Die Rosen von Malfori von Verlest ================================================================================ Kapitel 8: Der Geburtstag Teil 1 -------------------------------- Die Klerikerin war völlig überrumpelt und blickte sich erstaunt im Schankraum um, der gefüllt war mit bekannten Gesichtern, die sie erwartungsvoll und freudig anblickten und ihr zuwinkten mit Getränken, Kuchen und Essen an den Tischen. Es war als wären die meisten ihrer ehemaligen Weggefährten im Schankraum versammelt, nicht nur Dvalinn und Alarik, die aufgesprungen waren und zur Tür kamen, um das Mädchen herzlich in die Arme zu schließen, sondern auch Wulfhinrich, Aigolf, Liudbrandt, sogar der Zwergenkleriker Hellond war anwesend. Und, wie Hildegard schnell bemerkte, ihre Familie, die schwangere Adalgund mit ihrem Mann und den Kindern natürlich ausgenommen. Das konnte absolut kein Zufall sein, nicht einmal ein besonders glücklicher, zumal Elaril über das ganze Gesicht grinste. „Was ist das? Etwa eine Geburtstagsfeier für mich?! Oh Elaril, du Heimlichtuer! Das hast du doch gewusst, oder?“ Hildegard lachte und begrüßte alle mit Umarmungen, Küsschen und lieben Worten, drückte ihre Freunde an sich und bedankte sich für ihr Kommen. Und am meisten überraschte sie, dass ihre Eltern extra hergekommen waren und Hellond, zu dem sie seit letztem Jahr nur über Briefe Kontakt gehalten hatte. „Hellond, mein lieber Kollege! Dass du wirklich hier bist! Das freut mich sehr. Du hattest doch sicher eine wahnsinnig lange Anreise, oder etwa nicht? Darauf müssen wir gleich unbedingt etwas trinken!“ „Glaubst du mir, wenn ich behaupte, ich bin so überrascht wie du?“, lachte der Elf und begrüßte die Hälfte der Gäste, die er kannte, um sich danach freundlich der anderen Hälfte vorzustellen. Dann schob er sich an Hildegards Eltern vorbei zur Theke, um ein paar Worte mit Garn und Bertha im Vertrauen zu wechseln. Letzte kam gerade mit einem ofenfrischen Kuchen aus der Küche, den sie zusätzlich zu den anderen Leckereien noch auf einem der Tische unterbringen wollte. Das Resultat des kurzen Gespräches war offenbar Freibier für alle, um mit Hildegard anstoßen zu können. Nachdem sie dies ausgiebig mit allen getan hatte, fing sie an von Tisch zu Tisch zu wandern und zumindest mit jedem der Gäste ein kurzes Gespräch zu führen. Als erstes zog es sie verständlicherweise zu ihrer Familie, die sie nun wirklich nicht im Goldenen Hahn in Lur erwartet hätte. Sie wandte sich zuerst an ihre Mutter, eine zierliche Frau von knapp einem Meter Sechzig. Die dunklen, von Grau durchzogenen Haare zu einem lockeren Knoten im Nacken zusammengesteckt, war sie auch mit Ende Vierzig noch eine sehr attraktive Frau, von der es hieß, dass sie mit der blassen Haut, den leuchtend blauen Augen und ihren dunklen Locken das schönste Mädchen im ganzen Dorf gewesen sein soll, wenn nicht noch darüber hinaus. Und bis auf die Sommersprossen und den zierlichen Körperbau teilte sie optisch rein gar nichts mit ihrer jüngeren Tochter Hildegard, ganz im Gegenteil zur älteren Adalgund. „Mutter, dass du wirklich extra so weit gereist bist, überrascht mich wohl am meisten! Vielen vielen Dank dafür! Wie lange seid ihr denn schon hier, wann seid ihr angekommen?“ „Oh, das war noch gestern Abend, mein Liebling! Und es ist lange her, dass ich mal so weit fort war.“, lachte Swanahild und freute sich über das glückliche Gesicht ihrer Tochter. „Ich wollte eben nicht nachfeiern, siehst du. Also sind wir gefahren. Und gebracht hat uns freundlicherweise eine Kutsche, die dein Freund, dieser adrette Hauptmann, uns geschickt hat. Damit ließ es sich auch deutlich komfortabler reisen als auf dem Wagen, mein Kind.“ „Das stimmt“, pflichtete ihr Giselher - Swanahilds zweiter Mann - bei und seine grauen Augen blitzten, während er lächelte. „Es ist wirklich ungewohnt deine Mutter mit auf Reisen zu haben, aber auch sehr sehr schön.“ Gewöhnlicherweise begleitete Swanahild ihren Mann nicht auf Reisen, sondern verwaltete Haus, Hof und das gutgehende Handelsunternehmen der Familie, wenn die Männer fort waren. Es hatte ihr noch nie besonders gelegen lange unterwegs zu sein, sie fühlte sich in ihrem Heim einfach am wohlsten. „Wir haben dir sogar deine Geschenke mitgebracht, zumindest einen transportablen Teil, der Rest wartet auf dich in Weyersdorf, bei deiner Schwester, Schwägerin und den Kindern.“ „Macht euch doch nicht so einen Aufwand wegen mir, ihr Lieben! Und apropos Geschwister, Leopold habe ich eben gesehen, aber Ada habt ihr schon zuhause gelassen, richtig? Wie geht es ihr denn?“„Ja, aber sie lässt dich lieb grüßen und erwartet dich dann in Weyersdorf. Die lange Reise wäre schon zu beschwerlich gewesen. Aber ansonsten geht es ihr gut.“ „Das ist schön zu hören, besser sie schont sich. Ich werde sie nach unserer Rückkehr direkt mal aufsuchen und nach ihr sehen.“ „Das solltest du, Hildegard.“, bekräftigte ihre Mutter. „Und dann musst du zur Anprobe, wir haben dir ein paar ganz besonders hübsche Stoffe ausgesucht und etwas neues für dich in Auftrag gegeben. Du sollst ja nicht immer das gleiche tragen müssen und vor allem nicht immer diese... Tuniken und weiten Kleider.“ Hildegard lächelte ein wenig gequält aber bedankte sich brav, bevor ihre Mutter direkt weiter fortfuhr. „Und denke daran Liebes, dass es schon dein dreiundzwanigster Geburtstag ist. Ich weiß, in deinem Alter will man so etwas nicht wahrhaben, aber irgendwann ist es zu spät für Kinder. Und du wirst nicht jünger. Also schau, dass du deine Chance nicht verpasst, in Ordnung? Ich würde mich freuen auch von dir eines Tages Enkelkinder geschenkt zu bekommen.“ „Ja, Mutter, ich werde daran denken. Vielleicht bekomme ich ja tatsächlich irgendwann die Enkel die du dir wünschst. Nicht, dass meine Geschwister nicht schon genug Enkel produziert hätten.“ antwortete die Klerikerin amüsiert. Mittlerweile war es ja durchaus im Bereich des Möglichen, dass dieser Wunsch sich erfüllen würde. „Wo wir gerade bei dem Thema sind, hier, das ist für dich Hildegard.“ Giselher überreichte ihr ein ledergebundenes Buch mit einfachem Schmuckeinband, aber sehr reich verzierten Seiten, die mit farbigen Miniaturen versehen waren. „Das hier ist eine Sammlung regionaler Sagen. Deine Mutter meinte du hast es immer geliebt wenn dein Vater dir solche Geschichten erzählt hat und da dachten wir, vielleicht würde es dir gefallen deinen Neffen daraus vorzulesen, bis du vielleicht eines Tages eigene Kinder hast. Außerdem ist es eine wirklich schöne Ausgabe.“, erklärte der Händler der staunenden Klerikerin, die vorsichtig die leicht unregelmäßige Kontur der Seiten entlangfuhr und über den reichhaltigen Schmuck staunte. Dieses Buch bekäme sicher einen Ehrenplatz bei ihr. „Und damit hast du auch schon etwas zu lesen für die Rückreise, ist das nicht praktisch, Liebes?“, ergänzte Hildegards Mutter strahlend. Hildegard bedankte sich artig und wurde direkt von ihrem Bruder Leopold abgeholt, der zuvor ein angeregtes Gespräch mit den ortsansässigen Händlern Aigolf und Liudbrandt nebst Gattinnen geführt hatte. Diese folgten Leopold in Richtung des Geburtstagskindes, ließen ihrem Bruder aber selbstverständlich den Vortritt, bevor sie Hildegard auch nochmal herzlich gratulierten und ihre Geschenke überreichten. Aigolf hatte sich mit einem Zwinkern auf seine für einen Händler eher untypischen Lesegewohnheiten für einen Schmuckband elfischer Gedichte entschieden, der Elaril beinahe noch mehr entzückte als die eigentlich Beschenkte und Liudbrandt und seine Frau überreichten Hildegard einen farbenfrohen Umhang aus Wolle, wie man ihn in Terra herstellte. Hildegard warf ihn sich zur Probe gleich um und bedankte sich ausgiebig. Beide Bücher an ihre Brust gedrückt suchte sie nach einer Stelle, einem freien Tisch an dem man die guten Gaben sicher unterbringen könnte, den Mantel zu tragen und die Bücher den ganzen Abend in der Hand zu halten, war keine Option. Vor allem nicht, da sich in kürzester Zeit noch mehr Geschenke hinzugesellten. Dvalinn hatte ihr passend zum Mantel eine Schließe gefertigt und Alarik eine Ledertasche gemacht und gefärbt, so dass man es als Ensemble tragen konnte. Von Svea bekam sie dazu ein Paar warmer Strümpfe für die kommende kalte Jahreszeit, in sehr feiner Handarbeit selbst gemacht und auch Sveas Familie, Vater und Bruder wollten sich beteiligen. Hinter den vertrauten Gesichtern der Familie und ihrer engsten Freunde und hinter einem gewaltigen Strauß später Feldblumen kam allerdings auch weniger erwarteter Besuch zum Vorschein. Narsil de Varro, ihr erster Mann und derjenige, der ihr vor einem Jahr das Herz gebrochen hatte. Er war derjenige, der als erster hinter die Fassade gesehen hatte und in Hildegard nicht die unnahbare Prüde, oder die leichte Lebefrau gesehen hatte, die Männer sonst üblicherweise zu erwarten schienen. Narsil hatte genug Erfahrung mit Frauen um eine schüchterne Jungfrau zu erkennen, die offensichtlich nur auf die Erlösung durch ihn gewartet hatte. Es war kein Wunder, dass sie nach wenigen Wochen bereits seinem Charme erlegen war, denn Narsil und die Frauen, das war eine ganz besondere Sache. Hildegard hatte Spaß an und mit Narsil gehabt, doch viel zu schnell hängte sie ihr Herz an den Mann, der sie als erster wie eine vollwertige Frau behandelte. Als sie mit ihren Freunden in die Zwergenmine aufbrach, war es der Gedanke an Narsil, der ihr durch die Hölle von Khazad-Mirr half. Als sie ihn wie versprochen in Lur wiedertraf, war es Narsil der ihnen den Weg nach Malfori zeigte. Es war Narsil, der sie aufheiterte, ihr Freude bereitete und ein wenig Leichtigkeit auch in schweren Zeiten verlieh. Der Frauenheld wusste immer wann sie was benötigte und als er sie schließlich noch bis nach Ragnaron begleitete, wo sie versuchten ihren Freund Elaril noch einzuholen, begann sie zu glauben, dass es ihnen vielleicht auch in mehr als nur ein paar Wochen gemeinsamer Zeit nicht langweilig zusammen werden würde. Hildegard überstand die Reise durch Ragnaron mit Alarik und Dvalinn, das Ausbildungslager der Milizen getarnt als Mann und ihr wiederholtes Zusammentreffen mit Untoten, mit denen sie sich diesmal wissentlich in eine Höhle einschließen ließen, mit dem Ziel falls nötig bis zum letzten Leben zu Kämpfen und im Falle des Versagens einfach Nichts und Niemanden mehr hinaus zu lassen. Als sie endlich zurückkehrte in ihre Heimat war es Narsil den sie treffen wollte, um mit ihm zu besprechen, ob er irgendeine Chance für eine gemeinsame Zukunft mit ihr sah. Seine Antwort war damals sehr eindeutig gewesen und seit diesem Tag hatte Hildegard den Barden nicht mehr wiedergetroffen. Die Geweihte riss sich zusammen und lächelte. „Narsil de Varro, na sowas. Mit dir habe ich wirklich nicht gerechnet. Es ist lange her, oder?“ „Ziemlich lange, ja“, antwortete der Barde mit seiner leichten Art, dem gleichen blitzenden Lachen, den gleichen funkelnden Augen. „Gut siehst du aus, Hildegard. Und alles Gute zum Geburtstag. Zum neunzehnten oder so?“, meinte er mit einem Zwinkern. Selbst nach allem was zwischen ihnen passiert war, brachte dieser simple Versuch Hildegards Mundwinkel nach oben. Ein etwas müdes Lächeln, aber zumindest ein Lächeln. „Ja, genau. Vielen Dank Narsil. Du hast dich aber auch gut gehalten und offensichtlich deinen Humor in der Zwischenzeit nicht verloren. Vielen Dank für die Blumen.“ Sie nahm ihm den Strauß vorsichtig ab und fragte Bertha und Garn nach einer Vase. Tatsächlich liebte sie Blumen und freute sich wirklich, nur wie sie mit diesem plötzlichen Wiedersehen umgehen sollte, wusste sie nicht. War sie überhaupt noch wütend? Gekränkt, ein wenig, ja. Verletzter Stolz und Zurückweisung. Aber weshalb? Sie hätte ihn nicht zurück gewollt. Warum also das leichte Magengrummeln? Gedankenverloren strich sie noch einmal kurz über die abgestellten Blumen, eine Geste die sehr typisch für sie war. „Bitte, gerne. Soll ich dir ein Bier holen? Deine Eltern sind wirklich nett, machen sich aber Sorgen, weil du soviel unterwegs bist, wusstest du das?“ Mit diesem leichten und, wie er selbst wusste, sinnlosen Plaudern wanderte Narsil um die Theke herum, vor der Hilde stand und während Garn gerade damit beschäftigt war, Alariks und Dvalinns Krüge zu holen, zapfte der Barde eben selbst. Hildegard lehnte sich amüsiert auf die Theke. „Ja, das klingt wirklich nach meinen Eltern. Wie lange bist du denn schon hier und sag bloß Elaril hat dich auch eingeladen?“ Sie lachte leise. Kein Wunder, dass der Hauptmann etwas verstört wirkte, als sie ihm erzählte, dass mehr als nur Freundschaft zwischen ihr und Narsil gewesen ist. „Und, gibt es wichtige Neuigkeiten die ich wissen sollte, von denen der Barde weiß und mittlerweile sicher auch meine Familie?“ Narsil stützte sich von der gegenüberliegenden Seite auf den Tresen und senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern „Nun, ich habe gehört, es seien noch nicht alle Gäste eingetroffen...“ Bevor er aber weitere Andeutungen fallen lassen konnte, bekam er von Bertha ein Spültuch gegen die Schulter geklatscht „Dein Platz ist nicht hinter der Theke, junger Mann, Abmarsch!“ „Oh, wer kommt denn noch?“, fragte Hildegard erstaunt und sah sich im Raum um. Wer könnte denn noch fehlen? Roderick wäre ja wohl kaum wegen ihrem Geburtstag aus seiner Hütte zu locken. Die Geweihte musste über Narsils überraschtes Gesicht kurz lachen, als er für einen Moment erschrocken zuckte, als ihn das nasse Tuch am Hals berührte. Lachend floh Narsil zurück auf die andere Seite „Na na, Hildegard, wir werden dir doch nicht die Überraschung verderben wollen. Garn! Hilfe, deine Frau vergreift sich an mir!“ meuterte er noch gespielt, wofür ihm Bertha nur nochmal mit dem Tuch drohte und Narsil ihr als Friedensangebot einen Luftkuss über die Theke hauchte, bevor er mit einem vollen Bierkrug verschwand. Die Klerikerin beobachtete das Schauspiel und schüttelte leicht amüsiert den Kopf. Kein bisschen älter geworden der Barde, kein Stück sichtbar verändert. Er schien noch genau der selbe zu sein, der Hildegards Herz im letzten Jahr auf eine Berg- und Talfahrt geschickt hatte. Eine Sommeraffäre, mehr nicht. 'Oh, bitte, lasst das mit Victor nicht genau so enden!', flehte sie in einem stillen Stoßgebet ihre Götter an. Narsil schien sich nicht verändert zu haben, aber wer wusste das schon genau. Sie allerdings fühlte sich durchaus verändert, wenn sich das auch äußerlich ebenso wenig zeigen dürfte. Was in einem Jahr so alles passieren konnte... Hellond hielt sich ein bisschen zurück, bis sich der erste Ansturm gelegt hatte und stellte dann eine in einem Kasten sicher zu verwahrende zwergische Apparatur auf den Gabentisch. Als Hildegard auf das strahlende Gesicht des Zwergenklerikers nur fragend schaute, lieferte er auch die Erläuterung: es handelte sich bei dem Apparat um ein Gerät, das die Mondphasen abbildete und selbst in der Dunkelheit von Zwergentunneln – oder am hellichten Tag – exakt anzeigen konnte, wo und wann der Mond auf- oder unterging. „Oh, Hellond das ist ja großartig!“, rief die Geweihte fasziniert aus. „Kannst du mir erklären, wie das funktioniert? Es kann wirklich den Mondaufgang selbst bei Tag, oder in völliger Dunkelheit messen? Unglaublich. So wisst ihr also auch unter dem Berge wann Gebetszeiten sind, ja? Zwerge sind ja wirklich findige Techniker.“ So ganz genau konnte Hellond dann doch nicht erklären, wie das Gerät lief. Letztendlich maß es die Zeiten der Mondbahn über zahllose Federn und Zahnräder in seinem Inneren, musste, ähnlich einer mechanischen Uhr ab und zu aufgezogen werden und tat dann zuverlässig seinen Dienst, in dem die Zeiger auf verschiedenen Tafeln anzeigten, welcher Mond wann aufging, während ein Schwimmkompass auf dem Dach des Gehäuses erlaubte es korrekt auszurichten. „Es tut mir leid, ich bin auch nur ein Kleriker und wissen die Götter, wie das genau funktioniert“, schloss Hellond grinsend. Hildegard, durchaus sehr beeindruckt, stellte die geniale Gerätschaft wieder vorsichtig an seinen Platz, nachdem sie es ausgiebig bestaunt hatte. „Und das ist wirklich für mich? Vielen Dank Hellond!“ Wie alle anderen Gabenbringer bekam auch der Klerikerkollege einen flüchtigen Wangenkuss, für den sich Hildegard bei den Zwergen deutlich tiefer bücken musste. Kurzfristig wurde ein Zwergentisch mit den beiden Ehrenzwergen Hildegard und Alarik improvisiert, der eine Runde mit zünftigem Zwergenbier anstoßen wollte. Etwas, worum sich die Menschen nicht gerade rissen, aber was tat man nicht alles für die zwergischen Freunde? Immerhin war es eine Möglichkeit für die Geweihte ihr Zwergisch nicht ganz einrosten zu lassen. Für Alarik übersetzte sie ab und zu. Nur Svea warf dem vor ihr abgesetzten Bierkrug einen nachdenklichen Blick zu, sah sich kurz um und beugte sich dann rüber zu Hildegard um ihr mit nahezu zerknirschten Blick eine Frage zuzuflüstern. „Du, Hildegard? Könnte ich dich vielleicht um einen Gefallen bitten? Kannst du mein Bier austrinken und - falls es sein muss - auch das nächste? Ich...würde heute lieber keinen Alkohol trinken, weißt du.“ Die Klerikerin zog verwundert die Augenbrauen zusammen. „Ja, sicher, aber weshalb?“ „Naja, es ist so...“ unsicher rang die Zwergin ihre Hände unter dem Tisch und griff in ihre Schürze. „Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber vielleicht bin ich schwanger, Hildegard. Ich wollte aber noch nichts sagen, bevor ich mir ganz sicher deswegen bin, weißt du? Und deshalb wäre es nett, wenn du es auch nicht Dvalinn sagen würdest.“ „Ja, aber selbstverständlich! Herzlichen Glückwunsch Svea!“ , grinste die Geweihte ihre zwergische Freundin an. „Natürlich solltest du es Dvalinn sagen, sobald du dir sicher bist. Ich werde ihm nichts verraten!“ Dann beugte sie sich vor um Svea auf die Wange zu küssen und zog lachend ihren Bierkrug zu sich herüber. Alarik, der das verwundert beobachtete sah fragend zu den Frauen über den Tisch, was Hildegard lapidar mit einem „Svea hat heute keine Lust auf Bier, ihr Magen, weißt du? Deshalb hat sie es gerade mir überlassen, ist das nicht nett?“kommentierte, grinste und einen kräftigen Schluck tat auf den zu erwartenden Nachwuchs für ihre Freunde und damit auch für ihre erweiterte Familie. Alarik hätte sich vielleicht noch Gedanken dazu gemacht, dass Svea ausgerechnet Hildegard ihr Zwergenbier vermachte, anstatt es beispielsweise ihrem Mann, Dvalinn, zu überlassen, aber in diesem Moment öffnete sich die Schanktür, um einen Anblick freizugeben, bei dem Alarik einfach nicht weiter an Zwerge denken konnte. Thais warf mit einer beiläufigen Geste die sorgsam gelegten Locken über die Schulter zurück, lächelte und meinte dann nach hinten über die Schulter „Ich habe dir doch gesagt, dass wir zu spät kommen werden, wenn du so trödelst!“, bevor sie eintrat und um den Tisch herumeilte, um Hildegard in die Arme zu schließen. Auf dem Weg berührte sie den Waldläufer kurz an der Schulter. „Meine liebe Hildegard, alles, alles Gute zum Geburtstag. Es tut uns so leid, dass wir so spät sind, aber du weißt ja, wie das mit Männern in einem gewissen Alter ist: dauernd muss man auf sie warten. Wir wären pünktlich gewesen, wenn unser Freund Theophil schneller gepackt hätte.“ „Thais, was für eine Überraschung! Schön, dass du auch hier bist. Und Theophil natürlich auch. Wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Dass ihr auch den langen Weg auf euch genommen habt.... Wollt ihr etwas trinken, oder ein Stück frisch gebackenen Kuchen? Setzt euch ihr Lieben!“ Hildegard umarmte auch den nachkommenden, deutlich älteren Herren, platzierte beide an einem Tisch und besorgte Getränke und Gebäck für die neuen Gäste. Dann setzte sie sich wieder dazu. „Wie war eure Reise?“ „Wie solche Reisen eben sind, meine Liebe. Lang, staubig, du weißt schon.“ Thais winkte lachend ab und setzte sich „Oh, der Kuchen sieht wirklich hervorragend aus. Ich wünschte, ich könnte so backen. Bei wem darf ich mich nachher bedanken?“ Man musste der Ravenslofterin immerhin zugestehen, dass sie ein gesellschaftsfähiges Kleid trug, ein fast schon etwas altmodisches Höllenfensterkleid aus glattem, mit Streublumen bestickten Seidentaft über einem Unterkleid, das allerdings so fein gewirkt war, dass es hart an der Grenze zu durchsichtig war, wann immer es Gegenlicht fing. Theophil umarmte Hildegard etwas umständlich. „Natürlich auch von mir die allerbesten Glück- und Segenswünsche zum Jahrestag deines Eintritts in dieses Leben. Und damit du dasselbige auch voll ausschöpfen kannst, habe ich dir dieses kleine Mitbringsel, sozusagen ein Destillat meines Forscherlebens, für dich mitgebracht.“ „Bertha hat den Kuchen vorhin erst aus dem Ofen geholt. Köstlich, nicht? Ich fürchte ich werde auch nie so eine gute Hausfrau.“, lachte die Klerikerin und besah sich Theophils besagtes Destillat. „Das Buch hast du selbst verfasst? Was ist das genaue Thema?“ Sie wusste, dass sein erklärtes Fachgebiet die Dämonen der Reiche waren, nicht zuletzt, weil sie ihn nur wegen seiner reich gefüllten Privatbibliothek zu diesem Thema kannte, die sie aufgesucht hatte, um über Ravija und ihre Familie zu recherchieren. Hildegard schlug das Buch auf und überflog das Vorwort interessiert. „Oh, es handelt sich um einen historischen Abriss der extraplanar geführten Kriege in den letzten 15 bis 20 Dekaden vor dem Wirken des großen Zusammenflusses. Ich habe mir allerdings erlaubt, im Vorwort ein bisschen auf einige Nebenschauplätze und Spezialprobleme hinzuweisen, die den allgemeineren Rahmen der Untersuchung an anderer Stelle gesprengt hätten.“ „Du kannst diese Detailfragen ja immer noch in einem anderen Aufsatz breittreten, Theophil“, versicherte ihm Thais und drückte Hildegard dann ein kleines, in Seidenpapier eingewickeltes Geschenk in die Hände. „Es ist nur eine Kleinigkeit, aber ich war mir sehr unsicher, was dir gefallen würde.“ Erstaunt besah sich die Geweihte das sorgsam verpackte Präsent und entfernte das Papier behutsam, wobei einige farbige Seidenbänder zum Vorschein kamen, die jeweils um eine farblich abgestimmte kleine Glasflasche gewunden waren. Hildegard entkorkte eine davon und stellte fest, dass rosa offensichtlich Rosenduft bedeute. „Die anderen beiden sind Lavendel und Zitronengras“, erläuterte Thais und beugte sich dann flüsternd ein wenig näher zur Klerikerin. „Und den anderen Teil bekommst du, wenn weniger neugierige Augen zusehen.“ Thais zwinkerte und fuhr wieder lauter fort. „Du trägst doch immer diese wunderbaren Flechtfrisuren und ich finde, eine Frau darf sich auch ruhig mal etwas mehr gönnen, wie zum Beispiel ein entspannendes, duftendes Bad. Nicht wahr?“ Da dies in der Tat das einzige war, dass sich Hildegard an Luxus ab und zu gönnte, war sie nicht sicher, ob sie bejahen oder verneinen sollte und bedankte sich einfach artig. Im Geiste dachte sie an ihr Bad in Malfori, dass so viel größer und luxuriöser eingerichtet war als das in Weyersdorf. Sowieso gab es meist nur einfache Holzzuber. Und vielleicht könnte sie im Dezember wieder ein duftendes Bad nehmen, vielleicht beruhigender Lavendel, und Victor könnte ihr noch einmal Gesellschaft leisten. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf ihre Züge und sie seufzte leise, während sie geistig abwesend die Flakons vor sich betrachtete. Dann kam ihr langsam zu Bewusstsein, dass sie nun an einem Tisch mit einem erklärten Experten saß, den sie auch das fragen könnte, was sie sich nicht getraut hatte an Victor zu richten. „Du, Theophil? Sicher kennst du dich auch mit der etwas neueren Geschichte der Dämonen aus, oder? Ich meine etwas, was nicht vor 20 Generationen war, sondern vielleicht innerhalb der letzten.... drei, vier oder fünf?“ Theophil warf sich, sofern das bei einem Mann seiner Statur überhaupt möglich war, in die Brust „Aber selbstverständlich kenne ich mich damit aus, Kindchen! Du sprichst immerhin mit einem anerkannten Experten auf dem Gebiet. Ich habe die dämonischen Häuser eingehend studiert, habe alle namhaften Werke dazu gelesen und die Hälfte der wichtigsten Literatur selbst geschrieben...“ Bevor der passionierte Forscher fortfahren konnte, drückte Thais ihm ein Weinglas in die Hand. „Am besten du stellst eine sehr konkrete Frage, Hildegard, sonst könnte es sein, er redet sehr lange. Was auf ausgedehnten Kutschfahrten sehr unterhaltsam und lehrreich ist, Theophil, aber bei Bier und Kuchen auf einem Geburtstagsfest nicht immer angebracht.“ „Oh, ich habe sehr konkrete Fragen!“, beeilte sich Hildegard zu sagen, stellte die Duftöle vorsichtig beiseite und wandte sich wieder an Theophil. „Also was die Dämonen der letzten paar Generationen angeht, wurden da auch schon mal Verbindungen mit Nicht-Dämonen eingegangen? Also abgesehen von Elfen natürlich, dass wissen wir als Verlester sehr gut und sehen ja, dass es funktioniert. Aber sonst?“ Sie lehnte sich auf den Tisch und sah ihren Gesprächspartner erwartungsvoll an. Konnten sie und Victor überhaupt Kinder bekommen, ginge das, kam so etwas vorher schon einmal vor? „Also, selbstverständlich hat es ein paar Verbindungen mit anderen Rassen gegeben. Sowohl die Häuser von Ravensloft als auch die ältere Linie von Ragnaron sind wiederholt Ehen mit lokalen Stammesfürsten eingegangen, um ihre Gebietsansprüche zu festigen. Verbindungen mit Elfen oder Elfenhybriden sind ja bekannt, von Zwergen wüsste ich jetzt im Moment keinen verbürgten Fall, aber um aus Prof. Dr. P. Pomenyks leider sehr unvollständigen Reisebeschreibungen zu zitieren, gehen wir davon aus, dass Dämonen mit allen uns im Moment bekannten humanoiden Spezies kreuzbar sind.“ „Ah, sehr interessant!.“ Hildegards zufriedenes, nahezu triumphierendes Gesicht stand in keinem Verhältnis zu ihrer Frage, zumindest für alle anderen Anwesenden. Doch für sie war das eine Bestätigung dafür, dass ihnen, wenn sie denn beide wollten, zumindest keine solchen Steine im Weg liegen würden. Es stand ihnen also völlig frei und war nach derzeitigem Kenntnisstand keineswegs unmöglich. Das war alles was sie zu dem Thema wissen musste. „Das hat mir schon sehr geholfen, danke Theophil. Und wie sieht es eigentlich mit der Geschichte der letzten... Jahrhunderte aus? Du musst wissen, ich habe mich vor kurzem versucht über die Geschehnisse in Malfori zu informieren, aber alles was ich in der Hand hatte waren Annalen über die Ernten und Wetterumschwünge der Jahre nach dem Krieg Turans gegen Kardosch. Ja, es ist klar wer den Krieg gewonnen hat und ja, es waren ein paar wichtige Daten dabei, aber an sich war das nicht was ich gesucht habe. Irgendwie schien einfach all das wichtige zu fehlen, was ich hätte wissen müssen! Solche Dinge wie zum Beispiel dass der Fürst von Malfori mal verheiratet war! Wisst ihr wie peinlich mir das war, dass ich diese Information offensichtlich nicht hatte? Wann war das? Ich habe keine Ahnung. Ich habe mir einen Fehltritt nach dem anderen geleistet. Oder Exil in Terra. Hätte ich das auch wissen sollen?!“ „Genaugenommen war der Fürst von Malfori sogar zweimal verheiratet, aber seine erste Ehe ist kurz nach der Exilierung annulliert worden. Es gibt da sicher noch ein paar weitere Eckdaten, die man zu den Geschehnissen in Malfori in den letzten drei-, vierhundert Jahren wissen sollte, ich kann dir da sicher ein paar gute Überblickswerke empfehlen – falls sie denn schon geschrieben sind. Ansonsten... wie dem auch sei, Hildegard, es freut mich zu hören, dass du offenbar in solchen Kreisen verkehrst, in denen eine Unkenntnis der Geschichte unseres Landes als, wie sagtest du so schön poetisch, „Fettnäpfchen“ empfunden wird.“ Fassungslos starrte sie ihn an. Es dauerte einen Moment, bevor sie vor lauter Benommenheit ihre Sprache wiederfand. „Zwei... mal? … Zwei. Mal.“ Es wurde nicht besser, umso häufiger ihr Kopf diese Information wiederholte. Sie konnte einfach nichts mit dieser Information anfangen, die ihr den Boden unter den Füßen wegzuziehen schien. „Zweimal also. Annuliert. Oh.“ Sie musste schlucken und wandte den Blick ihrem Rest Zwergenbier zu. Am besten sie trank jetzt alles auf einmal. „Ich habe mich also vor einer Woche mit einem Witwer UND Geschiedenen unterhalten, ohne auch nur die geringste Kenntnis dieser Sachlage. Toll.“ Und es hatte natürlich auch niemand ihr gegenüber ein Sterbenswörtchen darüber fallen lassen, weder Victor, noch Elaril. Am liebsten würde sie aus Scham, Wut und Trauer nachträglich im Erdboden versinken. Vermutlich hätte sie das alles wissen sollen. Vermutlich hätte ihr jemand etwas sagen sollen. Sie setzte an und leerte den Krug, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Vielleicht sollte sie mal ein Wörtchen mit ihrem Freund Elaril sprechen. „Bitte gib mir doch einmal die Titel dieser Überblickswerke, Theopil...“, bat Hildegard mit tonloser Stimme. „Aber sicher, Kindchen, sicher. Du kommst gerade aus Malfori, ja? Und hast mit ihm gesprochen? Das ist sicher sehr interessant, ich meine, was gäbe ich das Objekt meiner Studien so nah zu haben!“, schwärmte Theophil weiter und missachtete dabei vollkommen die Veränderungen in Hildegards Gesicht und Stimme. Thais dagegen, die für solche feinen Nuancen deutlich empfänglicher war, legte Hildegard sacht die Hand auf den Arm und sah sie fragend an. Die junge Frau antwortete Thais mit einem fast flehenden Blick. Was gäbe sie darum eine Freundin zu haben, mit der sie in solchen Situationen und über solche Dinge reden konnte. Sie seufzte tonlos und blickte nach unten auf ihren leeren Krug. Nie hatte sie eine solche Freundin gefunden. Zu selten war sie an einem Ort geblieben und meist nur mit Männern unterwegs. Theophil dagegen bekam seine Antwort in Worten. „Ja, ich komme gerade aus Malfori und hatte die Ehre. Vielleicht … ergibt sich ja eine Möglichkeit, wenn ich das nächste mal dort bin. Ich müsste deshalb mal nachfragen.“ „Oh, das wäre ja wirklich ganz ausgezeichnet, wäre das“, freute sich Theophil und setzte gleich zur nächsten Geschichtsstunde an, hätte Thais ihn nicht unterbrochen. „Das reicht jetzt, Theophil, dein Wein wird schal und dein Kuchen … vermutlich auch. Außerdem warte ich seit einer halben Ewigkeit darauf, dass mich Hildegard endlich ihrer Familie vorstellt, ganz uneigennützig natürlich und nicht deshalb, weil es sich lohnen könnte jemanden zu kennen, der mit schönen Stoffen handelt. Dein Bruder ist aber auch ein gutaussehender Kerl, unternimmt er seine Fahrten selbst?“ Damit zog Thais Hildegard am Arm vom Tisch, hakte sich bei ihr unter und steuerte zunächst die Theke an, um Hildegards leeren Bierkrug durch einen vollen zu ersetzen – nur diesmal kein Zwergenbier. „Äh, ja, tut er. Und ja, er ist ein gutaussehender Kerl, finde ich auch. Und er hat eine wunderschöne Tochter wie ich finde … Sie hat seine Augen. Und … „ Hildegard stockte mit ihrem neuen Bier in der Hand kurz hinter der Theke und sah Thais an. Eindringlich flüsterte sie ihr zu: „Thais, ich weiß einfach nicht mit wem ich reden soll. Bitte … würdest du mir ein paar Minuten zuhören? Nur unter vier Ohren nach Möglichkeit?“ Dabei nickte sie mit dem Kopf in Richtung der Treppe zu den Schlafräumen, weil sie wusste, dass dahinter ein kleiner toter Winkel war, in dem man halbwegs ungestört von anderen Geburtstagsgästen sprechen konnte. „Sicher“, die Kurtisane schaute zwar ein bisschen erstaunt über die Dringlichkeit von Hildegards Bitte, aber dass etwas nicht stimmte, hätte ja ein Blinder mit einem Krückstock gemerkt. Oder zumindest eine Blinde. Also folgte sie Hildegard unter den Treppenabsatz und setzte sich mit erwartungsvollem Blick auf Garns Kartoffelkiste. „Ich bin ganz Ohr, schieß' los.“ „Bitte verzeih, dass ich dich so kurzfristig hierher gebracht habe. Aber ich habe das Gefühl wenn ich jetzt nicht mit jemandem reden kann, dann platze ich. Also....“ Die Klerikerin drehte eine nervöse Runde um sich selbst. „Ich weiß nicht wie ich es sagen soll, aber ich habe offensichtlich ein Verhältnis mit einem geschiedenen Witwer, über den ich wohl viel zu wenig weiß und auch nicht, wo mir der Kopf steht, noch wie ich generell damit umgehen soll. Und ich habe niemanden sonst, keine Freundin der ich so etwas anvertrauen kann. Und niemand außer Elaril weiß davon.“ Hildegard atmete einmal tief durch und sah Thais fragend an. Thais brauchte einen Moment, bevor sie Hildegards hastig hervorgebrachte Worte ganz verstanden hatte. „Also er ist geschieden und seine Frau ist tot, ja? Das heißt er ist frei, es gibt keinen ernsthaften legalen oder moralischen Grund, weshalb ihr nicht wie zwei erwachsene Menschen ein Verhältnis führen könntet, ja? Hat er irgendwelche Kinder, die dich nicht mögen? Nennt er dich im Bett mit dem Vornamen seiner Verflossenen?“ Thais sah Hildegard an und wollte die Klerikerin schon freundschaftlich auslachen dafür, dass sie aus einer Mücke einen Elefanten machte, als Eckpunkte des vorherigen Tischgesprächs durchsickerten. Sie wusste zu wenig über ihn. Zweimal verheiratet, die erste Ehe annulliert. „Oh Götter“, mit diesem leisen Ausruf hielt sich Thais erst mal am Rand der Kiste fest. „Hast du wirklich ein Verhältnis mit dem Mann, von dem ich denke, dass du es hast? Gratuliere! Oh Götter!“ „Falls du denkst, dass es um den Mann geht, über den wir eben am Tisch gesprochen haben...“ Hildegard sah sich nervös um. „Dann ja, ja.“ Sie warf die Hände fragend und ein wenig überfordert in die Höhe. „Verstehst du mein Dilemma? Und selbst wenn nicht, dass ich nicht genau weiß wie ich damit umgehen soll, das ist doch nachvollziehbar, oder? Wie sage ich das meinen Eltern oder meinen Freunden? Sage ich besser gar nichts? Aber dann wird es vielleicht irgendwann Gerüchte geben und ich kann sie doch schlecht vor meinen Freunden dementieren. Und dann sind sie sauer, dass ich es ihnen verheimlicht habe.“ Hastig hatte die Klerikerin weitergesprochen und suchte Hilfe bei der Kurtisane. „So etwas kann man einfach nicht verheimlichen, Liebes. Also musst du es ihnen sagen. Bist du denn glücklich? Ist er gut zu dir? Entschädigt er dich für das Dilemma?“ Nach dem ersten Schock hatte Thais tausend Fragen auf den Lippen und lehnte sich verschwörerisch zu Hildegard hinüber. Ein wenig irritiert, aber glücklich darüber sprechen zu können, antwortete Hildegard der Kurtisane und wurde mal wieder ein klein wenig rot dabei. „Ja, er ist sehr gut zu mir und ich bin überglücklich, wenn wir zusammen sind. Das sollte mir eigentlich Entschädigung genug sein, auch wenn diese langen Reisestrecken zwischen uns sehr mühsam sind und wir so weit entfernt. Und man stößt die Eltern auch ungern damit vor den Kopf, dass die Tochter Geliebte des Staatsfeinds sein will, statt anständige Ehefrau eines netten Händlerkollegen. Aber da muss ich jetzt wohl durch, nicht wahr?“ Die Geweihte seufzte leise. „Thais, ich vermisse ihn schrecklich und ich will es einerseits allen offen sagen, aber auch vorsichtig sein um ihm nicht eventuell dadurch zu schaden oder gerade die Leute die mir am wichtigsten sind damit vor den Kopf stoßen.“ Sie senkte den Blick nochmal und nahm einen Schluck von ihrem Bier. „Deine Eltern sind, nach allem, was ich heute Abend gesehen habe, ganz reizende Leute, die sicher nur wollen, dass du glücklich bist. Und deine Freunde natürlich auch. Dass du das gerade mit ihm bist, ist für sie sicher im ersten Moment schwer vorstellbar, aber da wirst du sie einfach überzeugen müssen. Du musst es ihnen ohnehin sagen, also tu es und strahle dabei, Liebes. Nichts ist so überzeugend, als wenn sie in deinen Augen sehen können, wie glücklich du bist. Denk an etwas wunderbares. Ihn wiederzusehen. Und versuch nicht dauernd rot zu werden dabei.“ Thais musste es ja wissen, immerhin hing ihr Erfolg oftmals davon ab, einem Mann Gefühle zu verkaufen, die vermutlich gar nicht da waren und das dann auch möglichst glaubhaft. Hildegard hatte ihr aufmerksam zugehört und nickte am Ende. „Ja, in Ordnung. Danke Thais!!“ Die Klerikerin fiel ihr um den Hals und drückte ihre etwas kleinere Freundin kurz lachend an sich. „Ich bin so froh, dass du da bist! Du bist bestimmt die einzige die mich erst mal nicht völlig schockiert angesehen hat.“ „Oh, ich bin völlig schockiert, Liebes. Aber ich freue mich auch für dich. Dann ist der zweite Teil meines Geburstagsgeschenkes ja gerade richtig...“ Mit einem verschwörerischen Lächeln drückte Thais Hildegard ein weiteres Päckchen in die Hand, das etwas ebenfalls in Seidenpapier eingeschlagenes Weiches enthielt, das sich beim Auspacken als eine Hand voll Nachtwäsche aus filigraner Spitze und fließender, so dünner Seide herausstellte, die noch durchsichtiger war als Thais Unterkleid, sofern sie nicht gerade das Licht mit einem silbrigen opaquen Schimmer zurückwarf. „Oooh!“, rief die Geweihte leise aus und befühlte staunend und weiter errötend den zarten Stoff. „Noch einmal danke, Thais!“ Hildegard grinste sie an und ihre Sommersprossen standen in Konkurrenz zu der weichen Röte darunter. Sie packte das Hemdchen behutsam wieder ein, um es später unauffällig zu den anderen Geschenken legen zu können. „Was ist es denn, dass daran so schockierend ist? Dass er der Fürst ist und sich ausgerechnet mit einem einfachen Weibsbild wie mir beschäftigt? Dass ich mich mit dem Staatsfeind eingelassen habe?“ Sie überlegte kurz und fügte dann schüchtern hinzu, „Oder, dass ich naiv genug bin mich wieder Hals über Kopf in einen Mann zu verlieben, den ich nicht ganz haben kann? Und das heftiger denn je.“ „Schockierend daran ist, dass der einflussreichste Mann der Reiche jetzt erstmal vom Markt ist und dass ein einfaches Mädchen wie du – und damit meine ich keinesfalls irgendeinen Stand, Hilde, sondern ein normales, natürliches Mädchen – da offenbar das große Los gezogen hat, nach dem sich alle anderen Frauen die Finger lecken würden. Und diese Frauen beschäftigen sich sicher mehr als du mit der Frage, wie sie sich für einen solchen Mann besonders vorteilhaft erscheinen lassen können. Ich würde ja sagen, dass ich gerne zu deinen Füßen als Schülerin sitzen würde, aber das kann man nicht lernen.“ Jetzt war es an Hildegard ihre Freundin ein wenig schockiert anzusehen. „Oh, tut mir leid. Daran habe ich gar nicht gedacht, dass das so ist für dich... Und ich denke, dass ich noch sehr viel von dir lernen könnte, Thais...“ „Das glaube ich auch!“, pflichtete Thais ihrer Freundin bei, winkte dann aber sofort ab. „Was tut dir leid? Liebes, es ist ja nun nicht so, dass es nicht zum einen genug Männer für alle gibt und zum anderen auch nicht so, dass ich gerade was weiß ich für einen Plan gehabt hätte, gerade diesen zu umgarnen, den du mir dann zunichte gemacht hättest. Ich habe den Mann vielleicht zweimal in meinem Leben gesehen, von Weitem.“ „Oh, wann denn?“, hakte Hildegard interessiert nach und wie immer, wenn sie über Victor sprach, leuchteten ihre Augen. „Ich bin froh, dass du nicht sauer bist und es gibt garantiert noch viele andere nette Männer, da bin ich sicher!“ Sie kicherte leicht und nahm einen weiteren Schluck Bier. „Vielleicht sollte ich ja mal bei dir in die Lehre gehen, nach meinem Geburtstag.“ „Pft, wozu? Du scheinst doch alles richtig gemacht zu haben. Zuviel Wissen schadet da, das verstopft den Kopf. Schau dir Theophil an! Und wann? Vor ein paar Jahren, wann immer es dem Fürsten das letzte Mal geruht hat seinem Verwalter in Ravensloft persönlich einen Besuch abzustatten. Ich habe mir das genaue Datum nicht gemerkt.“ „Und? Er sieht gut aus, nicht? Dass ich wirklich so lange gebraucht habe um das auch zu sehen.“ Hildegard lachte laut und hielt sich dann die Hand vor den Mund. „Oh, ich sollte hier nicht so laut Lachen. Jedenfalls fühle ich mich schon viel besser, dank dir.“ Sie küsste die Kurtisane flüchtig auf die Wange und lächelte. “Und vielleicht kann ich ja beim nächsten mal etwas für Theophil tun, falls Victor sich einmal ein wenig Zeit für einen meiner Freunde freischaufeln kann. Ich werde ihn einfach lieb darum bitten. Dann kann er 'das Objekt seiner Studien auch einmal nah haben'.“ Hildegard kicherte wieder, das Zwergenbier vorhin war ihr etwas zu schnell zu Kopf gestiegen. „Sollen wir wieder zurück gehen?“ „Bevor uns jemand suchen kommt und wir behaupten müssen, wir hätten auf dieser Kartoffelkiste sonstwas angestellt meinst du?“ Thais lachte leise und hakte sich wieder bei Hildegard unter. „Theophil würde sich sicher sehr freuen, auch wenn das Gefahren birgt. Der größte Feind des Geschichtsforschers ist ja bekanntlich derjenige, der dabei gewesen ist. So, und jetzt stellst du mich aber deinem Bruder vor. Ich bin auch ganz brav und bringe den Vater deiner sicher schrecklich niedlichen Nichte nicht in Verruf. Ist sie blond? Blonde Kinder sind immer schrecklich niedlich, nicht wahr?“ „Oh, das hoffe ich doch von dir, meine Liebe! Und nein, die Kleine ist brünett wie ihre Mutter. Mit blauen Augen, fast wie meine Mutter. Und mit ihren zwei Jahren auch fast so groß.“ Hildegard lachte und dachte liebevoll an ihre Nichte und Neffen. Allesamt brünett in mehreren Abstufungen von Braun, mit kleinen oder großen Locken. Würde sie selbst mal blonde Kinder haben? Mit Victor höchstwahrscheinlich. Blondgelockt, grüne Augen, ganz wie der Vater. Wäre das nicht toll? Sie lächelte und stellte Thais ihrer Familie vor. „Das ist meine liebe Freundin Thais, die extra aus Ravensloft gekommen ist. Meine Liebe, das sind meine Mutter, ihr Mann Giselher und mein Bruder Leopold.“ Thais strahlte und löste sich von Hildegards Arm, um Leopold artig die Hand zu geben und Giselher dann mit einem Zwinkern zu Hildegard zwei Küsschen auf die Wangen zu hauchen. Bevor Swanahild ernsthaft protestieren konnte, bekam sie die gleiche Begrüßung. „Ich freue mich so, euch kennen zu lernen!“ „Oh, wir uns auch!“, entgegnete Swanahild. „Du bist die erste Freundin unserer Tochter, die wir kennen lernen. Wir haben schon befürchtet sie hätte keine weiblichen Kontakte außerhalb der Familie.“ Hildegards Mutter, die hoffte, dass die elegant frisierte junge Dame einen guten Einfluss auf ihre Tochter haben könnte, lachte herzlich. „Es ist sicher gut, wenn unsere Hildegard nicht vollständig vergisst, dass sie eigentlich eine Frau ist und jemand sie ab und an daran erinnert.“ Giselher, der sich dunkel erinnerte, dass Hildegard den Hauptmann auch in Ravensloft zum ersten mal getroffen hatte, fragte höflich nach „Ravensloft? Haben Sie, Ser Elaril und Hildegard sich dort kennen gelernt?“ „Oh, ich glaube es wäre übertrieben zu sagen, dass ich Ser Elaril vom Eiswasser wirklich kennen würde, außer der Tatsache, dass er offensichtlich ein Freund von Hildegard ist. Aber ja, Hilde und ich, wir kennen uns aus Ravensloft. Ich glaube aber nicht, dass sie das wirklich vergessen könnte, liebe Swanahild. Immerhin hat Hildegard die Männer doch immer so gut im Griff“, dabei warf sie einen lachenden Blick hinüber zu dem Tisch, an dem Dvalinn gerade von Elaril eine Revanche für einen verlorenen Trinkwettstreit forderte, was der Elf offenbar zum wiederholten Male und auch auf die Gefahr hin, ein Betrüger und Feigling genannt zu werden, ablehnte. Nicht, dass Dvalinn es ihm länger als zwei Minuten ernstlich nachtragen würde, denn auf einen Zwischenruf von Svea hin wechselte er sofort das Thema. Frauen. Und die blonden seien doch definitiv die Besten. Verhaltene Zustimmung von Elaril, der ein bestimmtes Gesicht vor Augen hatte, verhaltener Widerspruch von Alarik, deutlicherer von Narsil. Hildegard seufzte. „Im Griff würde ich nicht direkt sagen. Aber ich habe mich immer redlich um die Jungs bemüht und seit der Hochzeit ist es Sveas Aufgabe dafür zu sorgen, dass Dvalinn sich wäscht und frische Kleidung trägt. Und ich denke für Alarik sorgt sie seitdem auch mit. Ich nehme an so fühlt es sich an, wenn die Kinder flügge werden, oder? Es ist ganz ungewohnt jetzt wieder selbst Vorschriften zu bekommen, statt welche zu machen.“ , endete sie mit einem Zwinkern zu ihrer Mutter. „Hätte ich gewusst, dass wir heute feiern, hätte ich mich sogar vorher umgezogen. Aber so werdet ihr mich wohl weiter in Reisekleidung ertragen müssen.“ Swanahild schüttelte leicht den Kopf. „Warte du mal, bis wirklich deine Kinder flügge werden, Liebes“, erinnerte sie Hildegard daran, dass sie von ihrer Seite auch noch Enkel erwartete. „Und wir lassen dir zu Hause noch ein paar schöne Kleider machen, Giselher hat extra ein paar besonders schöne Stoffe zur Seite gelegt, aus denen man dir endlich etwas... moderneres machen lassen kann.“ Thais unterdrückte ein Lachen und machte daraus ein Lächeln. „Was denn für Stoffe? Vielleicht muss ich Hilde ja mal begleiten.“ „Oh, ein paar schöne, weiche Seiden und eine feine Wolle für ein neues Winterkleid. Wunderbare Muster, wie ich finde und die Färbung ist sehr gelungen. Wenn du Interesse hast, mein Mann hat zumindest von der Wolle noch einen Ballen und von einigen Seidenstoffen zumindest genug für ein weiteres Kleid. Freunde von Hildegard sind stets willkommen. Gerne auch mit Familie.“, bot Swanahild an, die sich nicht ganz sicher über den Familienstand von Hildegards Freundin war. Ihr Mann nickte alles ab und Leopold bot den Damen Hilfe an. „Also wenn Thais möchte, kann ich sie, ob mit oder ohne Mann, Familie und Kinder, gerne einmal auf der Rückreise nach Weyersdorf in Ravensloft mitnehmen. Kann ich den Damen denn jetzt schon etwas gutes tun und neue Getränke besorgen? Giselher?“ „Ich komme gerne auf das Angebot zurück. Und ich brauche auch nicht viel Platz auf dem Wagen, ich lebe alleine. Leider lässt mir die Arbeit im Moment nicht wirklich Zeit für einen Mann.“ Nicht, dass am Ende noch jemand den guten Theophil für ihren Gatten hielt. Na, dass Bibliothekare nicht so viel Geld verdienten, sich eine so junge Frau zu leisten, war ja wohl hinlänglich bekannt. „Ah, was machen Sie denn beruflich?“ erkundigte sich Giselher höflich, während Hildegards Mutter ihrer Tochter schon von den neuen, noch nicht existenten Kleidern vorschwärmte. „Oh, ich leite ein kleines, gutgehendes Geschäft zur Vermarktung von Luxusgütern.“, antwortete Thais ihm und er nickte, während Leopold anerkennend mit der Zunge schnalzte. „Respekt, meine Liebe. Wäre das nicht auch etwas für meine kleines Schwesterchen? Um ehrlich zu sein denke ich häufig, dass meine Mutter dazu neigt Hildegard einen Lebensstil aufzwingen zu wollen, von dem sie selbst glaubt, dass er gut sei. Nicht, weil er auch für Hildegard unbedingt gut sein muss. Ich meine sie war jahrelang unterwegs und kam zurück als hoch gebildete Klerikerin. Meine Schwester könnte selbst Karriere machen, wenn sie wollte und muss meinetwegen nicht nur die ihres Ehemannes voran treiben, wenn sie nicht will. Hildegard ist weder meine Mutter, noch Adalgund. Vielleicht ist das nicht ihr Weg, weißt du was ich meine? Also wenn es nach mir ginge, könnte sie gerne enger in die Geschäfte einsteigen, als nur zu helfen wenn mal Not am Mann ist. Vielleicht kann Hilde von dir noch lernen, Thais.“ Leopold zuckte entschuldigend mit den Achseln, weil er seine Mutter nicht vor ihrem zweiten Ehemann schlecht machen wollte, aber dies war nun einmal seine Meinung, bei all der Liebe die er beiden entgegen brachte. „Leopold, ich schätze deine Schwester und ihre Bildung sehr, aber ich glaube, ihre Talente und ihre Interessen liegen nicht in meiner Branche. Und du hast ganz Recht, dass sie absolut in der Lage wäre, alleine ihren Weg zu gehen. Aber ich denke, unsere süße Hilde ist zu etwas anderem, höheren berufen. Oder soll ich dich demnächst um Hilfe bitten, wenn Not am Mann ist?“ Thais ließ sich den letzten Satz genüsslich auf der Zunge zergehen und warf Hildegard ein Zwinkern herüber, das manch gestandenen Mann auf die Knie geschickt hätte. Die Klerikerin, verwirrt zwischen den Ausführungen ihrer Mutter, was aktuell neueste Mode in Verlest sei, und Thais' Zwinkern, wusste nicht mehr wo ihr der Kopf stand und drehte den Kopf bald hier, bald dorthin. „Was, Not am Mann? Ist das jetzt mein Stichwort, ja?“ Leopold hingegen runzelte die Brauen und konnte sich keinen rechten Reim auf die Worte Thais' machen. „Nunja, man muss Hilde zumindest eingestehen, dass sie ein Talent dafür hat egal wo sie hinkommt Freunde zu finden. Das sieht man ja schon allein hier.“ Leopold wies mit seinem Bier in die Runde. „Und ob das jetzt einem Ehemann zu Gute kommt, oder ihrer eigenen Karriere. Schaden wird das sicher nicht.“ Damit schloss er und trank auf das Geburtstagskind, dass ihm lachend dankte und einen Blick in die Runde warf um abzuschätzen, ob sie sich einem oder mehreren ihrer Gäste noch einmal ausgiebiger widmen sollte. Ein Gast jedenfalls forderte noch Aufmerksamkeit, denn kaum war ihre Familie einen halben Meter weg, tauchte Narsil neben Hildegard auf „Möchtest du mich deiner Freundin nicht vorstellen, Hilde?“ Hildegard musterte den Barden kurz von oben bis unten und schmunzelte dann. „Doch, natürlich kann ich dich vorstellen.“ Sie wandte sich an Thais und präsentierte ihren ehemaligen Liebhaber. „Thais, das ist Junker Narsil de Varro. Frauenheld und umherziehender Herzensbrecher. Narsil, das ist Thais, der du sicher nicht gewachsen bist. Ich wünsche euch viel Freude.“ Hildegard kicherte, zwinkerte Thais zu und bot an sich selbst und den anderen beiden neue Getränke zu holen, nachdem auf Leopolds Angebot vorhin niemand eingegangen war. Aber an sich wäre es doch auch zu schade, sollte sie nur eine Minute von dem verpassen, was passieren könnte. Narsil und Thais sahen einen Moment völlig entgeistert Hildegard an nach dieser Vorstellung, dann abschätzend einander. Narsil setzte seine beste Unschuldsmiene auf und dazu ein so bubenhaftes Grinsen, dass jede andere es ihm sicher abgenommen hätte. Thais konterte mit einem strahlenden Lächeln. „Ich freue mich sehr, dich kennen zu lernen, Narsil. Hildegard hat schon so viel von dir erzählt!“ Was de facto nicht stimmte, aber Mädchen tratschten doch gerne und Narsil de Varro sah exakt aus wie ein Mann, der erwartete, dass man über ihn sprach. Und die Aussage reichte, um das Lächeln in Narsils Augen einen Moment flackern zu lassen. Hildegard beugte sich vertraulich zu Thais und flüsterte ihr leise ins Ohr. „Narsil war meine erste Liebe und ich bin ein wenig nachtragend, das ist alles.“ Sie legte ihrer Freundin lächelnd die Hand auf den Arm und sagte dann lauter. „Und hier ist er also nun völlig unerwartet auf meiner Geburtstagsfeier, ist das nicht eine Überraschung?“ Thais lachte auf Hildegards Worte leise und schien durchaus der Meinung zu sein, dass man das Männern gegenüber schon mal sein durfte „Er wird es sicher überleben, Liebes.“ Narsil grinste schief und zuckte mit den Schultern. „Ich hab eine freundliche Einladung von Elaril bekommen, was sollte ich machen? Man muss Feste feiern, wie sie fallen, oder? Und je mehr Freunde zu einem Geburtstagsfest kommen, desto besser.“ „Freunde?“, fragte Hildegard vorsichtig. „Narsil, ich habe seit dem Tag im letzten September nichts mehr von dir gehört und es hatte für mich ganz den Anschein, als wärst du weggelaufen, sobald du wusstest, dass ich gerne was ernstes gehabt hätte. Und jetzt bist du plötzlich hier als wäre nie irgendetwas gewesen. Das verwirrt mich. Ich respektiere durchaus, dass du andere Wünsche hattest als ich und kann ein nein akzeptieren. Aber das kommt für mich gerade trotzdem überraschend.“ Sie seufzte kurz und atmete tief durch. „Wir sind also einfach wieder Freunde, ja? Und keine Angst, ich will definitiv keine Beziehung mehr mit dir, die darüber hinausgeht.“ „Na ja, du hast ein bisschen Abstand gebraucht und dann warst du bei deiner Familie... weggelaufen würde ich das jetzt nicht gerade nennen“, lamentierte der Barde halbherzig und wechselte dann schnell das Thema: „Genau, Freunde. Und es würde mich natürlich freuen, wenn du das auch so unkompliziert annehmen könntest und damit klar kommst.“ War ja schließlich alles Hildegards Schuld gewesen, dass er sich rar gemacht hatte, nicht wahr? Wenn Frau nicht immer so übersteigerte, völlig unrealistische Erwartungen hätte, die alles so schrecklich kompliziert machten. Sie ließ den Blick einmal zweifelnd über Narsil wandern. Er war damals ein sehr verlässlicher, guter Freund für sie gewesen, bevor sie versucht hatte etwas mehr aus ihm zu machen. Aber sein Verschwinden hatte Zweifel in ihr geweckt, was seine Verlässlichkeit anging, selbst als Freund ohne Option auf mehr. Aber wieso nicht ihm und sich eine neue Chance geben? Mit seinem Nein konnte sie umgehen und war längst froh, dass damals nicht mehr passiert war. Aber verschwinden sollte er nicht einfach so. Hildegard nickte und lächelte. „In Ordnung, Narsil. Stoßen wir an auf die Freundschaft.“ Ohne zu Zögern ließ Narsil seinen Bierkrug erst gegen Hildegards und dann gegen Thais' klicken. „Auf die Freundschaft. Das nächste mal aber bitte mit vollen Krügen, meine Damen. Ich hole euch schnell noch was!“ Der Barde machte dann auch wahr, was Leopold und Hilde nur angeboten hatten und blieb bei Hildegard stehen, als Thais sich mit ihrem Bier wieder an den Tisch setzte, um Theophil davon abzuhalten, Dvalinn Löcher in den Bauch zu fragen. „So, gut siehst du aus, Hilde. Alles klar bei dir?“ Lächelnd drehte sie sich zu ihrem ehemaligen Liebhaber und nun wieder Freund um und nickte. „Ja, ich denke mein Leben verläuft in außerordentlichen Bahnen. Die Jungs sind gut untergebracht, meine Familie hat mich wieder aufgenommen und ich arbeite an einem Buch in dem ich meine gewonnenen Erkenntnisse über Untote festhalte. Und was mein... Privatleben angeht...“ Die Klerikerin zwinkerte vielsagend und lächelte genüsslich. „Und, wie ist es dir ergangen, Narsil? Ich hoffe ehrlich, dass es dir ebenfalls gut geht.“ „Unkraut vergeht nicht, das weißt du doch“, meinte Narsil breit grinsend und beugte sich dann verschwörerisch vor „So so, ein Buch und ein befriedigendes Privatleben, hm? Na, das klingt doch ganz wunderbar.“ „Das ist es“, stimmte Hildegard breit lächelnd zu. „Gut, das Buch ist mehr eine Zusammenfassung von schrecklichen Erlebnissen, die ich für den absolut nicht wünschenswerten Fall festhalten will, dass eines Tages doch noch mal Informationen über Untote benötigt werden, aber das andere, der Mann den ich kennen gelernt habe, der ist ganz wundervoll.“ Die Geweihte seufzte verträumt und ihre Augen glänzten, nicht nur aufgrund der vielen Biere an diesem Abend. Angeheitert kicherte sie leise und legte Narsil die Hand auf den Arm. „Ich sollte wohl langsam aufhören zu trinken, bevor ich noch zu viel plappere.“ „Ach was“, Narsil stieß nochmal mit Hildegard an und grinste. „Du hast also jemanden kennen gelernt, das freut mich für dich. Und wo ist der Wunderknabe?“ Das war doch sehr geheimnisvoll, dass Hildegards Geburtstag in Abwesenheit dieses ach so tollen neuen Mannes in ihrem Leben gefeiert wurde. Vielleicht ein Klerikerkollege, der noch unterwegs war? Oder eine romantische, aber verbotene Liebschaft? „Psst, noch weiß doch kaum jemand davon, Narsil!“ Die Geweihte lachte leise, flüsterte dann aber ernster. „Es ist aber wirklich eine Liaison, die ich zuerst meinen Eltern erklären sollte, bevor ich es bei anderen breittrete. Ich hoffe das verstehst du, Narsil. Als mein Freund.“ Sie nahm die Hand von seinem Arm und spielte mit der Spitze eines ihrer langen Zöpfe. „Ich wünschte er könnte jetzt auch einfach hier sein, aber es geht nicht. Und ich vermisse ihn schon jetzt. Ihn, seine Stimme, seine Küsse...“ „Heidewitzka, Hilde, das klingt aber sehr aufregend. Eine heiße, verbotene Liaison also? Von der selbst deine Eltern noch nichts wissen?“, das klang für den Barden natürlich nur umso mehr nach etwas, worüber er gerne näheres erfahren hätte.„Wann ist eine 'heiße Liaison' denn verboten, Narsil?“ Sie sah ihn ernst an. „Offiziell ist er frei, um es mit den Worten von Thais zu sagen.Und ich werde es meinen Eltern erzählen. In Ruhe, wenn wir unter uns sind und nicht direkt auf einer großen Feier, umgeben von vielen Leuten.“ „Wenn da nicht irgendwo ein Haken ist, wieso ist er dann nicht hier und wieso wissen deine Eltern noch nichts, hm? Hm?“ Für Narsil klang das nur logisch, dass es einen Haken geben musste. Außerdem gab es in allen Geschichten, die es sich zu wissen lohnte, verbotene Liebe. Das forderte der narrative Imperativ. Und alle Geschichten, die es zu wissen lohnte waren die, die Narsil wusste oder wissen wollte. Per Definition. „Weil … da vielleicht ein oder zwei Haken sind. Aber was soll ich sagen? Es ist ja nicht so, als ob ich meinen Eltern etwas von dir erzählt hätte. Insoweit...“ Narsil grinste breit, er hatte nicht erwartet, dass Hildegard ihre kleine Affäre vor ihren Eltern breitgetreten hatte – die wenigsten seiner Frauen taten das. „Aber von diesem Mann willst du deinen Eltern erzählen, ich kann das sehen. Du leuchtest, seit wir das Thema haben.“ Ein gutes Auge für solche Gefühlsregungen gehörte zu einem erfolgreichen Barden nun mal dazu. Die Klerikerin nickte lächelnd. „Ja, das will ich. Er hat nichts dagegen, ganz im Gegenteil. Er will meine Familie sogar einmal einladen. Und ich hoffe, dass es etwas dauerhaftes werden kann. Außerdem habe ich dann ein besseres Argument, warum ich nicht von meinen Eltern irgendwelche Männer vorgestellt bekommen will.“ Hildegard lachte. „Es wird ihnen vermutlich erst mal nicht gefallen, aber vielleicht können sie sich ja daran gewöhnen?“ „Bestimmt können sie das. Zumindest, wenn er es wirklich ernst mit dir meint“, immerhin hatten Hildegards Eltern offenbar schon langsam Sorgen, ob sie ihre Tochter mit nicht mehr ganz 19 überhaupt noch unter die Haube bekamen. Jeder halbwegs passende Mann, der es ernst meinte und sich auch noch leisten konnte, die Händlerfamilie einladen zu wollen, wäre willkommen. „Und wieso sollten sie ihn nicht mögen? Ist er so alt? Oder hässlich?“ „Oh, Narsil! Du bist wirklich neugierig!“ Die Geweihte lachte und kniff dem Barden spielerisch in die Wangen. „Ich werde dir nicht mehr verraten. Nicht, bevor ich mit meinen Eltern gesprochen habe. Und ihnen wird mit Sicherheit nicht gefallen, dass ihre Tochter nicht den Weg einschlägt, den sie sich für mich wünschen. Netten Händler heiraten, Kinder bekommen, nach Möglichkeit in Weyersdorf bleiben … also in etwa das, was meine Schwester getan hat. Wie sie überhaupt noch glauben können, dass das bei mir genau so funktionieren könnte..“ Hildegard schüttelte andeutungsweise den Kopf. „So gern ich meine Eltern habe, ich heirate nicht ihnen zu Liebe einfach irgendwen. Ich sehe mich auch nicht als Ehefrau und Mutter, abgeschieden irgendwo in Verlest, getrennt von meinem Beruf und nur als schmückendes Beiwerk an der Tafel für das geschäftliche Essen meines Mannes mit dessen Arbeitskollegen. Verstehe mich nicht falsch, ich kenne Frauen die damit sehr glücklich sind, oder wären, es ist nur nichts für mich. Oder kannst du dir das vorstellen?“ Narsil legte den Kopf schief und musterte Hildegard eingehend, bevor er lachend den Kopf schüttelte „Absolut nicht. Du brauchst einen Mann, dem du die Hölle heiß machen kannst, und sei es nur dadurch, dass du drohst, deine Sachen zu packen und wieder als Reiseklerikerin zu arbeiten. Und dein geheimnisvoller Fremder muss schon einige Talente haben, wenn er dich halten will.“ „Oh, das hat er!“, bekräftigte Hildegard überzeugt. „Ich glaube wenn jemand in den Genuss meines Temperaments gekommen ist und bewiesen hat, dass er damit zurecht kommt, dann er. Er lässt sich davon sicher nicht einschüchtern und das macht ihn unheimlich reizvoll.“ „Das glaube ich erst, wenn ich es sehe, Hilde!“, neckte der Barde sie freundlich. „Und das heißt also, du hast schon dein Temperament an ihm ausgelassen? Schlechter Start?“ Kurz entglitt Hildegard das Gesicht, der Barde hatte einfach zu genau den Nagel auf den Kopf getroffen. Verblüfft sah sie ihn an und wusste erst nicht, was sie antworten sollte. Sie hätte ihm sagen können, dass er fast dabei gewesen war, bei diesem schlechten Start. Zumindest im Schloss, wenn auch nicht im Raum während der Befragung, als Hildegard den Fürsten zum ersten mal getroffen hatte und diese spontane Antipathie entwickelte. Aber dann hätte sie ihm auch direkt alles sagen können, was sie gerade nicht tun wollte. Der Mann, der sie fallen gelassen hatte, sollte die Neuigkeiten nicht schneller erfahren als ihre Familie. „Das... ja, kann man so sagen.“ Narsil grinste über das ganze Gesicht, als Hildegards Züge kurz entgleisten „Oha, so schlecht? Na, der gute scheint sich ja mächtig ins Zeug gelegt zu haben, um dich umzustimmen. Nun komm schon, mir kannst du es doch wirklich sagen, oder?“ „Er ist ein fantastischer Liebhaber und ein fantastischer Mann.“, antwortete die Klerikerin trocken. „Und irgendwann werde ich es dir sicher sagen, Narsil. Aber nicht heute.“ Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich mit ihrem Getränk zurück zu ihrer Familie, die das Gespräch der Geweihten mit Junker de Varro etwas skeptisch beäugt hatte. Man wusste nicht, worum es ging, aber die Art und Weise wirkte überraschend vertraulich dafür, dass man nie zuvor seinen Namen gehört hatte. „Hildegard Liebes, habt ihr... etwas wichtiges besprochen?“ erkundigte sich Swanahild mit mühsam unterdrückter Neugierde. Die Geweihte lächelte ihre Mutter an. „Narsil und ich hatten einen kleinen Streit, nur ein Missverständnis, als wir uns das letzte mal gesehen haben. Aber jetzt haben wir das endlich friedlich beiseite gelegt.“ „Achso? Kennt ihr euch … denn lange?“ „Oh, eine Weile. Fast so lange wie Alarik, Dvalinn und ich, ja. Aber wir haben uns seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Deshalb ist es auch schön, dass wir das endlich geklärt haben.“ Swanahild nickte verständnisvoll und hing eine Weile ihren Gedanken nach. Ob dieser charmante Junker und ihre Tochter ein gutes Paar abgeben würden? Immerhin war er ein Verlester Adliger und auch wenn sie sich wirklich wünschen würde, dass ihre Tochter und der freundliche Elfenhauptmann sich einmal näher kommen würden, immerhin war er ein Elf und so furchtbar höflich, freundlich und unkompliziert, würde die Verbindung mit einem Verlester es deutlich einfacher machen. Und immerhin war der attraktive junge Mann zudem Junker! Zwar nicht der Erbsohn, aber was machte das schon? Es ging auch nicht darum, dass ihre Tochter möglichst hoch hinaus sollte, sie sollte einen guten, ehrbaren Mann finden. Einen der sie schätzte und sich nichts aus ihrem Alter machte. Aber wenn es ein so junger, charmanter Mann wäre... interessanter als einen weiteren Händler als Schwiegersohn zu haben mit Sicherheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)