Gedankenspielereien von konohayuki (100 Wörter Challenge | Schreibzieher) ================================================================================ 65. Kirchenbank --------------- Dreiundzwanzig Uhr fünfundvierzig. Die Kirchentür knarzt, als er sie öffnet. Seine Schritte sind unbeholfen, taumelnd. Er bekreuzigt sich, das Wasser ist angenehm kühl auf seinen Fingerspitzen. Der Weg in die vorderste Reihe kommt ihm unendlich lang vor. Zu lang. Trotzdem schafft er es irgendwie, sie zu erreichen. Auf der hölzernen Kniebank sinkt er nieder, stützt sich schwer darauf. Er faltet die Hände, will beginnen flüsternd zu beten, doch nur ein Krächzen schafft es über seine Lippen. Im Licht der Kerzen wandelt sich sein Gesicht in eine Maske des Grauens. Dreiundzwanzig Uhr fünfzig. Sein Rücken brennt, brennt als ob jemand Zigarettenstummel darauf ausdrücken würde. Er weiß noch immer nicht genau, was geschehen ist. Er spürt nur das Brennen. Und eine gewisse Feuchte. Seine gefalteten Hände verkrampfen sich, er bewegt die Lippen nun im stummen Gebet. „Vater unser, der du bist im Himmel …“, beginnen seine Lippen zu formen. Plötzlich hält er inne. Es sind Erinnerungsfetzen, die ihn heimsuchen, ein Mann, eine Klinge, Schmerz. Gemurmelte Worte, wie ein Mantra. E nomine patris, et filii et spiritu sancti. Das Vater unser. Er schüttelt seinen Kopf, kurz wird ihm schwarz vor Augen. Jetzt kann er es nicht beten. Dreiundzwanzig Uhr achtundfünfzig. Seine Angst ist nun greifbar, das Brennen ist schlimmer geworden. Immer mehr kehrt die Erinnerung zurück, er meint, die rauen Seile um seine Hand- und Fußgelenke spüren zu können. Sein Atem wird schneller, unkontrollierter. Eine Kerze. Er will eine Kerze anzünden. Vierundzwanzig Uhr. Die Welt verschwimmt vor seinen Augen, als er sich ruckartig erhebt. Doch anders als gewohnt kehrt seine Sicht nicht zurück. Er taumelt, wankt, beginnt zu fallen. Das Holz der Kirchenbank ist hart. Acht Uhr. Der junge Kommissar steht neben der Leiche eines Mannes, der vermutlich in seinem Alter ist. Die Augen des Mannes sind verdreht, eine große Platzwunde auf seinem Schädel hat eine große Blutlache verursacht. Er seufzt, gibt die Anordnung, die Leiche so bald wie möglich abzutransportieren, damit die Identifizierung und Obduktion stattfinden kann. Fundort Kirche. Es gibt bessere Orte, die er sich vorstellen kann. „Chef!“, ruft da einer der Spurensicherungsleute. „Das sollten Sie sich ansehen.“ Er dreht sich um, kehrt zurück. Worauf seine Leute aufmerksam geworden sind, ist der Rücken des Toten. Trotz des Blutes kann man die feinlinigen Buchstaben, die dort eingeritzt sind, gut erkennen. „Mein Herzschlag flattert, meine Kraft ist fort, selbst meine Augen versagen mir den Dienst. Ich gestehe es: Ich habe gesündigt. Ich finde keine Ruhe wegen meiner Schuld“, liest der Kommissar für sich. Er seufzt erneut, eindeutig kein normaler Tod. Und der Fundort Kirche nimmt auf einmal eine ganz neue Dimension an. 51. Frosch ---------- Irgendwann gewöhnte man sich daran, ein Frosch zu sein. Er hatte sich am Anfang sehr schwer damit getan, schließlich war die Verwandlung eine Degradierung ohne Gleichen gewesen. Vom Traumprinz (und ja, er war jetzt einfach mal so dreist, sich als solchen zu bezeichnen) zum kleinen, grünen Viech - das war definitiv nicht die Art von Karriereänderung, die ihm vorgeschwebt war. Nein, dieses unglückliche Missgeschick mit der boshaften Hexe aus dem Schloss nebenan war nicht so geplant gewesen. Aber wer hätte auch ahnen können, dass die alte Schrulle tatsächlich darauf bestehen würde, dass er ihre Tochter heiratete? Ohne ihr nahetreten zu wollen, sie hätte doch wissen müssen, dass dies ganz und gar unmöglich war. Nicht nur, weil sie aus keiner Adelsfamilie stammte, sondern sie war auch noch überhaupt nicht sein Typ! Ja, er hatte genaue Vorstellungen, wie seine Angetraute auszusehen hatte. Nun ja, "hatte gehabt" wäre wohl die Zeitform, die er korrekterweise wählen musste, wandelte er nun doch in einer anderen Erscheinungsform durch diese Welt. Und in dieser die Dame seiner Träume zu erobern, dürfte sich als Ding der Unmöglichkeit erweisen. Nicht nur, dass er nun klein und grün war, er war noch nicht einmal mehr in der Lage, sich ordentlich und für Menschen verständlich zu artikulieren! Alles, was aus seinem Mund kam, wenn er versuchte, einen einfachen Satz von sich zu geben, waren unsägliche Quaklaute. Von der Art, wie er sich ernähren musste, wollte er gar nicht anfangen. An den Geschmack von Fliegen und anderen Insekten hatte er sich bis jetzt immer noch nicht gewöhnt. Er seufzte, was sich für den Außenstehenden nach einem erstickten „Quaak“ anhörte. Ja, es war nicht leicht, in seiner Haut zu stecken. Wirklich nicht. Mit einem Schaudern erinnerte er sich an seine ersten Tage in der neuen Gestalt. Er war von den Bediensteten vor die Tür gejagt, beinahe von einem Storch als Mittagshappen verspeist und zu allem Überfluss auch noch fast von einer Kutsche überrollt worden. Hätten ihm nicht die Reflexe und Instinkte des Tieres, dessen Körper er nun bewohnte, beigestanden, dann wäre er wohl innerhalb weniger Tage verhungert. Inzwischen gab es aber so etwas wie Routine in seinem Alltag. Nachdem er den kleinen See gefunden hatte, an welchem er sich nun aufhielt, hatte er diesen zu seiner Operationsbasis erklärt. Hier gab es Wasser, Futter und vor allem einen sicheren Unterschlupf, wenn er sich von den Strapazen eines Frosch-Tages erholen musste. Und von hier aus war es auch gar nicht so weit zum Schloss, welches er einmal sein Zuhause genannt hatte, und auch nicht zu der Behausung der Hexe. Er musste herausfinden, wie er diese Verwandlung rückgängig machen konnte, da war der Ausgangspunkt, an dem er suchen sollte, doch definitiv an dem Ort, an dem der ganze Schlamassel angefangen hatte, oder? Dummerweise hatte die Hexe ihm bei seiner Verwandlung keine in die Richtung verweisenden Informationen gegeben, so wie es immer in den Geschichten passierte. Aber das war wohl der Unterschied zwischen Realität und Geschichte: Es lief nicht alles nach den Wünschen des Helden. Bis jetzt war auch noch keine seiner Unternehmungen von Erfolg gekrönt gewesen, aber er würde nicht aufgeben. Man gewöhnte sich zwar daran, ein Frosch zu sein, das änderte aber nichts an seinem Wunsch, wieder in seinen alten Körper zurückzukehren. Und, das hatte er sich geschworen, dann würde die alte Hexe ihre gerechte Strafe erhalten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)