Erwachen im Frühling von nataschl91 (Neuauflage) ================================================================================ Kapitel 1: The new girl in Town ------------------------------- Es goss wie aus Eimern, als ich aus dem Zug stieg und mir die Kapuze meines feuerroten Sweatshirts überzog. Zu meinem Pech war nirgendwo mein Onkel zu sehen, welcher mich eigentlich gleich vom Bahnsteig abholen wollte. Vielleicht wartet er ja draußen auf mich…?, dachte ich mir und eierte mit meiner Sporttasche über die Schulter gehängt und meinen Koffer hinter mir herziehend zum Ausgang des Bahnhofs. Menschenmassen drängelten sich an mir vorbei, manche stießen mit mir zusammen und räusperten irgendwas von „oh sorry“ bis zu „hey pass doch auf!“ Ich seufzte nur und entschuldigte mich kleinlaut bei jedem. Nach einer halben Stunde des Wartens konnte ich meinen Onkel immer noch sehen, somit entschied ich mich meinen Koffer noch ein paar Meter weiter durch den „Monsun“ zu schleppen. Natürlich wurde ich bis auf die Knochen durchweicht und zitterte wie Espenlaub. Ich blieb an einer Stelle stehen, wo mein Onkel meine Eltern und mich früher immer abgeholt hatte. Er musste jeden Augenblick um die Kurve biegen, so wie wir es telefonisch ausgemacht hatten! Gleich wäre es soweit! Ich war in Gedanken schon in der Badewanne, heißer wohl duftender Dampf stieg mir in die Nase und heftete sich an Spiegel und Fliesen. Die imaginäre Wärme ließ mich einen Augenblick entspannen und machte mir das Warten etwas leichter. Ein schwarzes Auto bog um die Ecke und das mir so vertraute Magenkribbeln begann, wie immer wenn ich meinen Onkel sah. Doch es war das falsche Auto. Natürlich, wäre auch viel zu schön gewesen... Auch die nächsten zwei Wagen waren nicht die meines Onkels, ich wartete nun schon seit mehr als 40 Minuten. Der Regen hatte sich verstärkt und dichter weißgrauer Nebel war aufgezogen, so dass es eine schön düstere Atmosphäre einem Horrorfilm gleich erzeugte. Wunderbar!, grummelte meine innere Stimme. Ich hasste Horrorfilme! Immer wenn so ein Wetter aufzog kam irgendein Vieh von hinten und zerfleischte die hübsche Blondine mit Modelmaßen im Cheerleader Outfit. Für einen kurzen Moment konnte ich aufatmen und versuchte mich zu beruhigen. Mein Herz schlug so heftig wie eine Buschtrommel und es fühlte sich so an, als wolle es aus meiner Brust springen und schnell wegrennen…schreiend!! Ich hasste mich für meine Selbstzweifel musste jedoch erleichtert grinsen denn ich hatte weder ein Cheerleaderoutfit an, noch glich mein Körperbau den eines Models oder gar war ich blond. Meine braunen Haare waren zu einem Zopf geflochten, der mir über die Schulter fiel und meine Augen glichen blaugrünen Murmeln. Trotzdem zuckte ich bei jedem Rascheln zusammen und drehte mich um 360 Grad. Die Leute, welche an mir vorbeigingen bestaunten dieses Spektakel kurz und gingen dann weiter…was sie wohl über mich dachten? Wie ich es hasste, alleine warten zu müssen und dann noch in dieser Atmosphäre. Wäre meine Batterie nicht bereits im Zug zu Grunde gegangen könnte ich wenigstens MP3 hören, aber das Schicksal meinte es eben nicht gut mit mir...zumindest nicht heute… Plötzlich hörte ich ein Hupen, welches mir aber nicht vertraut war. Mein Onkel hatte sich kein neues Auto gekauft, dass hätte er mir am Telefon doch gesagt? Das Hupen kam immer näher und näher. Ich griff mir an die Brust um mein immer schneller und schneller schlagendes Herz zu trösten, das uns beiden nichts passieren würde. Ich hatte für zwei Sekunden das Gefühl mein Herz würde einen Schlag aussetzen und mich mit einer Augenbraue fragend angucken, so auf die Art „und da bist du dir noch nicht mal selber sicher…?“ "Verdammt", murmelte ich durch den Regen. Ein silberner Sportwagen fuhr mit einem Karacho vorbei, dass die Reifen in der Kurve durchdrehten und das Heck gefährlich schlitterte. Trotzdem nicht schnell genug denn ich konnte erkennen, dass drei Jugendliche darin saßen und Papis Auto spazieren fuhren. Zum Glück hatten sie mich nicht gesehen (das war mehr oder weniger mein Wunschdenken woraufhin mich mein Herz schon wieder fragend anguckte) denn das Letzte was ich jetzt gebrauchen konnte waren drei Typen, die ein „kleines“ Mädchen wie mich belästigten. Mein Herz legte die Buschtrommelschläger weg und stemmte die Hände in die Hüfte. Jetzt hör aber mal auf!! Du wirst im Herbst 18 Jahre alt und betitelst dich immer noch als „kleines Mädchen“? Jetzt mach aber mal halb lang! Ich seufzte tief und hatte nicht bemerkte wie der nächste Wagen kurz vor mir gehalten hatte. Erst als der Fahrer die Fensterscheibe zu meiner Seite herunterließ und hupte um auf sich aufmerksam zu machen schrie ich auf und zuckte fürchterlich zusammen. Ich guckte vorsichtig in den Wagen und sah voller Erleichterung meinen Onkel darin sitzen. Dieser schien sich gerade köstlich amüsiert zu haben, er grinste über beide Backen. "Gott! Musst du mich so erschrecken?!", rief ich durch die Dunkelheit. Trotz des dichten Nebels konnte ich sein Grinsen immer noch gut erkennen. Meinen Koffer und Tasche schmiss ich auf die Rücksitzbank, zog mein feuerrotes Sweatshirt aus und flüchtete mich in den Wagen. Dort sortierte ich erst mal meine Ponyfransen, welche nass auf meiner Stirn klebten, dann schnallte ich mich an und sank sehr erleichtert in den Sitz. Während mein Onkel fröhlich vor sich her plauderte gab ich ihm ab und zu eine Antwort, doch ich merkte schon sehr bald, dass ich einfach viel zu erschöpft war von der ganzen Reise und überhaupt… "Wie war deine Zugfahrt, Clarissa?", fragte er nach einiger Zeit. "Anstrengend...meine Batterien haben den Geist aufgegeben und somit hatte ich keine andere Beschäftigung mehr, als der netten alten Dame neben mir zuzuhören." Mein Onkel grinste und meinte: "Naja, besser als nichts." "Ja...aber ich denke ich weiß jetzt genauso gut über ihre Wehwehchen Bescheid wie ihr Hausarzt wenn nicht sogar noch besser!" Wir fuhren eine Zeit lang wieder schweigend vor uns her, ich war mittlerweile schon ein paar Mal eingedöst und bekam so nicht mit, wie wir das Waldstück hinter uns gelassen hatten und mittlerweile durch einem kleineren Vorort fuhren, bis wir an einer Ampel stehen blieben. Plötzlich hörte ich das vertraute Hupen von den Jugendlichen wieder und kurz darauf stand ein silberner Porsche neben dem Auto meines Onkels. Die Jungs hatten das Verdeck aufgemacht und saßen allesamt pitschnass in dem Wagen und provozierten meinen Onkel, ein Rennen mit ihm zu fahren. "Komm schon, Mann!", rief der eine zu uns, doch mein Onkel starrte weiterhin nach vorne. "Was ist? Hast du Angst oder was?!", lachte der andere. Benommen von meinem Halbschlaf setzte ich mich im Autositz auf um die Lage zu begutachten. Ich sah das der dritte Junge den Kopf in einem ungewöhnlichen Winkel zur Seite neigte, seine Augen wirkten glasig, er selber nicht wirklich anwesend. Doch er lachte und grölte mit den anderen beiden vergnügt mit, er musste viel getrunken haben und war nun in einem Trancezustand. Seine Haare klebten an seinem Gesicht, sein Hemd war voll mit Erbrochenem. Die Ampel schaltete auf grün und der Sportwagen zischte los, während der zweite Junge die Arme weit nach oben streckte und jubelte. "Wahnsinnige...", fauchte ich leise und ächzte. Anscheinend waren meine Füße eingeschlafen, jedenfalls konnte ich sie nur sehr mühsam bewegen. "Was hast du denn? Ist dir nicht gut?", fragte plötzlich jemand Fremdes. Mein Kopf flog regelrecht nach links und ich erblickte ein mir nicht bekanntes verschwommenes Gesicht. Ich wollte was sagen, aber meine Zunge fühlte sich plötzlich ganz taub und schwer an, ich brachte nur Gestammel heraus. Der Mann beugte sich zu mir und sah mir in die Augen, er machte einen besorgten Eindruck. "Halte durch, Clarissa! Ich bring dich in ein Krankenhaus!", versprach er mir und fuhr los. Sein Gesicht war mir nicht bekannt es war zu verschwommen also gab ich mich damit zufrieden, dass er mich ins Krankenhaus fahren wollte doch in dem Augenblick, in dem ich wieder nach vorne schaute rasten die zwei runden Scheinwerfer des silbernen Porsches bereits mit vollem Tacho auf uns zu. Ich wollte schreien, ich sah nur noch die Scheinwerfer. Clarissa... "Ich will noch nicht sterben! Verdammt dreh um, oder weich aus!", schrie ich. Clarissa... Ich blickte zu dem Mann, der mich fuhr und merkte, dass ich weinte. Warum weinte ich? Er sah auch zu mir, ich bemerkte ein trauriges Lächeln in seinem Gesicht. Warum konnte ich ihn nicht sehen? Aus lauter Verzweiflung griff ich zu ihm rüber, packte seinen Arm. Er wandte den Blick nicht von mir ab. Ich versuchte noch einmal zu schreien, doch es gelang mir nicht. Clarissa... "Ich liebe dich...", flüsterte mir der Mann zu. Ich schluchzte noch einmal heftig und flüsterte ebenfalls: "Ich liebe dich auch..." "Clarissa!" Den Aufprall der beiden Autos merkte ich bereits nicht mehr, dass musste aber auch daran liegen, dass ich plötzlich schweißgebadet auf der Couch hochschreckte. Oh mein Gott, dachte ich verzweifelt und wischte mir den kalten Schweiß von der Stirn. Was war denn das?! Ich sah mich schnell um, ich war in meinem neuen Zimmer…ich war in Sicherheit. Gerade hatte mich meine Tante gerufen, das Frühstück sei fertig, ich solle doch hinunterkommen. Jetzt erinnerte ich mich auch wieder. Mein Onkel hatte mich gestern vom Bahnhof abgeholt und mir gleich mein neues Zimmer gezeigt. Es war der alte Dachboden, welchen er als gelernter Zimmerer extra für mich hergerichtet hatte. Die Dachschrägen gaben dem einen schönen Touch, der Boden war ein helles Laminat. Über einem Stuhl hing noch der Bademantel von meinem heißen Bad vom gestrigen Abend. Ich atmete ein paar Mal tief durch und ging dann die Treppen hinunter, um mit meinem Onkel und meiner Tante gemütlich frühstücken zu können. "Guten Morgen", grüßte ich die beiden. "Oh, du siehst ja überhaupt nicht gut aus!", waren die ersten Worte meiner Tante, "Hast du einen Geist gesehen?" "Nein, nicht ganz. Ich hatte einen Alptraum, aber der war so...keine Ahnung..." "Real?", half mir mein Onkel auf die Sprünge. Ich nickte nur und setzte mich neben ihn. Meine Tante hatte ein paar Spiegeleier in die Pfanne geschlagen und stellte ein paar Schüsseln mit gemischtem Obst auf den Tisch während es aus Richtung Herd zischte. Mein Onkel und meine Tante waren sehr traditionelle Menschen und bestanden darauf, dass die Familie gemeinsam am Sonntag frühstückte. Meine Eltern und ich waren sonst jeden Frühling hergekommen, um die Ferien bei meinem Onkel zu verbringen. Julien war der Sohn der Nachbarn. Er und ich waren damals unzertrennlich gewesen, es gab jedes Mal ein Zinnober, wenn wir wieder nach Hause fuhren. "Und? Was machen unsere zwei Streithähne so?", fragte meine Tante und gab mir zwei Spiegeleier auf den Teller. Sie meinte meine Eltern damit. "Das Übliche...", erwiderte ich nur und nahm einen Schluck Orangensaft zu mir. "Also streiten, sich die Anwälte gegenseitig auf den Hals hetzen, sich streiten, die gemeinsamen Freunde wuschig machen...sich streiten...", grinste mein Onkel und legte die Zeitung auf den Stuhl links neben sich. Dieser Stuhl war für niemanden reserviert doch es durfte sich auch keiner darauf setzen, wenn es sonst noch irgendwo Platz gab. Anna und Frederik waren nämlich kinderlos, und eigentlich hatten sie diesen Stuhl für ihren Nachkommen geplant. Frederik hatte in seiner Jugend mal einen schweren Unfall gehabt und war seit dem zeugungsunfähig, trotzdem wollte meine Tante Anna ihn nicht verlassen. Sie liebte ihn viel zu sehr als ihn deswegen im Stich zu lassen. Meine Eltern dagegen hatten ziemlich jung geheiratet und warteten auch nicht mit der Kinderplanung. Mein um vier Jahre älterer Bruder studierte in den Staaten und ich ging derweil auf ein privates Gymnasium. Bis vor einem halben Jahr hatte auch alles geklappt wir waren eine glückliche Familie, doch dann fing meine Mutter mit dem fremdgehen an. Mein Vater verzieh ihr einmal und auch das zweite Mal den Seitensprung, doch beim dritten Mal flogen Gegenstände. Um dem ganzen Stress und den Einschleimungstaktiken zu entgehen bat ich meinen Onkel mich für eine Weile bei sich aufzunehmen. Meine Tante reagierte sofort und meldete mich sogar an einem hochangesehenen Gymnasium an, welches mir gleich Möglichkeiten zur Uni und verschiedenen Stipendien bieten sollte. "Der Stoff ist zwar etwas kniffliger, aber wenn wir zusammen lernen schaffst du es schon Liebes!", hatte sie mir am Telefon versichert. Für Frederik und Anna war ich schon immer wie eine Tochter gewesen, sie behandelten mich auch so, welches Verhalten mir oft bei meinen eigenen Eltern fehlte. Diese waren beruflich oft unterwegs gewesen und hatten für mich und meinen Bruder kaum Zeit gehabt. Während des gemeinsamen Frühstücks plauderten wir über alte Zeiten und wie jetzt einiges geändert werden musste. Frederik erklärte mir, dass er später noch einen Schrank und eine Kommode in meinem Zimmer aufbauen würde und er wollte noch mal über die Fensterrahmen streichen. "In der Zeit kannst du mir ein bisschen im Garten helfen?", meinte Anna und lächelte, "so kommst du auch auf andere Gedanken." Ich liebte Annas Garten! Im Gewächshaus war zu fast jeder Jahreszeit immer etwas gepflanzt und außerhalb blühten die schönsten Blumen in allen Farben. Zwei Rhododendren gaben ihren herrlichen Duft ab, so dass man hier im Sommer genüsslich auf der Terrasse ein Sonnenbad nehmen konnte. Jetzt im November konnten Anna und ich nur Unkraut jäten und den eingegangenen Blumen nachweinen, welche sich nun für den Winter vorbereiteten. Ich rechte das Laub zusammen und verteilte es in kleineren Haufen über die Rosenstöcke, als ich einen Schatten über mir bemerkte. In der Hocke schaute ich nach oben, die Augen zu kleinen Schlitzen, denn die Sonne knallte für November noch hell vom Himmel. "Hallo." "Tag auch", erwiderte ich der Frauenstimme. "Bist du nicht die Kleine von Günther?", fragte die Frau. Günther war mein Vater. "Ja, wenn man mich noch klein nennen kann", lächelte ich und stand auf. "Sowas! Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen! Mein Gott bist du groß geworden!", strahlte die Frau und musterte mich genau, „und hübsch.“ Eine leichte Röte breitete sich über meine Wangen aus aber ich redete einfach mit ihr weiter, ohne zu wissen mit wem ich es hier zu tun hatte. Zu meinem Glück kam Anna dazu und die zwei tratschten weiter, als hätte es mich nie gegeben. "Ich...geh dann mal rein und schau nach Onkel Frederik, okay?“ "Warte mal, kennst du Frau Minuaré eigentlich noch?" Ich stutzte und sah mir die Frau genauer an. Nein verdammt, ich kenne sie nicht, dachte ich verzweifelt. "Anna, seit dem letzten Mal als sie zu Besuch war sind über fünf Jahre vergangen...in der Zeit habe ich mich natürlich auch verändert!" "Hm...stimmt..." Ich grinste aber nur, damit ich nicht so unbeholfen aussah wie ich mich gerade fühlte. Während Anna und ihre Freundin noch ein wenig plauderten räumte ich den Rechen auf, wusch meine Hände und ging die Treppen hoch zum Dachboden, wo mein Onkel gerade eine neu aufgebaute Kommode hinstellte. Als er mich erblickte musste er grinsen: „Hier hast du früher immer gespielt.“ „Das weiß ich sogar noch!“ „Ist nicht wahr?“ „Klar! So lange ist der letzte Besuch auch nicht her…“ Ich begutachtete mein großes Zimmer und staunte nicht schlecht; gleich wenn man die Treppen hochkam stand links mein Schreibtisch, gleich daneben stand eine fast mannshohe Stehlampe. Rechts von der Treppe stand jetzt die Kommode und an der Wand gegenüber war in der Nische mein Schlafplatz entstanden. Vor der Öffnung hatte mir Anna eine Art Perlenvorhang besorgt und am Dachbalken angebracht…ich liebte es…ich würde mich sehr schnell hier eingewöhnen! Frederik und ich kamen vom Dachboden herunter, er schnaufte kurz durch und hockte sich auf seinen Platz. "Na? Hilfst du deiner Tante beim Abendessen?", fragte er schließlich, als es ihm zu ruhig wurde. "Ich habe ja sonst nichts zu tun. Der Garten ist für den Winter vorbereitet, die Geräte alle wieder aufgeräumt." "Und wo ist Anna?" "Spricht mit einer Frau Minuaré..." "Ach, mit Marie?" "Ich habe den Vornamen nicht mitbekommen." "Sie ist Juliens Mutter", meinte Frederik. "Echt? Ich kann mich gar nicht mehr an sie erinnern..." "Hm...du warst lange nicht mehr hier. Ich denke, dass du Sean und Julien auch nicht mehr erkennst." "Julien...das war doch der blonde Junge, oder?" "Genau, der blonde Junge. Du warst als kleines Kind immer von seinen großen smaragdgrünen Augen begeistert. Er ist gewachsen!" Ich erinnerte mich an einen blonden Bengel, der früher mit mir immer Matschkuchen gebacken hatte und meinte sie schmecken nach Schokolade. Damals ging er mir nur bis zur Schulter. Auch als ich das letzte Mal hier zu Besuch war- vor fünf Jahren war ich zwölf gewesen- war er nicht viel größer. Ich konnte mir Julien gar nicht größer vorstellen... "Ich glaube sogar, ihr werdet zusammen in eine Klasse gehen", bemerkte Frederik plötzlich und mir fiel das Messer in der Spüle runter. "Alles in Ordnung, Clarissa?" "Ja, alles okay...", meinte ich und drehte mich abermals um, "zusammen in einer Klasse, bist du dir sicher?" Frederik grinste: "Ich glaube schon. Freust du dich nicht?" „Das kam gerade nur etwas überraschend. Ich meine Julien wird sich in den fünf Jahren sicherlich auch verändert haben!“ „Hey…machst du dir gerade Sorgen, dass er dich nicht mehr mögen könnte?“ „Unter anderem?“ „Clarissa“, lachte Frederik hell auf und legte mir eine Hand auf die Schulter, „ihr beide wart damals unzertrennlich und ich glaube kaum, dass Julien diese Freundschaft jemals für irgendjemanden außer dir aufgeben würde!“ „Dein Wort in Gottes Gehör…“ Am Abend nach dem Essen saß ich an meinem Schreibtisch und ordnete meine Sachen für morgen. Die Aufregung nahm langsam Überhand und ich versuchte mich so gut wie nur möglich zu beruhigen. Mein Schulrucksack stand neben meiner Couch gleich griffbereit für frühs. Ich hatte meine Kleider bereits in die Kommode eingeräumt und auch ein Regal war vollgestopft worden. Noch während ich meinen Wecker auf halb sechs stellte dachte ich darüber nach, wie ich morgen in der neuen Klasse ankommen würde. Dank meines Onkels wusste ich immerhin, dass es eine gemischte Klasse war vielleicht würde ich gleich an Juliens Rockzipfel hängen. Ich dachte an den Schulstoff, den ich wahrscheinlich nachholen müsste, diese Schule sollte es vom Lerninhalt ordentlich in sich haben… *** Mein Magen drehte sich mehrmals, als Frederik mich bis vor die Schule fuhr. Das Gelände war riesig, der Sportplatz vielleicht nur einen Fußweg von vier Minuten vom Hauptgebäude entfernt. Auf dem Pausenhof hatten sich mehrere Trauben von Schülern gesammelt, es wurde gequatscht und gescherzt... Die Mädels waren geschminkt, ein paar nur dezent, ein paar andere wie ein Paradiesvogel. Doch was sie alle miteinander gemeinsam hatten...sie trugen Schuluniformen. Diese bestand aus einem grünen Blazer und einem sandfarbenen Rock, die Jungs trugen Hosen in denselben Farben. Anna erzählte mir taktischer Weise erst heute Morgen, dass ich nach dem Unterricht meine eigene im Sekretariat abholen sollte. Super Leistung, dass machte es mir nicht besonders leichter zu wissen, dass ich heute als einzige aus der Masse hervorstechen werde! "Also Clarissa, wir sind da. Soll ich...mit reinkommen?" "Hey, ich geh in die 11. und nicht in die erste Klasse", gab ich zu meinen Onkel zurück und grinste. "Wenn du meinst. Ich hol dich dann nach dem Unterricht ab." "Ja." Er nickte mir entgegen und ich stieg aus dem Wagen, streifte ein paar Mal über meine Jeansjacke und winkte Frederik hinterher. Klar hätte er lieber mitgehen sollen, aber ich konnte nicht immer einen Bodyguard an meiner Seite haben, hier musste ich jetzt alleine durch! Die paar Stufen in die Aula waren schnell erklommen und das Sekretariat fand ich dank gründlicher Wegbeschreibung meiner Tante auch gleich. Ich holte meinen Stundenplan und bekam eine Liste mit verschiedenen Stichpunkten die ich noch für den Unterricht besorgen musste wie verschiedene Hefte, Stifte und Lineale…der ganz normale Wahnsinn. Ich ging aus dem Sekretariat um dann mein Klassenzimmer zu suchen. "Zweiter Stock rechts die vorletzte Tür. Herr Belbadaire wird dir noch mal alles gründlich erklären." Ich nickte der Sekretärin zu und ging los. Auf dem Weg wurde ich natürlich von allen angeschaut, wie ein neues Beutetier. Die Jungs begutachteten mich von oben bis unten, die Mädels schienen gleich über mein Outfit zu lästern. Was war an einem T-Shirt, Jeansjacke und einer Stoffhose bitte falsch? Nur nicht aufregen, Clarissa...spätestens morgen hast auch du deine Uniform und dann bist du wie sie..., dachte ich und versuchte mich zu beruhigen. "Hey!", rief mir jemand hinterher. Ich blieb stehen, drehte mich nur in der Hüfte um und bemerkte eine kleinere Mädchenrunde, die mir alle einen vielsagenden Blick zuwarf. Alle bis auf eine; diese hatte lange hellblonde Haare und grüngraue Augen. Sie trug anstatt des Blazers nur eine Weste über ihre Bluse und zeigte ihre langen Beine indem sie keine dunklen Kniestrümpfe trug, sondern weiße Söckchen. "Ja?", gab ich zurück. Die Blondine kam lächelnd auf mich zu und fragte: "Wie ich sehe bist du neu hier?" "Denke mal das ist schwer zu übersehen..." "Welchem Lehrer wurdest du denn zugeteilt?" "Herrn Belbadaire...?", murmelte ich und las den Namen nochmals vom Papier. "Heute ist dein Glückstag! Wir werden zusammen in eine Klasse gehen." "Und jetzt erklärst du mir auch bitte warum ich Glück habe." "Ich bin Melinarés", stellte sich mir das Mädchen vor und gab mir lächelnd die Hand, "ich bin die Klassensprecherin, und somit deine Schulter zum ausheulen, falls du mal das Verlangen haben solltest." "Aha. Ich heiße Clarissa", meinte ich nur. Sie schien eine lustige Gesellin zu sein und in ihrer Stimme schwang eine gewisse Wärme mit, die sie mir gleich symphatisch werden ließ. Sie ging voraus, warf noch schnell ein paar Worte in ihre Gruppe und betrat mein neues Klassenzimmer. Sie stellte mich Herrn Belbadaire vor, der (wie ich verzückt feststellen musste) ein perfektes Keanu Reeves Doubel sein könnte. "Willkommen in unserer Klasse, Clarissa! Hoffentlich gewöhnst du dich schnell ein bei uns, auch wenn es ein paar Rüpel und Zicken gibt, aber ich denke, die gab‘s bei dir auch?" "Natürlich, die gibt's überall." "Gut. Melinarés wird dir alles zeigen, und dich ein bisschen herumführen, wenn du möchtest?" "Klar", erwiderte ich und grinste dem Mädchen zu. Sie war mir gleich von Anfang an symphatisch gewesen und ich hätte mich am liebsten an ihren Rockzipfel geklemmt. Ich nahm einen Tisch neben ihr Platz. Jeder Schüler hatte, wie mir Melinarés zeigte, einen eigenen für sich, wo man die Oberfläche hochklappen und ein kleines Fach für Hefte, Bücher und Handys vorfand. "Solltest du dein Telefon da rein legen, stell vorher aber sicher, dass der Vibrationsalarm aus ist, sonst wackelt der ganze Tisch...is mir auch schon passiert, aber naja..." "Danke für die Warnung", grinste ich und legte meinen Notizblock in das Fach. "Für was ist der denn?", fragte Melinarés und zeigte auf ihn. "Nur für Notizen, die ich mir machen werde, damit ich hier mit niemanden zusammenstoße. Und dass ich im Unterricht gleich mitkomme." "Du kannst es nicht verhindern, hier mit niemanden zusammenzustoßen...leider. Und was den Unterrichtsstoff angeht, ich könnte dir Freitagnachmittag helfen, wenn du magst? "Das wäre gar nicht mal so schlecht..." Ich blickte Melinarés groß an und fragte, ob es hier in der Klasse einen bestimmten Problemfall gab. Das Mädchen nickte nur und zeigte Richtung Eingang, wo gerade eine Gruppe Schüler hereinkam. Sie verteilten sich auf ihren Plätzen und kicherten noch ein wenig bis der Unterricht begann. "Nimm dich vor Shane in Acht", raunte mir Melinarés zu, "sie mag am Anfang noch eine Freundin zu dir sein, doch wenn du ihr nicht mehr in den Kram passt hast du nichts mehr zu lachen." "Ist das die mit den schwarzen Haaren?" "Nein, die daneben." Ich sah das Mädchen zwar nur für den Bruchteil einer Sekunde, konnte dennoch erkennen, dass sie verdammt hübsch war. Sie hatte ihre langen cappuccinobraunen Haare in leichte Locken gestylt und war dezent geschminkt ohne diesen „Girlie-Look“ auszustrahlen. „Sie sieht doch ziemlich nett aus.“ „Noch…“ “Also Leute. Erstmal guten Morgen und einen schönen Start in eine neue Woche. Wer es noch nicht gesehen hat, wir haben ein neues Gesicht in unserer Runde", erklärte Herr Belbadaire und zeigte in meine Richtung. 24 Augenpaare drehten sich zu mir um und begutachteten mich aufs Neue. "Clarissa wird fürs Erste dahinten sitzen, wenn sie sich aber eingewöhnt hat, denke ich dass wir ihr einen Platz weiter vorne anbieten können." Ich wäre am liebsten einfach im Boden versunken, mein Gesicht brannte vor Röte. Melinarés tippte mich unter meinem Tisch an und zwinkerte mir zu. Ich nahm den Zettel, den sie mir reichte entgegen und las: Das Schlimmste hast du überstanden! *** Herr Belbadaire beendete um Punkt 15 Uhr 30 unseren Unterricht und somit meinen ersten Tag in der neuen Schule. Ich fühlte mich sehr erleichtert, zum einen hatte ich gleich zu Beginn eine neue Freundschaften geschlossen und zweitens war ich mit meinem Schulwissen doch nicht so weit hintendran wie ich befürchtet hatte. Ich seufzte und ging in der Masse aus dem Klassenzimmer raus, als eine Männerstimme mich beim Namen nannte. "Hey, Clarissa!" Ich blieb gleich neben der Tür stehen und sah zu dem Jungen hoch, der mich gerufen hatte. Er war gut eineinhalb Köpfe größer als ich, hatte braune kurzgeschorene Haare und eine Sporttasche um die Schulter hängen, welche er gleich zu Boden legte. "Ja? Was ist?" "Du hast dein Buch vergessen." Er überreichte mir meinen Notizblock, welchen meine Tante sorgfältig eingebunden hatte und der jetzt einem Buch ähnelte. "Oh, danke. Ich hätte ihn später auch holen können", bedankte ich mich und nahm meinen Block entgegen. "Ja, aber in der Zwischenzeit hättest du dir keinen neuen Notizen machen können", grinste er und reichte mir die Hand, "ich bin Gabriell." Wir schüttelten die Hände wobei er verzückt feststellte, dass ich als Mädchen einen festen Händedruck hatte. „Hast du jetzt Unterrichtsschluss?“ „Ja“, antwortete ich und Gabriell machte eine Geste zum weitergehen, „der Tag heute war schon hart. Warum? Du nicht?“ „Nein ich habe noch Sport.“ „Ich dachte den haben wir erst Mittwoch?“ Gabriell grinste: „Ich bin im Volleyballteam der Schulmannschaft.“ „Du kannst nach so einem Unterrichtstag noch Sport treiben?“, fragte ich erstaunt. „Damit kann ich mich vom langweiligen Schulalltag abreagieren.“ Wir hatten inzwischen die Aula erreicht und gingen Richtung Ausgang, wo sich einige Schüler versammelt hatten und anscheinend auf den Bus oder ihre Mitfahrgelegenheit warteten. „So…ich muss hier links weiter“, meinte Gabriell und machte einen Schritt zur Seite. "Wo sind denn deine Flügel?", fragte ich plötzlich ironisch. "Ach die...“, grinste er verstand sofort meine Anspielung, „die habe ich im Schrank und hole sie nur zu gegebenen Anlässen heraus. So sind sie viel pflegeleichter", Gabriell grinste breit, "aber ich werde nicht wie der Erzengel geschrieben sondern mit zwei 'L'." "Also wie Gabrielle?" "Nein, ohne den komischen Nachton. Einfach nur Gabriell." Ich schaute ihn mir jetzt genauer an und bemerkte seine außergewöhnliche Augenfarbe. "Du...hast gelbe Augen." "Nein, die sind Bernsteinfarben." „Ah…“ Wie peinlich für mich. Ich überlegte schnell wie ich mich aus dieser Situation retten könnte, doch der falsche Engel fiel mir ins Wort: "Du musst dich nicht entschuldigen, die meisten sagen, dass sie gelb sind." "Jetzt fühle ich mich gleich besser. Aber trotzdem", grinste ich. "Wenn es dir so sehr leid tut, kannst du mir ja einen Gefallen tun, zur Wiedergutmachung." "Tja, wenn das so ist, fallen mir gerade sehr viele 'Gefallen' ein." Kaum war der Satz aus meinen Mund bereute ich ihn schon wieder. Gabriell sah mich breit grinsend an und verkniff sich schwermütig einen Lachanfall. Ich musste mir heute Abend unbedingt aufschreiben, dass ich diesen Typen nicht zu spontan und ironisch werden durfte, am Ende nahm er es auch noch ernst! "Keine Angst, Kleines...ich fall schon nicht über dich her", grinste er und schwang seine Sporttasche über seine Schulter. "Ich bin nicht dein Kleines!", erwiderte ich leicht gereizt. Gabriell sah mich verwundert an: "Wann habe ich je erwähnt, dass du ‚mein Kleines‘ seist? Ich kenn dich noch nicht mal." Wieder bereute ich meine Worte. Kurz darauf fasste ich den Entschluss mich apruppt umzudrehen und zum Auto meines Onkels zu eilen. Kapitel 2: Wiedersehen ---------------------- Melinarés verdiente nach der Meinung von Frederik einen goldenen Heldenorden. Warum? Sie war seit gut zwei Wochen meine Nachhilfelehrerin und das mit Bravour. Sie hatte nicht nur viel Geduld mit mir, nein sie schaffte es auch noch mich innerhalb einiger Tage in die Gruppe aufzunehmen. Wir verbrachten das erste Wochenende, welches ich in die neue Klasse ging natürlich zusammen, gingen ins Kino und abends sogar in eine der etwas besseren Discos. "Wohin zieht ihr Mädels denn heute schon wieder?", fragte Anna, als ich Freitag nach der Schule mit einer großen Einkaufstüte nach Hause kam. "Melinarés möchte mich noch ein wenig in die Gruppe eingliedern." "Und...dafür brauchst du dieses Outfit?" Ich packte das Cocktailkleid aus, welches ich mit Melinarés vor knapp einer Stunde gekauft hatte und zeigte es ihr. Meine Tante pfiff anerkennend und legte eine Hand in die Hüfte. Dazu kamen noch die kurze schwarze Perlenkette und die ovalen flachen schwarzen Ohrringe. "Gehst du zu einer Grammy-Verleihung?" "Nein. In eine Special Ladies Lounge. Melinarés meinte da gehen die ganzen Mädels hin, die irgendwo etwas zu sagen haben, aber sie meinte, wenn ich mich brav benehme dann nimmt sie mich wieder mal mit." Ich beäugte das Kleid und wünschte mir, es wäre doch ein paar Zentimeter länger, so dass es mir auch wirklich bis über die Oberschenkel ginge. Vorhin in der Umkleide ging es zumindest knapp über meinen Hintern, aber da stand ich ja auch nur still da, heute Abend würde ich mich auch bewegen. "Sehr gewagt, bist du dir sicher, dass du darin weggehen möchtest?", fragte Anna und zog die Augenbrauen hoch. "Manchmal muss man sich im Leben einer Frau etwas wagen...", wiederholte ich, was mir Melinarés vorhin gesagt hatte. Anna sah mich groß an und ich konnte nur schweigen. Frederik kam aus dem Wohnzimmer um sich eigentlich nur eine Cola zu holen und erblickte das Kleid, welches ich auf dem Küchentisch gelegt hatte, damit es keine Falten bekam. Er schaute es sich zuerst bewundernd, dann skeptisch an. Sein Blick wanderte zu Anna, welche den Kopf schüttelte und auf mich zeigte. "Du? Ziehst DAS an? Habe ich Geburtstag?" "Sie möchte heute mit Melinarés in eine Lounge gehen. Anscheinend ist das der ermäßigte Eintritt...", erklärte meine Tante und widmete sich wieder dem Abendessen. Ich warf ihr einen bösen Blick zu und sammelte meinen Schmuck wieder ein. Natürlich kam ich mir in dem Kleid etwas komisch vor, auch nachdem mir meine Freundin versichert hatte, ich sehe wunderbar darin aus. Um halb sieben kamen Melinarés und Daniela vorbei, um mich abzuholen. So schnell wie ich in den hochhackigen Schuhen laufen konnte eilte ich zu dem Auto und schnallte mich an. "Sexy!", lächelte Daniela mir durch den Rückspiegel zu und fuhr weiter. "Glaubst du, ich kann meinen Hintern heute vor den Kameras verstecken?" "Süße, wenn du morgen im Forum die ganzen Fotos von uns dreien siehst wirst du begeistert sein!", versicherten mir die beiden im Chor. "Ich habe mich nicht mal getraut etwas zu Abend zu essen!", beklagte ich mich. Daniela kicherte: "Das haben wir auch nicht!" Melinarés blickte vom Beifahrersitz zu mir nach hinten und lächelte ebenfalls. "Wenn wir auf dem Heimweg sind, fahren wir noch mal in den Drive in, damit du mir nicht zusammenkrachst. Aber in der Zwischenzeit müssen wir uns alle etwas zusammenreißen. Auch mit dem trinken...wenn man später ein Bild von dir sieht, wo du bereits einen glasigen Blick hast und den Mund zu einem übertriebenen Lachen aufreißt ist alles nette vorbei..." Daniela bog an der nächsten Ecke rechts ab. "Ja, bei mir war es allerdings ein glasiger Blick und ein ziemlich schief hängendes Glas." "Und jetzt?", fragte ich nach, obwohl ich mir das Ende zusammenreimen konnte. "Naja...ich musste einigen Leuten ziemlich den Arsch aufreißen, um wieder dort zu sein, wo ich jetzt stehe. Auch wenn ich in der Abschlussklasse bin, soetwas verfolgt dich ewig, wenn du nicht sofort handelst." Ich lehnte mich auf der Rückbank zurück und versuchte nicht zu tief Luft zu holen. Dabei dachte ich daran, wie ich mich auf die Couch hätte flacken können und genüsslich ein Eis verspeißte, zusammen mit meinem Onkel den heutigen Blockbuster schauend. Nein, ich musste mich ja in einen kleinen Stofffetzen zwängen und stundenlang auf mein Essen verzichten, nur um ein paar Mal abgelichtet zu werden, damit mich mehr Leute an meiner Schule kennen würden. Auch wenn es ein Freundschaftsgefallen von Melinarés und Daniela war, es würde nicht sehr oft vorkommen, wenn ich auf so viel Gutes verzichten müsste! "Weißt du noch, wie du Shane deinen Cocktail ins Gesicht geschüttet und Shanes Kopf unter den Wasserhahn gehalten hast?", lachte Melinarés und klatschte in die Hände. "Man, ihre Haare stanken nach Zigarettenqualm und sonst noch was, ich habe ihr nur einen Gefallen getan!" "Ja, sie stanken aber auch nur nach Zigerettenqualm, weil du ihn ihr vorher in die Haare geblasen hast." "Ich brauchte doch einen Grund, ihre Haare unters Wasser zu halten, damit sie einen kühlen Kopf bewahrt!" "Trotzdem! Du hast angefangen." "Hab ich? Hab ich angefangen mich kleines leicht abzufüllenes Flittchen zu nennen?" "Okay...", gab ich dazu, allein dass mich die beiden nicht vergaßen. "Nein, nicht okay, das kleine Miststück hat mich leicht abzufüllenes Flittchen genannt, nachdem ich leider einen glasigen Blick und ein schief hängendes Glas auf einem Bild hatte!" Ich kannte Daniela zwar schon seit fast zwei Wochen und wusste, dass sie ihre Hysterie nur spielte, dennoch hatte ich riesigen Respekt vor ihr. Niemand legte sich mit ihr an, nicht mal die Jungs aus der Oberstufe, welche richtige Rüpel sein konnten. Bei Daniela fühlte ich mich jedoch auch sicher, solange sie in meiner Nähe war fühlte ich mich gar nicht mehr als "Neue". Auch wenn ich mittlerweile meine Uniform trug, es gab Personen, zum Beispiel Shane, welche immer noch nicht mit mir sprachen. "Mädels, wir sind daha!", verkündete Daniela und half mir aus Auto, da sie bemerkte, dass das Cocktailkleid doch ziemlich kurz war. "Oh, seht mal...Shane ist auch schon da..." Das Mädchen stand am Eingang des Clubs und schien auf jemanden zu warten. Ich staunte nicht schlecht, als ich sie in diesem hautengen apricotfarbenen Blazer und der Jeans sah. Eigentlich ein ziemlich simples Outfit, jedoch sah es sehr elegant und sexy aus. Ihre cappuccinobraunen Haare fielen in weichen Locken links und rechts über ihre Schultern und ein dünnes Goldkettchen zierte ihren Hals. Obwohl ich noch nicht mit ihr direkt konfrontiert wurde, jeder der mittlerweile mit mir befreundet war riet mir davon ab und ich hielt mich daran, wollte ich gerne irgendwann mal ein paar Takte mit ihr wechseln. Wegen eines Smalltalks würde mich Sahne doch nicht gleich kopfüber ins Klo hieven, oder…? Daniela würde sich Shane wahrscheinlich nur wieder mit aufs Klo zerren um ihr einen kühlen Kopf zu bewahren, ich würde es aber erst gar nicht zum Konflikt kommen lassen, dass hatte ich mir fest geschworen. Daniela hackte sich glücklicherweise gleich bei mir ein, sonst wäre ich mit diesen Wunderwaffen die sich eigentlich Highheels schimpfen nie die Treppe hinuntergekommen. Sie ließ mich auch nicht los, als mich Melinarés ein paar anderen Mädchen vorstellte, von denen ich gleich ein Kompliment erhielt. "Hey ist das Teil cool, und erst diese Kette!" Fast hätte ich die Mädchen aus meiner neuen Schulklasse nicht erkannt, auch nicht, als einige von ihnen direkt vor mir standen. Klar ein paar von ihnen liefen auch in der Schule geschminkt herum…aber nicht so! "Wow! Siehst echt sexy aus!" "Ich hätte auch gern so ein tolles Kleid...wo hast du es gekauft?" Melinarés und Daniela nahmen mich mit zur Bar wo letztere gleich die Digicam aus ihrer Tasche holte und ein Foto von uns dreien machte. Wir bestellten unseren ersten Drink und mischten uns unters Volk. Es wurde gute Musik aufgelegt und die Tanzfläche war voll. Überall sah ich nur kurze Kleider und Röcke, überall sah ich bis zum Ultimo aufgestylte Mädchen und ich sah Shane. Den Blick, den sie mir in genau dieser Sekunde zuwarf hätte Welten vernichtet. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter und eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen und Beinen aus. Ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden, ich wollte…doch es ging nicht. Daniela drehte sich zu mir um, nachdem sie und Melinarés bemerkt hatten, dass ich ihnen nicht mehr folgte. Sie verfolgte wohin ich blickte und stoppte in ihrem Satz, den ich durch meinen Trancezustand nicht mitbekommen hatte und hackte sich erneut bei mir ein um mich wegzuzerren. "Hey...Kleines...Clarissa!!", hörte ich sie wie durch Unterwasser. Sie schüttelte mich leicht durch, und ich überlegte mir, besser gleich zu antworten, bevor sie mir auch einen kühlen Kopf besorgte. "Ich bin da, ich...mir geht‘s gut!" "Wenn irgendetwas ist, dann sag es mir." "Weißt du was...es ist was! Ich bin einfach viel zu nüchtern!", lachte ich und schnellte zurück zur Bar. „Hey krieg ich noch einen davon?“, rief ich dem Barkeeper zu und zeigte auf mein leeres Glas. Er nickte mir zu und machte sich gleich ans mischen, während ich mich ein bisschen über die Theke lehnte um ihn zu zusehen. Ich spielte ein bisschen an meiner Kette herum und blickte in den riesigen Spiegel der hinter der Bar angebracht war und bemerkte wie zwei glühende Augen mich fixiert hatten. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und drehte mich zu Gabriell um. „Na?“ „Na?“, grinste er zurück und lehnte sich an die Theke, ich hätte dich in dieser Aufmachung fast gar nicht erkannt.“ Ich lachte kurz auf aber auch nur weil ich nicht wusste ob er das negativ oder positiv gemeint hatte. „…und unter so viel Farbe im Gesicht.“ Jetzt hielt ich inne. Das war definitiv negativ… „Hey! Das war doch nur ein Witz! Das ihr Frauen sowas immer gleich ernst nehmt“, verteidigte er sich und hob die Hände. „Bei euch Männern weiß man sowas nie“, gab ich zurück und nahm meinen Cocktail entgegen, „ich dachte das hier sei eine Ladies Lounge?“ „Jupp.“ „Willst du mich dann nicht aufklären, was DU hier machst?“ Gabriell lächelte triumphierend und meinte: „Naja dann hat sich das Geld gelohnt.“ „Geld? Hast du den Türsteher bestochen?“ „Nein aber den Arzt der aus mir einen Kerl gemacht hat.“ Ich verschluckte mich an meinem Cocktail und hustete stark. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Gabriell hatte natürlich nichts Besseres zu tun als hellschallend zu lachen. „Du Arsch!“ „Nein!“, lachte er immer noch, „falscher Engel, wenn ich bitten darf!“ Ich sah ihn fragend an und nahm noch mal einen Schluck, damit sich meine Speiseröhre wieder beruhigen konnte. „Du hast mir immer noch nicht gesagt wie du hier rein gekommen bist!“ „Na durch die Tür“, erklärte er und zeigte Richtung Eingang. Ich verdrehte die Augen und nahm meinen Cocktail wieder in die Hand um Melinarés und Daniela zu suchen. „Hey wohin gehst du?“ „Zu den Mädels, wohin denn sonst?“ Gabriell ließ den Blick durch die Menge schweifen und sah mich ziemlich hilflos an: „Zu welchen?“ „Zu Melinarés und Daniela.“ „Okay“, grinste Gabriell und nahm seinen Drink in die Hand und kam zu mir, „ich hefte mich so lange an deine Fersen, bis meine Kumpels kommen. Die brauchen anscheinend noch ein wenig.“ Ich lachte lautlos und ging voraus, der falsche Engel folgte mir. „Hey! Ich dachte schon wir hätten dich verloren!“, rief mir Daniela entgegen, als sie mich in der Menge erblickte und kam mir gleich entgegen. „Nein ich habe mir doch nur einen neuen Cocktail geholt“, versuchte ich sie zu beruhigen und zeigte auf Gabriell, „außerdem hätte er sicher auf mich aufgepasst.“ Daniela sah ihn fassungslos an: „…und wie kommst du hier rein?“ „Durch die Tür.“ „Hallo Gabriell!“, mischte sich Melinarés in die Unterhaltung mit ein. „Hi!“ „Was machst du denn hier?“ Er verdrehte die Augen: „Darf ich nicht mal Hahn im Korb spielen?!“ „Nein!“, giftete Daniela. „Zicke.“ „Casanova.“ „Hey Leute!“, schlichtete Melinarés zwischen den Beiden, „wir sind hier um Spaß zu haben und nicht um uns gegenseitig irgendwelche kindischen Schimpfwörter an den Kopf zu werfen!“ Sie nahm ihre Rolle als Klassensprecherin sehr ernst. Zum Glück auch außerhalb der Schule! Gabriell und Daniela drehten sich voneinander weg und schienen den anderen keines Blickes mehr zu würdigen. „Zum Glück haben wir dich!“, dankte ich Melinarés. „Naja…wenn sie sich heute nicht an die Kehle gehen machen sie’s irgendwann woanders…“ Sie seufzte und zuckte mit den Schultern. „Gabriell da bist du ja!“, ertönte eine andere Männerstimme. Zwei weitere Jungs kamen auf uns zu und beschwerten sich, dass es hier so eng wäre, so heiß und stickig und dass sie so schnell wie möglich in eine andere Kneipe auswandern sollten. Gabriell schien noch irgendetwas mit den beiden zu diskutieren doch sie stellten auf stur. Somit blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als sich zu mir umzudrehen und mit den Schultern zu zucken: „Sorry…aber den beiden gefällt es hier überhaupt nicht…wir gehen in ne‘ Kneipe…“ „Okay“, antwortete ich und machte eine hilflose Geste, „wir sehen uns Montag!“ Erst als die drei weg waren wandte sich Daniela zu mir: „Ey! Respekt, kleines!“ „Hä? Was ist nun kaputt?“ „Ich hätte dir ja viele Jung aus deiner Klasse zugetraut, aber Gabriell? Nicht schlecht!“, zwinkerte sie mir zu. „W…was?! Ich…du meinst…wir…NEIN! Wir haben nichts miteinander!“ „Wie heißt es so schön…? Getretene Hunde bellen?“, grinste Daniela zu Melinarés. „Nein!“ Melinarés legte mir eine Hand auf die Schulter und meinte beruhigt: „Keine Angst…sie zieht dich nur damit auf, weil sie ihn nicht bekommen hat…“ „HEY!“, beschwerte Daniela sich plötzlich. Während die beiden das Ganze Thema versuchten auszudiskutieren machte sich bei mir der Alkohol bemerkbar und ich machte mich auf in Richtung Toiletten. „Ah…so langsam muss ich mit den Cocktails langsamer machen…“, sprach ich in den Spiegel, als ich mir die Hände wusch. „Das wäre auch besser…wir wollen ja nicht, dass du hinfällst oder ähnliches…“ Ich drehte mich in Richtung der Stimme und erblickte Shane. Sie stand nur wenige Meter von mir entfernt und mustere mich ganz genau. „Oh…hi…“, war das einzige was ich ihr entgegnete, was anscheinend zu wenig ihres Erachtens war. „Ich frage mich sowieso, wie jemand wie du…der vollkommen neu ist in der Stadt Zutritt in einen der Clubs bekommt, für den man entweder sehr viel Bekanntschaften haben muss oder eine persönliche Einladung…“, sagte sie in einer Stimmlage, die mir nicht wirklich angenehm war, „nachdem ich ja schon erwähnte, dass du ziemlich neu hier bist können wir Punkt eins wohl streichen…und Punkt zwei…kann ich mich nicht daran erinnern deinen Namen auf die Gästeliste gesetzt zu haben…also; wie bist du hier reingekommen?“ „Durch die Tür“, erwiderte ich und wollte an ihr vorbeigehen, doch Shane hielt mich auf, indem sie mich am Arm festhielt. „Ich habe dir eine ernste Frage gestellt!“ „Und ich habe dir eine ernste Antwort gegeben!“, erwiderte ich und zog meinen Arm aus ihrem Griff, „…wenn du mich jetzt nun entschuldigen würdest…mein Cocktail wartet auf mich.“ „Pass lieber auf, dass du nicht zu tief ins Glas schaust…“, waren ihre letzten Worte, die ich verstand bevor sich die Toilettentür hinter mir schloss… *** Ich wusste nicht mehr wann, doch ich wusste dass mich Daniela mit ein paar gewaltigen Zacken in der Krone wieder nach Hause brachte, wo meine Tante noch im Sessel saß und mich empfing. Wie ich allerdings die 24 Stufen bis in meinen Bunker hockgekommen war wusste ich überhaupt nicht mehr. Ich schlug meine Augen auf und merkte wie sich alles drehte. Ich versuchte mich an meinem Bett irgendwo festzuhalten, doch es drehte sich alles weiter. "B...boah...", stöhnte ich und drehte mich halb im Bett, bemerkte aber dass das ein Fehler war und versuchte stillzuliegen. "Clarissa? Bist du wach?", flüsterte mein Onkel und öffnete die Tür zum Dachboden. "Ich glaub schon...", stöhnte ich zurück. "Willst du mit uns frühstücken? Anna hat dir einen Kamilletee gemacht." "Ich komme sobald ich meine Orientierung wieder erlangt habe..." "Okay, bis gleich." Ich blieb noch gut zehn Mintuen liegen, dann raffte ich mich auf und zog mir meine Sweatshirtjacke über, um mit meinem Onkel und meiner Tante zu frühstücken. "Guten Morgen, Sonnenschein! Lebst du wieder?", grinste Anna mir entgegen und reichte mir meine Tasse mit Tee. "Ja, ich lebe noch...wieder..." "Hattest ja heute früh gut geladen." "Wann bin ich denn gekommen?" "Daniela und Melinarés haben dich so gegen halb vier gebracht." Ich ließ nicht auf meinen Stuhl sinken und stützte meinen Kopf auf meine Hände. „Ohje doch so schlimm?“, lächelte mein Onkel, „aber nach ein bisschen Sport und einem heißem Bad geht’s dir schnell wieder besser…“ „Sp…Sport…?“ „Japp“, grinste meine Tante, „fördert die Durchblutung, ist gesund und du schwitzt die ganze Sauce aus dir raus!“ „Kann ich nicht einfach ein paar Aspirin bekommen?“ *** Nach dem Frühstück packte Frederik bei der Hand und nahm mich mit in den Schuppen. Er grinste mir breit zu, als ich in der hinteren Ecke ein Fahrrad vorfand, welches eigentlich das alte meiner Tante war. „Wieso…?“ „Du hast dich doch sowieso über deine miserable Kondition beschwert und das dich der Sportunterricht immer so schlaucht.“ „Ja…aber wieso…?!“, knörte ich. Frederik lächelte immer noch wenn auch etwas leicht genervt. Er tätschelte mir die Schulter und versicherte mir, wenn ich erst mal bei diesem milden Novembertag eine Runde geradelt wäre, würde es mir gleich viel besser gehen! Ich verdrehte die Augen und schon das Rad nach draußen. Der Himmel war grau und von der Sonne konnte man anhand des kleinen hellen runden Kreises nur vermuten wo sie gerade war. „Hattest du nicht gesagt, dass es ein ‚schöner Novembertag‘ sei?“, fragte ich ironisch an meinen Onkel. „Ich sagte ‚an so einem milden Novembertag‘. Fang nicht an mir die Wörter im Mund umzudrehen…es reicht mir vollkommen wenn deine Tante das tut!“ „…zieht da hinten gerade Nebel auf…?“, fragte ich mit leichtem Zittern in der Stimme. Frederik lachte und gab mir einen leichten Schups: „Dann fährst du ganz einfach in die andere Richtung.“ Ich schaute ihn gekünstelt entsetzt an, erwiderte jedoch nichts, setzte mich brav auf das Fahrrad von Anna und versuchte meine Kondition wieder aufzubauen. Der Sportunterricht schlauchte mich wirklich gewaltig und ich wollte nicht als Einzige schwer schnaufend am Rand stehen müssen, wo mich alle sehen und belächeln konnten. "Wenn du möchtest, ich kann mit dir trainieren, ich spiele Handball, also ist meine Kondition erste Sahne“, hatte mir Melinarés nach der ersten Sportstunde vorgeschlagen. „Mit was willst du mir eigentlich noch helfen??“ „Solange ich es kann und es mir meine Freizeit erlaubt kann ich dir doch helfen, oder?“ „DU…? Du willst mir nicht wirklich weiß machen, dass du neben der Schule, der Sport AG, deinem Reitkurs und dem Lernen immer noch Freizeit hast?!“ „Doch…“ "Ich überlege mir, ob ich nicht auch irgendeinem Club oder so einer AG beitrete..." Melinarés hatte mich nur mit einer hochgezogenen Braue angeschaut und den Mund zu einer Grimasse gezogen: "Schau du erst mal, dass du unser Niveau erreichst und es auch halten kannst!" Andererseits hatte ich ein wenig Speck angesetzt und wollte diesen nun auch loswerden. Immer wenn ich Shane, Melinarés oder ein anderes Mädchen aus meiner Klasse sah wurde ich neidisch; so eine perfekte Figur, top gestylt und doch so gut in der Schule. Mein Ehrgeiz war geweckt worden! "Viel Disziplin und Übung!", hatte mir Daniela zugezwinkert, als ich Melinarés und sie nach ihrem Geheimnis fragte. Ich stemmte mich in die Pedale, jetzt kam der Berg, den ich mir extra ausgesucht hatte, damit meine Oberschenkel auch von meinem Training profitieren konnten. Ich dachte daran, wie ich später am Computer sitzen und mir die Partybilder von gestern anschauen würde, als plötzlich mein Fuß von der Pedale abrutschte und ich eine Rolle über meinen Lenker schlug. Natürlich fuhr ich gerade an einem kleinen Abhang, wo ich jetzt runter kullerte und mir an ein paar Dornenbüschen Arme und Beine mit kleinen roten Striemen verzierte. Ich lag vielleicht eine Minute so da und dachte noch daran, wie das nur passiert sein konnte, als schon jemand zu mir her gerannt kam. "Bist du okay?" "Mir is schwindelig...", stöhnte ich und merkte, wie dieser Jemand versuchte mir aufzuhelfen. "Und sonst? Hast du irgendwelche Schmerzen?" Ich sah ihn an und wollte etwas Ironisches sagen wie "nein, ich bin ja nur von dem Hang gerollt und habe mich überall geritzt, aber sonst geht’s mir gut!", als ich in zwei bernsteinfarbene Augen blickte. Mir lief der Schauer über den Rücken und eine Gänsehaut machte sich auf mir breit, während ich leise vor mich her wimmerte:" J...ja, mein Bein tut ein bisschen weh..." Gabriell setzte mich auf und tastete meine Beine ab. "Welches? Das hier?" "N...n...nein das linke", meinte ich und unterdrückte einen schmerzenden Schrei, "da, genau da…autsch!" "Sorry!", entschuldigte er sich gleich und lächelte leicht, "ich habe ein umgekipptes Rad da oben gesehen und geschaut, ob jemand hier gestürzt ist. Warst anscheinend du?", erkundigte er sich und blickte zu mir auf. "Ich bin noch nicht so gut darin...im Abrollen versteht sich", erklärte ich Gabriell und erwiderte seinen Blick. "Tut‘s hier weh? Oder mehr am Knöchel?" "Knöchel." Ich bemerkte, dass er, trotz das es schon Ende November war, immer noch im Sweatshirt herumlief. Ich sah eine Halterung für den MP3-Player am Arm, anscheinend joggte Gabriell am Wochenende? Glauben würde ich es gern, es erklärte zumindest warum er immer mit Sporttasche herumlief und abends nie mit auf Tour war. "Geht's wieder? Nach so einem Sturz ist man meistens ein wenig benommen und vor allem nach so einem", erzählte er mir und zeigte auf den Abhang. Ich folgte mit meinen Blick in die Richtung die er zeigte und bemerkte, dass dieser eigentlich gar nicht so kurz gewesen war. Oben auf der Straße lag mein Rad, wo sich der vordere Reifen immer noch drehte. "Oh...doch so ein Stück...?" "Meinst du, dass du aufstehen kannst?", fragte Gabriell schon fast fürsorglich besorgt. "Ja." Er reichte mir seine Hand und half mir auf die Füße, welche aber sofort wieder nachgaben, da sie immer noch vom Anblick seiner Augen so weich waren. Ich knickte nach vorne weg und fiel in seine Arme an seinen Körper, wo ich mich ins Oberteil krallte, um nicht abzurutschen um auf Hüfthöhe zu fallen. Er roch verdammt gut nach Wald und Wiese und ein bisschen nach männlichem Schweiß. So vergrub ich mein Gesicht in seiner Brust, damit er nicht merkte wie ich rot anlief und nochmal an ihm roch. "Sicher, dass du aufstehen willst?", fragte er leicht verlegen und packte mich an den Schultern, um mich gerade hinzustellen, "du wirkst etwas benommen?" "N...nein, mir geht es wirklich gut! Danke ich glaube ich fahre wieder heim..." Er zog eine Augenbraue hoch und musterte mich ganz genau, wahrscheinlich sah er jetzt auch, wie meine Hose voller Erde war und leicht in Fetzen hing. "Du bist ganz schön blass um die Nase, ich denke du setzt dich wieder hin...?", schlug er vor und deutete auf den Rasen. Er bemerkte natürlich auch, dass ich meine Finger in sein Oberteil gekrallt hatte und dass er mich wiederrum an der Schulter festhielt. Der folgende Blick sprach Bände... "Ja, ich bin abgerutscht und hier runter gefallen...ich weiß! Aber du hast super erste Hilfe geleistet und mit mir gewartet", erklärte ich Gabriell und löste langsam meinen Griff aus dem Oberteil um mich dann alleine hinzustellen. Der falsche Engel erkundigte sich noch mal nach meinem Befinden und fragte wie ich jetzt nach Hause kam. "Ich fahre, wie denn sonst?" "Fahren? Du?" Gabriell lachte und hielt sich den Bauch. Ich stemmte eine Hand in die Hüfte und versuchte ihn düster anzuschauen. So viel dazu, dass ich ihn gerade noch netten Jungen nennen wollte... "Ich glaube kaum, dass du mit diesem Rad noch irgendwohin fahren wirst. Ich habe es mir genauer angeschaut...die Kette ist gerissen." "Dann laufe ich eben!", murrte ich und begann den Berg hinaufzuklettern, was mir nicht leicht fiel, da mein Knöchel immer noch schmerzte. "Komm...ich kann mitgehen, Clarissa! Du schaffst es nicht mal zweihundert Meter weit, bis du unter den Schmerzen zusammenbrichst!", rief mir Gabriell hinterher. Ich versuchte es zu überhören bis ich am Hang oben angekommen war. Nervensäge!, dachte ich mir und drehte mich dann zu ihm um. Gabriell wartete anscheinend, dass ich irgendetwas sagte oder etwas tollpatschiges machte, doch da musste ich ihn enttäuschen. Ich war froh darüber, dass er mir geholfen hatte, aber er bewies wieder mal, dass Gabriell doch nur ein Mann war... "Ach ja, bevor ich es vergesse: danke für deine Hilfe!", rief ich ihm dann doch runter. Er winkte kurz und ich hätte mir gewünscht, dass er mich noch mal fragte, ob er mich heim begleiten sollte, denn irgendwie wäre Gesellschaft nicht schlecht bei einem Marsch von knapp zwei Kilometern und das mit schmerzenden Knöchel...und dem heraufziehenden Nebel… Dann humpelte ich zu dem Rad und es war wie Gabriell gesagt hatte...die Kette war gerissen. Ich kniff die Augen zusammen um den Schmerz besser zu ertragen, der sich plötzlich von meinem Knöchel aus verbreitete. Ich hob das Rad auf um es zu schieben und als Stütze zu nehmen, doch wie der falsche Engel mir prophezeit hatte knickte ich nach nicht mal zweihundert Metern ein und hielt mir den schmerzenden Knöchel. "Verdammt!", fauchte ich und zwang die Tränen zu verschwinden, welche sich in meinen Augenwinkeln angesammelt hatten. Ich hätte fluchen können, denn ich hatte natürlich nichts dabei kein Handy, kein Funkgerät...nichts! Und um den falschen Engel zu fragen, mich doch zu begleiten war ich zu stolz gewesen, also saß ich am Straßenrand und rieb meine Verletzung, in der Hoffnung sie würde schnell vorüber gehen. "Habe ich es dir nicht gesagt?! Keine zweihundert Meter schaffst du!", lachte er triumphierend. Ich drehte mich zu Gabriell um und war ihn einen giftigen Blick zu, worauf er wieder kicherte. Er kniete sich neben mich, legte meinen Arm um seinen Nacken und hob mich hoch. "Bist du wahnsinnig? Lass mich runter!" "Du hast Sendepause, Kleines!", meinte er und sah die Straße hinunter, "da lang?" Ich nickte nur und hielt mich an seiner Schulter fest. Die meiste Zeit sagten wir nichts, ich beschwerte mich noch zwei, dreimal, dass ich doch laufen konnte aber es brachte mir nicht viel. Nach einer dreiviertel Stunde sah ich zu ihm hoch und bemerkte ein besorgtes Lächeln auf seinem Gesicht. "Dank dir nochmal, dass du mir geholfen hast." Er blickte mit seinen bernsteinfarbenen Augen zu mir und grinste: "Kein Problem Clarissa." Ich spürte wie Gabriell durch die Nase schnaubte und kniff ihn aus Spaß in die Innenseite seines Oberarms. Vor dem Gartentor meines Onkels angekommen lief uns dieser schon in eiligen Schritten entgegen und erkundigte sich sofort nach meinem Zustand. "Es ist nichts schlimmes...", versuchte ich ihn zu beruhigen, doch schon allein die Tatsache, dass ich von einem fremden Mann heimgetragen wurde war ihm suspekt. "Was ist denn passiert?" "Die Kette ihres Fahrrads ist gerissen, Monsieur Ulmer", erklärte Gabriell und setzte mich wieder auf den Boden ab, wo ich mein linkes Bein schonend in der Luft hielt," und dadurch ist Clarissa abgerutscht und gestürzt." Die Blicke meines Onkels wanderten zu Gabriell, der wie eine Skulptur einfach nur reglos dastand. "Und...wer bist du?" "Das ist Gabriell aus meiner Klasse. Er hat sozusagen erste Hilfe geleistet", warf ich gleich ein. Frederik hielt eine Zeit lang inne, anscheinend verdaute er die Tatsache, dass ich wirklich von einem Mann den er nicht kannte heimgebracht worden war und das nach dem ich heute früh noch so geladen hatte. Schließlich entschied er sich die Situation als harmlos einzustufen und bedankte sich bei Gabriell. Er wollte ihn sogar einen Kaffee oder Tee anbieten, welchen dieser jedoch ablehnten, er hätte noch viel zu erledigen. "Ach so...na dann trotzdem nochmals danke, dass du meiner Nichte geholfen hast!" Der Junge grinsten mich nur vielsagend an und ich verstand sofort Gabriells nicht ausgesprochenen Worte: Du bist mir was schuldig! Ich konnte nur die Augen verdrehen und mit meinen Onkel mit humpeln. "Wir hatten uns schon langsam unsere Gedanken gemacht, da du sonst nie über zwei Stunden brauchen würdest und gerade als ich mein eigenes Rad holen und nach dir schauen wollte kamt ihr auch schon angelaufen. Geht’s mit deinem Fuß?", erzählte Frederik und gab mir im Wohnzimmer einen Eisbeutel. "Ja, es zieht ein kleinwenig aber ich glaube ich werde es überleben." "Deine Tante weiß von dem nichts. Sie ist mit Juliens Mutter in die Stadt gefahren, um für morgen Kuchen zu kaufen. Ich denke wir belassen es auch dabei, ihr zu enthalten, dass du so arg gestürzt bist. Sie würde sich sowieso nur übertrieben aufregen, es reicht schon wenn ich das mache!" "Is gut", grinste ich breit und legte das Bein hoch, "wieso kaufen sie Kuchen?" "Weißt du das denn nicht mehr? Morgen ist der 30. November." "Ja…das weiß ich, wir haben ja mehrere Kalender im Haus." Frederik schaltete den Fernseher ein und zippte auf den Sportkanal: "Morgen ist Juliens Geburtstag. Wir sind eingeladen…" *** Es ist weit untertrieben wenn ich sage, dass ich kaum Zeit vor dem Kleiderschrank verbracht hätte, während ich mein Outfit für Juliens Geburtstagfeier aussuchte. Auch wenn ich ihn schon seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte, verspürte ich den Drangt ihm doch irgendwie zu gefallen. Anna und Frederik machten sich da weniger verrückt, sie kannten Marie und Sean seit ihrer Jugendzeit und hatten Julien aufwachsen sehen, da konnte man natürlich auf der Feier auftauchen wie man gerade lustig war. "Mach dich doch nicht so verrückt, Clarissa!", hatte Anna zu meinem Dachboden gerufen, "ihr seht euch nach fünf Jahren das erste Mal wieder, da ist es nicht ausschlaggebend, wie du aussiehst!" "Wenn du wüsstest!", hatte ich erwidert. Am Ende stand ich vor der Entscheidung ob ich ein hellblaues T-Shirt anziehen würde oder ein zimtfarbenes. Frederik saß bereits im Auto, Anna schloss gerade die Haustür ab und ich spürte, wie sich tausende kleiner Schmetterlinge in meinem Bauch breit machten. Wie würde Julien jetzt aussehen? Hatte er Pickel bekommen, wie die Jungs in seinem Alter, wuchsen ihm schon erste Barthaare, oder waren aus den zwei Augenbrauen bereits eine geworden? Ich verdrehte innerlich die Augen und schimpfte mich selber aus, weil ich mir solche Gedanken darüber machte, wie mein Sandkastenkumpel ausschauen würde. Es fielen schon kleine Schneeflocken, als wir nach einer halben Stunde Autofahrt am Haus der Minuarés ankamen. Anna reichte mir das Geschenk und zwinkerte mir zu: "Ich denke, er freut sich mehr wenn er es von dir bekommt." "Du könntest mich vorwarnen und mir sagen, was er überhaupt bekommt...", raunte ich, denn wir standen schon vor der Tür und hörten Stimmen von drinnen. Wir waren nur zum Kaffee eingeladen worden, doch wie ich Sean und Marie kannte würden sie uns doch bitten, noch bis zum Abendessen zu bleiben. "Ein silberner Porsche als Modellauto im Maßstab 1:18." "Hätte ich mir ja eigentlich auch denken können..." "Warum fragst du dann?", lächelte Frederik. Just in diesen Moment machte uns Sean die Tür auf und breitete strahlend die Arme aus: "Hey! Freddy, Anna! Schön euch zu sehen!" Er umarmte die beiden und sah mich dann leicht verwirrt an: "Clarissa? Bist du das?" "Hi, Sean", begrüßte ich ihn und reichte ihm die Hand. Davon hielt dieser jedoch nicht viel und umarmte mich ebenfalls. Wir betraten die Wohnung und mir stieg der Geruch von Kaffee und Kuchen in die Nase, vom Wohnzimmer zu meiner linken trat ein blonder Junge heraus, mit dem Rücken zu uns. "Na Geburtstagskind?", begrüßte Anna den Jungen, welcher sich Schlagartig zu uns umdrehte. Die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten Tango, als ich meinen Freund aus Kindertagen vor mir stehen sah...Julien war kein kleiner Knirps mehr, dem ich mal stolz über den Kopf schauen konnte, sondern jetzt konnte er es bei mir machen. "Hallo Anna! Hi Frederik!", begrüßte er die beiden und wie sein Vater machte er kurz bei mir Halt. "Hey Julien, kennst du Clarissa noch?", grinste Anna und sah von ihm zu mir. "Clarissa?", fragte der Junge noch mal nach und schaute mich mit großen Augen begeistert an, "wirklich?" Ich nickte wie in Zeitlupe und horchte seiner Stimme. Sie war angenehm, nicht zu hell und nicht zu rau. Zum Glück hatte ich ein langärmliches Oberteil an, so konnte Julien wenigstens nicht meine Gänsehaut sehen, die ich bekam, als er mich umarmte und ich den Duft seines Aftershaves tief in die Nase einzog. Wahnsinn..., dachte ich benommen, und erwiderte die Umarmung. "Das ist die schönste Überraschung, die mir heute beschert wurde!", freute sich Julien und begutachtete mich jetzt genau, "du siehst toll aus!" "Danke", lächelte ich charmant und warf Anna einen vielsagenden Blick zu, diese verdrehte die Augen und widmete sich Marie und den anderen Gästen im Wohnzimmer. "Ich habe gehört, dass du jetzt an meinem Gymnasium bist. Gefällt's dir?" "Ja, es ist nicht schlecht, den Stoff habe ich auch schon gut aufgeholt...eine Freundin hilft mir dabei." "Hm...ich hatte ein Vorstellungsgespräch an meiner Uni, weswegen ich die zwei Wochen nicht da war. Ich musste dort zum Unterricht gehen, damit die Lehrer sehen, wie ich mitkomme..." "Und?" "Sieht nicht schlecht für mich aus", grinste Julien, "ist zwar viel weniger Zeit für privates aber ich denke, dass muss ich nun mal in Kauf nehmen." "Ich habe mich noch gar nicht für eine Uni entschieden, Anna und Frederik drängen mich nicht so wie deine Eltern." Julien nickte und belächelte meine Aussage: "Sie wollen das Beste für mich, da ich ja ihr einziges Kind bin. Ich weiß, dass sie es nur gut meinen, doch es nervt langsam." "Wie wahr." "Kommst du mit in mein Zimmer? Dann kann ich auch gleich das Päckchen aufmachen." Plötzlich hatte ich wie einen Kloß im Hals und eine Menge Bilder im Kopf. Während Julien bereits die Hälfte der Treppe emporstieg schüttelte ich mich kurz und dachte daran, wie wir uns nach all den Jahren näher kommen würden...und noch näher und noch näher... Nein!, schimpfte ich mich selber, so einer kann Julien gar nicht geworden sein! "Ähm...Clarissa? Alles klar?" "J...ja." Als könnte er meine Gedanken lesen grinste er breit und meinte: "Keine Angst, Mädchen...ich beiße nicht!" Juliens Zimmer war typisch männlich eingerichtet: ein Schreibtisch, wo ein Laptop eingeschaltet stand, ein Bett, schlichte Vorhänge am Fenster und eine Glasvitrine, wo er eine kleine Sammlung von Modellautos besaß. Boden und Tapete waren ebenfalls schlicht gehalten, Poster waren großzügig verteilt worden. "Nicht schlecht", grinste ich ihn an, als ich mit meiner Inspektion fertig war, "so hatte ich es fast noch in Erinnerung." "Ja, ich habe kaum was verändert...", seufzte er und sah sich auch noch mal um, "der Schreibtisch ist neu und das Bett habe ich verstellt...sonst ist noch alles wie damals." "Die Glasvitrine ist schön." "Danke." Ich begutachtete seine kleine Sammlung, während Julien sein Geschenk öffnete und schon fast wie ein kleiner Junge jauchzte, als er erkannte was es sein sollte. "Cool! Das neue Modell!" "Ich sag's dir gleich, dass es Frederik ausgesucht hat. Anna hat es verpackt und ich habe es dir übergeben!" Julien lächelte und begutachtete sein neues Spielzeug. Er freute sich wie ein kleines Kind, es war schon fast zu albern. Ich blickte zu dem Laptop und bemerkte, dass er das Forum mit dem Partybildern geöffnet hatte. Es juckte mich in den Fingern die Bilder des gestrigen Abends anzuschauen. "Julien?" "Hm?" "Darf ich mir die Bilder anschauen? Ich war gestern mit ein paar Freundinnen dort." "Klar, bedien dich", sagte er und stellte das neugewonnenen Auto in die Vitrine. Schon beim Seitenüberblick konnte ich vier Bilder sehen, wo Daniela und ich drauf waren. Ich klickte sie an um sie mir genauer anschauen zu können. Der Fotograf hatte uns gut getroffen, man bemerkte nicht, dass ich da schon gut gebechert hatte. Das nächste Bild war eines von Melinarés und Daniela, wo man nur meinen Rücken sah, als ich mir einen neuen Cocktail an der Bar holte. Dann bemerkte ich ein Bild, wo nur eine einzige Person drauf war und erinnerte mich an Danielas Kommentar, dass nie Bilder veröffentlicht wurden, wenn du alleine drauf abgebildet warst, es sei denn du hättest so eine sexy Ausstrahlung, dass die Manager sich die Finger nach dir leckten. Ich klickte auf das Bild und stutze. Shane stand da wie ein Supermodell: perfekte Haltung, geniales Styling, trotz dass es schon fast drei Uhr war. Und der Blick erst... "Oh, Shane ist wieder mal aufgetakelt erschienen...", bemerkte Julien und sah sich das Bild an. "Sie ist eine Granate...jedes Mal wenn sie das Klassenzimmer betritt meinst du, dass niemand außer ihr existiert. Alles ist ruhig und schaut auf sie. Du kannst gar nicht anders!", regte ich mich auf und schmunzelte. Ich hörte mich schon wie Daniela an. "Mag sein. Sie ist überhaupt nicht mein Typ und sie ist zickig." Ich lachte auf. Julien hatte sich kein bisschen verändert. "Sag mir mal was ich noch nicht über sie weiß!" Julien zog die Mundwinkel nach unten: "Sie macht alles, um dich in Grund und Boden zu rammen, wenn du ihr nicht passt." "Kann ich mir gut vorstellen...sie schaut mich immer mit ihren 'ich bin was besseres wie du und dass weiß du auch'- Blick an." Julien grunzte und schüttelte nur den Kopf: "Sie wäre so viel beliebter in der Schule, wenn sie nicht so eingebildet wäre." "Findest du sie nicht hübsch?" "Ich steh nicht auf eingebildete wie sie..." "Nein, ich meine jetzt nur vom äußeren her." "Tse! Nein danke." Ich lachte mit Julien über die Kommentare und über die, die noch kamen an dem Abend. Er hatte sich wirklich nicht verändert. Kapitel 3: Fragen über Fragen ----------------------------- "...und er hat erste Hilfe geleistet? Find ich ja mal total süß!", quietschte Melinarés, als sie mit mir und Daniela am Montag nach der Schule einen Kakao trinken ging. Ich hatte den beiden gerade von meinen kleinen "Unfall" am Samstagmorgen erzählt und nun wollten die Beiden natürlich Details. "Und, wie ist der 'falsche Engel' denn so?" Ich merkte, wie mein Gesicht heiß wurde und zögerte ein wenig, doch als auch Melinarés drängelte spuckte ich es doch endlich aus: "Er...er riecht gut." Die beiden tauschten einen vielsagenden Blick. "Jetzt mal ehrlich, Mädels! Ich finde es ausschlaggebend, wenn er gut riecht!", konterte ich geschickt. "Nach was roch er denn? Ich denke kaum, dass ein Mann gut riechen kann, wenn er gerade beim Joggen war...", fragte Daniela und sah mich über den Rand ihrer Tasse hinweg an. "Hm...er roch nach Wald." "Tse...die lassen sich immer wieder was neues einfallen!" "Jetzt hör doch auf, Dani...ich finde es klasse, dass sich Clarissa gleich nach knapp einen Monat verknallt!" "Ich habe mich nicht in Gabriell verknallt!" "Nein!", gaben die zwei langgezogen im Chor zurück. "Hört auf!" Ich schlug die Hände vors Gesicht um meine Röte nicht zu zeigen, doch Melinarés und Daniela wussten Bescheid und kicherten. "Ich sie nicht süß...wie sie es jetzt noch abstreitet?" Melinarés grinste nur weiter und nickte eifrig. Genau in diesem Moment trat Julien mit ein paar lachenden Kumpels in das Lokal, alle hatten ihre Krawatten gelockert, was ihnen jetzt einen kleinen Badboy Touch verlieh. Mein Freund aus Kindertagen erkannte mich natürlich sofort, auch wenn ich mit dem Rücken zu ihm saß. Er schien seinen Kumpels zu sagen, dass er nachkäme und schlenderte gemütlich zu uns rüber. "Ladys...", grüßte er charmant und lächelte dabei. "Hi Julien!", grüßten Melinarés und ich gleichzeitig. Der Junge schaute zu der Dritten im Bunde und seufzte:" Daniela..." "Julien..." Die zwei nickten sich kurz zu und Julien widmete sich wieder zu uns: "Ich mach dieses Wochenende einen kleinen DVD Abend bei mir zu Hause und wollte fragen, ob ihr nicht Lust hättet auch zu kommen?" "Sind deine Eltern wieder mal nicht zu Hause?", stichelte Daniela und schlürfte an ihrem Cappuccino. "Das auch, außerdem hatte ich am Samstag meinen 18." Julien verdrehte die Augen, beachtete sie jedoch nicht weiter. "Ach, du hattest auch wieder mal Geburtstag?" "Stell dir vor, alle 365 Tage." "Gibt es auch Alkohol an diesem Abend?", fragte Daniela ziemlich gleichgültig, immer noch ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. "Ich werde was besorgen, für die die nicht ohne können..." "Ich werde da sein!", versichterte Daniela und grinste ihn gehässig an. Der Junge widmete sich noch mal Melinarés und mir zu und verdrehte spaßhalber die Augen. "Wie gesagt, für die die nicht ohne ihn können besorge ich ein zwei Bierchen..." "Bier?", kam geschockt von Daniela, "Junge du veranstaltest einen DVD Abend und kein Saufgelagere!" Julien schlug eine Hand vor die Augen und stöhnte aus lauter Verzweiflung: " Bordeaux Chateau Maynard? Oder ziehst du lieber einen lieblichen Banyuls Mas Cornet vor?" "Hm...den zweiten bitte...und damit du's weißt: nicht wegen des Preisunterschieds von fast fünf Euro, sondern weil du mich gerade so gut beraten hast", zwinkerte sie dem Jungen zu. "Ich stell ihn schon mal kühl...", versprach Julien und sah zu mir, "kann ich auch mit deiner Anwesenheit rechnen? Es gibt nicht nur Action- und Horrorfilme!" "Diesen Samstag...ich denke, da kann ich was für dich freihalten, Julien", lächelte ich. Er erwiderte es und mir flatterten wieder die Schmetterlinge von Samstagabend im Bauch herum. Der Junge brachte Eisberge zum schmälzen... "Also ich geh dann wieder mal, die Jungs warten auf mich...Melinarés, Clarissa", Julien schielte wieder zu unserer bekennenden Weintrinkerin, "Daniela..." "Julien...", erwiderte diese und hob ihm die Tasse entgegen. "Tse", seufzte er, doch noch so laut, dass es Daniela noch hören konnte und deswegen eine lustige Grimasse zog. "Der is soooo goldig! Und nicht wegen seiner Haarfarbe die im Übrigen von den alten Germanen als 'golden' bezeichnet wurde..." "Geschichtsprüfung...?", fragte Melinarés halbherzig nach und aß einen Keks. "Am Donnerstag. Vier Seiten. Vier! Seiten!" "Du wirst es überleben..." Melinarés linste zu mir, "meinst du, dass du mit dem Stoff in Grammatik alleine zurechtkommst? Ich habe jetzt drei Mal die Woche Training." "Ja, ich habe mir genügend Notizen gemacht." "Denk dran, dass wir am Freitag eine Arbeit in Mathe schreiben, wegen der Weihnachtsferien!" "On man...ich hasse Mathe...und ich hasse diese Lehrerin! Wie kann man den Stoff nur so trocken vermitteln!", beschwerte ich mich und schob mir ebenfalls einen Keks in den Mund. "Du wirst es überleben...", wiederholte sich Melinarés. "Hm...meint ihr ich sollte unser Goldlöckchen mal anknabbern, jetzt wo er 18 ist?", grinste Daniela. "Ich dachte, er wäre dir zu jung?" "Nein, ich sagte dir damals, er wäre mir zu bubimäßig. Keine Muskeln...du siehst ja nicht mal sie Sehnen am Arm!" Ich grinste. Julien war nicht muskulös, mehr schlaksig und doch hatte er eine schlanke Figur. Doch irgendwo versetzte es mir einen Stich, als Daniela solche Scherze machte. Eigentlich sollte es mir egal sein, doch dafür kannte ich Julien schon zu lange. "Und?", fragte Daniela plötzlich und schaute zu mir. "Was ist?" "Was machen wir jetzt mit dir und deinem 'falschen Engel'?" "Was soll ich da schon machen? Ich kenne Gabriell nicht einmal richtig." "Er hat dich heimgetragen ganze zwei Kilometer, Mädchen!", beschwerte sich Dani und reichte der Bedienung ihre leere Tasse, "und außerdem schwärmst du so von seinem Körpergeruch und das er so nett zu dir war!" "Ja schon, aber auf der anderen Seite macht er ständig blöde Bemerkungen...er scheint nicht ernst bei der Sache zu sein..." "So sind Jungs eben! Sie schauen zuerst wie weit sie bei dir gehen können und dann zeigen sie ihr 'wahres Ich'." "Meinst du?", fragte ich sie unglaubwürdig. "Ich weiß es." Ich sah zu Melinarés. "Sie weiß es, glaub mir...Mädels ich muss los, mein Coach hat mich schon zwei Mal angeklingelt. Wir sehen uns morgen!" "Ciao!" "Tschüssi!" Wir sahen Melinarés solange hinterher, bis sie in den nächsten Bus eingestiegen und fortgefahren war. Daniela fuhr fort: "Und? Meinst du nicht, ihr zwei solltet mal anbandeln?" "Vielleicht macht er sich nur einen Spaß daraus, mich auf die Kippe zu nehmen und gleichzeitig den braven Nachbarsjungen zu spielen? Vielleicht bin ich gar nicht sein Typ?" "Um Himmels Willen, du machst dir ja wirklich Gedanken darüber! Hattest du überhaupt schon mal einen Freund?" "Dani!", ermahnte ich sie, "frag mich vielleicht noch lauter, die da hinten haben es nicht mitbekommen!" "Oh-mein-Gott...dann bist du ja noch völlig unschuldig!" "Daniela!" Das Mädchen mir gegenüber lachte munter auf und hielt sich den Bauch vor lauter Seitenstechen, während ich nur da saß und die Blicke der Passanten abbekam. "Sie fühlt sich nicht gut...", erwiderte ich als ein älterer Mann an uns vorbei ging und große Augen machte. Zehn Minuten später hatte sie sich wieder einigermaßen im Griff und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. "Sorry...das...oh man!" Daniela schnappte nach Luft, "es geht wieder...denke ich..." Sie lächelte mich an und musste wieder grunzen. *** Die Woche verging wie im Flug... Daniela schrieb ihre Geschichtsarbeit, während ich zusammen mit Anna oder Melinarés für Mathe büffelte und mir keinen Spaß erlaubte. Am Freitag nach der Schule schlurfte ich Richtung Bus und zog die Kapuze meines Mantels tief ins Gesicht. Es schneite mittlerweile richtig dicke flocken, welche auch gleich am Boden liegen blieben. Ich sah so gut ich konnte in den Himmel hinauf und bewunderte die vielen weißen Flöckchen bis ich bemerkte, dass Gabriell neben mir stand und breit grinste. „Sei ehrlich…du verfolgst mich, oder?“ „Eigentlich warte ich hier zusammen mit dir auf den Bus.“ „Melinarés hatte wieder Training und Daniela hielt nicht viel vom Bus. Sie fuhr lieber mit ihrem Auto... "Und, wie fandest du Mathe? Ich liebe Gleichungen mit Brüchen und Wurzel und was man da noch rein bauen kann!" "Ich hoffe, dass sich das stundenlange lernen bezahlt gemacht hat", erwiderte ich tonlos. Ich war vom Sportunterricht total gerädert und Volleyball schaffte mich sowieso. „Sport ist nicht dein Ding oder?“ „Nein…“, antwortete ich und überprüfte, ob ich eine neue SMS auf meinem Handy bekommen hatte. "Hab...ich was Falsches gesagt?", fragte Gabriell nach ein paar Minuten vorsichtig nach. "Nein, warum?" Wir stiegen in den Bus und ich hielt mich an einer der Haltestangen fest, während Gabriell die Schlaufe an der Decke bevorzugte. Er sah mich leicht niedergeschlagen an. "Weil du sonst nie so kurz antwortest." "Ach so...ich bin total fertig wegen Sport." "Solltest wieder mit dem Fahrradfahren anfangen", grinste er breit. "Damit du wieder Retter in der Not spielen kannst?", warf ich ihn an den Kopf. "Hm...mir hat es besser gefallen als du deinem Onkel gesagt hast, dass ich erste Hilfe geleistet habe." "So?" Er grinste nur und sah kurz aus dem Fenster bevor er fragte: "Wieso lebst du eigentlich bei Onkel und Tante? Ich habe gehört, dass du vorher an einem hochangesehenen privaten Gymnasium warst..." Ich starrte Gabriell groß und erschrocken an. "Wer hat dir...?" "Ach weißt du…man spricht über jeden und alles…da kann es passieren, dass der eine oder andere Gesprächsfetzen aufgeschnappt wird.“ Stille machte sich zwischen uns breit, wir hörten nur die Stimmen der anderen Businsassen um uns herum, bis Gabriell nachhakte. "Willst du nicht darüber reden?" "Meine Eltern lassen sich scheiden“, antwortete ich kurz und knapp, „mehr gibt’s da nicht zu erzählen...mein Bruder hat es schlau gemacht und studiert im Ausland, während ich nur die beiden Optionen dableiben oder zu Onkel gehen hatte." "Sie wollten dich zwingen, dass du dich für einen von beiden entscheidest, richtig?" "So in der Art..." "So haben es meine Eltern zumindest gemacht", erklärte Gabriell und wippte mit dem Kopf hin und her, "und ich durfte noch nicht mal entscheiden..." Wir stiegen aus und liefen an ein paar Einkaufhäusern vorbei. "Mein Großvater hat mich zu sich genommen und mich dann aufgezogen, nachdem meine Eltern beide das Sorgerecht für mich verloren hatten und ins Ausland gingen..." "Du bist bei deinem Großvater aufgewachsen?" "Hm...ja, ich war acht Jahre alt damals..." Er blickte zu mir und fragte warum ich hier schon ausgestiegen war. Blitzschnell sah ich mich um und erkannte, dass wir vor einer Turnhalle standen, wo ich noch nie vorher gewesen war. Shit!, dachte ich. Ich war so in das Gespräch mit Gabriell verwickelt gewesen, dass ich tatsächlich eine Haltestelle zu früh ausgestiegen war. "Oh..." "Oh? Das ist alles was dir einfällt?", lachte er und schüttelte den Kopf, "ehrlich Mädchen...du bist mir eine." Da kam mir der Satz von Daniela wieder in den Sinn. Sollte ich es versuchen, es aus ihm heraus zu kitzeln? Ich seufzte, was könnte ich schon verlieren? "Was bin ich denn für eine?", fragte ich und versuchte süß zu lächeln. "Naja...", begann Gabriell und hielt anscheinend inne, um seine Worte genau zu überlegen, "du bist ein weibliches Wesen mit braunen langen Haaren, dunkelgrünen Augen und einem Stockmaß von eins sechzig." "Eins fünfundsechzig!", verbesserte ich ihn. "Gut, dann eben so." "Mehr...nicht?" „Bist du ein außerirdisches Wesen, hm?“ Gabriell musterte mich mit großen Augen, anscheinend wusste er nicht so genau, worauf ich hinaus wollte. Dann nach zwanzig Sekunden machte es "klick" bei ihm. "Oh...", machte jetzt er und stemmte die Arme in die Hüfte, "verstehe! Das meinst du bist du für mich?" "Wenn du das meinst, was ich grade denke dass du meinst liegst du falsch!", erwiderte ich und nahm einen Schritt zur Seite Sicherheitsabstand. "Was sollte ich denn denken? Meinst du etwa ich steh auf dich?", grinste er und ging einen Schritt vorwärts. Der Schlag hatte gesessen. Während sich die Temperatur in meinem Gesicht dramatisch steigerte holte ich tief Luft, welche in meiner Lunge brannte, da es eisigkalt war. "Weißt du was Gabriell...ich dachte wir wären einigermaßen gute Kumpels und ich könnte Blödsinn mit dir machen oder was mit dir unternehmen, aber du hast mir gerade bewiesen, dass es nicht so ist. Du bist eben auch nur ein Mann!" „Eh…was?!“ Jetzt starrte er mich an und öffnete den Mund um zu protestieren, ließ es jedoch sein. Ich erwiderte eine Zeit lang seinen Blick, bis ich etwas hinter mir hupen hörte. Der Bus fuhr gerade wieder an die Haltestelle und der Fahrer zeigte auf mich, ob ich mitfahren wollte. "Also...man sieht sich Gabriell", verabschiedete ich mich und stieg ein. "W...warte mal...Clarissa!", rief er mir hinterher, doch ich beeilte mich um in den Bus zu kommen und konnte somit nicht mehr hören, was er noch zu mir sagen wollte… *** Anna war als einzige zu Hause gewesen und grinste mich breit an. "Was ist? Hab ich was ausgefressen?", fragte ich nach und hing meine Jacke auf. "Nein, ich habe hier etwas für dich, da du ja die ganze Zeit kaum was für dich tun konntest...sieh es als Belohnung für deine guten Noten." Sie überreichte mir einen Umschlag, in dem zwei Zettel waren, ein hellblauer und ein gelber. "Gutscheine? Für mich? Oh, Tante du bist super!" "Einer ist für die Wellness Oase in der Stadt. Jetzt hast du ja Ferien und ich denke kaum, dass du in der Zeit nur lernen möchtest. Also habe ich mir gedacht, dass es dir auch mal gut tun wird, mal abzuschalten." "Und der zweite...oh? Für einen Haarschnitt", las ich und sah dann zu Anna. "Falls du mal auch dein äußeres verändern möchtest, da du jetzt ein anderes Inneres hast." "Vielen Dank, Anna!", lachte ich und umarmte sie, "den für die Oase werde ich morgen gleich einlösen...ich denke, wenn ich früh hingehe schaffe ich es noch rechtzeitig zu Julien!" "So? Ihr habt was ausgemacht?" "Er gibt morgen einen DVD Abend und hat ein paar Freunde eingeladen." "Dann wünsch ich euch viel Spaß dabei. Wirst du bei ihm übernachten, oder wie kommst du wieder heim?" "Ich werde von einer Freundin mitgenommen", grinste ich und hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Ich hatte null Ahnung, wie ich heimkommen würde, zum Laufen war es zu weit und um die Zeit fuhr auch kein Bus... *** "Cool, ein Wellnessgutschein...ich bin morgen auch da, mit meinem Freund!", lachte Daniela noch am selben Abend am Telefon. Ich war überrascht, sie hatte mir noch nie von ihm erzählt. "Schämst du dich so sehr für ihn, dass du ihn uns noch nicht vorgestellt hast?" "Nein nein...wir sind erst seit zwei Wochen zusammen...er hat mich morgen auf einen Chilltag in diese Oase eingeladen...ist das nicht süß?" Sie quietschte vergnügt am Telefon, wie ein kleines Kind, dass ein neues Spielzeug bekommen hatte. "Dann sehen wir uns morgen...ach Dani?" "Hm...was ist?" "Du kommst morgen sicher mit dem Auto, oder?", fragte ich vorsichtig an, in der Hoffnung sie könnte mich mitnehmen. "Hm...ich werde von Mike gefahren. Meinem Freund." "Ach so...holt er dich auch wieder?" "Ich geh mal stark davon aus, dass er mit mir da bleibt. Julien hat nichts dagegen nachdem ich ihm versprochen habe, dass wir ganz brav bleiben." Sie lachte wieder. "Ihr...übernachtet dort?" "Ja...wieso? Traust du dich nicht?" "Aber...ich weiß nicht..." "Du traust dich doch nicht!" "Verdammt, ich weiß nicht!", fluchte ich und rannte in meinem Zimmer herum, sammelte Klamotten auf und schmiss diese ein paar Meter wieder auf den Boden, "ich bin so durch den Wind deswegen!" "Frag doch Gabriell ob er dich heimfahren kann?" "Ich dachte er kommt nicht?" "Tut er auch nicht. Noch nicht!", meinte Daniela und fuhr fort, "ich habe Julien auch noch mal gefragt ob es ihm was ausmacht, dass Mike mitkommt...frag du ihn doch auch, ob Gabriell mitkommen kann?" "Ist nur der große Unterschied, dass Mike dein Freund ist. Und Gabriell...er..." "Ihr habt euch gestritten, stimmt's? Und das noch bevor ihr überhaupt zusammen wart..." "Nicht unbedingt gestritten...", erwiderte ich und überlegte für ein anderes Wort, "sagen wir lieber, dass wir aneinander vorbei gesprochen haben..." "Also doch gestritten." "Dani!" "Hör zu, ich weiß von Mike…der im Übrigen ein guter Kumpel und Teamkollege von Gabriell ist, dass dieser immer nach dem Training noch mal ein paar Bahnen schwimmen geht. Und jetzt rate mal, was die beiden morgen haben!" "Training?" "Frag ihn er wird sicher nicht nein sagen!", meinte Daniela und verabschiedete sich. Nun stand ich da und überlegte...sollte ich Gabriell morgen mitnehmen oder sollte ich auf gut Glück bei Julien übernachten? Ich schüttelte nur den Kopf und wählte Juliens Nummer in das Telefon. Was sollte schon in beiden Fällen großartig passieren? Julien war ein guter Freund und was Gabriell betraf, er hatte mir heute bewiesen, dass er doch nichts für mich empfand... "Minuaré?", meldete sich Sean am anderen Ende. "Hallo, hier ist Clarissa. Ist Julien gerade in der Nähe?" "Oh, hallo Clarissa, natürlich ich rufe ihn...sag einen schönen Gruß an Frederik und Anna!" "Mach ich..." Ein paar Sekunden später hörte ich Juliens Stimme am Hörer, er fragte besorgt ob etwas passiert sei, oder ob ich mich um entschieden hätte. "N...nein, alles in Ordnung. Hör mal, ich habe gehört, dass Dani ihren Freund mitbringt..." "Mike, ja...ich werde wohl doch die Couch ausziehen und das Luftbett aufblasen müssen...", meinte Julien und kicherte, "willst du auch noch jemanden mitbringen? Jetzt macht es eh nichts mehr aus ob einer mehr oder weniger kommt..." Ich strahlte förmlich und machte einen halben Freudentanz in meinem Zimmer. Dann hatte sich diese Situation erledigt. "Ja, ich wollte Gabriell noch mitbringen...wenn es geht?" "Gabriell? Der große mit den gelben Augen?" "Bernsteinfarben", berichtigte ich Julien. "Hm...ja von mir aus." "Oh danke Julien! Du bist super!" "Wenn du es sagst", lachte er. *** Das warme Massageöl fühlte sich super an, als es von der Frau auf meinen Rücken verteilt und einmassiert wurde. Ich spürte wie mein verspannter Rücken und meine Schultern unter ihren Händen weichgeknetet wurden und wie eine zweite Frau sich an meinen Füßen abreagierte. Ich würde Anna abknutschen. So etwas hatte ich dringend nötig jetzt nach der langen und stressigen Lernperiode. Das Niveau hatte ich einigermaßen erreicht und war auch mit der ersten Englischarbeit ziemlich zufrieden gewesen. Auch mein Lehrer Herr Belbadarie hatte mich gelobt, dass ich in so kurzer Zeit so gut mitkam. Dafür hatte ich Melinarés einen Drink ausgegeben als Dank, dass sie so viele Nerven für mich aufgeopfert hatte. "Hab ich doch gern gemacht, Süße...", hatte sie mir entgegen gelächelt und mich umarmt. "Ich hätte echt nicht gedacht, dass ich es so schnell schaffe! Das habe ich nur dir zu verdanken!" Daniela räusperte sich und ich umarmte sie: "Dir natürlich auch mein Schatz!" "Möchten Sie auch von Vorne massiert werden Mademaoiselle?", fragte die erste Frau leise. "Oh...wenn dann schon richtig, oder?", döste ich schon fast. Ich drehte mich auf den Rücken und merkte, wie die Frau an meinen Oberschenkeln begann. Irgendwie schoss die Röte in mein Gesicht obwohl sie auch nur eine Frau war. Ich lag nicht jeden Tag oben ohne vor einer fremden Frau und wurde auch noch von ihr massiert... Nach einer Stunde wurde die Massage beendet und man sagte mir ein kurzer Abstecher ins Thermobecken wäre nach so einer Massage ein Muss! Als zog ich mein Bikinioberteil wieder an und marschierte Richtung Thermobecken. "Hey, Clarissa!" Ich blieb abrupt stehen und kniff die Augen zusammen. Nein! Den hatte ich vollkommen vergessen! Ich drehte mich in der Hüfte um und versuchte unschuldig zu grinsen. "Hallo Gabriell...was geht ab?", grüßte ich verlegen, "du…verfolgst mich wirklich oder?" Er grinste schief da ich die gleichen Worte wie er gestern benutzte und kam mir mit einem Handtuch entgegen. "Naja ich schwimm nach dem Training immer ein paar Runden hier...ist auf dem Weg zu mir nach Hause und eine gute Methode mich abzureagieren. Und du? Ist...das ...Öl?", fragte er schon fast begeistert und strich über meinen Arm. "Ja. Ich hatte einen Gutschein für eine Massage und gehe jetzt ins Thermobecken...hey lass das!" Er grinste nur und hörte auf seinen Arm an meinen zu reiben und fragte: "Was...dagegen, wenn ich mitkomme? Ins Becken meine ich." "Wieso fragst du mich das?" "Naja, nach der Ansage von gestern...", meinte er verlegen und rieb sich den Hinterkopf. "Schau mich nicht so an! Der Dackelblick zieht bei mir nicht!", zischte ich, "von mir aus..." Gabriell zwinkerte mir nur zu und rubbelte seine kurzen Haare trocken. Während das Handtuch seinen Blick vor mir verbarg konnte ich seinen Sixpack begutachten. Verdammt sieht der Kerl gut aus, dachte ich und begutachtete ihn weiter. Was mir nicht auffiel war, dass er seit zehn Sekunden meinen Blick erwiderte. "Dir...gefällt anscheinend was du da siehst?", grinste er breit. Ich zuckte zusammen, weil er mich auf frischer Tat ertappt hatte und lief knallrot an. "W...wie kommst du darauf? Einbildung ist auch Bildung, wusstest du das?" Gabriell grinste noch breiter:" Es gefällt mir, wie du dich immer so künstlich aufregst." "W...w...Was?" Jetzt lachte er und hielt sich den Bauch. Ich stand da und wäre am liebsten im Erdboden versunken. "Siehst du, genau das meine ich!" "Oh du! Hör auf damit Gabriell!" Er kicherte noch ein bisschen vor sich her, während wir zusammen zum Thermobecken gingen. Von dort kam gerade Daniela mit ihrem Freund, guckte zu mir, dann zu Gabriell. Ihr Mund wurde ein breites Grinsen und sie streckte mir beide Daumen nach oben entgegen, während Mike seinen Arm um ihre Hüfte legte und ihr einen Kuss auf die Stirn gab. So viel zu "wir sind erst seit zwei Wochen ein Paar"... Gabriell ging vor mir ins Becken und drehte sich gleich wieder zu mir um. Seine Miene verzerrte sich zu einer Grimasse und er schlug spaßhalber mit der Faust auf die Wasseroberfläche. Ich grinste. Gabriell blickte zu mir auf, da ich noch auf der Treppe ins Thermobecken stand und schien eine ernste Miene zu machen. „Was ist los?“, fragte ich ihn und folgte weiter ins tiefere Wasser. „Naja…“, überlegte er und verzog das Grinsen zu einem gequälten Lächeln, „ich habe…ehrlich gesagt ein schlechtes Gewissen wegen…gestern…“ „Ohje…“ „Jupp. Ich habe das nicht so gemeint…wie ich…“ „Danke…“, fiel ich ihm ins Wort, „ich weiß was du meinst und ich will das einfach vergessen wird…okay?“ Gabriell nickte und schwamm eine Runde, während ich mich auf meine Treppe hockte, so dass das Wasser mir fast bis zum Hals ging. Was sage ich ihm jetzt?, dachte ich schon fast verzweifelt. Eigentlich war er ja ganz nett und er konnte Kontra geben...Wieso machte ich es mir mit ihm bloß so schwer...? Als Gabriell von seiner Schwimmübung zurückkam sah er mein bedrücktes Gesicht und fragte: "Alles okay?" Ich schreckte abermals hoch und nickte nur. "Alles okay..." "Du hast auch ein schlechtes Gewissen wegen gestern?", lächelte er und schwamm ganz nah zu mir hin, nur den Kopf aus dem Wasser ragend. "Und wie kommst du auf die Idee?" "Deine bekümmernde Miene von gerade, du läufst rot an...das sind alles Anzeichen...!", grinste er, doch ich tauchte seinen Kopf unter, sodass er den Satz nicht zu Ende sagen konnte. Als er wieder auftauchte lachte Gabriell schallend und fügte hinzu: "Diese Aktion! Böses Mädchen!" "Nervensäge..." „Böses! Mädchen!!“, lachte er und schwamm wieder zu mir her, nahm aber dieses Mal einen gebührenden Sicherheitsabstand von zwanzig Zentimetern ein und fragte erneut: "Willst du mir nicht vielleicht doch sagen was dich bedrückt, oder ist das so eine Mädchensache?" "Wieso willst du das überhaupt wissen?" „Wieso denn nicht?“, grinste er breit. „Stalker müssen nicht alles Persönliche über ihre Opfer wissen…wusstest du das nicht?“ „Oh man…geht das schon wieder los?“ „Es hat niemals aufgehört“, lächelte ich. "Wieso ist das für dich so schwer zu verstehen?", warf er mir an den Kopf und zwinkerte erneut. Ich öffnete meinen Mund, um irgendetwas Ironisches zu sagen, doch da war sein Gesicht schon kurz vor meinem. Ich erschrak so heftig, dass mein Körper sich nicht mehr bewegen konnte, mein Blut stockte und kalter Schweiß rann mir über die Stirn. Alles spielte sich wie in Zeitlupe ab; Gabriell kam meinem Gesicht immer näher, sein breites Grinsen wurde zu einem schmalen Schmunzeln und er schloss seine bernsteinfarbenen Augen. Erst da wurde mir bewusst, was Gabriell gerade eigentlich wirklich versuchte. Oh mein Gott... "I...ich muss los!", rief ich plötzlich und sprang aus dem Becken. "Was? Warte mal!" Ich hastete in die Schwimmhalle und suchte nach meiner Tasche, holte den Schlüssel heraus und lief so schnell es mir die glatten Fliesen erlaubten zu meinem Spint. "Ich bin so dumm, ich bin so dumm, ich bin so dumm...verdammt!", raunte ich vor mir her, als ich versuchte den Schrank aufzuschließen und mir der Schlüssel herunterfiel. Als ich mich bückte um diesen aufzuheben stieß ich mit Gabriell zusammen, der anscheinend dasselbe vorhatte. "Autsch!" "Wieso haust du jetzt plötzlich ab?", fragte er stand aber ganz brav neben mir und rieb sich die Stirn, "hab ich was falsch gemacht?" "N...nein es hat nichts mit dir zu tun...", stammelte ich und schmiss die Klamotten in eine Kabine, "ich muss mich noch zu Hause fertig machen für heute Abend und meiner Tante noch helfen..." "Ich könnte dich heimfahren?" Das überhörte ich elegant und schloss die Tür zur Kabine. Dort verschnaufte ich erst mal kurz und zog mich dann an, meinte Finger zitterten, sodass ich mich unheimlich blöd anstellte beim Schuhe zubinden. Ich löste das Haarband und meine braune Mähne fiel über die Schultern, während ich zum Ausgang schlenderte und die Fahrkarte für den Bus suchte. "Gerade eben hattest du's noch eiliger..." Gabriell saß bereits im Eingangsbereich, das eine Bein über das andere geschlagen und wartete grinsend auf mich. Ich seufzte nur und ging durch die Drehtür. "Du stalkst mich wirklich, habe ich Recht?" "Aber nur, weil du mir keine andere Wahl lässt...und weil ich dich heimfahre." "Über den zweiten Punkt habe ich mich noch nicht geäußert..." "Komm schon, ich habe es doch nicht böse gemeint...Clarissa! Warte!" Ich blieb so plötzlich stehen, dass mir Gabriell ins Kreuz lief, stolperte und zu Boden ging. Ich grinste nur und meinte: "Ich weiß ich bin umwerfend!" Er sah zu mir auf, blieb jedoch liegen und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich bleibe solange hier liegen, bis du mir erlaubst dich heimfahren zu dürfen!" "Dann hoffe ich aber, dass du eine warme Decke dabei hast, es soll heute Nacht ziemlich kalt werden", kicherte ich und winkte ihm nach unten, "bye!" An der Bushaltestelle las ich den Plan und stöhnte. Natürlich hatte ich ihn um Haaresbreite verpasst und nun musste ich eine Stunde warten bis der Nächste kam. Ich hockte mich auf die Bank und sah auf mein Handy. Eine neue Nachricht...diese war von Melinarés, welche mir schrieb dass sie doch nicht kommen würde sie hatte sich eine Grippe eingefangen. Toll! Jetzt war ich der hungrigen Meute ausgeliefert, während Daniela mit ihrem Freund wahrscheinlich kuschelte und nicht auf mich aufpassen konnte. Gerade noch überlegte ich Julien anzurufen um ihm auch abzusagen als eine Mutter mit Kind zu meiner Haltestelle kamen. "Mutti da liegt ein Junge auf der Straße!" "Geh ja weiter! Du weißt nicht, zu was diese Menschen fähig sind!" "Er sieht traurig aus, Mutti..." "Lass ihn liegen, wahrscheinlich ein Säufer, der es nicht rechtzeitig in seinen Karton unter die Brücke geschafft hat!" "Wird er sich nicht erkälten, Mutti?" "Lass das mal deine Sorge sein...komm mit, ich mache dir eine heiße Schokolade zu Hause..." Während das Kind jubelnd neben seiner Mutter herlief sah ich den Gehweg zurück, den ich vom Schwimmbad gekommen war. Ich seufzte abermals und schüttelte den Kopf. "Hat dich das Mittleid gepackt oder wolltest du nur sehen ob ich schon festgefroren bin?", fragte Gabriell zu mir als ich mich neben ihn in die Hocke begab. "Hm...was wäre dir denn lieber?" "Ich brauche kein Mittleid...", grinste er, "schon gar nicht von einem Mädchen wie dir, das wegen einer einfachen Frage davonläuft!" "Ich bin bei Julien zum DVD Abend eingeladen..." "Das hast du mir schon gestern gesagt." "Ich...ich wollte dich fragen ob du nicht Lust hättest...mit...mir dorthin zu gehen?" Kapitel 4: Fehlende Worte ------------------------- "Hey, Clarissa! Da bist du ja endlich!", grüßte mich Julien und umarmte mich herzlich. Als dann Gabriell neben mir in der Tür auftauchte stutze er kurz, erinnerte sich jedoch daran, dass er es mir erlaubt hatte, diesen mitzubringen und grüßte auch ihn. "Gabriell...schön, dass du Zeit gefunden hast." "Danke für die Einladung", erwiderte der falsche Engel und grinste. Daniela hüpfte mir entgegen und gab mir ein Bussi auf die Backe: "Hi! Schade, dass Melli nicht in der Verfassung ist...oh! Hallo Gabriell!" Der Junge, welcher gerade seine Jacke aufhängen wollte, guckte leicht überrascht zu meiner Freundin und schließlich zu mir. Dann erinnerte er sich daran, dass er sie erst vor knapp drei Stunden im Schwimmbad getroffen hatte und grüßte. "Bier ist in der Küche, Gabriell! Ich leih sie mir kurz mal aus!", lächelte Dani und hackte sich bei mir unter. Ich bekam nur noch mit wie Gabriell und Julien in die Küche schlenderten und die anderen Jungs ihn grölend begrüßten. Dani zog mich ins Badezimmer und grinste über beide Wangen: "Is ja cool! Du hast Gabriell mitgebracht! Shane wird Augen machen!" "Shane?", fragte ich schon fast entsetzt nach, "sie ist auch hier?" "Ja...einer der Jungs hat sie mitgebracht...ich glaube es war Marcel. Er ist der Kapitän der Volleyballmannschaft, wo auch Gabriell und Mike sind. Schatz sagte mal Shane hätte dem falschen Engel so lange nachgeschaut, dass Marcel sie zurück pfeifen musste. Also pass heute auf euch auf, Süße..." Na toll, dachte ich nur und begab mich ebenfalls in die Küche, wo Shane mir sogleich einen vielsagenden Blick zuwarf. „Ach…du auch hier…?“ „Japp“, ich grinste gehässig und nahm mir ein Bier aus dem Behälter neben dem Julien stand, „sogar mit persönlicher Einladung des Gastgebers.“ Julien guckte kurz etwas dumm aus der Wäsche, spielte jedoch perfekt mit. Oder ließ sich zumindest nicht anmerken, dass er gerade keine Ahnung hatte um was es ging. Gabriell kam um den Tisch zu mir gelaufen und grinste mich breit an. Ich grinste zurück und sah mir die anderen Gäste rundum an. Die meisten waren Jungs, welche zum Großteil in Gabriells Volleyballteam waren. Alle waren über 1,80 und ziemlich sportlich gebaut. Viele grinsten mich frech an, andere nannten mich sogar beim Namen und grüßten mich laut grölend. Ein hochgewachsener Junge mit blonden Haaren kam zu mir, er schwankte schon leicht und klopfte mir auf die Schulter: "Clarissa...ich bin Marcel...Im Namen unseres Teams bitte ich dich, gut auf unser Nesthäkchen aufzupassen!" Ich schielte zu Gabriell, welcher rot wurde und die Hand ins Gesicht schlug. Ich musste grinsen. "Ich geb mein Bestes, Marcel!", versicherte ich ihm und nahm vorsichtig die Hand von mir. "Verdammt, ihr zwei passt so gut zusammen!", lallte Dave und plötzlich spürte ich zwölf Blicke auf mich gerichtet, gespannt was ich erwiderte. Natürlich schwieg ich. Auch Dani und Mike standen im Raum und sahen mich groß und erwartungsvoll an. Dann nach gut dreißig Sekunden Stille geschah es, ich öffnete meinen Mund um etwas zu sagen. "Wir sind nicht zusammen!", ertönte es. Ich drehte mich zu Gabriell um, der mich genauso überrascht ansah wie ich ihn. "Ach so...", lallte Marcel wieder und widmete sich Shane, legte ihr den Arm um die Hüfte und küsste sie auf die Wange. Danach lachte er: "Wie gut, dass wir zwei uns gefunden haben, gell Schatz?" Shane erwiderte nichts. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt sich mit mir einen stillen Kampf der bösen Blicke zu leisten, dass sie ihrem Freund anscheinend gar nicht gehört hatte. Ich hatte mir schon vor einiger Zeit feste vorgenommen, mal ein kleines Gespräch mit ihr zu führen…irgendwann…musste nicht gleich sein…hatte keine Eile. Doch jetzt nach diesem Blickewettbewerb wusste ich, dass dieses Gespräch in einem Desaster enden würde und das wollte ich Julien nicht antun. *** Während die Jungs sich im Wohnzimmer verteilt hatten um einen Actionfilm zu schauen kuschelte und knutschte Daniela mit ihrem Freund in der Küche und ich saß auf einem Barhocker auf der Terrasse um in den Nachthimmel zu blicken. Die letzten beiden Filme, welche wir angeschaut hatten waren der Auslöser gewesen, dass ich brav auf der Couch gesessen und mir ein Bier nach dem Anderen zugeführt hatte. Als ich dann dringend aufs Klo musste merkte ich natürlich, dass ich heftig einen Satz zur Seite machte, wo mich Gabriell auffing und fragte ob alles okay sei. "Ich weiß nicht..." "Vielleicht gehst du besser mal an die frische Luft? Und das ohne Bier..." Dort saß ich nun und sah in den verschneiten Himmel hinauf. Ab und zu hörte ich die Jungs kichern oder jubeln, wenn der Film richtig spannend wurde...sonst hörte ich nur die Ruhe der Nacht, welche mich umgab. Das Bier, welches nun in meinen Adern zirkulierte brachte meine Stimmung auf eine ganz ungewohnte hohe Stufe, welche ich noch vom letzten Freitag her kannte. Ich hatte große Lust irgendetwas verrücktes zu tun worüber man noch tagelang reden würde, doch Gabriells letzte Warnung von vor einer Stunde hatte dazu geführt, dass ich brav sitzen blieb. "Du bleibst sitzen, bis du wieder klar denken und deutlich reden kannst!", hatte er mich ermahnt und auf den Barhocker gedrückt. "Isch kann doch klar...reden...und deutlich denken auch", lachte ich als Antwort. Gabriell warf mir einen eindeutigen Blick zu, den ich sogar in meinem Bierrausch verstand. "Ich sehe ab und zu mal nach dir, aber solange bleibst du hier brav hocken und verhältst dich ruhig! Die Nachbarn sollen nichts Unanständiges von dir denken!" "Okay..." Jetzt hatte ich meinen Salat. Vor ein paar Stunden wollte mich Gabriell noch küssen und ich hatte nichts Besseres zu tun, als aus dem Schwimmbad zu rennen wie eine Verfolgte und jetzt ließ mich mit Bier volllaufen, anstatt ihm zu sagen was ich bei dieser Sache empfand. Seit diesem "Zwischenfall" spielten meine Gefühle völlig verrückt, ich halluzinierte mir schon in manchen Momenten aus, wie Gabriell mir seine Liebe gestehen würde, denn nichts hatte ich mir seit unserem ersten Treffen sehnlicher gewünscht, doch dass ich dabei lallen und schwanken würde hatte ich nicht mit einberechnet. Die Stimmung zwischen uns beiden war von vorhin noch gekippt gewesen und jetzt noch das! Ich sah mich selbst als eine Niete in sowas und wie musste es erst für ihn sein? Ich hatte Gabriell einen Funken Hoffnung gegeben, als ich ihn bat, mit mir mitzukommen und danach fiel ich ihm wieder in den Rücken und behauptete vor seiner Mannschaft ich würde nichts empfinden. Dann brachte ich auch noch den Hammer mit dem Alkoholspiegel was ja voll sexy sein musste (im ironischen Sinne versteht sich) und jetzt wartete ich darauf, dass Gabriell nach mir sah und sich erkundete wie weit mein Blut den Alkohol verarbeitet hatte. "Oh, hier sitzt doch jemand", hörte ich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und erblickte Shane. Okay...? "Ich dachte du seist schon heimgegangen, da ich dich schon lange nicht mehr gesehen habe. Hier steckst du also..." "Wie du unschwer erkennen kannst", erwiderte ich und stellte erleichtert fest, dass ich nicht mehr lallte und keinen Drang mehr verspürte zu lachen. Shane schlenderte geschmeidig zu mir rüber, hielt aber knapp einen Meter vor mir an und lehnte sich an das Geländer, verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte herausfordernd: "Du...und Gape seit also nicht zusammen...?" "Gape?" "Gabriells Spitznamen kanntest du also noch nicht?", Shane grinste noch mehr, "und dabei stellt ihr beide euch so kindisch an…das ist schon lächerlich, wie ihr zwei euch aufführt." "Worauf willst du hinaus?", fragte ich sie tonlos. "Du kannst mir doch nicht weiß machen wollen, dass du ihn nicht mindestens genau so anziehen findest wie die ganzen anderen Mädchen in der Schule? Du bist entweder zu schüchtern oder einfach nur zu dumm um es ihm zu gestehen." "Und du?" „Ich…?“, fragte sie und zog herausfordernd beide Augenbrauen hoch. Shane schien nicht begeistert zu sein, dass ich auf ihre Beleidigung nicht anspielte, obwohl ich doch den Drang verspürte ihr an den Hals zu springen. Sie hakte die Daumen in die Gürtelschlaufen ihrer Jeans ein und meinte: „Ich muss gestehen…das ich ihm gegenüber nicht unbedingt abgeneigt bin.“ „Aber anscheinend bist du bereits in festen Händen…oder habe ich das vorhin mit Marcel falsch gedeutet?“ Shanes Augen wurden zu schmalen Schlitzen: „Das geht dich gar nichts an…“ Ich grinste fies. "Gape...wartet anscheinend darauf, dass eine von uns beiden ihre Gefühle gesteht…magst du es zuerst sagen? Ich lasse dir gerne den Vortirtt." "Klingst so, als hätten wir beiden eine Wette am laufen?" "Hm…nenn es nicht ‚Wette‘…Nennen wir es lieber ‚möge die Bessere gewinnen‘!" "Was willst du eigentlich von mir?", fauchte ich und stand auf. Es war mir egal, ob mir schwindelig wurde oder mein Mageninhalt die Speiseröhre wieder hochkroch. Shane übertrieb langsam und ich war nicht in der Stimmung mich mit irgendjemand zu streiten. Shane trat jetzt vor mich, sie kam so nah zu mir, dass sich unsere Fußspitzen berührten. "Ich will, dass wir beide das ein für allemal klären...", raunte sie und ich bekam eine Gänsehaut, „oder hast du Angst zu verlieren…?“ Diese Drohung hatte mich so überrascht, dass ich nichts zu erwidern wusste. In diesem Moment trat Gabriell auf die Terrasse, mit einer Tasse in der Hand und blickte uns verwirrt an. Shane und ich erwiderten seinen Blick sagten jedoch beide nichts. "Was ist hier los?", fragte er ruhig aber mit genügend Nachdruck. "Nichts...ich habe mich nur gerade nach Clarissa erkundigt…ihr scheint die kalte Luft gut zu tun. Und wir haben ein bisschen Smaltalk gemacht...nicht wahr, Clarissa?" Miststück!, dachte ich nur und nickte. Gabriell kam zu uns rüber und reichte mir die Tasse. Es war Kamillentee, welchen er anscheinend für mich gemacht hatte. "Danke..." "Und, wie geht's deinem Magen?", fragte er besorgt und schob Shane einfach beiseite, "dank dir, dass du dich ein bisschen um sie gekümmert hast...ich bin jetzt da und du kannst wieder zu Marcel." "Bitte?", fragte Shane ungläubig und zog die Augenbrauen hoch. "Er sucht dich anscheinend. Gib ihm keinen Grund aufzustehen..." "Was fällt dir eigentlich...?", fauchte Shane wurde jedoch von Gabriell in ihrem Satz unterbrochen. "ICH denke, dass es das Beste ist, wenn DU jetzt rein gehst. Dein Freund sucht dich." Die Blicke, die die beiden sich gegenseitig zuwarfen hätten ganze Städte ermorden können, doch schließlich gab Shane auf und stampfte nach drinnen. Gabriell und ich schwiegen noch kurz, bis er mir ein schon fast trauriges Lächeln schenkte. "Sie ist etwas...kompliziert...aber wenn du dich länger mit ihr beschäftigst, ist sie eigentlich ganz..." „Zickig? Hinterhältig? Falsch?“, schlug ich ihm vor und nippte an meinem Tee. „…in Ordnung wollte ich eigentlich sagen…“ "Was du nicht sagst", staunte ich und nahm einen weiteren Schluck. "Hat sie dich irgendwie beleidigt?" Ich verschluckte mich am meinem Tee und hustete leicht. Gabriell legte seine Hand auf meinen Rücken und fragte mich, ob ich mich lieber setzten würde. "Nein danke...", lächelte ich unbeholfen und schnappte nach Luft, "es...es geht schon wieder..." "Bist du dir sicher?" "Ja, Gabriell." Wieder trat kurzes Schweigen zwischen uns beiden auf, während er nach Worten zu suchen schien und ich weiter brav meinen Kamillentee trank. Von drinnen kamen Gelächter und irgendwelche unverständlichen Rufe zu uns ins Freie was die Stimmung nicht gerade besser machte. "Schöner Abend", meinte Gabriell plötzlich und legte verlegen die Hand in den Nacken. "Stimmt...", erwiderte ich und klammerte mich an die Tasse, "es schneit heute wieder stärker...wird später sicher richtig kalt...vielleicht bau ich ja morgen einen Schneemann?" Gabriell lachte und nickte mir zu. *** Daniela und Melinarés sahen mich fassungslos an, als ich ihnen erzählte was an dem Abend vor Weihnachten zwischen mir uns Gabriell passiert war. Zuerst schwiegen sie und überlegten was sie mir am besten sagen könnten, doch anscheinend kam ihnen kein effektiver Gedanke. Wir saßen zu dritt in unserem Stammcafé um uns über die Feiertage auszutauschen, was geschenkt worden war und dabei hatte ich von dem DVD Abend erzählt. Melinarés hatte aufmerksam zugehört bis zu dem Punkt als mir Gabriell den Tee auf die Terrasse brachte, danach wurden ihre grünen Augen immer größer. Daniela blickte mich ab diesen Moment ebenfalls groß an, sie war ja mit ihrem Freund und den anderen im Wohnzimmer gewesen. Als sie schließlich hörte, dass Shane sich eingemischt hatte wurde sie wütend. "Das kann doch nicht sein, dass dieses Miststück wirklich überall was zu sagen hat! Soll sie ihn doch endlich in Ruhe lassen, oder?" Melinarés legte ihre Hand auf meine und guckte zwischen mir und Dani hin und her, ziemlich verwirrt, wie ihr Blick mir verriet. Sie schwieg vorerst, doch ob sie nichts sagen konnte oder nicht wollte wusste ich nicht. "Wieso hast du es ihm nicht gesagt?", rief Daniela plötzlich und ließ mich zusammenfahren, "er küsst dich im Schwimmbad fast und du bist so blöd und lässt dich am DVD Abend zulaufen! Wie peinlich ist das?!" "Du warst auch nicht besser dran! Außerdem hast du mit einem Kerl rumgemacht, den du grade mal seit vielleicht drei Wochen kennst", gab ich zurück. "Hört auf, dauernd auf meinem Freund herumzureiten!" "Kannst du das auch?", fragte ich tonlos. Daniela sah mich gereizt an ich hatte schon Angst, dass sie sich gleicht über den Tisch lehnte und mir eine knallte. Doch Daniela tat nichts dergleichen...sie lächelte niedergeschlagen: "Verdammt! Jetzt bin ich zu stolz auf dich um dir böse zu sein..." Melinarés beugte sich zu mir und flüsterte: "Gut die Kurve gekriegt!" "Mein ich aber auch", kicherte ich zurück und trank meinen Kakao leer. "Und was hast du jetzt vor? Willst du Gabriell Shane überlassen?" "Was heißt hier überlassen? Er findet nichts an ihr." "Meinst du denn, dass er noch nie was an ihr gesucht hat? Immerhin wollte er dich küssen", fragte Daniela über den Rand ihrer Tasse hinweg. Ich blickte zwischen Melinarés und Daniela hin und her ohne etwas zu sagen und kam zu dem Entschluss, dass ich einfach nur seufzen sollte…was ich dann auch tat. Kapitel 5: Rosen- statt Bohnenranke ----------------------------------- Der Matheunterricht war für mich wie immer langweilig und unverständlich. Ich hatte mein Kinn bereits am Anfang der Stunde auf meine Faust geparkt und guckte gelangweilt an die Tafel. Auch das Mitschreiben machte mir keinen Spaß mehr, meine Hefteinträge schmierte ich einfach mal so hin musste sie jedoch neu schreiben als letztens Anna mein aufgeschlagenes Heft auf meinem Schreibtisch liegen sah. "So kannst du doch keine Einträge führen die dein Lehrer benotet!", hatte sie mir eingebläut, "schau, dass du das ordentlich erledigst, auch wenn du keine große Lust dazu haben solltest!" Mein Wochenende hatte ich schließlich damit verbracht meine ganzen Hefte aufzuarbeiten und zu verzieren. Belohnt wurde ich mit dann von meinen Lehrern mit einer eins, was mich wieder anspornte meine Hefte von Anfang an farbig zu gestalten. "Wenigstens kann ich somit meine Noten in den jeweiligen Fächern halten. Ich habe das Gefühl im Moment völlig abzusaufen!", jammerte ich, während Melinarés und ich in den Bus nach Hause stiegen. "Das nennt man eigentlich Winterdepression was du da grade hast", grinste sie und streichelte mir über die Schulter. Ich wollte ihr schon etwas entgegnen, doch in diesem Moment liefen wir an Gabriell vorbei. Er sah mir mit seinen bernsteinfarbenen Augen direkt in meine und ich bekam eine Gänsehaut. Sein freches Grinsen war verschwunden, er hatte allgemein eine völlig andere Aura um sich. Melinarés setzte sich neben mich und fragte mich, warum es plötzlich so kalt in meiner Nähe wurde. Ich warf ihr meinen Killerblick zu, doch wir mussten kurz darauf beide auflachen, so dass sich alle zu uns umdrehten. "Wir haben seit dem DVD Abend nicht mehr miteinander gesprochen...", klärte ich sie auf und hob die Augenbrauen. "Ah...und wieso nicht? Ich dachte ihr zwei wollt 'nur' befreundet sein?" "Wenn sich anschweigen und gegenseitig nichtssagende Blicke zuwerfen seine Vorstellung von Freundschaft ist, dann sind wir schon fast unzertrennlich!", grinste ich ironisch. Melinarés schmunzelte breit und schüttelte nur den Kopf: "Was habt ihr zwei eigentlich an dem DVD Abend genau angestellt?" „Ich habe euch schon alles erzählt…“ Nach gut zwanzig Minuten Busfahrt stiegen wir aus und schlenderten die Straße entlang. Wir redeten noch über das kalte Wetter und das es endlich wieder wärmer werden soll, als Julien von hinten angerannt kam und uns mit seinen Zahnpastalachen begrüßte. "Hi Mädels!" "Na du?", grüßten Melinarés und ich synchron zurück. "Was habt ihr zwei dieses Wochenende schönes vor?" "Auf keinen Fall machen wir einen DVD Abend!", wehrte ich lächelnd ab. Julien warf mir einen traurigen Blick zu: "Ja so schnell werde ich auch keinen mehr machen...meine Eltern waren auch nicht besonders erfreut so viele Bierflaschen im Haus anzutreffen..." "Kann ich mir gut vorstellen. Nachdem was ich zu hören bekommen habe", lachte Melinarés und erntete vielsagende Blicke von Julien. "Wenn es dir nichts ausmacht, Julien...ich muss meine Hefteinträge verschönern, sonst killt mich Anna." Mein Freund aus Kindertagen sah mich fragend an. "Warum schreibst du nicht gleich ordentlich?" "Weil ich mir lieber erst Notizen mache, damit ich im Unterricht auch mitkomme", seufzte ich. "Ich dachte immer, dass ihr Frauen Multitasking beherrscht?" "Es gibt immer eine Ausnahme...", raunte Melinarés ihm zu aber doch so laut, damit ich es hörte. Am Sportcenter trennte sich Melinarés von uns. Sie hatte im Winter zwar nur drei Mal die Woche Training davon lagen zwei Tage unter der Woche. Genau in diesem Moment, als Julien und ich weitergingen begann es wieder zu schneien. "Willst du unter den Schirm?", fragte er mich und zeigte auf den Regenschirm in seiner linken Hand. "Nein ist ja nur Schnee..." "Naja, ihr Frauen seid mit euren Haaren doch immer so empfindlich, oder?" Ich schielte aus dem Augenwinkel zu ihm rüber und versuchte grimmig zu schauen. "Ich? Empfindlich? Mit diesen Zotteln?" Julien grinste nur und packte einen zusammengefalteten Zettel aus der Tasche. Stolz hielt er ihn mir entgegen. "Was ist das?" "Lesen! Und sag mir was du davon hältst", forderte er mich auf und strahlte plötzlich wie ein kleines Kind an Weihnachten. Ich faltete den Zettel auseinander und da sprang mir die Überschrift auch schon entgegen, in Zartflieder und Schnörkselschrift. Darunter waren viele winzige Blumen gemalt oder geklebt worden. Ich sah Julien an und kicherte. Als er jedoch nicht mit in mein Kichern einstimmte und mich nur geduldig wartend anguckte verging mir mein Hochmut... "Das ist dein Ernst, oder?" "Es ist erst Ende April aber ich dachte je eher ich dich frage, um so mehr Zeit hast du zum nachdenken...?" ...und hier fiel ich auch schon. "Julien du bittest mich da nicht mit dir auf ein Stadtfest oder so zu gehen...sondern das ich mit dir auf...auf..." Mir fehlten zum ersten Mal das ich mich erinnern konnte die Worte. "Clarissa würdest du mit mir auf den Frühlingsball gehen?" *** Eigentlich dachte ich, dass mich außer Shane hier nichts überraschen oder aus den Latschen kippen könnte. Doch da hatte ich die Rechnung ohne Julien gemacht, meinen Freund aus Kindertagen. Als er mir gegenüber gestanden hatte und mich fragte, ob ich mit ihm auf dem Frühlingsball gehen möchte hatte Julien mich eiskalt erwischt. Wenn ich wirklich mit allen gerechnet hatte, nicht damit! Und vor allem nicht von Julien! Als wir da standen, der Schnee fiel leicht flockig vom Himmel und niemand außer uns war zu sehen wusste ich keine bessere Antwort auf Juliens Anfrage als: "Ich darf noch mal drüber schlafen...?" Am selben Abend hätte ich mich dafür ohrfeigen können ihm so eine Antwort zu geben. Ich war auf meinem Dachbodenzimmer auf und ab gegangen, so dass Anna und Frederik hochkamen und fragten, ob alles in Ordnung sei. "Ja ja...ich denke nur nach..." Natürlich war Julien Gentleman genug um auf meine Antwort kurz und bescheiden mit einem Lächeln zu sagen: "Lass dir solange Zeit wie du willst, Clarissa..." Natürlich war ich dumm genug um gleich danach wieder auf gut Kumpel mit ihm zu machen und ihm sogar ein paar Witze zu erzählen, die mit dem anderen Thema so gut wie nichts zu tun hatten. Seit dem waren vier Tage vergangen. Ich saß in der Kantine neben Daniela und Melinarés, während die beiden das neuste vom Neusten austauschten verschlang ich gerade mein Brot. "...und Mike hat mich anschließend gefragt, ob wir nicht zusammen auf den Ball gehen möchten! Ist das nicht romantisch! Melli, ich werde mir ein super cooles Kleid anziehen!", kreischte Daniela und wedelte wild mit den Händen. Ich zuckte bei dem Wort "Ball" fürchterlich zusammen, so dass meine Freundinnen ihr Gespräch unterbrachen und mich begutachteten. "Süße, ist alles in Ordnung bei dir?", fragte Melinarés und legte mir eine Hand auf die Schulter. "Ah, sie wird wahrscheinlich Schiss haben, dass sie niemand fragt, habe ich Recht?", grinste Daniela breit. "Halt du doch endlich mal dein vorlautes Maul!", zischte die Blondine neben mir, "klar wird sie jemand fragen!" "Mich hat schon jemand gefragt...", murmelte ich mit vollem Mund. Beide starrten mich jetzt an, außer Kraft gesetzt auch nur einen Funken Kontra zu geben. Melinarés war die erste, welche sich aus der Starre lösen konnte. "Das ist doch super!! Hey ich freu mich riesig für dich!" "Sicher ein sehr gut aussehender Oberschüler...", meinte Daniela und setzte eine kluge Miene auf, "lass mich raten! René!" "Kalt." "Henry?" "Kälter." "Pierre?" "Gefrierschrank..." Daniela zog ihr Ass aus dem Ärmel: "Gabriell!" "Arktis!" Daniela stand von ihrem Platz auf und setzte sich wieder hin, guckte abwechselnd zu mir und Melinarés und meinte: "Ich glaub ich hock aufm Schlauch, hilf mir mal auf die Sprünge!" "Julien hat mich gefragt..." Jetzt fiel Daniela die Kinnlade runter. Melinarés quietschte glücklich auf und umarmte mich gratulierend, so einen guten Fang gemacht zu haben. Als ich den Hammer brachte, dass ich noch gar nicht zugesagt hatte hielt sie kurz inne und überlegte. "Aber du wirst doch zustimmen, oder? Ich meine Julien...", sie hielt nochmals inne und blickte quer durch die Kantine zu dem Blondschopf rüber, "er sieht doch gut aus, im Kopf hat er auch was...und ihr zwei seid Sandkastenfreunde, Clarissa! Du musst 'ja' sagen." Ich schwieg. Für Melinarés anscheinend zu lange, denn nach nicht mal zwei Minuten fügte sie hinzu: "Du willst doch mit ihm hingehen...?" Ich schwieg immer noch und schwenkte meine Flasche hin und her um wenigstens nicht völlig außer Gefecht zu sein. Jetzt taute schließlich Daniela auch wieder auf und schüttelte sich kurz. Dann sah sie zu mir, beurteilte in Gedanken meinen Gesichtsausdruck und sprach: "Du willst nicht mit ihm hingehen...?" "Ich kann nicht mit ihm hingehen...", jammerte ich schließlich und sah zu der einen und dann zu der anderen. "Wieso?", fragten die zwei im Chor, sichtlich überrascht über meine Hilflosigkeit. "Ich...ich meine ich kenne Julien wirklich schon seit dem Sandkasten! Und ihr kennt doch das Klischee vom Frühlingsball!!" "Du meinst, dass die zwei Personen die zusammen hingehen anschließend ein Paar werden?", grinste Daniela. Melinarés' Augen weiteten sich aus Unwissenheit und sie fragte: "Ehrlich?" "Klar. Das erzählt doch fast jedes Pärchen hier an der Schule...'wir sind gute Freunde gewesen und sind seit dem Frühlingsball zusammen'", imitierte Daniela eine höhere Mädchenstimme und tat so als sei sie Hals über Kopf verknallt. "Ich will Julien nicht wehtun...versteht ihr...? Wenn wir zusammen kommen würden und es würde nicht gut gehen könnte ich mir das nie verzeiehn…" "Dann sag ihm, dass ihr nur als gute Freunde kommt und auch als gute Freunde geht. Ein bisschen tanzen mit einem Kumpel kann doch ganz lustig werden!" Melinarés und Daniela tauschten einen vielsagenden Blick. *** Später lief ich auf dem Flur entlang Richtung Technikraum, wo ich als nächstes Unterricht haben würde, wäre da nicht eine Stimme am anderen Ende des Flurs gewesen, die meinen Namen rief. Und es war nicht Danielas Stimme oder Juliens... "Clarissa! Warte mal!" Ich drehte mich um und blickte in zwei bernsteinfarbene Augen. "Hallo Gape." "Hey, hast du mal ne' Minute?", fragte er und klemmte sich seinen Ordner unter den Arm. "Klar...", meinte ich und blickte zum Klassenzimmer, "aber mein Unterricht beginnt gleich..." "Ich wollte nur mal wissen, ob wir uns jetzt für immer aus dem Weg gehen..." "Bitte?", fragte ich ungläubig. "Du weißt ganz genau was ich damit sagen will. Seit diesem blöden DVD Abend bei Julien bist du wie ausgewechselt. Du siehst mich nicht mehr an, geschweige denn dass du mit mir sprichst! Dabei habe ich diesmal nichts falsch gemacht." Er hielt kurz inne, kratzte sich fragend am Kopf und machte eine verunsicherte Miene, "oder doch...?" Nach einem weiteren kurzen Blick zur Klassentür wandte ich mich Gabriell zu: "Ich dachte die ganze Zeit du redest nicht mehr mit mir, weil ich so viel getrunken hatte und du nun schlecht von mir denkst oder sogar enttäuscht von mir bist." "Ach so." Gape schien recht überrascht. "Und deswegen hielt ich es für das Beste, erst mal nichts mehr zu sagen." "Wäre ich nicht auf dich zugegangen hättest du wohl für immer deinen Mund gehalten, hm?", grinste er und mir wurde plötzlich so warm. Da war es wieder dieses verschmitzte Lächeln. "Wahrscheinlich..." Gabriell grinste noch ein Stückchen breiter und ich konnte sehen, wie erleichtert er plötzlich wieder war. Als ich an ihm vorbei schaute bemerkte ich Julien, der gerade die Treppe runterkam, um ebenfalls in den Technikraum zu gehen. Er erkannte mich sofort und auch mein Gegenüber. Seine Miene schien plötzlich wie erkaltet, doch er ging im normalen Tempo weiter und weiter. Julien kam immer näher und näher... "Okay jetzt wo wir das geklärt haben bin ich wieder guten Gewissens!", meinte Gape und tänzelte von einem Fuß auf den anderen. "Guten Gewissens wofür?", fragte ich und sah zu Julien, der nur noch fünf Meter weg war. Er konnte ab jetzt alles hören... "Ich...wollte dich ganz spontan fragen...es ist zwar noch ein bisschen hin...ob du nicht vielleicht Lust hättest mit mir...zusammen...auf den Frühlingsball zu gehen?" Juliens grüne Augen weiteten sich dramatisch als der diesen Satz hörte. Er sah mich niedergeschlagen an und ich konnte die unausgesprochenen Klagewörter in meinem Kopf hallen hören. Dieser Anblick versetzte mir einen Stich mitten ins Herz, aber da war er schon an mir vorbeigegangen. "Also...? Möchtest du...oder nicht...?" Auch wenn ich Gabriells verlegene Art ziemlich belustigend fand wusste ich ganz genau was ich zu sagen hatte. Schon fast wie in Trancezustand griff meine linke Hand nach hinten und erfasste noch im letzten Moment eine etwas größere Hand und umschloss diese fest. "Tut mir leid, Gape...", sagte ich und sah ihm direkt in seine bernsteinfarbenen Augen auch wenn ich das Gefühl in den Knien davon verlor. Der falsche Engel betrachtete kurz mich dann folgte sein Blick meinen linken Arm und traf auf den Jungen, den ich damit festhielt. Gabriell sah noch mal zu mir, nickte wortlos und sagte dann: "Ich verstehe." Dann drehte er sich um und schlenderte den Flur in die entgegengesetzte Richtung. *** Die Wochen vergingen wie im Flug, der Schnee blieb hartnäckig liegen und der Wind eisigkalt. Gabriell und ich sprachen wieder miteinander, als hätte es diesen einen Abend und die kurze Stilleperiode danach nie gegeben. Er hatte sich im Laufe der Wochen in mehreren Kursen, welche nur wir zwei zusammen belegt hatten neben mich gesetzt. Die eine unsichtbare Barriere zwischen uns, jene die ich unbewusst aufgebaut hatte, wo immer breiter geworden war gab es überhaupt nicht mehr. Wenn Julien mit im Unterricht saß schielte Gabriell zu mir. Ich erwiderte zuerst seinen Blick dann sah ich schnell aus dem Fenster oder auf mein Mäppchen, weil ich nicht wollte, dass Julien unsere imaginären Gespräche mitbekam. Die Zeit verging...es ging der Januar und der Februar kam mit einer frischen Brise vom Meer und fegte den Schnee hinweg. Sämtliche Schneeglöckchen begannen zu sprießen und sich in ihrer schönsten Pracht zu zeigen. Die Sonne bahnte sich immer wieder mal durch die dicke Wolkendecke am Himmel und kündigte eine warme Zeit an. Auch wenn ich noch meinen Mantel über meinen Blazer zog bemerkte ich wie es auch mir verfrorenem Ding langsam zu warm damit wurde. "Tante Anna? Wo hast du eigentlich meine Windjacke hingetan?", fragte ich eines Tages mitten im Februar, als ich es leid war, mit einem Wintermantel völlig verschwitzt nach Hause zu kommen. "Wenn sie nicht in deinem Schrank hängt dann guck doch mal an der Garderobe im Flur...kann sein, dass ich sie dir schon dorthin habe." Ich tat wie sie mir gesagt hatte und sah zuerst in meinem Schrank und dann an der Garderobe nach...und fand sie bei Letzterem. Natürlich musste ich sie gleich vom Bügel nehmen und in sie reinschlupfen. "Und...? Hast du sie gefunden?", erkundigte sich Anna und kam in den Flur zu mir und beäugte mein Vorgehen. "Ich krieg sie nicht zu!" "Halt vielleicht mal die Luft an dann könnte es klappen." Ich warf ihr einen giftigen Blick zu, doch sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ich versuchte es noch drei Mal bis ich die Jacke wütend auszog und auf die Treppe pfefferte. Ich ging an meinen Schulrucksack und prüfte wie viel ich noch im Geldbeutel hatte. "Verdammt...", fauchte ich, als dieser nicht mehr wie sieben Euro ausspuckte. "Komm Clarissa, ich geb dir was dazu", bot mir Anna an, doch ich verneinte. "Ich bin mittlerweile alt genug um mir irgendwo einen Schülerjob zu suchen und langsam mal mein eigenes Geld zu verdienen!" "Und wie hast du dir das vorgestellt? Vor allem mit was für einen Job?" Ich sagte ihr, dass sie das ruhig mir überlassen könnte, schnappte mir meine Jacke und ging zu meinem Zimmer hoch. Dort blätterte ich in unserer Schülerzeitung, welche ich von Daniela bekommen hatte um mir einen Schülerjob zu suchen. Glücklicherweise wurden diese jede dritte Ausgabe aktualisiert, womit mir auch gleich einer ins Auge sprang. "Bedienung? Schaffst du es überhaupt mehr als zwei Gläser auf einem Tablett zu tragen?", scherzte Frederik beim Abendessen, als ich den beiden von meinen Plänen berichtete. Er bekam einen vielsagenden Blick von Anna zugeworfen. "Wenn du es nicht jeden Tag beschreist...", seufzte ich und kaute auf meiner Brotrinde herum, "außerdem kann ich erst in zwei Wochen dort arbeiten, jetzt haben sie noch eine Bedienung die geht dann aber in Mutterschutz." "Bis dahin haben wir zwei aber drei Mal eine neue Jacke gekauft!", protestierte Anna. "Du vergisst den Frühlingsball...", murmelte ich. "Den WAS?" "Wir haben Ende April einen Frühlingsball an unserer Schule...und ich denke mal, dass ich bis dahin auch ein Kleid brauche." Die beiden sahen mich fassungslos an und fragten, ob ich auch im Hosenanzug dort auftauchen konnte. "Um Himmels Willen, Clarissa!", freute sich Anna, "du gehst auf den Frühlingsball! Dort wo sich gute Freunde endlich dazu überwinden ein Paar zu werden!" Sie schwärmte immer noch davon, dass sie so auch Frederik kennengelernt hatte, als dieser mich fragte, wer denn der Glückliche sei. "Julien." Wieder erntete ich fassungslose Blicke. *** Als ich am nächsten Tag in der Schule im Biologieunterricht wieder neben dem falschen Engel saß skizzierte ich auf meinen Block ein Strichmännchen. Dieses bekam von mir ein Spaghettiträgerkleid zum anziehen und eine schmale Perlenkette. Ich seufzte legte mein Kinn in meine Hände und versuchte mir mich in einem Ballkleid vorzustellen. Vergeblich. "Du ziehst aber schon ein eleganteres Kleid an als dieses?", kam plötzlich links von mir. Ich zuckte leicht zusammen und sah zu Gape. "Du meinst?" "Das Kleid...", wiederholte er und deutete auf meinen Block, "am Ball ziehst du eine elegantere Version an als dieses?" Ich blickte auf meinen Block und nickte grinsend. "Wenn ich überhaupt ein Kleid finde, was zu mir passt..." Gape hob die Augenbrauen und tat so als würde er mich nicht verstehen, dabei wusste er ganz genau was ich damit meinte. Wir hörten eine Zeit lang dem Unterricht zu, bis sich Gabriell zu mir beugte und mir ins Ohr flüsterte: "Nur noch zwei Monate...das sind acht Wochen...das wieder sind 56 Tage bis du in einem Kleid vor der gesamten Schule tanzen wirst. Wenn du magst rechne ich dir schnell noch die Stunden und Minuten aus?" Ich drehte langsam den Kopf zu ihm und blickte giftig drein, was Gape nur noch breiter grinsen ließ. Er schnappte sich meinen Block und einen Bleistift aus meinem Mäppchen, obwohl sein eigenes offen vor ihm lag. Der Stift flog geradezu über das Papier, während ich mich wieder der Tafel zuwandte. Das Monotone Geschwafel des Lehrers hätte mich fast eingeschläfert, hätte da nicht eine Blockkante an meinen Arm gestoßen. Ich sah auf das Papier und staunte nicht schlecht. Gabriell hatte meinem schlichten Trägerkleid etwas breitere Ärmel verpasst, dazu einen Ausschnitt der meiner Meinung nach gewaltig an der Schmerzgrenze kratzte und eine Verlängerung des Stoffes bis kurz vor dem Boden wo ich vorher meine Füße gemalt hatte. An meine Handgelenke waren je ein Armbändchen gezeichnet worden und an meine schmale Perlenkette ein rundlicher Anhänger. Ich betrachtete das Skizzierte und musste lächeln. Zur Mittagspause hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht die Mädels zu fragen wo sie ihre Kleider herbekamen. Daniela ließ sich ihr Cocktailkleid umändern und ein wenig verlängern, während Melinarés eines von ihrer Mutter bekam. Natürlich wurde ich gleich gefragt, was ich mir denn besorgen würde und mir fiel nichts Besseres ein als meine von Gabriell aufgebesserte Zeichnung vorzuzeigen. "Oh...irgendwie sieht das niedlich aus!", quietschte Melinarés. Daniela dagegen stieß Gape in die Seite und fragte ihn warum er nicht mal die Stifte stillhalten konnte, worauf sich die beiden bis auf weiteres hin neckten. "Ich habe mir vorgenommen in den nächsten Ferien einen Schülerjob zu machen, damit ich mir das Kleid kaufen kann...was hälst du davon?" Melinarés gab mir ihren Segen, dass das die Beste Lösung sei um an schnelles Geld zu kommen. Wir sahen zu Daniela und Gabriell, welche immer noch durch eindeutige zweideutigkeiten versuchten den anderen auszunocken. "...und du mein kleiner kannst nichts dagegen tun!", lachte Daniela und biss in ihren Apfel. Gape zog auf ihren Kommentar zu seiner Körpergröße eine Augenbraue hoch, denn Dani war eins vierundsiebzig und Gabriell mindestens eins neunundachtzig. "Apropos klein...wie bist du eigentlich mit Mikes durch Anabolika geschädigte Männlichkeit zufrieden?" Daniela verschluckte sich augenblicklich an einem Stückchen Apfel und hatte Mühe sich wieder in den Griff zu bekommen. Nachdem sie drei Mal ordentlich nach Luft geschnappt hatte fuhr sie Gape an: "Was hast du da grade gesagt?!" "Klein auf die Körpergröße bezogen versteht sich", grinste der falsche Engel und ging ins kichern über. Mike maß gerade mal eins achtundsechzig. "Mein Freund hat sich eine Bohnenstange angepflanzt und ist an ihr hochgeklettert!", gab Dani an und zog die Augen zusammen, so dass es nur noch zwei schmale Schlitze waren. "Mike und die Bohnenstange?", lachte Gabriell plötzlich los, "passt ja fast wie die Faust aufs Auge!" Genau in diesem Moment ertönte der Schulgong. Daniela stand auf und versicherte, dass Gabriell Glück hatte, dass sie jetzt zum Sportunterricht musste. Auch Melinarés ging zu ihrem nächsten Kurs, während Gabriell und ich unsere Tabletts noch wegtrugen. "Das hat aber doch gepasst, oder?", kicherte er immer noch und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. "Aber es war viel zu zweideutig...", bemerkte ich, konnte mir ein Grinsen jedoch nicht verkneifen. "Ey! Zweideutig is eindeutig geiler!" Gabriell legte mein Tablett auf seins und fragte dann wie es bei mir mit Abends abhängen aussah. "Ich denke mal wir schminken uns das gleich wieder ab..." "Wieso? Angst ich tu dir was?" "Nein nur mein Onkel würde sich dann ständig erkundigen wo wir jetzt sind, was wir gerade machen, wann ich wieder heimkomme. Da hast du nicht viel von abhängen", meinte ich und kniff Gape in die Seite. "Dann denke ich mal, dass dein Onkel auch was gegen längere Besuche des Abends was dagegen hat...besonders wenn's ein Kerl is?" Ich grinste, denn er hatte den Nagel direkt auf den Kopf getroffen. Auch wenn ich nicht Anna und Frederiks Tochter war, er hütete mich genauso konsequent...auch wenn es dabei ging sein Revier zu verteidigen. Aber der Gedanke etwas hinter Frederiks Rücken zu machen von dem er nichts wusste...ein gewisser Nervenkitzel war schon dabei. "Schade...wir hätten abends mal was trinken gehen können...", seufzte Gape und ging weiter Richtung Klassenzimmer. "Vielleicht kann ich da doch was machen...", meinte ich und schmunzelte, als er mich fragend anschaute, "ich habe vielleicht keine Bohnenranke an der du empor klettern könntest...aber dafür habe ich ein Rosengitter, welches direkt an meinem Dachfenster vorbeigeht." "Ein...Rosengitter...?", wollte Gabriell ungläubig wissen. Ich nickte und schmunzelte noch breiter. "Es ist an die Hauswand angeschraubt und sollte somit ein gewisses Gewicht tragen können." Jetzt verstand auch er und legte sein Grinsen auf, welches mir so gut gefiel... *** Clarissa... "Ich will noch nicht sterben! Verdammt dreh um, oder weich aus!", schrie ich. Clarissa... Ich blickte zu dem Mann, der mich fuhr und merkte, dass ich weinte. Warum weinte ich? Er sah auch zu mir, ich bemerkte ein trauriges Lächeln in seinem Gesicht. Warum konnte ich ihn nicht sehen? Aus lauter Verzweiflung griff ich zu ihm rüber, packte seinen Arm. Er wandte den Blick nicht von mir ab. Ich versuchte noch einmal zu schreien, doch es gelang mir nicht. Clarissa... "Ich liebe dich...", flüsterte mir der junge Mann zu. Ich schluchzte noch einmal heftig und flüsterte ebenfalls: "Ich liebe dich auch..." "Clarissa!" Den Aufprall der beiden Autos merkte ich bereits nicht mehr, dass musste aber auch daran liegen, dass ich von einem Geräusch aufgeweckt wurde. Ich setzte mich benommen im Bett auf, rieb mir die Augen und horchte anschließend noch einmal nur um sicher zu gehen mich nicht verhört zu haben. Da! Wieder dieses Geräusch. Ein leises klopfen, doch schon mehr ein trippeln. "Clarissa! Bist du noch wach?", hörte ich eine Stimme raunen. Ich hielt mir den Kopf und untersuchte ihn ob ich mir vielleicht irgendwo eine Beule zugezogen hatte…negativ. Erst jetzt schaute ich nach hinten zum Fenster und bemerkte jemanden dort stehen, denn er warf seinen Schatten auf die Wand gegenüber wo mein Schreibtisch stand. Hä? Wieder dieses klopfen. Ich schreckte hoch und fiel fast aus dem Bett, als ich versuchte aufzustehen um zu dem Fenster zu eilen. Ich schob den Vorhang beiseite und sah in zwei bernsteinfarbene Augen, welche sogar im Dunkeln leuchteten. Mein Puls raste! "Gape!", flüsterte ich und öffnete vorsichtig das Scharnier. Er grinste wie ein Honigkuchenpferd und zeigte mit dem Zeigefinger nach oben. Zuerst sah ich ihn nur entgeistert an, doch wenn er jetzt schon mal da war konnte ich ihn nicht einfach dort stehen lassen… Beim hochschieben des Fensters hielt der falsche Engel von außen dagegen, dass es ja nicht quietschte. "N' abend! Oder soll ich in diesem Falle schon wieder guten Morgen sagen?", scherzte er. "Wie spät ist es denn?", gähnte ich und fröstelte, als die kalte Luft rein wehte. "Hm...ich glaube kurz nach zwei? Was machst du um diese Zeit schon im Bett?" "Schlafen, was dachtest du denn?" "Es ist Freitag auf Samstag, Kleines...da geht man vor halb vier nicht ins Bett!", protestierte Gabriell und hockte sich auf meine Fensterbank. Sein Blick wanderte durch mein Zimmer sehen konnte er jedoch nicht viel, da ich meine LED Lichtkugel, welche über meinem Bett hingen nicht angemacht. Das Einzige was er wahrscheinlich noch gerade erkennen konnte war die Silhouette meines Bettes, welches halb hinter meinem Vorhang versteckt war. "Nett..." "Danke." "Kommst du mit runter? Ich habe gesehen, dass ihr einen Wintergarten auf der anderen Seite habt!" "Ich kann hier nicht raus…wenn mein Onkel das mitkriegt!", flüsterte ich und machte wild Gesten, "und unten der Wintergarten ist gleich neben dem Wohnzimmer und Frederik guckt sicher noch Fernsehen, wenn du sagst dass es zwei Uhr ist!" "Ja ich glaube ich habe unten Licht gesehen...", überlegte er und zuckte mit dem Schultern, "wenn du nicht mit runter kommst muss ich wohl oder zu dir rein kommen..." "Wie jetzt...?" Er schob mich leicht zur Seite: „Komm mach mir ein bisschen Platz.“ „Du bist wahnsinnig“, raunte ich durch die Dunkelheit. „Wahnsinnig und Genial liegen sehr nah beieinander…“, kicherte Gabriell, „hast du gezündelt?“ „Wie kommst du jetzt da drauf?“ „Es riecht…danach…pyromanisch veranlagt?“ „Nein!“, protestierte ich, „ich hatte vorhin ein paar Kerzen an…“ „…ein paar?“ „Ja ein paar! Ich habe vorhin beim Fernseh gucken ein paar Duftkerzen angemacht!“ Gabriell schaute noch erstaunter drein: „Duft…kerzen…?“ „Sind Kerzen…nur…das sie gut duften…“, versuchte ich ihm zu erklären. Der falsche Engel zog nur die Augenbrauen hoch und schüttelte ungläubig den Kopf: „Sowas brauch ich nicht…“ „Du würdest dich wundern…“, grinste ich breit. Plötzlich hörten wir das Knacksen von alten Holztreppen. Gabriell und ich hielten inne um zu hören, ob Frederik nur ins Bett ging oder vielleicht doch uns gehört hatte. „Meinst du…er reagiert sehr unangenehm, wenn er mich hier oben sieht…? Schließlich habe ich seine Nichte zwei Kilometer weit getragen!“, flüsterte der falsche Engel. „Wenn er hier hochkommen sollte kannst du es ja gerne herausfinden…“ Wir horchten weiter und weiter…Frederik schien Wirklich „nur“ ins Bett gegangen zu sein. „Puh…“, seufzte ich und zu Gabriell…oder zumindest auf den leeren Platz neben mir, wo der falsche Engel gerade noch gestanden hatte. „Gape…?“ Nichts. Ich horchte, konnte jedoch nichts hören und somit blieb mir nichts anderes übrig, als aus dem Fenster zu schauen. „Hey!“ „Was?“ „Jetzt wo mein Onkel ins Bett gegangen ist kriegst du kalte Füße oder was…?“ "Aber mein Mitbringsel ist noch hier!", kicherte Gabriell und machte sich wieder ans Aufsteigen, "ich habe dich gefragt, ob wir zusammen was trinken gehen und da du nicht wegkannst habe ich was mitgebracht!" "Hey, du kannst nichts trinken! Wie kommst du wieder heim? Gape!" Doch er war schon wieder an meinem Fensterbrett angekommen und ich hörte das Geklimper von Glasflaschen. „Verdammt gute Arbeit geleistet das alte Ding…“, lobte er das Rosengitter und grinste mich breit an. Wieder hockte er sich auf die Fensterbank und holte sein Mitbringsel zum Vorschein was sich wirklich als Sixpack Bier entpuppte. Er reichte mir eine Flasche nachdem er sie mit einem Feuerzeug geöffnet hatte und prostete mir zu. Wir tranken unsere ersten drei kleinen Schlucke als ich ihn fragte ob es nicht ungesund sei zu rauchen und gleichzeitig in der Schulmannschaft des Volleyballteams zu spielen. "Ich rauche nicht...doch es wäre für meinen Großvater verdächtig gewesen, wenn ich mir jedes Mal den Flaschenöffner mitnehme...denn da ist sein Korkenzieher mit dran und wenn er ein Glas Wein trinken will und das Teil ist nicht da…“, Gabriell schnitt eine Grimasse und hob die Schultern, „außerdem spendet es mir etwas Licht wenn es gerade verlangt wird und ich kann mit dem Ding Kerzen anzünden...habe ich denselben Service auch mit einem Flaschenöffner?" „Vor allem Kerzen anzünden! Was für ein Service!“ Er lachte als ich die Augen spielerisch verdrehte, den Kopf schüttelte und wieder einen kleinen Schluck nahm. Ein kurzer Moment des Schweigens trat zwischen uns auf und es war schon fast poetisch, wie wir beiden am Fenster den Vollmond und den klaren Sternenhimmel bewunderten. „Soll ich nun die Duftkerzen anzünden oder nicht?“, beschwerte sich Gabriell. Ich lachte hell auf und zeigte ihm den kleinen Beistelltisch wo meine Kerzen standen. Es knipste eins- zweimal dann brannten vier große Kerzen und verbreiteten einen herrlichen Duft von Vanille und Zimt. Gabriell rümpfte die Nase und sah mich fragend an. „Muss so ein typischer Weiberkram sein, oder…?“ „Jupp“, grinste ich erneut und nippte am Bier. Gabriell schlenderte wieder zu mir und lehnte gegen die Fensterbank. "Er hat dich schon letzten Donnerstag gefragt, oder?", fragte Gape und schwenkte seine Bierflasche. "Ja hat er." Ich blickte zu ihm auf, da er selbst im Sitzen noch größer war als ich und wartete auf irgendeinen schlechten Scherz oder das er sich beschwerte. Aber anstatt kam etwas völlig unerwartetes. "Julien hat dich zuerst gefragt, Clarissa. Da kann ich wohl nichts mehr machen." "Hey falscher Engel“, protestierte ich und stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite, „bist du's wirklich?" Er nickte und machte sein Bier leer. Nach einer kurzen Pause fragte er: "Bist du schon müde?" "Ha! Junge du hast mich geweckt und gibst mir hier Bier, dazu kommt noch dieser riesige Mond..." "Okay, ich habe verstanden!" Ich kicherte schadenfroh und gab ihm meine leere Flasche, worauf ich eine neue bekam. Ich wies ihn darauf hin, dass dies das letzte für heute Nacht sei, worauf er mit schadenfroh kichern dran war. "Ich kann die anderen beiden aber nicht allein trinken! Komm schon, das und dein drittes musst du genießen dann hast du später wenigstens die nötige Bettschwere." Ich warf Gabriell einen vielsagenden Seitenblick zu, den er aber mit einem Lächeln wegsteckte. Als ich auf die Uhr blickte, nachdem ich dieses und mein drittes Bier geleert hatte musste ich überrascht auflachen. Gape schaute zu mir und fragte mich, was so lustig sei. "Wir haben halb sechs..." "Halb sechs?", fragte er nochmals nach. "Jepp. Macht sich dein Opa keine Sorgen?", grinste ich und stummte ihn leicht an. "Hm...der schläft bis halb acht…da habe ich noch ein bisschen Zeit…" „Du hast es ja überhaupt nicht eilig, hm?“ „Nö…“, grinste er, „es sei denn du willst das ich gehe.“ „Nö…noch nicht…“ „Ich geh dir also nicht auf die Nerven?“ „Noch nicht“, zwinkerte ich ihm zu, „außerdem versorgst du mich mit Bier.“ Gabriell kicherte und fügte hinzu: „Aber ich muss sagen…die Kerzen riechen echt nicht schlecht!“ „Sag ich doch!“ „Darf ich dich mal was fragen…?“ „Nur zu.“ „Es…ist aber was Persönliches…“ „…okay…“, überlegte ich kurz, „nachdem du mich um zwei Uhr nachts geweckt und mit mir Bier getrunken hast…wie persönlich kann die Frage dann schon sein?“ „Hast du eigentlich n‘ Freund…?“ Ich stockte kurz. Mit dieser Frage hatte ich nun wirklich nicht gerechnet! „Nein.“ „Nein?“ „Nein. Hattest du denn schon mal eine Freundin?“ „Ähm…ja…aber…“ „Aber…?“ „Sie…war mir zu sehr besitzergreifend und ich machte in dieser Zeit echt ein paar Tiefen durch…und da hätte ich ehr eine Freundin gebraucht die für mich da ist, als noch mehr von mir zu fordern.“ Ich sah Gabriell erstaunt an: „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du mit Shane zusammen warst?“ Gabriell lachte traurig: „Es war Shane…“ „OH MEIN…“, brach es aus mir heraus, als mir einfiel, dass es kurz vor sechs Uhr Frühs war und Anna und Frederik immer noch schliefen, „wieso musste ich mein Maul so aufreißen?“ „Bist du jetzt…enttäuscht von mir…?“, fragte Gabriell leise. Ich sah ihn erschrocken an. Er erwiderte meinen Blick und grinste unsicher. „Wieso sollte ich enttäuscht sein? Du warst einsam und sie hat sich nicht um dich gekümmert…ich bin Enttäuscht ja aber nicht von dir sondern von ihr!!“ „Wirklich?“ „Natürlich! Man hat in einer Beziehung füreinander da zu sein!!“ „Vorsicht…dein Kopf…“, bemerkte Gape und wies mich darauf hin, dass ich meinen Kopf beinahe am Fensterrahmen gestoßen und fast aus dem Fenster gefallen wäre. Kapitel 6: Rückblick eines Engels --------------------------------- Ferien. So mancher Schüler verbringt sie mit lange ausschlafen, mit Freunden abends weggehen um dann sehr spät erst wieder ins Bett zu kommen. Die laue Frühlingssonne und die frische Brise vom Meer waren die perfekte Kombination um etwas zu unternehmen und endlich wieder mit dem Fahrrad zu fahren. Die nächtlichen Besuche Gabriells hatten seit dem ersten Versuch von vor drei Wochen ein bis zwei Mal wöchentlich stattgefunden. Wir redeten Stundenlang über Gott und die Welt und tranken dabei einen Sixpack, den er immer mitbrachte. Ich stellte dann immer ein paar Snacks auf die Fensterbank und wartete darauf, dass das Rosengitter unter Gapes Gewicht leise knarrte. Natürlich besuchte er mich auch nach meinem ersten Arbeitstag, obwohl ich ihm in der SMS geschrieben hatte, dass ich wie erschlagen im Bett liegen würde. "Na, wie war's?", war seine erste Frage nach dem Begrüßen. "Lass mich hier liegen, Gape...", stöhnte ich und ließ mein linkes Bein und meinen linken Arm vom Bettrand baumeln. Gape hockte brav auf meinem Fensterbrett und linste zu mir dann kicherte er und meinte, dass morgen auch wieder Arbeit auf mich wartete. Darauf musste ich kichern. "Was du nicht sagst?" "Hm..." *** Wie ich angekündigt hatte arbeitete ich in einem Restaurant in der etwas ländlicheren Gegend gleich neben einem Golfplatz, welches zwar etwas klein und altmodisch eingerichtet doch stets gut besucht war. Meine Chefin Madame Michelle war eine Frau von etwa 45 Jahren und sie liebte es ihre Position in diesem darzustellen, was sie auch an sich selbst sehen ließ. Sie trug nur Desingeranzüge, Goldkettchen und extrem teure Schuhe, dazu eine schmale rechteckige Brille über deren Rand sie zu gucken pflegte. Als ich zu meinen ersten Arbeitstag angetreten war wanderte ihr Blick an mir hoch und runter und ihre schmalen Lippen zwangen sich zu einem Lächeln. "Guten Morgen Mademoiselle...", begrüßte sie mich und sah auf ihr Klemmbrett um meinen Nachnahmen zu lesen, er war ihr entfallen. "Ulmer." "Genau, hier steht’s. Sie wollen über die Ferien hier arbeiten, dass wären dann zwei Wochen." "Vier. Bis zum dreiundzwanzigsten April." Sie schaute mich über den Rand ihrer Brille forschend an und spitzte die Lippen. Sie wandte sich dem Mann zu der neben ihr stand und wieder zu mir. "Das hier ist Benoît. Er wird Ihnen alles erklären und beibringen. Viel Spaß..." Mit diesen Worten verließ sie das Restaurant. "Gut dann kommst du gleich mal mit mir", meinte Benoît und lächelte leicht, "und keine Angst...sie ist nicht so schlimm wie sie sich im ersten Moment gibt." Ich fühlte wie meine Knie weich wurden als ich ihm hinter den Tresen folgte. Er zeigte mir die Kaffeemaschine und welche bestimmten Funktionen sie noch vorzuweisen hatte. Die Gläser, wo welche Größe zu welchem Getränk gehörte und die Kuchentheke. "An deinen ersten beiden Tagen werde ich dir noch über die Schulter schauen, ab Mittwoch schaffst du das auch alleine. Hier die Kasse...", erkärte er mir und ich hörte brav zu. Benoît war zirka fünfundzwanzig Jahre alt und zwei Köpfe größer als ich. Seine braunen Haare hatte er modisch zu einem Facon schneiden lassen, welche er am Oberkopf mit Gel modellierte. "...und wenn der Kunde bezahlt immer schön lächeln!", fügte er hinzu und tat es mir vor. Ich machte es nach indem ich ihn angrinste. „Très bien“, lächelte er erneut und klopfte mir auf die Schulter, „du schaffst das schon.“ *** Gabriell schmiss seine Sporttasche in die Ecke seines Zimmers, wo sich der hellgrüne Sitzsack befand und ließ sich auf den Stuhl seines Schreibtisches sinken. Das Training fing wieder an ihm Spaß zu machen denn seit zwei Wochen spielten sie auf dem Sportplatz im Freien. In der Halle konnte man zwar auch gut spielen, aber bei diesem Boden war keine besonders gute Absprungmöglichkeit. Außerdem müsste Gabriell ab jetzt nicht mehr nur drei Tage die Woche trainieren, sondern fünf. "Großer bist du fertig?", rief Gapes Opa von unten, "wir können dann so in 30 Minuten langsam los..." "Ich komm dann runter." Der Junge stand wieder auf und zog das durchgeschwitzte T-Shirt aus. Als er ins Bad schlenderte kam ihm sein Opa entgegen und grinste breit: "Heute wird kein Fotograf mehr auftauchen, Großer. Du kannst dir ruhig wieder was anziehen!" Gabriell grinste zurück und erwiderte: "Du weißt doch, dass ich meinen Körper liebe und das er mir heilig ist!" „Etwas weniger Egoismus wäre die Lösung deines ‚Ich fühle mich so alleine‘ Problems…“ „Opa! Das war doch ein Scherz!“, beschwerte sich Gabriell. „Meins doch auch“, zwinkerte der alte Mann seinem Enkel zu. Frisch geduscht und zehn Minuten später knöpfte Gape gerade sein Hemd zu als er auf seinen Schreibtisch den Flyer für den Frühlingsball liegen sah. Er blickte zu dem Kleiderschrank, wo der Anzug frisch gebügelt hing und nur darauf wartete von ihm getragen zu werden. Das dazu passende Hemd in Eierschale hatte sich Gabriell selber ausgesucht mit der Ausrede, dass wirklich jeder ein weißes Hemd tragen konnte und es auch würde. Nur er nicht… Gabriell seufzte leise. Nie hätte er gedacht, dass er einer derjenigen sein würde die alleine auf den Ball erscheinen würden. Natürlich hatten ihn die Mädchen gefragt, sogar aus den Oberstufen! Aber er hatte ‚nein‘ gesagt. Seine Teamkollegen verstanden die Welt nicht mehr. Wie gern wäre er mit Clarissa hingegangen, doch die hatte ja diesem Julien zugesagt... "Wir zwei könnten doch zusammen hingehen?", hatte Shane ihn drei Tage später angeboten, "Marcel wird sicher nichts dagegen haben, wenn sein Teamkollege sich seine Freundin mal für einen Abend ausleiht." "Dann kennst du Marcel aber schlecht“, erwiderte Gape und sah sie ungläubig an. "Komm schon, Gape...wir zwei werden sicher viel Spaß am Frühlingsball haben!" "Danke, kein Bedarf...außerdem hattest du deine Chance bei mir." Shane hatte ihn noch etwas hinterher gefaucht doch Gabriell war einfach weitergegangen. Er wäre wirklich gerne mit Clarissa gegangen...vielleicht hätte sie 'ja' gesagt, wenn er sich in den Arsch getreten und ihr gesagt hätte, dass er schon seit längeren mehr als nur Freundschaft für sie empfand. Im Schwimmbad gab es immerhin schon mal eine Annäherung, das war aber voll in die Hose gegangen... Jedes Mal wenn er an ihrem Fenster hochgeklettert war wollte er es Clarissa sagen, und jedes Mal hatte er es wieder aufgeschoben oder war ausgewichen. Jetzt hatte er den Salat; Clarissa würde mit einem Anderen hingehen und er alleine. Auf der Fahrt zum Restaurant schwiegen sich Gabriell und sein Opa überwiegend an. Gape schaute aus dem Fenster und beobachtete wie einige Bäume die vor einigen Wochen noch kahl waren jetzt wieder in voller Blüte standen. Hier konnte man auch schön spazieren gehen, vielleicht sollte er Clarissa mal anfragen...? "Du bist so ruhig heute...ist was in der Schule passiert?", fragte sein Opa plötzlich. Gabriell schreckte leicht hoch, er war in Gedanken vertieft gewesen. "N...nein alles in Ordnung. Ich habe nur nachgedacht." "Über den Frühlingsball?", grinste sein Opa breit, "hast du denn schon eine junge Dame, die du dahin begleiten möchtest?" "Ähm…nein." "Wie...nein? Das überrascht mich jetzt, Großer! Hast du mir nicht mal von einem gewissen Mädchen erzählt?" "Ja hab ich." "Was ist denn mit ihr? Möchte sie nicht mit dir hingehen?" "Sie geht schon mit einem Anderen hin." Gabriells Opa schluckte kurz. Er sah zu seinem Enkel und überlegte was er denn zur Aufmunterung sagen könnte. "Keine Angst! Ich werde mir schon nichts Schlimmes antun!", lachte Gape, als ihm die lange Stille bewusst wurde. "Wieso geht sie denn nicht mit dir hin? Hast du sie verärgert?" "Nein, um Himmels Willen!" "Aber ich dachte ihr mögt euch?", hakte der Opa nach. "Wir sind Freunde!" "Also hast du sie doch verärgert! Ich habe dir doch schon tausendmal gesagt, dass du deinen vorlauten Mund halten sollst!" "Ich war nur zu langsam mit nachfragen...", meinte Gabriell und stieg aus. Sie waren bereits am Restaurant angekommen und gingen gemeinsam den Schotterweg Richtung Eingang. "Und der wird jetzt auch die Lorbeeren einsammeln!" "Die beiden sind doch auch nur Freunde! Und wehe dir, wenn du mir jetzt mit dem Klischee kommst, dass aus Freunden auf dem Frühlingsball Paare werden!" Der Opa hielt inne und ging voraus in die Gaststätte. Gabriell spielte den Entsetzten, sein Opa wusste jedoch, dass es nur Show war. "Du wolltest es wirklich sagen?! Ich bin enttäuscht von dir, Großvater!" "Naja wenn du nicht möchtest, dass ich dir es sage...", er grinste wieder, nahm Platz und schaute in die Karte, "hm...heute bestell ich mir mal wieder die Fischplatte. Und du, Großer?" Gabriell wurde von seinem Opa "Großer" genannt, seit er mit 13 offiziell größer war als er. Die beiden machten sich einen Spaß daraus, sich gegenseitig zu necken und hochzunehmen, auch wenn es für Außenstehende teilweise schon wie ein Streit aussah. Seit er seinen Enkel Gabriell aus dem Haus seiner sich trennenden Eltern mit sieben Jahren geholt hatte wollte dessen Opa nur noch für ihn da sein und sich um ihn kümmern. Das tat er auch bis der Junge in die Pubertät kam, ab da wurde Gabriell immer selbstständiger und wollte auch mal Sachen alleine bewältigen. Seinen Opa hatte das ganze einen leichten Stich ins Herz verpasst, doch wenn er sich seinen Enkel jetzt ansah erfüllte ihn das mit sehr viel Stolz. Allein schon weil er damit bestätigt bekam, dass Gabriell ihm aus tiefsten Herzen dafür dankte, ihn aufgezogen zu haben; auch wenn es nicht immer leicht für beide gewesen war. "Wer von uns beiden ist jetzt ruhig, hm?", neckte Gape und blickte ebenfalls in die Menükarte, "und an was hast du denken müssen?" "Ich dachte an die Zeit zurück, als du gerade zu mir kamst." Gabriell sah seinen Opa groß an und ließ die Karte leicht sinken. Damit hatte er anscheinend nicht gerechnet. "Wieso denn an damals? Hattest du nicht gesagt, dass ich das alles vergessen soll?" "Weil ich dich jetzt hier so sehe. Du bist nicht mehr das kleine Kind, welches sich aus Angst an den Gedanken immer in seinem Kleiderschrank versteckt hat damit es seine Eltern nicht finden würden. Du bist jetzt fast erwachsen und sieh nur, wie gut du dich gemacht hast!" Gabriell senkte den Blick und schien ebenfalls an damals zu denken, als er wegen seiner außergewöhnlichen Augenfarbe keine Freunde gehabt und ihn seine Eltern wegen ihrem Streit und der Arbeit kaum beachtet hatten. Wie oft wurde er von der Beamtin aus dem Jugendamt gefragt, ob er glücklich sei? Wie lange hatte er seinen Frust und seine Trauer in sich hineingefressen? Anscheinend lange genug denn in der dritten Klasse war Gabriell kugelrund gewesen, weshalb er noch mehr von seinen Klassenkameraden gemieden wurde. Und da, als sich der Junge innerlich schon lange aufgegeben hatte, nahm ihn sein Großvater liebevoll zu sich nach Hause. Weit weg von den Eltern, von denen Gabriell nie richtig Liebe empfangen hatte. Weit weg von seinen Mitschülern, die ihn nie haben mitspielen lassen. Zuerst hatte sein Opa gesagt, er würde Ferien bei ihm machen. "Aber ich habe doch noch gar keine Ferien...", hatte Gape geantwortet. "Ab jetzt schon...", lächelte sein Opa zurück. Als Gabriell drei Wochen später erfuhr, dass sich seine Eltern getrennt und ins Ausland gegangen waren wurde ihm alles klar. Er würde sie nie wieder zusammen sehen, er würde nie wieder in seine alte Schule gehen. Irgendwie erleichterte ihn das, vielleicht würde er hier bei seinem Großvater glücklicher sein? Die Zeit verging wie im Flug...Gabriell machte mit 11 Jahren erst einmal einen Schuss in die Höhe, wo sich auch sein Gewicht auf den Körper verteilte. Dann trat er dem Volleyball Team bei, worauf er noch mehr Gewicht verlor und langsam seine Muskeln aufbaute…und neue Freunde fand. Dadurch verbesserten sich seine schulischen Leistungen enorm und der Junge wechselte auf ein Gymnasium. In seiner pubertierenden Phase hatte sich fast nichts geändert...Gabriell versuchte zwei, dreimal seinen Großvater aus der Reserve zu locken, was ihm jedoch nicht gelang. Er fing an mit Freunden wegzugehen, auf Partys zu feiern...und mit einem Mädchen auszugehen. Ihr Name war Shane und sie schien mit ihren 15 Jahren ganz genau zu wissen was sie wollte. Jedes Mal wenn Gabriell sie mit nach Hause brachte sehnte sich dessen Großvater schon auf den späten Nachmittag, wenn sie wieder ging. Am Anfang war es noch recht lustig mit anzusehen wie Gabriell sie umgarnte und sie mit ihm flirtete, doch schnell eskalierte die Situation als Gabriell einige Zeit später mit einem deftigen Veilchen heim kam. Sein Opa war auch nur aufmerksam geworden, als der Junge nichts sagend in sein Zimmer schnellte und die Tür zuschmiss. Als Gabriell am selben Abend nicht mal zum Essen herunterkam ging sein Großvater hoch und in sein Zimmer. Er entdeckte seinen Enkel auf den Fensterbrett sitzend mit einem Handspiegel in der Hand sein Veilchen betrachten. "Oh Gott, Junge! Was ist denn passiert? Hast du dich geprügelt?" Gabriell wollte erst gar nichts sagen, doch dann konnte er sich die Tränen nicht mehr verkneifen und es sprudelte nur so aus ihm heraus. Er erzählte, dass er Shane in der Schule umarmt und ihr einen Kuss auf die Wange gegeben hatte, als ein größerer Junge auf ihn zugerannt kam, ihn stummte und zuschlug. Dieser Junge ging in dieselbe Klasse und war ebenfalls in Shane verliebt und zu allem Übel war er auch noch der Mannschaftskapitän des Volleyballteams gewesen, indem Gape ebenfalls war. "Und was hat Shane gesagt, als er dich geschlagen hat...?" "Sie...sie...", schniefte Gabriell und wischte die Tränen weg, "sie hat gesagt, dass sie ihn jetzt mehr liebt wie mich!'" Eine Woche später rief der Trainer von Gabriell zu Hause an. Er erkundigte sich, wie es den Jungen ginge, und warum er denn nicht mehr zum Training kam. "Er ist einer unserer besten Spieler...und ja, er und Marcel hatten eine heftige Auseinandersetzung. Vielleicht können Sie ihn ja überreden, wieder herzukommen?" Gabriells Opa stutzte. "Wie...lange ist er denn nicht zum Training gekommen?" "Zwei Wochen. Wir haben nächstes Wochenende ein Spiel und ohne ihn stehen wir schlecht da..." Gabriell erschien nicht zum Spiel. Er hatte unter Tränen seinen Großvater angefleht nicht mehr zum Training gehen zu müssen. "Ich will nicht mehr! Ich HASSE Volleyball!" "Du hasst es nicht..." "DOCH!" "Nur weil du eine Meinungsverschiedenheit mit einem Mitspieler hattest willst du gleich aufgeben?" Gabriell erwiderte nichts darauf. Wie denn auch, sein Großvater hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Doch er konnte seinen Enkel auch nicht zwingen. Fast neun Monate vergingen. Gabriell spielte nicht mehr und wusste somit nichts mit seiner neugewonnenen Zeit anzufangen, also saß er nach den Hausaufgaben vor dem Computer oder dem Fernseher. In diesen neun Monaten nahm der Junge wieder stark an Gewicht zu, worauf er natürlich auch wieder neue Kleidung benötigte. Er hatte zu nichts mehr richtig Lust, war schnell gereizt und verschanzte sich nur noch in seinem Zimmer, wenn er von seinem Opa genervt war. Gabriell kam zeitweise nur noch heraus, wenn er ins Bad musste oder sich schnell ein Sandwich machen wollte. Als dann eines Tages ein Brief von der Schule nach Hause flatterte indem stand, dass Gabriell regelmäßig schwänzte platze seinem Großvater der Kragen. Das war soweit sich Gape erinnern konnte das einzige Mal, dass ihn sein Opa richtig den Kopf gewaschen hatte. "Wenn du nicht schaust, dass du dich in der Schule benimmst und wieder zum Volleyball gehst, dann kannst du deine Koffer packen!", hatte er die Treppe hochgerufen. "Spinnst du?! Wohin soll ich denn dann?" "Zu deinem Vater!" Zu sehen wie die Farbe aus dem Gesicht seines Enkels wich, als er das hörte versetzte dem Opa einen schmerzenden Stich ins Herz. Denn wenn Gabriell vor etwas richtig Angst hatte, dann vor...seinem Vater. Drei Tage später trat Gape wieder der Volleyball Mannschaft bei, versöhnte sich einigermaßen mit Marcel und wurde Klassenbester. Stolz präsentierte er seinem Großvater die neue Schuluniform für die Oberstufe und reichte ihm die Klassenliste. "Shane ist in deiner Klasse...", meinte dieser und sah seinen Enkel überrascht an. Doch dieser zuckte nur mit den Schultern und meinte: "Kann sein...sie ist mir völlig egal." Lange Zeit wollte der Junge von Mädchen nichts mehr wissen, sein Großvater hatte ihn schon fragen wollen, ob er vielleicht zum anderem Ufer gewechselt sei…doch dann kam Gabriell eines Tages nach Hause mit der Nachricht, dass sie eine neue Mitschülerin hatten. Gabriell erzählte aufgeregt von ihr, dass sie lustig war und bis jetzt die einzige, die ihm Veto bot. "Wollen wir dann mal langsam bestellen?", fragte sein Großvater und riss Gape aus den Erinnerungen. "Klar. Hast du denn schon alles?" Sein Großvater nickte und winkte eine Kellnerin zu sich. Während diese sich auf den Weg zu ihnen machte fragte er: "Du hast mir eigentlich noch gar nicht gesagt, wie deine Flamme aussieht!" "Clarissa ist nicht meine...Flamme", knurrte Gape, doch als er den vielsagenden Blick seines Opas sah musste auch er grinsen, „sie hat lange braune Haare und so blaugrüne Augen." Sein Opa pfiff anerkennend, worauf beide lachen mussten. Die Bedienung stand nun vor ihnen und fragte: "Guten Abend die Herren, darf ich Ihre Bestellung entgegen nehmen?" Gabriells bernsteinfarbene Augen weiteten sich aller die Kellnerin ansah. Diese schien genauso überrascht wie überwältigt zu sein, doch sie überwand sich als erste. "Hey Gape! W...was machst du denn hier?", fragte sie und lächelte. "Hey Clarissa! Das Gleiche könnte ich dich auch fragen, aber ich weiß ja was du hier machst!" "Ja. Es ist anstrengend, aber es macht eigentlich schon Spaß!" Gabriells Opa guckte zu der Bedienung und zog die Stirn in Falten. Nach kurzem Überlegen fragte er seinen Enkel: "Das ist also deine...Autsch! Hast du mich gerade…Autsch! Trittst du mich?!" Er konnte den Satz gar nicht fertig fragen, denn er fing sich unter dem Tisch einen heftigen Tritt gegen das Schienenbein ein. Der vielsagende Blick von Gabriell ließ ihn jedoch wieder hell auflachen. *** Ich blickte Gabriell groß an und guckte zu dem grau melierten Herren der sich sein Knie rieb. Den Block in der einen Hand und den Stift in der anderen stand ich da und beobachtete die Szene. Ich musste schmunzeln. "Das ist dein Opa?", fragte ich schließlich, als ich sicher genug war nicht zu lachen. Gabriell war nun dran mit groß gucken und nickte anschließend. "Oliver mein Name...es freut mich sehr!", lächelte er Mann und rieb sein Knie weiter. "Gleichfalls. Also...was darf ich euch bringen?" "Für mich einmal das Tagesgericht...", bestellte Gabriell und gab mir die Karte zurück. "Und für mich eine Fischplatte." Ich notierte mir die Gerichte und grinste den beiden noch einmal zu, dann ging ich hinter die Theke und in die Küche. Ich gab dem Koch die beiden Bestellungen durch und begab mich erneut in den Thekenbereich. "Der Typ da hat gelbe Augen ist das dir schon aufgefallen?", kam Benoît zu mir und lehnte gegen den Tresen. "Bernstein. Seine Augen haben die Farbe von Bernstein." Benoît guckte mich zuerst überrascht und dann neugierig an:"Du kennst ihn anscheinend besser als ich?" "Ein Klassenkamerad von mir." "Und...?" "Wir sind nur Freunde." "Aha", grinste er und guckte wieder Richtung Gape und Oliver, "wenn du das sagst." Ich warf ihn einen bösen Blick zu, der ihn aber wie jeden zuvor auch nur zum Kichern brachte. Benoît klopfte mir anerkennend auf die Schulter und lobte mich, dass der Blick bereits effektiver wurde. "Ich geb' mir ja auch Mühe." "Ach du übst deine Grimassen morgens und abends vorm Spiegel, sei ehrlich!" "Verdammt! Jetzt hast du mich erwischt!", kicherte ich. Wir neckten uns noch zwei drei Minuten, bis ich das Essen wegtragen und zwei neue Bestellungen aufnehmen konnte. Natürlich war mir nicht entgangen, dass mich Gabriells Großvater mit leichter Begeisterung gemustert hat, es amüsierte mich sogar. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Gape ihm vieles, wenn vielleicht auch alles über unsere bisherige Beziehung erzählt hat, auch die nächtlichen Besuche? Nein...nein das nicht. "Hast du eigentlich schon ein Kleid?" Benoît warf mich aus meinen Gedanken und erwischte mich mit seiner Frage eiskalt. "Äh...äh...n...nein. Noch nicht." "Mach langsam. Erst die großen und dann die kleinen Buchstaben." "Nein. Ich weiß noch nicht was für ein Kleid ich mir hole." "Du musst doch eine ungefähre Vorstellung haben?" "Nein." "Du weißt nicht mal, wie viel es kosten darf...was, wenn du nach diesem Job nicht genügend Geld zusammen hast?" "Meine Tante ist damit einverstanden mir im Notfall etwas draufzulegen." Benoît nickte anerkennend. Als ich aus dem Augenwinkel bemerkte, dass er mich immer noch ansah fragte ich ihn was denn los sei. "Nichts. Ich finde nur, du solltest dir langsam mal einige Vorstellungen machen, was das Kleid betrifft. Nur so als Tipp von einem Arbeitskollegen." "Danke, wie nett von dir." Benoît grinste breit. Er reichte mir einen Zettel, wo einige Internetadressen von Modekatalogen drauf geschrieben waren. Kaum hatte er mir diesem Zettel überreicht beichtete er mir, dass seine Schicht nun zu Ende sei und ich für knapp drei Stunden allein mit einer anderen Studentin bedienen würde, bis der andere Kellner um halb acht kommen wurde. Ich verfluchte ihn ironisch und machte mich wieder ans Bedienen. Als ich an den Tisch von Gape vorbeikam fragte er mich grinsend, ob ich ihnen eine Nachspeise empfehlen könne. Bähm! Ich arbeitete kaum drei Tage in dem Bistro, daher kannte ich nur die meistbestellten Gerichte und die Tageskarte. Das einzige was ich wirklich auswendig konnte war mein Begrüßungssatz am Telefon…und ER wusste das! "Äh...würden die Herren denn etwas Süßes bevorzugen oder eher etwas erfrischenderes?" Gabriell verkniff sich mit aller Mühe einen Lachflash, aber ich musste so reden. Auf Anweisung von Michelle...und ER wusste das ebenfalls! Sein Gesicht lief rötlich an so sehr riss er sich zusammen, aber er tat es mir zuliebe, was mich wieder abregte. "Ich muss wegen dem Zucker unheimlich aufpassen, aber dem Süßwarenyankee da kannst du die volle Dröhnung geben." Gape und ich starrten Oliver groß an, doch jetzt was ich diejenige, die sich ein Lachen verkniff. Ich hätte nie gedacht, dass sein Opa so locker sei, obwohl...woher sonst könnte Gabriell seine Art und Weise an sich haben? "Dann empfehle ich für Sie einen Obstpudding, die sind extra zuckerarm schmecken aber trotzdem sehr gut...und für unseren Yankee", grinste ich und blickte zum falschen Engel, "bringe ich einen Bananensplit, mit viel Honig. Gesund aber süß!" "Passt wunderbar!", stimmte mir Oliver zu, noch bevor dessen Enkel sich äußern konnte. Auf den Weg in die Küche kam ich mir unglaublich gut vor, ich war stolz auf mich, Gape endlich mal sprachlos zu sehen. Doch kaum war ich bei unserem Koch angekommen roch ich dieses unglaublich feminine Parfüm. "Oh schön, dass ich Sie gleich antreffe, Mademoiselle Clarissa." Michelle baute sich vor mir auf, ihr Clipboard unter dem einen Arm geklemmt. Sie blickte mich wieder einmal über den Rand ihrer Brille an und fragte mich was ich da anhatte. Ich blickte an mir herunter und überlegte was falsch an meinem Outfit sei. Meine schwarze Hose wurde zu über 60% von der roten Schürze verdeckt und meine weiße Bluse war makellos gebügelt und wies keine Flecken oder Ähnliches auf. Dann dachte ich, dass meine schwarzen Chucks vielleicht der Fehler waren, doch jeder hier trug diese Schuhe. Ich guckte Michelle verwirrt an und versuchte ihr die Angst in meinen Augen nicht zu zeigen. Aber wie ich mich kannte sah ich gerade aus wie ein Reh, dass auf der Autobahn von einem Laster geblendet wurde. "Ich...ich habe an, was sie mir gesagt haben...oder nicht?" Michelle verzog die roten Lippen zu einer Grimasse und bejahte dies. Doch ihre Blicken verrieten mir, dass da noch etwas war. Ich überlegte, ob es vielleicht mein ganzes Erscheinungsbild war? Mein kompletter Tagesablauf bis vor zehn Minuten lief wie ein Kinofilm vor meinem inneren Auge ab. Ich hatte geduscht und meine Haare gewaschen, sie zu einem Zopf gebunden... "Treiben Sie Sport?", kam plötzlich die Frage meiner Chefin, „oder haben Sie sich schon mal überlegt, etwas mehr Farbe in Ihr Gesicht zu bringen?“ "Ähm...nein…und nein…" Meine Chefin setzte einen Schmollmund auf und grinste dann schälmisch. "Wäre beides vielleicht mal angebracht...schönen Tag noch!" Auch noch zwei Minuten nachdem Michelle das Bistro wieder verlassen hatte starrte ich immer noch an die Stelle, wo sie gestanden war. Wie bitte?? Ich schaute noch zwei Mal an mir runter und überlegte ob ich wirklich so dick war. Oder hatte ich wirklich so eine fade Haut? "Hey, Kleines...hast du eine Bestellung für mich, oder wartest du auf bessere Zeiten?", warf mir der Koch an den Kopf. Ich gab die Bestellung auf und meinte, dass ich kurz mal auf die Toilette müsste. Dort angekommen hockte ich mich auf die Toilette und schloss die Kabinentür, dann versuchte ich die Tränen soweit ich konnte zurückzuhalten und schluchzte nur ein paar Mal kurz auf. Ich atmete tief durch und ging ans Waschbecken um mir kaltes Wasser über das Handgelenk laufen zu lassen. Dann blickte ich in den Spiegel. "Gut...", bemerkte ich selber, " keine roten Augen." Ich sah nach wie viel Uhr es war. Noch vier Stunden arbeiten...ich schickte ein Stoßgebet in den Himmel, dass Michelle heute nicht noch einmal aufkreuzen würde und begab mich wieder in den Thekenbereich. *** Clarissa... "Ich will noch nicht sterben! Verdammt dreh um, oder weich aus!", schrie ich. Clarissa... Ich blickte zu dem Mann, der mich fuhr und merkte, dass ich weinte. Warum weinte ich? Er sah auch zu mir, ich bemerkte ein trauriges Lächeln in seinem Gesicht. Warum konnte ich ihn nicht sehen? Aus lauter Verzweiflung griff ich zu ihm rüber, packte seinen Arm. Er wandte den Blick nicht von mir ab. Ich versuchte noch einmal zu schreien, doch es gelang mir nicht. Clarissa... "Ich liebe dich...", flüsterte mir der junge Mann zu. Ich schluchzte noch einmal heftig und flüsterte ebenfalls: "Ich liebe dich auch..." "Clarissa!" Den Aufprall der beiden Autos merkte ich bereits nicht mehr, dass musste aber auch daran liegen, dass Anna heftig an mir rüttelte. Sie packte mich an den Schultern und fragte was passiert sei. "Nichts...nur ein schlechter Traum." "Bist du dir sicher, Liebes? Du bist so blass und durchgeschwitzt!" "Ja...bin ich." "Komm schon steh auf, du musst zur Arbeit. Du hast den Wecker anscheinend nicht gehört und bist zehn Minuten später dran...ich fahre dich." "Okay..." Anna strich mir noch einmal über die Schultern und öffnete meine Fensterläden. Sie meinte, dass wir in zwanzig Minuten fahren könnten und ich mich bis dahin fertig machen sollte. Ich schob die Decke von mir und blickte aus dem Fenster. Es regnete... "Na toll. Perfektes Wetter habe ich auch noch...", murmelte ich und ging runter ins Bad um meine Haare zu kämmen. Geschickt flocht ich mir einen Zopf und steckte meinen Pony nach hinten, da dieser mittlerweile viel zu lange war um ihn einfach hängen zu lassen. Ich zückte den Kajal und Eyeliner, welchen mir Melinarés gestern Abend noch schnell borgen konnte und schminkte mich so wie sie es mir erklärt hatte. Zusätzlich legte ich mit einem kleinen Pinsel etwas von dem Rouge auf das ich mir vor sehr langer Zeit mal besorgt hatte. Ich schlüpfte in die Schuhe und zog meine neue Windjacke an, welche ich von Anna gekauft bekommen hatte. Im Bistro war viel Betrieb für einen verregneten Sonntag. Benoît kam mir gleich im Garderobenbereich entgegen und begrüßte mich mit der Frage, was gestern zwischen mir und Michelle gelaufen sei. "Ich wünsch dir auch einen guten Morgen, Ben...", murmelte ich und begab mich zu meinem Spint. "Der Koch meinte, sie hat dich zurechtgewiesen...was hast du angestellt?", grinste er. "Gar nichts!", fauchte ich. "He Moment mal! Ich bin nicht derjenige auf den zu wütend bist!" "Aber du nervst, kaum dass ich hier bin! Wenn dir der Koch verraten hat, dass ich Krach mit ihr hatte soll er dir auch gleich die ganze Geschichte verraten." Ich band mir die Schürze um und guckte noch mal in den Spiegel über der Spüle. Kaum das ich im Thekenbereich war bemerkte ich den falschen Engel, welcher mir aus dem hinteren Sitzbereich eine Grimasse zuwarf. Etwas milder gestimmter schlenderte ich zu ihm. Ich war froh Gape zu sehen, wenigstens eine Person wo ich mich freute sie zu sehen. "Na? Hat gestern anscheinend gut geschmeckt wenn du heute noch mal kommst", grinste ich ihn an. "War super. Besonders meine Zuckerdroge...woher wusstest du, dass ich eine Schwäche für gebratene Bananen mit Honig habe?" "Du bist berechenbar." Ich lächelte fies und zückte den Kugelschreiber. "So? Bin ich das? Oder kennst du mich nur mittlerweile so gut?" "Hm...etwas von beidem. Willst du jetzt bestellen oder weiter mit mir diskutieren?" "Ich bestell was. Mal sehn..." Gape guckte forschend in die Karte, "du hast deine Unwissenheit gestern übrigens sehr gut überspielt!" "Meine Unwissenheit?" "Hm...du arbeitest erst seit vier Tagen hier...kaum einer kennt bis dahin die komplette Karte auswendig." "Woher...?", wollte ich wissen, doch Gabriell kam mir dazwischen. "Du bist berechenbar." Kapitel 7: Auf Kleidschau ------------------------- Gabriell kam seitdem fast jeden Tag zum Mittagessen, auch als die Schule wieder anfing. Natürlich hatte ich bin dahin nicht mal annähernd das Geld für mein Kleid zusammen (mittlerweile wusste ich immerhin schon mal, welches Kleid ich wollte und das war schon mal ein Fortschritt!) und somit ackerte ich mich weiter im Bistro ab. Meine Chefin wies mich noch weitere drei Male darauf hin, dass ich Sport treiben sollte, seit einer Woche wusste ich wenigstens auch den Grund, wenn man es so sehen konnte... "Man sieht, dass sich Ihre Bluse in Bauchgegend zu sehr spannt." "Dann besorg ich mir die Bluse eine Nummer größer...?", schlug ich ihr vor. "Dann sehen Sie zu locker aus, kommt nicht infrage!" So viel dazu, seit dem band ich die Schürze zehn Zentimeter höher, damit man die Problemzone nicht bemerkte und seitdem hatte Michelle nichts mehr bemängelt. Oder war sie es sich mittlerweile leid? Ich bekam Gänsehaut an den Gedanken... In der Schule lief es wie immer mit dem kleinen Zusatz, dass jetzt jeder nur noch über den Ball sprach; welches Kleid man anzog, welcher Schmuck dazu getragen wurde...auch Melinarés und Daniela hatten keine wichtigeren Themen mehr außer dies, was mich an den Rand meiner Nervenbeherrschung brachte. Ich war übermüdet, Wochenendschichten und dann noch nach der Schule arbeiten...diese Kombination machte mich völlig fertig. "Mikey und ich waren in den Ferien mein Kleid kaufen...seitdem esse ich nur noch fettarm und kalorienreduziert", lachte Daniela und blätterte in einem Katalog für Schmuck. "Meins passt mir wie eine zweite Haut...", lächelte Melinarés. "Süße du spielst Handball. Es ist klar, dass dir dein Kleid auf Anhieb passt!", beschwerte sich Dani. Melinarés grinste noch breiter und aß ihr Mittagessen in der Kantine. Daniela sah zu mir und fragte mich wegen meinem Kleid aus. Ich hatte den Kopf auf die Hände gestützt und versuchte die Beherrschung nicht zu verlieren. Ich wusste gar nicht, dass sie so nerven konnte, oder dass ich so leicht reizbar war. Ihre Rettung vor meiner Wutattacke war der Gong zur nächsten Schulstunde. Auf den Weg zum Biologieraum lief ich Julien über den Weg, dieser lächelte mich heiter an und fragte ob ich denn schon aufgeregt sei. "Julien wir gehen auf den Frühlingsball, nicht auf unsere Hochzeit!", fauchte ich und eilte an ihm vorbei. "Hey...alles in Ordnung?" Ich blieb abrupt stehen, drehte auf dem Absatz um und starrte ihn an. "Sehe ich denn okay aus? Nein! Ich bin müde und ausgelaugt, meine Chefin legt es jedes Mal darauf an mich auf eine Abmagerungskur zu schicken nur weil sie meint, dass meine Bluse zu arg spannt! Dann kommt noch dazu, dass hier jeder wegen diesem Ball völlig durchdreht und nur noch über Kleider und Schmuck zu reden scheint!" Der Junge sah mich nur groß an und ich stellte mir in diesem Moment vor, dass er mit jedem Wort das ich sagte immer kleiner wurde. Als ich Luft holte war Julien nur noch zehn Zentimeter hoch und blickte leicht verängstigt drein. Gleich darauf tat er mir so leid, dass ich schon wieder hätte heulen können. Ich wollte meinen Frust nicht an einem Freund auslassen und schon gar nicht an ihm. Und jetzt hatte ich es doch getan... "Julien...es...es tut mir leid...", seufzte ich und strich meine Haare nach hinten. "Ist schon okay. Solange du mir nicht an die Gurgel springst!", lächelte er und klopfte mir auf die Schulter. Dabei hielt er jedoch gebührend Abstand. "Eine Vorwarnung wäre das nächste Mal nicht schlecht...ich habe uns übrigens eine Ansteckblume bestellt, eine weiße Rose!" "Oh, Julien! Was wäre ich nur ohne dich?" *** Eine Woche vor dem Ball lief ich wie ein aufgescheuchtes Huhn im Bistro herum, nicht nur weil ich mein Kleid noch nicht hatte sondern auch weil ich überhaupt keine Ahnung hatte, was die weiße Ansteckrose bedeuten sollte. Benoît klebte an mir wie mein Schatten, doch nachdem er nach drei Stunden nörgeln immer noch keine Details von mir bekam gab er es endlich auf. Auch Michelle hatte seit ihrem letzten Mal nichts mehr zu beanstanden was aber auch daran liegen könnte, dass ich aus lauter Stress und Müdigkeit gute zweieinhalb Kilo abgenommen hatte. Mittlerweile konnte ich die Menükarte im Schlaf und auch das Tragen der Teller war für mich ein Kinderspiel geworden. Das Wetter hatte sich um 180° gedreht die Sonne schien nur noch und abgesehen von einem lauen Wind war es super angenehm. Der falsche Engel kam seit drei Tagen sogar schon wieder im Shirt zum Essen. "Ist dir überhaupt nicht kalt?" "Nein, warum denn auch? Draußen sind es fast 14 Grad!" "Du irrer!" "Nein! 'Falscher Engel' für dich!", grinste er. Dienstag Gabriell hatte mir heute in der Schule mitgeteilt, dass er wegen eines Arzttermins nicht zum Essen kommen könnte und es hörte sich sehr nach einer Entschuldigung an. Ich musste schmunzeln und versprach, dass ich es ihm nicht nachtragen würde. Als ich jedoch den Ersatzgast für Gape im Bistro sitzen sah nahm ich mir feste vor, es doch zu tun. Shane hatte die Beine übereinander geschlagen und studierte die Karte interessiert. Mir kam eine Gänsehaut auf, als ich es gerade noch schaffte ihren Blicken auszuweichen und mich hinter der Theke zu verstecken. "Kannst du die nicht übernehmen?", fragte ich Benoît als er mich hinter der Theke knien sah. "Welche? Die heiße Schecke an Tisch sieben, wo sonst dein 'Kumpel' immer sitzt?" "Ja die. Wir...wir verstehen uns nicht so gut..." "Sorry, Cheri...aber ich habe Schichtschluss." "Du Idiot hast doch immer dann Schluss, wenn ich dich um was bitte?!", murmelte ich und stand wieder auf. "Klar ich habe sonst ja nichts zu tun!", lachte er und zog sich seine Jacke an. Ich wünschte ihm innerlich alles Mögliche an den Hals und holte noch einmal tief Luft dann ging ich Richtung Weltuntergang und stellte mich genau vor Shane. "Hi! Kann ich deine Bestellung aufnehmen?" Sie blickte mich mit einer Kombination aus Feindseligkeit und Überraschung an, bis sie aus der Überwältigung auftaute hatte ich wenigstens Zeit noch mal Luft zu holen und meinen letzten Funken Nerven zusammenzukratzen. "Was machst du hier?", fragte sie mich schließlich. "Ich bediene hier." "Du bedienst?" Ich zeigte auf meinen Block und die Schürze. Shanes Augen wurden kurz zu schmalen Schlitzen, doch sie blieb brav und bestellte ihr Essen. Stolz aber auf zittrigen Knien begab ich mich in Richtung Küche. Dort lauerte mir Benoît auf und meinte belustigt, dass ich immer noch am Leben sei. Leider kam Michelle grade in die Küche stolziert sonst hätte ich ihm am liebsten einmal gegen das Schienbein getreten. Michelle guckte kurz von mir zu Benoît und dann zum Koch, der nur breit grinsend die Schultern zuckte. Wir nickten alle drei als sie fragte, ob alles in Ordnung sei und ging wieder. Ich kniff Benoît dann doch in die Seite, so dass er einen Satz zur Seite machte. Der Koch gab mir den Salatteller der für Shane war und schickte mich damit wieder raus. Shane sah mit ihren blauen Augen zu meiner Wenigkeit hoch, als ich den Teller voller Grünzeug vor sie hinstellte und ihr einen guten Appetit wünschte. Sie schob ich gleich zwei Gabeln voll Karotte und Bambussprossen in den Mund, während ich den Tisch nebenan bediente. Im Augenwinkel konnte ich beobachten wie der Salatteller einem Schlachtfeld glich und immer weniger wurde. Bereits als ich die Getränke an den Nachbartisch brachte winkte Shane mich wieder zu ihr; die Schlacht von Salat war gewonnen, der Teller war leer. "Kann ich dir noch etwas bringen? Ein Eis vielleicht?", grinste ich sie gehässig an. Shane warf mir diesen eiskalten Blick zu, der die Sahara gefrieren ließ und meinte sie würde noch eine Apfelschorle trinken. An der Bar zapfte ich ihr gewünschtes Getränk und brachte es sogleich. Als ich dann wieder nach einem Eis fragte verdrehte sie nur die Augen und raunte: "Willst du, dass ich am Freitag nicht mehr in mein Kleid passe?" Überrascht sah ich zu ihr. "Das wundert dich?" "Natürlich!", antwortete sie und warf sich die Haare von der Schulter nach hinten, „so gehässig kannst du also sein, wenn man dir deinen Freund ausspannt?“ „Gape ist nicht mein Freund!“ „Ach stimmt ja…“, bemerkte sie, „wir wollten uns ja um ihn streiten…“ „Soll ich dich jetzt an den Haaren ziehen und du kratzt mich? Oder wie läuft das ab?!“ „Nein…so kindisch machen wir das nicht“, lächelte sie erneut gehässig. Ich verdrehte die Augen und seufzte. Shane sah zu mir hoch und schnitt eine Grimasse. „Hast du denn wenigstens schon ein Kleid?“ „Nö du…?“ „Ja natürlich!“ „Echt?“ „Das Kleid ist am Frühlingsball doch das Wichtigste am ganzen Abend! Willst du wissen wie meins aussieht?“ Ich biss mir auf die Lippe, die Neugierde brannte in mir. Von einem Fuß auf den anderen tänzelnd schluckte ich die Fragen herunter, welche mir zu ihrem Kleid einfielen und hüpfte so hinter die Theke und beobachtete Shane. Das restliche Bistro war bis auf den Nebentisch und ein Ehepaar in den älteren Jahren völlig leer. Ich guckte noch ein letztes Mal das wirklich jeder bedient war, schlich mich auf den Hocker um meinen Füßen eine kleine Auszeit zu gönnen und um auf mein Handy zu spitzen. Ich hatte mich für morgen mit Daniela verabredet um mir mein Kleid zu kaufen, somit brauchten wir nur noch die nötigsten Details zu klären. Gerade rechtzeitig steckte ich mein Handy wieder ein, als Michlle um die Ecke geschlendert kam und mit ihrem Blick an mir haften blieb. "Mademoiselle Clarissa...haben Sie nichts zu tun?", fragte sie spitz. "Tisch 4 hat gerade die Hauptspeise bekommen, der Tisch daneben trinkt eine Apfelschorle und liest in einer Fachzeitschrift für Ballschmuck und Tisch 14 verspeist soeben sein Dessert." Michelle blickte einmal in die Runde und dann auf ihr Schreibbrett, dann zu mir. "Glück gehabt." Mit diesen Satz verließ sie das Bistro endgültig, es war kurz vor 18 Uhr und ihr Mann somit zu Hause. Ich seufzte leicht gestresst, denn ich würde noch bis 20 Uhr Dienst schieben und dann daheim duschen und ab ins Bett. Meine Hausaufgaben hatte ich in meiner Pause gemacht und war damit von wenigstens einer Last befreit. Zehn Minuten später kassierte ich das ältere Ehepaar ab und auch die Frau, die neben Shane saß. Diese blätterte immer noch in der Fachzeitschrift für Ball- und Brautschmuck und nippte gelegentlich an ihrer Apfelschorle. Jetzt wurde es auch wieder ein bisschen voller im Bistro, so dass ich gar nicht merkte wie die Zeit verging. Plötzlich standen Frederik und meine Ablösung in der Tür; beide grinsten. Mittwoch Gerade als ich in den Schulbus steigen wollte um nach Hause zu fahren packte mich jemand am Blazer und hielt mich zurück. Es war Daniela und Julien. Beide grinsten. "Ähm...ja?", fragte ich. "Wir beide gehen in die City und kaufen dir endlich dein Kleid!", grinste Daniela noch breiter. Julien sah sie leicht verwirrt an: "Ich dachte wir gehen einen Kaffeetrinken?" "Das können wir machen, nachdem wir das Kleid haben!" "Und...was soll ich bitte dabei?" "Das hier ist keine Hochzeit Julien! Da du auch noch eine Krawatte für den Ball brauchst und diese farblich zu Clarissas Kleid passen muss gehst du mit!" Der Junge hob eine Augenbraue und meinte, dass Daniela eine perfekte Organistin werden könnte und schüttelte dann den Kopf. Wir gingen zu ihrem Auto und fuhren Richtung Stadt. "Wie sollt dein Kleid überhaupt aussehen? Du meintest, dass du schon eine Idee hättest?", fragte Daniela und parkte geschickt ihr Auto in einer Parklücke. "Ja", lächelte ich und kramte in einer Mappe und zeigte ihr das Bild. "Okay...aber auf keinen Fall diese Farbe!" "Warum denn nicht?", wollten Julien und ich im Chor wissen. "Ganz einfach. Guck dir Julien mal an." Ich tat wie mir befohlen und sah meinen Ballpartner an, welcher sofort smart grinste. "Ja...?" "Er ist goldblond, hat grüne Augen und einen blassen Teint!", meinte Daniela und ging in einen Laden für Hochzeits- und Ballmode, "da kannst du keine pastelligen Farben anziehen!" "Soll ich nackt gehen?" "Nein...was du brauchst sind knallige Farben!" Eine Verkäuferin kam zu uns geschlendert und lächelte übertrieben: "Hallo ihr lieben! Was kann ich für euch tun?" Julien und ich zogen Aufgrund ihres übertriebenen Grinsen einen Schmollmund und wichen einen Schritt zurück, Daniela dagegen erklärte warum wir hier seien: "Wir haben diesen Freitag von unserer Schule aus Frühlingsball und meine Freundin hier benötigt noch ein Kleid..." "Okay, dann kommt doch gleich mal mit! Was hast du dir vorgestellt?" Nachdem Daniela mein Traumkleid einen Tritt in den Hintern verpasst hatte musste ich mir schnell etwas anderes überlegen. Ich wühlte in meinem Kopf nach ein paar Entwürfen oder Vorlagen, welche ich in einem Katalog vorher schon erhascht hatte und sagte der Verkäuferin meine Vorstellung. Daraufhin verschwand sie kurz in einem Nebenraum und suchte die Kleider. Wir nahmen solange auf drei Loungesesseln Platz und warteten geduldig. "Wie ich dich kenne hast du sicherlich auch noch keinen Schmuck...?", fragte Daniela und warf mir einen vielsagenden Blick zu. "Nachdem ich besagtes Kleid nicht mehr tragen darf muss ich mir auch neuen Schmuck kaufen...", raunte ich zurück. "Süße...auch wenn Julien ein Latino wäre..." Sie guckte Julien grinsend an und fügte hinzu, "...könntest du keine knallige Farbe tragen. Du bist erstens dunkelhaarig und hast auch einen hellen Teint...und wie eine Bordsteinschwalbe willst du dich ja auch nicht schminken, das wäre nämlich der einzige Weg um das auszugleichen!" "Willst du mir damit sagen, dass ich meine Haare färben soll?" "Könnte ich dir machen, ich habe noch Haarfarbe zu Hause", grinste Daniela und zwirbelte eine meiner Haarsträhnen um ihren Finger. "Vergiss es! Ich lass mir meine Haare nicht färben nur damit du deinen Willen bekommst!", erwiderte ich und stummte ihre Hand weg. "Wenn ihr zwei nicht gleich aufhört setzt ich mich dazwischen!", warnte uns Julien und rieb sich die Stirn, "ich krieg schon Kopfschmerzen!" "Ich habe ein Aspirin", lachte Daniela und beugte sich vor, um Julien zu sehen. In dem Moment kam die Verkäuferin zurück, eine Stange voll Kleider im Schlepptau. "Na dann...auf ins Gefecht!", lächelte die Frau und zeigte mir das erste Kleid. "Nein, viel zu gelb!", rief Daniela gleich und winkte weiter. "Ich kann mich nur wiederholen...das ist nicht meine Hochzeit! Wir gehen nur auf den Frühlingsball!" "Und dort werden auch Fotos gemacht...willst du deinen Kindern später mal ein Bild von dir und ihrem Vater zeigen, wo du ein quietschgelbes Kleid anhattest?" Julien lachte los und fuhr sich mit den Händen fassungringend durch die Haare, während ich meiner Freundin in die Seite kniff und mir die nächsten Kleider ansah. Diese gefielen mir wiederum nicht und das fünfte Kleid setzte alledem noch die Krönung auf, als Julien verneinte. "Hast du das grade nur gesagt um nicht völlig stumm bei uns zu sitzen? Oder hast du endlich mal ein Paar Eier in deiner Hose entdeckt?", wollte Daniela wissen und lehnte sich erneut vor. "Mir gefiel die Farbe an Clarissa nicht und ich hatte schon immer die nötige Portion Eier in der Hose..." Daniela schwieg kurz, sah dann zu mir, doch ich zuckte nur mit den Schultern. "Braver Junge!", lobte sie ihn schließlich und zeigte auf ein Kleid im Regal. Dieses war königsblau und hatte Spaghettiträger und einen nicht allzu tiefen aber dennoch schönen Ausschnitt. Sie reichte es mir und wies mich in die Umkleide. Während ich mich umzog fragte sie wie ich meine Haare machen wollte und als ich mit "Keine Ahnung" antwortete riss Daniela den Vorhang auf. Ich zuckte zusammen und fauchte ihr ein paar Bemerkungen entgegen. "Du...hast...keine Ahnung...wie du deine Frisur am wichtigsten Abend deines Schuldaseins machen willst?", fragte sie ungläubig. "Machst du bitte mal den Vorhang zu!" "Julien sieht sicherlich nicht zum ersten Mal einen BH an einer Frau..." Daniela drehte sich zu dem Jungen um, dieser hielt sich verlegen die Hand vor die Augen und lief rot an. "Ich darf mich doch mal irren!", meinte Daniela dann und schloss den Vorhang wieder. Ich zog den Seitenreißverschluss zu und begutachtete das Kleid im Stillen. Es passte eigentlich wie angegossen und auch die Art des Schnittes gefiel mir gut. Ich ging aus der Kabine und lief ein paar Meter. Dann guckte ich noch mal in den Spiegel und drehte mich zu Julien um. Dieser rümpfte leicht die Nase und schüttelte den Kopf. "Es gefällt dir auch nicht...wenigstens haben wir denselben Geschmack!", lächelte ich und zog mich wieder um. "Vielleicht sollten wir es doch einmal mit einer noch kräftigeren Farbe probieren?", fragte Julien. "Wollte ich auch grade vorschlagen. Wo ist Dani?" Ich trat aus der Kabine und schlenderte zu meinem Ballpartner, welcher mir ein anderes Kleid von der Stange gab. "Sie guckt grad in der Abteilung von Schmuck..." "Als hätte sie nicht schon genug!" Julien grinste und ging ein paar Schritte. Ich fasste den Entschluss auch ihm ein bisschen Entscheidungskraft zu geben und bat ihn ein Kleid für mich auszusuchen, was ihm gefiel. Als mich mein Sandkastenfreund nur groß anschaute musste ich grinsen. "Wegen der Farbe die später auch deine Krawatte haben wird dachte ich, ich tu dir den Gefallen. Das heißt, wenn du magst!" Julien grinste jetzt auch und erwiderte das er am Ball sowieso eine rote Krawatte tragen würde und machte sich auf die Suche. In dieser Zeit zog ich ein Lachsfarbenes Korsagenkleid an, welches mir von Anhieb nicht gefiel. Ich musste lachen und ging aus der Kabine, wo Daniela bereits auf mich wartete. "Wo ist Julien?" "Er sucht ein Kleid für mich aus." Jetzt guckte Dani dumm aus der Wäsche und brauchte ihre fünf Minuten um sich wieder zu fangen. Sie sagte nicht viel weiter und zeigte mir stolz ihren neu ergatterten Schmuck, welchen sie unbedingt tragen wollte wenn wir wieder mal zusammen auf die Piste gingen. "Melinarés hat mir erzählt, dass du nach diesem Jahr studieren willst...was für ein Fach hast du denn in Erwägung gezogen?" "Jura. Ich will der Gerechtigkeit einen neuen Schliff geben!", lachte sie und nahm wieder im Sessel Platz. Wie auf Knopfdruck kam Julien um die Ecke geschlendert und hielt ein knallrotes Kleid in der Hand. "Das ist aber ein A-Schnitt!", meldete sich Dani sofort zu Wort. "Ja, aber ich muss es auch tragen, oder?", grinste ich und nahm das Kleid mit in die Kabine. Es saß perfekt hatte etwa drei Zentimeter Spielraum, einen V-Ausschnitt der nicht zu tief ging und der Rock ging bis zu den Knöcheln. Es gefiel mir auf Anhieb und als ich aus der Kabine trat bemerkte ich entzückt, dass es beim Gehen Falten warf. Daniela und Julien standen erwartungsvoll vor mir und beäugten mein neues Anhängsel. "Gut gemacht", sagte Daniela reumütig und klopfte Julien auf die Schulter. "Danke", erwiderte er und fügte hinzu", irren ist menschlich...du hast also dein Bestes gegeben!" Jetzt kniff sie ihn in den Unterarm, bevor sie zu mir kam und mit einem Zopfgummi meine Haare zu einem Dutt zusammenband und ein paar einzelne Strähnen heraushängen ließ. Wir schauten in den Spiegel und kommentierten zusammen, dass das Kleid seinen Test bestanden hatte und somit auch die provisorische Frisur. Der Blick aus das Preisschild verriet mir gleich das ich sogar noch ein bisschen Geld übrig haben würde, um mir den passenden Schmuck zu kaufen. Niemand von uns dreien hätte jemals im Leben daran gedacht, in knapp drei Stunden wieder in Danielas Auto zu sitzen...Julien bemerkte sogar, dass das ein persönlicher Rekord wäre... Kapitel 8: Juliens Opfer ------------------------ Donnerstag. Anna und ich standen in der Küche und bereiteten gerade das Abendessen vor, als das Telefon klingelte. Frederik eilte aus dem Wohnzimmer und nahm ab. "Seit wann ist er so schnell?", wollte ich von meiner Tante wissen. Sie lachte und sagte, dass sie keine Ahnung hatte. Kurz darauf trat Frederik in die Küche und reichte mir den Hörer. "Melinarés", meinte er und grinste. Es war kein Geheimnis das meine Freundin ihm ans Herz gewachsen war, allein schon weil sie mir am Anfang sehr geholfen hatte und immer für mich dagewesen war. "Hi, Melli! Was gibt's?" "Abend. Daniela hat mich grade angerufen, ich soll dir Bescheid sagen, dass wir uns morgen bei ihr treffen wegen fertig machen und so." "Und das hätte sie mir morgen nicht sagen können?" "Nein, sie ist morgen nicht in der Schule...oder besser gesagt im Unterricht. Die Abschlussklassen bereiten die Sporthalle vor für den Ball." "Ach so...okay. Dann denk ich mal, dass wir uns auch erst bei ihr umziehen?" "Genau. Sie meinte sie würde dir die Haare hochstecken, also bereite dich mental darauf vor!", lachte sie. "Na toll!" "Keine Angst, Daniela macht ihre Sache gut!" "Jetzt hast du mir aber gleich die Angst genommen!" Melinarés kicherte noch einmal und legte dann auf. Ich erklärte Anna wie es morgen ablaufen würde, dass ich ab Nachmittag unterwegs sein würde und absolut keine Ahnung hatte, wie lange wir unterwegs waren. "Hey das ist der Frühlingsball...solange ihr euren Spaß habt ist alles in Ordnung!" Diese Nacht kam Gape natürlich nicht das Rosengitter hochgeklettert, sondern er rief bei mir an und fragte wie es mir denn ergangen sei beim „Fummelkaufen“. Ich entgegnete mit ein paar nicht jugendfreien Kommentaren, worauf wir aber beide lachen mussten. Irgendwie komisch wenn er nicht auf meinem Fensterbrett saß. *** Clarissa... "Ich will noch nicht sterben! Verdammt dreh um, oder weich aus!", schrie ich. Clarissa... Ich blickte zu dem Mann, der mich fuhr und merkte, dass ich weinte. Warum weinte ich? Er sah auch zu mir, ich bemerkte ein trauriges Lächeln in seinem Gesicht. Warum konnte ich ihn nicht sehen? Aus lauter Verzweiflung griff ich zu ihm rüber, packte seinen Arm. Er wandte den Blick nicht von mir ab. Ich versuchte noch einmal zu schreien, doch es gelang mir nicht. Clarissa... "Ich liebe dich...", flüsterte mir der junge Mann zu. Ich schluchzte noch einmal heftig und flüsterte ebenfalls: "Ich liebe dich auch..." "Clarissa!" Den Aufprall der beiden Autos merkte ich bereits nicht mehr, dass musste aber auch daran liegen, dass ich schweißgebadet und heftig zitternd in meinem Bett aufwachte. Ich sah auf die Uhr es war kurz nach eins... Freitag Nach meinem Traum hatte ich so gut wie nichts mehr geschlafen, war in meinem Zimmer auf und abgegangen und hatte ein paar Mal mein Kleid begutachtet. Um ungefähr halb sieben ging ich dann in die Küche und versuchte mir einen Müsliriegel reinzudrücken, da es mir jetzt schon die Kehle zuschnürte an den Gedanken im Kleid heute Abend mit Julien zu tanzen. In der Schule redeten alle nur noch um den heutigen Abend, wer welchen Schmuck tragen und wie viel Alkohol auf der Aftershow Party vertragen würde. Melinarés, Daniela und ich saßen in der Mittagspause mit Gape und Julien zusammen. "Wenn ihr noch keine Mitfahrgelegenheit habt, kann ich euch unterwegs aufsammeln. Ich bekomm das Auto von meinem Großvater", schlug der falsche Engel vor und sah in die Runde. Daniela bemerkte, dass Mike uns später zum Ball fahren würde, da wir Mädels uns ja eh bei ihr fertigmachten. Gabriell zog kurz die Augenbrauen zusammen und zuckte mit den Schultern. Genau in diesem Moment legte Julien ihm die Hand auf die Schulter und erklärte, dass seine Eltern wieder einmal geschäftlich verreist waren und er noch einen fahrbaren Untersatz benötigte. Gabriell willigte leicht grinsend ein und Julien erntete ein dankendes Nicken von mir. Daniela verdrehte plötzlich die Augen und deutete Richtung Kantineneingang, wo Shane gerade hereinkam und ihre "Jüngerinnen" ihr hinterher wackelten. Anscheinend verteilte sie gerade drittklassige Tipps, wie man sich am besten an einen Jungen ranschmiss, als die Gruppe an unserem Tisch vorbeikam. Daniela und mir stellten sich sofort die Nackenhaare und auch Gabriell sah aus als würde er jetzt lieber woanders sein. Shane trat hinter Melinarés und lächelte herablassend: "Na wen haben wir denn da?" "Deinen schlimmsten Alptraum wenn du in Parfüm gebadetes Etwas nicht gleich wieder verschwindest!", raunte Daniela und gab sich Mühe nicht ihre Dose Red Bull zu zerdrücken. "Meinst du, dass macht mir Angst?" "Ich weiß es!" Shanes Lächeln nahm etwas ab dann blickte sie zu mir. Man konnte nicht in Worte fassen was ihre blauen Augen mir gerade mit nur einem Wimpernschlag mitteilten. "Ich habe euch gestern gesehen...im Braut- und Abendmodeladen." "Schön für dich...hat es dir wenigstens gefallen?", wollte ich wissen. Meine Knie wurden weich und mir rann der kalte Schweiß den Rücken herunter, ein Glück also dass ich saß. "Das Kleid, nein den Fummel wo du dir in knallrot gekauft hast...das du dich mit sowas überhaupt in der Öffentlichkeit zeigen willst." "Auch wenn es ein 'Fummel' ist, wie du es gerade so schön benannt hast so kann ich doch hundert prozentig sichergehen, dass ich es selber gezahlt habe und nicht Mami." Daniela lachte belustigt auf und klatschte in die Hände. Doch Shane hatten noch ein Ass im Ärmel mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte. "Naja im Gegensatz zu dir bekomm ich wenigstens noch Geld von meiner Mutter und diese ist auch noch mit meinem Vater zusammen. Bevor du das nächste Mal über mich und meine Familie urteilst kehr' doch erst einmal vor deiner eigenen Haustür!" Mit diesen Worten ging sie weiter und ließ uns so sitzen. Ich war wie eingefroren denn tausende Erinnerungen die ich eigentlich für erfolgreich verdrängt geglaubt hatte kamen mit einem Mal alle wieder hoch. Daniela und Melinarés sahen zu mir, beide legten mir mitfühlend eine Hand auf die Schulter und versuchten mich zu trösten. "Komm schon wegen so etwas lässt du dich doch nicht unterkriegen?" "Genau! Die Alte erfindet doch nur was um dich zu verunsichern!", meinte Daniela und streichelte meinen Rücken. Ich musste lächeln: "Schöne Theorie...nur sie hat Recht...meine Eltern trennen sich gerade und deswegen bin ich hier…", meinte ich und drückte die Tränen weg. „Hey…Maus nicht nein wegen so einer fängst du nicht das weinen an oder?“ „Nein nicht wegen ihr…“, ich holte tief Luft und wedelte mir Luft zu um die Tränen wegzukriegen, „es ist…wegen…oh man…“ „Wegen den Erinnerungen die hochkommen…“, murmelte Gabriell meinen Satz zu Ende. Ich nickte und lächelte ihm dankend zu. *** Später bei Daniela. Nachdem wir unsere Kleider geholt und sicher im Kofferraum verstaut hatten fuhr uns Gape gleich nach der Schule zu ihr und erklärte, dass er bei Julien bleiben würde. Melinarés und ich wurden von Dani angewiesen gleich im Bad zu verschwinden um schon mal alles vorzubereiten. "Was wollen wir denn großartiges machen?", wollte ich von der Blondine neben mir wissen und zündete die Duftkerzen auf der Badablage an. Melinarés grinste breit und meinte: "Jedes mal wenn ich mit Daniela weggegangen bin haben wir uns vorher immer einen "beauty moment" beschert. Sprich Gesichtsmasken, Maniküre und die ganzen Kleinigkeiten. Mädchenkram halt!" "Mädchenkram in der hardcore Version!", erwiderte ich. "Mädels, der Frühlingsball ist schon immer etwas Besonderes gewesen...da muss man so ein Ritual halten!", lachte Daniela und kam mit einer Flasche Hugo Sekt und drei dazugehörigen Gläsern ins Bad. Wir tranken jede ein Glas und begannen damit die Gesichtsmasken anzurühren um uns gegenseitig diese aufzutragen. Es fühlte sich kühl und glitschig an doch bereits kurz darauf spürte ich, wie meine Haut darunter entspannte und sich leicht erwärmte. Ich guckte in den Spiegel und musste lachen. "Ich seh ja wie eine 50 jährige aus die das jeden Abend zu macht und noch Gurkenscheiben auf die Augen legt!" "Ja, nur dass ich keine Gurke da hab und du auch nicht 50 Jahre alt bist...", grinste Daniela und feilte ihre Fingernägel. "Und ich glaube auch nicht, dass du so jetzt rüber zum Einkaufscenter gehst und eine besorgst!", lachte ich erneut und stummte sie leicht an. Während Daniela und ich uns gegenseitig hochnahmen war Melinarés damit beschäftigt ihre und meine Fußnägel in einem dunklen Rot zu lackieren. Es war eine schöne Farbe passend zu meinem knallroten Samtkleid. Endlich mal eine Alternative zu schwarzen Nägeln wie sie im Moment Mode waren. Nach 20 Minuten wuschen wir uns die Gesichtsmasken wieder ab. So weich und rein hatte sich meine Haut noch nie angefühlt, ich wollte mich schon weigern es wieder mit Make up vollzukleistern. Da ich mit Schminke immer noch nicht gut umgehen konnte versprach mir Daniela sich um mich zu kümmern, sobald sie bei sich selber fertig war. Um die Zeit sinnvoll zu nutzen kümmerte ich mich um meine Fingernägel. Stolz betrachtete ich sie, welche ich seit gut zwei Monaten nicht mehr angeknabbert oder abgekieft hatte. Zwischendurch schenkte Daniela uns immer wieder nach und als sie beginnen wollte mich zu schminken kicherte sie schon leicht angeheitert. "Sicher, dass du das machen willst?", wollte Melinarés wissen und blickte Dani prüfend an. "Klaro...", kicherte diese und machte gekünstelt einen kleinen Satz nach hinten. Melinarés und ich wechselten einen Blick der jedes weitere Wort ungespitzt in den Boden stampfte. Während Daniela in der Küche ein paar kleine Snacks vorbereitete wollte Melinarés von mir wissen, wie ich das mit Julien regeln würde. "Wieso regeln? Wir tanzen ein paar Mal miteinander und trinken Punsch..." "...und dann küsst ihr euch. Glaub mir nach dem vierten Glas von diesem Gebräu knutscht jeder mit jedem!" "Woher willst du das wissen?" Melinarés grinste breit, während sie mir Rouge auf die Wangen pinselte: "Naja...mein Date für heute Abend ist einer aus der Koch-AG. Und daher weiß ich was es für Essen gibt und wie viel Alkohol ungefähr im Punsch vorhanden sein wird." "Du wirst es aber niemanden sagen, stimmt's?" Melli grinste noch breiter und zwinkerte mir zu. "Niemand wird da noch aufrecht stehen können!" Ich sah in den Spiegel und wunderte mich, wie elegant ich eigentlich mit Hilfe von ein bisschen Make up doch sein könnte. Oder hatte sich Melinarés bei mir nur Mühe gegeben? Ich wollte nicht nachfragen, denn egal aus welchen Grund sie es gemacht hatte; es sah einfach nur fabelhaft aus! Daniela kam mit den Snaks rein und pfiff anerkennend als ich Richtung Tür schaute. "Wow! Mädel, schau das du dir eine Tüte Gummibärchen auf dem Ball aufreißt!" Ich blickte fragend zu Melinarés. "Kennst du denn nicht die Männer-Vergleiche? Das Männer wie eine Tüte Gummibärchen sind?" Nach dem ich beide immer noch fragend anblickte erklärte Daniela mir den kompletten Witz: "Ganz einfach: du reißt sie auf, vernascht sie und dann schmeißt du sie wieder weg!" Um 19:34 Uhr kam auch Danielas Freund zu uns und scherzte noch ein wenig weiter. Während Melinarés und ich noch in Schuluniform dasaßen hatte sich Dani bereits schon vor zirka zwanzig Minuten in ihr Corsagenkleid gepellt und prahlte nun vor ihrem Freund. Kurze Zeit später fragte sie mich:"Sag mal...willst du es Shane nicht langsam mal heimzahlen? Ich meine sie ging immer wieder verbal auf dich los, obwohl du nichts getan hast!" "Doch das hab ich...", lächelte ich leicht ironisch, "ich bin mit Gape befreundet. Und ich kränke sie damit, weil er nichts mehr von ihr will." "Woher willst du das wissen?" "Sie hat es mir gesagt...damals am DVD Abend bei Julien." Daniela und Melinarés wechselten vielsagende Blicke. Die Blondine ergriff zuerst das Wort:"...und du möchtest ihr kein Denkmal setzten? Allein schon wegen dem Spruch heute..." "Naja im Gegensatz zu dir bekomm ich wenigstens noch Geld von meiner Mutter und diese ist auch noch mit meinem Vater zusammen. Bevor du das nächste Mal über mich und meine Familie urteilst kehr' doch erst einmal vor deiner eigenen Haustür!" Die Worte hallten in meinem Kopf wieder und wieder und verursachten einen tiefstechenden Schmerz in meiner Brust. Ich knirschte mit den Zähnen und ballte die Fäuste. Ich konnte ertragen das sie mich hasste nein sogar verachtete, weil ich mit Gape befreundet war oder weil ich mit ihrer Erzfeindin in ein und derselben Clique war...aber über den momentanen Zustand meiner Familie zu urteilen war mir zu viel. Ich überlegte ob ich Shane den Punsch ins Gesicht schütten, oder mich auf ihren Kleidsaum am Fußende stellen sollte, aber keines von beiden war genug prägend. Schließlich sah ich zu Daniela und Melinarés auf, mein Blick war voller Wut und Hass und ich wollte dieser Göre endlich einen Denkzettel verpassen! "Ich...will...das...Miststück...bluten...sehen!", fauchte ich und hob drohend meine Faust. "So will ich dich sehen!", lachte Daniela und verschwand kurz im Bad. Als sie wieder neben mir stand hielt sie mir ein kleines Fläschchen entgegen. "Hiermit werden wir Shane ein bisschen in die Zwickmühle bringen...allerdings erst wenn wir auf der Aftershowparty sind aber immerhin. Das Zeug ist zuverlässiger als alles andere!" Ich las "Laxoberal- Abführtropfen" auf dem Fläschchen und musste grinsen. Daniela hatte wirklich vor Shane einen deftigen Denkzettel zu verpassen und nun hatte ich meine Chance ebenfalls meinen Beitrag dazu zu leisten. "Lass hören...ich bin ganz Ohr..." *** 19 Uhr: Einlass zum Frühlingsball. Melinarés und ich standen bei Mikes Wagen und lehnten an der Motorhaube. Wir hatten unsere Täschchen um die Schulter geworfen und warteten nun auf unsere männliche Begleitung. "Meinst du wirklich, dass der Cheeseburger den Alkohol von der Bowle etwas mehr zurückhält?", fragte ich die Blondine neben mir und machte eine ungläubige Mine. "Keine Angst...selbst wenn das Fett von deinem Cheeseburger nichts ausreichen sollte werde ich auf dich aufpassen..." "Du bist die Beste!", lächelte ich und drückte sie. In diesem Moment kamen Julien und Gape um die Ecke und wollten schon an uns vorbeilaufen, wäre da nicht unser Gekicher gewesen welches uns verriet. Abrupt stoppten die Jungs und linsten zu uns, ob wir es auch wirklich waren. "Da ist ja Cinderella gar nichts gegen euch zwei!", grinste Gabriell und kam mit Julien zu uns geschlendert. "Schleimer!", grinste Melinarés zurück. "Du siehst...hinreißend aus", sagte Julien zu mir und errötete. "Danke. Du aber auch." Ich hatte ihn noch nie vorher im Anzug gesehen und jetzt war ich schon fast überwältigt wie gut er darin aussah. Schwarzer Anzug und die Weste und die Krawatte waren farblich auf mein Kleid angepasst. Gape hingegen trug einen Sakko in eierschale. "Schick", beurteilte Melinarés seinen Sakko, "trägt auch nicht jeder!" "Genau deswegen hab ich's auch angezogen", grinste Gabriell breit. Daniela und Mike kamen zu uns. Sie waren bereits in der Halle gewesen, wo Mike sich eine Rose hat anstecken lassen. Stolz ging er jetzt mit rausgestreckter Brust voran, die langen Zotteln was er Haare nannte anständig durchgekämmt und im Nacken zusammengebunden sah er sogar attraktiv aus. Mike zeigte Gabriell und Julien seine Ansteckrose wie einen wohlverdienten Orden und gab den Jungs ebenfalls eine, welche er vom Eingang mitgebracht hatte. Die Jungs machten ihre Scherze darüber und alberten herum, während Daniela zu mir kam und mir ein kleines Fläschchen in die Hand drückte. "Du bist dir sicher, dass du es machen willst?", fragte sie und blickte ernst drein. "Klar. Mich werden sie ja wohl als letztes verdächtigt oder?" Ich steckte das Mitbringsel in meine Handtasche und seufzte. Julien trat neben mich und grinste smart. Er fingerte etwas aus der Innentasche seines Sakkos und holte eine eingepackte weiße Rose hervor. Die Kunststoffverpakung war wie ein Kristall geformt und fühlte sich kalt an, Julien musste das Päckchen im Kühlschrank aufbewahrt haben damit die Blume frisch blieb. "Als kleines Dankeschön, dass du mit mir heute Abend auf den Ball gehst." "Weißt du eigentlich, dass du der Erste bist der mich dazu bringt freiwillig ein Kleid zu tragen?", fragte ich ihn und legte eine Hand auf die Hüfte. Dieser grinste jetzt breiter und erwiderte das er sich deswegen auch etwas einbilden konnte. Als ich ihn darauf hinwies das seine Krawatte noch offen sei meinte er, dass seine Eltern nicht zu Hause waren und Gape auch nicht wusste wie sowas gebunden wurde. "Aber Hauptsache so was tragen wollen!", beschwerte sich Daniela und erntete einen fiesen Blick von dem falschen Engel. Julien verdrehte bei Danielas Kommentar die Augen und reichte mir das Geschenk. Ich musste lächeln weil diese Geste von ihm super süß gewesen war, auch wenn Julien wusste das wir nie mehr wie Freunde sein würden. Schon irgendwie traurig... "Sie...ist wunderschön." "Dann bin ich zufrieden!", meinte er und zeigte auf seinen Kragen, "wärst du vielleicht so nett...?" Ich lachte kurz und machte mich an seiner Krawatte zu schaffen, während Julien brav nach oben guckte und sich mit Mike und Gabriell unterhielt. Zum Glück hatte ich von Frederik gestern Abend gezeigt bekommen wie man eine Krawatte und eine Fliege band, sonst wäre ich jetzt völlig aufgeschmissen gewesen. "Warum sollte ich wissen wie man sowas bindet?", hatte ich ihn gefragt als er mich dazu aufgeforderte. "Glaub mir! Irgendwann musst du es wissen!", lachte Frederik, reichte mir die Fliege und ging etwas in die Hocke. Julien bedankte sich bei mir und versuchte sich die Ansteckrose am Sakko festzumachen, doch als seine Unbeholfenheit bemerkte kicherte ich und erledigte auch dies. "Wenn ich dir schon die Krawatte binde dann kann ich auch noch das machen!" Als wir auf dem Weg in die umgeräumte und geschmückte Sporthalle waren- ich hatte mich natürlich Danielas Beispiel angeschlossen und mich in Juliens Arm eingehängt- fragte Gabriell in die Runde wer eigentlich von uns tanzen könnte. Niemand antwortete worauf wir alle lachen mussten. Ich hingegen schickte ein stilles Stoßgebet gen Himmel an meine Tante, welche mir nach dem Fliegen und Krawattenbinden noch ein paar Schritte gezeigt hatte. "Jetzt mal ehrlich...niemand?!" Ich sah zu Julien, doch dieser zuckte nur mit den Schultern und auch bei den anderen schaute es nicht besser aus. "Dann müssen wir wohl improvisieren?", fragte meine Begleitung und grinste. "Es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben!", seufzte Melinarés. Die Sporthalle war nicht mehr wiederzuerkennen. Überall hingen Luftballons und Luftschlangen, weiter vorne hatte man zwei Bierbänke zusammengestellt wo jetzt die Bowle und ein paar Snaks bereitstanden. Einer der Jungs hatte sogar eine Miniaturausgabe einer Discokugel an die Decke gehängt und die restlichen bunten Lichter gaben allem noch den nötigen Schliff. "Cool!", lachte Mike und Gape zusammen und guckten sich genauer um. Melinarés, Daniela, Julien und ich hingegen machten uns auf den Weg zur Tanzfläche und nach einem kurzen und schrillen Pfiff stand auch Mike gleich wieder neben seiner Freundin brav wie ein Hund und die beiden begannen zu tanzen. Als ich merkte wie Julien sich zu mir wandte um mich ebenfalls zum tanzen aufzufordern drehte sich mein Magen um. "Darf ich bitten?", grinste er und reichte mir erneut seinen Arm. "Natürlich", lächelte ich und versuchte mein Pokerface aufrecht zu halten. Die ersten Schritte hackten noch ein bisschen, doch als schließlich ein Lied zum Discofox gespielt wurde lief alles wie jahrelang einstudiert. Jede Drehung und jeder Schritt passten wie geölt, wir stießen mit niemanden zusammen und - das Wichtigste: wir hatten Spaß! "Klappt doch wunderbar!", kommentierte ich unseren Tanzstiel, als wir die Richtung für das nächste Lied wechselten. "Für's erste Mal...", grinste Julien breit. Als er dann meine Reaktion zu seiner Zweideutigkeit sah musste er lachen. Ab und zu begegneten wir mal Daniela oder Melinarés zusammen mit Begleitern auf der Tanzfläche und mir viel sofort auf das einer fehlte. Als Julien nach einer drei viertel Stunde tanzen fragte ob ich auch ein Glas Bowle haben wollte nickte ich und sagte, dass ich mal nach dem falschen Engel suchen würde. Dieser war auch gleich gefunden, denn er hielt sich an der Snakbar auf. Zuerst dachte ich Julien wollte mich davon abhalten ihn zu suchen, da er auf halben Weg umdrehte und mich an der Hand mit zerrte, doch als ich Gape dann auch erblickte musste ich grinsen. "Schmeckt’s?" "Der Hunger treibt's rein...", lächelte er leicht gelangweilt, "und wie is das Tanzen?" "Besser als gedacht. Hast du keine...Begleitung?" "Nein." "Wollte keine mit dir gehen?" "Ich wollte mit keiner anderen gehen." Ich hielt inne und seufzte. Ah...da war ja was, dachte ich und gab mir geistig eine Kopfnuss. In der Zeit des Schweigens kam Julien mit zwei Bowlegläsern zurück und übergab mir eines. "Du trinkst nichts?", fragte ich Gape um die Stille zu beenden. "Muss fahren. Soll ich dich dann wieder mitnehmen?" Julien nickte und nippte an der Bowle kniff dann die Augen zusammen als er den hohen Alkoholgehalt darin schmeckte. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen und drehte mich von ihm weg um nicht noch mehr lachen zu müssen. "Du weißt doch was, oder?", wollte Gabriell wissen und blickte mich prüfend an. "Ich? Ich doch nicht..." "Du kannst überhaupt nicht schauspielern...", erwiderte er schließlich und klopfte mir zwei Mal mit der Hand auf die Schulter. "Naja...muss ich eigentlich auch nicht, da ich auch keine Schauspielkarriere anstrebe!" Gerade in dem Moment als er mich nach meinem eigentlichen Berufswunsch fragen wollte kam Shane neben ihn getreten und legte eine Hand auf seinen Arm. "Ich will tanzen!", forderte sie. Sie sah umwerfend aus, ein Galaauftritt auf dem roten Teppich wäre für sie an diesem Abend ein Klacks gewesen. Silbernes Abendkleid mit hauchdünnen Schulterträgern und einem Ausschnitt der viel zeigte, jedoch nicht zu viel. Dazu hatte sich Shane genau wie ich die Haare zu einem Dutt hochgesteckt und ließ ein paar Strähnen am Pony herausfallen. "Dann geh doch!", meinte Gabriell und zeigte auf mich, "wie du siehst unterhalte ich mich grad. Haben dir deine Eltern überhaupt keinen Anstand beigebracht?" Shane warf mir einen eiskalten Blick zu und schmunzelte schließlich. "Was willst du dich denn großartig mit ihr unterhalten? Komm ich will tanzen!" "Dann geh doch!", wiederholte sich der falsche Engel. "Ich will mit DIR tanzen!" Julien legte eine Hand auf meine Schulter und fragte mich ob wir von Shane weggehen wollten, doch ich erblickte gerade meine Chance. Zu Julien gewandt kramte ich mein Fläschchen aus der Tasche und erinnerte mich an das was Daniela zu mir gesagt hatte: "Laxoberaltropfen sind eine der effektivsten Abführtropfen...eigentlich reichen schon 4- 5 Tropfen um eine massive Wirkung im Darm zu erzielen. Allerdings ist eine Wirkungszeit von 3 Stunden erforderlich das heißt für dich, dass du ihr die Tropfen gleich am Anfang des Balls verabreichen musst, da dieser nur knapp zwei ein halb Stunden gehen wird. Auf der Aftershowparty kannst du dich dann zurücklehnen und genießen." Ich grinste fies und fragte Julien ob er mir noch mal ein volles Glas holen würde. Er beobachtete mich neugierig, wie ich den kompletten Inhalt in das Glas kippte und es mit einem Cocktailstäbchen umrührte. "War das etwa wofür ich es halte...?", fragte er mich skeptisch und zog eine Augenbraue hoch. "Ich weiß nicht...wofür hast du es denn gehalten?", grinste ich und zwinkerte ihm zu, "ich bin gleich wieder da und dann schwingen wir noch mal das Tanzbein, versprochen!" Ich ging die zwei Schritte zu dem Biest und dem falschen Engel, welche sich immer noch zofften und tippte Shane auf die Schulter; ihr Blick hätte Tschernobyl locker in den Schatten gestellt. "Hey ich will euch zwei nicht lange stören...ich wollte mich nur bei dir Entschuldigen...", sagte ich so reumütig ich konnte und versuchte die entsetzten Blicke von Gape und Julien zu ignorieren, "ich habe mich seit dem ersten Tag an mit dir auf eine Stufe gestellt und dir sogar Gape ausgespannt...das tut mir alles so unheimlich leid." "Sollte es auch!", gab Shane schnippisch zurück. "Ich weiß jetzt das es falsch war und ich möchte mich hiermit bei dir entschuldigen...vielleicht vertragen wir uns auch irgendwann mal?", lächelte ich unterwürfig und reichte Shane das Glas. "Danke...", erwiderte sie leicht zögernd und nahm die Bowle entgegen, "auch wenn es nicht wirklich glaubwürdig rüberkam...aber wenigstens hast du endlich eingesehen, dass du gegen mich keine Chance hast!" "Also dann...stoßen wir an auf meine Glaubwürdigkeit, deinen absolut perfekten Auftritt und einen schönen Frühlingsball!", grinste ich und erhob das Glas. Shane hielt es nicht für angebracht mit mir anzustoßen, doch allein schon der Wettbewerb im Bowle trinken spornte sie dazu an, das komplette Glas auf einen Zug zu leeren. Während Shane das leere Glas auf den Tisch abstellte und mir noch einmal gehässig zu grinste weil ich meines nicht komplett geleert hatte wechselten Gape und Julien zweifelnde Blicke. Kurz nachdem das eiskalte Biest davon stolziert war fragten mich die Jungs was genau ich nun in ihr Glas gemischt hatte. "Wollt ihr das denn wirklich wissen?", fragte ich die zwei. "Allerdings! Nachdem ich von Dani weiß was ihr heute eigentlich vorhabt möchte ich auch eingeweiht sein! Meinst du ich lass mir die Show später entgehen?", forderte Gabriell und rieb die Hände aneinander. Ich grinste und zeigte ihm das Fläschchen. Nachdem er allein schon den Namen gelesen hatte freute sich der falsche Engel wie ein Kind an Weihnachten und vollführte einen kleinen Freudentanz. "Das wird geil, das wird so geil!", sang er immer wieder dabei. Julien und ich guckten uns das nur kurz an, denn mein Begleiter erinnerte mich an mein Versprechen, dass wir noch ein paar Tänzchen vor uns hatten. Ich lächelte nun wieder normal und hängte mich wieder bei ihm ein. Genau in dem Moment als wir auf der Tanzfläche ankamen hüpfte uns Daniela entgegen. "Na, alles klar bei euch beiden?", wollte sie wissen. "Die Bombe tickt." Daniela sah mich kurz leicht entgleist an, dann schüttelte sie sich kurz. "Du...hast es wirklich getan?" "Klar!" „Gerade eben“, fügte Julien hinzu. Sie sprang mir augenblicklich in die Arme und drückte mich feste, dabei lachte und fiepte sie wie ein Kleinkind. Dann sagte sie nur noch: "Unsere Arbeit ist getan...Zurücklehen und genießen!" Aus den Lautsprechern erklang nun "Meadows of heaven" und Julien fragte mich höflich ob wir auch einmal enger zusammen tanzen könnten. Ich lief rot an genau wie er willigte aber ein. Meine linke Hand lag in seiner während sein rechter Arm sich leicht um meine Hüfte legte. Wir tanzten nicht richtig, sondern wippten und wiegten uns im Takt des Liedes mit. Mein Kopf ruhte auf seiner Brust und ich hörte das schnelle und hektische Klopfen seines Herzens, worauf ich grinsen musste. Als das Lied zu Ende war und bereits die Klänge des neuen Songs ertönten lösten wir uns nur widerwillig aus der Tanzhaltung und schlenderten wieder zum falschen Engel. Dieser lehnte an der Wand und lächelte immer noch verschmitzt, was ihm aber entging als Julien meine Hand in seine legte. Auch ich war überrascht über diese Aktion. Aber dann seufzte Julien laut hörbar und ließ seine Bombe platzen… "Ich weiß...das du mit ihr herkommen wolltest und ich nehme es dir auch nicht übel, dass du Clarissa umstimmen wolltest...und ich weiß was ihr beiden füreinander empfindet auch wenn ihr zwei es jetzt gleich abstreiten werdet!", erklärte Julien und grinste leicht beim letzten Satz. Er blickte kurz zu mir und dann noch mal zu Gape, „da ich aber auch weiß das es dich in den Fingerspitzen kribbelt seit wir hier sind 'leihe' ich dir Clarissa für drei Tänze..." "Julien...", fing Gabriell seinen Satz an, war dann aber doch so sprachlos das er nichts mehr darauf wusste. "Hör mal du hast mich zuerst gefragt, Julien! Du musst das nicht tun!", erwiderte ich. Doch mein Freund aus Kindertagen lächelte nur und meinte schließlich: "Lieber bin ich ein guter Kumpel und in jeder Situation ein offenes Ohr für dich, als dass ich dir ein schlechter Freund wäre..." "Oh Julien...", seufzte ich und drückte ihn einen Kuss auf die Wange, "es tut mir so leid..." Er drückte mich und flüsterte mir ins Ohr, dass er mich später mal als Beraterin einstellen würde wenn es an der Zeit wäre die erste Freundin für ihn auszusuchen. Ich musste kichern und zwickte ihn in die Seite. "Du wirst mal ein perfekter Liebhaber...weißt du das?" Julien lächelte nur und klopfte Gape auf die Schulter: "Vermassel es nur nicht mit ihr! Ich werde sonst sehr lange sehr sauer auf dich sein!" "Geht klar, Kumpel!" Gabriell führe mich mit einem stolzen Schmunzler auf die Tanzfläche und ich verfluchte in diesem Moment den DJ, denn als wir zu tanzen begannen spielten sie "My Immortal" und das gab dem Ganzen noch die nötige Stimmung. Ohne auch nur einen Blick oder ein Wort zu tauschen lehnte ich mich an ihn und er legte seine warme Hand auf meinen Rücken. Ich roch an seinem Hemd, nahm einen tiefen Zug von seinem Geruch während ich verzweifelt versuchte die Tränen zurück zu halten. Allein schon wegen Julien, welcher mir jetzt so leid tat und wahrscheinlich wie Gabriell vorhin an der Wand stand und Bowle trank. Ich fiel in eine Art Trance, ließ mich von dem falschen Engel führen und hörte nur noch der Musik zu. Sie spielten immer mehr Balladen was nur heißen konnte, dass der Frühlingsball nicht mehr allzu lange andauern und die Aftershowparty demnächst beginnen würde. Kapitel 9: Ein Traum wird wahr... --------------------------------- "...und dabei habe isch...noch nicht mal...nen Brummschädel..." Ich guckte zu Daniela, welche mittlerweile ihren vierten Cocktail in sich kippte und staunte nicht schlecht...während Melinarés und ich immer noch an unserem zweiten Glas nippten. Als ich zu Gabriell blickte zog er nur die Augenbrauen hoch und fragte Mike was passiert war. "Keine Ahnung...sie schluckt das Zeug wie Wasser seit wir hier sind...ich bin jedenfalls nicht schuld!" Gape und ich mussten auf diese Bemerkung hin grinsen, während Melinarés verzweifelt versuchte Daniela davon abzuhalten ihr fünftes Glas zu holen. Just in diesem Moment trat Shane in mein Blickfeld, wild mit Marcel herumknutschend und fummelnd so dass ich mich abwenden musste um meinen Touchdown nicht wieder nach draußen zu befördern. "Alles in Ordnung?", fragte der falsche Engel und legte eine Hand auf meine Schulter. "Nicht, wenn ich mir dieses Szenario dort gebe...", murmelte ich und zeigte in die besagte Richtung. "Ach so", grinste er und ging bereits ins Kichern über als Shane sich aus Marcels Umarmung löste und komisch drein blickte. Sie hielt sich den Bauch und schien zu über etwas nachzudenken. Dann wandelte sich ihr Blick von Überlegen zu Überraschen und von Überraschen zu Übelkeit. "Oh...sieht so aus, als würde das Zeug wirken?", fragte Melinarés nach und hielt Daniela mit beiden Händen an deren Schulter fest. "Sieht so aus...", grinste ich, "ihrem Gesichtsausdruck zufolge tut sich was." Mike und Julien kamen ebenfalls zu uns und beäugten das Schauspiel welches sich uns eben bot. Zuerst hielt Shane ihre Bauchgegend, dann verzerrte sie ihr Gesicht zu einer ziemlich lustigen Grimasse. Marcel schien bereits so viel Bowle getankt zu haben, dass er gar nicht mehr mitbekam, was bei seiner Freundin abging... In dem Moment, als Shane bewusst wurde was sich da bei ihr anbahnte rannte sie in den High Heels in Richtung Toilette. „Sehe ich das jetzt richtig, oder läuft da eine kleine Aftershow Party in ihrem Darmtrakt?“, wollte Daniela kichernd wissen. Julien, Gabriell und ich legten synchron den Kopf leicht schief um das Kopfkino besser verdrängen zu können…vergebens. „Oh mein Gott!“, rief jemand der direkt aus der Damentoilette gekommen war wo Shane jetzt eine Dauersitzung einberufen hatte. „Igitt!“, rief jemand anderes „Sag mal, was soll das?!“ „Schnell weg hier! Ich kriege sonst einen Brechreiz!“ „Ich glaube…ich statte ihr einen kleinen Besuch ab“, schlug ich vor und begab mich auf die Damentoilette. Dort angekommen empfing mich ein äußerst dominanter Geruch sowie Geräusche die mich zuerst zurückschrecken doch dann kichern ließen. Shane konnte gar nichts machen, außer die Sache laufen zu lassen. Nebenbei musste sie angefangen haben zu weinen. „Hey Shane…alles in Ordnung mit dir?“ „Hört sich das so an??“ „Muss wohl was mit deinem Cocktail nicht gestimmt haben, hm?“ „D…du warst das?!“ „Würde ich so nicht sagen…“ Sie konnte gerade nichts antworten, da sie mit anderem beschäftigt war. „Puh…was hast du nur gegessen…Mädchen!“ „Halt dein MAUL!“ „Sieht ganz so aus, als hätte ich unsere kleine Wette gewonnen, hm?“ „Was?“ „Naja…du bist hier…Gabriell ist draußen und tanzt mit mir schon die ganze Zeit…du bist immer noch hier…ist echt Scheiße oder?“ „Du verdammtes…!“, fauchte Shane wie wild von der Tarantel gestochen, doch da verließ ich schon die Toilette. Daniela und Melinarés standen vier Meter von der Bowle entfernt und begannen zu lachen, als ich zu ihnen kam und ein breites Grinsen auf dem Gesicht hatte. Mike stand neben seiner Freundin und fragte, was jetzt genau passiert war. „Naja“, gestand ich immer noch breit grinsend und nahm einen tiefen Siegerschluck, „nachdem Shane gemeint hatte, sie müsste mich auf die Probe stellen hatten wir alle allmählich die Schnauze voll und dachten uns, wir müssten ihr mal eine kleine Abfuhr verpassen…es war ihr die ganze Zeit gut gegangen...bis sie das Glas Bowle von mir getrunken hatte. Das Glas Bowle, welches sie von mir bekommen hatte...“ „Du...Miststück!“, rief Shane. Durch die massigen Aufrufe hatte der DJ die Musik ausgeschalten und das Licht angemacht, so dass wir alle Shane sehen konnten. Ihr Hals lief rot an und ich war sogar der Meinung, dass sich diese Farbe auch auf den restlichen Körper ausgebreitet hatte. Shane machte Anstalten auf mich loszugehen, die Hände zu dramatischen Fäusten geballt. „Oh...du ich glaub die will dir eine reinhauen...?“, meinte Daniela und tippte mir auf die Schulter. „Das glaub ich auch!“, kicherte ich in meinem Suff, doch wohin sollte ich jetzt noch abhauen? Links von mir standen Gabriell und Julien, rechts war Daniela...geschweige denn von den restlichen Schülern hinter mir! „Wenn ich dich in die Finger kriege!“, rief Shane erneut und stampfte auf mich zu. Als sie jedoch vor Wut knurrend den Druck auf ihren Mageninhalt hin ausübte guckte sie plötzlich ganz erschrocken, nur dass genau in diesem Moment dank Shanes Druck auf die Magengegend ein ziemlich lautes Geräusch daher kam und das Mädchen sich den Bauch verzweifelt hielt... „Oh nein…! Nicht schon wieder!!“, rief sie verzweifelt aus. *** Nachdem Shane ihre Sachen gepackt und gegangen war lief der Abend umso besser für mich, denn nun hatte ich nicht mehr das Gefühl von irgendetwas beobachtet zu werden. Zusammen mit Daniela und Julien genoss ich sogar mehrere Cocktails und bemerkte nicht, wie der Alkoholgehalt die Kontrolle über meine Gliedmaßen übernahm. Erst als ich ungebremst gegen Gape lief wurde mir bewusst, dass es bereits zu spät war. „Hoppla...alles okay mit dir?“, wollte der falsche Engel wissen und stützte mich an den Schultern. „Ja...alles okay...isch bin nur et...was...“ „Betrunken?“, vollendete er meinen Satz. „Jenau! Aberrrrr nur et...was!“ „Das ist ziemlich viel, Clarissa...komm wir gehen mal an die frische Luft...“ „Wieso... mir geht gut!“ „Es geht dir eben nicht gut...komm schon.“ Natürlich wusste ich, dass ich es hemmungslos übertrieben hatte. Also ließ ich mich von Gape ein Stückchen Richtung Tür schieben, doch da kam uns Marcel entgegen…noch mehr an Alkohol geladen wie ich spielte er mit einem kleinen Schlüssel vor Gabriells Augen herum. „Guck mal...hab ich von meinem Papa abgeluchst!“ „Schön für dich Marcel. Lass uns mal vorbei.“ „Damit dreh ich jetzt eine Runde!“ „Tu das...wenn die Polizei dich anhält ist es dein Problem!“ „Tut die nicht...ich bin doch eh viel zu schnell für die!“, lachte er laut und schnappte sich Julien, „du...gehst auch mit! Wir werden verdammt viel Spaß haben!“ Da Julien genauso viel (wenn nicht sogar noch mehr) getrunken hatte wie ich ließ er sich einfach von Marcel mitziehen ohne auch nur zum Wort zu kommen. Gabriell übergab mich an Melinarés und Daniela, damit mich die beiden schon einmal nach draußen bringen konnten, während er das Auto holte. „Puh...“, fröstelte es Melinarés, „doch ganz schön frisch geworden!“ „Mach dir warme Gedanken, Süße...“, scherzte Daniela und stützte mich. Als die frische kalte Luft durch meine Lunge strömte hatte ich das typische Gefühl gegen eine Wand zu laufen. Sofort machte ich Halt und ein paar Mal tief ein und auszuatmen und meine Gedanken zu ordnen. „Na? Weilst du wieder unter den Lebenden, du Schnapsleiche?“ „Oh mein Gott...“, jammerte ich, „warum tut mir mein Knöchel so weh?“ „Weißt du das nicht mehr? Du bist vor gut einer halben Stunde umgeknickt...Gape fährt dich ins Krankenhaus, damit die sich dein Bein mal angucken.“ Als mir Melinarés und Daniela genau schilderten, wie mein kleiner Unfall passiert sein musste wurde ich Kreidebleich. Aber nicht weil mich einen Filmriss von etwa einer Stunde hatte oder ich kaum auf eigenen Beinen stehen konnte. Gerade fuhr Marcel an uns vorbei...in einem silbernen Porsche. Julien hatte er nach hinten auf die Rücksitzbank manövriert, zwei weitere Kumpels hatten sich auf Beifahrersitz und neben Julien Platz gemacht. „Na ihr...Schneggen? Lust auf ne' geile Tour?“, grölte Marcel. „Du solltest wieder aussteigen und dich irgendwohin setzten...du bist hacke voll!“ „Bin ich nicht!“ Er ließ die Reifen wie verrückt durchdrehen und raste schließlich die Straße entlang. Wir standen wie angewurzelt da und mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ich konnte die Bilder meines Alptraumes klar und deutlich vor mir sehen: der silberne Porsche...und der schreckliche Aufprall. Wir durften auf keinen Fall ebenfalls mit dem Auto fahren! Plötzlich hörte ich ein Hupen, welches mir nicht vertraut war. Gabriell stieg von seiner Seite aus und stützte mich bis ich angeschnallt im Wagen saß. Nein, wir dürfen nicht fahren!, dachte ich verzweifelt. "Verdammt", murmelte ich durch den Regen, "das tut so weh!" "Gape fahr vorsichtig! Gerade kam es im Radio, dass ein silberner Porsche irgendwo da draußen wie ein Irrer durch die Gegend rast. Das muss Marcel sein...", hörte ich Melinarés sagen, doch ich konnte sie nicht sehen. Der Alkohol machte sich wieder bemerkbar und griff mein Sichtfeld an wodurch ich alles nur noch stark verschwommen sah. "Okay...ich fahr die Landstraße. Da wird er niemals auftauchen!", meinte Gabriell und erkundigte sich noch mal nach meinem Fuß. "Er tut so weh! Mach das es aufhört!", jammerte ich kläglich. "Ich schau, dass ich Mike auftreibe und wir kommen ins Krankenhaus nach!", erklärte Daniela und schickte Melinarés schon einmal vor. "Nein! Nicht das ihr noch von Marcel erwischt werdet! Ich klingel bei dir durch, wenn wir in der Notaufnahme sind!", versprach ihr Gabriell und stieg ein. *** Wir fuhren schon ein paar Minuten als der falsche Engel versuchte ein Gespräch mit mir aufrecht zu halten. In Gedanken konnte ich jede seiner Fragen beantworten, doch wenn ich es aussprechen wollte kam nur brabbelt oder nuscheln heraus. "Du hast ganz schön Bowle getankt, Clarissa!", lachte er und bog um die Kurve. "Boah...mach...langsam!", flehte ich ihn an, als ich bemerkte dass etwas meine Speiseröhre hochkletterte. "Okay, okay! Geht's so? Sag mir, wenn du kotzen musst, dann halt ich an!" "Mein Magen...mein Fuß!", wimmerte ich, "warum ich? Meinst...du...das...Retourkutsche?" "Weil du Shane das Abführmittel untergejubelt hast? Annehmbar...", meinte Gape und hielt an einer Ampel. "Nie wieder...", lachte ich in meinem Suff. "Nie wieder!", lachte Gabriell mit. Als ich mich aufraffte um aus dem Fenster zu gucken erblickte ich einen silbernen Sportwagen, welcher mit einem Karacho an uns vorbeifuhr über die rote Ampel, so dass die Reifen auf der Kreuzung durchdrehten und das Heck gefährlich schlitterte. Trotzdem nicht schnell genug, denn ich konnte erkennen, dass drei Jugendliche darin saßen und einer davon hatte blonde Haare. "Julien! Da ist Julien...gewesen...", rief ich laut und Gabriell zuckte vor lauter Schreck neben mir zusammen. Als wir weiterfuhren blieb ich die meiste Zeit lang schweigend, denn ich war zu sehr damit beschäftigt, die Kotze unten zu halten. "Nicht mehr lange, Clarissa...Wir sind schon wieder in der Stadt!", beruhigte mich Gabriell und legte seine eine Hand auf meine Schulter. Ich nuschelte irgendetwas vor mich her was so viel heißen sollte wie: Ich will endlich wieder einen klaren Kopf haben! So sehr sich auch Gape anstrenge er verstand mich nicht...das tat ja nicht mal ich! Erneut blieben wir an einer Ampel stehen und Gabriell erkundigte sich nach meinem Fuß, welcher nun dramatisch angeschwollen war. "Verdammt! Clarissa ich werde jetzt versuchen dir den Schuh auszuziehen...dein Knöchel schnürt sich schon fast ab!", erklärte er mir und hob leicht meinen Fuß an. Sofort schrie ich aus lauter Schmerz und schlug zu ihm rüber, er soll meinen Knöchel in Ruhe lassen. Natürlich schlug ich mehrere Male auf meinen Fahrer ein und trat ihn auch nur wo wusste ich nicht. Trotzdem schaffte es Gabriell irgendwie meinen Riemchenschuh von meinem geschwollenen Fuß zu lösen und mein Bein so im Fußraum zu stellen, dass ich nirgends mehr hängen blieben konnte. Ich merkte in dieser Zeit wie mir die Tränen eine nach der anderen über die Wangen rollten und grub meine Fingernägel in das Sitzpolster. "Ist es so besser?", fragte er und wischte meine Tränen vorsichtig weg. "Ja...danke...Gape...", nuschelte ich und zwang mich zu einem Lächeln. "Na also...und gleich fahren wir weiter zur Klinik!", versicherte mit Gabriell und streichelte meinen Kopf. Plötzlich hörte ich das vertraute Hupen von Marcels Porsche wieder und kurz darauf stand er neben dem Auto von Gabriells Großvater. Die Jungs hatten das Verdeck aufgemacht und saßen allesamt pitschnass in dem Wagen und provozierten Gabriell ein Rennen mit ihnen zu fahren. "Komm schon Mann!", rief der eine zu uns, doch Gape streichelte mein Gesicht weiterhin. "Was ist? Hast du Angst oder was?!", lachte Marcel, "deine Tussi kannst du nach dem Rennen noch flachlegen!" Ich sah das der dritte Junge den Kopf in einem ungewöhnlichen Winkel zur Seite neigte, seine anscheinend grasgrünen Augen wirkten glasig, er selber nicht wirklich anwesend. Doch Julien lachte und grölte mit den anderen beiden vergnügt mit, er musste in der Zeit als Gabriell und ich getanzt hatten viel zu viel Bowle getrunken haben und war nun in einem Trancezustand. Seine blonden Haare klebten an seinem Gesicht, sein Hemd war voll gebrochen. Armer Julien, dachte ich mir. Die Ampel schaltete auf grün und der Sportwagen zischte los, während der zweite Junge die Arme weit nach oben streckte und jubelte. "Wahnsinnige...", fauchte ich leise. "Was hast du mein Kleines? Ist dir nicht gut?", fragte Gabriell plötzlich. Mein Kopf flog regelrecht nach links und ich erblickte sein Gesicht. "Wo...bin ich?", wollte ich wissen. "Du bist in Sicherheit...", lächelte der junge Mann. Ich wollte noch etwas sagen, aber meine Zunge fühlte sich plötzlich ganz taub und schwer an, ich brachte ab jetzt nur noch Gestammel heraus. Gabriell beugte sich zu mir und sah mir in die Augen, er machte einen besorgten Eindruck. "Halte durch, Kleines! Ich bring dich gleich in ein Krankenhaus!", versprach er mir und fuhr los, "wir sind gleich da, halte durch!" Ich war beruhigt ihn in meiner Nähe zu haben, obwohl ich durch den Schmerz der von meinem Knöchel ausstrahlte kaum noch klar denken konnte. Ich bekam plötzlich auch noch eine heftige Migräne, oder besser gesagt dass dachte ich zumindest. In Wahrheit hatte mir die Luft als ich vorhin mit Melinarés draußen war überhaupt nicht gut getan und nun meldete sich das Ausmaß meines Alkoholkonsums. Ich hatte Orientierungsstörungen und war mehr als nur verwirrt, doch allein zu wissen dass mich Gabriell ins Krankenhaus fahren wollte beruhigte mich. In dem Augenblick als ich mich von dem falschen Engel abwandte um wieder nach draußen sehen zu können blickte ich in die zwei runden hell leuchtenden Scheinwerfer des silbernen Porsches, welche bereits mit vollem Tacho auf uns zurasten. Ich wollte schreien, ich sah nur noch die Scheinwerfer, welche immer größer und heller wurden. "Clarissa...", flüsterte Gabriell neben mir, doch ich war zu sehr auf die Scheinwerfer fixiert. "Ich will noch nicht sterben! Verdammt dreh um, oder weich aus!", schrie ich. "Clarissa..." Ich blickte zu Gape, der mich fuhr und merkte dass ich weinte. Warum weinte ich? Er sah auch zu mir und ich bemerkte ein trauriges Lächeln in seinem Gesicht. Aus lauter Verzweiflung griff ich zu ihm rüber, packte seinen Arm so fest ich konnte. Er wandte den Blick nicht von mir ab und wenn mein Griff ihm wehtat dann zeigte er es jetzt nicht. Ich versuchte noch einmal zu schreien, doch es gelang mir nicht. Die Angst und der Alkohol hatten meinen ganzen Körper gelähmt und ich merkte wie mein Griff an Gapes Arm schwächer wurde, bis meine Hand schließlich an seiner Seite herunter glitt und liegen blieb. "Clarissa...", raunte er zu mir, einen Schluchzer unterdrückend, "gleich haben wir es geschafft, gleich helfen dir die Ärzte!" Nein wir werden es nicht schaffen...Marcel wird uns frontal rammen, wie in meinen Träumen..., dachte ich. "Ich liebe dich...", flüsterte mir Gabriell zu. Ich schluchzte noch einmal heftig und flüsterte ebenfalls: "Ich liebe dich auch..." "Clarissa!" Der Aufprall der beiden Autos war so heftig, dass Gape und ich brutal in die Gurte geschleudert wurden. Es drückte mir sofort die Luft weg, aber davon merkte ich wenige Sekunden später kaum etwas, denn das Auto drehte sich wie verrückt auf der nassen Straße. Keine Ahnung ob ich bereits während des Wirbeln meinen Mageninhalt erbrach oder erst danach. Für wenige Minuten- es kam mir zumindest wie ein paar Minuten vor- schlug ich die Augen auf und versuchte mich umzusehen. Ich konnte mich nicht bewegen, aber daran mussten der Gurt und der Alkohol schuld sein und ich nahm nur wahr was ich aus den Augenwinkeln bemerkte. Die Frontscheibe war komplett zerstört, die Motorhaube völlig verdellt. Regen kam zu uns ins Auto wie eine sanfte Dusche, welche alles rein waschen wollte. Ich schluckte und hatte den metallischen Geschmack von Blut auf der Zunge. Mit aller Mühe konnte ich den Spiegel an meiner Seite herunter klappen und blickte erschrocken in mein blutverschmiertes Gesicht. Ich versuchte den Kopf zu drehen, doch das wollte mir nicht gelingen. "Gape...?", flüsterte ich. Nichts. Keine Antwort kam zu mir rüber, also versuchte ich mit meiner Hand, die ihn vorhin noch gepackt hatte wieder nach Gabriell zu tasten. Er saß, beziehungsweise lehnte neben mir auf dem Fahrersitz und schwieg. "Gape...!", raunte ich. Wieder kam nichts zurück. Plötzlich schrie einer von den Jungs aus dem Porsche. Meine Gänsehaut stellte sich auf denn so ein Schreien hatte ich noch nie gehört. Dann wurde es wieder still, nur das Rauschen des Regens machte Laute. Dann humpelte jemand durch das Licht der Scheinwerfer auf unser Auto zu und blickte durch die zerbröselte Frontscheibe. Ich erschrak heftig, als ich Juliens Gesicht erkannte. Er hatte immer noch seine glasigen Augen, an seiner rechten Schläfe floss Blut herunter und sein Hemd war übersät mit Erbrochenem. Er bemerkte, dass meine Augen offen waren und humpelte schnell zu mir, öffnete die Tür und überblickte das Chaos in unserem Auto. "Oh mein...Gott!", lallte er und sah mich an, "bist du...okay?" "Ich hab Kopfschmerzen...", raunte ich. "Warte, ich mach den Gurt auf..." "N...nein! R...ruf den Not...Notarzt und rühr hier nichts...an." "Okay." Julien drückte nur einen Knopf, er hatte den Notruf anscheinend auf die Schnellwahltaste gespeichert…kluger Junge. Er legte mir eine Hand auf die Schulter, sein Instinkt war völlig da, mich zu beruhigen stand ganz oben auf seiner Liste. "Hallo? Ich...brauch dringend einen...Notarztwagen, schnell! Wir hatten einen...Unfall auf der Hauptstraße in der Innenstadt!", ich war noch nie stolzer auf Julien gewesen, außer dass er schrecklich lallte machte er alle Angaben richtig. Er sah kurz zu Gape, der sich immer noch nicht bewegt hatte und erklärte dem Arzt am Telefon, dass drei von uns nicht ansprechbar seien und eine schwer verletzt...damit meine er anscheinend mich, da ich wusste, dass Marcels Porsche nur vier Insassen fasste. "Sie sind...gleich da! Tut dir noch etwas weh?", erkundigte er sich nach mir, als er aufgelegt hatte. "Ich weiß es nicht...ich krieg keine...Luft...und mein Fuß!", röchelte ich. "Warte...ich lockere den Gurt..." Sofort bekam ich ein wenig mehr Luft und seufzte tief. "Besser?" Ich versuchte zu nicken, was mir aber nur kläglich gelang. Dann war es still zwischen uns und nur der Regen rauschte überall. "Jetzt...weiß ich...", begann ich meinen Satz und schmunzelte, "warum...ich deine Krawatte...binden sollte..." "Ach ja?" "Mein Onkel...hat mir...gestern...Abend gezeigt...wie man so etwas macht...er meinte ich...ich würde es...demnächst...noch brauchen..." Julien kicherte: "Verdammt...jetzt ist mein...Plan doch aufgeflogen." "Ich fand ihn ziemlich gut...", grinste ich zurück. "Leider...habe ich gemerkt, dass du mehr Gefühle für Gape hast...also gebe ich...mich damit...zufrieden...deine rechte Hand zu bleiben...", er hustete leicht doch dann lächelte Julien wieder. "Ja...danke...mir ist kalt..." "Nicht einschlafen, Clarissa! B...bleib bei mir!", flehte er und zog seine Jacke aus, Als er jedoch sein Erbrochenes auf dieser und auf seinem Hemd bemerkte rümpfte Julien die Nase und drehte sich weg von mir. Ich hörte nur wie er würgte und etwas erbrach, dann humpelte er zu Gape rüber. Er öffnete seine Autotür und lehnte ihn zurück auf den Sitz. Julien schien ihn kurz zu untersuchen und versuchte auch ein paar Mal mit Gape zu sprechen. Nach fünf Minuten hinkte Julien wieder zu mir und meinte, dass Gabriell nur weggetreten sei. In diesem Moment kam der Notarztwagen bei uns an... Epilog: Epilog -------------- Als ich das erste Mal wieder die Augen öffnete hörte ich als erstes das nervige Piepsgeräusch meines EKG- Gerätes und das Rauschen des Regens. Ich drehte den Kopf Richtung Fenster, es regnete immer noch oder schon wieder...mein Zeitgefühl war wie vieles im Eimer. "Oh, sie ist wach!!" Plötzlich schoben sich drei mir bekannte Gesichter über mich. Es waren Anna, Frederik und Gabriells Großvater Oliver. Sofort schossen Tränen in meine Augen und das Piepsen des EKG's wurde schneller. Frederik blickte auf den Bildschirm und grinste breit, Anna hatte Mühe ihre eigenen Tränen zurück zu halten und Gapes Großvater fragte wie's mir ging. "Es tut mir so leid...", schluchzte ich. "Es muss dir nichts leidtun, Clarissa. Du hattest keine Schuld an dem Unfall!", beruhigte mich Frederik und strich mir mit seiner Hand über meine Wange. Ich holte zwei Mal tief Luft und setze mich dann auf. "Hey junge Dame...langsam mit den rebellischen Pferden!", lächelte ein älterer Mann im weißen Kittel. Er stand am Bett neben meinem und blickte zu mir rüber. Ich sah den blonden Jungen, den er gerade untersuchte und mir gefror das Blut in den Adern. "Julien!", rief ich aufgeregt. Jetzt flippte das EKG völlig aus. Ich war so genervt von dem Geräusch, dass ich den Messer von meinem Finger nahm und mich zu ihm rüber lehnte. "Keine Sorge, er schläft nur...", meinte der Arzt und schlenderte zu mir, "ihr wart ganz schön zusammengerichtet, als ihr vor zwei Tagen nachts eingeliefert wurdet. Aber bis auf einen von euch seid ihr alle miteinander nur mit einem schweren Schock und ein paar Prellungen davongekommen." Wie jetzt? Zwei Tage hatte ich geschlafen? Moment mal...bis auf einen von uns? "Wie geht es Gape?", wollte ich wissen und sank zurück in das Kissen, weil ich merkte wie mir leicht schwarz vor Augen wurde. "Der holt sich eine Cola aus der Kantine...", grinste Oliver. "Mir geht's gut, danke der Nachfrage." Der falsche Engel kam zu mir ans Bett, eine Dose Cola in der Hand und grinste. Ich bemerkte, dass er eine Hand verbunden und eine riesen Beule über der linken Augenbraue hatte...aber sonst sah er wie immer aus. Lässige Jeans und ein Shirt, aber worüber ich schmunzeln musste waren seine Bartstoppeln, welche sich leicht über seiner Wangenpartie verteilten. "Du sahst schon mal besser aus", grinste ich und begutachtete seine Beule. "Na ja...das Lenkrad war im Weg...", erklärte Gape und zeigte auf seine Stirn, "und die Hand hat nur ein paar Kratzer abbekommen. Aber du musst grade reden!" Ich wusste nicht im Geringsten, wie ich aussah, aber ich spürte einige Schwellungen. Meine Hände wiesen ebenfalls einige Kratzer und blaue Flecken auf. Ich wollte gar nicht wissen, wie mein restlicher Körper aussah. "Julien...schläft also...?", fragte ich den Arzt. "Hm...ja. Ihr hattet alle ordentlich getrunken und du bist die erste, die den Rausch ausgeschlafen hat. Er hat nur ein paar geprellte Gliedmaßen und Kratzer...der Fahrer des Porsche war weniger gut dran...ein paar Knochenbrüche. Aber er wird's überleben." Ich seufzte und sank noch mal tiefer in die Kissen. Mir fiel ein gewaltiger Stein vom Herzen als ich eine halbe Stunde später mit Gape und dem immer noch schlafenden Julien allein im Zimmer lag. Der falsche Engel hatte sich zu mir auf die Bettkante gesetzt und schlürfte genüsslich seine Cola. "Was macht eigentlich deine Schulter...?", wollte ich wissen. "Wieso?" "Ich weiß noch, dass du mir meinen Schuh ausgezogen hast...und ich auf dich eingedroschen habe...wegen der furchtbaren Schmerzen...sorry." "Ach das...ein Glück, dass du wie ein Mädchen zuschlägst, auch wenn du betrunken bist!", lachte er. "Hey!", erwiderte ich, "dafür tanze ich besser als du!" "Allerdings. Obwohl man das nicht wirklich tanzen nennen konnte, was wir zwei da gemacht haben..." "Das war mehr ein wippen und torkeln!", kicherte ich und versuchte meinen Fuß zu bewegen. Wie ich schließlich feststellen musste war er dick verbunden und lag auf einem weichen Kissen. Na toll... "Woran kannst du dich denn noch erinnern?", wollte Gape wissen. Ich überlegte und dann fiel mir das ein, was kurz vor dem Aufprall geschehen war, unser Geständnis auch wenn ich ziemlich weggetreten war. Ich guckte zu ihm hoch und fragte ihn ob er das gegenseitige Liebesgeständnis meinte. Er nickte leicht und sah durch mich durch, dann stellte er die Cola weg. Die aufkommende Stille machte mich fast wahnsinnig, es traute sich schon wieder keiner etwas zu sagen! Verdammt, dachte ich und biss die Zähne aufeinander. "Ich weiß noch mehr", grinste ich breit, „...wir...wir beide haben einen ziemlich chaotischen Tanz auf der Aftershowparty hingelegt...und dann hatte ich plötzlich Angst, dass etwas schlimmes passieren könnte und bin umgeknickt..." "Chaotisch? Weit untertrieben, meine Kleine!" "Auf jeden Fall...", lächelte ich schwach. In diesem Moment ertönte ein Stöhnen vom anderen Ende des Raumes und Julien rieb sich die Augen. Er versuchte sich aufzusetzen doch ihm war noch so übel, dass er lieber liegen blieb. "Hey Goldlöckchen! Gut geschlafen?", lachte Gabriell und schlenderte zu Julien rüber. "W...wo bin ich...?" "Im Krankenhaus...du hast nur einen leicht geprellten Arm...und deinen Rausch hast du auch ausgeschlafen!" "Boah...jetzt weiß ich's wieder! Marcel zerrte mich in den Porsche und fuhr wie ein Wahnsinniger durch die Gegend...wir...wir hatten einen Unfall...", erzählte Julien und hielt sich den Schädel, "ich habe Clarissa im Auto neben dir gefunden...wo ist sie? Geht es ihr gut?" "Mir geht es wunderbar. Danke Julien", grinste ich. Er guckte zu mir rüber und ich bemerkte die Erleichterung in seinem Gesicht. "Schön, dass es dir gut geht...", raunte er und ließ sich immer noch erschöpft in die Kissen zurück fallen. Gape schaute Julien noch eine Weile lang an und lachte schließlich: "Der Kerl schläft schon wieder! Ist das zu fassen?" "Lass ihn doch, Gape...er hat genügend Bowle getrunken um Dornröschen Konkurrenz zu machen..." Gabriell ging wieder an mein Bett, setzte sich wieder auf seine Kante, wo er vorher schon gesessen hatte und brachte den Hammer: "Auf jeden Fall würde ich es gerne versuchen...nach dem Vorfall im Schwimmbad, bei dem DVD- Abend...und vor allem nach Juliens tränenrührender Ansage!" "Du hast deine nächtlichen Besuche vergessen...das wichtigste eigentlich!" "Das findest du wichtig?", fragte Gabriell ungläubig nach. "Für mich ja...wir haben über die verschiedensten Sachen geredet...ich finde das wichtig, dass man über alles reden kann." Wir schwiegen kurz noch mal. Ich bemerkte wie seine Hand über die Bettdecke zu meiner rutschte, jedoch kurz vorher liegen blieb. Die Tür schwang auf und ein Kumpel von Gabriells Volleyballteam kam herein. Er hatte einen kleineren Blumenstrauß unter dem Arm geklemmt und grinste mich breit an: "Hey...die Schnapsleichen weilen wieder unter den Lebenden?" "Dein Taktgefühl ist echt im Arsch...", murmelte Gape und stand auf. Er meinte ich sollte lieber auch noch ein wenig schlafen und ging zu seinem Kumpel. "Also versuchen...wir es?", fragte ich und sah ihm nach. Der falsche Engel drehte sich ein letztes Mal zu mir und lächelte. "Versuchen wir es..." ENDE Fortsetzung folgt bei "Leben im Sommer" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)