Der Weg aus dem Kampf von Shirokko (Wenn Träume Berge versetzen) ================================================================================ Kapitel 46: Feuertaufe ---------------------- Kapitel 46 Feuertaufe Und dann stand Lesley eines Tages vor ihnen, in seinem Rücken sein riesenhafter Drache Hondaran und lächelte sie stolz an. „Ihr seid fertig. Klar, ihr müsst noch üben – Mimoun in den geistigen Fähigkeiten und an seiner Etikette, Dhaôma an seiner Kampflust und Strategiedenken – aber ich denke, ihr könnt jetzt dort weitermachen, wo ihr aufgehört habt, bevor dazu kein Grund mehr besteht. Fliegt zu den Hanebito und informiert euch über die Zustände der Kämpfe, dann überlegt gut, was ihr tun könnt, bevor ihr euch in Gefahren stürzt.“ So etwas Ähnliches hatte Addar damals auch gesagt, dachte Mimoun, bevor er irritiert die Stirn runzelte. „Wir sind fertig?“, fragte er sicherheitshalber noch einmal nach, nachdem er sich die Worte noch einmal durch den Kopf hatte gehen lassen. „Das Training ist beendet und wir dürfen die Insel wieder verlassen? Ich dachte, das entscheidet die Mutter.“ Schmunzelnd zuckte der Alte mit den Achseln. „Mein Training ist beendet und ihr könnt ja sehen, ob ihr aufgehalten werdet, wenn ihr die Insel wieder verlassen wollt. Aber es wird bald Herbst auf der Erde und für euch wird es Zeit. Ihr werdet gebraucht.“ „Ist es so schlimm geworden?“, fragte Dhaôma dunkel. „Schlimm ist vielleicht das falsche Wort. Zur Zeit herrscht so etwas wie Waffenstillstand, weil zu viele gefallen sind, aber das wird sich ändern, denn der Zirkel der Geteilten Geister wird langsam ungeduldig.“ Er lächelte. „Jetzt bleibt euch noch eines zu tun. Ihr müsst die Glocke schlagen, dann gehen.“ „Etwa die große Glocke aus den Legenden, die man überall auf der Welt hören kann?“, fragte Dhaôma begeistert. „Es ist so eine Art Kriegserklärung.“, nickte Lesley. „Ich habe euch ein wenig Proviant zusammengepackt, wenn ihr wollt, könnt ihr heute noch gehen.“ Fragend sah Dhaôma seinen schwarzhaarigen Freund an. Er wollte. Wenn gerade Waffenstillstand war, dann konnte man das vielleicht nutzen. Und ihnen blieb noch der Herbst, um etwas zu erreichen. „Gehen wir?“ Mimoun reagierte anfangs nicht auf diese Frage. Stattdessen sah er sich lange und schweigend in der Umgebung um, dachte an den Frieden in der leeren Stadt. Es war nicht schlimm. Auf einen Tag mehr oder weniger kam es für den Geflügelten nicht an. Ein Tag voller Ruhe und Entspannung, bevor sie sich wieder in den Krieg stürzten. Aber er konnte es an Dhaômas Blick erkennen: den Wunsch zu gehen, alles zu beenden. Mit einem leicht wehmütigen Lächeln nickte er schließlich zum Zeichen seines Einverständnisses. „Gehen wir.“ Lesley führte sie ins Zentrum des innersten Ringes, den sie bisher nicht hatten betreten dürfen. Leicht erhöht auf einem Hügel rankte sich ein schneeweißer Turm empor, völlig frei von Pflanzen oder Beschädigungen, so dass sämtliche Details der verzierten Außenmauern deutlich zu erkennen waren. Feuer-, Erd- und Wasserdrachen, die die unterste Ebene bevölkerten, Luftdrachen, die zu den höheren Etagen aufstrebten. Zwei geflügelte Drachen mit gespannten Schwingen aus demselben hellen Material des Turmes bildeten die Wächter des Eingangs. Ihre aus roten Edelsteinen geformten Augen schienen jede ihrer Bewegungen zu registrieren und ihnen zu folgen. Lulanivilay passte nicht durch den Eingang, so dass nur Tyiasur die drei Nichtdrachen auf ihrem Weg in die Turmspitze begleitete. Aber er beschrieb ihrem zurückgebliebenen Freund ausführlich jedes Detail. Die Wendeltreppe war breit und leicht zu besteigen. Sie führte an der Außenwand entlang. Vom Boden des Turmes, auf dem dasselbe Mosaik wie in dem Lehrraum abgebildet war, konnte man bis fast nach oben sehen. Überall in der Wand waren kleine Löcher, die Licht herein ließen und von außen nicht zu erkennen waren. Diverse, geschickt angebrachte Spiegel sorgten für genügend Helligkeit. Auf der Treppe konnte man gut nebeneinander laufen, ohne befürchten zu müssen durch das fehlende Geländer in die Tiefe zu stürzen. Auch im Turm zogen sich Fresken und Gemälde die Wände entlang bis in die Spitze. Es war wie eine Reise durch die Zeit. Die Geschichte der Drachenreiter. Diese hatten die beiden Jungen bis zum Erbrechen durchkauen dürfen. Der eine mehr, der andere weniger begeistert. Es nun hier in Farbe und Bild zu sehen, machte es greifbarer. Immer weiter hinauf ging es, bis sie auf eine Galerie kamen, von der aus man die Glocke berühren konnte. Die ganze Zeit über hatten sie gedacht, es wäre schon die Decke, aber nun, da sie die Glocke sahen, wussten sie, dass sie noch nicht ganz oben waren. Die Glocke war aus Gold und mit verschiedenen farbigen Metallen eingelassen, so dass die Oberfläche zwar glatt und eben war, aber dennoch verschlungene Zeichnungen Geschichten von Drachen, Pflanzen und den unterschiedlichsten humanoiden Wesen erzählte. Und sie war unfassbar groß. Drei Schritt hatte sie im Durchmesser, vier Schritt war sie hoch, der bauchige Schwung öffnete sich nach unten hin ein wenig, um einen optimalen Klang zu gewährleisten. Allein die Aufhängung bestand ganz offensichtlich aus Magie, sonst hätte dieser mickrige Balken das Gewicht kaum halten können. „Also dann.“, durchbrach Lesley die staunende Stille der beiden jungen Männer. „Läutet sie. Jeder sieben Mal.“ „Wie soll das gehen?“, fragte Dhaôma, bemühte sich, seine Sprache wieder zu finden. Wie sollte er an das Seil an dem Schlägel innerhalb der Glocke kommen? „Fällt dir da nichts ein?“ Mimoun könnte ihn tragen, aber das war sicherlich nicht das richtige. „Darf ich Magie benutzen?“ „Sicher.“, zuckte der Alte mit den Schultern. Dann seufzte er. „Wisst ihr, es hat Spaß gemacht mit euch beiden. Jetzt werde ich wieder einige Zeit alleine sein. Aber ich freue mich darauf, dass ihr die Quälgeister mitbringt, dann habe ich wieder etwas zu tun.“ „Die Quälgeister?“ Irritiert runzelte der Magier die Stirn, dann lächelte er. „Haru und die anderen? Sie wollten ja mit.“ „Natürlich müssen sie sich bewähren.“ „Und wie?“ „Euch fällt schon was ein. Ihr seid nun Drachenreiter. Damit seid ihr befugt, neue Drachenreiter auszuwählen. Und solange sie friedliebend sind, sind sie qualifiziert. Macht es ihnen nur nicht zu einfach.“ Er lächelte breit. „Und nun, schlagt die Glocke. Verkündet dem Rest der Welt, dass eine neue Generation Drachenreiter geboren wurde. Danach müsst ihr aufbrechen. Wir sehen uns wahrscheinlich in ein, zwei Jahren wieder. Bleibt bis dahin gesund und munter.“ Er legte jedem eine Hand auf die Schulter, dann schob er sie ein wenig nach vorne. Dhaôma machte den Anfang. Mit dem Samen einer Liane erreichte er das Seil der Glocke und zog kräftig daran, siebenmal an der Zahl. Der Ton ging ihm durch Mark und Bein, erschütterte seinen ganzen Körper und klang vielstimmig in seinem Kopf wider. Was für eine Melodie! Es war, als wäre diese Melodie ein Inbegriff seiner Selbst, als würde sie ihn beschreiben, ihn offen legen, ihn ankündigen und definieren. Harmonisch, zielstrebig und nachgiebig weich erfüllte sie die ganze Luft um ihn herum. Komplett erfüllt von den Emotionen färbten sich seine Wangen rot, während seine Hände zitterten. Er war jetzt ein echter Drachenreiter. Der Traum seiner Kindheit hatte sich erfüllt, der erste große Schritt auf dem Weg zu seinem jetzigen Traum war getan! „Was für eine friedliche Melodie.“, murmelte Lesley und lächelte in sich hinein. Er hatte so etwas schon erwartet. Bei Mimoun würde die Glocke anders sein, ganz bestimmt, würde sie von Kraft und Mut sprechen, von Treue… Die Melodie der Glocke änderte sich. Als der Geflügelte sie schlug, wurde der Ton tiefer, dunkler. Aus ihm sprachen Ruhe und Vertrauen, zeugte aber auch von ungebändigter Kraft. Mimoun zog sich auf die Galerie zurück und lauschte mit geschlossenen Augen dem Geräusch. Ein Ruck ging durch seinen Arm, als der Alte daran zog. „Hört auf zu träumen und verschwindet endlich.“ Trotz der beinahe harschen Worte umarmte der junge Mann seinen alten Lehrmeister lange. „Wir kommen garantiert wieder. Halt dich solange aus der Zeit fern.“, schmunzelte Mimoun und ließ seinem Freund nur einen kurzen Moment, sich ebenfalls zu verabschieden, bevor er seine Hüfte umschlang und vom Turm sprang. In der Luft reichte er den Magier an Lulanivilay weiter und strebte dann dem Sturm zu, der die Insel von der Außenwelt abschottete. Es fiel ihm nicht schwer, mit dem größeren Wesen mitzuhalten. Auf diesem Weg kamen sie auch an dem See vorbei. Die Wasserwand, die sich urplötzlich vor ihnen aufbaute, versperrte ihnen diese Richtung aber. Dahinter sahen sie Hondarans riesige Gestalt aufragen. Dhaômas Drache musste abdrehen, während Mimoun seine Magie nutzte, um hindurchzupreschen. „Was soll das?“, verlangte er zu erfahren, erhielt aber keine hilfreiche Antwort. „Beweist euch.“, hörte er in seinem Kopf und schon begann der Drache abzutauchen, ohne die Wasserwand abzubauen. Der Geflügelte schwenkte einmal herum und warf sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf das Auge seines Freundes. Ein Lachen war die einzige Reaktion. Und dann fiel das Wasser zusammen. „Kommt bald wieder. Lesley mochte eure Gesellschaft.“, bat Hondaran und Mimoun nickte. „Und du pass auf den alten Knochen auf.“ „Mach’s gut!“, rief auch Dhaôma und winkte, dann wurde es plötzlich turbulent, als ein paar Flugdrachen auf sie losgingen. Niemals hatten sie sich so kämpferisch gegeben, hatten sie meistens eher nicht beachtet, aber jetzt blitzten ihre Augen. Sie versuchten, an Dhaôma heranzukommen, und griffen Mimoun an, der der Masse kaum etwas entgegenzusetzen hatten. Dann fegte ein Windstoß über sie hinweg und hätte Lulanivilay fast aus der Luft geholt. Nur mit einer seitlichen Rolle konnte er sich wieder abfangen, was Dhaôma fast alle Kraft abverlangte, um sich zu halten. Langsam begann er zu begreifen, was Lesley gemeint hatte. Die Glocke war eine Art Kriegserklärung? Ja, denn offenbar war sie ein Aufruf an die Drachen, ihnen die Feuertaufe zu geben. Halleluja! Wie sollten sie von der Insel herunterkommen, ohne verletzt zu werden? „Lulanivilay! Flieg höher, ja? Oben können uns wenigstens nicht die Drachen erreichen, die am Boden sind.“ „Glaub das nicht, Freiheit.“, antwortete sein Freund. „Sie können zielen.“ Der Beweis flog gerade in Form eines riesigen Felsens knapp an ihnen vorbei. „Ai, das ist ja gemeingefährlich.“, stöhnte Dhaôma und sah sich nach Mimoun um, der gerade Slalom um einige Feuersäulen flog. Lulanivilay könnte einfach hindurch fliegen, wenn er selbst nicht wäre – er hatte gesehen, dass große Hitze dem Drachen nicht schadete. Jetzt aber, stoppte er mit ein paar kräftigen Flügelschlägen mitten in der Luft, um höher zu steigen, wie Dhaôma es sich gewünscht hatte. „Mimoun!“, rief währenddessen der Braunhaarige und ließ die Kunststückchen seines Freundes keinen Moment aus den Augen. „Hast du eine Idee? Bis zum Rand ist es noch eine ziemliche Strecke!“ Ein großer roter Drache zischte über ihn hinweg und versuchte nach ihm zu greifen. Mehr aus Reflex denn aus Willen duckte er sich gerade noch rechtzeitig und musste sich im nächsten Augenblick mit aller Macht festklammern, als Lulanivilay mit den Klauen gegen einen ebenbürtig großen Drachen anging. Sein markerschütterndes Brüllen donnerte durch die Luft, betäubte Dhaômas Ohren und jagte einige kleinere Drachen in die Flucht. Er war so froh über das Geschirr, an dem er sich festhalten konnte. „Freiheit, rufe Regen!“ Nickend konzentrierte sich der junge Magier und Wolken ballten sich über ihnen zusammen. Es ging derartig schnell, dass kaum jemand wirklich damit rechnete, denn Lulanivilays Hilfe war unkontrolliert, da er abgelenkt war. „Himmel, komm unter mich!“, gab der große, rotgrüne Drache Anweisungen, als der erste Donner krachte und Blitze zu zucken begannen. „Mimoun!“, rief nun auch Dhaôma. Auch er wusste, dass ein echter Platzregen dessen Magie gefährdete. Der Ruf erreichte ihn, doch es fiel ihm schwer, darauf zu reagieren. Der Geflügelte hatte einem Drachen nicht mehr ausweichen können und befand sich nun in direktem Kampf mit ihm. Knurrend krallte er sich am Hals des Größeren fest. Seine Krallen fanden nur da Halt, wo die Schuppen übereinander lagen, und selbst da kam er nur schwer an das verwundbare Fleisch darunter. Zeitgleich musste er den scharfen Krallen ausweichen, die ihn von seinem Platz vertreiben wollten, und den Zähnen, als der Kopf sich nach hinten bog. Tyiasur löste sich von seinem Reiter und biss dem Silbergrauen in das fransige Ohr, schlängelte sich weiter den Kopf entlang und malträtierte die empfindliche Nase des Ungetüms. Wütend fauchend machte der Winzling seinem Unmut über die Situation kund, dicht gefolgt von einem erneuten Krachen innerhalb der zusammengeballten Wolken. Erste Tropfen lösten sich daraus und Mimoun schüttelte grimmig den Kopf. „Entschuldige.“, sagte er zu seinem Gegner und zog sich auf dessen stacheligen Rücken hoch. Dieser schlug wilde Kapriolen und schaffte es, den kleinen Wasserdrachen loszuwerden. Weit wurde Tyiasur durch die Luft geschleudert, dabei war die feuchtigkeitsschwangere Umgebung für diesen die ideale Flugbedingung. Als die Rollen des großen Drachens den lästigen Störenfried auf seinem Rücken nicht verschwinden ließen, ruckte der gewaltige Kopf wieder herum und versuchte ihn zu beißen. Ein beherzter Griff in die Stacheln knapp hinter dem Nacken verringerte dessen Reichweite enorm. Mimoun sah sich nach Dhaôma und Lulanivilay um, sah aber keine Möglichkeit, jetzt noch zu ihnen zu kommen. Nur sein Drache verbiss sich wieder im Ohr von Mimouns neuem Reittier. „Vilay. Wir müssen zurück. Mimoun kommt nicht mit.“ Der Drache hatte gerade damit zu tun, gegen ein paar Dutzend Himmelsgeister zu kämpfen, lästige handgroße Drachen, die winzige Elementstöße verursachten, aber er sah dennoch hinüber und verstand. Mit einem weiteren ohrenbetäubenden Brüllen drehte er bei und flog direkt auf Mimoun zu. Mit den Vorderläufen griff er nach dem Drachen, mit dem dieser rang, der entsetzt aufquiekte und floh. „Mimoun, lass los!“ Hätte sich Dhaôma nur ein wenig mehr auf die Umgebung konzentriert, wäre ihm sicher aufgefallen, dass die Drachen sich formierten, so aber sah er sich ein paar Augenblick später einer Übermacht entgegen, die offenbar vorhatte, diesen Kampf mit Magie zu gewinnen. „Ai jaaa.“, stöhnte der junge Mann und presste seine Beine warnend gegen Lulanivilays Schultern. „Was nun? Jemand einen Plan?“ Mimoun löste sich von seinem unfreiwilligen Reittier und schloss sich wieder seinen Freunden an. Seinen Drachen packte er einfach und zog ihn von dem Ohr. Da dieser nicht losließ, riss er ein Stück davon ab. Der kleine Wasserdrache war ernsthaft sauer. Während sich Mimoun erleichtert durchatmend an den Bauch Lulanivilays hing, schoss der Blauling an dem Drachenbein empor, fegte über das Bein des Magiers und den Hals des Grünen hinauf und platzierte sich auf dessen Stirn. Wütend fauchte er die Angreifer an und plusterte sich auf. Fast gleichzeitig erloschen die Feuersäulen und die Windböen verebbten. Vereinzelte Felsbrocken krachten ohne Ziel und Kontrolle wieder zu Boden. Selbst einige fliegende Drachen strauchelten und gingen tiefer. Selbst der gerufene Regenguss verweigerte sein Erscheinen, obwohl es noch immer donnerte und krachte und stürmte. „Was ist denn jetzt los?“, fragte Dhaôma ängstlich. Sein Rücken und seine Schultern juckten unerträglich, selbst seine Wangen und die Arme ein wenig. Es war fast, als drücke irgendetwas dagegen und enge ihn ein. „Vilay? Lulanivilay?“ „Beruhige dich, Freiheit.“, erklang es wie immer neutral in seinem Kopf. „Ihre Verwirrung nutzt uns.“ Auch Lulanivilay spürte den Druck auf seine Magie, aber er ließ sich davon nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Er hatte das schon früher gefühlt und wusste, dass es irgendwann von alleine wegging. „Mimoun?“ Suchend sah Dhaôma sich um. „Er hängt an mir. Wir fliegen schneller.“ Und kaum hatte er das mitgeteilt, legte der grüne Drache an Geschwindigkeit zu, dass der Wind den Reitern fast die Luft zum Atmen nahm. Erschrocken duckte sich der Braunhaarige auf den Rücken und klammerte sich fest. Aber sie kamen dadurch dem Rande der Insel ein gutes Stück näher, bevor die gegnerischen Drachen wieder angriffen. Diesmal waren es nur noch die großen und Lulanivilay konnte ihnen leichter ausweichen. Dennoch wurde er von dem sperrigen Mimoun an sich behindert und kam nicht umhin, mit Schwanz und Klauen um sich zu schlagen, bis man ihm Platz machte. Mimoun löste sich von Lulanivilay. Er behinderte ihn nicht nur beim Fliegen. Mit dem zusätzlichen Gewicht vor dem Bauch konnte er schlechter kämpfen. Und der Geflügelte nutzte mehr, wenn er selbst sich am Kampf beteiligte. Sein Blick glitt in die Ferne, schätzte die Entfernung zum Rand der Insel und die Menge ihrer Gegner ab. Die Chancen standen deutlich schlecht und so suchte er nach einem Ausweg, während er zeitgleich versuchte, sich ihre Widersacher vom Hals zu halten. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Diesen Ort kannte er. Weiter vorne war der Vulkankrater. Hier war doch irgendwas gewesen. Etwas Elementares, etwas Wichtiges. Mit der Erkenntnis hellte sich sein Gesicht auf. „Dhaôma, halte dich gut fest! Lulanivilay, folge mir!“, verlangte er und begab sich in den Sturzflug. Mit dieser Aktion hatten die anderen Drachen nicht gerechnet und so störte es auch nicht, dass der Gefährte des Magiers nicht sofort reagierte. Sie gewannen dennoch Abstand zu der Meute. Der Geflügelte spürte das leichte Prickeln nicht mehr auf seiner Haut und nutzte all seine ihm zur Verfügung stehende Magie. Auf ihrem Flug kamen sie dem Lavasee immer näher, doch das war nicht das Ziel des Geflügelten. Er schwenkte ein wenig zu Seite, wich geschickt einigen nun wieder fliegenden Felsen aus und stürzte sich wenig später wieder gen Erdboden, direkt hinein in die große Spalte. Der Riss in der Insel. Wo diese seltsamen Gelege wie Trauben hingen. Eine wunderbare Idee! Begeistert lachte Dhaôma. Der seltsame Druck auf ihn und das Jucken waren verschwunden und vor ihnen lag die Lösung, die aus diesem Kampf führte. Hoffentlich würden sie nicht noch weiter verfolgt werden. Schon schossen steile Felswände an ihm vorbei und eines der Nestseile riss, weil Lulanivilay es übersehen hatte, ein paar der zahnbewehrten Drachen gingen auf sie los, schrieen wütend, weil sie die Fremden aus ihrem Revier vertreiben wollten, aber sie konnten mit der Geschwindigkeit Mimouns und Lulanivilays nicht mithalten, da sie über freien Fall hinausgingen. Hinter ihnen schossen noch ein paar Feuerbälle vorbei, aber Dhaôma wusste einfach, dass sie es geschafft hatten, denn die Drachen folgten ihnen nicht weiter. Erleichtert drehte er sich um und sah zurück. Tatsächlich waren viele der Drachen gelandet und andere schwebten über dem Riss, um ihnen nachzuschauen. „Bis irgendwann mal!“, rief der Braunhaarige und winkte. „Danke, dass ihr uns aufgenommen habt!“ „Du bedankst dich, obwohl sie uns angegriffen haben.“, statuierte Lulanivilay und sah seinen Reiter an. „Ich denke, es war so eine Art Abschied mit Glückwünschen für die Zukunft. Sonst wären wir sicherlich stärker verletzt, denn immerhin waren sie in der hoffnungslosen Überzahl.“ Der Grüne dachte darüber nach, dann stimmte er zu. „Freiheit, warum nennst du mich nicht mehr Lulanivilay?“, fragte er schließlich, als endgültig feststand, dass ihnen keiner folgte. „Uh? Ah das. Entschuldige, stört es dich? Dann werde ich es nicht mehr tun. Vilay ruft sich nur viel einfacher als Lulanivilay. Ich hatte es eilig.“ „Es stört mich nicht. Leben ist ein sehr schöner Name.“ Und nach einer kurzen Pause meinte er: „Du kannst mich weiter so nennen.“ Liebevoll kratzte Dhaôma mit den Fingern über die Schuppen am Hals. Es freute ihn, dass sein großer Freund nicht mehr so depressiv und verloren war, dass er endgültig begann, sich ihnen gegenüber zu öffnen. Seine Augen suchten Mimoun und er winkte ihm zu, von einem bis zum anderen Ohr grinsend. „Gewonnen!“, rief er ihm zu. „Dank deines rettenden Einfalls.“ „Tja, ich bin halt der Größte.“ Angeberisch ließ Mimoun seine Muskeln spielen. Doch das Lächeln erlosch schnell und mit geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen ließ er sich rücklings fallen. Nur wenige Meter, aber es zeigte deutlich, wie fertig er war. Am wohlsten würde er sich fühlen, wenn er sich irgendwo ausstrecken konnte, aber vorher kam noch der Sturm und darunter erstreckte sich das große Wasser so weit sein Blick reichte. Egal in welche Richtung. Über ihnen zog die Insel der Drachen ohne Unterbrechung ihre Bahn. Und die Gewitterwolken wirbelten in gewohnter Manier um sie herum. „Weißt du wo es langgeht?“, fragte er Lulanivilay. „Ich habe hier keinen Orientierungspunkt.“ „Folge mir.“ Lulanivilay hielt sein Tempo gedrosselt, um dem erschöpften Hanebito Gelegenheit zu geben, sich ein wenig zu erholen. Ein langsamer Gleitflug sollte für ihn kein Problem darstellen. Mit Tyiasur verabredete er, dass der kleine Blaue vorerst bei ihm bleiben sollte, um Mimoun zu entlasten. Die kleine Schlange wog nicht genug, um Lulanivilay zu behindern. Die Wolken- und Windschicht unter ihnen war schnell durchflogen, weil sie nicht dicht war und schon breitete sich unter ihnen das Meer aus. Wie lange war es her, dass Dhaôma es gesehen hatte. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren auf der Insel, wo alle Jahreszeiten egal welches Landes nebeneinander existiert hatten. Es war kühl und windig und roch nach Salz und weit und breit waren nur blaue Wogen zu erkennen. Und über ihnen verschwand langsam der Schatten der Insel, so dass der Blick auf Regenwolken und Gewitter frei wurde. Das Wetter, das er gerufen hatte und das nicht so geworden war, wie er es gerufen hatte. Aber sie würden es bald hinter sich lassen. Mit geschlossenen Augen lauschte Mimouns Herz dem Wind, fühlte den Strömungen nach. Seine Flügel bewegten sich kaum, als er sich von der Brise einfach nur tragen ließ. Seine Ohren meldeten ihm die Richtung Lulanivilays und schließlich auch das Geschrei von Vögeln. Sie zu hören bedeutete, dass der Strand nicht mehr weit sein konnte. Dennoch verging fast eine Stunde, bis der helle Streifen Sand sichtbar wurde. Mimoun landete dicht hinter der Wassergrenze und wurde doch noch von einer vorwitzigen Welle erwischt. Er ließ sich davon nicht stören, wich auf seinem Weg der grasübersäten Düne entgegen einem Glibberschleimchen aus, das angespült worden war, und ließ sich zwischen die Pflanzen fallen. „Wir sind wieder da.“, lächelte der Geflügelte. Lulanivilay landete wenig später direkt neben dem mit Sand zugewehten, umgedrehten Boot. Es hatte einiges abbekommen, war an einer Seite eingedrückt und inzwischen bewohnt, wie ein lautes Knurren zeigte. Ein Sandfuchs ergriff kläffend die Flucht, als der große Drache in das Boot linste. Dhaômas erster Weg führte ihn zu seinem schwarzhaarigen Freund. Glücklich ließ er sich neben ihn fallen und drückte ihn fest an sich. „Geschafft, geschafft, geschafft!“, jubelte er. „Mimoun, wir sind so weit gekommen!“ Hinter ihnen gab es ein erschrockenes Quietschen. Tyiasur hatte zum ersten Mal in seinem Leben Bekanntschaft mit Salzwasser gemacht. Weiche Finger glitten durch braune Strähnen, wickelten sich darin ein, zupften daran. Kurz sah er auf, als sein Drache protestierte, lachte aber nur darüber. Es schien nicht so, als würde es ihm schaden. Obwohl. Er traute sich nicht mehr wirklich hinein. Das seltsame Gefühl hatte den Kleinen wohl verschreckt. Die Sonne brannte auf sie hinab und die gute Laune seines Freundes war ansteckend. Doch plötzlich entgleisten die Gesichtszüge des Geflügelten. Den Sandfuchs hatte er nur am Rande wahrgenommen, so dauerte es eine Zeit, bis er begriff, was es bedeuten konnte. „Dieses Mistviech.“, fluchte er lauthals und sprang auf. Es hatte sich unter dem Boot eingenistet. Wenn dieses Biest an seiner Rüstung herumgekaut hatte, würde Mimoun den ersten Pelz für ein neues Kleidungsstück für Dhaôma beisteuern! Der Geflügelte erinnerte sich noch genau daran, welche Kraft nötig gewesen war, um das Boot hier heraufzuschleppen. Umso mehr erstaunte es ihn, dass es ihm nun keine große Mühe mehr bereitete. Aber auch diese Tatsache war nebensächlich angesichts des Anblicks. Ja. Es waren Bissspuren zu erkennen, aber selbst ohne sie war deutlich ersichtlich, dass die Rüstung nicht mehr zu retten war. Tiefe Risse zogen sich durch das heller gewordene Leder. Als Mimoun es berührte, fühlte es sich spröde und brüchig an. Es war ihm ein leichtes, dort ein weiteres Loch zu hinterlassen. Eine der Beinschienen war komplett verschwunden, wahrscheinlich durch ein Tier weggeschleppt. Die Armschienen hatten sich verkeilt und steckten mit der scharfen Kante im Brustharnisch fest. Niedergeschlagen ließ er sich in den Sand daneben sinken. Kurz sackte er ganz in sich zusammen, bevor er sich straffte, eine Handvoll Sand ergriff und mit einem wütenden Aufschrei von sich schleuderte. Anschließend ließ er sich zurückkippen, einen Arm über das Gesicht gelegt, den Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Dhaôma war seinem Freund verwirrt gefolgt, blieb betroffen stehen. Er wusste genau, wie viel ihm diese Rüstung bedeutete, dass sie von seinem Vater war und ein Erinnerungsstück, aber jetzt war sie kaputt. Und er konnte sie nicht reparieren. Auch wenn er Pflanzen wieder zum Leben erwecken konnte, klappte das bei Tieren oder Teilen von Tieren nicht. Er konnte kein Leder regenerieren, oft genug hatte er es schon probiert, mit und ohne Lulanivilay. Aber was hatten sie erwartet? Selbst mit täglicher Pflege sahen ihre alten Kleider inzwischen arg mitgenommen aus, waren oft geflickt und zerschlissen und fleckig. Nur der Fellponcho sah noch einigermaßen gut aus, da Dhaôma ihn dort oben kaum gebraucht hatte. Wie hätte die Rüstung ganz ohne Pflege an einem so feuchten Ort schon aussehen sollen? Mitleidig hockte er sich neben Mimoun und berührte ihn sachte am Arm. Es war seine Schuld, dass die Rüstung kaputt war, denn nur wegen ihm waren sie zu der Insel hinauf geflogen und hatten sie nicht mehr verlassen können. Aber das half dem Schwarzhaarigen sicher nicht weiter. Dann waren auch alle anderen Sachen von ihnen verschwunden. Der Bogen Mimouns war fort, dort lagen nur noch ein paar Pfeile ohne Federn und zerbissen, die Decken zerfetzt, sein Rucksack mit den Feuersteinen und dem Wasserschlauch, die Bücher und das Messer waren verschwunden – wahrscheinlich wegen der Vorräte entführt. Sie waren praktisch mittellos. Müde rieb sich Dhaôma über die Augen. Abgesehen davon, dass es sie lange Zeit kosten würde, das alles zu ersetzen - bei Mimouns Rüstung schlicht ein Ding der Unmöglichkeit - gab es mit Silia und Cerel mit Sicherheit einen Aufstand, wenn sie erfuhren, dass die Rüstung hin war. „Nicht!“, zischte Mimoun und entzog den Arm der Berührung. Das war jetzt absolut nicht das, was er brauchte. „Nicht.“ Diesmal schwang nur noch Resignation in diesem Wort mit. Mimoun erhob sich wieder, ließ wie beiläufig nur für Sekunden die Hand auf Dhaômas Kopf liegen, und machte sich daran, die Armschienen herauszuholen. Kurz wendete er sie hin und her und begann dann das unbrauchbare Leder von den Klingen zu entfernen. Aus den Augenwinkeln entdeckte er Tyiasur, der neben ihm saß und still und mit undeutbarem Blick zu ihm hochblickte. Auch ihm ließ er ein kurzes Kopftätscheln zukommen, bevor er sich wieder seine Arbeit widmete. Verstehend nickte der Braunhaarige, stand auf und entfernte sich ein wenig. Lulanivilay warf ihm einen interessierten Blick zu und mit einem schwachen Lächeln beruhigte ihn Dhaôma. Es war jetzt kurz nach Mittag, sie waren lange geflogen. Also bereitete er ein wenig entfernt ihr Mittagessen vor, das aus Trockenfleisch und Früchten bestand. Es war sogar ein wenig Honig darin, aber den wollte er sich lieber aufsparen. Addar und seine Leute hatten immer ein wenig Probleme gehabt, an Salbengrundlage zu kommen, weil die Bienen unberechenbar und schwer zu finden waren, also wollte er ihnen zukommen lassen, was möglich war. Eloyn würde sich sicher freuen. „Ihr seid traurig.“, stellte Lulanivilay schließlich fest, als er sich neben Dhaôma in den Sand fallen ließ. „Gerade ward ihr noch froh, jetzt nicht mehr. Warum?“ „Das liegt daran, dass unsere alten Sachen kaputt sind.“, war die sehr leise Antwort. „Mimoun hat die Rüstung sehr viel bedeutet.“ Selbst Tyiasur kam an und rollte sich in der Kuhle zusammen, die Lulanivilays Rücken und Flügel bildeten, aber sein Blick klebte zu jeder Zeit an seinem Freund. Hätte nicht selbst er verstanden, dass Mimoun alleine sein wollte, wäre er wohl nicht gegangen. „Wir sollten ihm dann eine neue Rüstung suchen.“ Weich lachend schüttelte Dhaôma den Kopf. „Nein, das wäre nicht dasselbe. Lass gut sein, Lulanivilay.“ „Eine Rüstung wäre dennoch von Vorteil, wenn man auf die trifft, die spitze Stöckchen werfen.“ Spitze Stöckchen? Meinte er Speere? Pfeile? „Die Hanebito werden ihm nichts tun. Schlimmer sind die Magier. Die Rüstung könnte zumindest zu einem kleinen Teil Feuer- und Eisschaden fernhalten, vielleicht sogar andere Magie abhalten.“ „Sie bestand aus Tierhaut und Wachs. Das ist nicht sehr stabil.“ Tadelnd blickte Dhaôma ihn an. Wie immer hatte er Recht, aber Lulanivilay sollte die alte Rüstung nicht so herabsetzen. „Sie kann sich natürlich nicht mit Drachenhaut messen, aber denke daran, dass wir für Drachenhaut einen Drachen töten müssten. Keiner von uns will das.“ Das sah dann auch Lulanivilay ein und gab Ruhe. Stattdessen streckte er sich in der Sonne aus und ließ sich von ihr wärmen. Er liebte das. Der letzte Rest brüchigen Leders flog in hohem Bogen über die Düne. Mimoun berührte noch einmal den Brustharnisch, ließ seinen Blick über die Überbleibsel gleiten und seufzte ergeben. Entschlossen nahm er die Klingen an sich, erhob sich und stülpte entschlossen das Boot wieder darüber. Es war vergangen. Dieser Abschnitt seines Lebens war vorbei. Nun begann sein Leben als Drachenreiter. Unschlüssig streunte er zu seinen Freunden hinüber. Der Geflügelte erinnerte sich gut daran, dass er seinen Magier vorhin böse angefahren hatte, und er bereute es zutiefst. Dieser konnte schließlich nichts für den Zustand der Rüstung. Zögerlich ließ er sich hinter seinem Freund nieder und schlang seine Arme um dessen Hals. „Tut mir Leid.“, murmelte er in die Haare. „Alles in Ordnung.“, erwiderte Dhaôma und kraulte sachte den Haaransatz seines Freundes, indem er hinter sich griff. „Mir tut es auch Leid.“ Vertrauensvoll lehnte er sich gegen Mimoun. „Möchtest du hier noch einige Zeit bleiben oder sollen wir heute lieber noch ein wenig weiterreisen und diesen Ort vergessen?“ Dhaôma begriff anscheinend nicht, worauf er hinaus wollte. Aber vielleicht war es auch besser so. „Drängeln und schleichen an einem Tag fordern.“ Mimoun kicherte. „Du wirst dich wohl nie entscheiden können. Und warum sollte ich diesen Ort vergessen wollen? Hier haben wir die Insel gefunden, nicht wahr? Hier sind wir deinem Traum endlich ein Stück näher gekommen.“ Der Geflügelte streckte seine Beine ein wenig und lehnte sich halb zurück, nur auf einen Arm gestützt. Mit dem anderen hielt er noch immer seinen Magier umschlungen. „Aber wir sollten dennoch weiter. Unsere Freunde haben sich lange genug Sorgen machen müssen.“ Ein spitzbübisches, bösartiges Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. „Du weißt doch hoffentlich noch, wie der Text ging, oder?“ „Ai?“ Welcher Text? „Meinst du die Begrüßungsformel, mit der man als Drachenreiter jemanden begrüßen soll?“ Lesley hatte ihnen da einiges beigebracht. „Friede sei mit euch zwischen Himmel und Wasser.“, rezitierte er mit genau der gleichen blasierten Stimme, die Lesley dabei immer an den Tag gelegt hatte. Mimoun lachte und ließ sich endgültig zurückfallen. Dieser Magier war unglaublich. „Unsere Freunde haben sich lange genug SORGEN gemacht.“, wiederholte er zwischen Glucksern. „Welchen Text werde ich wohl meinen?“ Braune Augen weiteten sich, als er begriff. Dann lachte auch er. „Verzeih, dass ich dir Sorgen gemacht habe.“ Das war Mimouns erste Lektion gewesen, kurz nach dem Tag, an dem sie Freundschaft geschlossen hatten.“ „Sie hätten sich keine Sorgen machen müssen, hätten sie mir zugehört.“, mischte sich der neutrale Ton Lulanivilays ein. „Sie hatten Angst.“, erklärte Mimoun. „Seit Jahrzehnten wurden keine Drachen mehr gesichtet. Und du bist mitten in den Dörfern gelandet, hast ihnen keine Zeit gelassen, sich auf dich einzustellen. Wie hätten sie reagieren sollen?“ Seine Finger zwirbelten wieder Dhaômas Haare. Zwar hatte er zum Aufbruch gemahnt, dennoch wollte er noch ein Weilchen hier so bleiben. „Ich habe mich angekündigt.“ Dhaôma lachte leise. Wahrscheinlich war eine Stimme aus dem Nirgendwo nicht unbedingt beruhigender. „Diesmal werden sie dich nicht wegjagen, denke ich. Aber zur Not suchen wir uns einfach eine kleine, unbewohnte Insel, damit sie dich kennen lernen können, denn wie ich sie kenne, siegt ihre Neugier über jegliches Angstgefühl, wenn sie nur genügend Zeit zur Verfügung haben.“ Der Drache antwortete nicht darauf und so schwieg Dhaôma länger, bis ihm ein Gedanke kam. „Mimoun, vielleicht sollten wir ihnen mit der zeremoniellen Begrüßung klar machen, wer wir nun sind. Damit sie wissen, dass von Lulanivilay und Tyiasur keine Gefahr droht.“ Und ein paar Augenblicke später begann er zu grinsen, als er anfügte: „Oder damit sie denken, wir wären jetzt ferngesteuerte Puppen ohne Leben und Seele, damit wir sie erschrecken können.“ Amar hatte mal gefragt, ob er davor keine Angst hatte, wenn er die Drachen gefunden hatte. „Du hast ja richtig bösartige Gedanken.“, schmunzelte der Geflügelte. Er setzte sich wieder auf und führte die fremde Haarsträhne an seine Lippen, hauchte einen Kuss darauf. „Ich bin beeindruckt.“ Seine Augen blitzten gefährlich und belustigt zugleich. „Und dann überfallen wir Leoni oder einen der anderen mit einer Umarmung. Das wird sie völlig aus dem Konzept bringen.“ Der irritierte Blick des Wasserdrachens entging ihm völlig. Zu begeistert war er von der Idee, seine Freunde zu veralbern. Dhaôma fand das ungeheuer witzig, wie sich sein Freund über die lapidar dahin gesagten Worte freute. „Leoni sollte das freuen, sie meinte, ich sei zu ernst. Vielleicht sollten wir dann genau gleichzeitig die gleichen Worte sagen und die gleichen Gesten machen?“ Erneut konnte der Geflügelte nicht anders als zu kichern. „Das müssen wir dann aber üben. Sehr häufig. So dass wir nicht schon vorher in Gelächter ausbrechen.“ Beherzt griff er bei dem bereiteten Mahl zu und lenkte seine Gedanken wieder auf das Wesentliche. Ihm war nicht entgangen, dass nicht nur er Verluste zu beklagen hatte. „Wir müssen dem Fluss folgen, solange wir keinen Wasserschlauch mehr haben. Und wir brauchen gutes Wild oder besser ihr Leder, damit wir mal wieder anständige Kleider bekommen können. Und wir mal wieder etwas anderes essen als Fisch und Ratte. Und dann noch die Frage, ob wir einen Direktflug zu Addar hinlegen oder magst du noch deiner dir vom Rat übertragenen Aufgabe nachgehen?“ „Was? Du willst, dass ich jetzt Inseln begrüne? Die werden sich schön freuen. Nein, ich denke, es ist besser, wenn Addar erst einmal beweist, dass unsere Freunde ungefährlich sind, bevor wir diese Arbeit wieder aufnehmen, sonst werden sie Lulanivilay immer beschießen. Das will ich ihm ersparen.“ Dann seufzte er. „Andererseits wissen wir gar nicht, wo Addars Insel zur Zeit ist, nicht wahr? Also müssten wir das erfragen. Oder weißt du es?“ „Ich könnte dir sagen, auf welcher der Inseln du vorher schon Magie gewirkt hast. Eine ist dabei, die ist besonders von dir erfüllt.“, schaltete sich wieder der grüne Drache ein. „Die Inseln haben ihren vorbestimmten Weg. Und ich war nun schon häufig genug da, um ihn zu erahnen. Ich könnte das Suchgebiet zumindest eingrenzen.“ Mimoun erhob sich endgültig und klopfte Lulanivilay auf den Hals. „Aber wenn du sie schneller findest, wäre das uns eine große Hilfe.“ Er wirbelte zu seinem Freund herum und streckte eine Hand in seine Richtung. „Komm.“, lächelte er. „Ich möchte sie endlich wieder sehen.“ „Ja.“ Dhaôma ließ sich mitziehen und kletterte, nachdem er alles wieder eingesammelt hatte, wieder auf Lulanivilays Rücken. „Wahrscheinlich ist die am stärksten nach mir riechende Insel die von Mimouns Dorf. Dort war ich am längsten. Du sagtest doch, du wärst schon auf Addars Insel gewesen und hättest sie anhand der Beschreibung gefunden.“ „Diese Insel finde ich wieder. Und sie riechen nicht nach dir, sondern fühlen sich nach dir an.“ Liebevoll kratzte Dhaôma über die grün-rot gemaserten Schuppen. „Ich weiß. Wie lange werden wir dorthin brauchen?“ „Ein paar Tage.“ „Und wenn wir Orte umgehen, an denen wir gesehen werden?“ „Jahre.“ „Dann müssen wir auf die Heimlichkeit verzichten. Wir sind eh schneller als alle anderen, da werden sie uns unseren Spaß wohl kaum nehmen.“ Mit kräftigen Flügelschlägen erhob sich Lulanivilay in die Luft, Tyiasur wieder auf seinem Kopf sitzend. Der Blaue hatte bei Mimoun nur kurz eine Streicheleinheit gesucht, bevor er umgestiegen war, denn er wusste, dass sein Freund bereits erschöpft war und wollte seinen Wunsch nicht gefährden, heute möglichst noch weit zu kommen. Dankbar über das wenige Gewicht schwang sich auch der Geflügelte in die Luft und folgte dem Drachen. Dieser achtete darauf, dass Mimoun mitkam, ohne seine Magie nutzen zu müssen. Dennoch war sein Limit schnell erreicht. Und der Kräfte sparende Gleitflug, in den er überging, war für den Drachen trotz seiner Bemühungen zu langsam. Dennoch schafften sie es, das Flussdelta hinter sich zu bringen, für das sie auf ihrer Hinreise Tage gebraucht hatten. Sie beschlossen den restlichen Tag und die Nacht am Ufer zu verbringen. Und während Tyiasur durch den Fluss tobte, der hier kein Salzwasser führte, und Dhaôma sich um den pflanzlichen Teil ihres Abendessens kümmerte, ging Mimoun in der Schwüle des Nachmittags noch ein wenig Wild jagen. Er kehrte mit zwei Kaninchen zurück. Eines verfütterte er an Lulanivilay, nachdem er das Fell gerettet hatte. Das andere war für ihn selbst. Zwar bot er seinem Schützling etwas an, aber dieser blieb lieber bei seinem Fisch. Und Dhaôma konnte sich das Fleisch aufgrund fehlender Feuersteine nicht braten. Sie übten noch ihren Spruch, bevor sie endlich schlafen gingen. Es war ein ausgelassenes Spiel und sie lachten wie verrückt, aber besser sie lachten jetzt all ihre Freude heraus, als dass sie ihren Spaß mit einem unkontrollierten Lachen störten. Am nächsten Tag konnten sie schon wieder viel schneller fliegen. Mimoun nutzte all seine Kenntnisse der Windmagie, um Lulanivilay auszustechen, wie er es unzählige Male versucht hatte, aber außer einer größeren Wendigkeit konnte er gegen den Drachen mit seiner großen Spannweite kaum etwas erreichen. Immerhin befähigte sie dieses Tempo, einfach über die schwebenden Inseln hinweg zufliegen, weit oben, damit sie nicht vorzeitig erreicht werden konnten. Die Hanebito wirkten winzig, wie sie sie verfolgten, und Dhaôma lachte, weil sie alle früher oder später aufgaben. Auch an diesem Abend übten sie noch mal, weil sie wussten, dass sie am nächsten Tag ankommen würden, wenn Mimoun sich weiter so erfolgreich schlug. Dieses Mal ging Lulanivilay auf die Jagd. Er brachte einen Hirsch zur Strecke, indem er einfach auf ihm landete. Das Tier hatte keine Chance. Mimoun bekam seinen Teil ab und der Winzling verzehrte einen vorzeitig ergatterten Fisch, denn ihre Lagerstatt lag inmitten einer riesigen Graslandschaft ohne den Hauch eines Wasserbeckens. Es war eine Notlösung, denn fast alle Wasserlöcher und Flussläufe wurden von den Tieren besucht und waren daher von Hanebito umschwärmt, die Vorräte für den Winter suchten. Und sie wollten keinen Angriff riskieren. Früh am nächsten Morgen stiegen sie wieder hinauf in höchste Höhen, bis Dhaôma ganz aufgeregt wurde, weil er die Insel in der Ferne erkannte. Genau neben dem Haus in der Mitte leuchtete ein Kirschbaum rot inmitten all diesen Graus. Das war Addars Baum. „Wir sind da!“, rief er und wäre fast von Lulanivilays Rücken gefallen, weil er sich reckte, um sie besser zu sehen. Ein tiefes Glücksgefühl ergriff von dem Geflügelten Besitz. Hier war er Zuhause, hier waren seine Freunde. Zu gern hätte er nun noch einmal an Tempo zugelegt, zu gern hätte er ihren ganzen Scherz über den Haufen geworfen und seine Freunde einfach nur ausdauernd begrüßt, aber auf seinen Spaß wollte er auch nicht verzichten. Schon von weitem konnte er erkennen, dass hektische Bewegung aufkam. Die Kleinen wurden in die entfernteste Hütte gebracht, die Erwachsenen versammelten sich, ein Teil erhob sich sogar in die Luft. Erst beim Näherkommen erkannte der Geflügelte, dass nicht wenige einen Bogen zur Hand hatten. Aber sie wirkten unschlüssig. Und dann kam erneut Bewegung in die Menge, was endgültig Verwirrung in die Masse brachte. Sie mussten wohl die kleineren Gestalten, die sich in Begleitung zu dem Drachen befanden, entdeckt haben. Unschlüssig wurde ihnen auf der Insel Platz gemacht. Sie wussten nicht recht mit der Situation umzugehen. Einerseits war da dieses riesige Geschöpf, das schon einmal auf ihrer Insel gewesen war. Zum anderen waren da ihre Freunde. Asam entschloss für sich, dass dieser Drache nicht gefährlich sein konnte und kam mit einem Strahlen auf sie zu, nachdem er sie hatte landen lassen. Seine Gesichtszüge entgleisten jedoch, als diese mit völlig ausdruckslosen Gesichtern ihren Spruch losließen und steif eine synchrone Bewegung ausführte, die die genannten Bereiche einschloss. Bevor die zwei Spaßvögel jedoch zum zweiten Teil ihres Plans kommen konnten, färbte sich Asams Gesicht wutrot und auch andere wirkten kämpferisch entschlossen. „Was hast du mit meinen Freunden gemacht, du Monster?“, fauchte das junge Ratsmitglied ungehalten und stürmte auf den deutlich größeren Gegner zu. Es war nur ein einfacher Schritt zur Seite, eine gemächliche Bewegung mit der Hand und Asam lag auf dem Rücken und zu Mimouns Füßen. Dieser hockte sich grinsend neben ihm und klopfte seinem Freund auf die Brust. „Himmel hilf. Da bin ich einmal nicht da und du lässt so stark nach.“ Enttäuscht schüttelte der junge Geflügelte den Kopf. Some say love, it is a river that drowns the tender reed Some say love, it is a razor that leaves your soul to bleed Some say love, it is a hunger, an endless aching need I say love, it is a flower and you its only seed It's the heart afraid of breaking that never learns to dance It's the dream afraid of waking that never takes the chance It's the one who won't be taking, who cannot seem to give And the soul, afraid of dyin' that never learns to live When the night has been too lonely and the road has been too long And you think that love is only for the lucky and the strong Just remember in the winter far beneath the bitter snows Lies the seed that with the sun's love in the spring becomes the rose [Bette Middler - The Rose] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)