Der Weg aus dem Kampf von Shirokko (Wenn Träume Berge versetzen) ================================================================================ Kapitel 80: ------------ Das hier ist mein Lieblingskapitel. Es hat so unglaublich viel Spaß gemacht, es zu schreiben. *träum* Aber jetzt mal ganz unter uns: Vielen Dank an alle, die es geschafft haben, uns bis hierher zu begleiten. Allen voran KuroMikan, Zebran und Seelendieb. Danke für all die schönen Kommentare. Sie haben mich jedes Mal sehr gefreut. Kapitel 80 Epilog „Wir haben uns ja ewig nicht gesehen.“, lachte Elin und fiel Haru stürmisch um den Hals, dass er überrascht errötete. Seine Ziehschwester hatte einen ziemlich weiblichen Körper bekommen. „Äh, ja.“, murmelte er und schob sie beschämt von sich. Unruhig strich er sich durch die blonden Haare, während er ihrem Blick auswich. „Nicht seit du die Prüfung bestanden hast.“ „Konnte ja auch keiner ahnen, dass du soviel länger brauchen würdest.“, frotzelte sie hämisch. „Fünf Jahre.“, mischte sich Amar ein und lachte ihn aus. „Fünf Jahre länger als Elin, das ist fast schon traurig.“ „Kann ich ja nichts dafür, dass Gilli so schwer zu bändigen war!“, fauchte der Blonde, unterstützt von dem Wasserdrachen, der über Haru das gleiche zu sagen pflegte. Amar lachte wieder. „Sicher, dass du nicht nur zu faul warst zu lernen?“ „Red du nur.“, murrte Haru und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Streitet nicht.“ Dhara schob sich lächelnd zwischen die drei und legte ihre Arme um die beiden Jungen, dass ihr Kopf die der beiden gleichzeitig berührte. „Das verdirbt die ganze Stimmung.“ Auch sie war herangewachsen, war jetzt siebzehn und ziemlich hübsch geworden. „Wir wollten feiern, dass Haru jetzt ein vollwertiger Drachenreiter ist, also kommt. Die Zwillinge haben bereits Feuer gemacht.“ „Kunststück.“, seufzte Amar. „Fiamma nutzt jede Gelegenheit dazu.“ Aber er ließ sich von Dhara mitziehen. Haru und Elin folgten ebenfalls und der Blonde und sein Drache wurde in dem Kreis aus Freunden herzlich begrüßt. „Wo ist Mito?“, wollte Keithlyn wissen und sah sich nach ihm um. „Er bleibt oben bei Mutter und Lesley.“ Haru setzte sich in den entstehenden Kreis. „Er ist ein Streber. Sagt, die Bücher sind ihm wichtiger. Außerdem kann sein Drache nicht fliegen.“ „Er kann nicht fliegen?“ „Hat Elin das nicht erzählt? Er kam schon mit verkrüppelten Flügeln aus dem Ei.“ „Doch, ich habe es erzählt.“, fuhr sie empört auf. „Mir hört nur keiner zu.“ Haru rollte mit den Augen. „Zumindest das kann ich verstehen.“, murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart. „Wir war das?“, drohte sie mit erhobener Faust und Dhara hob abermals beschwichtigend die Hände. „Hey, beruhigt euch.“, rief sie. Zum Glück wurde der beginnende Zank der Geschwister durch die Ankunft neuer Gäste unterbrochen. „Naruby, Naruby!“ Seren sprang auf und winkte dem Jungen zu, der sichtlich außer Atem zwischen Yaji und Juri flog. Sie umarmte ihn fest, kaum dass er gelandet war. Ihre Schwester folgte nur Sekunden später ebenso herzlich, dass der Junge rot wurde vor Freude. Er ließ die ockerfarbene Katze zu Boden, bevor er die beiden blonden Mädchen fest umarmte. „Es ist so toll, dass Tantchen dich gehen ließ!“ „Da seid ihr ja endlich!“, rief Flore inzwischen und erhob sich. Das junge Halblingsmädchen winkte der Gruppe zu, die sich nun dem weitläufigen Feld von der anderen Seite näherten, auf dem sich bisher alle versammelt hatten. Es handelte sich dabei um den zum Ausgangsort der Friedensbringer erkorenen Platz, auf dem bereits die Friedensverhandlungen stattgefunden hatten. Wie lange das jetzt schon her war. Fast war die Tatsache eines gerade überstandenen Krieges so unwirklich, aber die vier großen Statuen Mimouns, Dhaômas, Lulanivilays und Tyiasurs, die über die vier Ecken des Platzes wachten, riefen es jedem in Erinnerung. Moira sprang dem anderen Halbling in die Arme und bekam Unterstützung von Marvin. Seine Schwester Haya war da zurückhaltender, auch wenn sie sich sichtlich freute hier zu sein, im Endeffekt kannte sie diese Leute hier nicht wirklich. Sie ließ ihren Blick über die Anwesenden schweifen. „Sind wir die Letzten?“, wollte sie schüchtern wissen. „Jokun und Palil hatten sich noch angekündigt. Wer weiß, ob sie ihr Nesthäkchen mitbringen. Und vielleicht kommt Troll noch. Bei ihm weiß man nie, aber um seine Mädchen zu sehen, geh ich zu nahezu hundertprozentig davon aus, dass er kommt.“ „Ist er nicht grad wieder bei den Rumtreibern?“, wollte Haru wissen, was von Naruby verneint wurde. „Mein Onkel hat bei seinem letzten Besuch nichts dergleichen verlauten lassen, dass Troll sich ihnen wieder für eine Weile anschließen würde.“ „Also warten wir noch ein Weilchen und gucken, ob er kommt.“ „Ich hoffe es. Er ist der beste Informant, was ihre Aktivitäten angeht. Würde mich schon mal wieder interessieren.“, mischte sich Flore in dieses Gespräch ein. „Ähm, was ist mit Neri?“, fragte Juri. Elin zuckte desinteressiert die Schultern. „Die ist sicher bei Mimoun und Dhaôma. Als würde die gehen. Viel zu klein.“ „Wer ist das?“, fragte Haru irritiert. Den Namen hatte er noch nicht gehört. „Neri ist ihr neustes Adoptivkind. Eine kleine Magierin, deren Eltern sie nicht mochten und geschlagen haben.“, erklärte Yaji und lachte. „Du kennst das doch. Sie waren zufällig da und entschlossen sich, sie mitzunehmen.“, zuckte Juri mit den Schultern. „Als könnte einer von den beiden zu Kinderaugen ‚nein’ sagen.“ „Sie ist ganz niedlich.“, schwärmte Elin und Haru seufzte. Er hatte zuviel verpasst. „Erst drei Winter alt.“ „Welche Magie?“, wollte Keithlyn wissen. Sie war mit Abstand die Älteste in dem Kreis. „Ist noch nicht ganz klar.“, sagte Seren. „Ich wette, Pflanzen. Sie hat auch braune Haare, wie Dhaôma.“, rief Fiamma aufgeregt und Seren lachte. „Das hat mit der Haarfarbe nichts zu tun.“, erklärte ihr Seren. „Das weiß ich auch.“, murrte ihre Schwester. Und wechselte im nächsten Moment ihre Stimmung und auch gleich das Thema. „Es war gar nicht so leicht, Papa davon zu überzeugen, uns nicht zu begleiten, aber wir haben es geschafft.“ Sie strahlte stolz. „Und als nächstes gehen wir und suchen die Insel der Drachen.“ „Wir müssen nur vorsichtig sein, dass Papa nicht so schnell davon Wind kriegt, sonst werden wir das kaum schaffen.“, erklärte Seren ruhig. „Deshalb haben wir euch ja zusammen gerufen. Wir brauchen eure Hilfe. Ihr müsst ihn irgendwie von unserer Spur abbringen.“ „Ich will auch mit!“, rief Naruby, wurde aber von Kitty in die Arme genommen, die ruhig den Kopf schüttelte. „Warum nicht?“ Seine Augen wurden feucht. „Silia?“ Es war nur ein einziges Wort, das sie sagte und brachte ihn damit zur Vernunft. „Mama wäre traurig.“, erkannte er leise, sie nickte. „Und du auch?“ Sie nickte wieder. „Ich möchte auch einen Drachen haben.“, murmelte er traurig. „Du kannst ja später nachkommen.“, schlug Fiamma vor. „Wenn du älter bist.“ „Du bist auch erst dreizehn.“, sagte Amar. „Du passt doch auf mich auf.“, konterte sie. „Schon...“ „Also, beschlossen, du zeigst uns den Weg.“ Haru lachte. Ja, Amar hatte beschlossen, dass er es aus eigener Kraft schaffen würde, sobald die Zwillinge alt genug waren. Ob dreizehn jedoch alt genug war? „Da sind sie!“, riefen Moira und Taloth synchron und zeigten zum Rand des Feldes. „Jokun, Palil!“ „Sie haben Relaia dabei!“, freute sich Keithlyn. „Und Yusuki!“ Sie winkte und der violette Drache flog vor und ihr direkt in die Arme, warf sie zu Boden und gurrte sie an. Mit seinen zweieinhalb Metern konnte er seinen Reiter geradeso tragen. Jokun hatte den Drachen vor drei Jahren bekommen, als er Dhaôma und Genahn besuchen war und hatte als einziger die Drachenreiterprüfung beinahe so schnell absolviert wie Mimoun und Dhaôma. Gerade mal ein Jahr hatte er gebraucht. „Wow.“ Ramons Augen glänzten. „Er hat eine wunderschöne Farbe.“ „Yaji.“ Jokun hatte aufgeholt und begrüßte sie zuerst. Fest nahm er sie in seine durchtrainierten Arme, hob sie schwungvoll von den Füßen und drehte sie einmal herum. „Ach, du riechst immer so gut!“, schwärmte er und versenkte seine Nase in ihrem Haar, was sie errötend geschehen ließ. „Nach Honig.“ „Wehe, ihr braucht genauso lange, wie Mimoun und Dhaôma.“, unheilte Amar drohend. Das war ja damals schon nicht mit anzusehen gewesen. Auf eine Wiederholung konnte er gut und gerne verzichten. „Flirtet woanders.“ „Bist ja nur eifersüchtig.“, lachte Elin und stützte sich auf seiner Schulter ab. „Komm selber in die Gänge, bevor du dich über andere beschwerst.“ Amar schluckte sichtbar und schob sie dann von sich. „Sagt die Richtige.“ „Ich beschwer mich nicht.“, lachte sie unbefangen und schwang sich in die Luft. „Ich schau mich kurz um, ob Troll tatsächlich noch kommt. Bin gleich wieder da.“ Während sie warteten, dass die junge Feuerdrachenreiterin zurückkehrte, wurde der Proviant aller zusammengetragen. Die Ankündigung war klar gewesen und so hatten alle ein wenig mehr dabei, um vernünftig speisen zu können. Darüber hinaus machten sich diejenigen, die sich noch nie begegnet waren und sich bisher nur vom Namen und aus Erzählungen her kannten, miteinander vertraut. Das Stimmengewirr erinnerte an einen der Bienenschwärme, die Juri und Yaji im letzten Dorf zurückgelassen hatten. „Er kommt.“ Der Ruf ließ alle nach oben blicken. Elin vollführte eine Landung voll Grazie und Anmut und ließ ihre roten Locken in einer eleganten Bewegung über ihre Schulter fallen. „Troll kommt tatsächlich.“ Bis der Erwartete schließlich eintraf, dauerte es noch ein Weilchen. Das Essen war fertig und die Feier schon in vollem Gange, als der Nachzügler endlich auf der Bildfläche erschien und die Anwesenden mit einem lässigen Heben der Hand begrüßte. Gelassen ließ er seinen Rucksack zu Boden gleiten und platzierte sich daneben. „Das Beste kommt zum Schluss, nicht wahr“ „Immer. Solltest du dir merken, Haru. Vielleicht kannst du dann auch mal einen epischen Auftritt hinlegen.“ Von Harus promptem Plustern bekam er nur am Rande etwas mit, da er sorgsam seine Decke vom Rucksack löste und akribisch als Nest zusammengedreht vor sich platzierte. Kaum war er mit seinem Werk zufrieden, knöpfte er seinen Mantel auf, löste das darunter zum Vorschein kommende Tuch und enthüllte zwei winzige Geschöpfe, die nun neugierig in die Gegend schnupperten. „Wie süß. Was sind denn das für niedliche Tierchen?“ Die Jüngeren und die eher mit einem Mutterinstinkt ausgestatteten jungen Frauen scharrten sich um Troll und seine Tiere. „Gleithörnchen. Sie waren zu dritt, als ich sie fand, aber das Schwesterchen hat es leider nicht geschafft.“ Er wickelte die Kleinen wieder vorsichtig in das Tuch und platzierte das Bündel vorsichtig in dem provisorischen Nest. „Wie die Väter so der Sohn.“, kicherten einige und dann schlug die Stimmung um zu aufgeregt-neugierig. „Also, fangen wir jetzt an? Es sind doch alle da.“ „Jaaaa, wer fängt an? Wer fängt an.“ „Lass doch Troll entscheiden. Er war schließlich der letzte.“ „Troll, was willst du als erstes hören?“ Der Schwarzhaarige überlegte kurz, während er mit seinen Fingernägeln ein paar Bucheckern auseinanderpulte. Letztendlich zeigte er auf Kitty. „Wie geht es Jadya?“ Es ging ein allgemeines Stöhnen durch die Reihen der Jugendlichen. Warum hatte er sich ausgerechnet die Schweigsame ausgesucht? Das konnte doch nichts werden. „Vielleicht kann ich das beantworten.“, mischte sich Gerinea ein, ein siebzehnjähriges Magiermädchen mit dunklen Locken. „Ihr wisst ja, dass Jadya vor vier Jahren zu uns nach Hagen gezogen ist.“ Hagen war das Dorf, aus dem Fiamma stammte. Die Geflügelten hatten es in mühevoller Kleinarbeit als Entschuldigung wieder aufgebaut und schließlich Unterstützung von einigen Magiern bekommen, bis man beschlossen hatte, daraus das erste gemeinsame Dorf zu machen. „Sie hat nach viel Bitten vor zwei Jahren die Führung dieses Dorfes – Verzeihung – der Stadt übernommen. Und sie macht das wirklich phantastisch. Seit sie dort ist, kommen immer mehr dazu.“ Ihre Stimme wurde schwärmend. „Jadya ist wirklich gut darin, jegliche Streitigkeit beizulegen. Die Leute kommen immer zu ihr, wenn was los ist. Wir hatten schon seit Monaten keine Handgreiflichkeiten mehr.“ Als sie zu kichern begann, wurden alle noch ein wenig aufmerksamer. „Sie hatte so viele Verehrer, Magier wie Geflügelte, dass sie gar nicht mehr wusste, wohin damit, aber sie hat sich letzte Sonnenwende endlich entschieden. Er ist Hanebito und heißt Dearon. Vor einigen Tagen hat sie verkündet, dass sie sein Kind trägt.“ „Das ist gut zu hören.“, antwortete Troll zufrieden, denn ihm war damals nicht entgangen, dass sie Mimoun nachgetrauert hatte. Dass sie glücklich war, beruhigte ihn. „Gut zu hören?“, fuhr Elin auf. „Das ist toll, super, klasse!“ Sie schlug die Hände vor die Brust und strahlte über das ganze Gesicht. „Endlich.“ Vor lauter Freude wusste sie nicht, wohin mir ihrer Energie und umarmte urplötzlich Amar, der bis über beide Ohren errötete. „Ist ja gut. Lass mich los.“ „Hab dich nicht so.“ Sie streckte ihm die Zunge raus. „Wäre nicht das erste Mal.“ „Willst du, dass dein Bruder mich umbringt?“, zischte er. „Ach, das würde er nie wagen.“, flötete sie. „Nicht wahr, Haru?“ Aber Haru sah durchaus so aus, als würde er den Störenfried am liebsten grillen. Der beste Beweis dafür war sein Wasserdrachen, der aus seinem Schlaf erwacht war und sich nun entrollte. „Bitte.“ Gerinea lachte. „Kein Streit. Wir sind hier, um zu reden. Kämpfen könnt ihr später noch.“ „Fein.“, murrte Haru und verschränkte beleidigt die Arme voreinander. Das alles lag nur daran, dass er immer den Unterricht bei Lesley geschwänzt hatte, dass dieser Gernegroß es geschafft hatte, sich an seine Schwester heranzumachen. Nur deshalb hatte er fünf Jahre lang nicht auf sie aufpassen können. „Gut, Gerinea, wer ist der nächste, der erzählen soll?“ „Ich darf wählen? Schön, ich wähle Moira. Wie ist es bei den Magiern im Wald?“ „Ist gar nicht so besonders.“, meinte das Halblingsmädchen. „Wir kommen klar. Die Nachbarstadt hat mich akzeptiert, seit Volta und Zira dort hingezogen sind.“ „Volta lebt jetzt bei euch? Ehrlich?“ Keithlyn machte große Augen. Seitdem er vor elf Jahren verschwunden war, hatte man nichts mehr von ihm gehört. „Geht es ihm gut?“ „Er hat selbst drei Kinder. Sie waren Überbleibsel aus dem Schloss und sind Halblinge wie er und ich. Und die Magier akzeptieren das. Seitdem akzeptieren sie auch mich und ich muss mich nicht mehr verstecken.“ „Hat ganz schön lange gedauert.“ „Länger als alles andere. Die Halblinge waren danach die Bösen.“, stimmte sie traurig zu. „Aber sie haben endlich begriffen, dass wir Kinder nichts dafür können, wer wir sind.“ „Warum hast du sie nicht mitgebracht?“, wollte Fiamma wissen. „Dann hätten wir neue Leute kennen gelernt. Wo Papa uns doch nie weglässt.“ „Ich habe sie gefragt, aber sie sind noch nicht dazu bereit. Sie haben gesagt, dass sie sich nicht trauen.“ „Vielleicht bitten wir sie das nächste Mal direkt.“, schlug Seren vor. „Dann wissen sie, dass sie willkommen sind.“ „Okay! Ich schreibe einen Brief.“ Fiammas Wangen waren vor Aufregung gerötet, während sie schon überlegte, was in dem Brief stehen sollte. „Gut, dann erzählt jetzt Haru. Was ist los auf der Insel. Wie geht es Aulee?“ „Es geht ihr blendend. Vor allem, seit sich noch mehr dort oben eingenistet haben. Es gibt mittlerweile einige, die sich entschlossen haben, von nun an in Drangar zu leben. Nicht alle von ihnen haben tatsächlich Drachen, aber sie wollen dieser Stadt wieder Leben einhauchen.“ „Du scheinst nicht begeistert darüber zu sein.“, stellte Keithlyn irritiert fest. Verlegen kratzte sich Haru am Hinterkopf. „Das trifft es nicht wirklich.“ Ein bezeichnender Blick zwang ihn dazu sich zu erklären. „Sie nehmen einem irgendwie das Gefühl einzigartig zu sein.“ Elin lachte. „Keine Sorge.“ Sie klopfte ihm auf die Schulter. „Du bist auf jeden Fall einzigartig. So lange wie du, hat bisher noch keiner gebraucht. Ganze zehn Jahre.“ Da konnten ihr die anderen nur lachend zustimmen. „Das ist nicht, was ich…!“, brauste der junge Mann auf, brach aber nach einem belustigten Seitenblick seiner Schwester zerknirscht ab und versteckte sein Gesicht hinter seinen Händen. Am Besten schnell das Thema wechseln. „Wo wir schon bei weiten Entfernungen waren… Flore. Was machen die Halblinge in den Savannen?“ Die Angesprochene antwortete nicht sofort, sondern lehnte sich erst ein wenig zurück und schloss seufzend die Augen. „Sie bleiben in ihrem selbst erwählten Exil. Sie sagen, sie haben sich an ihre neue Heimat schon so sehr gewöhnt, dass sie keinen erneuten Umzug mitmachen wollen. Ich kann sie verstehen, ich mag das Land auch.“ Nach diesen wenigen Worten schnellte sie wieder nach vorn, fast verschwörerisch und grinste. „Aber wir kriegen regelmäßig Besuch. So alle viertel Jahre kommt eine Karawane. Damit wir nicht mehr so abgeschieden sind, schließlich sind wir Freunde der Friedensbringer. So bekommen wir Nachrichten, was sich gerade in der Welt tut. Und wir können Handel treiben. Man hat uns sogar geholfen richtige Hütten zu bauen, damit wir nicht bei jeder Sturmflut aus den Höhlen flüchten müssen und ohne Dach dastehen. Die Angst, die unser Dorf anfangs noch im Griff hielt, diese Angst vor Entdeckung und Verfolgung ist völlig verschwunden. Ich habe sie ja noch mitbekommen, schließlich ging es nicht von einem Tag auf den nächsten sie abzulegen. Aber nun kann man da richtig frei atmen.“ Das Mädchen stockte und grinste verlegen. „Zumindest fühlt es sich so an.“ „Du bist süß.“, beschied ihr Keithlyn. „Und ich kann sie verstehen. Das Land ist wunderschön, es ist durchgängig warm und man kann gucken, soweit man möchte.“ „Du musst grade reden. Wer war denn seit sieben Jahren nicht mehr da?“ „Ich hatte meine Gründe.“, verteidigte sich das Albinomädchen und streckte ihr die Zunge heraus. Nur weil sie hier die Älteste war, hieß das nicht, dass sie sich auch so benehmen musste. „Aha, und die wären?“, zischte Flore mit verschränkten Armen. Schnippisch drehte Keithlyn den Kopf zur Seite. „Verrate ich nicht.“ Juri kicherte, während sie Seren abknuddelte, die sie schon lange nicht gesehen hatte. „Sie hat jetzt auch Kinder.“, verriet sie. „Eines sechs und eines drei Jahre alt.“ „Petze.“, zischte Keithlyn hochrot. „Warum ist dir das denn peinlich?“ Flore war aufgesprungen. „Das sind phantastische Neuigkeiten. Weißt du, wie glücklich Korkkan sein wird, wenn er das hört?“ „Du wirst es ihnen nicht verraten. Ich wollte sie überraschen, wenn meine Kinder alt genug sind, um sie zu besuchen.“ Keithlyn hatte drohend die Flügel gespannt und wirkte damit sehr überzeugend. Amar lehnte sich seufzend zurück. „Wisst ihr, ich glaube, ich beginne langsam zu verstehen, warum sie ein ganzes Heer dazu bringen konnte, sie in Magiergebiet zu begleiten.“ „Echt? Warum?“ Fiammas Augen waren rund vor Neugierde. Natürlich kannte sie alle Geschichten in- und auswendig. Die Abenteuer ihrer Ziehväter und Retter und Prügelknaben. „Sag schon!“, drängte sie, als Amars Blick mitleidig resignierend wurde. Schon lange war klar, dass dieses Mädchen sich grundsätzlich von niemandem einschüchtern ließ. Wie könnte sie da verstehen, was andere bei Keithlyns Anblick empfanden? „Von mir jedenfalls herzlichen Glückwunsch.“ Flore umarmte ihre Clanschwester und strahlte. „Komm möglichst bald, ich versuche, mich zurückzuhalten.“ „Dein Glück.“ Die Anspannung ging ein wenig, dann erwiderte sie die Umarmung. „Vielen Dank.“ Nun fielen auch alle anderen mit ein, ihr alles Gute zu wünschen. Es gab ein richtiges Tohuwabohu. Bis Dhara wieder die Stimme erhob. Ihr war etwas aufgefallen. „Sag mal, Juri, woher wusstest du das? Nicht mal wir Geflügelte wussten davon.“ „Ich und Yaji ziehen von Insel zu Insel, vergessen?“ „Ach ja, mit den Bienen.“ „Davon habe ich schon gehört.“, mischte sich Marvin ein. „Funktioniert das wirklich? Dass deswegen mehr Früchte und so wachsen?“ Als Ziegenhirte in den Wäldern hatte er einmal von Dhaôma davon gehört, dass es bei den Hanebito Bienenhirten gab. „Klar funktioniert das.“, lachte Yaji. „Warum sollten wir es sonst noch tun?“ „Und der Nebeneffekt ist, dass wir alle Neuigkeiten aus erster Hand erfahren und beinahe alle Hanebito mindestens einmal schon gesehen haben.“ „Inzwischen gibt es außer uns noch zwei die das machen, aber trotzdem sind wir das ganze Jahr eigentlich unterwegs, teilweise sogar auf den Ebenen, weil uns die Bienen bei dem geringen Nahrungsangebot auf den Inseln einfach verhungern würden.“ „Das klingt schön.“, seufzte der Braunhaarige und legte die Arme auf den Knien ab. „Mit meinen Ziegen komme ich selten mal aus dem Wald heraus.“ „Warum?“, wollte Naruby wissen. Er kannte sich mit diesen Tieren nicht aus. „Sind das Waldtiere?“ „Nein.“ Marvin schüttelte den Kopf. „Sie kommen auch wunderbar auf den Ebenen klar. Aber wir sind leider an einen Ort gebunden, wo wir ihre Milch und andere Erzeugnissen gewinnen und verkaufen können. Es wäre unpraktikabel, alles mit herumschleppen zu müssen.“ „Verstehe.“ Gewichtig nickte der Junge mit vor der Brust verschränkten Armen. Das wurde ein wenig zunichte gemacht durch Kitty, die ihren Kopf auf seinen gestützt und ihre Arme um ihren Schützling gelegt hatte. „Wie sieht es in unserem Dorf eigentlich jetzt aus? Ich war schon lange nicht mehr da.“, mischte sich Haru nun ein und erntete prompt wieder einige Lacher. Natürlich. Wäre er schneller mit seiner Prüfung gewesen, wäre er schneller wieder nach Hause gekommen. Danke. Den Teil hatte der junge Mann nun wirklich häufig genug unter die Nase gerieben bekommen. „Wir wohnen ja dichter an der ehemaligen Grenze als sonst jemand.“, begann Naruby mit der jedem Anwesenden bekannten Tatsache. „Ihr hattet ja schneller Kontakt zu den Magiern bekommen.“ Mit einem Nicken fuhr der Junge fort. „An die Anfänge kann ich mich nicht erinnern, ich war ja noch ein Säugling, aber ich bekam immer die herzlichen und offenen Empfänge mit, wenn man Magier gesichtet hatte und ersichtlich wurde, dass sie mit uns in Kontakt treten wollen. Wie ihr wisst, ist es schwierig von unten Kontakt zu den Inseln herzustellen. Nicht immer werden die Reisenden sofort entdeckt. Vor allem nicht auf den höheren Inseln. Deshalb war bei jeder Karawane ein Windmagier dabei, der uns Botschaft in die Höhe schickte. Es machte Spaß, den Wind der Magier zu nutzen und zu flattern.“ Haru winkte ab. „Das wissen wir alles doch schon. So ganz bin ich ja nicht von allem fern geblieben. Auch auf Jashar hab ich Neuigkeiten empfangen.“ „Lass ihn reden. Deinen eher mageren Bericht haben wir auch weder kritisiert noch unterbrochen.“, wurde er von Amar zurechtgewiesen. Es war wieder Dhara, die die beiden trennte. „Wir wollten doch friedlich bleiben.“ Naruby ließ sich von der Unterbrechung nicht beirren, sprang in seiner Erzählung dennoch ein wenig vor. „Seit Jadya nicht mehr da ist, verlässt meine Mutter häufiger die Insel. Wir gehen sie dann gemeinsam besuchen. Es schien ihr anfangs wirklich schwer zu fallen, aber nun geht es meiner Mutter damit richtig gut, unter so viele Menschen zu kommen.“ Er hob seinen Blick und schaute Kitty an, bevor er fortfuhr. „Ich weiß nicht, ob du es schon gehört hast, aber Oldon ist nicht mehr unter uns. Nobu hat nun die Führung des Dorfes übernommen.“ „Oh.“ Das war Haru dann doch neu. Es stimmt ihn traurig. Gerne hätte er den alten Zausel noch einmal gesehen, der ihnen, als sie Kinder gewesen waren, soviel durchgehen lassen hatte. Die anderen spürten, dass die Stimmung zu kippen drohte, also sprang Jokun ein. „Ich kann euch berichten, dass in der Hauptstadt der Magier alles soweit geregelte Bahnen läuft.“ Ein leicht unschönes Grinsen verunzierte seine Lippen und seine Augenbrauen trafen sich fast auf seiner Stirn, als er anfügte. „Zumindest, solange mein Vater nicht da ist. Dieser…“ „Bruder, sei nicht so.“, beschwichtigte ihn Palil. „Immerhin hatte er es nicht leicht in den letzten Jahren.“ „Ja, ich vergaß. Nachdem seine Wunden auf herkömmliche Weise heilen mussten, machte er sich auf eine Reise, um sich an Lulanivilay zu rächen und seine Magie wieder zurück zu bekommen. Nach sechs langen Jahren kehrte er stolz erhobenen Hauptes zurück, behauptete, er hätte es aus eigener Kraft geschafft, obwohl kurz vorher Onkel Dhaôma bei uns gewesen ist, um Mutter zu sagen, dass er seinen Bruder gefunden und geheilt hat. Er hat eiskalt gelogen. Uns alle angelogen, um sein Gesicht nicht zu verlieren. Und jetzt tut er so, als hätte er keinen Fehler gemacht und führt sich auf, als wäre er der beste Vater, den die Welt je gesehen hat, obwohl er nicht einmal weiß, wie man ein keines Mädchen zur Begrüßung umarmt.“ Verstimmt verschränkte er die Arme vor der Brust. Nicht einmal Yajis weiche Berührung konnte ihn umstimmen. „Ich glaube eher, dass Onkel Dhaôma sich ihm nicht gezeigt hat. Immerhin heilt er die zerstäubte Magie nur durch seine Anwesenheit.“ Palil seufzte. „Mutter gegenüber meinte er mal, dass man mit Vater nicht reden könne und dass er ihn lieber nicht mehr sehen wolle. Verständlich, nach allem, was dieser seiner Familie und seinen Freunden angetan hat.“ „Es wäre trotzdem besser, wenn er nicht ständig kommen würde. Es würde für alle das Leben leichter machen.“ „Mutter freut sich, wenn sie ihn sieht.“ „Und sobald er den Mund aufmacht, streiten sie. Was soll daran gut sein?“ Schüchtern zupfte Relaia am Ärmel ihres Bruders. „Weißt du, Jokun, Vater erzählt mir abends oft Geschichten.“ „Ja, weil er nicht vergessen kann, dass er mal der Held der Magier gewesen ist.“ Der braunhaarige junge Mann seufzte und gab seine schlechte Laune auf. „Ich bevorzuge es, wenn er auf seinen Selbstfindungsreisen ist, dann muss ich mich nicht mit ihm beschäftigen.“ „Liegt es daran, dass dann Zim freie Bahn hat?“, fragte Yaji neckisch. Ihre Augen funkelten. „Wer ist Zim?“ „Ich weiß es!“, rief Relaia und riss die Hand hoch, aus der Eisstaub schoss. „Er schenkt Mutter und mir Blumen und zeigt Palil, wie man Bäume nach seinen Wünschen umgestaltet.“ „Palil hat also Dhaômas Macht geerbt?“, wollte Haru wissen. „Das ist phantastisch. Schade, dass Dhaôma es dir nicht selbst zeigen kann.“ „Er ist ja nie da.“ „Muss in der Familie liegen.“, murmelte Juri kichernd, aber sie wurde nicht gehört, als Relaia wütend aufstand und mit heftigen Gesten und rotem Gesicht ihren Onkel verteidigte, dass er viele Aufgaben hätte und auch noch andere Verpflichtungen auf ihn warteten. Es führte zu einem Auflockern der Gemüter. Jokun zog seine kleine Schwester in seine Arme und kuschelte sie. „Goldstück!“, pustete er in ihr Ohr und brachte sie zum Kichern. „Also hat Penny einen Verehrer. Hat sie denn Interesse an ihm?“ „Ja.“ Die Antwort war einfach gehalten und löste trotzdem Jubelstürme aus. „Und was sagt Genahn dazu?“ „Was wohl?“, mischte sich Keithlyn ein. „Sie soll machen, wozu sie Lust hat.“ Ihr helles Lachen sprach von ihrer Freude, denn diesen Freund sah sie immer noch sehr oft. „Genahn würde einen Teufel tun und sie unglücklich machen. Ihr wisst doch, wie er ist. Friede, Freude, Eierkuchen – ist sein Motto. Und er macht ja auch immer, was er will.“ Bezeichnend zeigte Jokun auf sie. „Ja.“, mischte sich Seren ein. „Damit ist er aber wenigstens nicht allein. Wenn ich mir die jährlichen Versammlungen so ansehe.“ „Ach hör mir doch damit auf.“, moserte Fiamma und verwarf ihre Hände. Was bei ihrer Schwester zu einem Kichern führte, verursachte Neugierde bei den anderen. „Was ist los?“, fragte Troll sanft, als keine der beiden daran dachte, fortzufahren. Diesen Zündfunken hatte die kleine Feuermagierin gebraucht. „Die Erwachsenen sind so anstrengend.“, echauffierte sich das Mädchen. „Ward ihr mal dabei?“ Schwungvoll stand sie auf und verdeutlichte durch eindrucksvolle Pantomime, was sie meinte. „Mylady sehen heute wieder zauberhaft aus. Welch seltene Gabe, dass die Zeit ihrer Schönheit nichts anhaben kann. Dass wir auch dieses Jahr wieder eine solch zarte Blume in unserer Mitte haben werden, lässt mein Herz jetzt schon voll Erwartung höher schlagen.“ Gekonnt wechselte sie die Person und mimte nun die Angesprochene, mit all den passenden linkischen und peinlich berührten Gesten. „Nicht doch, Ihr Charmeur. Ihr bringt mich ja noch ganz in Verlegenheit. Seht Ihr, ich werde ja schon ganz rot.“ Fiamma warf ihre Hände in die Luft und ließ sich fallen. „Das sieht man unter dem Zentner Schminke nicht. Weder das Alter noch das angebliche Rotwerden. Warum dieses gestelzte Geschleime? Können die sich nicht ganz natürlich verhalten?“ „Schon mal daran gedacht, dass das zur Etikette gehört?“, fragte Keithlyn, sich ein Grinsen nur mühsam verkneifend. „So werden Beziehungen gepflegt. Niemand will den anderen vor den Kopf stoßen, denn niemand will einen erneuten Krieg heraufbeschwören. Es sind erst zehn Jahre vergangen. Manche Wunden heilen nicht so schnell und manches Vergangene kann man nicht vergessen.“ Seren legte ihrer Schwester beruhigend eine Hand auf den Unterarm und lächelte, bevor sie fortfuhr und einen kurzen Einblick in die Versammlungen gab. Jede Gruppierung beteiligte sich daran. Geflügelte, Magier, selbst einige Halblinge ließen sich ab und zu dort blicken. Juuro war dann immer bei ihnen. Er war ihr Sprecher, ihr Schutz, denn ihr Auftreten war noch immer unsicher. „Auf den Versammlungen läuft es immer so ab, wie jetzt hier bei uns. Jeder erzählt, was sich Neues zugetragen hat in dem Jahr. Wo gab es Streitereien, wo gab es erfreuliche Fortschritte, wo Neuerungen und Änderungen, wie kann man das Zusammenleben vereinfachen. Und weil Vater immer noch hofft, dass einer von uns eines Tages seinen Platz einnimmt, schleppt er uns jedes Mal mit hin. So bekommen wir Neuigkeiten aus erster Hand, auch wenn selten persönliche Geschichten von vertrauten Personen dabei sind.“ „Stattdessen langweiliger Kram von fremden Leuten und wir müssen dasitzen und lächeln und glücklich aussehen.“, fügte Fiamma hinzu und ließ sich nach hinten in das störrische Gras sinken. „Ihr armen Würstchen.“, frotzelte Troll und sie streckten ihm unisono die Zungen raus. Auch er war am Anfang zweimal dabei gewesen und hatte dann für sich beschlossen, dass er stattdessen auf die Jagd gehen würde. „Dann bin ich jetzt wohl dran, oder?“ „Ja, erzähl.“ Beinahe alle setzten sich auf, Seitengespräche wurden eingestellt. „Was ist los im Hause Friedenbringer?“ Denn das war die Zusatzbezeichnung, die die beiden ersten Drachenreiter bekommen hatten, nachdem es immer mehr davon gab. „Ich kann euch nur berichten, was mit bekannt ist. Das heißt, alles bis vor drei Monaten.“ Der Schwarzhaarige setzte sich auf. „Palil, mach das Gras da tot.“ „Sofort.“ Der Junge sprang auf und stellte sich in die Mitte des Kreises. Beide Hände auf dem Boden konzentrierte er sich wie wahnsinnig, um die Magie zu initiieren, die Dhaôma so leicht von der Hand ging. Langsam verwelkten die Pflanzen, bis sie schließlich zu Staub zerfielen. Als er sich aufrichtete, glänzte Schweiß auf seiner Stirn. „Gut gemacht.“, lobte Troll und ließ den steinigen Untergrund zu Sand werden. Darauf hatten die meisten nur gewartet, denn mithilfe seiner Macht ließ der erste Sohn der Friedensbringer Bilder aus beweglichem Sand erscheinen. Gerade erhoben sich zwei ihnen allen bekannte Gestalten in Miniaturformat, die Hand in Hand an einer Klippe zu stehen schienen. „Da viele beim letzten Treffen noch zu klein gewesen sind, um sich zu erinnern, und andere gar nicht dabei waren, fange ich von dem Tag an, als sie wieder ihr eigenes Ziel verfolgten. Der Frieden war gemacht, ihnen blieb kaum noch etwas zu tun. Andere sollten sich anstrengen, damit der Frieden wirklich eine Chance hatte. Deshalb und weil die Drachen sie dazu drängten, brachten sie Genahn auf die Insel der Drachen hinauf.“ Gerade noch so mit dem Boden verbunden war die kleine Reisegruppe zu sehen, wie sie auf und um Lulanivilay flogen. „Das wissen wir.“, maulte Haru. „Ich nicht.“, mischte sich Haya ein und warf Gras nach ihm. „Sei still.“ Troll lächelte milde. Das Bild änderte sich. „Sie haben Training machen müssen, vor allem Mimoun musste mit den anderen zusammen die Schulbank drücken.“ Ein sehr verzweifelter Mimoun kratzte sich am Kopf und raufte sich die Haare, während er die Nase in ein Buch steckte. „Und Dhaômas Aufgabe war es, kämpfen zu lernen.“ „Das hat Kaley ja auch schon mal probiert.“, lachte Keithlyn, die es aus erster Hand immer wieder von ihrem Schwiegervater erzählt bekam. „Das war vergebliche Liebesmüh.“ Grinsend bewegte Troll seine Hände und der Sand zeigte mehrere kleine Drachen, die Dhaôma angriffen. Wie in einer Explosion wuchsen um ihn herum Blumen und Früchte und die Kleinen fielen wie die Fliegen vom Himmel. „Sagen wir es so: Er hat seine eigenen Methoden.“ „Ja.“ Juri dehnte das Wort, während sie stirnrunzelnd zu erfassen versuchte, was dort geschehen war. „Aber was hat er gemacht?“ „Es ist eine Blüte, die sie schläfrig macht. Im Übrigen, nicht nur sie.“ Das nächste Bild zeigte die kleine Familie schlafend zwischen den Drachen. „Bis er sie welken ließ, hielt das an. Danach hat Lesley noch einige andere Versuche gemacht und schließlich aufgegeben.“ Überall Gekicher. „Ein halbes Jahr später verließen wir die Insel der Drachen. Mito ist bei Lesley geblieben, also waren es nur sie und ich. Den ganzen Sommer über blieben wir zuhause, aber im Winter waren wir wieder unterwegs. Ganz weit in Richtung Sonnenaufgang suchte Dhaôma nach Menschen, von denen er auf Drangar gelesen hat. Menschen, die im Meer leben. Aber er hat sie nicht gefunden. Auch in anderen Jahren zeigten sie sich nicht, aber wir haben Hinweise gefunden, dass es sie gibt. Vielleicht wollen sie sich einfach nur nicht zeigen.“ „Menschen, die im Wasser leben?“ Naruby rümpfte die Nase. „Wie seltsam.“ „Aber trotzdem nicht unwahrscheinlich. Immerhin kannst du fliegen und ich kann Magie wirken.“ Troll ließ das Bild sich ändern. „Das ist sechs Jahre her. Sie haben einige Kinder im Wald gefunden, die völlig verwildert waren. Drei davon sind später weggelaufen, weil sie nicht bei uns bleiben wollten.“ „Und wir sind hier.“, winkte grinsend eine junge Frau mit blonden Locken. Neben ihr saßen zwei Rotschöpfe und ein inzwischen achtjähriges Kind mit schrecklichen Narben im Gesicht und am Kopf. „Ihr seid hier. Und jeder von euch hat sich neue Eltern gesucht.“ „Ist ja auch nicht einfach, Väter zu haben, die ein halbes Jahr nicht bei einem sein können und den Rest des Jahres oben auf den Inseln sind.“ Der eine Rotschopf wurde rot im Gesicht, als er zugab, dass er trotzdem sehr dankbar war, dass die beiden sie gefunden hatten. „Und dass du uns ermutigt hast, Erwachsene nicht aufzugeben.“ „Gern geschehen.“ Trolls Hände zogen ein weiteres Sandbild hoch, das zeigte, wie die beiden mit vielen Magiern geredet hatten, um die Kinder unterzubringen. „Das fünfte Jahr nach dem Krieg hatten wir einige Probleme mit Vilay. Der Drache war total seltsam und beinahe unbezähmbar. Bis Dhaôma aus ihm rausbekommen hat, dass er zur Paarung zur Dracheninsel zurückwollte, hat wirklich gedauert. Und weil er eben nicht reitbar war, waren wir zu Fuß unterwegs. Das war eine tolle Zeit.“ Im Sand zeigten sich Bilder von Kletterpartien und Schwimmsessions. „Das war der Zeitpunkt, wo ich verstanden habe, dass Dhaôma mir genauso ein Vater sein kann wie Mimoun. Er hat mir eine Menge Dinge beigebracht.“ „Da war ich auch dabei.“, rief Flore und zeigte auf eine Jagd auf Steinböcke. „Das war wahnsinnig spannend.“ „Wie kommt es, dass du dabei warst?“ Man konnte Fiamma die Eifersucht direkt ansehen. „Juuro, Korkkan und ein paar andere hatten beschlossen, dass wir über die Berge zurück zur Friedenskonferenz wandern würden und haben sie zufällig getroffen. Ihr müsstet mal sehen, wie geschickt Dhaôma und Troll zusammengearbeitet haben, um den Tieren die Flucht zu erschweren.“ „Anders ging es ja auch nicht. Die sind da oben in den Bergen einfach im Vorteil.“ Wie gebannt hingen die Blicke der Kinder auf dem beweglichen Sand. Gerade stürzte ein Bock in eine Felsspalte und es gab bewundernde Rufe, als Mimoun ihn aus der Spalte zerrte. „Ich wäre so gerne auch mal bei so was dabei!“ Fiamma schlug mit ihrer Faust auf ihr Knie. „Keine Sorge. Bald.“ Serens Augen funkelten, was bei Troll ein weiches Lächeln auslöste. Ja, er kannte die Pläne dieser beiden, hatte sie von Dhaôma und Mimoun erfahren, die es wiederum von Amar wussten. „Vilay kehrte erst im nächsten Jahr zurück. Er sah furchtbar aus. Zu den vielen feinen Narben, die er schon hatte, gesellten sich noch einige gravierendere, die Dhaôma nicht mehr heilen konnte. Er hat sich offenbar wirklich mit jedem möglichen Gegner da oben geschlagen.“ „Das kann ich bestätigen!“, seufzte Haru. „Das war wirklich beängstigend.“ Elin schüttelte sich. „Und wir waren am Anfang nicht mal sicher, ob er das wirklich war, denn er hat kein Wort mit uns gewechselt.“ „Als er fast verblutet wäre… Das war wirklich schlimm.“ „Vilay ist immer noch Vilay.“, fuhr Troll fort. „Wie immer redet er nicht viel, kriegt alles mit und liebt es, Fremde einzuschüchtern oder unpassende Kommentare an noch unpassenderen Stellen einzuwerfen. Vor drei Jahren haben wir versucht, das Gebirge Richtung Sonnenuntergang zu überfliegen, sind daran aber gescheitert. Es war zu hoch, um zu atmen. Selbst mit Windmagie und Genahns Hilfe haben wir es nicht geschafft. Aber ich bezweifle, dass Dhaôma den Gedanken wirklich aufgegeben hat. Er ist wirklich stur.“ „Worauf du einen lassen kannst.“, lachte Amar. „Mimoun kann einem wirklich Leid tun.“, stimmte Haru seufzend zu. „Ich glaube nicht, dass er euer Mitleid braucht.“ Sachte schüttelte Troll seine Hände und der Sand bildete sich zu Mimouns Gesicht, das völlig verklärt in eine Richtung starrte. „So sieht er aus, wenn er Dhaôma einfach nur beobachtet.“ Keithlyn lachte. „Ja, sieht voll gequält aus, der Arme.“ Mehrere Mädchen stimmten in ihr Lachen ein. „Die folgenden beiden Sommer waren wir wieder zuhause, weil Leoni ein neues Kind trug.“ Begeistert übernahm Fiamma. „Das war toll. Sie waren ganze zwei Jahre nur bei uns!“, jubelte sie. „Und weil sie so viele Freunde haben, war jemand da, der mir gezeigt hat, wie ich meine Magie kontrollieren kann, damit sie nicht erfrieren im Winter!“ Sie klatschte in die Hände und eine Welle Hitze breitete sich aus, dass Seren sie vor Glück stürmisch umarmte. „Ja, seitdem hat sie nichts anderes mehr im Kopf, als Drachen suchen und finden.“ Stolz strich das Mädchen durch das blonde Haar ihrer Schwester. „Als ob du anders wärst.“ „Hab ich ja nicht bestritten.“ „Leonis Kind ist ein weiteres Mädchen.“, klinkte sich Troll wieder ein, als Amar die Zwillinge in die Mangel nahm und ihnen die Münder zuhielt. „Sie haben es Addaria getauft, um damit an Addar zu erinnern, dessen Verlust ein herber Schlag war.“ „Oh, aber weise ist sie nicht.“ Seren hatte sich freigekämpft. „Sabbert nur und schreit und lacht und macht in die Windeln.“ Fiamma nutzte Amars Unaufmerksamkeit, um ihren Mund freizumachen. „Was glaubst du, was du gemacht hast, als du so alt warst.“, lachte ihr Cousin. „Hast immer Dhaômas Haare angesabbert und Mimoun das Essen ins Gesicht gespuckt.“ „Alles berechnet.“, erwiderte sie selbstbewusst. „Jedenfalls haben sie vor nicht allzu langer Zeit Neri aufgenommen, als sie in der Hauptstadt zu Besuch waren. Ihre Eltern waren gemein zu ihr und grausam. Dhaôma war richtig böse. So zornig habe ich ihn noch nie gesehen.“ Troll lachte leise, als er das Gesicht aus den Erinnerungen heraufbeschwor. Einige keuchten, andere feuerten ihn an. „Hat ziemlich mit ihnen geschimpft und dann darauf bestanden, Neri mitzunehmen. Die Kleine ist sehr gut darin, Sprachen zu lernen. Sie kommuniziert mit Vilay schon jetzt fast flüssig in der alten Sprache, dabei ist sie erst drei. Bisher hat sie noch keine Magie entwickelt.“ Er unterbrach sich kurz. Vielleicht sollte er ihnen nicht sagen, dass Dhaôma der Frau und dem Mann durch eine kleine Berührung die Möglichkeit genommen hatte, sich noch einmal fortzupflanzen. Schmunzelnd erinnerte er sich an Mimouns zufriedenes Gesicht. „Und jetzt sind sie auf dem Weg in die Wolfsberge, um diesen Winter im dahinter liegenden Dschungel zu verbringen. Dhaôma wollte seine Pflanzenvielfalt aufstocken. Wahrscheinlich ist ihm langweilig geworden und er braucht eine neue Aufgabe.“ „In den Dschungel möchte ich auch!“ Fiamma verzweifelte fast. „Warum nehmen sie uns nie mit? Wir sind doch auch ihre Töchter.“ „Weil Papa dagegen ist.“ Seren schmollte leicht. „Aber das änderte sich jetzt alles.“ „Warum das?“ „Geheimnis.“ Beinahe hätte Troll gelacht. „Mehr kann ich euch zu den beiden nicht sagen. Vermutlich kommen sie im Frühjahr nach Hause.“ „Vermutlich wie in vielleicht, nicht wahr?“ Amar lächelte schwach. „Die sind doof. Warum können sie nicht einmal still halten.“ „Viel eher frage ich mich, wie Fiamma das von ihnen hat erben können, obwohl sie nicht blutsverwandt sind.“, seufzt Yaji. „War die Frage jetzt ernst gemeint?“, wollte Jokun mit hochgezogener Augenbraue wissen. „Hast du schon mal ruhiges Feuer gesehen?“ Nein, hatte sie nicht. „Aber wanderndes Feuer?“, hakte sie noch einmal nach. „Flächenbrand.“, flötete Seren und winkte grinsend zu Yaji herüber. „Aber da wir nun alle gehört haben, kommen wir zu einem wichtigeren Thema. Was plant ihr für die nächste Zeit?“ „Zu meinen Kindern zurück.“, antwortete Keithlyn prompt. Nun da alle hier davon wussten, konnte sie es auch ohne Probleme aussprechen. „Mama macht sich noch immer sehr schnell Sorgen.“, warf Naruby mit einem Lächeln ein, das sowohl Verständnis als auch Genervtheit widerspiegelte. „Ziegen.“, war Marvins kurzer Kommentar. „Ihr seid ja anstrengend.“, lachte Fiamma dazwischen. „Habt ihr noch Spaß in eurem Leben oder nur noch Verantwortung?“ „Wir sind Drachenreiter.“, warf sich Haru in die Brust und legte einen Arm bezeichnend um Elin. „Natürlich haben wir Verantwortung.“ „Gut.“ Elin schob ihren Ziehbruder von sich. „Da ihr ja keine Verantwortung habt, was plant ihr denn.“ Die Zwillinge sahen sich an, grinsten und kicherten. Sie waren die Hüterinnen eines großen Geheimnisses. Würden sie die anderen einweihen oder weiter neugierig lassen? „Das…“, begann Fiamma gedehnt und lehnte sich verschwörerisch vor. „…ist eine gute Frage. Da kommt ihr ins Spiel.“ Langsam hob sich ihr Zeigefinger an ihre Lippen und ihre Augen funkelten schelmisch. „Niemand darf es wissen. Vor allem nicht unser Papa.“ Ein letzter Blick zu Seren. Dann ließ sie die Bombe platzen. „Wir gehen Drachen suchen. Auf demselben Weg wie Mimoun und Dhaôma. Wir begeben uns auf die Spur der Friedensbringer.“ „Das schafft ihr nicht. Asam findet euch schneller, als euch lieb ist.“, stellte Juri klar. „Deshalb brauchen wir euch.“ Seren kniete neben ihrer Cousine und ergriff ihre Hände. „Ihr müsst ihn auf eine falsche Fährte locken. Lenkt ihn ab solange ihr könnt.“ „Wäre es nicht besser uns gar nicht erst davon zu erzählen? Was wir nicht wissen, können wir nicht ausplaudern.“, gab Keithlyn zu bedenken. „Vielleicht.“, stimmte Fiamma mit einem Nicken zu. „Aber vielleicht würde er dadurch nur noch schneller auf unsere Spur kommen. Bitte. Wir wollen dorthin.“ „Allein?“, fragte Troll und setzte sich wieder neben sein improvisiertes Nest. Gut. Sie schliefen. „Natürlich nicht.“ Amar erhob sich. „Ich werde sie begleiten. Sie sind zu jung, um allein zu gehen.“ Troll schüttelte den Kopf und unterdrückte ein Grinsen. Genau, wie ihm gesagt worden war. „Und du allein kannst mit den beiden Wirbelwinden klar kommen?“ Eine Antwort ließ er nicht zu. „Zu meinem eigenen Schutz werde ich mitkommen. Wenn Mimoun herausfinden sollte, dass ich von dieser Aktion wusste und euch völlig allein, ohne vernünftige Ausrüstung oder nur der Ahnung der Wegrichtung habe losmarschieren lassen, krieg ich so was von Ärger. Danke, darauf verzichte ich.“ Immerhin war seine Anwesenheit der einzige Grund, warum die Zwillinge nicht daran gehindert wurden. „Ich habe eine Ahnung, wo wir lang müssen.“, erwiderte Seren. „Natürlich habe ich mich informiert.“ „Ist doch egal.“, sprang Fiamma dazwischen. „Dann kann er uns noch mehr Geschichten erzählen.“ Das blonde Kind lachte ausgelassen. „Abgemacht.“ Gut. Dann war auch das geklärt. Die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen setzten sich noch zusammen und versuchten einen Plan auszuarbeiten, wie Asam so lange wie möglich abgelenkt werden konnte. Immer haarspalterische Möglichkeiten wurden ersonnen und sie verloren sich in Phantastereien und Spinnereien. Es war einfach nur noch lustig. Die Nacht verbrachten sie um das stetig flackernde Feuer herum verteilt. Der nächste Morgen begann mit klarem Himmel. Es war ein guter Tag. Unter vielen Umarmungen und Glückwünschen verabschiedeten sich die Freunde und Familienmitglieder voneinander. Es wurde Zeit, dass nun jeder seinen eigenen Weg ging, wohin ihn dieser auch führen würde. Früher oder später würden die verschiedenen Wege wieder zusammenführen und dann gab es neue und aufregendere Geschichten zu erzählen. Die Geschichte einer neuen Reise. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)