VLE-Outtakes von KaethchenvHeilbronn (Kleine Geschichten zu VLE) ================================================================================ Goethe/Schiller - 1 ------------------- „Danke! Vielen Dank, meine Damen und Herren! Aber danken Sie nicht mir und nicht nur den Schauspielern – Lassen Sie uns dem Schöpfer dieses Meisterwerks huldigen! Nun komm schon runter, Schiller, das ist deine Bühne!“ Freudig strahlen mich die blauen Augen an, als Iffland nach ihm ruft. Er weiß, dass ich den Intendanten nicht leiden kann, aber niemals würde ich ihm diesen Moment nehmen, der doch nur ihm gehört. „Gehen Sie schon.“, sage ich also mit einem Lächeln und drücke ihm die Hand. „Danke“, haspelt er, und ich spüre seine Lippen für einen wunderschönen Moment auf meiner Wange, bevor er aufspringt und aus der Loge eilt. „Friedrich Schiller, meine Damen und Herren!“ Als er unten wieder auf der Bühne erscheint und das ganze Theater für ihn klatscht, bin ich unheimlich stolz auf ihn. Ich kann nicht anders, als grinsend in den Applaus einzustimmen. „Vielen, vielen Dank! Ich freue mich wahnsinnig, dass das Stück so gut bei Ihnen angekommen ist. Ich wusste doch, Iffland kann aus meinem Schund noch was Brauchbares machen.“ Während die Leute auflachen, spüre ich ein Kneifen in meinem Bauch, das mich daran erinnert, wie schrecklich viel mir dieser Mann bedeutet. Noch nie hatte ich das Bedürfnis, jemanden ganz für mich alleine haben zu wollen, aber er hat mich dazu gebracht. Schiller bedeutet mir mehr, als ich mir selbst, und das halte ich zunehmend für eine sehr gefährliche Angelegenheit. Auch nach der Vorstellung, als wir im Foyer stehen und ich mich mit den Herren Voigt und Wieland unterhalte, kann ich mich nicht mit gewünschter Aufmerksamkeit an dem Gespräch beteiligen, denn immer wieder muss ich zu Schiller hinüberschauen, der leider bei Iffland steht und sich prächtig mit ihm zu amüsieren scheint. Oft, wenn ich die beiden sehe, denke ich, dass die zwei doch so gut zusammen passen würden. Beide jung, beide leidenschaftlich, frech, risikobereit… Iffland hat alles, was ich nicht bin, und doch…doch wirft Schiller mir diese Blicke zu. „Entschuldigen Sie mich kurz.“ Doch schenkt er mir dieses Lächeln, als ich auf ihn zukomme, nur mir. „Na? Was haben Sie beide wieder ausgeheckt? Geht es heute Abend noch feiern?“ Er grinst mich an. „Ich hab Iffland abgesagt, schließlich wollten wir beide heute Abend doch ganz privat feiern.“ Ich muss schmunzeln. „Ich habe Sie zum Essen eingeladen.“, spezifiziere ich seine doch sehr zweideutige Aussage. Er lacht leise. „Natürlich. Was haben Sie denn gedacht, was ich meinte?“ Ich lehne mich zu ihm, sodass er sich etwas zu mir herunterbeugen muss, damit ich ihm leise ins Ohr flüstern kann, was ich in diesem Moment nicht mehr für mich behalten kann: „Sie sind das Großartigste, das ich kenne.“ Als ich ihn wieder ansehe, liegt in seinem Blick, dem ich begegne, so viel Zuneigung für mich, dass ich glauben muss, darin zu ertrinken. Ich spüre, wie er mir eine Hand an die Brust legt, und mir wird ganz warm, als er antwortet: „Dann kennen Sie sich selbst noch nicht.“ Der Abend im Restaurant verläuft wunderschön. Ich liebe es, wenn Schiller so unaufhaltsam mit mir diskutiert, wenn er so energisch an seinem Standpunkt festhält, genauso wie ich an meinem, und wir am Ende doch feststellen können, dass wir eigentlich das gleiche meinen. „Aber es war immer noch Ihr »Götz«, der schon gezeigt hat, dass Freiheit im Handeln auch sehr subjektiv aufgefasst werden kann.“ „Mein »Götz« hat, so sehe ich das, niemals frei gehandelt, er wurde durch den Gang des Ganzen zu seinen Handlungen gezwungen, die nur von denen, die kein Gespür fürs Ganze haben, als frei interpretiert worden sind.“ „Genau!“, ruft Schiller und schmeißt beinahe die Weinflasche um, „Das mein ich doch! Subjektive Freiheit im Handeln! Genau wie mein – “ „ – »Fiesko«.“, beende ich den Satz. „Ja!“ Er nickt begeistert und seine Augen funkeln mich an. Genauso begeistert funkeln seine Augen auch noch, als wir bei mir zuhause ankommen. Schon vor bald drei Wochen hat sich Schiller hier eingerichtet, sodass er unter Umständen in meinem Gästezimmer übernachten und auch im zweiten Arbeitszimmer schreiben kann. Vor einer Woche hat er mir gebeichtet, dass er schon vor zwei Wochen seine Wohnung gekündigt hat. Nun, im Grunde hab ich ja nichts dagegen…nicht wirklich. – Gut, eigentlich überhaupt nichts. „Sie ersetzen das Wort »Zwang« einfach durch »Freiheit«, Schiller.“, rufe ich durch die geschlossene Badtür, an die ich mich, schon in meinem Pyjama, gelehnt habe, „Das funktioniert nicht.“ „Das funktioniert sehr wohl!“, ruft er zurück, „Es ist doch meine Entscheidung, ob ich etwas als Zwang oder als Freiheit ansehe!“ „Aber wenn es doch ein offensichtlicher Zwang ist.“, widerspreche ich und falle beinahe um, als die Tür plötzlich hinter meinem Rücken verschwindet. „»Zwang« ist eine subjektive Empfindung, Goethe“, meint Schiller und sieht mich überzeugend an, „Die ist nur für mich selbst offensichtlich oder nicht. Das hat doch schon Seneca gesagt: »Menschen von Wert arbeiten hart, bringen Opfer und werden zum Opfer, und zwar aus eigenem Willen. Sie werden nicht vom Schicksal geleitet, sondern sie folgen ihm und halten gleichen Schritt! Hätten sie es gekannt – “ „ – wären sie ihm vorausgegangen«, ich weiß.“, unterbreche ich ihn, „Aber würden Sie den »eigenen Willen« denn – “ Ich unterbreche nun mich selbst und blicke mich um. „Wollen wir das hier auf dem Gang besprechen, oder lieber in mein Arbeitszimmer?“ „Es ist dort vielleicht ein wenig frisch.“, merkt Schiller an und schlingt sich die Arme um den Körper. Natürlich. Er trägt ja nur ein weites T-Shirt und…seine Unterhose. „Ich kann eine Decke holen.“ „Und ungemütlich.“ Ich möchte den Faden unseres Gesprächs nicht verlieren und öffne einfach die nächste Tür, die in mein Schlafzimmer führt. „Was ich sagen wollte“, fahre ich fort, während Schiller sich ein wenig zu interessiert im Raum umblickt. „Würden Sie den »eigenen Willen« denn gleich als »Freiheit« bezeichnen?“, frage ich und reiche ihm meine Bettdecke, als wir auf der großen Matratze Platz nehmen. „Natürlich!“, antwortet er und kuschelt sich in die Decke, „Mit was würden Sie den »eigenen Willen« denn sonst gleichsetzen?“ Ich brauche etwas, um eine Antwort formulieren zu können. „Wollen Sie sich die Haare vielleicht nicht wieder zusammenbinden?“, sage ich stattdessen. „Ich weiß nicht, ob das so förderlich ist, wenn…wenn am Ende in meinem Bett überall blonde Locken herumfliegen.“ „Oh“ Er sieht ein wenig gekränkt aus, dabei war das so auf keinen Fall gemeint! „Wen würde ich denn da eifersüchtig machen?“, fragt er, während er aufsteht und sich durch besagte Lockenpracht streicht. „Äh, niemanden…aktuell.“, bringe ich heraus, „W-wo gehen Sie hin?!“ „Ein Zopfgummi holen!“, ruft er mir aus dem Flur zu, und ich muss mir eingestehen, ziemlich erleichtert zu sein, dass er also zurückkommt und unser Gespräch nicht für beendet erklärt hat. Die Haare zusammengebunden betritt Schiller wieder das Schlafzimmer und kuschelt sich erneut in meine Bettdecke, diesmal lehnt er sich am Kopfende des Bettes an und blickt abwartend zu mir herüber. „Sie waren gerade dabei, mir zu antworten.“, erinnert er mich. „Ja“, fange ich an und sortiere mich endlich wieder, „Mit was ich den »eigenen Willen« gleichsetzen würde, haben Sie gefragt. Ich würde…ich würde ihn mit… Stellt sich der Fall so dar, wie wir es vorhin am Beispiel des »Fiesko« und des »Götz« gesehen haben, also augenscheinlich ein Zwang vorliegt, dann würde ich den Vorgang, bei dem man sich dazu entschließt, dem Gang des Ganzen, also bei Seneca dem Schicksal, nachzugeben und den Willen des Schicksals zum eigenen Willen zu machen, mit dem Begriff »Ausweg« bezeichnen.“ Schiller runzelt die Stirn. „»Ausweg« klingt langweilig und hässlich. Freiheit! Freiheit ist das richtige Wort!“ Ich muss lachen. „Aber Schiller…“ „Neinnein.“ Er schüttelt den Kopf. „Schauen Sie, wenn… Ich spreche weiter, wenn Sie sich etwas bequemer hinsetzen, Sie machen mich ganz nervös.“ Ich lache abermals und stehe also auf, um mich auf der anderen Seite des Bettes ebenfalls ans Kopfende setzen zu können. Er reicht mir einen Teil der Decke, den ich dankend annehme. „Also, wollte sagen“, fängt er wieder an, „Wenn ich mich…“ Er lächelt mich an, und ich bin gespannt zu erfahren, was dahintersteckt. „Wenn ich mich dazu entschließe, einem Menschen, der mir haushoch überlegen ist, dem ich niemals das Wasser reichen könnte, keinen Neid, keine Missgunst, sondern Verehrung und Liebe entgegenzubringen, dann ist das meine »Freiheit« und kein Ausweg.“ Mir bleibt nichts anderes übrig, als sein Lächeln zu erwidern, und da ich genau weiß, auf was er anspielt, wird mir gerade unheimlich warm. „Sie haben Recht, »Ausweg« klingt hier wirklich hässlich.“, gebe ich ihm Recht. „Also“, sagt er, glücklich, dass er gewonnen hat, „Dann stimmen Sie mir also zu, wenn ich so weit gehe, zu behaupten, dass es dem Vortrefflichen gegenüber keine Freiheit gibt, als die Liebe?“ „Halb.“, entgegne ich, da ich diese überwältigenden Gefühle nicht wirklich der Freiheit zuschreiben würde. Vielmehr sehe ich keine andere Rettung, wenn ich in diese blauen Augen blicke, als mich diesem Mann hoffnungslos zu ergeben. „Dem Vortrefflichen gegenüber gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe.“ Kaum habe ich das gesagt, hellt sich sein Blick noch mehr auf, wird sein Lächeln noch um einiges weicher, und er zieht mich noch mehr in seinen Bann. „Damit kann ich leben.“, flüstert er, und ich kann spüren, wie sich seine Hand unter der Decke in meine schiebt. Schneller als ich es realisiere, ist er mit seinem Gesicht bei mir, und ich spüre wieder einmal seine Lippen auf meiner Haut. Das hat er schon ein paar Mal gemacht. Jedes Mal wieder überläuft mich dabei ein wohliger Schauer. „Gute Nacht, Goethe.“, flüstert er. Ich streiche ihm zärtlich über die Wange, kann es nicht lassen, ihm ebenso meine Lippen aufzudrücken, gebe ihm einen Kuss auf die Stirn. Sein Lächeln blendet mich mit Glücksseligkeit. „Darf ich…hier bleiben?“, fragt er leise und lässt sich schon auf seiner Seite des Bettes aufs Kissen rutschen. Ich ringe mit mir, jedoch nicht lange. „Für heute Nacht. Ja.“, antworte ich und bekomme dafür noch ein strahlendes Lächeln geschenkt. Ich kann lange nicht einschlafen, aber das tölpelhafte Grinsen weicht wohl die ganze Nacht nicht von meinen Lippen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)