Kein Rettungsmittel als die Liebe von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 2: ----------- „Trotzdem!“ Energisch stampfte Heinrich von Kleist mit dem Fuß auf und warf seinem Gegenüber einen ungläubigen Blick zu. Nie hätte er gedacht, dass er es sich trauen würde vor Goethe so in Rage zu geraten, doch bei der ungerechten Kritik, die der Dichterfürst gerade im Hinblick auf seine Penthesilea geäußert hatte, konnte er nicht mehr an sich halten. „I-Ich habe dieses Werk auf den Knien meines Herzens zu Ihnen gebracht…u-und nun wollen Sie es einfach so ablehnen, w-weil es nicht vollkommen mit Ihrem klassischen Idealbild übereinstimmt?“ „Meinem klassischen Idealbild? Ich bitte Sie, falls Sie auch nur etwas Ahnung vom aktuellen Kulturgeschehen haben, dann müsste Ihnen doch auffallen, dass nicht einmal die Romantiker es fertigbringen, solch ein...verstörendes, alle Regeln der Moral - der Vernunft brechendes Unding zu produzieren! Eine Frau, die ihren Geliebten verspeist! Das Theater ist nicht dazu da, die Menschen vollkommen entsetzt, sondern besser nachhause zu schicken, und an ihrer Penthesilea finde ich überhaupt nichts Gutes!" Sprachlos auf Grund dieser Äußerung wusste Kleist einen Moment nicht, was er erwidern sollte. Er spürte, wie Tränen in seinen Augen aufstiegen und versuchte verzweifelt sich vom Weinen abzuhalten, weil er vor Goethe nicht als Schwächling dastehen wollte. Doch die Tatsache, dass der berühmte Dichter seine Penthesilea, das Werk, in das er gleichzeitig all den Schmerz und all die Freude seiner Seele gesteckt hatte, überhaupt nicht zu würdigen wusste, verletzte ihn unglaublich. „A-aber den Menschen nur vorzuhalten, wie sie sich verbessern sollen, ohne sie auf gesellschaftliche Probleme hinzuweisen, kann sie doch nicht besser machen! In m-meiner Penthesilea geht es um soziale Determiniertheit u-und die tragischen Folgen, die diese mit sich bringen kann…n-nicht anders, als es auch schon in Schillers Räubern der Fall war.“ Damit warf er dem Blonden, der das Gespräch bisher scheinbar unbeteiligt verfolgt hatte, einen hilfesuchenden Blick zu. Schiller erwiderte den Blick des jungen Dichters nur kurz, bevor er sich erhob. „Goethe, kann ich Sie einen Moment unter vier Augen sprechen?“ Es war nicht wirklich eine Frage, sondern ein gut gemeinter Rat, den Goethe, wenn auch grummelnd, annahm. Er folgte Schiller in den Salon zwei Räume weiter, wo dieser die Tür schloss. Der Herr Geheimrath war äußerst überrascht, als er sogleich eben jene Tür in seinem Rücken vorfand; der Blonde hatte ihn an den Schultern gepackt und sah ihn eindringlich an. Goethe kannte diesen Blick nur zu gut, der ihn aus den halbgeschlossenen Augen traf. Er konnte Schillers Atem auf seinen Lippen spüren, als dieser mit gedämpfter, aber hitziger Stimme sprach. „Erinnern Sie sich an den Abend in Ihrem Gartenhaus? Erinnern Sie sich daran, wie Sie das Weinglas haben fallen lassen und mich von hinten umschlungen und mir in den Nacken gebissen?“ Goethe erzitterte bei dem Gedanken daran. „Erinnern Sie sich, was Sie da zu mir gesagt haben?"“ Die Augen des Älteren weiteten sich. „Schiller...“ „Schiller, haben Sie gesagt.“ „Schiller, ich…ich will mir Ihren Geist einverleiben und wenn ich Sie dazu…“ „Und wenn Sie mich dazu - ?“ „Und wenn ich Sie dazu verspeisen müsste.“ Goethe schluckte. „Sehen Sie“, begann Schiller leise, „Bemerken Sie, wie sehr Ihnen diese Frau eigentlich aus dem Herzen spricht?“ Goethe rang einen Augenblick lang mit sich und versuchte dem eindringlichen Blick Schillers auszuweichen, der ihn fast um den Verstand brachte. „Das…das mag sein“, fing er dann leise an, „Aber das war ein persönliches Ereignis und hat doch nichts auf der Theaterbühne verloren! Was glauben Sie denn, was die Leute denken würden, wenn sie auf einmal statt meiner Iphigenie ein wahnsinnig gewordenes Weib auf der Bühne sehen würden, das nur Chaos um sich herum verbreitet?“ „Ihre Iphigenie“, entgegnete Schiller mit einem Lächeln, das plötzlich wieder so zärtlich war, „ist wunderbar und auch mit nichts zu vergleichen, aber wollen Sie diesem jungen Menschen nicht eine Chance geben? Ich bin mir sicher, auch ihn verbindet etwas mit diesem Stück, und wenn Sie es ablehnen würden, lehnten Sie auch ihn ab, ja lehnten Sie mich ab." „S-Sie?“, brachte Goethe heraus. Schillers Lippen formten sich zu einem Grinsen und er sah den Älteren kokett von oben an. „Bin ich nicht auch manchmal ein bisschen wahnsinnig und verbreite Chaos um mich herum, wenn Sie mir wieder einmal den Verstand rauben, ...Goethe?“ Der Ältere schluckte bei dieser Bemerkung und versuchte verzweifelt die Bilder, die sich vor seinem inneren Auge abspielten, zu verdrängen, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. „A-aber das ist doch etwas völlig anderes…“, erwiderte er dann, obwohl er wusste, dass es ein schwaches Gegenargument war. Aber auch wenn Schiller ihm mehr bedeutete, als alles andere auf der Welt, so fiel es ihm dennoch schwer sich mit dem Gedanken, das Stück des jungen Dichters auf die Bühne zu bringen, anzufreunden. „Sie wissen, dass Sie mir lieb und teuer sind, Schiller, vor allem, wenn Sie einmal wieder von Ihrem Sturm und Drang fortgerissen werden“, meinte er dann und ergriff liebevoll die Hände des anderen. „Aber das hat doch nichts mit Kleist zu tun. Außerdem…“, fügte er leise hinzu und wich dem Blick des Blonden aus, „…außerdem will ich nicht, dass er sich mit seinem Werk zwischen uns drängt.“ Schiller hätte nicht in Worte fassen können, wie ihn dieses Geständnis rührte. „Aber Goethe!“, begann er sogleich, „Nichts und niemand kann sich zwischen uns drängen, dazu sind wir uns doch viel zu nahe.“ Wie um seinen Standpunkt deutlicher zu machen, schmiegte er sich noch ein wenig enger an Goethe. „Kleist passt nicht zu uns, nein, aber er gehört auf die Bühne. Das, was er zeigt, ist zutiefst menschlich, und das sollte man den Menschen nicht vorenthalten. ...Oder wollen Sie ihn etwa den Romantikern überlassen?“ Seufzend legte Goethe seine Arme um den Jüngeren und vergrub sein Gesicht in den blonden Locken. Er schwieg eine ganze Weile, doch als er wieder zu Schiller aufsah, musste er unwillkürlich lächeln. „Natürlich möchte ich ihn nicht den Romantikern überlassen“, antwortete er daraufhin. „Es liegt mir fern sein Talent überhaupt anzweifeln zu wollen, denn begabt ist er zweifellos, wären seine Stücke nur nicht so …extrem.“ Einen Moment lang schien Goethe noch mit sich selbst zu ringen, dann gab er sich allerdings einen Ruck und hauchte Schiller einen Kuss auf die Wange. „Wenn es Sie aber glücklich machen würde seine Penthesilea auf der Bühne zu sehen, dann will ich mich nicht dagegen wehren…“ Der Blonde sah ihn mit einem erleichterten Lächeln an. „Es würde mich sehr glücklich machen.“, sagte er und kam dem Gesicht des anderen näher, „Und da Sie selbst zugeben, dass Sie Kleist für talentiert halten, sollten wir ihn nicht aufgeben.“ Damit legte er seine Lippen auf die des Älteren und verwickelte ihn in einen sanften Kuss, sodass weitere Widerworte unmöglich waren. Es kam Kleist wie eine kleine Ewigkeit vor, in der er sich allein in dem großen Raum befand und nervös auf die Rückkehr von Goethe und Schiller wartete. Er wusste zwar nicht, was die beiden so lange allein besprachen, aber er war sich sicher, dass es dabei um ihn und die Zukunft seines Dramas ging. Bei diesem Gedanken wurde der junge Dichter unvermeidlich noch aufgeregter und er hätte beinahe schon wieder damit angefangen unruhig hin und her zu gehen, als sich die Tür plötzlich öffnete und die beiden Schriftsteller eintraten. Kleist konnte nicht umhin zu bemerken, dass Goethe wesentlich glücklicher wirkte als zuvor und auch auf Schillers Lippen lag ein sanftes Lächeln. Dennoch wollte er sich noch nicht zu viele Hoffnungen machen und blickte die beiden deswegen nur abwartend an. Schiller musste Goethe erst einen auffordernden Blick zuwerfen, bevor dieser die Stimme erhob. Kleist kam sich vor, wie im Olymp vor einem Richterspruch des Zeus. „Nun, Herr von Kleist“, begann Goethe, „Ich werde meine Meinung über Ihr Drama nicht revidieren, es ist und bleibt ein Unding wider des guten Geschmacks.“ Dem jungen Preußen war während der harten Worte das Herz stehengeblieben. Ihm quollen die Tränen in die Augen. „Aber“, begann Schiller und sah Goethe eindringlich an. „Aber“, seufzte Goethe, „Wenn Sie bereit dazu sind, Ihr zukünftiges künstlerisches Schaffen nur noch unter meiner und Schillers Begleitung stattfinden zu lassen, dann bin ich gewillt, Ihrer Bitte, die Penthesilea an unserem Theater aufzuführen, nachzukommen.“ Einen Moment lang dachte der junge Dichter, er hätte nicht richtig gehört. Als er allerdings das aufmunternde Lächeln von Schiller und den durchaus versöhnlichen Blick Goethes wahrnahm, wurde ihm bewusst, was der Herr Geheimrat gerade tatsächlich gesagt hatte. „I-ich… ich…“, stotterte er daraufhin etwas unbeholfen, „Ich w-weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll!“ Hastig fuhr er sich über die Augen, um die Freudentränen, die er nicht mehr hatte zurückhalten können, wegzuwischen. Dann strahlte er jedoch die beiden Dichter an und schenke ihnen ein dankbares Lächeln. „N-natürlich wäre es mir die größte Ehre u-unter Ihrer Aufsicht weitere Dramen zu verfassen“, erwiderte er schließlich und ihm war, als Schiller ihm eine Hand auf die Schulter legte und ihn zusammen mit Goethe zu dem immer noch gedeckten Kaffeetisch führte, als hätte er zum ersten Mal in seinem Leben einen Ort gefunden, an dem er bleiben wollte, an dem er glücklich sein konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)