402 Jahre später von Futuhiro ================================================================================ Kapitel 1: "Aber du glaubst mir, ja?" ------------------------------------- Maya stopfte die Hände in die Jackentaschen und ging weiter. Er ignorierte den alten Geist mit den lückenhaften Zähnen und strähnigen Haaren, der leise heulend über ihm vorbeizog. Geister zu sehen war für ihn schon lange nichts ungewöhnliches mehr. Und irgendwie machte es das Leben zunehmend langweiliger. Er beherrschte inzwischen ein recht ordentliches Sortiment an magischem Können, und damit gingen automatisch gewisse übernatürliche Fähigkeiten wie das Sehen der Aura oder Geistern einher, ob er es wollte oder nicht. Aber natürlich konnte er das keinem sagen. Das hier war ein aufgeklärtes Zeitalter. Hätte er jemandem erzählt, daß er Geister sah, hätte man ihn in die Psychiatrie gesperrt. Hätte er jemandem gezeigt, daß er zaubern konnte, hätte man ihn für den Rest seines Lebens isoliert in irgendwelchen Hochsicherheits-Forschungslabors festgehalten. Er beherrschte Magie, durfte aber keinen davon wissen lassen. Es war wie das Wissen um eine Schatzkammer, die man nie betreten durfte, obwohl man den Schlüssel dazu schon in der Hand hielt. Es ödete Maya an, zu wissen, daß das Leben noch so viel mehr zu bieten hatte, er aber immer in der gemeinhin für real befundenen Welt feststecken würde. Seinem Geschichte-Studium maß er nicht mehr viel Bedeutung bei, er führte es lediglich fort, weil er sonst nichts besseres mit sich anzufangen wusste. Dem Magierzirkel von Professor Undo und Rubiko hatte er nur zwei Besuche abgestattet, um dann zu entscheiden, diesem nicht beizutreten. Die Hexen waren weit unter dem, was Shinda ihm inzwischen beigebracht hatte. Sie hatten ihm absolut nichts zu bieten, keiner von denen konnte ihm das Wasser reichen. Noch so ein Punkt, der Maya nervte. Zu wissen, daß er der einzige war. Maximal Shinda selbst hatte in Sachen Magie noch mehr auf dem Kasten als er selber, aber Shinda sah keine Veranlassung, mit Maya in irgendeiner Weise zu konkurrieren. Maya fehlte es an Herausforderung. „Huuuuuuuuuuhuuuuiiii.“, jaulte der Geist und begann den jungen Studenten zu umkreisen. „Geh weg, lästiger Nebelfetzen.“, nörgelte der Student. „Musst mir heeeeeeelfeeeeen!“ „Nein.“ „Musst mir heeeeeeelfeeeeeen!“ „Ich WERDE dir nicht helfen!“ „Weist doch gar nicht wobeeeeeeeiiiiiiiii.“, heulte der Geist. „Verschwinde, sag ich!“ Genervt ging Maya einen Schritt schneller. Er wollte gar nicht wissen, wobei er dem spukigen Gesellen helfen sollte. Geistern war nicht zu helfen. Sie verschwendeten allenfalls die Zeit der Lebenden. Er hatte noch nicht so richtig rausbekommen, woher Gespenster überhaupt wussten, daß er sie sehen konnte. Das konnten Menschen ja für gewöhnlich eigentlich nicht. Aber aus irgendeinem Grund zog er sie an wie ein Magnet. Zum Glück gab es nicht so viele von ihnen, daß man alle Nase lang über sie stolperte. Sie waren eher selten. „Huuuuuuuuuuuuuuh!“, jammerte der alte, durchsichtige Kerl weinerlich und umkreiste Maya weiter, wohl in dem Glauben, er könne ihn so umstimmen. Der Junge holte eine Pfeife aus seiner Jackentasche und blies darauf. Sie war magisch und erzeugte ein ekelhaftes Geräusch wie das Quietschen von Kreide auf einer Tafel. Maya hasste dieses Geräusch selbst, aber wenigstens hielt es ihm die nervigen toten Seelen vom Leib. Der Alte sauste auch sogleich wimmernd davon. „Uaaaah, Maya, wie oft muss ich dir noch sagen, daß du das lassen sollst?“ Shinda kämpfte sich durch ein Gestrüpp hindurch auf den Waldweg zurück. Er hatte im Wald Pilze suchen wollen, aber sein Einkaufskorb war noch auffallend leer. Logisch, es war Frühling. Maya hatte sich gar nicht erst mit ins Unterholz gestürzt, er spazierte nur auf den befestigten Wegen herum. „Tut mir leid. Ich vergesse immer, daß du das über so große Entfernung hörst.“ „Was ist passiert?“ „Nichts. Hab nur einen aufsässigen Geist verjagt.“ Der Dämon mit den wilden, schwarzen Haaren seufzte. „Ich muss dir echt mal was gegen diese Dinger beibringen. Deine Pfeife ist ja schön und gut, um Geister zu verscheuchen, aber du verrätst deine Position damit im Umkreis von etlichen Kilometern jedem, der es besser nicht wissen sollte.“ „Wem zum Beispiel?“ Mayas Laune hob sich wieder etwas, als er sich wieder in Gesellschaft seines dämonischen Kameraden wähnte. „Naja ... hier in Mitteleuropa gibt es zum Glück nicht allzu viel, wovor der gewöhnliche Mensch Angst haben müsste. Andere Dämonen und die Wurzelknilche interessieren sich nicht für euch. Aber in anderen Gegenden hättest du sofort eine Horde Werwölfe und Trolle am Hals. In Ägypten würdest du dir damit Sphinxen und Manticore einhandeln. Und oben im Norden Benchees, ganz miese Viecher.“ „Trolle.“, gab Maya ironisch zurück. „Ja, Trolle! Die Legenden kommen nicht von ungefähr, Trolle gibt es wirklich.“ Der Geschichte-Student winkte ab und schickte sich an, weiterzugehen. „Schon gut. Bring mir halt irgendwas bei, was die Pfeife ersetzt.“, lachte er. „Denkst du manchmal noch an Ying-Dai?“, wollte Maya gedankenversunken wissen, als er mit Shinda weiterging. „Ja, ab und zu schon. Ich rechne oft damit, um irgendeine Hausecke zu laufen und ihm plötzlich gegenüber zu stehen. Manchmal laufe ich ziellos draußen rum und suche ihn regelrecht. Aber er ist einfach nie da.“ „Vermisst du ihn?“ „Nicht wirklich. Ich habe auch nicht den Drang, mit ihm zu gehen. Aber ich hätte gern ein klärendes Gespräch mit ihm geführt, ohne daß er dabei versucht, irgendwen umzubringen. Da ist so viel, was ich ihn gern fragen würde. ... Wie steht es mit dir?“ Maya seufzte. „Ähnlich. Er geht mir oft tagelang nicht aus dem Kopf. Er hat ja selbst gesagt, daß er weiterhin ein Auge auf uns haben würde und dich holen will.“ ** „Teresa, du siehst furchtbar aus. Wirst du krank?“, wollte Liam wissen, als er seine Kommilitonin eine Woche später wiedertraf. Terry schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ich hab nur schlecht geschlafen.“ „So wie du aussiehst, hast du seit Tagen GAR NICHT mehr geschlafen.“ „Ja, so kann man´s auch sagen.“ Liam maß sie mit abschätzendem Blick. „Ist alles okay bei dir? Hast du Probleme?“ Er machte sich wirklich Sorgen um sie. Teresa war zwar nicht seine Freundin, aber schon irgendwas kurz davor. Sie verbrachten viel Zeit zusammen und sie bedeutete ihm eine Menge. Eigentlich fehlte es nur noch an der offiziellen Frage, ob sie mit ihm gehen wolle. Bisher hatte er sich aber noch nicht getraut. Terry wog kurz nachdenklich den Kopf hin und her. „Nein. Das ist nichts. Es ist total verrückt, aber nur eine Phase, das geht wieder vorbei.“ „Sag es mir.“ „Nein. Du wirst mich für übergeschnappt halten.“ „Ja, so fertig wie du aussiehst, definitiv!“ Terry seufzte. „Glaubst du an Dämonen?“, fragte sie dann gerade heraus. Liam verengte die Augen. „Ja.“, gab er ernsthaft zurück. „Aber warum zum Henker glaubst DU an sowas?“ „Wie, du glaubst an sie?“ „Ich bin einem Kerl begegnet, von dem ich mir relativ sicher bin, daß er zumindest kein Mensch war.“ Terry schaute sich erschrocken auf dem Hof der Universität um, ob auch niemand mithörte. „Du hast einen gesehen?“, hakte sie dann nach, als sie sicher war, daß sich niemand in Hörweite befand. „Du musst mir davon erzählen!“ Liam schaute zu Boden, halb weil er überlegen musste wie er am besten anfangen sollte, halb weil er sich dafür schämte. Sicher war es jetzt an Terry, ihn für verrückt zu halten. Das war schon so lange her, er konnte kaum noch sagen, was davon er wirklich erlebt hatte und was er sich nur zusammensponn. „Es gibt hier an der Uni einen Typen, er heißt Maya, du wirst ihn sicherlich nicht kennen. Es war vor zwei Jahren. Ich war damals noch mit Duncan in dieser Boxer-Gang, du weist schon, und wir haben Maya regelmäßig verprügelt. Haben ihm Geld abgeknöpft, oder die Hausaufgaben. Er war ein leichtes Opfer. Eines Tages brachte Maya diesen ... Kerl ... mit zur Uni.“, betonte Liam, weil ihm kein passenderes Wort einfallen wollte, das dennoch den Tatsachen entsprach. „So ein Gothic-Freak mit schwarzen Klamotten, roten Kontaktlinsen und Tätowierung im Gesicht, der Maya den ganzen Tag lang nachgelaufen ist und in den Vorlesungen nur geschlafen hat. Ich schätze, Maya wusste einfach nicht wohin mit ihm, und hat ihn deshalb mit zur Uni gebracht. An diesem Tag haben wir Maya wieder aufgelauert. Wir wollten ihn und seinen Gothic-Kumpel ein bischen verprügeln, und wissen, wer der Typ ist. Und der Kerl hat uns einfach nur in Grund und Boden gestampft, obwohl wir zu sechst waren. Er hat Duncan den Arm gebrochen, Hiller ein paar Zähne ausgeschlagen, Jim mit den Fingernägeln halb zerfleischt, ich war wochenlang grün und blau ... ich schwöre dir, er hatte rot leuchtende Augen und Eckzähne wie ein Vampir und er ist geflogen!“ Liam atmete tief durch, um sich nicht zu übereifern. „Naja, die leuchtenden Augen und daß er fliegen konnte, hab ich mir vielleicht auch nur eingebildet. Es war dunkel und ich war starr vor Entsetzen. Aber Fakt ist, er hat sechs ausgebildete Boxer zusammengeschlagen, einfach so. Seine Kraft war übermenschlich. Der Typ WAR kein Mensch, da bin ich sicher. Maya hat ihn am nächsten Tag wieder mit zur Uni gebracht, aber nur kurz, und danach nie wieder. Ich konnte ihn mir nicht nochmal genauer ansehen. Wir haben auch innerhalb unserer Boxer-Gang nie wieder ein Wort darüber verloren. Ich weis nicht, was die anderen darüber dachten. Aber von denen ist auch keiner mehr hier an der Uni, wir können sie also nicht mehr danach fragen.“ Terry nickte gedankenversunken. Rote Augen und lange, spitze Eckzähne also. „Aber Duncan und die anderen haben ihn auch gesehen, oder?“ „Verdammt, ja. Der Typ hat sie ja nach allen Regeln der Kunst aufgemischt!“ „Ich muss mit diesem Maya sprechen.“, meinte Terry in einem Tonfall, der schon ganz nach beschlossener Sache klang. „Kannst du ihn mir zeigen?“ „Erst wenn du mir sagst, was los ist!“ „Du kannst es dir anhören, wenn ich es diesem Maya erzähle.“, entschied das rothaarige Mädchen und rauschte Richtung Kantine davon. „Hi, bist du Maya?“ Maya sah von seiner Leber mit Kartoffelbrei auf und bedachte das Mädchen vor sich überrascht. Sie hatte kupferrote Locken, braune Augen hinter einer schwarzen Brille und trug schlichte Jeans und Pullover. Sonderlich schön war sie nicht, was aber nicht nur ihren übernächtigten Augenringen geschuldet war. Ihre Aura hatte matte, schmutzige Farben und zeugte von einer ungesunden Ernährung. Oder zu wenig Schlaf. Wohl einer Mischung aus beidem, entschied Maya. Jedenfalls kannte er das Mädchen nicht. War wohl Studentin hier, wie er selber. Begleitet wurde sie von einem genervt-verunsicherten Kerl, den Maya noch aus Duncans Boxclub kannte. Hieß er Liam? Seit Shinda die Boxer fertig gemacht hatte, hatte er sich um diese Typen keinen Kopf mehr machen müssen. „Ja, ich bin Maya. Wer will das wissen?“, gab er gleichmütig zurück und schob sich eine weitere Gabel Kartoffelbrei in den Mund. „Ich heiße Teresa. Man sagte mir, du wüsstest mehr über Dämonen als jeder andere.“ Maya Blick schwänkte amüsiert zu Liam hinüber. „Wer sagt denn sowas?“ „Bitte. Ich brauche deine Hilfe. Mir ist was ganz komisches passiert. Du musst mir sagen was du davon hältst.“, beharrte Terry. „Ich kann nicht behaupten, irgendwas über Dämonen oder andere paranormale Phänomene zu wissen. Aber wenn du meinst, dann setz dich. Erzähl mir was passiert ist.“, entschied Maya und widmete sich wieder seinem Essen. Momentan sah er noch keine Veranlassung, dieses verschreckte Reh ernst zu nehmen. Sie hatte sich bestimmt nur vor einer Maus bei Nacht erschreckt. Das war wieder typisch. Wenn die Schläger mit Muskelkraft nicht weiterkamen, dann stiegen plötzlich die Jungs mit Köpfchen in der Beliebtheitsskala. „Ich wurde letzte Woche in der Bibliothek von einem ... Wesen ... Ding ... was auch immer behelligt. Ich bin sicher, es war ein Dämon!“ „Wie, in der Bibliothek? Als du so komisch drauf warst? Wieso hast du nichts gesagt?“, schaltete sich sofort Liam ein. „Du hast es ja nicht gesehen! Was hätte ich denn sagen sollen?“ „Wieso hast du es mir nicht gezeigt?“ „Weil du es nicht sehen konntest! Du standest keinen Meter davon entfernt. Aber du hast es einfach nicht gesehen. Es war wie unsichtbar für dich!“ „Kriegt euch mal wieder ein.“, stöhnte Maya genervt. War er hier als Dämonologe oder als Beziehungspsychologe konsultiert worden? „Wie hat das Wesen denn ausgesehen, Teresa?“ „Es war ein junger Mann mit schwarzen Haaren, roten Augen, spitzen Eckzähnen und in schwarzer Lederkluft.“ Maya schlief das Gesicht ein. Shinda! „Sekunde mal. Der Gothic-Freak, dein Freund da, sah der nicht auch so aus?“, stellte auch Liam sofort gedankenschnell fest. „Schwarze Haare?“, hakte er nach. „Ja, so furchtbar verwuschelte, schwarze ... so eine Sturmfrisur!“ Terry fuchtelte mit den Händen über ihrem Kopf herum, um zu verdeutlichen, was sie meinte. „Und er hatte große Fledermausflügel.“ Okay, mit Flügeln hatte er Shinda noch nicht gesehen. Und das er sich unsichtbar machen konnte, noch dazu nicht für alle Menschen gleichzeitig, wäre auch neu. Aber das musste ja alles nichts heißen. Dämonen wurden in den einschlägigen Fachbüchern durchaus gern mal geflügelt dargestellt und sicher hatten sie noch so einige Ässer im Ärmel. „Was hast du noch beobachtet? Hatte er Abzeichen, oder irgendwelche Kennzeichnungen?“ „Du meinst sowas wie eine Tätowierung im Gesicht?“, warf wieder Liam ein. Maya warf ihm einen strafenden Blick zu und ignorierte ihn dann. „Tätowierungen? Nein, hab ich keine gesehen.“, überlegte Terry. „Aber er hat sich verwandelt. Er ist mir erst als eine Art Fledermaus oder sowas um den Kopf geschwirrt, bevor er sich als Mensch gezeigt hat.“ Maya überlegte hin und her, kam aber zu keinem rechten Ergebnis. Er musste wohl oder übel mit Shinda darüber sprechen. „Hat er dir was getan?“ „Nein, er hat nur dagestanden und blöd gegrinst.“ „Hast du ihn seither nochmal gesehen?“ „Nein.“ „Gut, ich mach mich mal schlau über deinen Witzbold. Lass uns uns morgen Mittag wieder hier in der Kantine treffen.“, beschloss Maya. „War das dein komischer Gothic-Freund?“, wollte Liam sauer wissen. Es schien, als wolle er Maya gleich am Kragen über den Tisch zerren, weil irgendjemand sein Mädchen angebaggert hatte. Gehirnloser Schwachmat. „Mein Kumpel ist ein ganz gewöhnlicher Mensch, du Idiot.“, beharrte Maya. Auch nach zwei Jahren war er überaus bedacht darauf, daß Shindas wahre Identität nicht heraus kam. Wer weis, wer alles ein Interesse an ihm gehabt hätte. Welcher Natur dieses Interesse auch immer sein mochte. „Kommt morgen wieder!“, wies er die beiden an, was eigentlich der Befehl war, endlich zu verschwinden. „Aber du glaubst mir, ja?“, wollte Teresa noch wissen. „Ja, ich glaube dir. Aber ich kann derzeit nur mutmaßen, was das für ein Ding war. Ich muss einfach noch ein paar Erkundigungen einziehen. So aus der Kalten kann ich dir leider erstmal nicht helfen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)