Heroines of War von SarahShepard ================================================================================ Kapitel 36: Lauren ------------------ Fröhlich summend sortierte Lauren im Behandlungsraum zwei ein paar Instrumente weg und wischte über die Arbeitsflächen. Ihr Schiff, die SSV Kiew war gerade auf dem Weg nach Galatea, um Vorräte, Materialien und einen Trupp Marines hinzubringen, und im Gegenzug würden sie einige Soldaten und ein paar Forscher mit an Bord nehmen und zur Erde bringen. Da Dr. Goldstein und Dr. Mayer diejenigen auf Keime und Viren untersuchen mussten, die sie sich auf dem Planeten geholt haben könnten, waren ihnen bereits gestern die Krankenakten zugestellt worden, und Lauren hatte entdeckt, dass Ellen und Alex unter den Passagieren sein würden. Die Reise zur Erde würde dann ungefähr einen Tag dauern, was zwar nicht lang war, aber Lauren freute sich trotzdem sehr auf das Wiedersehen. Immer noch summend verließ sie den kleinen Behandlungsraum, als die beiden Ärzte der Kiew ihr auf dem Flur der Krankenstation entgegen kamen. „Krieger, gut, dass sie hier sind“, sagte der große Dr. Goldstein. Er trug eine Brille, was Lauren verwunderlich fand, denn heutzutage wurden in der Allianz eigentlich genetische Defekte wie schlechte Sehkraft korrigiert. Sie hatte sich bisher allerdings nicht getraut, ihn danach zu fragen. „Was gibt es denn?“, fragte sie immer noch fröhlich. Als sie die ernsten Mienen der Ärzte bemerkte, verflog ihre gute Laune allerdings sofort. Doktor Mayer, eine drahtige Frau, fing an, aus den Schränken auf dem Flur medizinische Utensilien herauszusuchen. „Wir haben zwei Notrufe reingekriegt“, sagte sie, während sie weiterhin Medigel und Verbände in ihre Taschen stopfte und Doktor Goldstein drei Tragen zum Transport von Verletzten vorbereitete. „Einer kam von Galatea, ein zweiter etwas später von einem Shuttle, das wohl von dort gestartet ist und uns entgegenkommt, und wir fliegen ihnen entgegen, so schnell wir können. Sie haben wohl einige Schwerverletzte an Bord.“ Mit einem Schlag war Laurens gute Laune verflogen. Ihr Kopf versuchte noch, das gerade gesagte zu verarbeiten, als sie murmelte: „Ich … Zwei Freunde von mir sind auf Galatea stationiert.“ Die beiden Ärzte hielten in ihren Aktivitäten kurz inne und warfen sich einen Blick zu. „Dann hoffen wir mal, dass sie nicht an Bord des Shuttles sind. Los, Krieger, pack' mit an“, sagte Doktor Goldstein und deutete auf eine der Liegen. Lauren löste sich aus ihrer Trance und schob die vorderste an, raus aus der Krankenstation und rüber zu den Lifts. Als der Hangar sich öffnete und das Shuttle mit den Verletzten landete, schlug Laurens Herz schnell und hart in ihrer Brust. Sie fürchtete sich davor, dass Ellen oder Alex in dem Shuttle sein könnten, gleichzeitig wäre es aber auch furchtbar, wenn sie nicht an Bord wären. Vor zehn Minuten war Commander Gilligan mit ebenfalls in den Hangar gekommen und hatte angedeutet, dass es einen Geth-Angriff auf die Kolonie gegeben hatte, und möglicherweise waren die Passagiere des Shuttles die einzigen Überlebenden. Als die Tür zur Seite glitt, wurden sofort die Tragen näher heran geschoben und das gesamte medizinische Personal der SSV Kiew baute sich daneben auf. Lauren wurde angewiesen, vorerst nur zu beobachten, und sie knetete unruhig ihre Finger. Die ersten Verletzten wurden vorsichtig herausgetragen. Zwei Marines und ein Zivilist. Danach kletterten weitere Verwundete heraus, unter ihnen sogar eine Asari, und das traurige Ende der kleinen Prozession bildeten einige wenige Unversehrte. Lauren suchte verzweifelt nach ihren Freunden, konnte sie jedoch nirgends entdecken. Die Tragen wurden in Richtung der Lifts geschoben und den Ärzten und einigen Schwestern begleitet, während andere Verletzte noch im Hangar versorgt wurden und ebenfalls zur Krankenstation geleitet wurden. Lauren stand in der Nähe der Unverletzten, auf die Commander Gilligan nun zuging und sich mit ihnen unterhielt. Etwas abseits davon stand eine Frau und ein glatzköpfiger Mann mit einem Mädchen, dass ihre Tochter zu sein schien. Unsicher trat Lauren auf sie zu. „Dürfte ich Sie etwas fragen?“, sagte sie vorsichtig. Die Leute schienen einiges durchgemacht zu haben, doch sie musste wissen, was aus ihren Freunden geworden war. „Es waren die Geth, falls sie das wissen wollen“, grummelte der glatzköpfige Mann. „Sei nicht so unhöflich“, ermahnte ihn die Frau. „Was möchten Sie denn wissen?“ „Ich weiß nicht, ob Sie sie kennen, aber können Sie mir sagen, wo Corporal Webber und Private Zhao sind?“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Tot, denke ich.“ Laurens Gesichtszüge entgleisten ihr. Verdattert stand sie da und rang nach Atem. „Duncan!“, ermahnte ihn die Frau wieder, die Laurens Reaktion anscheinend zu deuten wusste. „Wir wissen es nicht genau. Als wir mit dem Shuttle aus der Kolonie gestartet sind, ist Ellen zurückgeblieben, um Alex zu retten. Sie haben dann den Notruf abgesetzt, sind aber selbst nicht mehr rausgekommen, deshalb haben sie uns gesagt, dass wir ohne sie den Planeten verlassen und euch entgegenfliegen sollen. Das war das letzte, was wir von ihnen gehört haben. Sind sie deine Freunde?“ Lauren fehlten die Worte, sie nickte bloß. „Ich hoffe wirklich, dass sie noch leben“, sagte die Frau mit einem mitleidigen Blick. An diesen kleinen Hoffnungsschimmer klammerte sich Lauren verzweifelt, denn wenn sie den nicht hätte, würde sie mitten im Hangar zusammenbrechen. Ellen und Alex hatten schon einiges überstanden, warum nicht auch das? Lauren sammelte sich und trat auf Commander Gilligan zu, die gerade mit einem Zivilisten sprach. „Commander, ich störe Sie nur ungerne, aber das hier ist dringend“, sagte sie mit möglichst fester Stimme, und ihre Vorgesetzte wandte sich ihr zu, woraufhin Lauren salutierte. „Was gibt es denn, Private?“ „Ich habe gerade erfahren, dass es in der Kolonie möglicherweise noch Überlebende gibt.“ „Ausgeschlossen“, sagte der Zivilist, doch Lauren ließ sich nicht beirren. „Es könnten noch wenigstens zwei Marines am Leben sein.“ „Wie kommen Sie zu dieser Annahme?“, fragte Commander Gilligan unbeirrt und es war zu hören, dass sie ein klein wenig angespannter war. Sie war eine gutherzige Vorgesetzte und aus Geschichten wusste Lauren, dass sie niemals jemanden im Stich lassen würde. „Ich habe mit zwei der Zivilisten gesprochen. Zwei Marines sind zurückgeblieben, um den Notruf abzusetzen.“ Gilligan nickte. „Corporal Webber. Sie war nicht an Bord des Shuttles?“ Dann wandte sie sich dem Zivilisten zu. „Doktor Masterson, warum haben Sie denn nichts davon gesagt?“ Der Mann druckste ein wenig herum. „Nun … ich … die Geth waren noch dort, als wir geflohen sind. Unmöglich, dass sie so lange durchgehalten haben.“ „Das stimmt so auch nicht ganz“, sagte ein Marine und gesellte sich dazu. Er salutierte vor Commander Gilligan und fuhr dann fort. „Private McGregor, Ma'am. Corporal Webber hat gesagt, dass sie sich verschanzen wollten, bis die Rettung eintrifft. Sie könnten es geschafft haben.“ „Damit hätten Sie sofort zu mir kommen müssen. Lieutenant Marshall!“, rief Gilligan. Der angesprochene Offizier kam sofort herbei. „Stellen Sie eine Einsatztruppe zusammen und fliegen Sie mit einem Shuttle nach Galatea. Und nehmen Sie medizinisches Personal mit. In der Kolonie könnten sich noch Überlebende befinden.“ „Sofort, Ma'am“, erwiderte der Lieutenant und marschierte zu den Fahrstühlen. Lauren sah ihm erleichtert nach. Es bestand tatsächlich noch Hoffnung, auch wenn sie nur klein war. „Krieger, wenn sie sich dem Trupp anschließen möchten, sollten sie Lieutenant Marshall folgen“, murmelte Commander Gilligan ihr. Lauren lächelte dankbar, salutierte und folgte dem Offizier. Eine Stunde später saß Lauren in einem Shuttle, das zum Landeanflug auf Galatea ansetzte. Sie war nervös und unruhig, hatte jedoch trotz allem die leise Hoffnung, mehr als nur die toten Körper ihrer Freunde bergen zu können. Es musste und konnte einfach nicht anders sein. Mit an Bord waren noch zehn Marines und eine Feldsanitäterin. Doktor Goldstein und Doktor Mayer mussten sich um die Überlebenden an Bord der Kiew kümmern und brauchten dabei viel Hilfe, weshalb nur Corporal Barnetta hatte mitkommen können. „In einer Minute sind wir da“, rief der Shuttlepilot nach hinten und es kam Bewegung in die Marines. Lauren band sich ein letztes Mal ihren Haarknoten neu, was schwierig war, denn ihre Hände zitterten ein wenig. Als sie es schließlich geschafft hatte, setzte sie ihren Helm auf und atmete mehrmals tief durch. Erst da bemerkte sie, das Barnetta sie beobachtete. Vermutlich hatten Goldstein und Mayer ihr erzählt, warum Lauren darauf bestanden hatte, mit in die Kolonie zu reisen, anstatt im OP zuzusehen und zu lernen. Doch sie kümmerte sich nicht um die Blicke des Corporals und zog ihr Sturmgewehr, als sie mit einem sanften Ruck landeten. Die Geth waren zwar fort, doch der eine oder andere Husk konnte ihr durchaus noch herumlaufen. Gerade erst vor zwei Wochen waren sie einer Kolonie zu Hilfe geeilt, die von Geth überfallen worden war, und dort hatte Lauren zum ersten Mal die Monstren gesehen, zu denen die Geth Menschen machten. Die aschfahlen Gesichter und abgemagerten Körper, die an mehreren Stellen von einer Art Leuchtröhren durchbohrt waren, verfolgten sie seitdem jede Nacht im Schlaf. Die Tür des Shuttles wurde geöffnet und nacheinander gingen die Marines ins freie. Es regnete in Strömen und alles war in graues Dämmerlicht getaucht, aber weil ein paar der Scheinwerfer noch funktionierten, war die Kolonie gut ausgeleuchtet. Der Anblick war erschreckend. Überall auf dem Platz, auf dem sie gelandet waren, lagen tote Geth, aber auch ein paar menschliche Körper. Nichts regte sich, wenn man von den Bränden absah, die hier und da in den Gebäuden loderten. Lauren lief es eiskalt den Rücken runter, doch sie bemühte sich, ihre Fassung zu bewahren. „Unser primäres Ziel ist die Suche nach überlebenden. Die Toten werden nicht von uns geborgen. Schwärmt aus und durchsucht die Gebäude, aber geht nicht allein und passt auf, dass euch keine Husks überraschen“, teilte Lieutenant Marshall alle über Funk mit und die Marines schwärmten aus. Nervös trat sie auf die Leiche eines Marines zu, die in ihrer Nähe lag. Als sie sich neben den leblosen Körper hockte, sah sie eine große Schusswunde in der Brust. Schrotkugeln, tippte sie. Corporal Barnetta legte ihr plötzlich eine Hand auf die Schulter und Lauren zuckte zusammen. „Komm mit, da vorne liegt noch jemand“, sagte die Sanitäterin leise. Lauren sah in die angedeutete Richtung und entdeckte einen Marine, der neben zwei Drachenzähnen auf der Seite lag. Dies waren die Maschinen, die von den Geth benutzt wurden, um Menschen zu verwandeln, und unglücklicherweise hing auch gerade an der Spitze von einem ein lebloser Körper. Welche arme Seele auch immer dort oben hing hatte mit Sicherheit ein besseres Schicksal verdient gehabt. Lauren erhob sich und folgte Barnetta. Sie spürte ein dumpfes Gefühl in ihrem Magen und ihr Herz schien aus ihrer Brust springen zu wollen. Der Marine war kleiner und zierlicher als der andere, welcher hinter ihnen lag, es handelte sich also wahrscheinlich um eine Frau. Und schließlich, als sie nur noch wenige Schritte entfernt waren, erkannte Lauren das mit Schlamm bedecke Gesicht und stürzte darauf zu. „Ellen!“, rief sie, warf ihren Helm und einen Handschuh zur Seite und tastete hastig nach einem Puls am Hals ihrer Freundin. Er war schwach, aber sie lebte. Unglaubliche Erleichterung erfüllte Lauren und sie strich ihr sanft etwas Schlamm aus dem Gesicht und untersuchte dann ihren Körper. Barnetta saß ihr gegenüber und musterte Ellens Rücken. „Sie hat eine üble Schusswunde“, murmelte sie und begann dann mit der Erstversorgung. „Und sie hat eine Menge Blut verloren. Sie muss schleunigst zur Kiew.“ Erst jetzt bemerkte Lauren den großen, dunkelroten Fleck, der Ellens Körper umgab. Barnetta hatte recht. „Lieutenant Marshall, wir haben eine Überlebende gefunden! Aber sie ist schwer verletzt“, gab Lauren über Funk durch. „Macht sie transportfähig. Perkins und Hofman sollen euch helfen. Wir werden uns noch weiter umsehen.“ Lauren suchte ihre Umgebung nach weiteren Marines ab, entdeckte jedoch nur die beiden, die kamen, um Ellen zu tragen. Wo war Alex? Als Barnetta etwas auf Ellens Schusswunde am Rücken drückte, kam Leben in ihren Körper. Eine ihrer Hände vergrub sich im Schlamm und ihr Gesicht verzerrte sich. Schließlich öffnete sie langsam ihre Augen. „El, kannst du mich hören? Alles wird gut! Wir kümmern uns um dich“, sagte Lauren und brachte ihr Gesicht näher an Ellens. Diese atmete schwer und sah zu ihr hoch, doch es war nicht zu sehen, ob sie sie erkannte. „Wo ist Alex, Ellen?“, fragte Lauren als nächstes. Ellens Kopf sank wieder in den Schlamm. „Oben“ murmelte sie einmal, und dann noch einmal. „Oben“. Sie schloss ihre Augen wieder, und Lauren starrte sie verwirrt an. Oben? Was meinte sie damit? In einem der Gebäude? Sie sah zu Barnetta, doch diese zuckte nur mit den Achseln. „Krieger, hol bitte eine Trage aus dem Shuttle“, sagte sie dann und wälzte Ellen auf den Bauch. Lauren sah erst jetzt die Wunde mit ihren eigenen Augen und schluckte. Sie war verdammt nahe an ihrer Wirbelsäule. Hastig stand sie auf und gerade, als sie ein paar Schritte gegangen war, hörte sie, wie Leben in einen der Drachenzähne kam. Der lange, in den Himmel ragende Stachel wurde langsam eingefahren. Und als Lauren sich umdrehte, verstand sie plötzlich, was Ellen mit oben gemeint hatte. „Nein“, flüsterte sie, als sie dabei zusah, wie der Husk sich langsam dem Boden näherte. Perkins und Hofman zogen ihre Waffen und bauten sich direkt neben der grausigen Maschine auf, doch Barnetta hielt sie zurück. „Erschießt es nicht. Es gelingt viel zu selten, ein lebendes Exemplar zu fangen. Setzt es fest und ein zweites Shuttel soll das Ding abholen.“ Lauren begann zu zittern. „Es ist kein Ding“, flüsterte sie, doch die Marines hörten sie nicht. Ihre Gedanken rasten. Die Geth hatten Alex zu einem dieser Dinger gemacht? Das konnte nicht sein. Alex war stark, und Ellen hätte das niemals zugelassen. Nein, der Husk war jemand anderes. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass das nicht stimmte. Es war Alex. Sie konnte es nicht erklären, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass dem so war. Tränen stiegen in ihr auf und rollten unaufhaltbar über ihre Wangen, als der Husk schließlich unten ankam und seine Füße auf den Boden setzte. Laurens Knie wurden weich und sie sank auf den Boden, während sie still weinte. Der Husk stieß ein kehliges Brüllen aus und Perkins und Hofman packten ihn sofort an beiden Armen und drückten ihn gegen eine Wand. „Bindet das Ding irgendwie irgendwo fest!“, bellte Barnetta. „Krieger, was ist mit der Trage?“ „Sie ist kein Ding!“, brüllte Lauren und heulte laut auf. „Sie ist Private Alexandra Zhao. Sie ist eine von uns! Sie ist kein DING!“ Der Husk starrte in ihre Richtung, doch dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Hofman und Perkins zu und versuchte, sich zu befreien. „Wie ein Marine sieht es aber nicht gerade aus“, frotzelte Perkins. „Arschloch“, erwiderte ein bulliger Marine, der zu ihnen kam, vermutlich angelockt von Laurens Gebrüll. Barnetta sah von Ellens Rücken hoch und sagte zu dem Soldaten: „Andy. Geh bitte zum Shuttle und hol mir eine Liege.“ Lauren bekam das nur am Rande mit. Während sie weinte, konnte sie ihren Blick nicht von Alex abwenden. Sie bildete sich ein, in dem Husk noch etwas von ihren Zügen zu erkennen. In ihrem Kopf schrie Alex jedes Mal, wenn das unmenschliche Wesen einen Laut von sich gab. Sie schrie und bettelte um Erlösung. Doch Lauren war machtlos, etwas zu tun. Sie hockte einfach nur im Schlamm und heulte und starrte, bis ihre Tränen langsam versiegten. Als Ellen an ihr vorbei ins Shuttle getragen wurde, half Barnetta ihr auf die Beine und führte sie zu dem Fahrzeug. „Ich könnte dir etwas gegen den Schmerz geben. Etwas, dass dich schlafen lässt“, sagte sie auf Lauren einredend. „Doch ich werde es nicht tun. Du wirst viele Tode erleben, sei es von Unbekannten oder von engen Freunden, auf dem Schlachtfeld oder woanders. Mit Reaktionen wie heute musst du dich zurückhalten, bis die Zeit dafür ist.“ Lauren zuckte nur mit den Achseln. Ihr war alles gerade ziemlich egal, sie wollte nur noch weg von hier und dem Husk. Als sie sich in das Shuttle setzten, drückte Barnetta ihr etwas in die Hand. Lauren erkannte Alex Hundemarken, sie mussten irgendwo im Schlamm gelegen haben. Ihre Faust ballte sich fest um sie zusammen. Zwei Tage später stand Lauren vor dem Fenster zu Ellens Zimmer und beobachtete ihre Freundin traurig. Sie war noch nicht wieder zu sich gekommen, und in wenigen Stunden würde ein Shuttle kommen um sie zur Erde zu fliegen. Die anderen Überlebenden von Galatea waren bereits gestern abtransportiert worden. Die meisten von ihnen hatten vorher an Ellens Fenster gestanden, genauso wie Lauren jetzt, und sich von ihr verabschiedet. Der Asari schien es am schwersten zu fallen, doch Lauren wusste nicht, warum, sie hatte sie nicht danach gefragt, wie nahe sie sich gestanden hatten. Traurig war sie schließlich in ihrem Rollstull davongerollt und war von einem Schiff der Asari abgeholt worden. Lauren wunderte sich darüber, wie sie überhaupt in der Kolonie gelandet war, und würde Ellen irgendwann mal danach fragen. Der Gedanke an den Rollstuhl versetzte ihr einen kleinen Stich, denn Doktor Goldstein hatte ihr gesagt, dass Ellens Wirbelsäule verletzt worden war und sie vielleicht nicht mehr laufen könnte. Zwar gab es Operationen, um solche Verletzungen zu heilen, aber diese waren teuer und wurden nicht von der Allianz bezahlt, und Lauren bezweifelte, dass Maya so viel Geld würde auftreiben können. An Maya zu denken versetzte ihr einen weiteren Stich. Sobald sie an Bord gewesen und sich einigermaßen beruhigt hatte, hatte sie sofort Nachrichten an ihre Freunde und Ellens Mutter geschickt. Maya hatte ihr zugesichert, es Alex Eltern zu sagen. Am meisten verwunderte Lauren, dass noch keine Reaktion von Norah gekommen war, aber vielleicht hatte sie gerade einfach zu viel zu tun, um ihre Nachrichten zu lesen. „Pssst“, sagte jemand am Ende des Flures und Lauren sah auf. Andrew Tibs, der Marine, der Perkins als Arschloch bezeichnet hatte, winkte und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Irritiert und verärgert, weil sie ihren Posten vor Ellens Fenster eigentlich nicht verlassen wollte, ging sie den Flur hinunter und hinter ihm her. „Was ist los?“, fragte sie. „Komm einfach mit.“ Lauren rollte mit den Augen und stöhnte genervt, doch sie folgte ihm. Sie verließen die Krankenstation und gingen zum Zelltrakt. Dieser bestand nur aus einem schmalen Flur und einer einzelnen Zelle, wurde aber trotzdem als „Trakt“ bezeichnet. „Ich sollte jetzt hier Wache schieben, doch ich habe verdammt großen Hunger. Übernimm doch bitte kurz für mich.“ Er drückte ihr seine Pistole in die Hand und verschwand. Völlig verdattert starrte sie zunächst ihn, dann die Waffe an. Sollte das ein Scherz sein? „Achja, die Kameras sind ausgeschaltet“, rief er noch über seine Schulter und verschloss dann die Ausgangstür hinter sich. Noch verwirrter schüttelte Lauren den Kopf. Was sollte das alles? Plötzlich kam ein stöhnen aus der Zelle neben ihr. Sie hatte dem Insassen bisher noch keine Beachtung geschenkt, und jetzt entdeckte sie, dass es Alex war. Alex, der Husk. Und langsam verstand sie, was für eine Möglichkeit ihr Tibs gab. Sie hatte es bereits bereut, Alex nicht auf Galatea den Gnadenschuss gegeben zu haben. Man würde sie als Forschungsobjekt missbrauchen, bis sie starb. Das war bei Weitem nicht das Ende, dass sie verdient hatte. Nervös trat Lauren an die Zelle heran und öffnete sie. Man hatte den Husk mit Handschellen an ein Bett gekettet, sie konnte ihr also nichts tun. Und während sie sich an die gegenüber liegende Wand stellte und den Husk beobachtete, hatte sie wieder das Gefühl, Alex anzusehen und nicht die Kreatur, zu der man sie gemacht hatte. Sie dachte an ihre gemeinsame Kindheit zurück, an Alex, die mit ihnen fangen spielte oder im Garten zeltete. An Alex, die Laurens Exfreund einen üblen Streich gespielt hatte, nachdem er die Beziehung beendet hatte. Und daran, wie oft sie gemeinsam über Dinge gelacht hatten, manchmal so sehr, dass ihnen die Tränen kamen. Es waren ihre liebsten Erinnerungen. Tränen kamen ihr auch jetzt, aber nicht, weil sie so überschwänglich glücklich wie früher war. Sie ließ sich an der Wand zum Boden sinken, immer noch die Pistole in der Hand. Konnte sie es tun? Sie war sich nicht sicher. Stumm weinend zog sie ihre Knie ganz dicht an ihren Körper und drückte ihre Hände an ihren Kopf, in der rechten Hand immer noch die Pistole. Schließlich, ohne groß darüber nachzudenken, streckte sie ihren rechten Arm aus, zielte und feuerte die Waffe ab. Wenige Stunden später stand sie neben Ellens Liege im Hangar, während das Shuttle landete, dass sie zur Erde bringen würde. Doktor Mayer war bei ihr und überprüfte, ob die Verbände gut saßen. Dann sprang ein Marine aus dem Shuttle und grüßte nickend. „Transport für Corporal Ellen Webber?“, fragte er und sah auf ein Datenpad. Doktor Mayer nickte und half ihm dabei, die Patientin in das Shuttle zu laden. Lauren stand einfach nur da und beobachtete die beiden. Sie fühlte sich schwach und leer und wollte einfach nur allein sein. Schließlich verschwand das Shuttle, und Doktor Mayer klopfte ihr sanft auf die Schulter. „Sie wird schon wieder. Alles wird gut.“ Lauren schüttelte nur den Kopf, ohne etwas zu erwidern. Nichts war gut. Sie wollte sich gerade abwenden und gehen, als ein weiteres Shuttle in den Hangar flog und zur Landung ansetzte. Irritiert blieb sie stehen und beobachtete, wie zwei Marines und ein Arzt ausstiegen. „Doktor Galler mein Name. Wir sind hier, um Corporal Ellen Webber abzuholen“, sagte der Arzt und schüttelte die Hand der verdutzten Doktor Mayer. „Wo finden wir die Patientin?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)