Die Trauerfeier von Veboshi ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Es war kalt. Auf den Strassen lag der vom Auspuffgas der vorbeirauschenden Autos geschwärzte Schnee. Ein Mann streifte einsam am Strassenrand entlang, seinen Hut tief in das Gesicht gezogen, den Mantel fest um ihn geschlungen, die Hände unter den Armbeugen eingeklemmt, schützend vor der Kälte. Zähneklappernd kommt er an seiner Haustür an, klaubt den eisigen Schlüssel aus der Manteltasche und schliesst auf. Drinnen lässt er sich auf einen Couchsessel fallen und reibt sich die Augen. Die Müdigkeit droht ihn zu übermannen. Seit dem Morgengrauen war er auf Trab, ging zur Arbeit, am Nachmittag dann wurde ihm Freigegeben, da einer seiner Angehörigen verstorben war. Er sah sich jetzt noch dort, auf dem Friedhof, umringt vom Leid dutzender Menschen, der Trauerrede des Pfarrers lauschend. Alles war schwarz, die Kleidung der Leute, die Bäume, der Sarg, selbst der Tag, obwohl so viel Schnee lag, war schwarz. Der Himmel, wolkenbehangen wie er war, verschluckte alles Sonnenlicht, das auf der anderen Seite noch so hell scheinen mochte. Ausserdem lag der Friedhof so nah bei der Kirche und war von so vielen Bäumen umgeben, dass Schatten herrschte ohne die nötige Lichtzufuhr, die er eigentlich gebraucht hätte, um zu entstehen. Dem Mann Zuhause im Sessel fröstelte selbst jetzt noch bei diesen Gedanken. Dann all diese betrübten Gesichter. Niemand sprach, alle senkten andächtig die Köpfe, ja manche beugten sich sogar ein wenig, da ihnen die Trauer so sehr auf den Schultern lastete. Auch er senkte den Kopf, verschränkte die Hände ineinander und trotz der Kälte regte er sich nicht, denn dies war ein Moment, dem man Respekt zollen musste. Danach gingen sie in die Kirche. Der Pfarrer erzählte von der Macht Gottes, dem Himmel, der Erlösung. Er sprach den Leuten Trost zu, pflanzte wieder etwas Wärme in ihre Herzen. Danach wurden die direkten Verwandten des Verstorbenen nach vorne gebeten. Sie erzählten liebevoll von seinen Grosstaten, betonten seine Herzensgüte und dankten für die wunderbare Zeit, die sie mit ihm erleben durften. Danach war die Trauerzeremonie zu Ende und die meisten schwärmten zur Kirchenpforte hinaus, unterhielten sich im Gehen, wollten so schnell wie möglich nach Hause in die Wärme. Einige andere blieben stehen, erzählten sich noch Ungesagtes. Jemand lachte. Als er an diesen Moment zurück dachte, wie er das fröhliche, wirklich glückliche Lachen hörte, das mitten unter diesen melancholischen Menschen erschallte, zuckten seine Mundwinkel unwillkürlich. Es war einfach zu kurios, diese Fröhlichkeit mitten in einem Meer von Trauernden. Er sah sich auf dem Platz vor der Kirche um und entdeckte eine jüngere Frau. Auch andere sahen sich nach ihr um, einige empört, manche überrascht, wieder anderen stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, beim Anblick dieses erheiterten Menschen. Die Frau bemerkte, dass sie etwas Unangebrachtes getan hatte und hielt sich - zwar immer noch lachend aber etwas beschämt - die Hände vor ihren Mund, wie um ihr lautes Lachen wieder zurück zu nehmen. Dann machte sie einige komische Gesten mit den Händen, welche die Person ihr gegenüber erwiderte. Da wurde dem Mann bewusst, dass sie Taubstumm war. Immer noch ganz belustigt, gestikulierte sie weiter und auch ihr Gegenüber grinste, auch wenn er noch beschämter wirkte als sie. Ihr Beobachter irritierte das. Wie um alles in der Welt kann man auf einer Trauerfeier glücklich sein? Er fasste sich ein Herz und ging auf die beiden zu. Er wollte einfach wissen, was da vorging. So unauffällig wie möglich stellte er sich in Hörweite. Aber die Frau drehte sich zu ihm um, was ihn überraschte, denn er war ausserhalb ihres Blickwinkels und da sie ja taubstumm war, hätte sie ihn nicht hören dürfen. "Sie wünschen?", fragte sie ihn. Ganz normal, wie jeder andere Mensch es auch getan hatte, trotzdem erschreckte er sich. Da wurde ihm aber klar, dass sie nicht taubstumm war, sondern nur der Junge ihr gegenüber. Trotzdem formulierte er seine Frage etwas stockend; wie sie auf einer Trauerfeier denn lachen könne. Da sah sie ihn verschmitzt an und antwortete - gestikulierend, so dass es auch der Taubstumme sie verstehen konnte - ganz keck: „Na ich mache den Mund auf und lasse Töne heraus, die man in unserer Sprache ‚Lachen‘ nennt.“ Da lachte sie schon wieder. Nun wurde er ziemlich wütend. Wie konnte sie ihn nicht ernst nehmen? Nahm sie denn überhaupt die ganze Beerdigung, den Tod eines geliebten Menschen nicht ernst? Sie bemerkte seine Aufregung und so antwortete sie noch einmal, etwas ruhiger: „Es ist nicht so, dass mich der Tod von Onkel Tibo nicht getroffen hätte. Mein Bruder hier“, sie deutete auf den Jungen, der ihr gegenüberstand, „ und ich unterhielten uns gerade über ihn. Dabei erinnerten wir uns an ein besonders schönes, lustiges Ereignis mit ihm. Deshalb mussten wir lachen.“, sie lächelte entschuldigend, was ihn etwas beruhigte. „Trotzdem. Diese Geschichten könnt ihr euch doch auch zu Hause erzählen.“, meinte er. „Hier ist ein Ort der Trauer.“ „Stimmt, einem Toten gedenkt man mit Trauer, das zeigt den Respekt den wir ihm erweisen“, sagte sie und nickte. Dann fügte sie aber im Flüsterton hinzu: „Aber wissen sie was? Ich glaube, er wäre bestimmt glücklicher gewesen, wenn wir hier alle froh wären.“ Als er sie darauf entgeistert anstarrte, zuckten ihre Mundwinkel etwas. Trotzdem fuhr sie mit ernster Stimme fort: „Unser Onkel war ein sehr lustiger, offener Mensch. Er genoss jeden Augenblick seines Lebens. Er starb glücklich in seinem Bett an Altersschwäche und hatte nicht grosse Angst vor dem Tod. Eher war er aufgeregt, ich sah es seinen Augen an. Deshalb bin ich jetzt auch nicht besonders traurig.“ Dies liess ihn überlegen. Was sie da sagte macht Sinn. Warum war er eigentlich so traurig? War es, weil er nie mehr das Lachen von Tibo hören wird (dem das seiner Nichte im Übrigen in Nichts nachstand) oder die Tatsache, dass ein Lebewesen die Erde verlassen musste? Darüber grübelte er auch jetzt in seinem Sessel nach und dabei schossen wieder die Worte der jungen Frau durch seinen Kopf: „Ich habe ihn geliebt. Und gerade weil ich ihn geliebt habe, trauere ich nicht um ihn, sondern freue mich für ihn, dass er so ein toller Mensch war und ein langes, meist glückliches Leben hatte.“ Und hinzugefügt hatte sie noch: „Sehen sie all diese Menschen an, die hier her gekommen sind. Das zeugt doch nur schon davon, dass er ein schönes Leben hatte, mit so vielen Freunden und Bekannten. Wären nicht einmal halb so viele gekommen, dann hätte er mir leid getan. Aber als lebendiger Mensch, denn er hätte ohne Liebe leben müssen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)