Gemeinsame Geschichte von Sotar (Betrayal) ================================================================================ Kapitel 3: Trauer ----------------- „Zeit, mich zu benutzen“ , stand in übergroßen Buchstaben quer über den Einband geschrieben. Rufus hörte ein weiteres warnendes Krächzen, das aufgeregte Flattern von Flügeln, und das unheilbringende Zischen eines Pfeils. Er rollte sich auf dem Boden so gut es ging zusammen, um dem Geschoss ein möglichst kleines Ziel zu bieten. Der Pfeil fand dennoch sein Opfer. Vor den Augen des Jungen breitete sich der rote Lebenssaft aus. Erst jetzt begriff er, dass zumindest dieser eine Angriff nicht ihm gegolten hatte. Lonán lag unmittelbar neben ihm auf dem Boden und zuckte panisch mit den Flügeln. Auch sein krächzen klang verzweifelt. Die Spitze mit den Widerhaken hatte sich in den Unterkörper des Raben gebohrt. Das Holz des Schaftes war leicht rot gefärbt. Rufus griff nach dem Tier und presste dessen Flügel an des Rest des Körpers, damit sein gefiederter Beschützer sich mit seinem Gezappel nicht noch verletzte. Er traute sich aber nicht, denn Pfeil herauszuziehen. Er wusste nicht so viel über Pfeile und erst recht nicht über die professionelle Versorgung von Wunden. Er wusste nur, dass man bei Geschossen mit Widerhaken vorsichtig sein musste. Während er noch überlegte was er nun tun sollte und wie er Lonán helfen könnte zielte der Unbekannte mit seinem Bogen schon wieder auf den Hüter. Er hatte erneut Glück, da er gerade in diesem Moment auf das Buch starrte, welches auf den Boden lag. „Duck dich!“ Stand in riesigen Lettern auf dem Einband. Rufus überlegte nicht lange und ließ sich wie ein Stein zu Seite kippen. Hätte er auch nur einen Herzschlag lang gezögert hätte er die Metallspitze in der rechten Schulter stecken gehabt. Benutze mich endlich oder du wirst sterben! Der Junge sah Betrayal grübelnd an, wie sollte er es den benutzen? Er hörte wie der Angreifer fluchte und erneut anlegte. Nun musste er schnell handeln. Er benutzte das Buch. Er holte weit aus und schleuderte es, nachdem er kurz Maß genommen hatte, gegen den Schützen. Die Kannte des Buches traf seinen gegenüber genau auf den Kehlkopf. Schwer atmend sackte der getroffene auf ein Knie und griff sich mit der linken Hand an des Hals. Der Bogen fiel klappernd auf den Boden. Nun packte Rufus seinen falschen „Stiefvater“ und schlug ihn mit aller Kraft die er aufbringen konnte, gegen den Mann, welcher komplett in schwarz gekleidet war. Hektisch schnappte er sich Betrayal und Lonán und stürmte aus dem Raum. Als er nach draußen eilte prallte er fast mit Helena zusammen die ihn fragend und leicht panisch ansah. Rufus kam jedoch nicht dazu etwas zu sagen. Die junge Frau sah den verwundeten Lonán, schob den Jungen kommentarlos zur Seite, fischte den Bogen von ihrer Schulter, legte einen Pfeil auf die Sehne und machte einen Schritt in den Raum hinein. Der Attentäter hatte sich gerade wieder aufgerichtet, so das er noch sah, wie etwas genau auf seinen Kopf zuflog. Einen Wimpernschlag später schlug der leblose Körper auch schon auf den harten Steinen auf. Helena sah sich noch kurz im Raum um, um sicher zu sein, dass sich kein weiterer Feind in ihrer unmittelbaren Nähe befand, dann erst wandte sie sich an Rufus. „Gib mir Lonán, ich muss ihn versorgen und sag mir was hier passiert ist.“ Der Hüter tat, was sie von ihm verlangt hatte und berichtete ihr, von der Täuschung, auf welche sie herein gefallen waren, von dem Angriff auf ihn und Lonán und von Betrayals Anweisung es zu benutzen. Nebenbei sah er gebannt zu, wie Helena den Pfeil, welcher in Lonán steckte, etwa in der Mitte durchbrach und dann vorsichtig und so behutsam wie möglich die Pfeilspitze mit einem Dolch hinaus schnitt. Damit vergrößerte sie zwar die Wunde aber es war sicherer als den Pfeil durch den Körper durch zu drücken und so innere Organe zu verletzen. Der Vogel war unglaublich ruhig, so als ob er wusste, was Helena tat. Die Anwesenheit der Frau schien den Raben so stark zu beruhigen, dass er die Schmerzen scheinbar komplett ausblenden konnte. Sie desinfizierte die Wunde mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, welche sie in einer kleinen Phiole unter ihrer Kleidung mit sich geführt hatte. Abschließend drückte sie einen Stofffetzen in die Wunde und verband den Unterkörper des Tieres. „Komm schon Lonán! Du musst durchhalten. Lass mich jetzt nur nicht allein.“ Sie wischte sich mit dem Arm über die Augen, so als ob sie versuchte ihre Angst um den Freund hinweg zu fegen. „Du kannst dich glücklich schätzen, dass der Attentäter so dumm war Lonán anzugreifen. Da wir Bibliothekare mit unseren tierischen Partnern mental verbunden sind, konnte ich spüren das ihr in Gefahr seid. Es war das erste mal, das Rufus sie so verzweifelt sah. Auch das Zittern in ihrer Stimme passte nicht wirklich zu ihr. Er konnte es kaum glauben wie verletzlich sie auf einmal wirkte, so wie eine ganz normale Frau in ihrem Alter. Hilflos stand er neben ihr. Er konnte sehen wie sich die schmale Brust das Raben immer langsamer hob und senkte. „Ich könnte Betrayals Macht nutzen um Lonán zu retten. Ich bitte dich Helena, gib mir etwas mit dem ich schreiben kann.“ Die Frau sah ihn einen Moment lang abwägend an. Tränen glitzerten in ihren Augen, obwohl sie versuchte diese zurück zu drängen. Schwach schüttelte sie schließlich den Kopf. „Nein Rufus. Es ist gut, dass du vorhin, als du angegriffen wurdest, darauf verzichtet hast das Buch zu verwenden. Es wäre der erste Schritt in eine Richtung gewesen, die dich früher oder später ins verderben stürzen würde. Es gibt keinen Grund, gar keinen, der einen Eingriff in den Lauf der Zeit rechtfertigt. Noch nicht einmal eine solche Situation.“ Mit ernster Mine blickte sie wieder auf ihren Partner, dessen Schnabel sich lautlos öffnete und wieder Schloss. Die Wunde blutete noch immer, das dunkle Tuch, welches als Verband diente, konnte die zähe Flüssigkeit kaum noch halten. Tränen tropften auf sein Gefieder herab und zerliefen auf seinem Körper. Helena konnte nicht länger gegen ihre Trauer ankämpfen. Auch Rufus wurde von diesem Gefühl ergriffen. Seine Knie wurden immer weicher. Sein Hals fühlte sich an wie zugeschnürt. Er wollte etwas sagen um die Bibliothekarin zu trösten aber er brachte keinen Ton heraus. Er kannte die beiden zwar noch nicht lange aber er fühlte sich dennoch mit ihnen seltsam verbunden. Beide hatten sie ihm schon mindestens einmal das Leben gerettet. Sie hatten ihn beschützt, ohne eine wirkliche Gegenleistung zu verlangen. Nun lag einer dieser beiden im sterben. Rufus wurde schmerzlich bewusst, das Lonán es trotz der schnellen Behandlung nicht schaffen würde. Helenas Tränen ließen keine andere Schlussfolgerung zu. Sie presste den kleinen Körper fest an sich und murmelte dem Tier beruhigende Worte zu, die durch ihr schluchzen aber kaum zu hören waren. Rufus stand einfach nur neben der mittlerweile knienden Frau. Hilflos. Machtlos. Unfähig etwas zu tun. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)