Die Rosen von Malfori von Verlest ================================================================================ Kapitel 4: Das Picknick ----------------------- Am nächsten Tag erwachte Hildegard im luxuriösen Himmelbett und streckte sich einmal ausgiebig, bevor sie aufstand um sich zu waschen. Die Kopfschmerzen waren in der Zwischenzeit zurückgekehrt, aber noch überwog die gute Laune. In ein schlichtes, langärmeliges Kleid aus hellem Leinen gehüllt und mit einem langen, seitlich geflochtenem Zopf verließ sie das Zimmer um nach etwas essbarem Ausschau zu halten. Es musste längst Mittagszeit sein. Sie irrte ein wenig durch die Gänge des Schlosses und fragte sich durch, bis sie die Küche fand. Dort hielt sie ein kleines Pläuschchen mit der Köchin, die sie von ihrem ersten Aufenthalt in Malfori noch gut in Erinnerung hatte. Damals hatte sie ihr und den Jungs frischgebackene Plätzchen aufgenötigt. Und auch diesmal konnte sie die Küche nicht verlassen, ohne viel mehr aufgedrängt zu bekommen als sie überhaupt in der Lage wäre zu Essen. Aber wie sollte man auch vernünftig gegen das Argument sie sei zu dünn argumentieren? Also schluckte sie und akzeptierte am Ende eine Menge, die nicht einmal die Jungs zusammen hätten vernichten können. Die junge Klerikerin versicherte sich ihrer Hilfe für die nächste Nacht und versprach morgen mit viel mehr Hunger wiederzukommen und ganz bestimmt eine gute Portion zu essen und nicht wieder die Hälfte am Ende übrig zu lassen. Insgeheim rechnete Hildegard eher damit, dass es zwei Drittel werden würden, sofern die gute Portion ähnlich aussah wie die heutige. Da sie mit vollem Magen ungern ritt, beschloss sie anschließend erst einmal die Bibliothek aufzusuchen und schnell etwas nachzuschlagen. Es dauerte auch nicht lang, bis sie das gesuchte Nachschlagewerk fand. „Dulcis, dulce: süß, lieblich, angenehm, anziehend; lieb, geliebt, liebenswürdig; die Süße“. Hildegard musste unwillkürlich lächeln. Ihr Latein war nur sehr fragmentarisch, doch sie hatte geahnt, dass es ein Kosename sein würde. Nachdenklich wiederholte sie die Worte in Gedanken. Was war sie für ihn? Die Geweihte erhob sich um das Buch zurück zu stellen, der weite Rock raschelte beim Aufstehen. Nun würde sie wohl weniger aufpassen müssen ihn nicht ab und an mit Kosenamen zu bedenken. Sie ging zum kleinen Schreibpult, setzte einen Brief auf und steckte ihn ein. Dann nahm sie ein zweites Blatt und setzte - von immer wiederkehrenden Gedankenpausen durchbrochen - ein paar wohlüberlegte Zeilen darauf, bevor sie es duplizierte und beide Exemplare ebenfalls einsteckte. Dann fiel ihr Blick noch einmal auf die Sitzgruppe. Hildegard lächelte. Auf dem Weg hinaus steckte sie das angefangene Buch ein, von dem sie vermutete, dass Victor es zurzeit las und verließ dann das Schloss, um den nächsten ihr bekannten Wegschrein der Sehanine aufzusuchen und zwei der Briefe dort für ihre Kollegen zu hinterlassen. Es war bereits früher Abend, als Hildegard ihr Pferd beim Stallburschen wieder abgab und über den Schlosshof trottete. Ihr bliebe nun nicht mehr viel Zeit für Vorbereitungen, dachte sie sich. Gedankenverloren spazierte sie über das Gelände, am Rosengarten vorbei, bis zu den Übungsplätzen der Ritter, wo sie kurz stehenblieb um einen Blick auf die Übungen zu werfen und Hauptmann Elaril zuzuwinken, bevor sie umdrehte und zurück zum Haupthaus ging. Sie hatte keine rechte Vorstellung davon wie diese Nacht aussehen würde. Käme Victor sie abholen? Und wenn ja, wann? Würde er ihr Aufgaben übertragen, oder sollte sie einfach irgendwann bei seinem Arbeitszimmer vorstellig werden? Sie entschied sich erst einmal ein Bad zu nehmen und sich umzuziehen. Vermutlich wäre es besser etwas formelleres zu tragen als die einfache Cottehardie aus naturfarbenem Leinen. Hildegard entschied sich für eine grüne Seidencotte mit kurzen Ärmeln, die sie über das helle Unterkleid ziehen würde. Sie besaß einige Kleider in diesem Schnitt, da sie mit ihrer vorne liegenden Knopfreihe oder Schnürung auch praktisch für Alleinreisende waren, aber eine Abwechslung zu den eher formlosen Tuniken bildete, die sie gewöhnlicherweise auf Reisen trug. Ihre Mutter bemängelte zwar nach wie vor, dass sie modisch etwas zurückhing, aber immerhin sah sie ihre Tochter noch lieber in diesen Kleidern die zumindest die weibliche Figur betonten, als in der üblichen langen Tunika mit Gürtung. Hildegard klingelte auf dem Zimmer angekommen nach warmen Badewasser und ließ sich mit einem wohligen Seufzen in die gefüllte Wanne sinken. Sie nahm das Buch zur Hand, dass sie aus der Bibliothek mitgenommen hatte, blätterte und las einige Seiten, bevor sie es vorsichtig auf einen bereitgestellten Stuhl zur Seite legte und diesen so weit von sich wegschob, dass kein Wasser an das Buch käme, wenn sie später aus der Wanne steigen würde. Dann ließ sie sich gemütlich tiefer in das Wasser sinken und verweilte so für einige Minuten, bevor sie sich die Haare wusch und diese gezwungenermaßen im Stehen ausspülte und einen mitgebrachten Balsam hineinknetete, während sie ihr überlanges Haar auswrang. Ob sie es nicht doch endlich kürzen sollte? Zumindest ein Stück... Sie legte ihr Haar zusammen und wickelte das erste bereitgelegte Handtuch darum und legte sich dann das zweite um, bevor sie vorsichtig die Wanne verließ. Mittlerweile war die Sonne untergegangen, was für das Schloss eher eine Zunahme an Aktivität bedeutete, sobald der Herr des Hauses auf war und Anweisungen erteilte. Offenbar noch während Hildegard im Bad entspannt hatte, hatten dienstbare Hände etwas in den zu ihren Räumen gehörenden Salon bringen lassen, zum einen ein Bündel mit Akten über Handelsaufstellungen der letzten Monate, die vor allem den Fernhandel mit teuren Stoffen betrafen, zum anderen einen üppigen Strauß Rosen. Oben auf den Akten lag ein kleiner, handgeschriebener Zettel. „Lesen und Rechnen, sagtest du, Dulcissima? Kannst du dir das ansehen und mir später sagen, was du davon hältst?“ Als Hildegard später angekleidet den Salon betrat, bemerkte sie überrascht, dass jemand in ihrer Abwesenheit im Salon gewesen sein musste. Sie las den Zettel, aber wandte sich trotzdem zuerst den Rosen zu um an ihnen zu riechen. Sanft strich sie mit einem Lächeln über die samtige Oberfläche, 'Victor gibt sich ja wirklich Mühe.' Dann schnürte sie das erste Bündel an Akten auf, besah sich kurz die ersten Seiten und suchte stirnrunzelnd nach ihrem Schreibzeug. Sie war nicht eng in das Handelsunternehmen der Familie einbezogen, aber immerhin informiert genug um auf den ersten Blick zu sehen, dass einige der Zahlen erschreckend hoch waren. Tatsächlich ging aus den Unterlagen deutlich hervor, dass die Verlester Händler in ihren Verträgen mit dem Hause Malfori nicht unerhebliche Summen auf den üblichen Marktpreis draufschlugen, quasi um sich dafür zu entschädigen, dass sie mit dem Erzfeind ihres Fürsten überhaupt Geschäfte machten. Und einige der teuersten Stoffe, changierende und als Brokat gewebte elfische Seiden fehlten völlig in den Aufstellungen, obwohl es kaum denkbar war, dass der Hof in Malfori komplett darauf verzichtete. Sie notierte die letzten Preise für vergleichbare Stoffe, die sie aus den Büchern der Familie in Erinnerung hatte auf einem Blatt und errechnete auf einem zweiten Durchschnittswerte einiger Einkäufe, die als Gesamtmengen angegeben waren. Danach verglich sie sämtliche Zahlen mit denen von ihrem ersten Blatt und stellte verschiedene Tabellen auf, sortiert nach Stoffarten und Handelspartnern. Als sie fertig war, knurrte ihr Magen und die Kopfschmerzen waren deutlich eindringlicher geworden. Sie hätte schon längst das Haus wieder verlassen sollen. Die Klerikerin räumte die Aktenbündel wieder ordentlich zusammen, stapelte ihre eigenen Berechnungen daneben und verließ den Raum um mit einem Buch in der Hand der Bibliothek einen Kurzbesuch abzustatten. Dort sammelte sie die leuchtende Rose vom Vortag wieder ein, die sie selbst in ihren neu geflochtenen Zopf steckte und nahm noch eine Flasche Wein aus dem Kabinett. In der Küche hatte man zwischenzeitlich einen großen Korb für sie vorbereitet, den sie wie abgesprochen selbst abholte und mit in den Rosengarten nahm. Dort schlug sie das Buch wieder auf und richtete sich bequem auf einer Bank ein, nachdem sie sich die umliegenden Plätze gründlich angesehen hatte. Ein Weilchen würde sie noch auf Victor warten, bevor sie den Korb alleine auspackte. Victor allerdings ließ noch länger auf sich warten, der Fürst hatte eigene Erledigungen zu machen, die zunächst daraus bestanden, den elfischen Meisterschmied Ulórin zu empfangen und bei ihm die Anfertigung eines sehr spezifischen Schutzamulettes in Auftrag zu geben und im Anschluss eine längere Diskussion mit seinem Hauptmann Elaril vom Eiswasser zu führen, der, als ihm Sinn und Zweck der Anweisungen seines Herren nach und nach klar wurden, erst ein verwirrtes und dann ein zunehmend ungläubiges Gesicht machte. Hildegard derweil wurde das Warten zu lang und sie beschloss den Korb mit sich auf eine der Wiesen zu nehmen. Dort entnahm sie ihm zum einen ein großes Tischtuch, dass sie an einer Stelle mit gutem Blick auf den Mond ausbreitete, zwei Gedecke mit Weingläsern, die Flasche Wein aus der Bibliothek, kleine Pasteten, kurz angebratene Fleisch-Medaillons und Obst. Sie füllte sich seufzend ihr eigenes Weinglas, nahm sich eine der Pasteten, prostete Victors leerem Platz zu und ließ die Gedanken schweifen. Die Nacht war schon ein ganzes Stück weit fortgeschritten, als Victor endlich die Zeit fand, Hildegard zu suchen. Schon bevor sie die vom Gras gedämpften Schritte hörte, kündigte sich der Fürst dadurch an, dass etwas wie ein sachter Lufthauch über ihren Geist strich und die Kopfschmerzen, die im Garten zwar weniger drückend, aber dennoch allgegenwärtig waren, fortnahm. Hildegard rappelte sich erstaunt hoch, als die Kopfschmerzen verschwanden und hielt – unsicher, ob es wirklich mit Victor zu tun hatte – nach ihrem Liebhaber Ausschau. Ernüchtert blickte sie auf das vor ihr liegende Picknick, der Wein war schon halb geleert und das Essen sichtbar dezimiert. Vor allem das Obst hatte sie gedankenverloren in der letzten Stunde die sie hier gesessen hatte nahezu vollständig aufgegessen, während sie den fast vollen Mond betrachtet hatte. Plötzlich überkam sie das Gefühl, dass dieses Picknick vielleicht von Beginn an eine dumme Idee gewesen war, vielleicht fand er es nur lächerlich und ein halb geplündertes Essen war sowieso eine traurige Angelegenheit, vor die sie ihn nicht platzieren wollte. Schnell lief sie über die Wiese zum nächsten Weg um ihn dort abzufangen, falls er wirklich kommen sollte. Kaum dass sie aufgestanden und auf den Weg getreten war, kam ihr Victor auch bereits entgegen. „Verzeih, das hat alles etwas länger gedauert als ich dachte“, nicht zuletzt, weil Elaril entgegen seiner sonstigen Art heute alles dreimal erklärt haben musste. „Oh, schon in Ordnung Victor.“ Sie wirkte ein wenig gehetzt und strich sich verlegen ein paar Haare aus dem Gesicht, die sich aus dem langen Zopf gelöst hatten und atmete einmal durch. „Ich bin froh dich zu sehen.“ Sie lächelte ihn an und strich sich den Rock wieder glatt. „Ich habe deine Nachrichten bekommen, sowohl die Akten, als auch die Rosen. Meine Berechnungen liegen auf meinem...'Zimmer'. Was das und die Rosen angeht....“ Breit grinsend beugte die junge Frau sich zu ihm vor und küsste ihn auf die Wange. „Danke.“ „Bitte“, meinte er einfach, legte ihr dann die Hand unters Kinn und hob es nach dem Kuss auf die Wange erneut, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu geben. „Was hast du unternommen heute?“, erkundigte er sich dann. Die Betonung auf „Zimmer“ überhörte er einfach und für den Moment schien es ihm auch noch nicht seltsam, dass Hildegard ihm mitten im Garten den Weg vertrat. „Unternommen? Hm, ich war beim Schrein wie besprochen, habe mir die Akten angesehen, habe einen kleinen Spaziergang gemacht, etwas zu Abend gegessen... Davor auch irgendwann zu Mittag.... gelesen... und ein sehr erholsames Bad in dem sehr beeindruckenden Badezimmer genossen, dass du mir freundlicherweise für meinen Aufenthalt hier überlassen hast... Ich denke das war es soweit.“ Hildegard zuckte mit den Schultern. „Als du sagtest, dass ich in ein anderes Gästezimmer wechseln sollte, habe ich übrigens nicht mit so etwas gerechnet.“, sie lachte und fragte sich, was für Gäste normalerweise in solchen Räumen unterkommen. „Und wie war dein Abend, was hast du bisher schon gemacht?“ Sie hakte sich vertraulich unter und setzte dazu an Richtung Schloss zurück zu gehen um dort unauffällig einen Hausangestellten zu bitten die Reste des Picknicks wegzuräumen, als ihr plötzlich etwas einfiel. „Sag mal, ist Nasszur zufällig wieder im Garten unterwegs?“ Da er von dem verpassten Picknick nichts ahnen konnte, ließ er sich von Hildegard wieder in Richtung des Schlosses dirigieren. „Mit was hast du denn gerechnet? Mit dem Folterkeller?“, fragte er scherzend und winkte dann mit einer Hand ab. „Ich hatte ein paar Audienzen und bin deshalb noch nicht wirklich zum Arbeiten gekommen. Dauernd will irgendjemand was. Ich glaube, ich sollte ein paar aufgespießte Schädel vor dem Arbeitszimmer anbringen.“ Auf die Frage nach der Katze schloss er kurz die Augen und nickte dann. „Ja, ich glaube, er jagt Kaninchen.“ „Hier in der Nähe?“ Sie sah besorgt aus und drehte sich wieder um. „Ich fürchte ich muss doch noch kurz etwas erledigen. Aber falls du nachher neue Dekoration für dein Arbeitszimmer besprechen willst, ich wäre dabei. Vielleicht kann ich noch ein paar Ideen beisteuern.“ Schon im Gehen drehte sie sich kurz zu ihm um. „Ich bin gleich zurück. Oh, und was den Folterkeller angeht, 'hübsche Jungfrauen die von ihren Familien als Tribut geopfert werden', waren es, oder? Nun bin ich freiwillig hier und noch nicht einmal Jungfrau, wie du selbst sehr gut wissen solltest. Also nein, mit dem Folterkeller habe ich nicht gerechnet.“ Mit einem Zwinkern ließ sie ihn stehen und bog ab zurück auf die Wiese um die Reste des Picknicks zusammen zu räumen, bevor die Katze sich nachher doch noch entschloss unbewegte Ziele den Kaninchen vorzuziehen und dabei das gute Geschirr in Mitleidenschaft zog. Eine weise Idee, denn auch wenn Nasszur kein Freund von Obst war, hätte er die Pasteten sicher probiert. Und den Korb ohnehin. Und die Tischdecke auch. Vielleicht sogar das Buch. Victor dagegen blieb ein bisschen irritiert auf dem Weg stehen, runzelte die Stirn und folgte ihr dann. Vielleicht konnte er ihr ja zur Hand gehen. Was er sah, als er die Rosensträucher hinter sich ließ wegen denen Hildegard diesen Platz ausgewählt hatte, war wie seine Geliebte mit dem Rücken zu ihm vor den Resten eines für zwei Personen eingerichteten Picknickplatzes kniete. Offenbar bemüht alles schnell im nebenstehenden Korb zu verstauen, bevor die Katze kam, oder er selbst. Die Eile, mit der Hildegard die Reste des Picknicks zusammenräumte, verwirrte Victor eher noch mehr. Die Teller sahen doch sehr danach aus, als wäre das Essen bereits vorüber, umso mehr wunderte er sich, mit wem Hildegard im Garten gepicknickt hatte. Der Erste, der ihm einfiel, war Elaril vom Eiswasser, aber der Hauptmann war die meiste Zeit des Abends bei ihm gewesen, kam also nicht in Frage. Mit ein paar leisen Schritten schloss er zu Hildegard auf und ging in die Knie, um ihr zu helfen. „Ich sehe, du hast für's Abendessen Gesellschaft gefunden?“ Überrascht, dass Victor ihr doch gefolgt war, zuckte sie kurz zusammen als sie seine Schritte hörte und biss sich auf seine Frage hin auf die Lippe. Obwohl sie nach unten auf das Tischtuch sah, konnte er die zarte Röte auf ihrem Gesicht erahnen. Sie schüttelte leicht den Kopf. „Nein, lediglich der Mond hat mir Gesellschaft geleistet. Das zweite Gedeck wäre für dich gewesen. Aber ich wusste nicht, wann du Zeit finden würdest und habe das Warten irgendwann nicht mehr ausgehalten, es tut mir leid Victor.“ Traurig senkte sie den Blick und traute sich nicht den Fürsten direkt anzusehen, „ich wollte dich eigentlich überraschen, weil du den Eindruck machtest gern einmal überrascht werden zu wollen. Aber ich fürchte das war kein Erfolg von meiner Seite aus.“ Seufzend zuckte Hildegard mit den Achseln. Victor hielt inne und blickte von den halb zusammengeräumten Gedecken auf und zu Hildegard. Jetzt fiel ihm auch auf, dass eines der Gedecke unbenutzt war und dazu die zarte Röte auf Hildegards Wangen. Mit einem entschlossenen Ruck breitete er das Tischtuch wieder auf dem Gras aus. „Du überraschst mich immer wieder, Dulcissima.“ Mit diesen Worten ließ der Fürst sich am Rand des Tischtuches nieder und griff nach Hildegards Handgelenk, um sie neben sich zu ziehen. Bereitwillig ließ sie sich ziehen und setzte den unbenutzten Teller, den sie eben noch wegstellen wollte, vor Victor ab. Mit einem warmen Lächeln zog sie den Korb heran und präsentierte ihm den Inhalt. „Es gibt Pasteten, kurz angebratenes Fleisch, noch ein klein wenig Obst und Wein. Zumindest eine halbe Flasche...“ Die Geweihte beförderte das zweite Weinglas aus dem Korb wieder auf das Tischtuch und sah ihn aus großen goldenen Augen an. „Ich habe recht lange hier gesessen, ich bitte um Entschuldigung. Eigentlich hätte ich erst mit dir anstoßen sollen.“ Sie lehnte sich zu ihm herüber und küsste ihn auf den Hals, während sie sich warm an seine Seite schmiegte. „Danke, dass du dich auch von einem längst angebrochenem Picknick nicht abschrecken lässt.“ „Danke, dass du auf die Idee kommst, für mich ein Picknick vorzubereiten“, entgegnete Victor, nahm die angebrochene Weinflasche aus dem Korb und schenkte beiden nach. Manche mochten die Idee im Garten zu picknicken für banal halten, aber Victor hätte nicht sagen können ob oder wann zuletzt jemand auf die Idee gekommen war, so etwas für ihn zu planen. Also beugte er sich kurz zu Hildegard, hauchte ihr einen Kuss auf die Haare und machte sich dann daran, den leeren Teller aus den Resten des mitgebrachten Essens zu füllen. Ein bisschen von allem. Leise lächelnd sah sie ihm beim Essen zu und nippte an ihrem Wein. Da sie bereits eine halbe Flasche allein geleert hatte, plante sie nicht mehr zu trinken als dieses eine Glas, dass er ihr noch eingeschenkt hatte. Nach einer Weile setzte sie zu einem Gespräch an, da sie ihn nicht die ganze Zeit still beim Essen beobachten wollte. „Du wolltest gerade etwas über neue Dekoration für dein Arbeitszimmer sagen? Oder willst du doch lieber erst von mir hören, wie dich meine Landsleute über's Ohr hauen? Eine Information, die dir sicherlich nicht ganz neu ist, wie ich annehme. Aber ich habe ein paar Schätzungen aufgestellt, über welche Summen oberhalb des üblichen Marktpreises wir reden. Ich zeige dir meine Berechnungen später, sonst ruiniere ich uns noch vollends das gemütliche Picknick.“ Sie lachte und nahm einen weiteren Schluck Wein, während sie ihm sanft über den Arm strich. „Was du so Dekoration nennst...“, bemerkte er mit einem Kopfschütteln. Gut, es hieß ja, der Mensch sei dem Menschen ein Wolf, aber mehr als einmal hatte sich der Fürst in den vergangen Jahren gefragt, ob nicht der Schüler den Lehrer bereits überflügelt hatte. Menschen standen den alten Dämonenrassen in Grausamkeit und Erfindungsreichtum kaum nach. Und sie hatten die Gabe, solche Dinge als alltäglich hinzunehmen. Aber solche Themen eigneten sich wohl kaum für ein Picknick im Mondlicht, weshalb Victor den Gedanken nicht weiter verfolgte. „Neu nicht, nein, aber es wäre mir lieb, deine Berechnungen nachher zu sehen. Die Informationen, die ich ansonsten habe, sind ja auch nicht absolut objektiv.“ „In Ordnung, dann sehen wir uns das später mal gemeinsam an. Ich hätte zu dem Thema auch noch ein paar Fragen. Und du warst es doch, der mit solchen Scherzen angefangen hat, oder?“ Sie küsste ihn auf die Schläfe. „Wenn es ein paar Leute davon abhält dein Arbeitszimmer zu betreten, wenn du es mit falschen Schädeln oder Ritualkreisen verzierst, dann ist es meiner Meinung nach ihre eigene Schuld. Ich hoffe ich mache mich jetzt nicht unwiederbringlich unbeliebt damit, aber vermutlich ist mir der Sinn dafür verloren gegangen mit so etwas zimperlich zu sein. Allerdings dürfte es deiner Außenwirkung generell nicht besonders gut tun.“ Die Klerikerin seufze leise. Irgendwie trieb sie gerade die Romantik vollends von sich, in dem sie es zuließ, dass die Erinnerungen an grausige Ritualkreise und menschenfressende Untote wieder ihren Platz in ihrem Geist beanspruchten. Sie schüttelte sich kurz im Versuch diese Gedanken wieder zu vertreiben. Hildegard griff nach dem Obst im Korb und probierte von den Beeren. „Oh, diese Himbeeren sind wirklich lecker, die solltest du auf jeden Fall probieren! Sind das die, die hier im Garten wachsen?“ Freudig hielt sie ihm eine Beere hin um ihn abbeißen zu lassen. „Ich glaube wir sind einmal an einem Himbeerstrauch vorbeigelaufen.“ Victor dagegen hatte nicht vor, trübe Gedanken bei Hildegard aufkommen zu lassen. „Sie stehen an der Umfassungsmauer, ja.“ Dann griff er nach Hildegards Handgelenk, um die angebotene Beere samt der Hand, die sie hielt, näher zu ziehen und von der Himbeere abzubeißen. Die reifte Beere war weich, süß und trotz der geringen Größe so saftig, dass aus der verbleibenden Hälfte ein paar Tropfen granatfarbener Saft über Hildegards Finger liefen. Mit einem Lächeln beugte sich Victor vor und schloss die Lippen um das Beerenstück und die Fingerkuppen, bevor der Saft weiterlaufen und am Ende noch den Ärmel des hellen Unterkleides erreichen konnte. Als er den Beerensaft von ihrer Haut saugte und den Finger dann langsam wieder freigab, spürte sie kurz die Spitze eines Fangzahns über ihre Haut streichen, allerdings ohne Druck, so dass er sie nichtmal ritzte. „Wirklich köstlich.“ Noch immer lag ein schmales Lächeln auf Victors Lippen und das Glühen in den grünen Augen verriet, dass er nicht – oder nicht ausschließlich – von der Himbeere sprach. Ihr Herz begann ein wenig schneller zu klopfen. Nur ein Blick in seine Augen und die Gedanken von zuvor waren wie weggefegt. Es waren nicht die optischen Reize des Dämonen, die ihr erst wirklich klar geworden waren, nachdem sie bereits Platz für ihn in ihrem Herzen gemacht hatte, die sie zu ihm hinzogen. Es war die Art wie er sie behandelte und wie er immer wieder ihre Unsicherheiten auflösen konnte, so dass sie in der Lage war selbstbewusst ihren Instinkten zu folgen. Einem Bauchgefühl nachgebend legte sie die Hände lächelnd um sein Gesicht und küsste ihn innig, bevor sie sich mit einem leichten Zucken um die Mundwinkel wieder zurücklehnte. „Ja, in der Tat.“ Dämonen waren die geborenen Verführer und was Victor nicht aus Erfahrung über Menschen wusste, machte er durch Instinkt wieder wett. Den Kuss erwiderte er leidenschaftlich und betrachtete die Klerikerin dann mit einem Lächeln. „Vielleicht sollte ich dann kleine Handzettel mit Miniaturen verteilen lassen, wie ich picknicke. Für meine Außenwirkung. Sind Welpen obligatorisch oder reicht es, wenn Nasszur versucht niedlich zu gucken?“ Die Klerikerin lachte. „Und was glaubst du dadurch zu erreichen?“ Sie strich ihm erst über die Wange und widmete sich dann wieder ihrem Weinglas. „Vermutlich würde es dann nur Gerüchte über ominöse Gerichte statt Pasteten geben. Und ich gebe zu mich ein wenig über die Vorstellung freuen zu können, die Abende mit dir mit weniger Leuten teilen zu müssen. Auch wenn ich weiß, dass es egoistisch und wenig ratsam wäre. Aber die Zeit die wir haben will ich zumindest nutzen.“ Sie beugte sich vor und küsste ihn wieder auf die Wange, um ihn nicht zu sehr vom Essen abzuhalten. Plötzlich begann sie zu schmunzeln. „Ich glaube bei mir hat Nasszur geholfen. Vielleicht wirkt das tatsächlich.“ „Warum habe ich öfter das Gefühl, dass meine Freunde meine Katze lieber mögen als mich?“, sinnierte er, schüttelte dann aber lachend den Kopf. „Wir haben alle Zeit der Welt. Leider müssen wir einen Teil davon mit Arbeit verbringen...“ Damit begann er langsam, die Reste des Picknicks wieder in den Korb zu packen und leerte mit einem beherzten Schluck sein Weinglas. „Aber ich glaube, Dulcissima, mit dir vor Augen wird alle Arbeit leicht und schnell von der Hand gehen.“ Nicht nur angenehme Gesellschaft und Hilfe, sondern auch den Preis der erarbeiteten Mußestunden, der mit einem Lächeln winkte. Hildegard lachte herzlich. Alle Zeit der Welt, sagte er? Ein paar Tage, dachte sie. Zumindest vorerst, sollte es nicht ein nächstes mal geben. „Du bist wirklich ein schrecklicher Charmeur, Victor. Vielleicht solltest du das auf Miniaturen festhalten. Ich wette das wirkt noch besser als deine Katze.“ Sie zwinkerte ihm zu und leerte gleichfalls ihr Weinglas. „Zumindest bei Frauen.“ Den Nachsatz hätte sie sich wohl besser gespart, rügte sie sich selbst. Aber er hatte sie für einen Moment an die Schmeicheleien von Narsil erinnert und das hatte ihr einen Stich versetzt. Zumindest kurz war der Gedanke durch ihren Kopf gezuckt, ob er wie Narsil so mit allen Frauen umging. Aber so lange sie die Einzige war, die zurzeit auf Malfori weilte und sein Lager teilte, hatte sie kein Recht sich zu beschweren. Nein, noch nicht einmal wenn dem nicht so wäre. Trotzdem konnte sie sich nicht helfen. Sie räumte ihr Glas zurück in den Korb und stand auf um das Tischtuch zusammen zu räumen. Dann warf sie noch das Buch hinein und hing sich den Korb über den Arm und hakte sich mit dem anderen bei Victor unter. „Ich würde gern zuerst den Picknickkorb zurück in die Küche bringen. Ich hoffe es war in Ordnung, dass ich deine Köchin hierfür eingespannt habe? Meine bescheidenen Kochkünste wollte ich dir wirklich nicht zumuten. Aber wenn du willst, dass ich mich generell etwas bedeckter halten soll, sag es mir bitte. Ich möchte nur sichergehen, dass ich keine voreiligen Schlüsse ziehe. Schon wieder.“ Sie drückte seinen Arm und warf einen letzten kontrollierenden Blick über den geräumten Picknickplatz. „Ich wüsste nicht, wie ich das auf einer Miniatur darstellen sollte, Hildegard. Und auch nicht, wieso mir daran gelegen sein sollte, gerade die Frauen zu beeindrucken. Wirkt es denn bei dir?“, erkundigte er sich und reichte ihr höflich den Arm. Er spürte zwar deutlich, dass etwas anderes ihre Gedanken beherrschte und sie verstimmt war, aber er verbot sich selbst, in ihren Gedanken nach dem Grund dafür zu suchen. „Gib den Korb einfach dem nächsten Diener?“, schlug er vor. Das sparte den Umweg über die Küche. „Natürlich ist es in Ordnung. Sie ist die Köchin, oder? Sie ist da, um zu kochen. Und ich habe nicht vor, dich irgendwie bedeckt im Keller zu halten.“ Nicht, dass da Hildegard vielleicht auch etwas gegen hätte, wenn sie wie der bucklige Vetter weggesperrt würde. In Anbetracht der Tatsache, dass er noch einen ganzen Stapel Papierkram auf dem Schreibtisch hatte, führte Victor Hildegard dann auch zielstrebig ins Arbeitszimmer und ließ auf dem Weg einen Diener den Picknickkorb in die Küche und einen anderen Hildegards Notizen aus ihrem Zimmer bringen. Hildegard fügte sich kommentarlos in alles und äußerte sich nicht einmal zu der Frage, ob Victors Charme bei ihr wirkte. Sie hielt eine Antwort für überflüssig und hing derweil noch ein paar anderen Gedanken nach. Doch im Arbeitszimmer angekommen schüttelte sie diese ab und beschloss sich nun mit voller Konzentration der Arbeit zu widmen die da getan werden musste. Als die Notizen gebracht wurden, überflog Hildegard sie noch einmal, bevor sie sie mit Hinweisen an Victor von Malfori übergab. „Wie du siehst, ist der Aufschlag hier zum Teil schon beträchtlich. Bei einigen Händlern sogar etwas mehr als bei anderen. Ich frage mich, wie viel sie bei den teuersten Stoffen verlangen. Oder beziehst du Seidenbrokate von woanders?“ Die Klerikerin beugte sich über des Fürsten Schulter, während sie auf die Tabellen verwies und er die Zahlen betrachtete. Sanft legte sie ihm dabei eine Hand auf die Schulter. Mit der Konzentration auf die Arbeit waren die trüben Gedanken wieder verschwunden und hatten Platz gemacht für anderes. Es war ein überraschend angenehmes Gefühl nicht allein in einem Arbeits- oder Studierzimmer zu sitzen. „Der Preis, den man dafür zahlen muss, Victor von Malfori zu sein“, klagte der Fürst mit mehr gespielter als empfundener Dramatik. „Der Preis für die wirklich hochwertigen Stoffe war absolut lächerlich hoch. Ich beziehe den Seidenbrokat mittlerweile vom Nebelmeer, aus Eilithion zumeist.“ Das bedeutete zwar, dass er vermutlich noch etwas mehr bezahlte als den überteuerten Verlester Preis, aber die Stoffe galten zum Teil als noch etwas feiner – und es gab ihm die Genugtuung, keinen Aufschlag zu zahlen, nur weil er der Staatsfeind Nummer eins war. „Und ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, mir auch für die anderen Stoffe auf der Liste andere Bezugsquellen zu suchen. Die Terraner verkaufen ein passables Byssos, nicht die Qualität, die man in Verlest bekommt, aber für Tischdecken reicht das allemal.“ Verwundert sah die Geweihte den Fürsten an. „Aber gibt es dafür nicht ganz simple Lösungen? Ich weiß, ich bin selbst Verlesterin und Händlerstochter, aber deshalb muss ich noch lange nicht der Meinung sein, dass meine Landsleute sich nicht lächerlich benehmen. Ich weiß natürlich nicht, was der eigentliche Grund für das Ganze ist, auch wenn dir zugestanden sei, dass du tatsächlich ein Talent hast einigen Leuten ungünstig auf den Fuß zu treten, aber weshalb auch immer ist ein spezieller 'Fürst von Malfori-Steuersatz' lächerlich, denkst du nicht? Entweder man macht Geschäfte, oder man lässt es.“ Sie schüttelte etwas empört den Kopf über die Verlester Tuchhändler. „Zugegeben, ich war auch zu stolz um Geld von dir anzunehmen, aber das hatte andere Gründe. Und ich hätte keine Gewissensbisse, würde man, nein, würden wir kurzerhand dies alles umgehen. Oder anders gesagt, was spricht dagegen alles über einen Mittelsmann laufen zu lassen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir diese Idee nicht schon lange gekommen ist. Hattest du einen Grund sie zu verwerfen? Denn wie der Zufall es so will, ist deine aktuelle Geliebte wie gesagt eine Händlerstochter und hat auch Händler-Freunde...Ist das nicht ausgesprochen praktisch?“ Nachdenklich legte sie die Hand ans Kinn und murmelte mehr für sich selbst, „meine Familie hineinzuziehen wäre keine gute Idee, unfair und wohl kaum lange möglich. Aigolf könnte sich darauf einlassen und wäre eine unauffällige Wahl, ja... wer könnte eine Verbindung zwischen mir und Aigolf ziehen, außer unseren Freunden? Hm, möglich aber unwahrscheinlich. Es könnte gehen... Und Lur ist neutral und läge sogar in etwa auf meiner Strecke... Ich könnte mit ihm persönlich sprechen. Und die Jungs leben jetzt auch wieder in der Gegend.“ In Gedanken vertieft war sie eine kleine Runde hinter Victors Rücken gelaufen, die Dielen knarzten leise. Dann fiel ihr auf, dass sie noch gar keine Antwort erhalten hatte und vielleicht etwas völlig offensichtliches übersehen, weshalb Victor diese Idee nicht weiter verfolgt hatte. Fragend sah sie ihren Geliebten an, während sie wieder still an seinem Schreibtisch stehen blieb. „Aus dem einfachen Grund, den du bereits genannt hast: ein Mittelsmann, der dazu dienen soll, die nachteiligen Preise der Verlester Händler zu umgehen, würde entweder den Stoff erneut verteuern – immerhin muss irgendwer ja auch diesen Mittelsmann bezahlen – und er würde damit rechnen müssen, Nachteile in seinen Geschäften mit Verlest zu bekommen. Und ich möchte eigentlich niemanden in diese reichlich lächerliche kleine Scharade der Verlester mit hineinziehen.“ Victors Blick war ihr, solange sie nicht direkt in seinem Rücken stand, durch den Raum gefolgt und er hatte ihr auch auf der gegenüberliegenden Seite seines Schreibtisches Platz eingeräumt, um dort zu arbeiten, wenn sie nicht gerade auf seine Schulter gestützt die gleichen Dokumente studierte wie er. Sie gab ihm einen Kuss und setzte sich wieder hin. „Ich denke nicht, dass es auffallen würde, wenn Aigolf aus Lur die Stoffe einkaufte und es wäre immer noch günstiger... Aber wenn du sagst, dass du lieber alles woanders beziehen möchtest, kann ich das durchaus nachvollziehen.“ Hildegard faltete die Hände auf dem Tisch und seufzte leise. Offensichtlich sah ein Fürst sich mit allen möglichen Problemen konfrontiert, und seien es nur überteuerte Stoffpreise. „Gibt es denn sonst etwas, weswegen du überhaupt Handel mit Verlest führen musst? Oder irgendetwas, bei dem ich dir helfen könnte? Noch mehr Akten, zum Beispiel?“ Die Geweihte sah ihn erwartungsvoll an und streckte sich einmal im sitzen auf ihrem Platz. Der Abend wurde immer später, aber ihr war es lieber ihn hier mit ihm zu verbringen, als auch den Rest des Abends ausgeschlossen im Garten auf ihn warten zu müssen. „Du darfst mir ruhig irgendwelche Arbeit geben, wenn ich beschlossen habe zu Arbeiten, will ich auch was tun. Ich bin unheimlich praktisch veranlagt, was das angeht. Meine Eltern hatten schon vor mich mit einem Händler-Kollegen zu verheiraten, weil sie der Meinung waren ich wäre in dem Falle gut beschäftigt und untergebracht. Glücklicherweise trage ich ihnen diese Idee nicht nach, sie war wirklich gut gemeint.“ Die Klerikerin lachte und rückte seinen Aktenstapel zurecht. „Ich glaube allerdings nicht, dass ich wirklich einen Geschäftssinn geerbt habe. Es ist nur so, dass meine Erziehung mir in der Theorie erlauben würde das Geschäft weiterzuführen, falls nötig. Oder eben das gelernte für andere Dinge einzusetzen, wie zum Beispiel irgendwelche Unterlagen hier...“ Mit diesen Worten hob sie das oberste Blatt des höchsten Stapels an um es zu begutachten. Victor hatte sich zuerst, als sie sich streckte, unwillkürlich über die Lippen geleckt, als sich in der Bewegung ihr Körper gegen den festen Seidenstoff des Kleides drückte. Auf den Hinweis allerdings, dass ihre Eltern versucht hatten, sie zu vermählen, verdunkelte sich sein Gesicht schlagartig und für einen kurzen Moment, bis der Fürst sich wieder gefangen hatte, flammten die altbekannten Kopfschmerzen wieder auf. „Pardon.“ Victor senkte den Blick und angelte dann ein paar Akten aus dem Stapel. „Nur die üblichen Grundhandelswaren. Wolle gegen Obst aus Verlest, um es ganz grob zusammen zu fassen. Dabei gibt es keine Probleme.“ Irritiert blinzelte Hildegard ihn an, als die Kopfschmerzen so plötzlich auftauchten und ebenso wieder verschwanden. Was war das nun gewesen? Hatte er sich dafür entschuldigt? „Gut, wenn es immerhin dabei keine Probleme gibt.“ Sie griff vorsichtig über den Schreibtisch und legte ihre Hand auf seine. „Victor, ist alles in Ordnung?“ Besorgt sah sie ihn an und versuchte zu erforschen, ob ihm vielleicht etwas fehlen könnte. Hatte er genug getrunken, brauchte er vielleicht etwas? Sie kannte sich mit den Besonderheiten von dämonischen Vampiren viel zu wenig aus, um wirklich beurteilen zu können, ob es ihrem Liebhaber körperlich an etwas mangelte. Für sie waren seine Hände fast immer kühl und seine Haut gleich blass. Victor schloss die, wie üblich kühlen und blassen Finger um ihre und atmete nochmal durch. „Ja“, einen Moment zögerte er und erkundigte sich dann doch „Wer genau ist dieser Aigolf, den du in Lur wegen der Stoffe fragen könntest?“ Ein Freund, hatte sie gesagt. Sicher nicht irgendein Verlester Pfeffersack, mit dem man sie hatte vermählen wollen. Und sie hatte ja offenbar abgelehnt. Kein Grund also, jemanden auf möglichst blutige Art vom Leben zum Tode zu befördern, auch wenn eine kleine Stimme im Hinterkopf gerade ein Loblied auf solche Praktiken sang. „Aigolf? Ein Lurer Händler, den ich vor ein paar Jahren kennen gelernt habe. Wir haben damals seinen Handelszug nach Ravensloft begleitet und sind seitdem Freunde. Ich habe sogar Hebamme bei der Geburt seines ersten Kindes sein dürfen. Ein sehr belesener Mann. Wieso fragst du? Doch Interesse?“ Hildegard stutzte kurz. „Und du bist dir wirklich sicher, dass dir nichts fehlt?“ Sie strich mit der anderen Hand sanft über seine weißen Finger und hielt dann inne, als die Erkenntnis langsam bis zu ihr durchsickerte. „Warte... das bezieht sich jetzt doch nicht etwa auf diese blöde alte Geschichte, die ich vorhin erwähnt habe? Wegen dem Händler, den ich ausgeschlagen habe zu heiraten?“ Sie begann zu schmunzeln und lehnte sich wieder ein Stück zurück, um ihren Geliebten besser beobachten zu können. „Victor von Malfori... du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“ Die Geweihte versuchte ein Lachen zu unterdrücken und löste ihre Hand vorsichtig aus seiner. „Entschuldige bitte, ich lache nur, weil ich mich jetzt weniger schlecht fühle vorhin eifersüchtig gewesen zu sein, obwohl du mir eigentlich gar keinen Grund gegeben hast.“ Victor von Malfori eifersüchtig auf einen alternden Verlester Händler, dessen Hand sie sogar abgelehnt hatte? Konnte das wirklich sein? Sie stand auf und ging zu ihm, fuhr im zärtlich durch das Haar. „Ist das wahr, Victor? Dann verzeih bitte mein unbedachtes Geplapper, das wollte ich nicht.“ Auf die Armlehne seines Stuhles gestützt, küsste sie seine kühle Wange. „Ich treffe meine eigenen Entscheidungen und dazu gehört offensichtlich auch, eine Affäre mit dem Staatsfeind einer Vernunfts-Ehe vorzuziehen. Zu bedauern ist nur meine geplagte Familie.“ Victor schob seinen Stuhl zurück, zog Hildegard auf seinen Schoß und schloss die Arme um sie. „Die blöde alte Geschichte kann so alt nicht sein, du Ausreißer“, gab er brummelnd zu bedenken. Immerhin wusste er, dass Hildegard erst vor nicht allzu langer Zeit in ihr Elternhaus zurückgekehrt war und die Idee, sie mit einem Händler zu vermählen musste jünger sein. Vielleicht aus dem letzten Jahr, vielleicht sogar noch aus diesem. Mit einem unwilligen Knurren schob er den Gedanken beiseite und vergrub das Gesicht an Hildegards Hals. „Sollte irgendjemand deiner Familie deswegen Probleme machen, werde ich mich darum kümmern“, drohte er leise. Sie hauchte einen Kuss auf sein Haar. „Oh, es ist schon fast ein Jahr her Liebster und seitdem hat niemand mehr darüber gesprochen. Und ich denke um meine Familie müssen wir uns vorerst keine Sorgen machen. Es dauert sicher auch eine ganze Weile, bevor Gerüchte in Verlest auftauchen, die mich involvieren. Hier kennt mich kaum jemand und selbst wenn es nach Wochen in Verlest heißt, der Staatsfeind habe eine neue Geliebte, wird sicher so schnell keiner eine Verbindung zu mir ziehen können. Ich denke meine Familie hat also eine gewisse Schonfrist.“ Hildegard sah lächelnd auf den Mann, der sich an sie schmiegte und strich ihm mit den Fingern über den Nacken. Es war genau wie sie es sagte, nur ihre Familie tat ihr in dieser Situation leid, da sie als Einzige wirklich etwas zu verlieren hatten. Aber sollte der Fürst sie über haben, noch bevor sich Gerüchte in ihrer Heimat ausbreiten konnten, hätte sie immer noch die Gelegenheit zu versuchen den Ruf ihrer Familie irgendwie zu retten. Aber es wäre ihr doch lieber er hätte es bis dahin nicht. „Ich werde in Zukunft versuchen mehr aufzupassen was ich sage. Und du hast keinerlei Grund eifersüchtig zu sein, Victor. Außer höchstens auf deinen Wein, für den ich doch extra hergekommen bin.“ Auch wenn sie versuchte die Situation durch einen Scherz aufzulockern, waren ihre Worte voller Wärme. Und diesmal war es an ihr seinen Kopf leicht anzuheben um ihn zu küssen. Was war denn bitte schon ein Jahr? Aber Victor wusste auch, dass er besser daran tat, das Thema nicht weiter zu vertiefen. Hildegard war hier und ihr Versuch, seine Laune durch einen Scherz zu heben, brachte seine Mundwinkel tatsächlich nach oben. Bereitwillig hob er den Kopf und ließ sich küssen. „Wenn du das sagst... ich werde jetzt nicht sagen, dass ich Recht hatte“, neckte er sie zurück und legte die Hände dann auf die Armlehnen seines Stuhls als Zeichen, dass er sie nicht länger gegen ihren Willen festhalten würde. Dennoch blieb Hildegard zunächst sitzen. „Sollen wir dann weitermachen? Ich hoffe ja immer noch, dass wir wenigstens noch ein kleines bisschen Zeit nur für uns vor Sonnenaufgang haben werden, wenn wir uns beide bemühen.“ Sie lachte und küsste ihn auf die Stirn. „Oh, und bevor ich es vergesse, wo ist eigentlich das rote ...Etwas hingekommen?“ Schmunzelnd erhob sie sich und ließ ihre Hand noch einmal sanft über seine Schulter gleiten, bevor sie sich zurück an ihren Arbeitsplatz begab. „Das habe ich beschlagnahmt, bevor es irgendjemand in den falschen Schrank räumt. Soll ich es dir morgen Abend mitbringen?“, erkundigte sich Victor mit einem Schmunzeln und warf dem Aktenstapel auf seinem Platz dann einen abschätzenden Blick zu. Ob er es heute noch bis in die Bibliothek schaffen würde, war mehr als fraglich. Es war doch einiges liegen geblieben. „Wenn du lieber in die Bibliothek möchtest, lass dich nicht aufhalten“, bot er Hildegard an, bevor er sich wieder in die Arbeit stürzte. Allerdings suchte er, solange Hildegard ihm gegenüber arbeitete, ab und zu mit der Hand ihre Finger, strich, ohne aufzusehen, aber mit einem Lächeln auf den Lippen darüber und widmete sich dann der nächsten Angelegenheit. „Das hängt ganz davon ab, ob ich es irgendwann noch einmal für dich tragen soll, Liebster. Und was soll ich in der Bibliothek, wenn du nicht da bist?“ gab sie keck zurück und blieb für den Rest der Nacht ihm gegenüber sitzen. Alleine lesen konnte sie morgen noch genug, so lange er Freude daran zu haben schien sie in seiner Nähe zu haben, auch wenn sie nur mit Arbeit beschäftigt waren, dann war ihr Platz genau hier. Rechtzeitig, bevor der Morgen dämmerte, legte Victor von Malfori Feder und Papier nieder und so tat es auch seine Geliebte. Aber nicht ohne einen anständigen Kuss ließ sie ihn gehen. Sie verabschiedete ihn mit einer letzten Bitte, „Victor, darf ich mir vielleicht etwas wünschen? Irgendwann würde ich wirklich gerne noch einmal in deinen Armen einschlafen dürfen.“ „Dann musst du früher zu Bett gehen, Dulcissima“, antwortete er mit einem Blick zum Fenster. „Ich wollte nur den Wunsch schon einmal allgemein anmelden, für den Abend an dem es sich einrichten lässt.“, schmunzelte sie und verabschiedete sich in ihr Bett. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)