? Er versuchte sich eine Person vorzustellen, die kauernd in einer Ecke saß und ihren Monolog in das Diktiergerät stammelte, immer wieder nach links und rechts schauend, als hätte sie Angst, entdeckt zu werden, während um sie herum alles explodierte und zusammenstürzte. Zu seiner Enttäuschung klang die Stimme ganz und gar nicht gehetzt oder panisch- sie war sachlich kühl und formulierte ihre Worte so, dass ihn jeder Depp verstanden hätte. „Wenn das der Fall ist, dann möchte ich einige Sachen mit diesem Tape festhalten und klarstellen. Ich möchte erklären, wie und warum Olymp gegründet wurde und wie es soweit kommen konnte, dass die Organisation zerbrach… nein, “, verbesserte sich die Stimme und Taro konnte ein Lächeln in den Zügen des gesichterlosen Mannes in seiner Phantasie erahnen. „Nein, den Grund werde ich Ihnen vermutlich nicht nennen können, lediglich Vermutungen, aber die gehören hier nicht her, denn hier soll es um Fakten gehen. Ich habe die Schublade, in der sich dieses Tape befand, immer unter Verschluss gehalten und ich besaß den einzigen Schlüssel- nicht wegen diesem Tape, das Sie gerade abspielen; es soll, wie schon gesagt, lediglich eine Erklärung geben. Und eine Warnung… Olymp ist- denn ich hoffe, dass mein Lebenswerk noch existiert und es noch nicht zu spät ist- nicht irgendeine Organisation, die Mitglieder anheuert, welche nebenbei ein normales Leben führen. Olymp übernimmt eine besondere Verantwortung für seine Mitglieder, denn sie ist das Einzige, was ihre Mitglieder noch haben. Ich habe zusammen mit meinem Partner Hades eine Maschine entwickelt, mit der wir Teile des Gedächtnisses löschen können- Teile, wie Namen, Familienangehörige oder Herkunft einer Person. Sie ist wohl einer der Gründe, warum Olymp so groß geworden ist, so mächtig. Wir haben alle Mitglieder, jeden einzelnen, vorher über unser Vorhaben und über Olymp aufgeklärt und sie sind alle freiwillig in Olymp eingetreten. Und sie wussten von Memoria. Sie sind alle aus den verschiedensten Gründen zu uns gekommen, jedoch waren alle damit einverstanden gewesen, sich das Gedächtnis löschen zu lassen. Nun möchte man meinen, dass es grausam sei, den Menschen ihr altes Leben zu entreißen- denn nichts anderes haben wir getan- aber ich betone noch einmal: sie haben es alle so gewollt. Einige Mitglieder, denen wir besonders vertrauten, wussten von Memoria, dennoch hat niemand von ihnen nach der Zeit vor Olymp gefragt und das war auch gut so. Trotz alledem will ich nicht als Dieb bezeichnet werden, denn ich hatte nie vorgehabt, jemandem seine Erinnerungen zu stehlen. Ich sehe mich mehr als Verwalter und Hüter. Ich habe mit jedem ein Gespräch geführt, dessen Mitschnitte auf den anderen Tapes zu finden sind, in dem sie mir erzählten, warum sie bei Olymp eintreten wollten. Ich habe diese Tapes gesammelt und aufbewahrt, denn es steht mir nicht zu, die Erinnerungen von anderen Menschen zu zerstören- ich nehme sie ihnen, weil sie es so wollten, aber es sind immer noch Teile eines früheren Lebens…“ Die Stimme machte eine Pause und wieder war nur das Rauschen der Stille zu hören. Dann, als sei ihr noch etwas eingefallen, fuhr die Stimme fort: „Ich überlasse Ihnen diese Tapes. Sie können mit ihnen tun, was Sie wollen, allerdings bitte ich Sie, sie vorher anzuhören und sich selber ein Bild zu machen. Vielleicht können Sie ja nachvollziehen, was der wahre Grund von Olymp war- zumindest, wie ich es immer gesehen habe. Ich will mich nicht verteidigen, ich will auch keine Vergebung für das, was ich getan habe, ich will nur die Wahrheit bewahren. Vielleicht- und das hoffe ich inständig- nimmt diese Geschichte ja noch ein gutes Ende...“ Das Tape brach mit einem ‚Klick’ ab. Blinzelnd saß Taro da und schaute ins Nichts. Dann spulte er die Kassette zurück und hörte sich die Aufzeichnung noch einmal an, versuchte jedes Wort wirklich wahrzunehmen und zu verstehen, dann drehte er den Kopf zu dem Kassettenhaufen auf dem Tisch und in der Schublade. Vermächtnis, echote es durch seinen Kopf. Er hatte das Vermächtnis dieser Organisation gefunden- die verlorenen Erinnerungen von Menschen. Von vielen Menschen… Er schluckte. Sie sind aus den verschiedensten Gründen gekommen, hatte die Stimme gesagt. Was konnten das für Gründe sein, sich das Gedächtnis löschen zu lassen? Was konnte so schlimm sein, dass man es einfach nur noch vergessen wollte? Zögernd streckte Taro die Hand aus und nahm eine neue Kassette. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)