Der Weg aus dem Kampf von Shirokko (Wenn Träume Berge versetzen) ================================================================================ Kapitel 60: Das Haus im Wald ---------------------------- Kapitel 60 Das Haus im Wald Tyiasur war der Nächste, der ging. Aber er zog sich nicht so weit zurück. Mit ein wenig Mühe erklomm er einen Baum und beobachtete von dort oben das weitere Geschehen. Unsicher ergriff Mimoun die Hände seines Freundes, lächelte ein wenig schüchtern, während er sich neben ihn hockte. Vorsichtig strichen die krallenbewehrten Finger braune Strähnen aus dem feinen Gesicht. Kleinlaut nickte Dhaôma. Er konnte es noch immer nicht recht fassen. Wie lange hatte er das jetzt auf dem Herzen und sich eingeredet, Freunde sein wäre genug? Dabei hätte er nur etwas sagen müssen. Ein bisschen Mut zeigen. Aber Mut, das war im Angesicht eines großen Verlustes und Risikos etwas relativ Unerreichbares für ihn. Immer schon gewesen. Ein leises Lachen gluckerte aus ihm heraus, als er sich gegen Mimoun lehnte. „Entschuldige.“, murmelte er. „Ich wüsste nicht, für was.“, erwiderte Mimoun leise. Kurz huschte Sorge über seine Züge, da Dhaôma wie gescholten aussah. Das war nicht seine Absicht gewesen. Dann lachte er leicht. Es war also alles wieder okay, oder? Sanft zog er seinen Freund in die Arme und ließ sich zurückfallen. Jetzt war alles in Ordnung. Tiefer Frieden hatte den Geflügelten ergriffen und er schloss zufrieden seufzend die Augen. Aber Dhaôma wurschtelte sich wieder heraus und setzte sich auf. „Dafür, dass ich es nicht verstanden habe. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, hast du es ziemlich oft gesagt, nicht wahr? Aber ich habe nicht verstanden, dass du das meinst. Dabei hat es mir Leoni doch extra erklärt.“ Er schüttelte den Kopf. „Trotzdem solltest du mit mir reden, wenn ich etwas nicht verstehe. Erklär es mir. So wie früher. Lass mich nicht im Dunkeln, nur weil ich etwas nicht weiß.“ Auch der Geflügelte setzte sich wieder auf, sah aber nicht Dhaôma an, sondern starrte ins Nichts. „Weißt du noch, wie lange ich gebraucht habe, um dir Freundschaft begreiflich zu machen?“ Es war eine rhetorische Frage und er ließ eine Antwort auch nicht zu. „Immer wieder habe ich es versucht und ich weiß nicht, ob du nicht wolltest oder nicht konntest, aber egal, was ich versuchte, du hast es nicht verstanden. Du hast es einfach so hingenommen, so wie es nun einmal deine Art ist.“ Unsicher rieben sich seine Finger aneinander. „Ich wusste nicht, wie ich dir da ein intensiveres Gefühl wie Liebe begreiflich machen konnte. Ich wollte mich nicht damit kaputt machen, immer und immer wieder gegen eine Wand zu reden, ohne Erfolg. Da war es mir lieber, wenn ich die Gefühle in mir verschließe, wenn ich die Zeit, die du mir an deiner Seite gewährst, in vollen Zügen genieße. Du nimmst immer Rücksicht auf andere, ohne deine eigenen Gefühle zu beachten. Ich wollte dich nicht an mich fesseln, weil ich befürchtete, du würdest darauf eingehen, nur um mich nicht zu verletzen. Aber das hätte mich schließlich innerlich zerrissen, das hätte mich kaputt gemacht. Ich konnte dieses Thema nicht ansprechen. Wie hätte ich es dir erklären sollen?“ Darauf wusste Dhaôma nichts zu antworten. Er spürte, dass Mimoun sich irgendwie quälte, aber gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass er aufgegeben worden war. Schwach hob er die Hand und strich seinem Freund über den schwarzen Schopf. „Ich weiß, dass ich nicht so klug bin, aber für später: Gib mich nicht auf, ja? Ich möchte doch lernen. Damit ich weiter an deiner Seite bleiben kann.“ Seine Lippen zogen sich zu einem Lächeln. „Ich gebe mir auch Mühe, damit du nicht kaputt gehst. Ich passe auf dich auf.“ Es war lange her, doch Mimoun beherrschte die Bewegung noch perfekt. Sein Fingerknöchel traf Dhaômas Stirn. „Wie kommst du darauf, dass du nicht klug bist?“, wollte er gespielt böse wissen. „Du hast allein den Weg zu den Drachen gefunden. Du beherbergst so viel Wissen über Pflanzen in deinem Kopf, von dem ich nicht die leiseste Ahnung habe. Du hast dir als erster Mensch überhaupt Gedanken zu diesem Krieg und seine durchführbare Beendigung gemacht. Ich möchte nicht, dass du dich schon wieder abwertest. Du hast nur nicht so viel Erfahrung im Umgang mit Menschen, aber dafür bin ich ja jetzt da. Darüber hinaus brauchst du dir keine Sorgen mehr machen, dass ich kaputt gehe. Du gehörst doch jetzt zu mir, nicht wahr?“ Der Blick der grünen Augen spiegelte noch einen Rest Unsicherheit. „Ich denke schon.“, nickte Dhaôma und kicherte. „Ich kann einfach nicht glauben, dass es Xaira war, die das bewirkt hat. Sie war doch immer böse mit uns, aber trotzdem hat sie uns geholfen.“ Vorsichtig umarmte er den Schwarzhaarigen. „Wir müssen uns unbedingt bedanken, wenn wir sie das nächste Mal sehen.“ Dann verzog er das Gesicht und sah sich um. Ihm war vorher gar nicht aufgefallen, dass sie in einem Meer aus weißen Blümchen gesessen hatten. Aber es gefiel ihm. „Wir müssen nicht heute noch mal zu ihnen, oder? Ich wäre viel lieber mit dir allein bei dem Baum.“ „Was immer du dir wünscht.“, lächelte der Geflügelte sanft und erhob sich. Dabei duldete er es nicht, dass sich Dhaôma von ihm löste, was das Aufstehen ein wenig komplizierter machte. Kurz hob er den Arm, um Tyiasur Platz zu bieten, aber dieser wandte sich ab. „Passt auf eure Kleider auf.“, war sein einziger Kommentar, als er sich vom niedrigsten Ast fallen ließ und Richtung Halblinge wuselte, sich zu dem anderen Drachen gesellte. Kurz sah Mimoun seinem kleinen Gefährten nach und rieb seinen Kopf an Dhaômas. „Also konzentrier dich.“, bat er und stieß sich ab. Es dauerte nicht lange, bis sie ihre Baumhöhle erreichten. Sofort nachdem er den Magier abgesetzt hatte, entledigte er sich seiner Hose, um sie zu schonen. Und da er nun unbekleidet war und auch die Temperaturen immer weiter zunahmen, lief er zwei Schritte Richtung Wasser, bevor er sich umwandte und Dhaôma lächelnd eine Hand entgegen streckte. „Komm.“ Konzentration war gut gesagt. Es fiel Dhaôma äußerst schwer, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Im Grunde genommen hatte sich zwischen ihnen nichts geändert, aber dennoch fühlte es sich irgendwie schöner an, mit Mimoun zusammen zu sein. Allein, dass er ihn nach so langer Zeit wieder trug, machte ihn schon unsagbar glücklich. Und genauso folgte er ihm, griff die Hand und ging mit ihm zum zweiten Mal an diesem Tag zum Wasser. Immer wieder spürte er, wie seine Magie aus ihm herauströpfelte, aber alles, was er damit erreichte, war, dass Mimoun frischer wirkte. Als würde auch seine Magie sich einzig und allein auf Mimoun konzentrieren. Der Fluss war kühl und ein wenig schlammig, aber es machte nichts. Kurz hielten sie Ausschau nach Krokodilen, aber seit einiger Zeit hegte Dhaôma den Verdacht, dass Lulanivilay sie ausgerottet hatte. Der Drache war auf seine Echsenverwandten nicht gerade gut zu sprechen gewesen. Dhaômas Augen fanden immer wieder das Profil seines Schatzes, aber obwohl er ihm unglaublich viel mitzuteilen hätte, wusste er nicht, wo anfangen. Stattdessen kicherte er und fasste ihn fester. Mimoun spürte die Magie, doch ebenso spürte er auch den wohltuenden Effekt. Beinahe machte es die Hitze um ihn herum erträglicher. Dennoch war ein Bad immer noch eine angenehme Alternative. Es war seltsam. Etwas war verschwunden. Ein Druck. Ein Knoten in seinen Eingeweiden. Es war, als könnte Mimoun endlich wieder frei atmen. Er musste nicht mehr versuchen, seine Gefühle zu verbergen. Es gab nicht viel zu sagen. Beide genossen die Nähe des anderen, ließen nicht zu, dass der Hautkontakt abbrach. Das Wasser umspülte sie ein wenig heftiger als sonst, aber auch das störte nicht die angenehme Stille, die sie umgab. Mimoun verzichtete darauf, an diesem Tag noch auf die Jagd zu gehen, denn das Wenige, das Xaira am vergangenen Tag gebracht hatte, war bereits aufgebraucht. Es reichte, wenn Dhaôma seine überquellende Energie gebrauchte. In dem ehemaligen Garten, der schon bei der Flut verwüstet worden und auch der wilden Magie zum Opfer gefallen war, ließen sich noch Reste auftreiben, die durch die Macht des Magiers zu neuem Leben erwachten. Am Abend kehrten die Drachen zurück. Nachlässig ließ Lulanivilay einen Korb fallen. Die beiden Freunde waren wohl auch jetzt nicht vergessen worden. Vielleicht sollte Mimoun doch über alles Vorgefallene hinwegsehen. Auch den darauf folgenden Tag verbrachten die beiden zusammen. Sie redeten kaum, aber dennoch kam es ihnen vor, als wäre zwischen ihnen jeder Gedanke klar. In Dhaômas Hinterkopf murrte zwar eine Stimme, dass er dafür keine Zeit hatte, dass sie lieber langsam Vorbereitungen treffen sollten, aber es kümmerte ihn nicht. Zum ersten Mal dachte er, dass es ihm egal sein konnte, was mit der Welt geschah, solange nur Mimoun in Sicherheit war. Im nächsten Moment schalt er sich selbst dafür. Am nächsten Morgen kehrten sie zu den Halblingen zurück. Xaira begrüßte sie mit einem Lächeln, das nicht so fröhlich aussah wie sonst. „Wir haben noch einen Mitreisenden. Volta möchte mit.“, begann sie und zeigte auf einen jungen Mann, der auf sie zukam. „Er kennt jeden Winkel des Schlosses wie seine Westentasche, weil er früher eine Heidenangst vor den Benimmlehrern hatte. Und er kann sich gut verstecken.“ Sie presste die Lippen zusammen. „Außerdem wollen wir jemanden suchen, der noch in diesem Schloss sein sollte.“ Dhaôma nickte. „Alles, was du willst.“ Fest drückte er sie. „Danke, Xaira.“ „Sicher. Kein Problem.“ Ein leichtes Schulterklopfen und sie schob ihn von sich. „Es war einfach nicht mehr mit anzusehen.“ Es dauerte einen Moment. Mimoun betrachtete die Frau lange und ließ die Empfindungen, die er dabei hatte, auf sich wirken. „Ich kann dich immer noch nicht leiden.“, stellte er schlussendlich fest. „Ich fürchte, das hatte nichts mit Eifersucht zu tun.“ Seine nächste Reaktion musste gerade nach diesen Worten für alle überraschend kommen. Er verneigte sich vor ihr. Keine Andeutung, keine leichte Verbeugung, sondern richtig. „Ich danke dir. Für das, was du uns geschenkt hast. Für deine Hilfe, als ich ihn alleine ließ. Dafür, dass du uns auch weiterhin unterstützen möchtest.“ Es hatte zumindest den Effekt, dass sie rot wurde. Knallrot, was unter ihrem dunklen Teint ziemlich seltsam aussah. „Was machst du denn da? Was sollen die Leute von mir denken?“, zischte sie und schaltete auf wütend, um ihre Scham zu verstecken. Umsonst, wie sie feststellte, als Volta zu lachen begann. „Sag schön, bitte, bitte, gern geschehen.“, kicherte er und sie wollte ihn treten. „Zier dich nicht so.“ Ihre Gesichtsfarbe vertiefte sich noch ein wenig mehr, als sie zornig wurde. „Verarscht mich nicht, ihr Wichte!“ In einiger Entfernung lief Grisu vorbei, der sie finster musterte, sich aber tunlichst von ihnen fernhielt. Mimoun versuchte gar nicht erst zu verbergen, dass er die Situation amüsant fand. „Also dir kann man es wirklich nicht Recht machen.“, schlug er noch einmal in die Kerbe. „Als ich mich aufgeregt habe, hast du gemeckert, wenn ich mich bedanke, wirst du auch wütend. Wirklich. Was für ein Verhalten meinerseits wäre dir denn lieber? Ich werde mich bemühen, schließlich schulde ich dir ja noch was.“ Er spürte die feindseligen Blicke Grisus im Nacken, doch es brachte nichts, jetzt schon in Wunden zu stochern. Der Kerl brauchte einfach noch ein wenig Zeit. Also ließ der Geflügelte den jungen Mann erst einmal in Ruhe. Aufgeregt klatschte er in die Hände, als ihm wieder etwas einfiel. „Juuro.“ Aufmerksam sah sich Mimoun nach dem Gesuchten um. „Wir hatten ihn ja gefragt. Ob er schon eine Antwort gefunden hat?“ „Hat er.“, stimmte Volta seiner statt zu. „Er sagte, er wolle etwas vorbereiten, bevor er gestern aufgebrochen ist. In spätestens fünf Tagen sollte er zurück sein.“ Dhaôma lächelte. „Dann werden wir jetzt Körbe flechten, die gemütlich sind und groß genug für euch. Auf Lulanivilays Rücken können nur zwei sitzen.“ Volta war begeistert. Der junge Mann war Feuer und Flamme wegen des neuen Plans, der es ihm ermöglichte, seine Schwester zu retten, also half er Dhaôma bei der Wahl des Samens und quasselte ihn unermüdlich zu. Der Grundkonsens war, dass diese Schwester so etwas Ähnliches wie telepathische Fähigkeiten hatte, weil der Magieranteil in ihr sehr hoch war. Sie hatte die Halblinge zusammengeführt, ihre Flucht organisiert und war zurückgeblieben, um sie zu decken. Eine Zeitlang blieb Mimoun daneben stehen, um weitere wichtige Informationen zu erhalten, bald wandte sich seine Aufmerksamkeit dann Keithlyn zu. Sein Einverständnis, bei geringer Flughöhe allein üben zu können, nutzte sie voll aus. Mit aufmerksamen Blicken verfolgte er ihre Bahnen und nickte anerkennend. Das Kind lernte schnell. Man spürte deutlich den Ehrgeiz, den sie bei ihrem Training an den Tag legte. Mimoun kam sich gerade ein wenig überflüssig vor. Noch würde er Keithlyn nicht in höhere Luftschichten lassen. Erst sollte sie mehr Ausdauer entwickeln. Zweitens könnte sich Grisu vielleicht ein wenig beruhigen. Lulanivilay lag nur wieder da und versuchte mit leichten Bewegungen des Schwanzes Insekten abzuwehren, während er die Menschen um sich herum beobachtete. Und Tyiasur blieb für den Notfall noch bei Dhaôma. Missmutig verzog der Geflügelte das Gesicht. Gut. Würde er sich die exakten Informationen beschaffen, die sein Freund am Abend seiner Rückkehr nur angerissen hatte, und begab sich zu Ula, um sich Aufbau und Grundriss des Schlosses zeigen und erklären zu lassen. Währenddessen legte Xaira einen umfangreichen Vorrat an getrockneten Früchten und geräuchertem Fleisch an, sorgte für Wechselkleider im Falle eines Unfalls mit Dhaômas Fähigkeiten und nähte Wasserschläuche. Nebenbei besserte sie ihre Peitsche und den Dolch aus, die sie bei einem eventuellen Kampf würde brauchen können. Die Körbe waren schnell fertig. Einmal begriffen, wie groß sie sein mussten, ließ Dhaôma sie wachsen. Die restliche Zeit verwandten Dhaôma und Volta dazu, das richtige Polstermaterial auszusuchen, da es weder schwer noch juckend sein durfte. Ein paar Halblinge entwickelten dann eine stabile Konstruktion, die die Körbe an dem Haltegurt Lulanivilays befestigte, und weil es dem Drachen das Gleichgewicht durcheinander brachte, halfen sie auch gleich, das Geschirr zu optimieren. Exakt fünf Tage später kam Juuro zurück. Der Mann trug einige exotische Felle, die er in abenteuerliche Kleider verwandelte. Mo half ihm dabei. So sah der ohnehin schon grobschlächtige Mann ziemlich ehrfurchteinflößend aus, gerade weil die Kleider seine Hanebitohälfte heraushob. Er meinte, nun sei er bereit. Die übrig gebliebenen Felle spendete er großzügig an seine Reisebegleiter. Immerhin war es kalt dort, wo sie hinreisen würden. Dhaôma wurde in diesen Tagen immer unruhiger. Wie schon früher, wenn er das Gefühl hatte, nicht länger warten zu können, stand er hoch oben im Wind und starrte in die Ferne. Er wusste, dass seine Freunde es schwer haben würden in der Kälte, aber wenn sie wieder im Süden begannen, dann hätten sie zumindest vielleicht die Zeit auf ihrer Seite. Außerdem hätte er zu gerne wieder seidene Kleidung, denn diese blieb von seiner Zersetzung seltsamerweise verschont, wie ein letzter Rest in seinem Samenbeutel bewiesen hatte. Nur dazu müsste er nach Hause, um welche zu holen. Und ob er dann noch hineinpasste, blieb eine andere Frage. Immerhin war auch er während der Reisen gewachsen. Er hatte begonnen, den Halblingen, eine solide Grundlage aus essbaren Pflanzen wachsen zu lassen, was einen großen Teil seiner Magie aufbrauchte. Das hatte gleich zwei Vorteile: er fühlte sich viel wohler inmitten seiner altbekannten Freunde, und er war nicht mehr das explosive Fass an Energie, das jederzeit Kleidung oder Pflanzen zerstörte. Dennoch blieb Tyiasur, um seine Magie einzukerkern, denn sonst regenerierte sie sich einfach nicht schnell genug, um den See aus Energie zu füllen. „Es wird Zeit.“, murmelte Mimoun, als er auf der Anhöhe neben seinen Freund trat. Sein Blick glitt in die Richtung, in die ihr Weg sie führen würde. Unwohlsein und Unsicherheit erfüllten den Geflügelten. Nun würde sich alles entscheiden. Was auch immer geschah, es würde damit enden. Entweder kehrte endlich Frieden in diese zerrüttete Welt oder eines der Völker würde nicht mehr existieren. Seine Finger suchten die von Dhaôma und verwoben sich mit ihnen. Relativ erfolgreich versuchte sich der junge Mann in einem aufmunternden Lächeln. „Lass uns gehen.“ Der Abschied gestaltete sich tränenreich und schwerfällig, bis Lulanivilay seine Geduld verlor. Mit einem unwilligen Knurren packte er Volta und Xaira mit je einer seiner Vorderpranken und startete durch. Dhaôma, der mit Juuro schon auf seinem Rücken saß, winkte lachend und rief eine Entschuldigung zurück, dabei war er eigentlich ganz froh über den Aufbruch. Es war fast Mittag. Liebevoll fuhr seine Hand über Lulanivilays Rücken, bevor er zu Mimoun sah, der sie schnell eingeholt hatte, nachdem er die Überraschung über den unvorhergesehenen Start überwunden hatte. Der Geflügelte war leicht und schnell, da zu der Last von vier Personen auch Tyiasur bei Dhaôma blieb, um die Körbe vor dem Abstürzen zu bewahren. „Mimoun? Hilfst du den beiden in die Körbe?“ „Natürlich.“, gluckste Angesprochener. Das war mal wieder so typisch Lulanivilay. Nacheinander ergriff der Geflügelte die beiden Anhängsel an den Händen, woraufhin sie von dem Drachen losgelassen wurden. Danach war es nur eine kurze Anstrengung, sie in ihre Körbe zu bugsieren. „Du hättest wirklich was sagen können.“, merkte Mimoun an und rollte sich Kapriolen schlagend in guter Laune wieder einmal über den Drachen und seine Last hinweg. „Das würde manche Sachen wesentlich vereinfachen.“ „Es hätte Zeit gekostet.“, war die einfache Antwort. Wahrscheinlich war es dem großen Grünen einfach zu lästig gewesen, das durchzudiskutieren. Die Reise diesmal war wesentlich anstrengender als früher. Sie hatten ein Ziel und Zeitdruck und Anhängsel, die alles verkomplizierten, weil sie zu allem eine durchdachte Meinung hatten. Dass sie Zwischenstation bei den Magierdörfern machen wollten, passte weder Xaira noch Juuro, aber am Ende setzte Dhaôma sich durch. Er und Mimoun ließen die beiden Halblinge zurück und nahmen lediglich Volta mit, der sich aufgeregt an Dhaôma klammerte, da er sich auf dem Drachen bei weitem nicht sicher fühlte. Aber er war neugierig auf die Magier. Als sie auf dem Marktplatz landeten, sanft und ohne etwas zu zerstören, waren sofort diejenigen da, die sie das letzte Mal schon kennen gelernt hatten. Zwei junge Männer und der Sprecher der knapp tausend Seelen großen Stadt begrüßten Dhaôma und Mimoun wie Ehrengäste und auch die Drachen wurden ehrerbietig angesprochen. Die Eröffnung, sie hätten wenig Zeit und müssten viel besprechen, öffnete ihnen die Tore in eine große Scheune, in die auch Lulanivilay hineinpasste. Mit etwa zwanzig Magiern und den drei Freunden an einer großen Tafel entwickelte sich das Gespräch sehr schnell in die Richtung Halblinge und Krieg. Wie erwartet trafen sie auf Unglauben und danach auf Bestürzung. Aber auch die Magier hatten erschreckende Neuigkeiten. Aus dem Kriegslager war Befehl ergangen, ein Auftauchen der Drachenreiter sofort der neuen Einheit zu melden, die wie vor vierhundert Jahren Jagd auf Drachen machte. Und der Anführer dieser Einheit war niemand anderes als Radarr en Finochinu en Regelin. „Das ist ein Witz, oder?“ Mimoun hatte sich ruckartig erhoben und bebte vor Zorn. Man versicherte ihm sofort, dass es sich nicht um einen schlechten Scherz handle und Tyiasur bestätigte ihm das, als er die Magier noch immer ungläubig musterte. „Weiß dieser Kerl eigentlich, wen er da verfolgt?“ Man bestätigte ihm, dass dieses Wissen verbreitet worden war, und kraftlos ließ er sich zurücksinken. Zwar wusste der Geflügelte, dass sich diese Geschwister nicht wirklich verstanden, dennoch waren sie verwandt. Mimoun war es absolut unbegreiflich, wie man Jagd auf seinen eigenen kleinen Bruder machen konnte. Hing dieser Magier etwa so sehr an Krieg, Gewalt und Tod, dass er sogar seinem Blut schaden würde? „Was werdet ihr jetzt tun?“, wollte er völlig ruhig von den Anwesenden Dorfbewohnern wissen. „Was würde euch drohen, sollte ein Verschweigen unserer Anwesenheit herauskommen?“ Die Anwesenden zuckten mit den Schultern. „Wir können es nicht verschweigen. Wir können nicht tausend Menschen ununterbrochen überwachen, zumal in jedem Dorf und jeder Stadt Späher einquartiert wurden. Im Grunde hätten wir euch gerne gewarnt, aber wir wussten ja nicht, wo ihr euch befindet.“ „Das ist auch nicht nötig.“, mischte sich Dhaôma ein. „Radarr ist kein Problem. Das war er noch nie.“ Es war nicht so, als hätte Radarr ihn jemals ernst genommen. Das hatte sich mit Sicherheit auch noch nicht geändert. „Dennoch sind wir auf eure Hilfe angewiesen, das Wissen über die Halblinge und den Krieg weiterzuverbreiten.“ „Das werden wir tun.“, versprach der Sprecher und sah zweifelnd auf den Magier vor sich, um den das Korn ansehnlich hoch geworden war. „Was wirst du wegen Radarr unternehmen?“ Die Situation war beinahe komisch. Gegen seinen Bruder hatte er seit Jahren nicht mehr bestehen müssen. Das letzte Mal mit sieben. Woher sollte er also wissen, was er gegen ihn unternehmen konnte? „Das entscheide ich, wenn es soweit ist.“, beschloss er, während vor ihm eine blutrote Mohnblume ihre Blüte entfaltete. „Bis dahin: Die Einzelheiten zu den Hintergründen des Krieges stehen in diesem Brief. Vervielfältigt ihn und gebt ihn weiter.“ Die zwanzig Magier waren deutlich verwirrt, als sie wieder verschwanden. Wahrscheinlich waren diese Neuigkeiten ein bisschen zuviel für die konservativen Gemüter. Oder Dhaômas Tauschangebot, ein exotisches Fell gegen kalte Seidenkleider, hatte sie völlig überfahren. Volta war dafür begeistert, weil er gesehen hatte, dass Magier durchaus nicht nur schlecht waren, und sie ihm während seiner ganzen Geschichte aufmerksam gelauscht hatten. Kaum waren sie am Stadtrand, kleidete sich Dhaôma um. Es waren nicht seine üblichen Kleider in hellgrün und rot, stattdessen hatte man ihm dunkelblaue Seide mit weißen Stickereien überlassen – eine reiche Farbe. Das würde sicher Eindruck machen, wie sie es ihm prophezeit hatten, als sie sie ihm geschenkt hatten. Das Fell hatten sie nicht einmal annehmen wollen. Er würde es brauchen, wenn sie nach Norden kämen. Außerdem hatten sie darauf bestanden, ihm Schuhe zu geben, etwas das er schon sehr lange nicht mehr getragen hatte. Zufrieden betrachtete er sich. Es war phantastisch, endlich wieder dieses unglaublich weiche Gefühl auf der Haut zu spüren. Es ging einfach nichts über Seide! „Gut siehst du aus.“ Starke Finger glitten über den Stoff an Dhaômas Bauch. Weich, anschmiegsam. Genau passend für seinen Magier. Es war lange her, dass Mimoun seinen Freund in solchen Gewändern gesehen hatte. Zumindest in welchen, die nicht zerrissen und geflickt waren. Warum auch immer. Ihm kam die Erinnerung an die Kinder wieder hoch, wie sie Dhaôma für ein Mädchen gehalten hatten, nur aufgrund der weichen Kleider und Haare. Mit einem Kichern ordnete er die braunen Haare und wandte sich schließlich ab. „Na kommt. Lasst uns die anderen abholen.“ Xaira war deutlich erleichtert, als sie wieder bei ihr waren. Sie hatte sich Sorgen und Vorwürfe gemacht, weil sie nicht bei ihnen geblieben war, auch wenn Juuro sie mit Worten beruhigen wollte. Sie umarmte Dhaôma, bevor sie ihn von sich schob und pfiff. „Tolle Kleider.“, meinte sie. „Seide habe ich ja schon ewig nicht mehr gesehen.“ „Das geht nicht kaputt.“, nickte er und kicherte. „Ich habe sie begeistert, weil sie das Korn nicht mehr in die Scheune tragen mussten. Es wuchs direkt dort.“ Die junge Frau rollte mit den Augen. „Was ist bei eurem Gespräch herausgekommen?“ „Sie helfen uns.“, antwortete Dhaôma und lächelte. „Wollen wir weiter?“ Volta starrte ihn an. „Das ist alles? Dhaôma, da waren Unmengen an Informationen! Die müssen sie doch erfahren. Was ist mit deinem Bruder?“ „Der ist mein Problem.“ „Bruder?“ „Radarr jagt ihn. Er will die Drachen töten.“ „Das kann er nicht.“ Und plötzlich sah Dhaôma nicht mehr so lieb aus. Seine Augenbrauen trafen sich fast und seine Fäuste waren geballt. „Ich werde niemals zulassen, dass irgendjemand wiederholt, was die Magier vor Jahrhunderten zum Spaß gemacht haben! Niemals! Eher werde ich zum Mörder!“ „Und ich lasse nicht zu, dass du deine Hände mit Blut besudelst.“ Unnachgiebig zwang der Geflügelte die Fäuste sich zu öffnen. „Das ist meine Aufgabe.“ Niemals sollte Dhaôma einen Menschen töten. Wenigstens er sollte unschuldig bleiben. „Es ist nicht so, dass ich es will, aber du kennst meinen Bruder nicht. Dagegen ist Silia ein Schoßfenra.“ Beruhigend streichelte Dhaôma über Mimouns Wange. „Pass einfach auf, dass du nicht in die Nähe seiner Magie kommst, ohne Tyiasur dabeizuhaben, oder in die Nähe seiner Hände, solange du nicht weißt, zu was er fähig ist. Er ist nicht umsonst schon mit Sechzehn ein Anführer bei den Soldaten gewesen.“ Prüfend ruhte der Blick der grünen Augen auf dem Magier. Ganze Szenarien spielten sich unter den schwarzen Zotteln ab. Vor allem solche, die Vorbereitung betreffend. Wenn Radarr tatsächlich so gefährlich war, sollte er wohl lieber ernsthafter mit dem Bogen trainieren. Geschwindigkeit und Ausdauer übte er in Lulanivilays Anwesenheit ausreichend, doch das ließ sich noch steigern. Mimoun schloss vertrauensvoll die Augen und lehnte sich leicht in die streichelnde Berührung. „Versprochen.“ „Hört auf zu turteln, wir haben zu tun.“ Der Geflügelte schenkte der Frau einen bitterbösen Blick. Wieso musste sie immer Recht haben? Und warum musste sie es auch immer heraushängen lassen? „Was tun wir?“, wollte er ohne weiteren Kommentar in ihre Richtung von dem Magier wissen. „Wir müssen weitere Magiersiedlungen aufsuchen, um ihre Geschichte zu verbreiten, aber zeitgleich geben wir Radarr damit Hinweise über unsere Reiserichtung und Geschwindigkeit. Zwar sind wir schnell, aber wir wissen auch nicht, wo er sich derzeit aufhält. Ich würde eine Begegnung mit ihm lieber vermeiden.“ Auch um Dhaôma ein möglicherweise böses Ende zu ersparen. Dhaôma sah ihn an. Um die Dörfer und Städte der näheren Umgebung kümmerten sich die Magier selbst, also mussten sie es nicht überstürzen und konnten getrost ein wenig weiter fliegen, um einen weiteren Ort zu besuchen. „Können wir nicht hin und her fliegen? Also unvorhersehbar, meine ich. Keiner sagt, dass wir die Städte besuchen müssen, die wir schon kennen. Die Geschichte wird sich auch so verbreiten, weil es Zeitungen gibt.“ „Was ist denn Zeitungen?“, wollte Xaira wissen. „Nie gehört? Das sind Schriften, die über eine Woche oder einen Monat berichten. Wichtige Dinge stehen da gerne mal drin.“ Dann seufzte er. „Am liebsten würde ich direkt in die Hauptstadt fliegen. Vielleicht kann ich mit Radarr reden, bevor seine Leute da sind, um ihm Unterstützung zu geben.“ Unglücklich sah er in den Wald. Wenn er daran dachte, wieder nach Hause zurückzukehren, wurde ihm ganz anders. Dieser Ort war definitiv mit schlechten Erinnerungen behaftet. „Schlechte Idee.“, schüttelte Volta den Kopf. „Wenn ich das richtig verstanden habe, ist dort auch das zentrale Lager der Armee, richtig? Also gehen wir dort erst hin, wenn wir eine Armee auf unserer Seite haben. Alles andere wäre Selbstmord.“ „Wir haben notfalls eine Armee. Die Geflügelten ließen sich da wahrscheinlich schnell überreden, aber das ist kaum eine Alternative. Es wäre nur weiteres unnötiges Blutvergießen. Und Magier ständen uns wahrscheinlich nur die zur Verfügung, die für den Krieg nicht zu gebrauchen sind, also keine Kämpfer.“ Unnachgiebig schüttelte Mimoun den Kopf. „Wir müssen erst die Wurzel allen Übels vernichten, bevor wir den Hass der Völker komplett beseitigen können. Dazu müssen wir beide Seiten zumindest davon überzeugen, eine Weile die Waffen schweigen zu lassen. Und Radarr scheint offensichtlich der falsche Ansprechpartner dafür zu sein. Ihn und seine Leute sollten wir vorerst meiden.“ Nun wandte er sich wieder dem Magier in ihrer Mitte zu. „Alles in Ordnung?“ Mimoun war der Blick Dhaômas nicht entgangen. Nun waren es seine Finger, die Kontakt zu fremden Wangen suchten. „Du musst das nicht mehr allein bewerkstelligen.“ Ja, sicher. Aber man hatte ja gesehen, dass trotzdem alle kämpfen wollten. Volta wollte eine Armee, Mimoun bezeichnete die Hanebito als solche, die Menschen wurden nach Kämpfer oder Schwächlinge eingeteilt. „Kein Kampf.“, entschied der braunhaarige Magier und entspannte sich willentlich. „Wie immer – jeder Kampf oder Streit wird umgangen und vermieden. Wir hetzen auch niemanden auf, verstanden? Die Halblinge sind nicht alle böse. Sie wurden nur falsch erzogen. So ist das mit vielen Menschen auf der Welt und man kann sie nicht alle töten deswegen.“ „Wie willst du deine Feinde sonst vernichten.“ „Gar nicht. Langsam solltest du das wissen.“ „Aber das ist Tagträumerei!“, ereiferte sich Volta. „Versteh doch, dass ohne Gewalt ein schneller Frieden nicht möglich ist!“ „Mit Gewalt wird Frieden niemals möglich.“, schüttelte Dhaôma den Kopf. „Entweder Frieden oder Gewalt. Auch wenn der Frieden durch Worte länger dauert.“ Xaira lächelte, dann klopfte sie Volta auf die Schulter. „Essen wir was, dann beruhigen sich auch die Gemüter. Es ist alles schon vorbereitet. Und währenddessen könnt ihr uns erzählen, was ihr sonst noch herausgefunden habt.“ Sie setzten sich im Kreis auf den Boden und Dhaôma berichtete von den Magiern, die erzählt hatten, dass sich viele Untergrundbewegungen gebildet hatten, die Deserteure versteckten und beschützten, wenn sie nicht mehr kämpfen wollten. Überall verschwanden Soldaten oder begabte Kinder, um sie vor dem Krieg zu bewahren. Die Einheimischen weigerten sich häufig, Soldaten in ihren Häusern übernachten zu lassen, und jagten einzelne, aufhetzerische Menschen aus der Stadt. Es gab eine Flut von jungen Pionieren, die von Frieden und Drachenkriegern erzählte. Dagegen stand im Grunde nur die Drachenvernichtungsstaffel, die Dhaômas Bruder anführte, und die forcierte Rekrutierung neuer Soldaten, die nicht so gut vonstatten ging, wie sich die Armee das erhoffte. Natürlich war der Hass nicht einfach ausgelöscht worden, aber der Konsens, dass neue Morde die Toten nicht zurückholten und dass man es einfach mal versuchen wollte, die Hanebito anders zu sehen als als Monster, überlagerte jene, die nach Vergeltung schrieen. Sie erzählten auch, dass die Magier die Geschichte der Halblinge verbreiten würden, dass sie es kaum glauben konnten und dass es eine gute Entscheidung gewesen war, Volta mitzubringen, da er sie beinahe gleich überzeugt hatte. Allerdings wollte man nicht glauben, dass Magier und Hanebito gezwungen wurden, Kinder miteinander zu haben. Das kam den Magiern doch etwas komisch und an den Haaren herbeigezogen vor. Etwas später machten sie sich auf den Weg. Xaira und Juuro hatten entschieden, dass sie in der nächsten Stadt dabei sein würden. Als sie am Abend unter einem großen Baum übernachteten, zog Dhaôma seinen Freund ein wenig beiseite. Wortlos umarmte er ihn, suchte Wärme und Überzeugung in dessen Anwesenheit. Er wollte nicht reden, sondern einfach ein wenig Zeit nur mit ihm. Es war einfach nicht das gleiche, wenn so viele dabei waren. Nicht nur Arme schlangen sich um den schmalen Leib. Die ledernen Schwingen schlossen zumindest optisch ihre Umgebung aus. „Hey. Mach dir keine Sorgen.“ Langsam schob sich eine Hand den Rücken des Magiers hinauf und begann seinen Nacken zu kraulen. Sanft berührten die Lippen des Geflügelten die Stirn seines Freundes. „Wir werden den Krieg friedlich beenden. Die einzige Gewalt, die wir ausüben, ist unsere Verteidigung.“ Er suchte sich eine bequeme Stelle auf dem kargen, kalten Boden und zog Dhaôma auf seinen Schoß. Beruhigend strichen seine Finger immer wieder den Rücken des anderen entlang. Es musste nichts weiter gesagt werden und sie genossen die Stille und Zweisamkeit, die sie umgab. Eng umschlungen schliefen sie schließlich ein. Nur wenig später suchten auch die Drachen ihre Nähe. Dem natürlichen Ablauf folgend, war Dhaôma als Erster wach und weckte nach und nach die anderen, damit sie ihre Reise fortsetzen konnten. Noch einmal überflogen sie die Magiersiedlung, die sie am Vortag besucht hatten und änderten die Richtung, folgten nicht mehr der Route, die sie im Herbst zu den Halblingen geführt hatte. Bald befanden sie sich direkt im waldigen Land der Magier. Niemand konnte vorhersagen, in welchem Städtchen sie Zwischenhalt einlegten, aber sie flogen über jede Stadt, die sie sahen, hinweg, um präsent zu sein. Dann landeten sie auf einer Lichtung, um zu übernachten, wie sie es oft taten, damit Lulanivilay leichter starten konnte. Das Haus und dessen Bewohner bemerkten sie erst, als sie ihnen ganz plötzlich gegenüberstanden. Es waren viele, dabei war das Haus nicht besonders groß. Und sie hatten jedes Alter von sechs bis über sechzig. Ganz schnell überflog Dhaôma sie. Vielleicht acht Kinder, vier Jugendliche, zwölf auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, fünf in ihren Mittdreißigern und zwei Alte. Ach, und ein Baby, das in den Armen einer jungen Frau schlummerte. Und sie alle starrten sie mit großen Augen angstvoll an. „Friede sei mit euch zwischen Himmel und Wasser.“, winkte Dhaôma schüchtern und Volta grinste breit. „Wenn ihr nicht wollt, dass wir hier sind, gehen wir selbstverständlich wieder.“, fügte Xaira an. „Aber wir würden es sehr schätzen, wenn wir über Nacht auf dieser Lichtung bleiben könnten.“ „Wow, lauter komische Leute!“, rief eines der Kinder begeistert. „Schau mal, der da sieht aus wie ein Hanebito!“ „Ja, und die sehen aus wie Moira.“, sagte ein anderes Kind und plötzlich sah es gar nicht mehr so ängstlich aus, sondern mehr wütend. „Geht weg! Moira bekommt ihr nicht!“ ‚Sieht aus wie ein Hanebito.’ Also wirklich. Er war doch ein Paradebeispiel. Mimoun hielt sich im Hindergrund dicht bei Lulanivilay. Magier fürchteten sein Volk im Allgemeinen und sie sahen derzeit auch so aus, als hätten sie Angst. Die Frau mit dem Baby verschwand gerade im Haus. Die Haltung der anderen wirkte angespannt. Der Geflügelte wollte ihnen keinen Grund geben, ihn zu fürchten, dennoch antwortete er dem Kind in der sanftesten Tonlage, die ihm möglich war. „Wir wollen Moira nicht. Wir wollen uns hier nur ein wenig ausruhen. Wenn ihr gestattet, natürlich.“ Um Dhaôma begannen wieder einmal Blumen zu wachsen, als Tyiasur prüfte, ob sie in Gefahr schwebten. „Sie sehen aus wie Moira?“, fragte er und betrachtete seine Freunde, bevor er plötzlich leuchtende Augen bekam. „Ist sie etwa auch ein Halbling?“ „Wer bist du?“ Einer der Jugendlichen trat vor, in der Hand ein Stock. Er war groß und breit gebaut und definitiv ein Magier, der Feuer beherrschte. Unter seiner Kleidung konnte Dhaôma das Zeichen leuchten sehen und die Luft um ihn herum war ein wenig wärmer. Langsam entspannte er sich. „Mein Name ist Dhaôma en Finochinu en Regelin. Ich bin Drachenreiter und auf dem Weg in die Hauptstadt, um dort die Wahrheit zu verbreiten und Frieden zu schaffen. Diese Leute sind meine Freunde. Mimoun ist ebenfalls ein Drachenreiter. Sein Drache ist der kleine Blaue und heißt Tyiasur. Lulanivilay heißt der große Grüne. Er ist ein netter Geselle, wenn man ihm nicht auf die Nerven geht. Und diese drei hier sind Xaira, Volta und Juuro, die uns helfen wollen, Frieden zu schaffen.“ Sein Ausdruck wurde ein wenig weicher, als er den Jungspund betrachtete, der jetzt gar nicht mehr so angriffslustig aussah. „Du bist ein kluger Junge, dass du es geschafft hast, der Armee zu entkommen. Seid ihr alle Menschen, die dem Krieg ausweichen und sich verstecken, um nicht eingezogen zu werden? Ist Moira ein Halbling, den ihr vor den Magiern versteckt, damit sie sie nicht töten?“ Die junge Stirn legte sich in Falten, aber es war ein Mädchen, das neben ihn trat. „Du bist ein Spion, gib es zu! Du bist hier, um uns alle…“ „Nein.“, schüttelte Dhaôma den Kopf. „Wartet mal.“, unterbrach sie einer der älteren Männer. „Seht mal, er ist ein Heiler. Vielleicht kann er Marvin helfen.“ „Du willst Marvin einem Magier ausliefern, der behauptet, ein Drachenreiter zu sein?“ „Sind die Drachen nicht Beweis genug?“, fragte er und dann nickte er zu den Neuankömmlingen hinüber. „Erinnerst du dich an den Aufruf, den Bruder des Generals zu fangen? Er da hat den gleichen Namen wie der General. Wenn er von ihm ebenfalls gesucht wird, dann sollte er für uns keine Gefahr darstellen, nicht wahr?“ „Und von ausliefern kann doch keine Rede sein, wenn ihr dabei seid, nicht wahr?“, mischte sich Mimoun vorsichtig ein. „Vielleicht sollten wir uns um ein Problem nach dem anderen kümmern. Wenn das mit Marvin etwas Schwerwiegendes ist, sollte das als erstes behandelt werden. Dhaôma ist ein Heiler, wie ihr ja bereits festgestellt habt.“ Der Stock des Feuermagiers war wieder ein wenig in die Höhe gewandert, als sich der Geflügelte zu Wort gemeldet hatte. Mimoun probierte sich in einem kurzen Lächeln. Diese Reaktion war verständlich, schließlich waren sie Magier und damit offiziell Feinde seines Volkes. „Ich bleibe auch draußen und rühre mich nicht vom Fleck.“, bot er an und hob zum Zeichen der Beschwichtigung seine Hände. „Es ist nichts, was nicht auch so wieder heilen würde.“, bekam der Geflügelte als Antwort präsentiert. Verstehend nickte er. Gut. Dann halt später. „Gut. Dann das nächste Problem.“, nahm Mimoun das Gespräch weiter in die Hand, denn er war müde und wollte eigentlich schlafen. Aber so wie es schien, würde es noch dauern. „Ihr wisst nicht, ob ihr uns trauen könnt.“ Kurz seufzte er. „Verständlich. Ihr versteckt euch hier, nicht wahr? Aber mal im Ernst. Welchen Grund hätten ein Magier, ein Geflügelter, Drachen und Halblinge gemeinsam durch die Welt zu reisen?“ Sie sahen einander an. Ob sie wollten oder nicht, sie mussten Mimoun Recht geben. „Warum lässt du Pflanzen wachsen, obwohl es nicht sein müsste?“, wollte einer der Erwachsenen wissen. „Kannst du deine Magie nicht kontrollieren?“ Zerknirscht zuckte Dhaôma mit den Achseln. „Doch, eigentlich schon, aber seit einiger Zeit läuft die Energie einfach aus.“ „Dann ist es sowieso nicht sicher, wenn du deine Hände an Marvin legst.“, entschied der Mann, doch mischte sich eine der jüngeren Frauen intervenierend ein. „Als ob es irgendwas ändern würde. Ein paar Pflanzen neben Marvins Bett hin oder her. Er hat seit Tagen Bauchweh, wenn jemand ihm diese Qualen nehmen kann, dann wäre es das Risiko auf jeden Fall wert!“ „Tyiasur?“ „Keiner weiß, was die Bauchschmerzen auslöst, aber dem Jungen geht es ganz und gar nicht gut, er hat Fieber und ist schwach.“, erklang es in Dhaômas Gedanken. In dem Moment kam die Frau auf ihn zu. „Heiler, Pflanzenformer, Drachenreiter. Beeindruckende Laufbahn.“, stellte sie fest. „Ich habe schon von dir gehört. Du bist der, der die Magier zum Frieden aufruft, nicht wahr?“ Dhaôma nickte. „Wäre es nicht sinnvoll, dem Jungen schnell zu helfen?“, fragte er. „Ihr mögt mir nicht vertrauen, aber ihr könnt euch sehr wohl verteidigen, wenn es euch darauf ankäme, nicht wahr? Und Moira ist doch auch ein Halbling? Wird sie nicht erfreut sein, einige ihrer Leute kennen zu lernen? Oder einen Hanebito, der ja immerhin ein Teil ihres Lebens ist?“ Die Frau lachte. „Du hast ganz schön starke Augen, Dhaôma. In Ordnung, komm mit. Mein Bruder braucht endlich einmal Ruhe im Schlaf, sonst wird er niemals wieder gesund.“ Und mit ein paar Worten an die anderen, führte sie Dhaôma ins Haus, während alle anderen draußen blieben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)