Götterherz von Jadis ================================================================================ Kapitel 2: Ein amüsantes Exil ----------------------------- 2 ¨¯¯¨˜“ª¤.¸°¸.¤ª“˜¨¨¯¯¨ Ein amüsantes Exil Ich fasse es nicht, denke ich. »Ich fasse es einfach nicht«, sage ich, kralle mich in das monströse Lenkrad vor mir und verfolge das enorm hohe und besorgniserregende Verkehrsaufkommen auf der vorbeiführenden Hauptstraße. »Du musst den Motor starten«, gibt Nick hilfreiche Kommentare von dem Notsitz schräg hinter mir. »Am besten benutzt man dazu den Schlüssel, der hier ja zum Glück schon im Zündschloss steckt, und-« »Ich weiß, wie man Auto fährt!«, keife ich Nick an und werfe böse Blicke in seine Richtung. »Ich sag ja nur«, rechtfertigt er sich und hebt abwehrend die Hände, bevor er diese eingeschnappt vor seiner Brust verschränkt und aus dem Seitenfenster sieht. Ein Roadtrip also. Eigentlich gar keine verkehrte Idee. Nur wir, das Wohnmobil und die Idylle der amerikanischen Highways. Was ich dabei nicht bedacht habe ist, dass ich dieses Monstrum von Wohnmobil selber fahren muss. Nick hat nämlich gar keinen Führerschein. Nicht mehr, seitdem ihm die Highway-Patrol letzten Herbst nach einer Halloweenfete angehalten hat. Nick trug dabei ein Fledermaus-Kostüm, hat wild mit den Armen gewedelt und gerufen, dass er Batman ist. Der Blutalkoholwert war da schon fast nicht mehr von Belang. Und Loki... Loki hat auch keinen Führerschein. Seine Kawasaki 250 Ninja fährt er illegal. Und wenn er mal in eine Verkehrskontrolle gerät, beamt er sich einfach weg. Gemeinheit. Ich will auch so etwas können. Mein Blick gleitet zu besagtem Gott, der seinen Körper geduldig auf dem Beifahrersitz drapiert hat und die Situation mit einem leisen Lächeln überwacht. Seine schlanken Finger trommeln dabei sachte auf seinem Knie. Er blinzelt mir Mut zu und meine zittrigen Finger wandern endlich zum Zündschlüssel des Motorhome MH 29/31 Slide out der Firma Fraserway aus Kanada. Eine Drehung später röhrt der Motor auf und ich darf gar nicht daran denken, dass sich gleich durch die Berührung einer einzigen Pedale mehrere Tonnen in Bewegung setzen werden. »Ich fasse es einfach nicht«, wiederhole ich mich selbst und tippe das Gaspedal nach Lösung der Handbremse vorsichtig an. Sofort holpert das riesige Gefährt vom Parkplatz der Autovermietung und ich versuche meine Augen überall gleichzeitig zu haben. Nicht, dass ich noch ganz aus Versehen einen Passanten überfahre, das gusseiserne Tor des Unternehmens mitnehme oder ein am Standstreifen parkendes Auto ramme. »Wieso hast du das Teil nur gemietet?«, hat Nick seine Schmollphase bereits wieder überwunden und redet munter auf mich ein, lehnt sich dafür sogar über die Rückenlehne des Fahrersitzes nach vorn. »Sei ruhig, ich muss mich konzentrieren.« »Du könntest dir einen ganzen Konvoi leisten. Du bist doch jetzt vermögend. Du könntest die Welt beherrschen.« Ganz schlechter Witz. »Vorsicht Bordstein!« Das Wohnmobil hüpft über den Gehweg, als ich die Kurve zu eng nehme und nach Setzen des Blinkers auf die Van Ness Avenue in San Francisco einbiege. »Halt die Klappe!«, verlange ich und stehe vor Anspannung völlig unter Strom. Meine Finger krallen sich so sehr in das Lenkrad, dass meine Knöchel weiß hervortreten. Ich traue mich kaum zu blinzeln, aus Angst irgendetwas zu übersehen. Was für einen Bremsweg hat das Ding eigentlich? An einer roten Ampel trete ich so sehr auf die Bremse, dass unsere Unterkunft der nächsten Tage schlagartig zum Stehen kommt und uns unsanft in die Gurte drückt. Bob rutscht auf seinem Platz zu Nicks Füßen einen halben Meter nach vorn und hinter uns hupt ein aufgebrachter Verkehrsteilnehmer. Nick kramt in seiner Tasche und ich weiß, dass er in seinem Reiseführer blättert, als das leise Rascheln von umgeschlagenen Seiten an meine Ohren dringt. »Wusstet ihr, dass dies eine Durchgangsstraße ist, die bis zur Bucht führt? Der ursprüngliche Name ist Marlette Street. Allerdings wurde sie zu Ehren des siebten Bürgermeisters der Stadt, James Van Ness, umbenannt. Markante Sehenswürdigkeiten entlang der Route sind die San Francisco City Hall, das War Memorial Opera House und die Louise M. Davies Symphony Hall.« »Erinnere mich daran, dass ich ihm das Teil wegnehme und in der Wüste verscharre«, flüstere ich Loki immer noch angespannt zu und ernte ein leises Kichern sowie ein eingeschnapptes Schnauben vom Rücksitz. Ich entspanne mich erst wieder, als wir San Francisco über die Interstate 80 in Richtung Oakland verlassen und ich Lokis Hand beruhigend in meinem Nacken spüre, als der Highway in der San Francisco Bay Area im nördlichen Kalifornien in die Interstate 580 übergeht. Alles klar. Wir leben noch. Puh. Wir sind noch keine Stunde unterwegs, als Nick die erste Pinkelpause verlangt. Zähneknirschend halte ich an einer Raststätte in Livermore und Nick schießt wie ein geölter Blitz aus dem Wohnmobil hervor. Die Toiletten und er, eine Liebesgeschichte, wie sie nur das Leben schreiben kann. Loki führt Bob an der Leine über den verdorrten Boden des Parkplatzes, sodass sich der Vierbeiner ebenfalls erleichtern kann, was ich mit einem Schmunzeln über die Seiten des Autoatlanten hinweg beobachte. Ja, wir fahren nach Karte. Nicht nach Navi. Nick hat deswegen Angst, dass wir uns hoffnungslos verfranzen und aus Versehen in der Walachei von Kansas landen, wo wir dann Opfer eines Wirbelsturmes werden. Der Mann hat vielleicht eine Fantasie. Ich steige aus um mir die Beine zu vertreten, halte den Atlas immer noch in der Hand und studiere die Route. Wir werden gleich eine lange Strecke auf der Interstate 5 zurücklegen, dabei an drei Nationalparks vorbei düsen und hoffentlich einiges zu sehen bekommen. Die California State Route 58 Richtung Barstow bringt uns dann auf die Interstate 15 und dann ist Nevada gar nicht mehr weit. Zufrieden schlage ich den Autoatlas zu. Ich habe so was von den vollen Durchblick. Von wegen, wir landen in der Walachei, tz. Gerade tütet Loki Bobs nette Hinterlassenschaft in einen kleinen Plastikbeutel und wirft diesen dann in eine Mülltonne, als Nick sich wieder zu uns gesellt und einen Pappkarton mit drei Coffee To Go Bechern in den Händen hält. Dankend nehme ich einen Kaffee entgegen, er quetscht sich wieder auf seinen Sitz und fängt sofort an zu wettern. »Wir müssen umkehren«, verkündet er fordernd. »Ich habe vergessen ein Foto von der Golden Gate Bridge zu machen.« Ich stöhne innerlich auf, doch Loki, der mit Bob gerade an der Fahrertür erscheint, bewahrt mich vor meinem ersten Nervenzusammenbruch, indem er darauf hinweist, dass dafür ja noch genügend Zeit ist, wenn wir das Wohnmobil wieder abgeben. »Ach seht mal, wir sind in Livermore«, flötet Nick, als würde er es erst jetzt bemerken, pustet durch die kleine Trinköffnung in seinen Kaffeebecher und reicht Loki ebenfalls einen Becher des koffeinhaltigen Getränks. »Wir könnten kurz Wein verkosten gehen.« Ich brumme, dass wir nie in Nevada ankommen werden, wenn wir bei jeder regionalen Spezialität anhalten. Nick sagt erst einmal nichts mehr. Ich glaube, er ist ein wenig eingeschnappt. Schon wieder. Soll mir nur recht sein. Vielleicht habe ich Glück und er redet nie wieder mit mir. Schnell machen wir uns wieder startklar und rollen weiter Richtung Landesinnere. »Mir ist langweilig«, ertönt es dann wieder prompt von der Rückbank des Luxuswohnmobils, kaum dass wir ein paar Stunden später die ersten Meilen auf der Interstate 5 in Richtung Bakersfield zurücklegen. So viel zum eingeschnappt sein. »Loki, kannst du nicht ein paar deiner Tricks zu meiner Unterhaltung beisteuern?« Ich ignoriere Nick und erinnere mich an eine Unterhaltung mit Loki, die wir erst gestern Abend geführt haben. »Weißt du noch, was du mir versprochen hast?«, frage ich und drehe meinen Kopf leicht in seine Richtung, ohne jedoch den Blick von der Straße zu wenden. »Mein Kurzzeitgedächtnis ist noch ganz gut«, höre ich Loki sagen, als wäre dies Antwort genug und mein Blick fliegt kurz zu ihm, sodass ich ihn grinsen sehe. »Also ja«, bestätige ich und drehe die Klimaanlage auf, wundere mich jedoch, dass mir trotz der flimmernden Hitze gar nicht all zu warm ist. »Ein Versprechen?«, fragt Nick und beugt sich wieder nach vorn, was mit der Zeit ziemlich nervtötend ist. »Erzählt es mir. Ich will alles wissen.« Loki setzt an, etwas zu sagen, doch die Titelmelodie von DuckTales unterbricht ihn und er lehnt sich nach vorn, um sein Telefon vom Armaturenbrett zu fischen. Ein verstohlener Blick zur Seite zeigt mir, dass es eine unbekannte Nummer ist, die er prompt wegdrückt. Werbeanrufe vielleicht? Wer hasst sie nicht. »Ich habe Riley versprochen, dass ich dich um die Ecke bringen werde, wenn sie mich darum bittet«, erklärt er Nick nach dieser kurzen Unterbrechung und ich nicke apathisch. »Was?«, fragt Nick ungläubig, während Bob sich gerade aus dem Schlaf niest und ebenfalls seinen großen Kopf verdattert durch die Lücke zwischen den Sitzen nach vorn drückt. Ich kann seine nasse Nase, an meinem Oberarm spüren. »Was will ich denn um der Ecke? Welche Ecke überhaupt?« Noch während ich überlege, ob er diese Redewendung wirklich nicht kennt, schlägt er vor, dass wir ja wenigstens das Radio einschalten können. Wie sich anschließend herausstellt, ist dieses leider defekt und gibt nur statisches Rauschen von sich. »Nicht so schlimm«, verkündet Nick und ich bin über seine plötzliche Euphorie überrascht, als sich die Weite des Landes entlang der California State Route 58 in endloser Wüstenlandschaft neben uns ausbreitet. »Zum Glück habe ich uns ein paar CDs gebrannt.« Ich bin nicht wirklich sicher, ob ich in den Genuss von Nicks Musikgeschmack kommen will, aber Loki rettet mich wieder einmal und holt eine CD aus dem CD-Wechsler, den ein Vormieter wohl darin vergessen hat. Mit rotem Permanentmarker steht »On the Road with Margaret« darauf geschrieben. Margaret. Ich sehe sie ganz deutlich vor mir. Sie ist um die Fünfzig, blond, kaut Kaugummi, den sie zu einer Blase formt und dann lautstark platzen lässt. Sie trägt einen tiefen Ausschnitt und auf ihrer linken Brust blitzt ein Tattoo daraus hervor. Ein Delfin. Ich bin nicht sicher, ob Margaret einen besseren Musikgeschmack als Nick vorweisen kann. Aber ich werde es gleich erfahren, dann Nick fordert gerade, dass wir mal reinhören sollten. Ein paar Sekunden später dröhnt die unverwechselbare Stimme von Bruce Springsteen und ihrem typischen Sound durch das Gefährt, gefolgt von Marc Cohn, Bob Dylan, AC/DC und sogar Steppenwolf. Okay, könnte weitaus schlimmer sein, also lassen wir die Scheibe da wo sie ist und Rauschen mit dieser lautstarken Beschallung weiter durch die Landschaft. Immer schön mit konstanten 60 Meilen pro Stunde. Ein langer, glänzender Streifen Asphalt tut sich vor uns auf, die Sonne brennt auf uns hernieder, meilenweit vertrocknetes Buschland, Hitzeflimmern, ein staubiger Seitenstreifen, der endlose, unerreichbare Horizont und um uns wirbelnde Staubwolken, wenn wir anhalten. Etliche Meilen später überrascht Loki uns mit der Tatsache, dass er den Text von »Highway To Hell« kennt. Es endet damit, dass wir irgendwann im Quartett singen und jaulen: »Don't need reason / Don't need rhyme / Ain't nothing I would rather do / Going down, party time / My friends are gonna be there too / I'm on the highway to hell.« Und zu meiner eigenen Schande muss ich zugeben, dass ich die Töne weitaus schlechter treffe, als meine Begleiter. Selbst Bobs Geheule hat mehr Rhythmus. »And I'm going down, all the way down, baby!«, schreit Nick, als das Lied ein Ende findet und wir alle lachen. Als ein neuer Track beginnt, lässt mich das Klingeln eines Mobiltelefons aufhorchen. Ist das etwa meins? »Dein Telefon klingelt«, sagt Nick und ich höre ihn auch schon hektisch kramen. Vermutlich in meiner Tasche. »Ich kann gerade nicht«, rede ich mich raus. »Lass es klingeln.« »Es ist deine Mutter«, teilt er munter weiter mit und meine Alarmglocken beginnen zu schrillen. »Soll ich ran gehen?« »Nein!« Gott bewahre. »Hallo Wilhelmina«, flötet Nick prompt in mein aufgeklapptes Telefon und nimmt somit das Gespräch an. Ich verspüre augenblicklich das große Verlangen meinen Kopf gegen das monströse Lenkrad zu schlagen, mit dem ich das Haus auf Rädern steuere. Wer braucht Feinde, wenn er solche Freunde hat? Wie zum Trost, stupst Bob gegen meinen Arm und ich verrenke mich, um seinen enormen Schädel kraulen zu können, wobei mein Blick kurz zu Loki huscht. »Wieso grinst du so?«, frage ich und freue mich, als die erste Steppenhexe knapp vor uns über die Fahrbahn rollt. »Weil ich mich schon lange nicht mehr so amüsiert habe«, gesteht Loki ohne zu zögern, dreht seinen Oberkörper in meine Richtung und lehnt sich gegen die Tür, um einen besseren Blick auf das Geschehen im hinteren Teil zu haben. »Ich freue mich immer wieder, wenn wir dir durch alltägliche Krisen dein Exil auf der Erde so angenehm wie möglich gestalten können«, rede ich geschwollen daher und muss augenblicklich an Asgard denken. So übel scheint es da gar nicht zu sein. Frigga erschien mir auch ganz nett. Und sie liebt ihren Sohn, das konnte ich damals in ihren Augen sehen. Aber an Lokis Stelle wäre ich wohl auch lieber hier. »Riley kann gerade nicht«, berichtet Nick lautstark und schreit regelrecht in das Telefon, sodass wir alle die Unterhaltung mithören können... müssen. »Ja ich weiß. Es ist aber auch sehr vernünftig beim Autofahren nicht zu telefonieren. Du sagst es. Da sind schon so viele Unfälle passiert. In anderen Ländern ist es ja sogar verboten. Ja, das sag ich ihr. Oh, eine Steppenhexe! Nein, nicht du, Wilhelmina. Ruthenisches Salzkraut. Aus der Familie der Fuchsschwanzgewächse. Du weißt schon. Diese Pflanzen, die über den Boden rollen. Genau, wie in alten Westernstreifen. Ja, du auch. Mach's gut.« Nick klappt mein Telefon wieder zu und lässt es zurück in meine Tasche fallen. Dann schlägt er die Beine übereinander und sieht aus dem Fenster, macht keine Anstalten mich über den Grund ihres Anrufes zu informieren. Vielleicht auch besser so, denke ich kurz, doch dann siegt meine Neugier. »Was sollst du mir sagen?«, hake ich nach und Nick blickt mich verwirrt über den Rückspiegel an. »Oh, richtig«, scheint es ihm dann spontan wieder einzufallen und er greift sich gegen die Stirn. »Du sollst deine Mutter zurückrufen.« »Geht klar«, sage ich, habe aber nicht vor, es auch in die Tat umzusetzen. »Ich sage es nur ungern Leute«, lässt Nick uns nach ein paar weiteren Meilen wissen und ich mache mich auf das Schlimmste gefasst. »Ich muss mal.« »Geh auf die Bordtoilette«, schlägt Loki vor. »Nein«, weigert sich Nick. »Okay, dann halte ich mal kurz an. »Bist du irre? Eine Schlange könnte mich beißen oder ein Kojote verschleppen.« »Oder Kannibalen könnten dich in ihr unterirdisches Höhlenlabyrinth entführen und auffressen«, setze ich Nicks Ausführungen noch die Krone auf. »Wie hieß doch gleich die nette Kleinstadt kurz hinter Barstow?« »Yermo«, sagt Loki und ich seufze resignierend, während ich mich bereits darauf einstelle gleich einen U-Turn machen zu müssen. »Da gab es auch ein Diner. Ich habe jetzt echt Lust auf Pfannkuchen mit ganz viel Ahornsirup.« Jetzt ist es offiziell, wir werden nie ankommen. Wir haben es noch nicht einmal über die kalifornische Grenze geschafft. ~ Ich kraule Bobs Kopf, der auf meinem Schoß liegt und beobachte Nick dabei, wie er sich einen Pancake nach dem nächsten in den Schlund schiebt, während Loki und ich uns mit einem Waffeleis zufrieden geben. Wir sind tatsächlich wieder in Yermo und brutzeln unter einem Sonnenschirm vor dem einzigen Diner der Zweitausend-Seelen-Stadt in der Nachmittagshitze. »Nicht weit von hier sind die Calico Berge«, erklärt Nick mit vollem Mund und blättert in einer Broschüre, die auf dem Tisch des Diners unter dem Serviettenspender geklemmt gewesen war. »Eine Geisterstadt gibt es auch. Die könnten wir uns doch ansehen. Fahren wir einfach morgen nach Vegas.« »Alles was dich glücklich macht«, sage ich und beschließe, dies zum Motto unserer kleinen Reise zu machen. Wenn Nick seinen Willen nicht bekommt, wird er unausstehlich. Das will ich mir nun wirklich nicht antun. Ich lasse mich zur Seite fallen und mein Kopf landet an Lokis Schulter, von wo aus ich perfekt den Durchfahrtsverkehr beobachten kann. »Willst du mich deiner Mutter vorstellen?«, fragt Loki so plötzlich, dass ich mich beinahe an meinem Zitroneneis verschlucke. Mein Körper schießt wieder in eine aufrechte Position Oha! Nick bemerkt die Bredouille ebenfalls und kichert hinterhältig. »Sicher«, versuche ich mich möglichst gekonnt aus der Affäre zu ziehen. »So in ein, zwei Jahren vielleicht.« »Das halte ich nicht für angemessen«, sagt Loki und sein Tonfall verrät, dass er nicht mehr ganz so entspannt ist. Hoffentlich denkt er nicht, dass er mir peinlich ist, oder so. »Wilhelmina ist eine Klasse für sich«, springt Nick für mich in die Bresche, während ich Lokis Blicke unbarmherzig auf mir spüre. »Sie hat diese ganzen illustrierten Klatsch- und Tratsch-Zeitungen abonniert und wird dich mit Sicherheit erkennen.« »Vielleicht solltest du dein Aussehen wechseln«, wirft Nick kurz ein und gabelt einen weiteren Pancake auf. »Außerdem geht sie mit ihrer besten Freundin Dorothea jede Woche zum Bingo«, sage ich, als würde dies schon alles erklären. Nick pflichtet mir nickend bei. »Dann weiß im Nu die ganze Ostküste, dass ihr zwei Bunga-Bunga macht.« Ich bin es leid, Nick immer wieder zu ermahnen, wenn er solche Anspielungen macht, also lasse ich es bleiben und sehe ihn diesmal nur finster an. Loki greift zwischen uns und hält mir, von unseren Ausführungen völlig unbeeindruckt, mein Telefon unter die Nase. Also gut. Ich soll ja eh zurückrufen. Oi. Nervös klicke ich mich durch das Menü und betätige die Taste mit dem grünen Hörer, als ich bei den entgegengenommenen Anrufen angekommen bin. Schon nach dem zweiten Freizeichen nimmt jemand das Gespräch an. »Dearing-Parker«, flötet meine Mutter, obwohl sie an der Rufnummernerkennung ganz genau sieht, dass ich es bin. »Ich bin's«, sage ich daher nur. »Schön, dass du dich meldest, Harleen. Ich wollte fragen, ob du mich nächsten Monat besuchen kommen möchtest.« Na wenigstens formuliert sie es so, dass es den Anschein erweckt, ich hätte eine Wahl. Habe ich aber nicht. Es ist quasi schon eine abgemachte Sache. »Da findet hier so ein Festival statt, bei dem sich alle mit buntem Sand bewerfen. Das hat dir doch damals so gut gefallen, als wir in Indien waren.« Ein Holi Festival. Cool. »Das ist gefärbtes Puder, kein Sand«, kläre ich sie auf. »Klar, ich komme gerne. Ich wollte dir sowieso jemanden vorstellen.« Ich blicke scheu zwischen Loki und Nick hin und her, während ich dies sage. Loki wirkt zufrieden und Nick zeigt mir sogar einen Daumen. Am anderen Ende der Leitung herrscht plötzlich Stille. Etwas ganz Ungewöhnliches. »Mom?« »Bist du etwa schwanger?«, fragt meine Mutter plötzlich vorwurfsvoll und auf das äußerste alarmiert. »Nein, bin ich nicht!« »Weißt du, deine Cousine-« »Was sagst du? Ich kann dich ganz schlecht verstehen. Die Verbindung scheint-« Ich beherrsche mich, solche albernen Störgeräusche zu imitieren und klappe das Telefon einfach zu. »Das hat doch super geklappt«, sagt Nick und winkt die Kellnerin herbei, um noch mehr Essen zu ordern. Ich lecke leicht verstört an meinem Eis und Loki zieht mich zu sich, um mir einen Kuss gegen die Schläfe zu drücken. Ich atme erleichtert aus. Jetzt habe ich es wenigstens hinter mir. Ein Vibrieren in meiner linken Hand lässt mich leicht zusammenzucken. Gleich darauf ist der Klingelton meines Telefons erneut zu hören. Meine Mutter ist aber auch hartnäckig. Ohne auf das Display zu sehen, nehme ich das Gespräch an. Sie ist mindestens genauso leicht eingeschnappt wie Nick. Auch das will ich nicht riskieren. »Was gibt’s?« Noch bevor ich eine Antwort erhalte, weiß ich bereits, dass es sich bei dem Anrufer nicht um meine Mutter handelt. Ich habe plötzlich ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend. »Riley Harleen Parker?«, fragt eine Männerstimme, die ich noch nie gehört habe. Und ich bin augenblicklich von ihr eingeschüchtert. »Ja?«, fiepe ich und verspüre das Verlangen augenblicklich aufzulegen, bin aber zu gebannt, was ein Mann mit so einer Stimme wohl von mir will. »Mein Name ist Nicholas Fury. Ich bin Direktor der strategischen Heimat Interventions-, Einsatz- und Logistik-Division. Spezielle Umstände erfordern eine dringende Zusammenarbeit mit Loki Laufeyson. Können Sie mir sagen, ob er dazu bereit ist?« Ich starre. Und mein Mund steht offen. Ich hoffe, dass ich nicht auch noch sabbere. Ich habe nur die Hälfte verstanden. Strategische was? Wer ist der Kerl? Woher kennt er meine Nummer und woher weiß er, dass Loki bei mir ist? Ääähhh, macht es in meinem Kopf. Mal wieder. »Das müssen Sie ihn schon selbst fragen«, nehme ich mir schließlich heraus zu sagen und sehe, dass Loki und Nick mich fragend ansehen. Bob interessiert sich vielmehr für mein Eis und ihm scheint die Konversation gerade so ziemlich am Allerwertesten vorbei zu gehen. Der Direktor gibt ein resignierendes Geräusch von sich. Nein, falsch. Das ist Frustration. »Was glauben Sie, was ich die letzten Tage versucht habe?« Oh. Das erklärt so einiges. Die ominösen Anrufe zum Beispiel. »Bleiben Sie mal kurz dran«, sage ich, halte die Hand über das Telefon und wende mich an Loki. »Irgend so ein Direktor will mit dir sprechen.« Lokis Augenbrauen ziehen sich wütend zusammen. Huch. So habe ich ihn bis jetzt nur einmal gesehen. Und zwar nur, weil das Ende seiner Lieblingsserie anders ausgefallen war, als erhofft. Das war eine schwere Zeit. Wir haben sogar anonyme Hass-Mails an die Produzenten geschrieben. Hach ja. »Sag ihm, dass er sein anderes Auge auch noch verliert, wenn er uns noch einmal belästigt.« »Und dass er ihm den Buckel runterrutschen kann«, bringt Nick sich ein, leider nicht sehr konstruktiv. »Hören Sie?«, frage ich in mein Telefon und versuche mir vorzustellen, wie der einäugige Direktor wohl aussieht. »Es ist gerade eher unpassend.« »Sagen Sie ihm, dass es wichtig ist.« Ist es das nicht immer? »Wir benötigen sein Wissen bezüglich asischer Magie.« »Er sagt, es ist wichtig«, leite ich weiter und mache mir diesmal nicht die Mühe, das Telefon zuzuhalten. Loki stößt genervt die Luft aus und hält seine offene Hand hin. Begreifend reiche ich das Telefon weiter, nur um zu sehen, wie er es kommentarlos zuklappt, die Akkuabdeckung öffnet und die Simkarte entfernt. Dann lässt er alles einzeln zurück in meine Tasche gleiten und schleckt sein Eis, als wären die letzten Minuten gerade nicht passiert. »Wer kommt mit in die Geisterstadt?«, ruft Nick und reißt als Einziger begeistert seinen Arm in die Höhe. ~ Ende des 2. Kapitels ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)