Jahrtausendhexer von Listener (Krieg um das Eroberte Meer) ================================================================================ Prolog: -------- Lias Bersen und Karhu Achileas waren wie Tag und Nacht. Während Achileas' Augen gierig nach einem Kampf hungerten und seine Hand stets auf dem Griff seines Schwertes ruhte, war Bersen aus vollem Herzen Pazifist. Er hasste den Krieg und das in seinen Augen unnötige Sterben aller teilhabenden Menschen. Mit Mitleid sah er auf die Soldaten hinab, zu denen er selbst gehörte. Noch mehr jedoch fürchtete er um die Zivilisten. War ein Krieg erst einmal entbrannt, schlug sein Herz für sie, die er um jeden Preis zu beschützen gedachte. Verbittert wanderte sein Blick über die Wut und das Leiden auf dem Schlachtfeld zu seinen Füßen. Zornig zogen sich seine Augenbrauen zusammen, wenn er sich selbst daran erinnern musste, dass es sein eigenes Land war, das dieses Sterben ausgelöst hatte. Mittlerweile kämpften die Jupranischen Truppen in Grependia, Repior und Veldosh, während die Freie Allianz – bestehend aus fast allen Staaten um das Eroberte Meer, das Einzugsgebiet Jupran, herum – sich gegen das an eigenen Ressourcen arme, kleine Land verbündet hatte und es mit einer sehr effektiven Seeblockade auszubluten versuchte. Doch die Schmuggler aus neutralen Ländern wie dem fernen Styk hielten Jupran am Leben. Bersen gehörte zur Elite und hatte jahrelanges körperliches wie mentales Training absolviert. Niemals würde er auch nur auf den Gedanken kommen, sich gegen seinen König und sein Land zu stellen. Ja, nicht einmal, sich negativ zu äußern. Er stand voll und ganz hinter den Entscheidungen seines Herrschers und des Senats. Wäre es anders gewesen, hätte er den Krieg als das erkannt, was er war: Größenwahnsinn. Man könnte meinen, ein Land wie Jupran dürfte sich nicht anmuten, seinen Einflussbereich gewaltsam über ein so großes Gebiet wie das Eroberte Meer ausweiten zu wollen. Der kleine Staat hatte das nördlich der See gelegene, angesehene Land T'Len so lange provoziert, bis nicht nur T'Len, sondern kurz darauf auch viele der anderen Staaten um das Meer Jupran den Krieg erklärt hatten. Was der endgültige Auslöser war, wusste das Fußvolk nicht und brauchte es auch nicht zu wissen. Die Bürger munkelten. Lias Bersen wusste kaum mehr. Doch er war kein tumber Soldat, der verlernt hatte, selbst zu denken. Sein Blick fiel auf den jungen Mann, dessen Geleit er und Achileas darstellten. Nein, das war kein Mann, korrigierte Bersen sich in Gedanken. Abgesehen davon, dass Ain Pantokratos mehr Junge als Mann war, schulterte er die Siegeshoffnungen seines ganzen Landes. Er war ein Jahrtausendhexer, ein Magier mit gewaltiger Macht. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Magiern beherrschte er sämtliche Elemente und wer weiß welch andere Kräfte. Lias Bersen war kein Magier, daher konnte er die Macht eines Jahrtausendhexers kaum einschätzen. Doch alten Volksgeschichten zufolge waren diesen Magiern kaum grenzen gesetzt. Er wollte es sich gar nicht vorstellen. Die langen schwarzen Haare des Hexers wehten im heftigen Wind, der die Eindrücke des Kampfes auf die Anhöhe hinauf trug, auf der die Männer standen. Helle blaue Augen blickten ohne Gefühl aus einem schmalen, blassen Gesicht auf das Sterben zu seinen Füßen. Sie waren in ständiger Bewegung, musterten konzentriert die Einzelheiten und Gräuel der Schlacht. Nicht nur, weil es seine Aufgabe war, fühlte Bersen sich verpflichtet, den jungen Mann mit seinem Leben zu schützen. Ain Pantokratos wirkte schwach und zerbrechlich. Er war gut einen halben Kopf kleiner als Bersen und wirkte fast zierlich. Sein müdes, schmales Gesicht war von sehr sanfter Natur und sein bodenlos schwarzes Haar, das ihm offen sicherlich bis weit über den Rücken hinaus reichen würde, umspielte ihn anmutig. Seine blasse Haut wirkte fast weiß vor den satten Farben des Spätsommers, der sie umgab. Lias Bersen fühlte sich für den jungen Mann verantwortlich. Der junge Hexenmeister hielt inne, seine Augen ruhten kalt irgendwo über dem Schlachtgeschehen. Im gleichen Moment trat General Kiy'n an seine Seite. Neben dem charismatischen Hühnen in seiner goldschimmernden Rüstung wirkte Ain Pantokratos noch kleiner und schutzloser als zuvor. Karhu Achileas' Augen glitzerten vorfreudig. Kiy'n sah schräg auf den Jahrtausendhexer hinab. „Tu es.“ Lias Bersen verlagerte unruhig sein Gewicht. Ohne seinen Blick von er Schlacht abzuwenden oder ein Zeichen seiner Zustimmung zu geben, hob der junge Mann langsam die Arme und deutete auf einen Punkt am äußeren westlichen Ende des Gemetzels, von wo aus die Truppen aus Repior weiter aufrückten und die Jupraner langsam aber sicher zurückdrängten. Der erste feindliche Soldat fiel, ohne von einer Waffe berührt worden zu sein. Bersen sog scharf die Luft ein. Die Augen des Hexers begannen wieder, über das Schlachtfeld zu ziehen. Mit einem einzigen Fingerdeut des jungen Mannes fiel ein gegnerischer Soldat nach dem anderen. Bersen konnte den Horror förmlich fühlen, der sich unter den Repioten ausbreitete. Ihm selbst standen sämtliche Haare vor Grauen zu Berge, während er beobachtete, wie ein wehrloser Soldat nach dem anderen fiel. Der Fluch erreichte das eigentliche Kampfgeschehen. Ausgezehrte Jupraner konnten ihren Augen kaum trauen und brachen dann in Jubel aus, als ihnen klar wurde, dass der Kampf gewonnen war. Entsetzt sah Bersen auf das Monstrum, das mit einem einzigen Fingerzeig und ohne jegliche Gefühlsregung so viele Leben nahm. Die Schatten unter den hellen Augen von Ain Pantokratos schienen tiefer zu werden, seine Stirn und Schläfen glänzten feucht und er atmete durch den Mund. Er hatte bereits über fünfhundert feindliche Soldaten auf eine Art und Weise getötet, die Bersen sich nicht erklären konnte. Kaltblütig ermordet. Jeder normale Magier wäre längst zusammengebrochen. Auch dem Jahrtausendhexer war die Anstrengung anzusehen. Doch wie eine Maschine führte der junge Mann seine blutige Tätigkeit mit zusammengebissenen Zähnen und immer schwerer atmend fort. Die Jupraner halfen ihm, für sie war es nun nicht schwer, die verstörten Repioten zu überwältigen. Wo es ihnen nicht gelang, tat die Magie ihr Restliches. Es gab keine Kriegsgefangenen, es gab keine Flüchtlinge. Hier herrschte einzig der Tod. Der Jubel der Jupraner wurde lauter mit jedem Gegner, der fiel. Bersen wollte nur die Augen abwenden. Aber er konnte es nicht. Und er durfte es nicht. Er würde dieses Bild für immer in sein Gedächtnis einbrennen. Schließlich waren alle Repioten gefallen. Es war ein absurdes Bild, fern jeder Realität, die Bersen sich vorstellen konnte. Es kam neue Bewegung in die Jupranischen Truppen, die sich jetzt ihren Verwundeten zuwandten und diese über das gewaltige Leichenfeld zu den Zelten der völlig erschöpften Heiler brachten. Die heutige Schlacht hatte in den frühen Morgenstunden begonnen, in wenigen Stunden würde es bereits wieder Nacht sein. Zuvor hatten sich die Heere bereits mehrere Tage unter ständigen bewaffneten Konfrontationen gegenüber gestanden. Die Soldaten und vor allem die Heiler waren am Ende ihrer Kräfte. Ain Pantokratos hätte keinen Tag später kommen dürfen – er hätte kein Jupranisches Heer mehr vorgefunden. Der junge Mann senkte seine Arme zögerlich. Bersen sah, dass sie leicht zitterten. General Kiy'n wandte sich mit wehendem Umhang vom Schlachtfeld ab und bedeutete dem Hexer ihm zu folgen. Wie mechanisch tat der blasse junge Mann wie geheißen. Bersen konnte sich nur entfernt vorstellen, welche Anstrengung es ihn kosten musste, sich überhaupt nur auf den Beinen zu halten. Der General führte sie zu ihren Pferden und schwang sich als Erster in den Sattel seines gewaltigen Schlachtrosses. Bersen befürchtete, der ausgezehrte Hexer würde den Aufstieg nicht schaffen, doch entgegen seiner Erwartungen gelang es ihm. Er saß aufrecht im Sattel und gab sich keine Blöße. Nur bei näherem Betrachten konnte Bersen in seinem Gesicht die Zeichen der Anstrengung erkennen. Achileas war bester Laune. Die Magie des Jahrtausendhexers war genau nach seinem Geschmack gewesen. Noch lieber wäre er aber wohl selbst derjenige gewesen, der das Verderben brachte. Bersen verachtete ihn. Das Jupranische Heer jubelte dem General und seinen Männern zu, als sie zwischen den Soldaten hindurch zu den Zelten der Heiler ritten. Doch je näher sie den Zelten kamen, desto öfter wurden auch Rufe des Unmuts laut. Die Soldaten beschimpften den Jahrtausendhexer, machten ihn für ihre Toten verantwortlich und warfen ihm vor, ihnen nicht früher beigestanden zu haben. Der General ließ sie reden. Ain Pantokratos zeigte weiterhin keine Regung. Lias Bersen aber brannte innerlich vor Wut. Der Junge hatte genau das getan, was ihm aufgetragen worden war. Er hatte tausende von Menschenleben mit nur einem Fingerzeig genommen und dabei hunderte gerettet. Er hielt sich mit aller Macht aufrecht und stolz im Sattel. Es stand den Soldaten nicht an, ihn zu kritisieren. Bersen warf böse Blicke in die Reihen, doch das half wenig. Und zu seinem zusätzlichen Ärger musste er sich eingestehen, dass er die Soldaten verstand. Doch sein Ärger konzentrierte sich nicht auf Ain Pantokratos. Da er ihn allerdings nicht auf den Befehl seiner Majestät richten konnte, hatte Bersens Ärger kein Ziel. Also war er wütend ob der gesamten Situation. Es schien ihm eine Ewigkeit, bis sie die Zelte erreichten. „Geh“, ordnete General Kiy'n den jungen Hexenmeister kalt an. Er selbst blieb ihm Sattel, während Ain Pantokratos und seine beiden Leibwachen abstiegen. Einen Moment zu lang verharrte seine Hand am Hals des Pferdes. Bersen war sich sicher, dass niemand sonst es bemerkt hatte, doch für ihn wirkte der Junge auf einmal sehr einsam. Obwohl er wusste, dass er auf ein Monstrum blickte und obwohl er Blutvergießen verabscheute und den jungen Mann innerlich für sein bloßes Wesen verurteilte, hatten sich Lias Bersens Gefühle Ain Pantokratos gegenüber seltsamerweise nicht verändert. Er würde sein Leben für ihn geben, jetzt und jederzeit. Erhobenen Hauptes näherte der junge Mann sich dem größten der miteinander verbundenen Zelte und schob mit einer entschlossenen Bewegung die Plane zur Seite. Für einen kurzen Augenblick meinte Bersen zu sehen, wie feine goldene Fäden von seinem ganzen Wesen ausgingen und ihren Weg über das gesamte Lager suchten. Die Aura des Hexers schien wärmer zu werden. Bersen und Achileas folgten dem jungen Mann in das Innere des Zeltes. Der Gestank war bestialisch. Bersen konnte sich nicht daran hindern, einen Blick durch den Raum und über die leidenden Soldaten schweifen zu lassen. Ein einziger Heiler behandelte noch die schwer verletzten Soldaten, die anderen waren längst zusammen gebrochen und lagen nun an den Seiten der Verwundeten und Sterbenden. Solche mit leichteren Verletzungen überließ der verbliebene Heiler sich selbst, jene mit zu schwerwiegenden Wunden ebenfalls. Er hatte eine Entscheidung treffen müssen und sich dazu durchgerungen, seine verbleibenden Kräfte auf jene zu konzentrieren, die eine gute Überlebenschance hatten. Die Augen des Arztes flimmerten vor Müdigkeit, sein Drei-Tage-Bart war blutverschmiert. Doch seine Hände und Lippen bewegten sich ohne Unterlass über den blutigen Bauchwunden eines keuchenden, jungen Soldaten. Ain Pantokratos kniete neben dem Heiler nieder, ohne seiner Umgebung mehr als einen oberflächlichen Blick zu schenken. Fast sanft legte er seine schmalen Hände auf die blutverschmierten des älteren Mannes. Erst jetzt registrierte der Heiler ihre Anwesenheit. Zuerst verstand er nicht, was geschah und wollte die Hände des jungen Hexers wegschlagen, um seiner eigenen Magie nachzugehen, doch dann stahl sich ein Funken des Verstehens in seine Augen. Ein ganz schmales, erleichtertes Lächeln umspielte seine steifen Mundwinkel, vor auch er ohnmächtig wurde. Ohne seine Hände loszulassen, half der Hexer ihm, sanft zu Boden zu gleiten. „Du hast die Ruhe verdient“, flüsterte der junge Mann mit einer weichen Stimme, die Bersen unter die Haut fuhr. Es war das erste Mal, dass er ihn reden hörte. Bersen und Achileas behielten nicht nur ihren Schützling, sondern auch die Überlebenden und Handlungsfähigen im Innern des Zeltes im Auge. Nach und nach bemerkten diese, was geschah. Es war schwer einzuschätzen, ob sie es bereits begriffen. In jenem Moment, in dem die Hand des Jahrtausendhexers mit jener des Heilers über die Wunde des jungen Soldaten strich, schloss diese sich. Erneut sog Bersen scharf die Luft ein, diesmal allerdings nicht vor Entsetzen, sondern vor Staunen. Er hatte noch nie von einem Heiler gehört, der zu solch einer Tat fähig war. Eine oberflächliche Wunde mochte schnell geheilt sein, wenn es nur darum ging, ein oder zwei Blutgefäße zusammen zu halten und die Haut darüber zu schließen. Jede tiefere Verletzung aber beanspruchte viel Zeit. In den meisten Fällen wurden schwere Wunden nur notdürftig behandelt, sodass der Körper des Patienten den Rest alleine bewältigen konnte. Nur die besten Heiler gingen weiter. Doch Ain Pantokratos schloss eine solche Wunde mit einer einzigen Handbewegung. Und Bersen war sich sicher, dass er bei Weitem noch nicht alles gesehen hatte, wozu dieser junge Mann fähig war. Der Hexer holte tief Luft und schloss sinnend die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah Bersen Schmerz. Der junge Mann erhob sich erschöpft aber behände und erneut hob er die Arme. Diesmal allerdings nur leicht. Vielmehr winkelte er sie an der Seite seines Körpers an, sodass seine Handflächen nach oben zeigten. Bersen sah sein Gesicht nicht mehr, da er nun im Rücken des Hexers stand. So strahlte dessen Haltung Ruhe und eine unerwartete Geborgenheit aus. Bersen glaubte erneut, die goldenen Fäden zu sehen, die sanft wie Nebelschwaden über den Boden wallten und das Innere des Zeltes durchzogen, um dann durch den schmalen Schlitz der Eingangsplanen hinaus in das Lager und weiter auf das Feld des Kampfes zu ziehen. Die angespannt gerunzelte Stirn des gerade zusammengebrochenen Heilers glättete sich. Das Stöhnen und Leiden ließ nach. Männer setzten sich auf und fassten ungläubig an die Stellen, an denen sie verwundet gewesen waren. Erstaunen und Erleichterung breiteten sich aus, sogar der unangenehme Geruch schien nachzulassen. Außerhalb des Zeltes wurden Rufe der Verwunderung und der Freude laut. Der Jahrtausendhexer schwankte. Mit einem schnellen Sprung war Bersen an seiner Seite und stützte ihn. Er erschrak fast, so zerbrechlich fühlte sich der schmale Körper in seinen Armen an. Der Blick des jungen Mannes war unfokussiert und in eine Ferne gerichtet, die es in diesem Zelt nicht gab. Sein Atem ging schwer und stockend, feine Schweißtröpfchen perlten an seiner Stirn und flossen über seine Schläfen. Ohne ihn wirklich zu sehen, warf der junge Hexer ihm einen dankbaren Blick zu und richtete sich aus eigener Kraft wieder auf. Bersen sah, wie schwer es ihm fiel. Und dennoch schritt Ain Pantokratos genauso erhobenen Hauptes ins Freie, wie er das Zelt der Heiler betreten hatte. Er zeigte seine Schwäche kaum und kontrollierte seinen Atem, als er sich neben General Kiy'n in den Sattel schwang und auf die versammelten Soldaten hinabblickte. Der General hob die Hand, um dem Heer Ruhe zu bedeuten. „Die Schlacht ist vorbei“, rief er mit hämmernder Stimme die erlösenden Worte aus. „Seine Majestät König Rowenos II. hat uns Hilfe gesandt.“ Er deutete auf Ain Pantokratos. „Den Jahrtausendhexer!“ Die Soldaten brüllten. Karhu Achileas lächelte ein kaum merkliches, böses Lächeln. Lias Bersen schluckte. Einzig aus diesem Grund hatte Jupran es gewagt, einen Krieg gegen den Rest der Welt zu beginnen. Mit einer Waffe wie dieser erwies es sich als ernstzunehmende Bedrohung für seine Feinde. Es war kaum verwunderlich, dass die Welt in Aufruhr war. Jupran hatte öffentlich seinen Anspruch auf die Alleinherrschaft über alle Reiche um das Eroberte Meer verkündet und versprach nun, diese durchzusetzen. Komme, was wolle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)