Berliner Nächte von Jeschi ================================================================================ Kapitel 5: Gerüchte ------------------- Ich lasse Dominiks Hand los und stehe auf, um Leon auf Augenhöhe gegenüber treten zu können. Er trainiert im Fitnessstudio und ist demnach stärker wie ich, aber er ist angetrunken und notfalls werde ich schon mit ihm fertig. „Was ist dein Problem?“, frage ich ihn und verenge die Augen. Dominik steht ebenfalls auf. „Japser,“ bittet er und zupft an meinem Ärmel, „Lass uns einfach nach Hause gehen, ja?“ Ich schüttle den Kopf. „Leon hat schon lange genug dein Leben kaputt gemacht. Geh zu Jonas, ja?“ dränge ich ihn und schiebe ihn an, damit er endlich losläuft. Unsicher macht er sich auf den Weg und ich wende meine Aufmerksamkeit wieder Leon zu. Er sieht mich seltsam an und ich finde, dass es an der Zeit ist, ihn endlich darauf anzusprechen. Lange genug habe ich ja dicht gehalten, um Jonas nicht in den Scheiß mit rein zu ziehen, aber jetzt kann er ja nicht mehr nachvollziehen, ob es mir nun Jonas oder Dominik erzählt hat. „Du hast die Gerüchte in die Welt gesetzt,“ stelle ich ihn also zur Rede und er schüttelt den Kopf. „Das war Ann-Kathrin.“ „Aber du hast ihr fleißig geholfen, es jedem zu erzählen. Langsam solltest du dafür sorgen, dass die Gerüchte sich in Luft auflösen! Das bist du ihm schuldig!“, gifte ich und versuche dabei, meine Stimme leise zu halten, damit niemand aus der näheren Umgebung aufmerksam wird. Er nervt mich langsam ziemlich. Statt das er endlich mal zu der Scheiße steht, die er gebaut hat, versucht er noch immer, es alles nur auf Ann-Kathrin zu schieben. Das Mädchen ist zwar die Pest in Person, aber er ist auch nicht viel besser. „Weshalb? Du hast es doch schon geschafft, dass die Hälfte der Leute hier etwas ganz anderes rum erzählt!“ Er macht eine ausladende Handbewegung und deutet hier und da vereinzelt auf ein paar Leute. „Denkst du nicht, dass es mir Leid tut, das er jetzt so darunter leiden muss, nur weil Ann-Kathrin sich nicht beherrschen konnte?“, fragt er und reizt mich damit nur noch mehr, weil er erneut die Schuld von sich schiebt. „Weil du dich nicht beherrschen konntest,“ rufe ich deshalb lauter als nötig, so das sich nun doch ein paar Leute nach uns umdrehen. Unsicher sehe ich mich um. Wenn ich etwas nicht möchte, dann das jetzt auch noch irgendjemand etwas von dem Streit mitbekommt. Ich dämpfe meine Stimme und knurre wesentlich leiser: „Du bist genauso Schuld.“ Er seufzt und zieht mich ein wenig Abseits, damit wir besser vor neugierigen Zuhörern geschützt sind. „Hör mal, mir tut es Leid, was da passiert ist, ja? Aber das ändert jetzt nichts mehr an der Sache und wenn du mit ihm auf die Party kommst, an ihm dran klebst und mit ihm Händchen hältst, dann machst du dich ganze Sache nur noch schlimmer!“ Mir klappt der Mund auf, weil er mir auf einmal derartige Sachen unterstellt. Ehe ich etwas sagen kann, hakt er nach: „Was soll das überhaupt? Bist du jetzt plötzlich schwul? Bi? Ich kann mich nicht erinnern, dass du uns jemals etwas davon gesagt hast.“ Ich schüttle entsetzt den Kopf. „Wie kommst du darauf? Ich habe ihn lediglich mitgebracht! Und vorhin wollte ich ihn trösten.“ „Es hat aber ein wenig anders ausgesehen und das ist nicht nur mir aufgefallen, okay. Das ist genau das, weshalb ich nicht wollte, dass du ihm mit hier her bringst. Jetzt werden sich alle das Maul darüber zerreißen, ob ihr ein Pärchen seid.“ Mittlerweile bin ich richtig wütend. Nicht nur, dass er so wenig Reue zeigt, sondern auch noch den großen Macker markiert, nun will er mir auch noch erzählen, was ich alles falsch gemacht habe. Dabei vergisst er nur leider, dass er überhaupt Schuld ist, dass die ganze Sache mit Dominik so eskaliert ist. Wer war es denn, der mit den Gerüchten angefangen hat?! Er hätte Ann-Kathrin sagen sollen, dass sie ihre Fresse halten soll, aber das hat er nicht gemacht. Von wegen, er war so verknallt in sie, dass er ihr aus der Hand gefressen hat. Was ist er denn für ein Loser, sich so von einem Mädchen einnehmen zu lassen? Genau das donnere ich ihm nun an den Kopf. „Und jetzt trägst du nichts dazu bei, es zu ändern. Du nimmst kommentarlos hin, Dominiks Leben zerstört zu haben und versuchst nicht mal, ihm zu helfen, wieder Anschluss zu finden!“, ende ich meine Predigt und er verdreht nur die Augen. „Ich habe sein Leben nicht zerstört, übertreib nicht so,“ erwidert er, nun aber schon handzahmer, weil er wohl langsam einsieht, dass er richtig Scheiße gebaut hat und immer noch baut. „Und jetzt versuchst du nicht mal, es besser zu machen. Im Gegenteil! Du bist es auch noch, der ihn hier von der Party ausschließen wollte. Weil es nicht eh schon alles schlimm genug ist, muss du noch mal nach treten!“ „Hey!“, unterbricht er mich barsch, ehe ich weiter schimpfen und auf ihn einhacken kann, „So ist das gar nicht! Der einzige Grund, warum ich nicht wollte, dass er hier her kommt ist der, der jetzt auch eingetreten ist!“ Er nickt wieder Richtung feiernder Menge. „Weißt du noch, als du uns erzählst hat, dass sich Dominik nicht mit dir sehen lassen möchte?“ Ich nicke und sehe ihn nun gespannt an, was er nun für eine Ausrede vorzuweisen hat. „Warum?“, fragt er und ich runzle die Stirn und überlege kurz. Dann fällt es mir wieder ein. „Er wollte nicht, dass über mich auch noch Gerüchte aufkommen.“ „Was glaubst du wohl, was in dem Moment geschehen ist, indem ihr Händchen haltend auf der Couch gesessen habt?“ Ich beiße mir auf die Lippe, als mir klar wird, auf was er hinaus will. „Ich habe dir gesagt, du sollst dich zurück nehmen und ihn nicht mitbringen. Er hat es selbst gewusst und du warst zu sehr in deinem Wahn drin, ihn wieder sozial zu integrieren, dass dir gar nicht in den Sinn gekommen ist, dass es auf andere einen falschen Eindruck machen könnte.“ Ich blicke auf meine Hand und komme mir reichlich doof vor. Natürlich würde es bei den anderen falsch rüber kommen und nachdem über Dominik eh schon so viel getratscht wird, wird es auch nicht lange dauern, bis das nächste Gerücht die Runde gemacht hat. Und damit ist dann genau das eingetreten, was Dominik nicht wollte. „Ich bin kein Unmensch, als dass mir Dominik nicht Leid tun würde oder ich es verweigern würde, ihm zu helfen. Aber ich wollte verhindern, dass du in die Sache mit rein gezogen wirst.“ Ich weiß nicht, ob ich ihm glauben kann, weil er natürlich nur so tun könnte, als würde er jetzt der tolle Kumpel sein, der mich vor Schaden bewahren wollte. Andererseits kommt es mir so vor, als würde er es tatsächlich ehrlich meinen und ich muss wohl einfach sehen, wie sich sein Verhalten entwickelt. „Anstatt mir Vorwürfe zu machen, solltest du vielleicht mal nach ihm sehen,“ schlägt er mir vor und eigentlich möchte ich schon aus Prinzip nicht tun, was er mir vorschlägt, aber leider hat er Recht. Wenn es wirklich stimmt und einige schon wieder Scheiße über uns verbreiten, dann sollte ich Domi vielleicht nicht alleine lassen. Ich mache mich auf, ihn zu suchen und finde Jonas auch Recht schnell bei Sandra. Leider fehlt von Dominik jede Spur. „Hey, wo ist er denn hin?“, frage ich Jonas und er sieht mich fragend an. „Wer?“ „Na, Dominik. Hat er dich nicht gefunden?“ Er sieht mindestens so irritiert aus wie ich und weiß ganz offensichtlich gar nicht, was ich gerade von ihm möchte. „Du wolltest dich doch um ihn kümmern,“ stellt er fest und blinzelt mich an. „Wir waren hier gerade…“ Er beendet seinen Satz nicht, sondern sieht Sandra nur hilflos an. Sie blickt nur fragend zurück. „Keine Ahnung, um was es jetzt genau geht, aber wenn du Dominik suchst, der ist vorhin gegangen.“ Mir klappt der Mund auf und ich wirble auf dem Absatz herum und stürme aus der Wohnung. Es ist noch nicht wirklich Herbst, aber die Nächte sind schon relativ kühl. Ich verfluche mich selbst dafür, so dumm gewesen zu sein, keine Jacke mitgenommen zu haben und hoffe, dass Domi seine nicht in der ganzen Aufregung vergessen hat. Ich bin ein wenig sauer auf ihn, weil er einfach so abgehauen ist. Ich hatte ihm doch gesagt, er soll bei Jonas auf mich warten. Und sicher wäre ich auch mit ihm nach Hause gegangen, wen er gar keine Lust mehr gehabt hätte. Aber dass er einfach so geht, ohne mir Bescheid zu sagen, finde ich nicht gut. Ich bin den halben Weg gerannt und völlig erschöpft, als ich endlich bei unserer Wohnung ankomme. Es brennt kein Licht in der Küche, aber ich glaube auch nicht, dass er sich in der Küche aufhält. Wahrscheinlich hat er sich in seinem Bett verkrochen. Ich schließe auf und stürme sogleich sein Zimmer. Dort liegt er tatsächlich im Bett, noch gänzlich in Klamotten und heult sein Kissen voll. „Bist du bescheuert!“, brülle ich und meine quillt Aufregung platzt nun aus mir heraus. , „Weißt du, was ich mir für Sorgen gemacht habe? Plötzlich bist du verschwunden und keiner hat dich gesehen! Was, wenn du dich verlaufen hättest? Oder wenn… dich jemand entführt hätte!“ Trotz all der Tränen gelingt es ihm, ein kleines Lächeln zustande zu bringen und dabei mein ganzes Geschrei einfach zu ignorieren. „Tut mir Leid,“ meint er schließlich und richtet sich auf. „Ich hatte das Gefühl, das alles schon schlimm genug ist. Jetzt reden sie über dich. Das wollte ich vermeiden.“ Ich schnaube und so langsam reicht es mir, wie ein rohes Ei behandelt zu werden. Warum wollen mich eigentlich alle immer nur schützen? Ich bin doch alt genug, mit dummen Sprüchen von anderen fertig zu werden. Und wenn jemand Gerüchte über sich ertragen kann, dann ich. Immerhin bin ich nicht so eingeschüchtert wie Dominik, sondern weiß, wie ich mich behaupten kann. Wenn mir einer dumm kommt, dann werde ich dem schon was erzählen. Mürrisch lasse ich mich auf Dominiks Bettkante nieder und blicke auf das Laminat in seinem Zimmer. Im Gegensatz zu meinem Zimmer, finden sich auf seinem Boden keine Wollmäuse. „Ist mir scheißegal, ob sie über mich reden oder nicht,“ versichere ich ihm und versuche mich an einem schiefen Grinsen: „Immerhin hast du jetzt keine Affäre mehr mit einem der Professoren, sondern mit mir.“ Ich zwinkere ihm zu: „Sag nicht, dass ist nicht besser.“ Er muss leise Kichern und befreit sich von seiner Decke, um neben mir Platz zu nehmen. „Wenn dich jemand fragt, musst du ihnen aber sagen, dass ich ein wilder Tiger im Bett bin,“ erläuterte ich ihm und nun beginnt er, richtig zu lachen. Da ist mein Aufheiterungsversuch ja geglückt. „Leon hat versucht mir weiß zu machen, dass er dich nur nicht auf der Party wollte, um mich vor solchen Gerüchten zu schützen,“ erzähle ich Dominik dann und er runzelt ebenso die Stirn, wie ich, als ich das gehört habe. „Glaubst du ihm?“, fragt er und zucke mit den Schultern, weil ich einfach keine Ahnung habe, ob ich es ihm glauben kann, oder nicht. „Er ist kein schlechter Mensch, nur weil er mal einen Fehler gemacht hat,“ erinnert er mich und ich frage mich, warum ausgerechnet er das so einfach sagen kann. Bin ich zu nachtragend oder ist er zu nachgiebig? „Er ist aber auch kein guter Mensch, wenn er sich nicht ehrlich bei dir entschuldigen kann,“ erwidere ich und er schüttelt den Kopf. „Vielleicht ist das einfach nicht seine Art. Und vielleicht hat er versucht, es wieder gut zu machen, indem er vermeiden wollte, dass nun auch noch über dich Gerüchte entstehen.“ Ich denke eine geraume Weile über seine Worte nach, komme aber zu keinem Ergebnis. Irgendwann seufze ich und er fragt: „Was machen wir jetzt?“ Ich weiß, was er meint, aber ich weiß nicht recht, was er hören will. Zugegeben, es ist ziemlich ungünstig, dass nun über uns geredet wird, aber was können wir schon groß dagegen tun? Was geschehen ist, ist geschehen und lässt sich auch nicht mehr rückgängig machen. „Nichts. Wenn sie uns fragen, antworten wir wahrheitsgemäß. Und wenn sie über uns reden, dann ignorieren wir sie.“ „Also bleibt alles beim Alten?“, fragt er und ich nicke, obwohl natürlich nichts so sein wird, wie es vor der Party war. Für mich wird es anstrengend werden, aber für Dominik läuft es eigentlich besser. Immerhin hat sich seine Affäre um einige Jahre verjüngert, da sollte er doch stolz drauf sein. Das sage ich ihm auch und bringe ihn erneut zum lachen. „Wahrscheinlich ist die Sache gar nicht so schlimm, wie angenommen, wenn wir darüber noch lachen können,“ stelle ich fest und er sieht mich ernst an und nickt dann zögerlich. Scheint, als hätte ich mit dieser Annahme gar nicht so Unrecht. Trotzdem ist es komisch, am Montag nach diesem Wochenende wieder die Uni zu betreten und einigen neugierigen Blicken ausgesetzt zu sein. Während ich mir einen Weg durch die Eingangshalle bahne, merke ich immer wieder, dass sich vereinzelt Studenten nach mir umdrehen. Einige tuscheln auch miteinander, aber niemand spricht mich an. Ich würde nicht behaupten, dass mir das unangenehm ist. Eigentlich ist es mir egal, ob man nun hinter meinem Rücken tuschelt, oder nicht. Aber seltsam ist es trotzdem, wegen einem Gerücht plötzlich derart im Mittelpunkt zu stehen. Wenn dem überhaupt so der Fall ist. Vielleicht entwickle ich schon eine derartige Paranoia wie Dominik und bilde mir am Ende das ganze Getuschel einfach nur ein. Ich weiß nicht genau, wie ich mich nun verhalten soll. Soll ich die Leute, die reden einfach darauf ansprechen. So nach dem Motto: „Hey, ich hab gerade meinen Namen gehört. Ist es wegen dem Gerücht?“ Aber wie peinlich wäre es, sie darauf anzusprechen und dann zu merken, dass sie gar nicht über mich geredet haben. Am Ende bin ich es noch, der Gerüchte über mich selbst verbreitet. Hin und her gerissen, was ich nun tun soll, trete ich in die Cafeteria und spüre auch da den ein oder anderen Blick auf mir ruhen. Ich versuche, einfach ruhig zu bleiben, mir nichts anmerken zu lassen und alles so zu machen, wie immer. Folglich hole ich mir einen großen Pott Kaffee und setze mich an einen der Tisch, warte auf Jonas und Leon. Die Leute verhalten sich ziemlich seltsam, wenn sie etwas erfahren haben, von dem sie nicht genau wissen, ob es nun stimmt, oder nicht. Warum redet man einfach über jemanden, statt ihn einfach direkt darauf anzusprechen. Würden sie mich jetzt fragen, ob ich mit Dominik zusammen bin, würde ich es verneinen und damit hätte sich die Sache. Sie bräuchten sich nicht mehr ihren Kopf über meine Angelegenheiten zerbrechen und ich hätte meine Ruhe. Aber wahrscheinlich macht genau das den Reiz aus, nicht zu wissen, ob es stimmt oder nicht. Wir haben ja auch großen Spaß daran, über andere zu lästern und in dieses Geläster schließt sich Tratsch ja mit ein. Darüber philosophiere ich, bis endlich Jonas und Leon kommen. Endlich, weil es mir langsam doch unangenehm wird, dieses Getuschel so ganz alleine auszuhalten. Ich begrüße die beiden und dann werde ich auch schon über das ganze Ausmaß der Gerüchteküche informiert. „Roland hat mich vorhin gefragt, ob du jetzt tatsächlich mit Dominik zusammen bist. Er meinte, er hätte am Samstag ja noch Späße drüber gemacht und jetzt kommt er sich super intelligent vor, weil es der Wahrheit entspricht,“ klärt Leon mich auf und verdreht dabei die Augen. „Ich habe ihm natürlich gesagt, dass es nicht stimmt, aber er glaubt mir nicht.“ „Und Paul hat mich heute morgen darauf angesprochen, dass er ja total irritiert war, als du mit Dominik angekommen bist, aber das es jetzt natürlich Sinn ergibt,“ fügt Jonas hinzu und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Er schien sogar enttäuscht, als ich ihm gesagt habe, dass an den Gerüchten nichts dran ist. Scheint, als hätte er sich für euch gefreut.“ „Na wunderbar,“ murre ich und rühre missmutig in meiner Kaffeetasse. Das Roland ein bisschen geistig umnachtet ist, das war mir ja klar, aber dass sogar Paul was auf die Gerüchte gibt, obwohl wir uns relativ gut kennen, finde ich schade. Andererseits ist es nett von ihm, dass er sich für mich gefreut hat. Offenbar findet er mich wenigstens nicht komisch, dass ich plötzlich mit Dominik zusammen sein soll. „Vanessa war ganz traurig, dass du schwul bist,“ feixt Leon und ich verdrehe die Augen. Mit Vanessa hatte ich im ersten Semester ein Date. Obwohl sie eigentlich ganz nett ist, fand ich ihre direkte Art einfach zu nervig und aus uns ist nie etwas geworden. Dass sie mir immer noch nachtrauert, hätte ich gar nicht gedacht. „Interessanterweise scheint es niemanden bis auf Vanessa zu interessieren, ob du nun schwul bist oder nicht. Was die Leute irritiert, ist die Tatsache, dass es Dominik ist,“ meint Jonas und ich zucke mit den Achseln. Wäre ja auch noch schöner, wenn Homosexualität einen kleinen Skandal an der Uni auslösen würde. Wir leben immerhin im 21 Jahrhundert. „Ich hoffe, sie machen Dominik heute nicht so fertig,“ erwidere ich besorgt und sehe mich in der Cafeteria um, ob ich ihn irgendwo sehe. Aber natürlich ist er nicht hier, er kommt eigentlich nie her, um sich Kaffee zu holen. Wahrscheinlich wäre es auch ungünstig, wenn ich ihn jetzt in der Uni ansprechen würde. Das würde die Gerüchte ja nur noch mehr anfachen. Besser ist es, ihn weitestgehend zu ignorieren, bis Gras über die Sache gewachsen ist. In etwa so, wie wir es schon die ganze Zeit versuchen, um zu vertuschen, dass ich mit ihm zusammen wohne. „Ich hoffe, es hört bald wieder auf. Ich komme mir total doof vor, wenn alle über mich reden,“ seufze ich und Leon sieht mich schief an. „Aber erst mal behaupten, dass es dich nicht stört, wenn man über dich redet,“ mault er und ich werfe ihm einen bösen Blick zu. „Es ist auch nicht so, als würde ich mich heulend auf dem Klo verkriechen wollen. Es nervt einfach nur,“ fauche ich und bin schon wieder sauer auf ihn. Nach meinem Gespräch mit Dominik habe ich eigentlich beschlossen, es einfach gut sein zu lassen, aber so ganz verzeihen kann ich ihm dann doch nicht. Dominik hat wohl wirklich Recht, Verzeihen und Vergessen sind zwei unterschiedliche Dinge. Deswegen nervt es mich auch, wenn er jetzt schon wieder mit der Sache anfängt und auch noch meint, es besser zu wissen. Er ist doch überhaupt erst an der ganzen Sache schuld! Hätte er Ann-Kathrin aufgehalten, gäbe es keine Gerüchte über Dominik, das mit der Party wäre nie so ausgegangen und keiner würde jetzt über mich reden. Das sage ich ihm auch, ehe ich aufstehe und die Beiden einfach sitzen lassen. Im Nachhinein komme ich mir ziemlich blöd vor. Als wäre ich jetzt schon eine kleine Dramaqueen, die so eine Szene nötig hat. Aber andererseits brauche ich mir keine weisen Sprüche von Leon anzuhören, von jedem, aber nicht von ihm. „Hey, Jasper,“ ertönt hinter mir eine Stimme und ich drehe mich und blicke geradewegs in Felix’ Gesicht. Felix ist ein Semester unter Jonas und mir und eigentlich sehr nett. Er sieht mich ein wenig verlegen an und meint: „Ich habe gehört, dass du jetzt mit Dominik zusammen sein sollst.“ Ich verdrehe die Augen, was mir im Nachhinein Leid tut. Wenigstens spricht er mich persönlich darauf an. Das war ja das, was ich mir vorhin noch gewünscht habe. Dennoch nervt es mich gerade, weil ich ganz allgemein plötzlich genervt bin. Und daran ist nur Leon schuld. „Ja, ich weiß, dass es alle erzählen. Aber es stimmt nicht, okay?“, murre ich und lasse Felix dann einfach stehen. Ich verkrieche mich in einem menschenleeren Gang und lehne mich gegen die kühle Wand. Vielleicht sollte ich einfach wieder ein Mädchen daten, dann wüssten alle, dass die Gerüchte nicht stimmen und somit wäre die Sache erledigt. Während ich mir überlege, ob ich es noch ein Date lang mit Vanessa aushalte, tritt Jonas zu mir. Ich bin erstaunt, dass er mich in so kurzer Zeit schon gefunden hat – ganz davon abgesehen, dass ich nicht gedacht hätte, dass er überhaupt nach mir suchen würde. „Du solltest dich nicht so über Leon ärgern,“ rät er mir und lehnt sich an die gegenüberliegende Wand, sieht mich ernst an. „Wenn du diese ganze Scheiße hier überstehen willst, dann darfst du nicht so genervt reagieren, sondern musst cool bleiben. Dann merken die Leute gleich, dass die Sache gar nicht so spektakulär ist, wie sie denken. Und sie hören auch auf, über dich zu reden, weil sie merken, dass es dich nicht interessiert.“ „Ich rege mich ja nicht über die Leute auf, sondern über Leon!“, erwidere ich aufgebracht und er seufzt leise. „Manchmal ist er halt ein kleiner Idiot,“ nuschelt er dann, aber ich verstehe ihn trotzdem. Das heitert mich ein wenig auf. Bisher war Jonas recht unparteiisch, aber jetzt von ihm zu hören, dass Leon sich etwas zurück nehmen könnte, hilft mir enorm. Nun weiß ich wenigstens, dass ich nicht ganz zu Unrecht am durchdrehen bin. „Gehen wir zur nächsten Vorlesung,“ fordert er mich dann auf und ich nicke und stoße mich von der Wand ab. Ich versuche, seinen Rat zu befolgen, als wir in den Hörsaal treten und halte den Kopf nach oben, lasse alle Sprüche an mir abprallen. Die Lesung wird nicht besonders schön, aber bereits danach haben die Meisten den Spaß daran verloren, über mich zu reden. „Wie war es?“, frage ich Dominik, kaum das ich nach Hause komme. Er sitzt in der Küche am Tisch, die Beine wieder in einem Schneidersitz verschlungen, und nagt gerade lustlos an einem Brot herum. Als ich eintrete, legt er das Brot weg und wendet sich mir zu. „Ging.“ Ich hatte mir ein wenig mehr Info erhofft, deswegen nehme ich auch neben ihm Platz, beiße eine Ecke von seinem Brot ab und mampfe dann: „Geht es auch ein wenig genauer?“ Er seufzt und schiebt mir den Teller gänzlich zu, was ich dankbar zur Kenntnis nehme. Ich habe nämlich wahnsinnigen Hunger. „Sie haben halt die ganze Zeit drüber geredet,“ erzählt er und rückt sich in eine bequeme Position. „Aber es war nicht so demütigend, wie bei der Sache mit dem Professor. Da waren sie ja alle der Meinung, dass ich widerlich wäre. Jetzt reden sie halt nur darum, wie du und ich uns nur annähern konnten. Also eigentlich… ist es gar nicht so schlimm.“ „Aber uneigentlich ist es dir unangenehm,“ stelle ich fest und er nickt. „Bei mir war es auch nicht viel anders,“ beginne ich dann zu berichten. „Sie haben viel geredet und ich habe versucht, es einfach zu ignorieren und ihnen selbstbewusst gegenüber zu treten. Die meisten haben dann auch ihre Klappe gehalten, aber es gibt halt auch überall ein paar Idioten, die nicht wissen, wann es gut ist.“ Er schweigt dazu und ich habe auch nichts mehr zu sagen und beginne einfach, das Brot zu essen. „Hast du keinen Hunger?“, frage ich ihn und halte ihm das letzte Stückchen unter die Nase, aber er schüttelt den Kopf. Ich frage mich, ob ihm der Appetit vergangen sei, aber so wie er es gesagt hat, ist es ja gar nicht so schlimm, wie zuvor. Das beruhigt mich etwas, weil ich nicht möchte, dass es Dominik schlecht geht. Ich kann zwar Leon die Hauptschuld zuschieben, aber ganz unbeteiligt bin ich dennoch nicht. Wieso musste ich auch seine Hand halten, um ihn zu trösten. Und sein Knie berühren. Ist doch klar, dass es auf andere irgendwie recht intim wirken könnte. Ich hätte ihm einfach locker auf die Schulter klopfen und mit allen anderen Tröstversuchen bis zu Hause warten sollen. Aber in dem Moment war mir einfach nur wichtig, dass er wieder relativ gut gelaunt ist und den Abend genießen kann, sodass ich an die ganzen Konsequenzen, die mein Handeln mit sich bringen könnte, gar nicht gedacht habe. Und wahrscheinlich war ich auch einfach wieder zu naiv, weil mir gar nicht in den Sinn kam, dass es auf andere falsch wirken könnte. „Tut mir Leid, dass ich nicht dran gedacht habe, ein wenig verhaltener zu reagieren,“ entschuldige ich mich deshalb bei Dominik, was ihn dazu bringt, mich verwirrt anzusehen. Wahrscheinlich ist er noch gar nicht auf die Idee gekommen, mir eine Teilschuld anzulasten. Ich erläutere ihm kurz und knapp, was mir gerade so durch den Kopf gegangen ist und er winkt ab: „Du hast ja nur versucht, mich wieder fröhlich zu stimmen. Das ist eben deine Art und die mag ich an dir auch so sehr.“ Er lächelt mich kurz an, weicht aber meinem Blick aus. Ich weiß nicht so recht, warum er das tut, aber ich glaube ihm das, was er sagt, weil er dabei so ausgesehen hat, als würde er es ehrlich meinen. Manchmal ist Dominik echt ein Mysterium, aber das ist es, was ich wiederum an ihm so sehr mag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)