Die Kinder des Mondes von Sterni (der zweite Schatten) ================================================================================ Kapitel 1: Das Mädchen für alles -------------------------------- Nachdem Mirabell das Wasser der Waschschüssel ausgetauscht und den Nachttopf geleert hatte, zog sie das Bettbezug wie jeden Tag ab und fluchte leise vor sich hin, wie man das immer wieder hinbekam so ein Saustall zu hinterlassen. Davon abgesehen wurde sie schon seit den frühen Morgenstunden vom Pech verfolgt. Es fing mit den ersten Blick zwischen den dunklen Fensterläden in ihrer kleinen Kammer an. Das schwache Licht der Dämmerung wies Mirabell drauf hin, dass sie schon längst wach sein sollte, um den Holzherd an zu heizten, bevor die Köchin anfing das Essen zuzubereiten. Entsetzt von dieser Tatsache richtete sie sich kerzengerade auf und schwang ihre Beine vom warmen Bett auf den kalten Holzboden. Hastig zog Mirabell mehr schlecht als recht die Tracht an, die ihr Dolores, eine schlanke in Jahre gekommene Frau mit grauen Strähnen im Haar und einem weißem Pony, zu Beginn der Arbeitsstelle als Bedienstete von einem nicht alt so großen Anwesen, ausgehändigt hatte. Diese Arbeitskleidung bekam hier jede Angestellte ausgehändigt. Ein schlichtes rostrotes, bodenlanges Kleid mit einer grauen Schürze und dazu das passende Häubchen in grau mit roten Versatz, welches sie aufsetzte. Während Mirabell auf den Gang raus und die Treppen runter eilte, band sie sich mit einem schwarzen Band ihre kupferroten Haare zu einem festen Knoten zusammen. In der Küche angekommen blickten das Mädchen verwirrte Gesichter an und hielten dabei mit ihrer Arbeit inne. Eine stämmige Dame saß am großen Arbeitstisch, in der einen Hand hielt sie eine halb geschälte Kartoffel, in der anderen ein Küchenmesser. Weitere ungeschälte Kartoffeln lagen auf der Arbeitsplatte zu einem kleinen Berg aufgestappelt. Hinter ihr trug die Küchenmagd die schweren Wassereimer, für den übergroßen Topf, von draußen hinein. Das Feuer im Herd loderte schon kräftig. »Mirabell, was ist los? Fängt dein Dienst nicht erst später an?«, brach Hannae die unangenehme Stille. Mirabell errötete. Hatte sie die Wochentage tatsächlich verwechselt!? Mütterlich lächelte Hannae zu ihr rüber, als sie Mirabells Reaktion auf ihre Frage bemerkte. Ihre haselnussbraunen Augen betrachteten das zerstreute Mädchen dabei mitfühlend an. »Wenn du schon mal hier bist, kannst du mir beim Kartoffelschälen helfen.« Dabei zeigte sie mit den kleinen Messer auf den zu bewältigten Kartoffelansammlung. Da Mirabell schon wach war, konnte sie auch gleich mithelfen, schließlich war sie Hannae zu großem Dank verpflichtet. Hannae war hier in diesem Haushalt die zuständige Köchin. Zu ihr und den anderen Bedientesten war Hannae immer sehr nett gewesen und berücksichtigte, wenn es einem nicht so gut ging. Mirabell nahm ein Messer vom Block und setzte sich neben Hannae hin. Sie mochte diese Frau mit ihren offenen, runden Gesicht und den hellen braunen Augen, vom ersten Augenblick an. Verträumt dachte Mirabell an die Zeit, wie sie hier angestellt wurde. Als sie verzweifelt auf der Suche nach einer Arbeitsstelle war, begegnete sie auf der Händlerstraße zufällig Hannae, als die Köchin Lebensmittel einkaufen war und weil Mirabell ihr so großherzig half, ohne was dafür zu verlangen, nahm Hannae sie mit auf dieses Anwesen. Zu Mirabells Überraschung, war in diesem Haushalt der Beruf des Haushofmeisters, dass eigentlich nur das männliche Geschlecht ausübte, von einer Frau besetzt gewesen. Die allerdings nicht weniger streng, als ihre männlichen Mitstreiter war. Tief in Gedanken versunken rutschte Mirabell bei der letzten Kartoffel mit den Messer aus und schnitt sich tief in den Daumen. Als die Köchin den Schnitt erblickte, befreite sie Mirabell von ihrer Pflicht und schickte sie gleich zum auswaschen der Wunde an eine Schüssel mit frischem Wasser. Währenddessen wurde die Küchenmagd von Hannae angehalten einen Leinenstreifen zu holen, um die stark blutende Wunde ordentlich zu verbinden. Der Schnitt schmerzte selbst nach Stunden immer noch sehr stark, es half aber nichts: Mirabell musste ihre zugetragenen Aufgaben erledigen. Denn dafür wurde sie schließlich bezahlt und die Bezahlung war für eine Frau ungewöhnlich gut. Wo anders würde sie mehr für die Hälfte des Geldes vollbringen müssen. Auch wenn das Bett des Herren eine Zumutung war. Nicht selten fand sie in dem Schlafgemach des jungen Herren Dinge, zumeist Kleidungsstücke von den Damen, die ihn letzte Nacht besucht hatten. Wo Mirabell sich ständig fragte, wie man das tragen konnte, ohne sich dabei komplett lächerlich zu machen. Der Herr bekam, für einen wohlhabenden Adligen, sehr viele Damenbesuche und am Ende musste sie die Überbleibsel seiner Liebeleien beseitigen. Dabei war es in den höheren Kreisen selbst in der modernen Großstadt Kaily verrucht gewesen, sich mit so vielen Frauen auf einmal einzulassen. Die Magd warf die gebrauchte Bettwäsche in den großen, mitgebrachten Korb, um sie später in den Wachraum zu bringen. Dort warf Mirabell auch alle vergessende Kleidungsstücke hinein, mit der Hoffnung, dass sich Jannys, die Stubenmagd darum kümmern würde, die Sachen an die Eigentümerinnen weiter zu reichen. Gleichzeitig fiel ihr ernüchternd ein, dass sie heute mit den Wäschewaschen dran war. Vielleicht sollte sie die Dinge auch einfach wegschmeißen oder doch lieber unter die Sachen des Hausherren mischen? Ein Luftzug wehte durch das große, offene Fenster und brachte kalte Luft mit sich. Der Herbst war auf dem Höhepunkt, nach den tagelangen Regnen und den grauen Wolken, schien die sehnsüchtige Sonne endlich wieder auf Kaily herab. Mirabell blickte hoch und streckte sich, nach dem sie mit dem beziehen des großen Himmelbettes fertig war. Bevor sie die grüne Tagesdecke gekonnt über die Matraze warf und die anfallenden Falten glatt strich. Die schweren, schwarzen Samtvorhänge, waren immer zu gezogen, wenn sie das Schlafgemach des Herren betrat. Durch den dichten Samt verirrte sich kein Lichtstrahl in das Gemach und Mirabell musste aufpassen, dass sie auf nichts trat oder über etwas stolperte, wenn sie sich in die Richtung der Fenster durcharbeitete. Mit der Zeit entwickelte Mirabell eine Routine beim aufräumen, an der sie sich stets hielt. Sie entfernte die Kerzenstummel und setzte neue ein. Wischte mit den Staubwedel über die kleinen Nachtschränkchen aus Eichenholz. Legte die Bögen und Schriftrollen auf den Sekräter ordentlich zurecht. Fegte den großen, grünen Teppich. der ebenfalls das Wappentier trug, vor dem Bett und wischte den dunklen, verzierten Boden aus Mosaiksteinchen. Nach dem Mirabell fertig war, schloss sie wieder die Fenster, zündete die mitgebrachten Räucherstäbchen an, der einen angenehmen Duft ausströmte und hob den schwer gewordenen Korb mit beiden Händen an. Sie warf zuletzt einen kurzen Blick in das Zimmer. Das Gemach war nicht in den üblichen Stil aus Kaily eingerichtet worden, als die übrigen Zimmer. Der Putz wurde von den Wänden entfernt und entblößte glatte, helle Steine. Wo in den anderen Zimmern und sogar im Flur der Fußboden mit teuren, guten Holz und Binsen ausgelegt waren, prunkte hier nur der kalte Steinboden. Die Holzmöbel waren nicht, wie Mirabell es von hier kannte, mit bunten Blumen oder Tieren angemalt. Schlicht waren die dadurch keineswegs. In dem dunklen Holz der Möbel prangten die feinsten Schnitzereien, die Mirabell je gesehen hatte. Fasziniert von dieser meisterlichen Handarbeit, besah Mirabell sich jedes mal die kleinen Kunstwerke, als sie in den ersten Wochen anfing in diesem Haus zu arbeiten. Das ungewöhnlichste in diesem Gemach waren die Stoffbahnen, die von den beigefarbenen Steinwänden herabhingen, in den Grünton von Tannen, die im langen Bogen über die Decke auf der anderen Seite des Zimmers endeten und mit den Wappen die eine weiße Ratte zeigte zierten. Links und rechts daneben verliefen weitere dünne, schwarze Bahnen, die das satte grün hervorhoben. Nachdem Mirabell sich vergewissert hatte, dass alles zu ihrer Zufriedenheit war, verließ sie das Gemach wieder. Bis zum nächsten Morgen, wo die ganze Prozedur von neuen begann. Es war gerade Mittag und die Gerüche der zubereiteten Mahlzeit, schwebte vom Erdgeschoss durch die Korridore in das erste Obergeschoss. Lautes Bauchknurren erklang und erinnerte Mirabell daran, dass sie heute nicht viel zu sich genommen hatte. Mit einer Hand streichelte sie über den Bauch, um das unangenehme Gefühl in der Magengegend zu lindern, dabei stieß sie leicht mit jemanden zusammen, mit einer leisen Entschuldigung und einer kleinen Verbeugung, hastete sie ohne aufzusehen weiter zu den großen Treppen ins Erdgeschoss. Der Mann blickte dem Mädchen erstaunt hinterher, die langen, schwarzen Haare glitten dabei in sein Gesicht. Er sah nur noch den roten Haarknoten unter der grauen Haube und den schlanken Rücken. Ein Grinsen huschte über seine Lippen. Den Rotschopf kannte er noch gar nicht, hatte sie nicht ein paar Sommersprossen im Gesicht!?, dachte er entzückt in sich hinein. Der schlanke Mann schlenderte auf das Schlafzimmer zu, wo Mirabell gerade heraus trat. Er machte die Tür weit auf und nahm ein tiefen Zug von dem angenehmen Duft, dass aus dem Zimmer ihm entgegen kam. In der Küche saßen schon die Köchin mit den anderen beiden Mägden und dem Kammerherr, Seff und löffelten ausgiebig die warme Suppe. Es fehlte nur noch die Haushofmeisterin, dann wären alle Bedienstete anwesend gewesen, die in der Villa arbeiteten. Da das Anwesend für seine Verhältnisse recht klein war, genügten eine Hand voll Leute, um die Villa beim laufen zu halten. Dolores saß selten bei ihnen am Tisch, was Mirabell als nicht alt so tragisch empfand. Mirabell genehmigte sich selber eine Schale und setzte sich neben Hannae. Die weiblichen Angestellten waren dabei in einem hitzigen Gespräch verwickelt gewesen. »Ich glaube nicht, dass er da hin geht. Was soll er da, wenn er alle Frauen bekommt, die er will,« warf Hannae ein. In der Küche gehörte Tratsch zur täglichen Tagesordnung. Seff verleibte sich seine Mahlzeit schweigend ein, er hatte so wie Mirabell dafür nichts übrig. »Wirklich! Ich kenne jemanden, die mir erzählt hat, ihn dort gesehen zu haben«, bezeugte die Küchenmagd, die auf den Namen Ilianda hörte. Dabei klopfte Ilianda, um ihre Behauptung zu unterstreichen, mit den Holzlöffel auf dem grob gezimmerten Tisch. »Nein, dafür ist er sich viel zu schade«, konterte das Stubenmädchen mit fester Stimme. Mirabell schätzte sie etwa drei Winter älter ein, als sie selber war. »Na, sag ich doch«, nahm Hannae wieder das Zepter in die Hand. Hungrig nahm Mirabell die dampfende Suppe zu sich und hörte nur mit einem halben Ohr den anderen zu. Die Mägde spielten sich immer wieder die Bälle zu, letzten Endes würden sie nicht auf einen Nenner kommen. Das war noch nie passiert. »Was meinst du, Mirabell?« Sie zuckte mit den Schultern. »Was für eine Bedeutung haben die farbigen Lampions?« Die Bediensteten sahen Mirabell mit großen Augen an. »Welche Lampions?«, fragte Ilianda verdutzt zurück. Mirabell sah sie perplex an. »Na die, die an den Türen hängen. Jedes Haus hat Lampion draußen hängen, in jeweils einer Farbe. Rote, weiße und gelbe. Das sind doch die Farben von unserer Stadt Kaily, oder!?« Keiner gab ihr eine Antwort auf ihre rein geschmissene Frage und es kehrte rasch Stille ein. »Hab ich was falsches gesagt?« Verlegen sah Mirabell die anderen an. »Warst du schon mal da?«, fragte Hannae besorgt. Sie beute sich zu ihr vor und sah sie mit wissenden Blick an. »Nein, habt ihr gerade nicht davon geredet?«, fragte Mirabell eingeschüchtert. Sie machte sich so klein wie möglich und löffelte ihre Suppe dabei weiter, ohne auf die anderen zu achten. Es war Mirabell schon immer leidig gewesen im Mittelpunkt zu stehen, die vielen Blicke machten sie stets nervös. »Nicht wirklich...«, antworte Hannae. »Woher weißt du von den Lampions?« »Ach, ich hab es wohl von irgendwoher aufgeschnappt«, log Mirabell und starrte weiter auf ihre Suppe hinab. Die drei Frauen sahen dabei zu Mirabell, wie sie mit roten Kopf ihre Mahlzeit zu sich nahm. »Hast du etwas Milch für mich, Hannae?«, wechselte Seff rasch das Thema, um Mirabell peinliche Lage ein Ende zu setzen. »Du willst doch nicht wieder dieser streunenden Katze was geben? Dolores sieht es nicht gerne, wenn ich dir unsere Lebensmittel für das Tier gebe. Sie belehrt mich deswegen schon die ganze Zeit. Und sie hat mich mittlerweile so weit gebracht, dass ich dir für die Katze keine Milch mehr geben werde. Also falls du dem Tier was geben willst, weißt du wo die Vorradkammer ist und frag mich nicht ständig, ob du was für die Katze haben kannst.« Mirabell horchte auf. Sie wusste nicht, dass dieser Haushalt auch eine Katze beinhaltete. In den wenigen Wochen, wo sie hier schon lebte, war ihr der Vierbeiner kein einziges mal zu Gesicht gekommen. In Seffs sonnengegerbten, faltigen Gesicht bildete sich ein verschwörerisches Grinsen. »Ja, das versucht sie auch ständig bei mir, zum Glück ist sie nicht meine Herrin, somit hat sie mir nichts zu sagen. Wir müssen - bei den Göttern - nicht auf unsere Vorräte achten. Dolores mag nur keine Schmarotzer, das ist alles. Davon abgesehen hat mir Lord Seraphin erlaubt die Katze zu behalten, da kann selbst unsere korrekte Dolores nicht dagegen wettern.« »So viel ich weiß, ist es den Lord egal, ob die Katze da ist oder nicht. Man hört und sieht eh nichts von ihr«, korrigierte Hannae ihn. Nach dem deftigen Essen fingen Mirabell zwei Stunden Pause an. Sie tauschte die Kleidung gegen ein langes, hochgeschlossenes, schwarzes Kleid, damit die gute Arbeitskleidung draußen kein Schaden erlitt oder schmutzig wurde, darüber warf sie ihren abgetragenen Umhang, ebenso in schwarz, über die schmalen Schultern. Das Häubchen wurde gegen ihr schlichtes, schwarzes Barett ersetzt. Der Haarknoten öffnete sich und die rote Mähne fiel bis zu der Hüfte, wo sie sich am Ende leicht wellten. Ihre Arbeitsstelle lag mitten in der Hauptstadt Kaily, wo auch der Kaiser seine Residenz besaß. Auf den schönen, weitläufigen Land Edooar. Die Stadt verdankte seinen Reichtum durch den hiesigen Hafen. Der breite Fluss Flioza entsprang aus der nördlichen Gegend von Edooar durchquert das grüne Tal, verbindet sich dort mit drei weiteren Flussläufen, bevor der Fluss schließlich ins Meer gelangt. So war es für die Fuhrleute möglich gewesen ihre Güter mit den Schiff schneller ins Landinnere zu befördern. Die heutige Großstadt war vor siebenhundert Jahren nicht mehr als ein Landsitz gewesen, die der damalige Kaiser auf einer größeren Halbinsel in der Flioza erbauen ließ. Geschützt von dem fließenden Wasser war die Burg leicht zu verteidigen, nachdem man die schmale Verbindung zum Festland ebenfalls durch eine stabile Mauer gesichert hatte, die mit der Zeit immer höher und dicker wurde. Durch den großen Fluss, der ins angrenzende Meer führte, wurde bald darauf auf der Halbinsel ein Steg errichtet, um die Vorräte für die Burg schneller und sicherer transportieren zu können. Was auch viele Händler als Zwischenstation nutzen, um Schutz vor Stürmen und hohem Seegang aufzusuchen. In laufe der Jahre siedelten sich um die hohen, dicken Mauern der Festung herum geschäftstüchtige Leute mit ihren Familien an, die Profit darin witterten, den Reisenden Essen, Schlafplätze, Unterhaltung und andere Bedürfnisse anzubieten. Damals wurde um der kleinen entstandenen Stadt eine Holzpalisade errichtet, um sich von Plünderungen zu schützen, die des Nachts mit Boten auftauchten. Die schäbig wirkte in Gegensatz zu den stabilen Steinmauer der Burg. Dank der Lage der Halbinsel war ein Angriff aus dem Landinneren auf die Stadt nur von einer schmalen Seite aus möglich gewesen. Und dank der weiten, ebenen Landschaft, war es möglich gewesen, aus einen Höheren Punkt aus, weit in das Land zu blicken. Aus diesem Grunde wurden später neben der schmalen Verbindung zur Halbinsel zwei hohe Wehrtürme erbaut, jeweils einer in Richtung Osten und Westen. Sowie ein Wehrturm, der sich in der Mitte des Flusses befand, auf der Spitze der schmalen Landzunge, die die Insel in die Länge zog und dadurch eine natürliche Bucht bildete, wo der Strom ruhiger war und die Schiffe ankern konnten. Der letztere wurde dazu genutzt, um die Schiffe beim Nebel, oder schlechtem Wetter in die Bucht führen zu können, damit die nicht gegen die Felsen Schiffsbruch erleiden mussten. Als Vorwartungsmaßnahme, wurden auf jeden der Türme ein Scheiterhaufen aufgestellt, die bei Gefahr entfacht werden und damit die anderen warnen sollte. Zu Mirabells Lebzeiten war die Großstadt überfüllt und die Straßen waren am Tage voller Menschenmassen. Die dort lebenden Menschen bauten die Halbinsel immer weiter aus, bis sie von den eingerahmten Mauern, der mittlerweile um die Insel herum führte, gestoppt wurden und sich zusammendrängen mussten. Zielstrebig ging Mirabell zum Taubenweg, denn sie seit vier Wochen fast jeden Tag bewältigte, dabei musste sie gehörig aufpassen, um andere Passanten nicht anzurempeln. Ebenso wich sie auf den Straßen den Händlern mit den Bauchläden aus, die ihr sinnlosen Krempel andrehen wollten. Andere kamen aus Mirabell zu und wollten ihre Zukunft Prophezeien. Seit einigen Jahren sprießten diese Hellseher aus den Boden, wie Pilze und immer mehr Leute wanden sich an sie, wenn sie nicht weiter wussten. Doch Mirabell wurde schon in der Kindheit eingeschärft, dass diese Hellseher nur Scharlatane waren und man sich mit ihnen nicht einlassen sollte. Es sei den: man wollte eine Beule am Hinterkopf und weniger Geld in den Taschen haben. Diese Wahrsagerei hatte nichts mit den Sechsen zu tun gehabt und somit waren sie auch nicht göttergefällig gewesen. Nach einer halben Stunde Fußmarsch hielten ihre Füße vor einem alten Gebäude an, der dringend wieder ein Anstrich benötigte. Auf dem verwitterten Schild über den Eingang konnte man nur die Worte erahnen, die da zu stehen waren. Bevor sie die Stufe erklomm und in das Haus eintrat, holte Mirabell noch einmal tief Luft. Eine freundliche Frauenstimme begrüßte sie, als Mirabell eintrat. Mirabell grüßte leise zurück und blickte zu Sentie, die hinter ihren Arbeitstisch saß. Ihr Mann war der Doktor dieses kleinen Heilerhauses und leitete es alleine. »Ich bin gekommen, um mein Bruder zu besuchen.« Sentie winkte sie weiter und richtete ihren Blick erneut auf den Stapel Schriftrollen, die zum Teil ausgebreitet auf dem Schreibtisch lagen. Im ersten Stock, blieb Mirabell an der letzten Tür zur rechten stehen und klopfte an. Gedämpft hörte Mirabell ein heiseres »Herein.« Sie öffnete die Tür. Das spärlich eingerichtete, enge Zimmer besaß vier Betten, wovon drei besetzt waren. »Ach, die kleine Eileen. Besuchst du wieder dein Bruder?« Ein dürrer, alter Mann strahlte sie freundlich an und richtete sich auf, um sie besser sehen zu können. Er trug ein altes ungefärbtes Nachthemd, was an den Ärmel ausfranste und Flecken aufwies. »Ich würde mich freuen, wenn meine Kinder mich auch so oft besuchen würden, wie du deinen Bruder.« Mirabell lächelte verlegen zurück. »Sei nicht zu streng mit ihnen, sie haben bestimmt viel zu tun, schließlich arbeiten sie dafür, damit du hier wieder gesund wirst.« Sie ärgerte sich, da sie seinen Namen vergaß. Den er ihr genant hatte, als er wegen seines gebrochen Beines, vor einer Woche, hier hergebracht worden war und sie sich zum ersten mal begegneten. Doch ihre gute Erziehung gestattete nicht, ein zweites mal nach seinen Namen zu fragen. Bedächtig ging sie, an der schlafenden Frau vorbei, auf der linken Seite, zum Fenster hin. Sie streifte den schweren Umhang ab, legte ihn behutsam auf das Bettende und setzte sich auf den einzigen Besucherstuhl, der dort stand wo sie ihn gestern zu Letzt hingestellt hatte, neben das Krankenbett. »Hallo Abralin, hast du dich seit meinem letzten Besuch gut ausgeruht? Wie ich sehe, hat Sentie dich heute gewaschen und rasiert? Du strahlst förmlich.« Liebevoll schaute Mirabell auf den Mann herab. Seine kastanienbraune Haare lagen regungslos wie Spinnweben auf dem Kopfkissen, auch die schienen geschnitten worden zu sein. Sanft strich sie über seinem Kopf und glitt weiter die Wange entlang. Abralin sah aus, als ob er sich nur kurz hingelegt hätte und jeden Moment aufwachen würde. Wären da nicht seine eingefallenen Wangen und die mager gewordenen Arme gewesen. Mit den Tränen kämpfend holte das Mädchen ein Buch hervor, das in der kleinen Holztruhe neben dem Bett lag und schlug die Seite auf wo ein Stück Stoff dazwischen geklemmte. »Liest du wieder aus dem Märchenbuch?« Interessiert blickte der alte Mann zu ihr hinüber. Seit dem Mirabell den Raum betrat, hatte er sie sorgsam beobachtet. »Ja, als ich noch klein war, hat er mir immer vor dem Schafen gehen, was daraus vorgelesen.« Die Buchstaben fingen an zu verschwimmen und ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Doch Mirabell zwang die Trauer herunter, sie wollte stark bleiben und für Arbalin sorgen, so lang er das nicht für sich tun konnte. Die viel zu kurzen Momente mit ihm, wollte sie nicht heulend vor seinem Bett verbringen. Später, wenn sie niemand sah, war dafür noch genug Zeit. Nach einem kurzem räuspern, fing sie an vorzulesen. Darauf lehnte sich der alte Mann gegen das Bettgestell aus Holz und schloss die Augen, um von der sanften, Leserstimme vorgetragen zu werden. Die Geschichte handelte von zwei verbrüderten Füchsen, die Kleidung trugen und gemeinsam das Abenteuer gegen den alten, grimmigen Bären bestanden. Die Geschichte endete gut, alle Geschichten in diesem Buch hatten ein gutes Ende. Und sie betete zu Istaa, dass ihre Geschichte auch ein gutes Ende haben würde. Als Mirabell die Kurzgeschichte beendete, schlief der Mann bereits tief und fest, mit einem Kuss auf Abralins Stirn verließ sie den Raum, ihr blieb nicht mehr viel Zeit bis die Pause beende war. Auf den engen Flur im Obergeschoss begegnete Mirabell noch Doktor Lemar, der sie um ein kurzes Gespräch bat. »Deinem Bruder geht es unverändert. Es scheint nicht, dass er bald aus seinem Komma aufwacht...« Mirabell schaute mit ihren grünen Augen den Doktor verzweifelt an, was ihn kurz zum stocken brachte. »Ich kann leider nichts mehr für dein Bruder tun. Es liegt ganz an deinem Bruder und den Sechsen, ob er wieder aufwachen sollte. Du kannst gerne auch die Meinung eines anderen Heilers beziehen, aber der wird dir nicht mehr sagen können, als ich schon getan habe. Davon abgesehen, dass du dir das nicht leisten könntest. Du kannst dir kaum die Unterkunft hier bezahlen.« Verlegen schaute der Doktor zu Boden, als ob es ihn leid tat, was er gerade von sich gegeben hatte. Mirabell wollte es nicht wahrhaben, dass Abralin nie mehr aufwachen würde. Abralin war ein Kämpfer, das war er schon immer gewesen, wieso sollte er gerade jetzt aufgeben?Reflexartig fasste Mirabell an ihr Dekolleté, griff ins lehre und senkte bedrückt wieder die Hand. »Danke Doktor Lemar, Ihr habt mehr als genug für uns getan.« Sie kramte in einen keinen Beutel herum, die sie an ihren Gürtel trug, holte ein paar Kupfer Münzen hervor und überreichte die dem Doktor. »Hier das Geld für diese Woche.« Darauf ging er verlegen über sein schütteres Haar. »Ich muss leider los, sonst komm ich zu spät zu meiner Arbeitsstelle. Ich wünsche Euch ein schönen Tag und grüßt Eure Frau von mir, Freey sei mit Euch.« Mit diesen Worten eilte Mirabell die Treppen her runter und winkte den Doktor noch herzlich zum Abschied zu. Es war später als Mirabell annahm, da sie noch nicht so lange auf dem Anwesend arbeitete, wollte sie ihre Pause nicht unnötig verlängern und damit riskieren, dass sie die erbettelte Mittagspause verboten bekam. Mirabell rannte den ganzen, langen Weg zurück, während die aufkommenden Seitenstiche das Laufen zur Qual machten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)