New Millennium von jollyrose ================================================================================ Kapitel 14: Ein Schritt nach vorne ---------------------------------- Es war später Nachmittag, die Kantine der Akademie war relativ leer. Die künstliche Sonne, die den projizierten Himmel von Heliopolis erleuchtete, dimmte sich langsam, ein orangefarbener Schimmer fiel durch die Fenster des Raumes. An einem Tisch saßen die drei Generäle, in ihren Gesichtern sah man an, wie zermürbt sie waren, zumindest zwei von ihnen, das Resultat der letzten Stunden. Furchtbare Stunden. Samuil musste Berichte und Protokolle über die letzten Schlacht schreiben, noch dazu eine Erklärung, weshalb er mit Ra unerlaubt ausgerückt war. Der Präsident war sehr verärgert darüber, dabei war es das einzige, was er als General tun konnte und musste, so seine Meinung. Er sah einfach ungern zu, wie seine Schüler und Soldaten einen Kampf verloren, auch noch so chancenlos. Vilkas hatte nicht nur die ganze Zeit während des Kampfes unter Anspannung die Systeme umprogrammieren und die Firewalls verbessern müssen, er wurde danach auch gleich mit den unzähligen Schäden an den Kampfmaschinen konfrontiert. Die bedeuteten nämlich für ihn wieder nur Überstunden, und weniger Zeit, die er mit seinem Ehemann verbringen konnte. Und Ammadon … Der aß mit einem zufriedenen Lächeln seinen Nachtisch. Erdbeerpudding, mit Vanillesoße. Eigentlich war er selbst ziemlich erschöpft und auch verärgert, er hatte mit den Navigatoren nichts mehr im Kampf ausrichten können, nicht mehr helfen können. Diese Nutzlosigkeit, die er gefühlt hatte, tat fast schon weh. Aber deshalb wollte er nicht Trübsal blasen. Das nächste Mal war er besser vorbereitet. Sie alle, aus solchen Begegnungen mit dem Feind konnte man nur lernen. „Esst euren Nachtisch. Ein wenig Zucker im Blut wird euch gut tun! Lasst den Kopf nicht hängen.“, sprach er aufmunternd, aber er wusste genau, weswegen die beiden letztendlich wirklich so schlecht gelaunt waren. Zuvor waren sie bei Präsident Portos vorgeladen. Und der stauchte alle drei ordentlich zusammen. Er war höchst empört und wütend, ließ seinen ganzen Frust an den Dreien aus. Und brummte ihnen obendrein noch mehr Arbeit auf. „Wie soll ich gute Laune haben, wenn ich nun meine ganze Freizeit streichen muss, um die Maschinen auf Vordermann zu bringen? Das Resultat des Kampfes ist verheerend!“, jammerte Vilkas, „Nun sehen wir uns noch weniger …“ Sanft legte Ammadon seine Hand auf die von Vilkas. „Das wird auch vorbeigehen. Und dann haben wir wieder genug Zeit für uns. Ich werde dir jeden Tag dein Mittagessen vorbeibringen. Soviel Zeit werde ich wohl für meinen Ehemann einräumen dürfen! Und wenn alles vorbei ist, nehmen wir uns Urlaub, ja? Ich habe gehört, auf Abydos gibt es einen riesigen künstlichen Strand!“ Er schmunzelte freudig, versuchte, seinen Geliebten mit seiner positiven Einstellung anzustecken. Dieser seufzte aber nur. „Ein Strand … Das wird nie passieren, das weißt du. Ich wäre schon glücklich, wenn wir mal wieder schön essen gehen könnten.“ Als könnten sie sich Urlaub leisten, als Generäle, die den Ballast eines Krieges auf ihren Schultern trugen. Kaum sprach er zu ende, wurde er auch schon angeklingelt. Er nahm sein internes Kommunikationsgerät zur Hand, sein Blick verriet seine Enttäuschung. „Nicht mal eine halbe Stunde Pause gönnt man mir. Das ist Humphry. Er hat Schwierigkeiten. Und schlechte Laune. Ich seh' mal nach ihm. Sonst bewirft er seine Kollegen mit Werkzeug. Heh, das hat er von mir ...“ Und das war's mit der Essenspause. Den Nachtisch musste er stehen lassen. „Warte heute nicht auf mich. Ich weiß nicht, wann ich heim komme … Tut mir Leid.“ Nun musste auch Ammadon seufzen. Aber er gab sich tapfer, schenkte Vilkas ein weiteres aufheiterndes Lächeln. „Schon gut. Wir haben uns ja für diese Jobs entschieden.“ Er richtete sich auf, gab seinem Ehemann einen Abschiedskuss und ließ ihn dann ziehen. Als er sich wieder setzte, spürte er den mürrischen Blick Samuils, dessen Stirn sich in Falten legte. Warum er diesen Blick verdient hatte, wusste er natürlich nicht, aber Samuil mochte es überhaupt nicht, wenn die beiden vor seinen Augen herum turtelten. Das half seiner ohnehin schon üblen Laune nicht besonders. „Ich sollte auch gehen. Ich habe nämlich ein großes Problem, dass ich anpacken muss, bevor ich alles andere erledigen kann. Und das heißt Golyath.“ Er verdrehte die Augen. Eigentlich hatte sich Samuil ja erhofft, er konnte den Piloten von Anubis wieder auf den Boden zurückholen, wenn er ihn einmal aussetzen und zusehen ließ. Aber das kümmerte diesen scheinbar nicht, er hatte immer noch Probleme, die er nicht aussprach oder selbst lösen konnte. Nun musste der General ran, ausgerechnet er, der mit diesem emotionalen Humbug nicht zurechtkam. Das machte ihn nur noch wütender. Als er schon aufstand und gehen wollte, hielt ihn Ammadon aber auf. „Du wirst Golyath nicht verprügeln.“, meinte er streng und schien damit genau erraten zu haben, was Samuil vorhatte. Dieser brummte genervt, legte den Rückwärtsgang ein und setzte sich wieder. „Aber was soll ich sonst machen?! Er hört einfach nicht auf damit, so … so dumm und nervig zu sein! Was zur Hölle ist sein Problem?! Er kann ja nur nicht akzeptieren, dass Franklin nicht mehr lebt! Und dass nun Lyial an seiner Stelle Amun steuert. Aber so ist das nun mal! Piloten sind ersetzbar. Wenn ich sterbe, wird auch ein anderer General, oder nicht? Verdammt, das kotzt mich an!“ Er schlug mit der Faust auf die Tischplatte, so dass sein Pudding fast vom Teller wabbelte. „Sag so etwas nicht … Bevor du stirbst, wird Heliopolis von einem schwarzen Loch verschlungen!“, scherzte Ammadon noch, bevor er Samuil mit einem scharfen Blick ansah, „Eigentlich weißt du ja schon, was sein Problem ist. Und genau darüber musst du mit Golyath reden. Nicht in deinem … befehlshaberischen Obermackerton. Sondern … von Mensch zu Mensch. Der Verlust einer geliebten Person ist nie einfach. Und was man in so einer Situation braucht ist … etwas Trost. Einen Lichtblick. Ich denke, das kriegst du hin, oder? Du kannst sehr einfühlsam sein, wenn du willst. Und du bist ein guter Zuhörer! … Wenn du willst, haha …“ Er kannte Samuil schon seit seiner Kindheit. So miesepetrig, wie er sich immer gab, war er doch nicht. Der Blondschopf konnte durchaus nett sein, aber womöglich fehlte ihm mittlerweile einfach die Geduld dafür. Er erinnerte sich gerne daran, wie Samuil ihm immer aus der Patsche half, auch wenn es um emotionale Probleme ging. „Mach dich ja nicht lustig über mich. Vergiss nicht … Ich weiß genau, wie du einmal drauf warst!“ Anklagend deutete Samuil auf seinen Gegenüber, der diese Anschuldigung nur mit einem Lächeln abtat. „Ach ja? Ich weiß nicht, wovon du redest.“, gab sich Ammadon nur unschuldig. „Wie auch immer … Ich hör mal auf deinen Rat und sehe, was ich tun kann. Wenn's nicht klappt, muss ich Golyath wohl oder übel doch verprügeln.“ Samuil zuckte mit den Schultern, dann stand er auf und ging endlich, auch wenn er diese kurze Zweisamkeit mit seinem Kindheitsfreund länger genießen wollte. Aber … Das war nun mal nicht richtig. Er hatte keinen Anspruch mehr auf ihn. „Dann wird’s für mich wohl auch langsam Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen. Ah, aber den Nachtisch der beiden kann ich nicht einfach so stehen lassen ...“, sprach Ammadon zu sich selbst, als er nach den beiden Schüsseln Pudding griff. Um seine Figur musste er sich, trotz all der Süßigkeiten, die er gerne naschte, seltsamerweise nie Sorgen machen … Mit hastigen Schritten machte sich Samuil auf den Weg zum Trainingsraum der Elite. Er hatte so was von gar keine Lust auf diese Kinderprobleme. Zudem war er einfach nur frustriert. Er hatte auch wirklich gehofft, dass Ammadon ihm dabei helfen würde. Er war doch der liebe Engel! Aber er ließ ihn im Stich. Irgendwie wäre es letztendlich auch nicht richtig gewesen, den Navigator in die Sache hineinzuziehen. Er hatte sicher genug eigene Sorgen. Wie zum Beispiel seine Ehe, die in Samuils Augen sehr ernüchternd wirkte. Die beiden sahen sich kaum. Wäre er mit Ammadon verheiratet, würde er sich die Beine ausreißen, um Zeit mit ihm verbringen zu können! Aber wenn er nur daran dachte, was er alles verpasste, ging es ihm gleich noch dreckiger. Er beschwerte sich über die Probleme seiner Piloten, dabei war er doch selbst ein von Liebeskummer geplagter Idiot. Wie erwartet war nur Sorata im Trainingsraum. Sie war auch nach dem Kampf die fitteste. Alvis und Lyial waren auf der Krankenstation, durften diese aber sicher schon bald verlassen. Und sein neuer Musterschüler Schrägstich Prügelknabe lag ebenfalls in einem Krankenbett. „Aber wenigstens ist Clovis bald wieder da ...“, murmelte er leise, um Sorata nicht bei ihren Schießübungen zu stören. Aber diese hatte den General sowieso schon längst bemerkt. „Kann ich euch helfen?“, fragte sie, legte zugleich die Übungswaffen nieder. „Schon gut. Ich wollte eigentlich zu Golyath. Dafür, dass er nicht kämpfen musste, könnte er jetzt wenigstens trainieren, dieser faule Hund ...“, knurrte er verärgert. „Er ist bestimmt in seinem Quartier. Er hat mir erzählt, dass sein Lieblingsidol heute ein Konzert hat und es live im Fernsehen übertragen wird. Seine Begeisterung für diese Musik verstehe ich allerdings nicht ...“ Doch da war Sorata nicht die einzige. Niemand verstand das. „... Und Golyath ist ein erwachsener Mann, ein Elitepilot. Er ist nur verdammte vier Jahre jünger als ich … Und steht auf diesen Mist. Kaum zu glauben. Gut, danke für die Info. Du kannst weitermachen. Aber nicht zu lange, ja? Es ist besser, wenn ihr euch alle ausruht, bevor ich euch morgen richtig in die Mangel nehme!“ Und bei seiner momentanen Laune würde er diese Drohung garantiert wahr machen. Immer, wenn er durch die Gänge der Wohnanlage der Akademie stolzierte, wurde es ganz still. Die Schüler verzogen sich alle in ihre Zimmer, keiner wollte etwas mit Samuil zu tun haben. Und schon gar nicht mit demjenigen, wegen dem er hier war. Das bedeutete nämlich meist nur mächtig Ärger. Schon von weitem hörte Samuil die quietschende Popmusik, die aus dem Zimmer von Golyath drang. „Ob man im Gefängnis jegliche Scham verliert?“, fragte er sich, als er vor der Tür stand. Er klopfte an, aber scheinbar war die Musik so laut, dass Golyath ihn nicht hörte. Nach dem dritten Anklopften reichte es ihm dann. Er trat gegen die Tür, so wuchtig, dass es sie komplett aus den Angeln hob. „Golyath, öffne gefälligst die Tür, wenn jem- … Was zum … ?!“ Auf dem großen Bildschirm lief das Konzert von Mico Miyaco. Ein süßes Mädchen in einem glitzernden und über niedlichen Kostüm. Lange, rosafarbene Haare. Sogar das Mikrofon, dass sie hielt, war voller funkelnder Steine. Hologrammprojektionen, grelle Scheinwerfer. Ein tobendes Publikum. Und dann diese … Lieder … die kein erwachsener Mann hören sollte. Als wäre das alles nicht schon schlimmer genug, stand vor dem General Golyath, mit einem T-Shirt seines Idols, nicht das einzige Merchandise, das er besaß, das ganze Quartier war voll davon! Von Postern und Fahnen, bis hin zu Tassen, Anhängern und … „Puppen?! W-Was …“ Ja, Samuil war noch nie in Golyaths Quartier, und er wünschte sich auch in diesem Moment auch diese Unwissenheit zurück. „W-Was tut ihr hier?! Ich habe keine Zeit fürs Training! Das ist das letzte Konzert von Micos aktueller intergalaktischen Tour!!“ Golyath vermutete gleich, dass der General nur hier war, weil er gerade schwänzte. „Außerdem habt ihr meine Tür geschrottet! Geht's noch?! Das war eine automatische Schiebetür!“ Und die lag nun am Boden. Wie auch immer das physikalisch möglich war, es war sehr erschreckend. An Samuils Stirn pochten schon einige Adern. Er wusste nicht, was ihn gerade rasender machte. Golyath? Oder doch dieses Idol? „... Zieh dir etwas Ordentliches an. Und dann gehen wir raus.“ Er gab sich Mühe, ruhig zu bleiben. „Eh? Nein, wieso denn? Mico kann aber nicht warte- … Uff!!“ Kaum wagte er es, zu widersprechen, bekam er einen Tritt in die Magengegend, der ihn sofort umhaute. Er krümmte sich am Boden. „Was … Was soll der Scheiß?!“ „Zieh dieses bescheuerte Shirt aus und beweg' deinen verdammten Arsch! Das ist ein Befehl!!“, bellte Samuil nun richtig und machte damit klar, dass er es ernst meinte. „Ich warte vor der Tür.“ Wortlos stapfte er dann aus dem Zimmer, stellte die Tür hinter sich wieder auf. Draußen lehnte er sich an die Wand, verschränkt die Arme und wartete ungeduldig. Einige der Bewohner in diesem Gang linsten neugierig aus ihren Quartieren, doch als der Blick des Generals sie traf, verzogen sie sich sofort wieder. Nach kaum zwei Minuten stieß dann Golyath zu Samuil. Er war etwas bleich im Gesicht, also bleicher als sonst, und ihm war übel, der Tritt war auch nicht von schlechten Eltern. „Na bitte, geht doch. Folge mir.“, kommentierte Samuil, ging dann voraus, ohne zu verraten, wohin. Golyath musste so oder so folgen, außer, er wollte wieder einen Tritt kassieren. „Was soll das werden, ein Spaziergang?“, unterbrach Golyath die Stille, nachdem sie schon das Campusgelände verlassen hatten. Der Himmel verdunkelte sich langsam, es war schon abends. Samuil aber schwieg, völlig stur. Er führte Golyath abseits des Campus noch fast eine halbe Stunde herum, bis er an einer Haltestelle einer Buslinie stehen blieb. Stirnrunzelnd betrachtete Golyath den General. „Was habt ihr vor? Mann, redet endlich mit mir! Das nervt. Das Konzert ist sicher schon vorbei ...“, jammerte Golyath. Der General schnaubte daraufhin nur. „Golyath. Sag' mir, was dein Problem ist. Wieso fällt es dir so schwer, mit Lyial auszukommen?“ Plötzlich sprach er klipp und klar an, worum es hier ging. Golyath war kurz perplex, das kam auch unerwartet. Erst wurde er entführt und nun dieses Thema. „Tz … Ist das ihr Ernst? Das ist doch sonnenklar! Weil ihr Franklin mit so einem … Spinner ersetzen musstet! Mit diesem … Versager. Geisteskranken … Er ist sicher schizophren, er spricht dauernd mit Maschinen! Außerdem ist er nutzlos. Amun verdient einen besseren Piloten! Er kann und wird Franklin niemals das Wasser reichen! Er ist nur eine Behinderung für das ganze Eliteteam!!“ Für Golyath lag es doch auf der Hand. Der Fehler lag bei Lyial, nicht bei ihm. Warum musste er deshalb nun hier stehen und mit dem General darüber reden? „Ihr entehrt Franklin, der ein großartiger Pilot war! Im Gegensatz zu diesem Wicht. Er hat seinen Platz nicht verdient. Niemand hat das! Niemand … Niemand kann ihn ersetzen!“ Jetzt wurde er richtig laut, sein Gesicht färbte sich vor Wut rot. „Die Elite kommt ohne ihn besser klar! Würde uns auch eine Menge Ärger sparen! Er will doch selbst nichts mit uns zu tun haben, dieser Irre!“ Und wegen diesem Spinner verpasste er nun auch noch das Konzert seines Idols? „Das ist Schwachsinn! Ich gehe zurück!“ Er wollte sich schon umdrehen, da hörte er seinen Namen. „Golyath.“, mehr sagte Samuil nicht, stattdessen hob er die Hand und ohrfeigte ihn hart. "Jeder Elitepilot, der im Dienst gestorben ist, war großartig. Und wir haben sie alle ersetzt. Es würde keine Elite geben, wenn wir das nicht tun würden. Das ist keine Entehrung sondern unsere verdammte Pflicht! Ohne euch würde es diese Kolonie nicht mehr geben! Keiner von euch ist perfekt. Und Franklin war es auch nicht. Es ist traurig, was mit ihm passiert ist. Und genau deswegen sollt ihr daran arbeiten, so etwas in Zukunft zu verhindern. Würde es irgendjemandem helfen, wenn wir Amun im Hangar stehen lassen und ihr nur zu Viert wärt? Würde das Franklin glücklich machen? So wie ich ihn kenne, dreht er sich gerade im Grab um, weil einer seiner Kollegen ein blinder Vollidiot ist, der sich wie ein Kleinkind benimmt! Ich habe dich nur aufgenommen, weil er mir versichert hat, dass du ein guter Mann bist. Aber das sehe ich derzeit nicht. Sollte ich dann nicht vielleicht eher dich raus werfen?“ Samuils Blick durchbohrte Golyath förmlich, der sich nur entsetzt die Wange hielt. Das war das erste Mal, dass der General jemanden ohrfeigte, denn wenn er sonst zuschlug, dann mit der Faust. Das bedeutete nur, dass diese Situation hier ganz anders war. Das war keine Bestrafung. Er wollte seinen Standpunkt klar machen und … Golyath helfen. "Wir wollen Franklin nicht ersetzen. Jeder Mensch ist anders. Hör endlich auf, jeden mit ihm zu vergleichen. Er ist tot, lass ihn endlich ruhen!“, auch wenn er laut wurde, wirkte er keineswegs, als würde er die Fassung verlieren. Dabei brodelte er innerlich so sehr, aber wenn er nun selbst ausrastete, half das keinem, weder ihm, noch Golyath. Doch in Golyath keimten ganz andere Gefühle auf. „Ihr … Ihr habt doch keine Ahnung ...“, murmelte er, beide Fäuste geballt, zitternd vor Anspannung. Er biss sich auf die Lippen, noch bevor es aus ihm herausplatzte, fuhr der Bus die Station an und brachte ihn aus dem Konzept. Samuil stieg wortlos ein, und der Elitepilot tat es ihm gleich. Die ganze Fahrt über schwiegen sie, Golyath wusste auch nicht, wohin es ging. Erst als sie ausstiegen, dämmerte es dem Schwarzhaarigen langsam. Ein schönes Stück Grün, am Rande der Kuppel. Es war von einer hohen Mauer umzäunt, hübsch und ordentlich nebeneinander gereiht waren ovale, flache Steinplatten senkrecht in den Boden gearbeitet, auf jedem einzelnen stand etwas geschrieben. Kein Zweifel, das war der Militärfriedhof von Heliopolis. Golyath schluckte. Er war starr vor Ehrfurcht. Hier lagen all die Piloten, die im Kampf gefallen waren. Auch wenn man viele Körper nicht mehr bergen konnte, so bekamen sie doch einen Platz in dieser Gedenkstätte. Samuil deutete mit einem Nicken, dass er ihm folgen sollte. Ein Weg aus Pflastersteinen führte sie durch den Friedhof, bis sie endlich am Ziel angelangt waren. Die Gräber der Elitepiloten. Und es waren nicht wenige … Vor einem bestimmten Grab blieben sie dann stehen. Auf dem Stein war der Name „Franklin Donovan“ in Schönschrift eingraviert, darunter Geburts- und Todesdatum, und in einer weiteren Zeile: „Er war Sohn, Bruder, Freund und Geliebter. Doch auch war er ein tapferer Held. Möge er in Frieden ruhen.“ "Du solltest mit ihm reden und dich entschuldigen. Für das, was du in seinem Namen alles angerichtet hast. Und dann schließe endlich Frieden, Golyath. Dein Leben geht weiter, also mach etwas daraus. Heb' dir deinen Hass für die Neumenschen auf." Samuils Blick wanderte über die Gräber. So viele Bekannte, mit denen er gearbeitet hatte, die er unterrichtet hatte. Und sie alle sind wahrscheinlich gestorben, ohne jemals mehr als Antipathie für ihn zu empfinden. Aber er erwartete es nicht anders. "Wenn du dich besser fühlst, komm zum Training morgen. Oder willst du mich mit den ganzen Kindern alleine lassen?!" Das fauchte er noch, dann drehte er sich um und ging langsam an Golyath vorbei, schlug ihm noch sachte und freundschaftlich auf die Schulter, ehe er sich auf den Rückweg machte und ihn mit Franklin alleine ließ. „Warum … ausgerechnet hier ...“ Golyath konnte es nicht nicht fassen. Da stand er nun, vor dem Grab seines besten Freundes. Nein … vor dem Grab des Mannes, der ihn vor dem Tod gerettet hatte. Und … er war der Mann, den er geliebt hatte. Er sackte vor dem Grabstein in die Knie, fuhr mit dem Finger die Konturen der Gravur auf dem Stein ab. Dort standen seine Heldentaten. Er kämpfte in unzähligen Schlachten. Er war wirklich ein Held. Die Erinnerung an das immerwährende Lächeln seines einstigen Kollegen kam hoch. Er versprühte immer diese gute Laune, gab ihm immer soviel Halt. Eine Heldentat fehlte hier. Eine selbstlose und bewundernswerte Tat. Er hatte einem zu Tode verurteilten Mann eine zweite Chance verschafft. Einen neuen Sinn im Leben gegeben. Er hatte Golyath gerettet. Seit der Beerdigung war er nicht mehr hier gewesen. Dafür schämte er sich, jetzt, wo er vor dem Grab saß. Er senkte den Kopf, seine Kehle schnürte sich zu, während seine Augen sich langsam mit Tränen füllten. Franklin war immer für ihn da. Er holte ihn aus dem Gefängnis, gab ihm eine Chance, alle seine Verbrechen wieder gut zumachen. Das war keine selbstverständliche Geste. Aber Franklin glaubte an ihn. Doch Golyath hatte sich dafür nie bedankt, gab ihm nie etwas zurück. Er dachte ja auch, er hätte noch ewig Zeit dazu. Und trotzdem waren sie beste Freunde. Ein eingeschweißtes Team. Aber er bereute nun so sehr, dass er seine Gutmütigkeit nie zurückgezahlt hatte. „Ich möchte … so gerne … noch einmal mit dir reden ...“, flüsterte er und es fühlte sich seltsam an. Er bekam ja natürlich keine Antwort. „... Ach … Was sag' ich da … ? Du hörst mir sicher zu, wo auch immer du gerade bist und lachst mich aus … Also … Ich ...“, kurz versagte seine Stimme, er musste sich übers Gesicht wischen, da seine Sicht verschwommen war. „Franklin … Bitte … Bitte verzeih mir …“ Nun konnte er nicht mehr die Tränen zurückhalten. Ohne Halt rollten sie seine Wangen herab, tropften zu Boden. „Du hast soviel für mich getan. Und ich … Ich habe mich noch nie bei dir dafür bedankt. Noch nie etwas … für dich getan … Bitte, verzeih mir! Verzeih mir, dass ich so ein Idiot war. Ich wollte immer nur haben, aber nie geben … Das war ein Fehler. Und ich hatte nie die Möglichkeit, es wieder gut zu machen. Es tut mir so Leid!“ Nicht einmal jetzt konnte er ihm etwas geben, ein kleiner Blumenstrauß wäre nett gewesen, wie blöd er sich jetzt vorkam ... „Die Wahrheit ist … Ich … Ich habe dich immer geliebt … Und dich zu verlieren war … Es war so grausam. So schmerzhaft! Fast hätte ich wieder ... Aber das konnte ich dir nicht antun. Du hast soviel in mich gesteckt, soviel riskiert … Franklin … Danke … Danke für alles!“ Er ließ seinen Gefühlen freien Lauf, sprach sich alles von der Seele, alles, was ihm am Herzen lag. Der General hatte Recht. Franklin war tot. Er war nicht mehr hier. Er musste endlich nach vorne sehen, dieses Schicksal akzeptieren. Es sollte nicht sein. Aber er ließ eine Menge schöner Erinnerungen zurück. Und die Tatsache, dass Golyath noch lebte, verdankte er nur Franklin. Das konnte ihm keiner mehr nehmen. Es war so befreiend, er hörte gar nicht mehr auf. Er schwelgte in Erinnerungen, dachte an ihr erstes Treffen, an die gemeinsamen Kämpfe. Die schöne Zeit. Aber auch an den schicksalhaften Tag, der alles beendete. Franklin war da, ganz sicher. Er würde ihn hören, ihm verzeihen und vergeben. Und Golyath gab ihm das Versprechen, dieses Kapitel ein für alle Mal zu beenden. „Ich werde dich stolz machen. Du wirst schon sehen. Wir werden diesen Krieg beenden. Und sollte ich doch versagen … Sehen wir uns sicher bald wieder. Aber warte nicht auf mich, weil ich das sowieso nicht zulassen werden! Ich lass' mich nicht so leicht abknallen, hörst du?“ Als die letzten Tränen getrocknet waren, fühlte sich Golyath wie neu geboren. Er wusste genau, was er am nächsten Tag zu tun hatte. Jemand verdiente ein Dankeschön. Und ein anderer eine Entschuldigung. Außerdem lag es nun an ihm, der Elite wieder zu altem Glanz zu verhelfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)