Cherry's Nuzlocke Challenge [Gelbe Edition] von Zekeia_galad (Pokémon Nuzlocke Challenge) ================================================================================ Kapitel 2: Vom Pokémon-Trainer zum Postboten -------------------------------------------- Der Weg nach Vertania City war frei, zumindest in der Theorie. In der Praxis sah es ein wenig anders aus, denn als Cherry mit dem Pikachu auf den Schultern das Labor verließ und sich gerade klammheimlich in Richtung der Route 1 begeben wollte, kam ihm seine Mutter in die Quere. Und das tat sie im wahrsten Sinne des Wortes. Sie stellte sich ihm heulend in den Weg und schloss ihn so in die Arme, dass er fast keine Luft mehr bekam. „Och, mein Kleiner!“, jammerte sie, als erlebe sie zum ersten Mal, dass ihr Kind flügge wurde. Dabei war es genau genommen das dritte… „Mama, ich ersticke! Du erdrück-…“ Die schwachen Versuche, sich aus der eisernen Umarmung zu befreien, kamen von dem rothaarigen Jungen. Mousse ging das Ganze viel offensiver an und gab erneut ein knurrendes „Piii…ka…“ von sich. Eine Vorwarnung, die Cherry bereits zu gut bekannt war, und die von seiner Mutter weitestgehend ignoriert wurde. „Hm?“, fragte sie nur verwundert und lockerte den Griff ein wenig, um zu sehen, ob es nicht vielleicht Cherry’s Magen war, der da knurrte. Es war jedoch bereits zu spät und mit einem „…chuuuu!!“ entlud sich der nächste Donnerschock gen Mutter und Sohn. „Ich hab’ … doch … gesagt …“, versuchte der Junge die Situation irgendwie zu erklären und zu retten ehe seine Mutter auf die Idee kam, das Pikachu am Schwanz zu packen um es in der nächstbesten Pfanne anzubraten. Die Befürchtungen hätte er sich wohl aber sparen können, denn auch wenn seine Mutter offensichtlich erschrocken über das eben Geschehene war, so tat sie es mit einem „D-dein Pokémon ist aber munter…“ ab und betrachtete wieder seufzend ihren jüngsten Sohn. „Mein kleiner Junge wird erwachsen…“, stellte sie fest, versank in der Erinnerung an die letzten Jahre. Vor fünf Jahren hatte ihr ältester Sohn Alabastia verlassen um der beste Pokémon-Trainer der Welt zu werden. Drei Jahre später war auch der zweite Sohn aufgebrochen und nun trat der Jüngste in ihre Fußstapfen und begann seine eigene Reise. Da stahl sich gleich noch ein Tränchen aus den Augenwinkeln, welches sie demonstrativ weg wischte und ein Taschentuch hervor zog, um sich zu entfernen und damit zu winken als sehe sie ihren Sohn nie mehr wieder. „Auf Wiedersehen, mein Sohn!“ Sogar mit Echoeffekt. Irgendwie beschlich Cherry das Gefühl, dass sie die Situation deutlich mehr ausreizte als es nötig war. Mit zur Seite geneigtem Kopf beobachtete er, wie die Frau immer kleiner und kleiner wurde und schließlich im Haus verschwand. „… Irgendwie glaube ich, dass sie froh ist, wenn wir alle weg sind und sie das ganze Haus für sich hat…?“, murmelte er gedankenverloren vor sich hin, ehe ihn das Pikachu zurück in die Realität holte indem es fordernd die Zähne in seinen Ärmel versenkte und daran zog. „Ja, du willst los, ich mach ja schon…“ Wirklich, das kleine Pokémon drängte ganz schön… wahrscheinlich wollte es kämpfen und bevor es seine Kampflust wieder an ihm ausließ, entschloss sich Cherry lieber dazu, das hohe Gras der Route 1 zu durchstreifen um nach wilden Pokémon Ausschau zu halten. Kaum war er an dem Schild vorbei, welches jeden vorbei kommenden Wanderer darüber informierte, wo er war und wohin der Weg führte, tauchte auch schon das erste Pokémon auf. Ein kleines Taubsi, das ihn aus dem Gras heraus beobachtete und abwehrend mit dem Schnabel klackerte als ließe er sich damit vertreiben. „Ha, du kleines Taubsi, das kratzt mich nicht!“, tönte der Junge hochmütig dem Vogel entgegen und ließ es sich nicht nehmen, mit dem Zeigefinger darauf zu deuten als müsse unbedingt gezeigt werden, wer gemeint war. „Los, Mousse, zeig ihm mal deinen Donnerschock!“ Als Elektropokémon sollte Pikachu einem Flugpokémon gegenüber im Vorteil sein und so war es auch. Taubsi konnte zwischen den beiden ausgewählten Attacken der gelben Maus nur den schwachen Versuch unternehmen, das Pokémon mit einem Windstoß hinfort zu wehen, doch der Donnerschock ließ sich auch aus Entfernung ausführen und so war Taubsi bereits nach sehr kurzer Zeit am Ende. Dummerweise hatte er noch keinen Pokéball dabei. Cherry hätte den Vogel zu gerne gefangen um später mit ihm zu fliegen, wenn es größer geworden war. Allerdings war ihm verboten worden, wilde Pokémon aus ihrem Revier zu vertreiben. „Mist.“ Er sollte ohnehin erst einmal ein wenig Geld für Heiltränke ausgeben. Der einzige, den er besaß, hatte er schließlich vorhin beim Kampf gegen Bubbles’ Evoli benutzt. Und da vorne sah er bereits den nächsten Trainer. Mit einem kurzen Seitenblick auf das munter vor sich hin summende Pikachu vergewisserte er sich, dass es noch fit genug war, um gegen das Pokémon eines anderen Trainers anzutreten. Allerdings hatte er sich geirrt und der vermeintliche Trainer entpuppte sich in Wahrheit als der Angestellte des Pokémon-Supermarkts in Vertania City. Er war auf Kundenfang geschickt worden und drückte Cherry einen Trank als Kostprobe in die Hand. Als ob er überredet werden musste, den Laden zu besuchen… Dass er sich das längst vorgenommen hatte, verschwieg Cherry jedoch, kaum, dass mit dem Trank vor seiner Nase herum gefuchtelt wurde. Schließlich sollte man Geschenke nicht ablehnen und der Weg nach Vertania City war noch weit. Da würden sie sicher noch dem ein oder anderen Taubsi oder vielleicht sogar einem Rattfratz begegnen und nach einigen Kämpfen war wohl auch das kleine Pikachu so erschöpft, dass es einen Trank gebrauchen konnte. „Cool, danke!“, freute sich Cherry daher über den Trank als wäre das das allererste Geschenk in seinem Leben und drückte es an sich, als sei es so kostbar, dass sich jeder sofort auf ihn stürzen würde. Eine Hand hatte er trotzdem frei, um sich winkend zu verabschieden und den Weg fortzusetzen. Oh-oh, und da war auch schon der nächste Junge im hohen Gras auszumachen. Er lief hin und her als suche er nach wilden Pokémon. Das musste ein Trainer sein! Aber den sollte er besser umgehen und erst einmal einen Abstecher in das Pokémon-Center in Vertania City machen… So blieb Cherry in sicherer Entfernung stehen und beeilte sich, um in einem unbeobachteten Moment an dem Trainer vorbei zu schleichen. Etwas weiter entfernt stellte sich ihm jedoch das Pokémon in den Weg, das jener Trainer wohl so verzweifelt suchte. Ein kleines, lilafarbenes Rattfratz, das drohend mit den Zähnen knirschte und sich von Cherry’s leise gezischtem „Pssst, psssssssst!!! Sei doch still!“ so gar nicht beeindrucken ließ obwohl der Junge um einiges größer war. Auch das Pikachu, das letztlich mit seiner Elektroattacke für Ruhe sorgen musste. Dem Rattfratz blieb gerade mal Zeit, auf absolut bedrohliche Art – was natürlich nicht gerade seinen Zweck erfüllte – die Rute hin und her zu schlagen, ehe es mit einer zweiten Attacke außer Gefecht gesetzt wurde. „Oh je…“ Mit böser Vorahnung sah sich Cherry nach dem Trainer um. Hatte er den Kampf mitbekommen und wollte sich ihm und seinem Pikachu nun doch noch in den Weg stellen? Nein, der Junge lief immer noch im Gras auf und ab wie im Zwang. „Pst, Mousse.“ Eilig in die Hocke gehend erlaubte Cherry dem Pikachu, wieder auf seine Schulter zu klettern. „Vertania City ist gleich da vorne. Beeilen wir uns!“ Die wenigen Meter würde er noch schaffen, das hohe Gras samt dem zwanghaften Trainer lag hinter ihnen und er sah bereits die Häuserdächer von Vertania City. Auf ins Pokémon-Center und den Markt. Und wenn er sich mit den Tränken eingedeckt hatte, würde er es diesem Trainer zeigen. Oder besser: Mousse würde es dem Trainer zeigen! Aber zuerst sollte sich die Maus besser ausruhen, um im Vollbesitz seiner Kräfte in den Ring zu steigen. Schließlich wollte Cherry nun wirklich nicht am Anfang seiner Reise seine erste Niederlage einkassieren. Also wurde das Pokémon-Center angesteuert, welches mit den großen Buchstaben nicht zu verwechseln war, und Schwester Joy das Pikachu vor die Nase gesetzt. Erstaunlicherweise ließ sich Pikachu sogar trotz seiner Abneigung gegen Pokébälle in einen solchen stecken, so dass Cherry die Wartezeit auf die Genesung damit verbrachte, sich darüber Gedanken zu machen, ob das kleine Pokémon nicht einfach nur aus reiner Gemütlichkeit an der frischen Luft blieb. Eigentlich müsste es doch weitaus bequemer sein, sich im Ball herumtragen zu lassen? Vielleicht war in den Bällen wenig Platz? Andererseits fragte er sich dann, wie beispielsweise ein Onix darin bleiben konnte, das ja doch deutlich größer war und dementsprechend mehr Platz beanspruchte als ein Pikachu. Als Schwester Joy nach ihm Ausschau hielt um ihm das ausgeruhte Pokémon zu überreichen war er immer noch zu keinem Ergebnis gekommen. War ja auch egal… „Geht’s dir wieder gut, Mousse?“, fragte er das Pikachu, welches fröhlich nickte. „Sehr gut, dann auf in den Pokémon-Laden! Wo finde ich den denn?“, wandte er sich an einen Jungen, der wohl noch auf sein oder seine Pokémon wartete. „Den wirst du niiie finden!“, bekam er allerdings nur als Antwort und mit genervt verzogener Miene entschloss sich Cherry, das Gebäude selbst zu suchen wenn er sich hier nur blöde Sprüche anhören musste. Vor der Tür hatte er auch die Bestätigung, dass es wirklich ein blöder Spruch gewesen war. Die Antwort klang, als müsse er sich auf eine lange Suche mit etlichen Irrwegen einstellen… und in Wahrheit war der Markt direkt neben dem Pokémon-Center errichtet worden, so dass Cherry kurzzeitig wirklich überlegte, ob er nicht die voll aufgeladenen Kräfte seines Pikachu dazu nutzen sollte, diesen Scherzkeks von eben explodieren zu lassen. „Nein, das ist’s nicht wert… komm, Mousse, gehen wir lieber einkaufen!“ Und schon wurden die wenigen Meter bis zum Markt überbrückt und guter Dinge die Tür geöffnet ehe einem auch schon mit „Du kommst doch bestimmt aus Alabastia!“ ein riesiges Paket in die Hände gedrückt wurde. „Huch, ich hab’ doch noch gar nichts gesagt?!“ Wow, was war das denn? Waren sie hier Hellseher und wussten, dass er vorbei kommen wollte um Tränke und andere Items zu kaufen!? „Hä? Professor Eich schickt dich doch, oder?“ Es war schwer die Balance zu halten, aber irgendwie schaffte es Cherry trotzdem, über den Rand des Pakets hinweg einen kurzen Blickkontakt zu dem Sprecher herzustellen. War wohl der Verkäufer des Ladens, dieser schräge Vogel mit der übergroßen runden Brille, der ihn verdutzt ansah und dann ganz geschäftig in seinen Unterlagen blätterte. „Egal, bring das zu Professor Eich und danach kannst du gerne zum Einkaufen kommen. Der Eintritt in den Laden kostet übrigens tausend Pokédollar. Kleiner Scherz am Rande. Aber jetzt beeil dich, der Professor wartet schon auf seine dringende Bestellung!“ Und schon war er aus der Tür geschoben und diese hinter ihm zugeknallt worden. Am liebsten hätte Cherry das Paket einfach in die nächste Ecke geworfen, allerdings sah er gerade noch, wie demonstrativ ein ’Geschlossen’-Schild an den Laden angebracht und er auffordernd angestarrt wurde. Die würden ihm wohl nichts verkaufen wenn er nicht vorher das Paket ablieferte. Verdammt. Zurück nach Alabastia, obwohl er doch gerade erst von dort kam. Wahrscheinlich dachten sie zu Hause gleich, er wäre bereits gescheitert! Aber hier würde er gerade nicht weiter kommen, für die Fortsetzung seiner Reise brauchte er dringend die Tränke und vor Marmoria City würde er erst den Vertania Wald durchqueren müssen. Für den war es eindeutig praktischer, Gegengifte und Tränke bei sich zu haben. Seufzend fand er sich damit ab, dass ihm wohl nichts anderes übrig bleiben würde. „Tut mir leid, Mousse… ich schätze, wir müssen noch mal zurück…“ „Pikachu…“ Auch das Pokémon schien von der Entwicklung der Dinge nicht begeistert und ließ betrübt die langen Ohren hängen. Wahrscheinlich dauerte ihm die Reise bereits zu lange und es wollte endlich in der Pokémon-Liga gegen die ganz großen Trainer antreten. „Hilft nichts… aber lass uns wenigstens die Abkürzungen nehmen und am hohen Gras vorbei, dann sind wir in Windeseile wieder in Alabastia, liefern das Paket ab und dann kann es weiter gehen. Versprochen!“ Der Vorteil, wenn man von Vertania City nach Alabastia wollte, waren nämlich die Vorsprünge, an denen man leichter hinunter springen konnte als man anders herum nach oben kam. Cherry sprang voran und breitete unten die Arme für das Pikachu aus, welches allerdings nicht immer dort landete. Mal purzelte es auf das Paket, mal in Cherry’s Gesicht, weil es ungeduldig war und so schnell wie möglich den ersten Arenakampf auf dem Weg zur Pokémon Liga bestreiten wollte. Einige Vorsprünge später wagten sie sich nun doch durch das hohe Gras, welches sie erstaunlicherweise sogar ohne Begegnungen mit Vögeln und Ratten durchqueren konnten und schließlich wieder in Alabastia ankamen. Es hatte sich nichts verändert. Noch immer waren die gleichen Leute auf der Straße und seine Mutter nirgends zu sehen. Diesmal würde er sie aber nicht besuchen sondern steuerte direkt das Labor an, um das Paket schnellstmöglich loszuwerden. Denn auf Dauer wurde es ganz schön schwer. Unhandlich war es sowieso. Und außerdem war es ein Hindernis zu der Einkaufstour, die er sich vorgenommen hatte! Weil er nichts sah, lief er sogar noch an dem Eingang des Labors vorbei, aber Pikachu machte ihn quiekend und an den roten Haaren ziehend darauf aufmerksam, dass er zu weit gegangen war. „Autsch, das kannst du mir doch auch sanfter mitteilen!“, beschwerte sich Cherry, war aber nicht allzu lange wütend darüber, denn so kurz vor dem Ziel gab es für ihn nur noch eines: „Professor Eich, ihr Paket!!!“ Weg damit! „Ah, auf diesen Spezial-Pokéball warte ich schon lange!“ Der Professor nahm begeistert das Paket entgegen und ließ den fragend dreinblickenden Cherry stehen, obwohl diesem offensichtlich anzusehen war, dass er sich fragte, wie ein Pokéball so viel wiegen konnte… und warum ein so großes Paket nur für einen kleinen Ball nötig war. „Ich möchte dich noch bitten, mir einen Gefallen…“ „Neeeeeiiiiin!!!“ Gedanklich schrie Cherry auf und glaubte, in ein tiefes Loch zu fallen. Er war doch ein Pokémon-Trainer und kein Laufbursche! Reichte doch, dass er gerade eben dazu verdonnert worden war, den Postboten zu spielen…! Das kurz darauf ertönende „OPA!“ riss den Jungen allerdings aus seiner dramatischen Leidensszene und ließ ihn dafür noch Schlimmeres erahnen. Oh Gott, diese Stimme kannte er doch. Bubbles! Schon wieder der! „Ah, Bubbles, du kommst genau zur rechten Zeit.“ Die Worte des Professors ließen den Rotschopf aufhorchen, in stummer Hoffnung, dass nun der Neffe derjenige war, der den angekündigten Gefallen erledigen sollte. Bubbles war sowieso ein Blödmann und als direkter Verwandter konnte er doch diese Arbeit übernehmen während er, Cherry, sich ganz dem widmen sollte, was er eigentlich war: Dem Dasein als Pokémon-Trainer! Mit seinem „Ich möchte euch um einen großen Gefallen bitten.“ schaffte es der alte Mann jedoch einmal mehr, die Hoffnungen im Keim zu ersticken. Nicht nur, dass sie nun Beide den Gefallen erfüllen sollten… nein, auf einmal war es sogar nicht einmal mehr nur ein Gefallen sondern sogar ein großer Gefallen. Der Professor wartete noch nicht einmal ihre Reaktion ab sondern drückte beiden Jungen ein kleines rotes Gerät in die Hand. „Hier. Das ist eine Erfindung von mir, der Pokédex. Er speichert…“ Schwupps war er abgedriftet, der Professor. Schwafelte und schwafelte, ratterte etliche mögliche Funktionen des Geräts herunter und warf mit Fachwörtern um sich, die außer ihm wohl kein Mensch verstand und die zumindest Cherry’s Kopf beinahe zum Explodieren brachten. Irgendwie sah er wirklich nur die Bewegungen der Lippen, hörte einen unverständlichen Kauderwelsch als spreche der Professor irgendeine ganz andere Sprache. Cherry konnte nur ratlos schauen und mit einem Seitenblick auf Bubbles stellte er zumindest erleichtert fest, dass es diesem wohl nicht anders ging. Zumindest blickte er erstaunlich hohl drein als sei jegliches Leben seinem Körper entwichen. „Ein Lexikon über alle Pokémon der Welt… Das war immer mein Traum!“, schwärmte der Professor weiter, inzwischen sogar wieder in Worten, die auch die Jungen verstehen konnten. Kurz darauf stockte er, hatte Cherry’s Mimik bemerkt, die stumm fragte, warum er sein Lexikon dann nicht schon längst angelegt hatte oder warum er es nicht jetzt noch tat? Alte Männer sollten ja eigentlich sonst nichts zu tun haben und wer verbrachte seine Rente nicht gerne mit einer langen, langen Reise? „Aber ich bin zu alt!“, argumentierte der Mann deshalb, röchelte, hielt sich den Bauch und sah ganz jämmerlich dabei aus, wie er vor sich hin litt mit seinen alten Knochen. „Ich schaffe es nicht mehr…“ Nun übertrieb er wirklich. Er sank auf den Boden, Tränen kullerten über die Wangen, die Arme wurden theatralisch erhoben. Cherry glaubte ihm kein Wort, Bubbles dafür umso mehr. „Alles klar, Opa!“, entgegnete er mit felsenfester Überzeugung. „Überlass es ruhig mir! Es tut mir leid, Cherry, aber ich brauche deine Hilfe nicht.“ Wie jetzt? Der Kerl wollte nicht gerade ernsthaft alle Lorbeeren für sich einheimsen? Das konnte er sich abschminken. Daran, dass ein einziges Pikachu für ein Lexikon nicht ausreichte, dachte Cherry im Moment der aufkochenden Wut nicht. Dem würde er es zeigen! Dass der überhaupt noch solche Sprüche klopfte, nachdem sein Evoli haushoch gegen Mousse verloren hatte…! „Ich hab’s!“ „Was denn jetzt?“ Der Rotschopf war schon ganz genervt als die Stimme seines Rivalen erneut erklang. Und als er in das überheblich grinsende, von sich überzeugte Gesicht sah drohte der Geduldsfaden beinahe zu reißen. „Ich leihe mir von meiner Schwester eine Karte. Und dir soll sie keine geben, Cherry! Hahaha!“ Zum Glück des Angesprochenen wandte sich Bubbles mit diesen Worten um und beeilte sich, aus dem Labor zu besagter Schwester zu kommen. So entging ihm, dass Cherry hinter seinem Rücken Grimassen schnitt und das Lachen nachäffte. Aber eine gute Idee lieferte er ihm dadurch, denn soweit Cherry wusste, hatte Professor Eich zu Hause ein halbes Kartenlager. Da würde sicher eine für ihn übrig bleiben und wenn er ganz lieb fragte, würde die Schwester ihn doch sicher unterstützen. Ansonsten musste er seine Geheimwaffe benutzen und ihr das supersüße, flauschige Pikachu unter die Nase halten – sei es nur zur Ablenkung, damit er sich eine Karte…ausleihen konnte. „Einverstanden, Professor.“ Mit diesen Worten verschwanden der Pokédex in der Hosentasche und das Pikachu auf dem Arm, als sich Cherry zum Gehen wandte. Das Haus des Professors lag in der Nähe des Labors und genau dorthin ging er, bevor Bubbles seine Drohung wahrmachte und seiner Schwester irgendetwas androhen konnte falls sie Cherry doch eine Karte gab. „Verzeihung?“, fragte er laut an der Tür, nachdem er mit dem Ohr an jener gelauscht hatte, ob er Bubbles’ innen sprechen hörte. Dem war nicht so, also nahm Cherry all seinen Mut zusammen und öffnete die Tür. „Ah, Bubbles sagte, dass du wegen einer Karte kommen würdest…“ Oh Mist, war es etwa schon zu spät? Mit einem Mal schwand aller Mut und Cherry traute sich nicht einmal mehr, Pikachu’s Niedlichkeit als Ablenkungsmanöver einzusetzen. Dabei kam es ganz anders und mit einem – irgendwie teuflisch wirkenden – Lächeln wurde ihm eine Karte in die Hand gedrückt, was ihn ziemlich verwunderte. „Ich lasse mir doch von meinem jüngeren Bruder nichts verbieten.“, schnaubte die junge Frau und schob Cherry aus der Tür. „Kannst ihm gerne unter die Nase halten, wenn du ihn das nächste Mal siehst.“ „Oooo…kaaay…!?“ Bamm. Zu war sie, die Tür. Und es wurde ein verwunderter Blick zwischen Trainer und Pokémon ausgetauscht ehe sie synchron mit den Schultern zuckten. „Na ja, dann… würde ich mal sagen, schnell wieder zurück nach Vertania City und in den Laden, bevor der Professor wieder irgendetwas bestellt?“, erkundigte sich Cherry und erntete Zustimmung für diesen Plan. Also ging es wieder geradewegs in Richtung der Route 1, vorbei an dem Ladenangestellten, der sich leider noch gut genug an ihn erinnerte und deshalb mit einem weiteren Werbegeschenk geizte; vorbei an dem Trainer, der immer noch wie ein Irrer von einer Seite des Grasfeldes zur anderen lief. Auch das Pokémon-Center hätte man unbeachtet lassen können, denn die zwei Taubsis, die sie in ihrer Eile im hohen Gras aufgeschreckt hatten, hatte das Pikachu kurzerhand mit zwei Donnerschocks erledigt. Da ein zusätzliches Päuschen jedoch nie verkehrt war, bog Cherry in das Gebäude ab. Dabei hätte er eigentlich selbst ärztliche Hilfe gebraucht, wie er nach Pikachu’s Untersuchung beim Verlassen des Hauses feststellen musste, als er unachtsam einen Schritt zu viel machte und den Abhang herunter fiel. Welcher Idiot hatte eigentlich das Pokémon-Center an dieser Stelle hin gebaut? Er war schon wieder auf die Nase gefallen, die bekam heute ganz schön was ab! Allerdings konnte er sich nicht lange damit beschäftigen, sich selbst zu bemitleiden, denn in der Ferne erkannte er, dass schon wieder jemand am Öffnungsschild des Ladens herum nestelte. Wollten die etwa schon schließen? „Halt, ich brauch’ noch was!!“, plärrte er von Weitem um die Person daran zu hindern, sein Schicksal zu besiegeln, und rannte, so schnell er konnte, zu dem Laden, um sich noch flink durch die Tür hindurch zu quetschen. Na, hoffentlich wurde ihm nicht gleich wieder ein Paket in die Hand gepresst, das er abgeben sollte… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)