Josephine Klick - Allein unter Cops von Peggy_Padouk ================================================================================ Kapitel 21: ------------ „Viktor hat wirklich ein feines Händchen, wenn es um Pferde geht. Findest du das nicht auch, Josephine?“ Ich konnte meinem Vater nur zustimmen. Ich hatte den Hengst jetzt schon einige Tage beobachten können. Er sah prachtvoll aus, wenn er über die Koppel galoppierte. Er war noch nicht eingeritten. Dafür war er noch zu jung. Apollo, so hieß der Hengst, hatte einen guten Stammbaum und Viktor hatte sich das einiges Kosten lassen. Gerade deswegen überlegt er noch immer, ob eine Kastration wirklich in Frage käme. Ein Wallach war deutlich ruhiger und mit ihm besser arbeiten, aber als Hengst konnte er einiges mehr an Kapital abwerfen. „Was denkst du, Josephine?“, fragte mich Viktor. „Schwer zu sagen. Wenn du dich wirklich darauf konzentrieren willst, ihn gut auszubilden, macht es die Sache vielleicht einfacher, wenn du ihn kastrierst. Aber ich verstehe natürlich auch den finanziellen Aspekt. Ich glaube, dass ich mich in diesem Fall eher auf die Ausbildung konzentrieren würde.“ Er schaute mich nachdenklich an. „Ich glaube auch, dass ich ihn kastrieren lassen werde.“ „Überstürze nichts“, entgegnete ich. „Du hast ja noch Zeit dich zu entscheiden.“ Apollo war jetzt erst ein gutes dreiviertel Jahr. Vor drei Monaten wurde Apollo von der Mutterstute getrennt. Er kam erstaunlich gut mit seinen Artgenossen klar und wir hatten nach dem Umzug auf das Gestüt keine seelischen Probleme erkennen können. Es sah alles sehr vielversprechend aus und ich freute mich für Viktor. Als Er und mein Vater Apollo wieder begutachteten, hörte ich Geräusche im Eingangsbereich. Bevor ich mich umdrehen konnte, schnellten mir Schritte entgegen und eine kindliche Stimme rief nach mir. „Josephine!“ Benny kam auf mich zugerannt. Fritz trottete langsam hinter Benny hinterher und schenkte mir ein breites Grinsen. Ich lächelte zurück, sah dann aber Benny an, der auf mich zu rannte. Er begrüßte mich und zeigte dann auf seine Füße. „Guck, ich habe heute extra Stiefel an“, sagte er und sah mich erwartungsvoll mit diesen großen Kinderaugen an. Mein Lächeln wurde breiter. „Hervorragend!“, lobte ich ihn. „Dann kann uns der Schlamm heute ja nichts anhaben.“ Er grinste mich an, während er energisch nickte und ich ihm zuzwinkerte. Es hatte über Nacht leicht geregnet und der Boden war etwas aufgeweicht. Das sollte aber kein Problem für Wotan sein. „Benny, du solltest auch die anderen beiden Erwachsenen begrüßen“, hörte ich Fritz, als er beinahe neben mir stand. Benny nickte seinem Vater entschuldigend zu und wandte sich zu meinem Vater und Viktor, die hinter mir standen und sich zu uns umgedreht hatten. Benny stellte sich vor und begrüßte die beiden. Fritz stellte sich hinter Benny und begrüßte ebenfalls die beiden Männer mit Handschlag. Als mein Vater ihn übertrieben ernst ansah, rollte ich beinahe mit meinen Augen. Natürlich würde er etwas zum Telefonat sagen. Ich hatte das schon befürchtet. „Ich hoffe, dass meine Tochter Ihnen meine Entschuldigung übermittelt hat. Ich wollte nicht bei der Arbeit stören.“ Ich konnte sehe, wie sich Fritz bei der Äußerung meines Vaters verkrampfte. Er räusperte sich kurz, bevor er etwas erwidern konnte. „Herr Klick, ich bitte mein Verhalten am Telefon zu entschuldigen. Ich wusste nicht, dass Sie es waren. Ich hätte nie-...“ Mein Vater lachte und ich schüttelte den Kopf. Das Schauspiel hätte von mir sein können. Nun ja, der Apfel fiel anscheinend nicht weit vom Stamm. Zumindest was diese Sache anging. Bei anderen Dingen würde ich dem Spruch lauthals widersprechen. „Machen Sie sich keine Sorgen“, setze mein Vater an und wedelte beschwichtigend mit seiner Hand. „Ich bin doch froh, dass meine Tochter Kollegen hat, die sich um sie kümmern und sich sorgen.“ Fritz entspannte sich sichtlich. „Es ist nicht leicht auf Josephine aufzupassen“, erzählte er weiter und lächelte Fritz an. „Sie ist immer so stur. Jemand wie Sie wäre genau der Richtige für meine Tochter.“ Mein Atem stockte für eine Sekunde, als mir bewusst wurde, was er da gerade gesagt hatte. Fritz nickte zögerlich und fühlte sich ganz offensichtlich unwohl. Ich stellte mich zwischen die beiden. „DEINE Tochter steht zufällig direkt vor dir, Papa. Also rede bitte nicht so, als wäre ich nicht da. Und hör auf ständig Entscheidungen für mich treffen zu wollen. Das kann ich sehr gut alleine.“ „Ich will doch nur, dass du glücklich bist“, seufzte mein Vater und blickte mich mit einer Wärme an, die ich noch nicht bereit war anzunehmen. „Ich BIN glücklich“, erwiderte ich. „Und noch glücklicher wäre ich, wenn jeder endlich aufhören würde zu denken, sich sicher zu sein, was mich glücklich macht. Ich bin erwachsen!“ Ich sah meinen Vater warnend an. Er verstand, dass ich nicht weiter darüber reden wollte. Vor allem, wenn ein Kollege dabei war. Mein Vater sah entschuldigend zu Fritz. „Sehen Sie was ich meine? Stur ohne Ende. Das hat sie von ihrer Mutter.“ Fritz erwiderte das Lächeln meines Vaters. „Mit der Sturheit ihrer Tochter habe ich auch schon Erfahrung machen dürfen.“ Mein Vater sah zu Ben und lächelte ihn an. „Und was machst du hier, kleiner Mann?“ „Josephine hat mir versprochen, dass ich auf Wotan reiten kann“, sagte Ben und blickte dabei äußerst euphorisch zu mir. Dann sah er wieder zu meinem Vater, beugte sich ein wenig vor und flüsterte halblaut. „Außerdem würde Papa Josephine übers Wochenende sonst bestimmt zu sehr vermissen.“ Ich verschluckte mich fast an meiner eigenen Spucke. Hatte ich mich gerade verhört? Auch Fritz schien aus der Fassung gebracht und blickte seinen Sohn ungläubig an. Viktor lachte los und ich konnte meinen Vater grinsen sehen. Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. Ich schüttelte vielsagend meinen Kopf. Er sollte das nicht in den falschen Hals kriegen. Ben war ein Kind. Kinder sagten manchmal solche Dinge, ohne über die Bedeutung nachzudenken. „Dein Papa konnte es bestimmt nicht abwarten sich wieder mit mir zu streiten, das tuen wir nämlich ständig auf der Arbeit. Macht ja auch irgendwie Spaß“, sagte ich mit einem aufgesetzten Lachen. „Wo wir gerade von Spaß reden“, wechselte ich das Thema. „Willst du dir den neuen Hengst ansehen? Der ist noch ganz jung.“ Ben stimmte zu und ich nahm seine Hand, als wir zur Box gingen. Er war noch ein wenig zu klein, um über die Tür der Box zu sehen. Ich schob eine Kiste ran und er stellte sich rauf. „Siehst du?“, sagte ich und deutete auf Apollo. „Schönes Pferd, oder?“ Ben nickte, als er sich an den Stangen der Box hoch zog, um den Hengst noch besser sehen zu können. „Er heißt Apollo“, flüsterte ich ihm verschwörerisch zu, als wäre es ein Geheimnis. Die Männer hatten sich uns angeschlossen und wir sahen alle Apollo zu. Das schien ihn ein wenig nervös zu machen. Er ging unruhig in der Box auf und ab. „Der ist aber noch ziemlich wild“, sagte Fritz während er sich neben mich stellte. „Ja, dass ist er. Aber wir lassen ihn kastrieren. Als Wallach wird er ruhiger.“ Fritz sah mich bei meinen Ausführungen skeptisch an. Das war wohl für Männer, die mit Tieren nichts zu tun hatten, ein Unwort. Ich verdrehte meine Augen. „Was ist ein Wallach?“, fragte mich Benny. Ich blickte ihn an und wollte gerade erklären, dass ein Wallach ein kastrierter Hengst sei dem die Hoden entfernt wurden, aber ein Seitenhieb von Fritz´s Ellenbogen in meine Rippen und ich hielt inne. Ich hatte den Wink verstanden. Er sah mich warnend an. Mit sieben Jahren hatte ich schon längst über solche Dinge Bescheid gewusst. Aber Ben war in der Stadt aufgewachsen. Da lernte man solche Sachen vielleicht erst etwas später. Ich blickte wieder zu Ben, während ich noch überlegte, wie ich ihm das Thema am besten erklären konnte. „Wotan ist zum Beispiel ein Wallach. Ein Hengst ist ein männliches Pferd, das Fohlen zeugen kann. Ein Wallach kann das nicht. Das ist der einzige Unterschied.“ Ben sah nachdenklich zu Apollo, bevor er mich wieder ansah. „Das ist aber traurig. Dann können Wotan und Apollo ja nie Kinder haben und ein Papa sein.“ „Da hast du Recht.“ Es war sicherlich schwer, das als Kind zu verstehen. Eine Weile standen wir noch da und sahen Apollo zu, dann beugte ich mich zu Ben vor. „Wollen wir uns jetzt um Wotan kümmern? Er hat sich schon so gefreut, als ich ihm heute Morgen erzählt habe, dass du ihn wieder besuchen kommst.“ Sofort leuchteten seine Augen und er nickte ungestüm. Wotan wartete wirklich schon äußerst ungeduldig auf uns. „Na, mein Großer“, begrüßte ich ihn als ich die Box aufmachte und seinen Hals tätschelte. „Ich habe dir doch gesagt, dass Ben heute vorbei kommt.“ Ben folgte mir vorsichtig und streichelte ihn ebenfalls. Wir putzen Wotan ausgiebig und konnten ihn danach Satteln und Trensen. Auf dem Longierplatz ließ ich ihn erst einige Runden drehen, bevor ich Ben aufsteigen ließ. Dieses Mal bekam Ben Hilfe von seinem Vater. „Halt dich gut fest“, sagte Fritz zu seinem Sohn bevor er zurück zu mir kam. „Bereit?“, rief ich zu Ben. Er nickte und hielt sich am Sattelknauf fest. Als Fritz wieder neben mir stand, gab ich Wotan das Signal sich in Bewegung zu setzen. Ben hatte sich schnell wieder an das Reiten gewöhnt und ich konnte Wotan traben lassen. „Und? Steigst du heute wieder aufs Pferd?“ „Wehe, du bringst Benny wieder auf diese Idee!“, warnte mich Fritz. Ich musste lachen. Dabei hatte er sich letztes Mal doch ganz gut geschlagen. „Schon gut, schon gut“, sagte ich beschwichtigend. „Ich werde mich hüten.“ Eine Weile standen wir wortlos nebeneinander. „Ich hätte nicht gedacht, dass er soviel Freude daran hat“, sagte Fritz, der seinen Sohn nachdenklich betrachtete. „Viele Stadtkinder vermissen die Verbundenheit mit der Natur und den Tieren. Vielleicht hat er so großen Gefallen daran, weil er so etwas bisher noch nicht kennengelernt hat.“ Fritz sah seinen Sohn nachdenklich an. „Ich wollte ihn eigentlich zum nächsten Schuljahr bei einem Kampfsportverein anmelden. Jetzt bin ich mir aber nicht mehr sicher.“ „Reiten kann er auch immer mal bei mir. Wotan freut sich immer über Abwechslung. Ich denke, es ist bestimmt wichtig, dass er eine Kampfsportart lernt. Wir sind hier immerhin in Berlin.“ Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Was soll das denn schon wieder heißen?“ Ich seufzte. „Das soll heißen, das Berlin gewiss mehr Gefahren und Kriminalität birgt, als irgendein Dorf mit ostfälischen Kuhwiesen.“ 
 Er verzog bei dem Ausdruck `ostfälischen Kuhwiesen´ sein Gesicht merklich. Ich war mir sicher, dass er sich noch daran erinnern konnte, wie er mich anfangs immer damit aufzog, woher ich kam und das ich keine Ahnung von Großstädten hatte. Im Streit hatte er es mir oft genug an den Kopf geworden, aber ich nahm es sportlich. Irgendwie hatte er ja Recht. Wir hatten viele Kuhwiesen in der Gegend. Da gab es nichts zu leugnen. Wir schwiegen eine Weile. „Tut mir leid, dass mein Vater dich vorhin wegen des Telefonates aufgezogen hat.“ Er schüttelte nur den Kopf. „Ich hatte es verdient. Da sind mal wieder die Pferde mit mir durchgegangen.“ Ich sah ihn skeptisch an. Hatte er etwa tatsächlich gerade versucht einen Witz zu machen? Ich grinste ihn an. „Naja, wenigstens bist du einsichtig.“ Sein Blick wurde ernster und er zögerte einen Augenblick ehe er antwortete. „Ich kann diesen Altenburg einfach nicht leiden.“ Ich seufzte. Da war wieder dieses leidige Thema. „Fritz“, begann ich mit ruhiger Stimme. „Ich verstehe, dass ihr euch nicht unbedingt in einer guten Situation kennengelernt habt. Aber ich glaube wirklich, dass ihr gut miteinander auskommen würdet, wenn ihr beide euer herrisches Alpha-Tier-Gehabe ablegen würdet.“ „Darum geht es doch gar nicht, Bielefeld“, sagte er, als er wieder von Ben zu mir sah. „Ich finde einfach, dass du dich nicht mit ihm treffen solltest. Er passt einfach nicht zu dir.“ Ich sah ihn überrascht an. Er hielt meinem Blick aber nur kurz stand. „Da hat noch eher dieser aufdringliche Förster zu dir gepasst“, murmelte er grimmig und sah dabei zu Boden, während er einen kleinen Stein, der vor seinen Füßen lag, wegstieß. Ich musste mir bei seinem Gesichtsausdruck das Lachen verkneifen. Aber da es das erste Mal war, dass wir normal über Herrn Altenburg reden konnten, wollte ich die Gelegenheit nicht verstreichen lassen. „Fritz“, setzte ich an. „Es ist wirklich sehr lobenswert, dass du dich darum sorgst... Aber Herr Altenburg? Wirklich? Davon abgesehen, dass es absolut meine Entscheidung ist mit wem ich mich treffe, habe ich keinerlei Interesse an Herrn Altenburg. Zumindest auf diese Art und Weise. Ich habe doch auch nie behauptet, dass wir ausgehen. Wie kommt ihr alle nur auf diese Idee? Ich bin mir sicher, dass auch er kein Interesse an mir hat.“ „Du bist manchmal so blind, Josephine“, sagte er und klang dabei beinahe ein wenig verbittert. „Ich sehe doch, wie er dich ansieht. Ich kann es in seinen Augen sehen.“ „Das ist doch Wochen her, dass du ihn gesehen hast“, sagte ich skeptisch. „Als wenn das was ändern würde. Interesse verschwindet nicht einfach so von heute auf morgen, selbst wenn man es will.“ Ich schnaubte. „Fritz“, sagte ich und bemühte mich ruhig zu bleiben. „Selbst WENN er Interesse hätte - was ich stark bezweifle - ICH habe es nicht. Momentan habe ich überhaupt kein Interesse mich auf irgendwas oder irgendwen einzulassen.“ „Manchmal geht das schneller als man denkt oder will“, widersprach er mir mit gedämpfter Stimme und klang dabei beinahe heiser. Ich zog meine Augenbrauen zusammen, als ich ihn nachdenklich ansah. Warum sprachen wir überhaupt darüber? Ich musste wieder an das Gespräch mit dem Chef denken. Hatte das Getratsche Fritz erreicht? Dachte er sein Fall würde wieder aufgerollt werden? „Ich kann dir versichern, dass du ihn falsch einschätzt“, begann ich ruhig. „Es ist nicht das wonach es aussieht. Ich verstehe dein Problem. Erst vor wenigen Wochen hat er noch deinen Fall bearbeitet und dann sieht man ihn so oft mit mir. Das könnte auf dem Revier natürlich Gerede geben und das willst du nicht. Ich verstehe schon.“ „Das Gequatsche ist mir doch egal“, entgegnete er mir mit fester Stimme. „Wirklich?“, fragte ich verwundert. Was war dann sein Problem? „Der Chef hat mich auch schon darauf angesprochen. Aber das lag vielleicht auch mehr an dem Fall, für den ich angefordert werden sollte.“ Er sah mich überrascht an und ich erkannte in diesem Moment meinen Fehler. „Für einen Fall?“, fragte er nach. Ich biss mir auf die Unterlippen. Verflucht nochmal, ich und mein loses Mundwerk. Ich versuchte mich wieder auf Ben und Wotan zu konzentrieren, die noch immer ihre Runden drehten. Ben bekam anscheinend nichts von unserer Diskussion mit. Er quiekte noch immer vergnügt umher, wenn ich das Tempo von Wotan immer mal wieder beschleunigte und er zum leichten Galopp ansetzte. „Kannst du das bitte für dich behalten?“, bat ich Fritz, als ich ihn zögerlich ansah. „Du solltest das gar nicht wissen. Es gibt einen Fall für den ich angefordert wurde. Vielleicht rührt daher sein Interesse.“ „Worum geht es in dem Fall?“, harkte er nach. „Fritz, bitte. Denkst du nicht, dass ich euch schon davon erzählt hätte, wenn es nicht geheim wäre?“ Davon abgesehen, dass ich sowieso kaum was über diesen Fall weiß, dachte ich. Sophia wollte mir Montag die Unterlagen vorbeibringen. Solange würde ich mich wohl noch gedulden müssen. Er blickte mich weiterhin skeptisch an. Dann zogen sich seine Augenbrauen zusammen. „Du nimmst den Auftrag aber nicht an. Auf keinen Fall nimmst du einen Fall ohne uns an, ist das klar?“ Er sah mich erst etwas überrascht an, dann verfinsterten sich seine Augen. „Willst du etwa das Revier wechseln?“ fragte er mich mit erhobener Stimme. Ben sah uns fragend an. Ich lächelte ihm beruhigend zu und gab Wotan das Signal sein Tempo zu verlangsamen. Ich sah noch immer zu Ben und Wotan als ich Fritz mit gedämpfter Stimme antwortete: „Das ist doch Quatsch! Was ist das denn für eine Mutmaßung? Natürlich will ich nicht das Revier wechseln. Erst mal hat der Chef auch den Fall abgelehnt. Vielleicht wird das Thema später noch mal zur Sprache kommen. Aber ich bin mir noch gar nicht sicher, ob ich den Fall überhaupt annehmen werde.“ Ich hörte, wie Fritz neben mir brummte. „Mir wäre es lieber, wenn du den Fall nicht annimmst.“ Ich sah Fritz fragend an. „Wieso?“ Er zögerte mit der Antwort und bevor er was sagen konnte hörte ich Ben. „Josephine?“, rief er mir zu. Ich blickte zu ihm und lächelte ihn an. „Alles ok bei dir?“, fragte ich. „Reitest du vielleicht wieder mit mir eine Runde?“ Ich sah Fritz an, der mir zustimmend zunickte, dann schaute ich mir Wotan an, der offensichtlich noch bei Kräften war. „Na klar“, stimmte ich zu. Fritz hielt wieder die Longe während ich hinter Ben aufs Pferd stieg. Wir ritten quer über den Reitplatz und ich setzte immer wieder zu schnellem Galopp an. Es war wirklich erstaunlich, dass Ben so viel Freude daran hatte und keine Angst bei dem Tempo verspürte. „Warum heißt er eigentlich Wotan?“, fragte mich Ben, als wir das Tempo nach einer Weile verlangsamten. „Wotan ist der Name eines nordischen Gottes. Es soll Kraft und Stärke ausdrücken“, erklärte ich Ben. Ich deutete auf die dunklen Flecken in seinem Fell und erklärte weiter: „Die Flecken in seinem Fell nennt man Paint. Das kommt aus dem Englischen. Cowboys haben früher Pferde wie Wotan geritten. Er ist eine Art Quarter Horse. So heißt die Rasse.“ „Warum weißt du eigentlich so viel über Pferde?“ „Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen. Wir hatten schon immer viele Tiere um uns rum und ich habe früh schon mein erstes Pferd bekommen.“ „Das war bestimmt schön“, seufzte Ben als er sich ein wenig nach vorne beugte und den Hals von Wotan streichelte. „Natürlich war es schön. Aber es war auch viel Verantwortung. Man konnte nicht immer einfach so wegfahren. Immer musste man sehen, ob sich auch jemand um das Pferd kümmert. Es bedeutet immer viel Verantwortung ein Tier zu halten.“ Ben nickte, schwieg dann eine Weile. Wir ritten weiter langsam über den Reitplatz und hatten bereits den Stall angesteuert. „Danke, dass du auf Papa aufgepasst hast“, sagte Ben nach einem Moment, blickte aber weiter geradeaus. Ich musste lächeln als ich mich an das Gespräch von damals erinnerte. Ich hatte ihm versprochen, dass ich auf seinen Vater aufpassen würde. Der Fall war für Fritz gut ausgegangen. Daher hatte ich wirklich das Gefühl mein Versprechen eingehalten zu haben. „Dein Papa hat ja auch schon auf mich aufgepasst“, erwiderte ich. Als Ben seinen Kopf plötzlich zu mir umdrehte, sah er ungewohnt ernst aus. „Josephine? Hast du einen Freund?“, fragte er mich - ich konnte ihn nur erstaunt angucken. Wie war er denn auf diese Frage gekommen? „Papa sagt immer, dass dich oft jemand besucht.“ „Sagt er das?“, fragte ich skeptisch und zog mit einem Lächeln eine Augenbraue hoch. „Ja“, bestätigte mir Ben überzeugt. „Und Papa sagt auch, dass der Mann ein Vollidiot ist.“ Ich musste lachen, als er das mit solcher Überzeugung sagte, dass der Satz auch direkt von Fritz hätte stammen können. „Also wirklich, Benny. Das ist aber kein schönes Wort!“ Er sah mich etwas schuldbewusst an, schenkte mir aber dann ein schiefes Lächeln. In diesem Moment hatte er unglaubliche Ähnlichkeit mit Fritz. „Papa sagt das Wort sehr oft. Er ist dann bestimmt traurig oder wütend. Papa sollte nicht so oft alleine sein. Er mag deinen Freund nicht. Mama sagt immer, ich darf so böse Wörter nicht sagen, also sagt es bitte niemanden.“ Er sah mich bittend an. „Nein, natürlich nicht. Das bleibt unser Geheimnis. Aber deine Mama hat Recht. So etwas solltest du nicht sagen und dein Papa eigentlich auch nicht. Außerdem ist der Mann, über den dein Papa gesprochen hat, kein Vollidiot und auch nicht mein Freund.“ Ich sah das Funkeln in den Augen von Ben. „Wirklich? Kann dann mein Papa nicht dein Freund sein?“, sagte er euphorisch und starrte mich erwartungsvoll an. Auf so eine Frage war ich nicht gefasst daher verschlug sie mir die Sprache. Als ich seine fragenden Augen betrachtete, zog sich meine Brust unweigerlich zusammen. Wie sollte ich einem sieben jährigem Jungen erklären, dass das nicht so einfach war. „Wir sind doch Kollegen, Ben. Das geht bei uns Erwachsenen nicht so leicht.“ „Meine Mama und ihr neuer Freund arbeiten auch zusammen“, ließ er sich nicht von seiner Idee abbringen. “Du hast doch gesagt, dass du meinen Papa magst“, sagte er und klang dabei beinahe beleidigt. „Ich mag deinen Papa ja auch“, versicherte ich ihm. Mit Fritz ausgehen? Darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Unweigerlich musste ich an den Kuss denken. Natürlich mochte ich Fritz und ich hatte seinen Kuss sehr genossen, mehr als das, wenn ich an meine Reaktion darauf dachte. Ich versuchte die Gedanken daran abzuschütteln. Sie waren einfach fehl am Platz. Ich sah Ben mit einem entschuldigenden Lächeln an. „Wir arbeiten in einem Team zusammen und da es manchmal gefährlich werden kann, ist es besser, wenn wir einfach nur gute Kollegen sind.“ Er sah mich mit einem zerknirschten Kindergesicht an. „Ich mag dich aber auch sehr“, sagte er schmollend. „Und Papa redet sonst über keine andere Frau. Mama hat einen neuen Freund und Papa soll auch glücklich sein. Außerdem kann ich dich dann so oft ich will besuchen kommen.“ Ich lächelte ihn an und wuschelte ihm durch die Haare. „Das kannst du doch auch so. Ich freue mich immer über Besuch. Wotan übrigens auch.“ Er wirkte nicht zufrieden, akzeptierte aber den Ausgang unseres Gespräches. Als wir am Stall ankamen, wartete Fritz dort auf uns. Ich stieg ab und half Ben dann anschließend. Zusammen kümmerten wir uns um Wotan und brachten ihn in die Box. Als Wotan genügend Heu und Hafer hatte, schauten wir ihm noch ein wenig beim Fressen zu. Ich blickte Fritz an, der neben mir stand und musste an die Worte von Ben denken. Ich hatte Fritz nie als potentielle Partner gesehen. Darüber hatte ich wirklich noch nie nachgedacht. Ich kannte ihn doch eigentlich nur dienstlich und wusste so gut wie nichts über sein Privatleben. Es stand außer Frage, dass er ein guter Vater war. Er würde vermutlich noch viel mehr für Benny machen, wenn Stefanie das zuließe. Er war auf der Arbeit zwar oft hitzig und benahm sich anfangs wie ein Platzhirsch, dem man das Revier streitig machte, aber er hatte auch ganz andere Seiten. Er konnte auch hilfsbereit und zuvorkommend sein. Und er nahm seinen Job immer ernst. Um seine Kollegen zu schützen ging Fritz durchs Feuer. Ich hatte es selber erlebt als er mir das Leben gerettet hatte. Ich vertraute ihm und das war schon ein Wunder an sich, wo ich doch niemanden außer mir selbst bisher vertraute. Als ich seine Blicke auf mir spürte, begriff ich, dass ich ihn angestarrte - ziemlich offensichtlich sogar. Ich konnte die Frage in seinen Augen sehen. Meine Wangen brannten, als ich blinzelte und meinen Blick von ihm abwandte. Was war nur los mit mir? Warum waren meine Gedanken so abgedriftet? Ben hatte mich ganz durcheinander gebracht mit seiner Fragerei. Das letzte Mal, dass ich so dachte, war in Bielefeld, aber das war lange her. Damals ging es um Stefan. Er hatte ebenfalls zu meinem Team gehört. Aber es hatte mit uns kein glückliches Ende genommen. Meine Brust zog sich zusammen. Nein, so einen Fehler würde ich nicht noch einmal begehen. Ich setzte eine möglichst ungezwungene Miene auf als ich Ben ansah. „Da hat dein Papa sich aber heute besonders gut vorm Reiten gedrückt.“ „Bielefeld“, ermahnte mich Fritz und erinnerte mich daran, dass ich eigentlich zum Thema schweigen sollte. Aber jetzt war es zu spät. „Beim nächsten Mal steigt dein Papa bestimmt wieder auf, oder – was meinst du, Fritz?“ Sein Gesichtsausdruck brauchte mich zum lachen. Die Vorstellung wärmte mich, dass er nur für seinen Sohn aufs Pferd stieg. Ich sah Fritz an und seine Züge entspannten sich langsam. Ja, dachte ich. Ich wünschte mir ein freundschaftliches und ungezwungenes Miteinander wie jetzt. Und so sollte es auch bleiben. Ich legte ihm entschuldigend meine Hand auf den Oberarm, als ich etwas Beschwichtigendes sagen wollte. „Josephine“, hallte es durch den Stall. Beim Klang der Stimme gefror mein Lächeln und ich erstarrte für einige Sekunden. Mein Kopf fuhr rum. Ich musste mich verhört haben. Das konnte nicht sein. Ich betete, dass ich mich irrte. Aber als ich meinen Kopf zur Eingangstür wendete, musste ich mit erschrecken feststellen, dass meine Sinne mir keinen üblen Streich spielten. „Stefan“, keuchte ich mit erstickter Stimme, als ich ihn im Türrahmen stehen sah. Meine Brust verkrampfte sich. Hatte ich vor wenigen Wochen noch gesagt, dass es mir gut ginge und ich mit dem Thema abgeschlossen hatte? Offensichtlich war das nicht der Fall. Die unterschiedlichsten Gefühle und Erinnerungen kochten in mir hoch, als ich Stefan anstarrte. Er kam langsam auf mich zu. Ich spürte einen Druck auf meiner Hand, die ich auf den Oberarm von Fritz gelegt hatte. Erst da merkte ich, dass ich zitterte. Als ich meinen Kopf zu Fritz drehte, blickte ich auf seine Hand, die meine vorsichtig drückte. Nie hatte ich Stefan ihm gegenüber erwähnt oder mit ihm über die ganze Sache gesprochen. Wie viel konnte er darüber wissen? Hatte er auf der Brücke von der Geschichte mit dem Junggesellenabschied etwas mitbekommen bevor er versuchte mich zu retten? Hatte ihm Alex alles erzählt? Zumindest hatte er nie nachgefragt. Ich konnte den besorgten Ausdruck auf seinem Gesicht sehen. Es war kein Mitleid. Das hätte ich auch nicht ertragen. Trotzdem entzog ich ihm langsam die Hand. Ich wusste, dass er einen ausgeprägten Beschützerinstinkt hatte und es ehrte ihn, aber diese Sache musste ich ohne Hilfe überstehen. Ich drehte mich wieder zu Stefan und sah ihn fest an. „Was machst du hier?“, fragte ich in einem möglichst kühlen Ton. „Ich will mit dir reden“, antwortete er fast zögerlich. „Ich aber nicht mit dir. Ich habe dir nichts zu sagen.“ Aus meiner Sicht konnte die Message nicht deutlicher sein, aber offensichtlich war es ihm egal. „Ich habe aber etliches, was ich dir sagen will.“ Er war bereits auf der Hälfte der Stallgasse angekommen und ich betete, dass er dort stehen blieb, aber er setzte seinen Weg fort. Ich wünschte, ich könnte ihn aufhalten. „Findest du nicht, dass es nach einem dreiviertel Jahr ein bisschen spät ist?“ Meine Stimme war so kühl, ich hätte damit vermutlich jeden anderen abgeschreckt, aber nicht Stefan. „Hättest du überhaupt eher mit mir gesprochen?“, fragte er und sah mich dabei wissend an. „Vermutlich nicht“, musste ich zustimmen, bemühte mich aber noch immer um eine feste Stimme. „Ich kenn dich doch, Josy“, sagte er in einem samtigen Ton, den ich immer so an ihm geliebt hatte. „Ich wusste, dass du Zeit für dich brauchen würdest. Aber das hat nichts daran geändert, dass ich jeden Tag an dich gedacht habe.“ Ich musste mir eingestehen, dass ich gerade die ersten Monate auch jeden Tag an ihn gedacht hatte. Aber seit meiner Entführung war es jeden Tag weniger geworden. Warum musste er jetzt auftauchen, wo ich ihn schon fast vergessen hatte? Ich sah in das Gesicht von Stefan, er war der Mann, den ich so viele Jahre geliebt hatte, den ich heiraten wollte. Ich hatte so viele Gefühle und Jahre an diesen Menschen verschwendet. Meine Gefühle für Stefan hatten sich verändert. Wut, Traurigkeit und Schmerz oder gekränkter Stolz verblassten mehr und mehr. Ich erwartete, dass mich meine Gefühle erneut einholen würden. Aber das einzige was ich fühlte war Wut, Wut darüber, dass er wirklich wagte nach all der Zeit sich hier blicken zu lassen. Als er einen weiteren Schritt auf mich zumachte, ging ich instinktiv ein Stück zurück. Mein Rücken stieß gegen Fritz. Sofort spürte ich, wie seine Nähe mich beruhigte. Seine Hand lag auf meinem Oberarm. „Ist alles in Ordnung mit dir?“, hörte ich ihn neben mir flüstern. Ich nickte langsam, während ich weiterhin meinen Gegenüber fixierte. „Stefan?“, hörte ich die erstaunte Stimme meines Vaters, der gerade mit Viktor den Stall betrat. Ich sah meinen Vater ernst an. „Wusstest du davon?“ Wenn er das alles geplant hatte, würde er wohl nie wieder mein Vertrauen erlangen können. Und gerade in den letzten Wochen hatte sich alles einigermaßen normalisiert. „Nein, natürlich nicht“, beteuerte mein Vater und sah verwirrt von Stefan zu mir. „Ich wusste, dass dein Vater dich dieses Wochenende besucht“, sagte Stefan und mein Blick ging wieder in seine Richtung. „Ich habe gehofft, dass wir gemeinsam über alles reden könnten.“ „Es gibt nichts zu bereden. Du solltest gehen!“ „Josy, lass mich doch erklären“, bat er und kam einige weitere Schritte auf mich zu. Da Fritz noch immer dicht hinter mir stand, hatte ich keine Möglichkeit weiter nach hinten auszuweichen. Ich fühlte mich von Stefan in die Ecke gedrängt. „Ich will das nicht hören“, schrie ich ihn an. „Ich will nicht, dass du hier bist. Warum gehst du nicht einfach und lässt mich in Ruhe.“ Stefan stand jetzt ganz nah vor mir und ich konnte sehen, dass er nach meiner Hand greifen wollte. Was bildete er sich eigentlich ein? Eine Berührung von ihm und ich wäre wieder das naive, verliebte Mädchen von damals? Ich entzog ihm meine Hand noch bevor er sie greifen konnte. „Fass mich nicht an!“, zischte ich ihn an. Er stutzte, blieb einem Moment reglos vor mir stehen und beäugte mich. Als er ein weiteres Mal nach meiner Hand greifen wollte, wurde ich plötzlich nach hinten geschoben und Fritz stellte sich vor mich. Die Stimme von Fritz klang gefährlich und drohend. „Sie hat gesagt, dass du sie nicht anfassen sollst. Was hast du davon nicht verstanden?“ Ich sah an Fritz vorbei und konnte sehen, wie die Augen von Stefan sich verengten. Genau das hatte ich vermeiden wollen. Fritz sollte diesen Kampf nicht für mich kämpfen. Er hatte mit der Sache überhaupt nichts zu tun. „Und wer bist du?“, fragte Stefan herablassend und überheblich, wie ich ihn auch in der Vergangenheit schon oft erlebt hatte. Damals war ich blind dafür gewesen. Jetzt erkannte ich, dass es eine schreckliche Charakterschwäche von ihm war. „Fritz!“, antwortete er knapp. „Ahhh“, antwortete Stefan gedehnt lässig. „DER Fritz... Manfred hat mir schon von dir erzählt. Hast du nicht für Josephine jemanden die Kehle durchgeschnitten?“ „Stefan“, hörte ich die Stimme von meinen Vater mahnend rufen. „Pass lieber auf, was du sagst“, knurrte Fritz. Wie konnte Stefan so etwas in Gegenwart eines kleinen Jungen sagen? Ich erkannte ihn kaum wieder. Meine Augen suchten nach Ben, der wie versteinert immer noch neben der Box stand. Ich ließ beide Männer einen Augenblick aus den Augen und ging auf Ben zu. „Benny“, flüsterte ich, als ich mich zu ihm beugte. Er sah unsicher aus. „Hat Papa wirklich...?“ Er brachte seinen Satz nicht zu Ende. Das würde ich Stefan nie verzeihen. Was musste der arme Ben nur denken. Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein, hat er nicht. Der Mann will deinen Papa nur ärgern. Mach dir deswegen keine Gedanken. Vielleicht wäre es besser, wenn du schon mal zu Viktor und meinem Vater gehst“, sagte ich und wollte ihn gerade an den beiden Männern vorbei lotsen, als ich plötzlich einen dumpfen Knall hörte. Sofort fuhr ich rum und konnte gerade noch sehen, wie Stefan hart auf dem Boden landete und langsam Blut aus seiner aufgeplatzten Lippe floss. Fritz kochte vor Wut. Was war in diesen wenigen Sekunden zwischen den beiden passiert? Seine Hände waren geballt und ich konnte in seinen Augen das Brennen sehen. Machte er sich für einen weiteren Schlag bereit? Ich drehte mich schnell zu Benny. „Geh bitte zu meinem Vater, ok?“ Er zögerte zwar einen Moment, folgte dann aber meiner Bitte, während ich mich zwischen die beiden Männer stellte. Ich fragte Fritz nicht nach seinen Motiven. Stefan lag auf dem Boden und wischte sich das Blut von seiner Lippe. „Was hast du gemacht?“, fragte ich ihn. „Nichts“, sagte er frustriert als er weiterhin seine Wunde betastete. „Ich habe ihn nur gefragt, ob du dich bei ihm schon bedankt hast. Immerhin hat er dir ja das Leben gerettet“, Stefan klang verbitter. Er rappelte sich wieder auf und putzte sich den Staub von seiner Kleidung. Ich verzog mein Gesicht. Bei Stefan konnte ich mir sicher sein, dass er die Frage definitiv nicht so gestellt hatte. Warum benahm sich Stefan so seltsam? Hatte er sich in dem dreiviertel Jahr so sehr verändert? Oder erkannte ich erst jetzt sein wahres Gesicht? War ich damals wirklich so blind vor Liebe gewesen? „Hör auf dich in Dinge einzumischen, die dich nichts angehen. Wir sind Kollegen, wir vertrauen und verlassen uns aufeinander, aber DAS dürften für dich ja wohl Fremdworte sein“, entgegnete ich Stefan. Sein Blick verriet, dass meine Worte ihn trafen. Seine Miene verfinsterte sich, als er Fritz ansah. „Vielleicht solltest du mit ihr über das Wort Vertrauen noch einmal reden. Bin mir sicher, dass sie überrascht sein wird was sie alles noch nicht weiß. Soll ich...?“, sagte er an Fritz gewandt und klang dabei so spöttisch, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Ich konnte nicht über das Gesagte nachdenken, da Fritz sich an mir vorbei schob, um wieder auf Stefan loszugehen. Ich zerrte an seinem Arm und drängte mich vor ihn. „Fritz“, ermahnte ich ihn. „Geh doch nicht auf sein Gerede ein.“ Ich konnte sehen wie ein Muskel in seinem Gesicht zuckte, als er seine Hände erneut zu Fäusten ballte. Ich musste was unternehmen. Fritz würde Stefan gleich ein weiteres Mal schlagen. Stefan hatte das ohne Frage verdient, aber er war nicht der Typ für Prügeleien. Warum provozierte er Fritz also so offensichtlich? Wusste er von Fritz’s Probezeit? Aber er würde doch niemals... Nein, soweit würde er nicht gehen. Ich versuchte zwischen den beiden stehen zu bleiben und Fritz von Stefan fernzuhalten, aber Fritz schob mich problemlos beiseite. „Fritz, hör auf!“, sagte ich energisch, als ich versuchte mich wieder vor ihn zu stellen, aber er schien mich nicht wahrzunehmen. Seine Augen flackerten vor Zorn. In diesem Moment fehlte mir Alex, der ihn immer wieder in den Griff bekam, wenn mal was aus dem Ruder lief. Warum sich Viktor und mein Vater nicht einschalteten, verstand ich auch nicht. Aber dafür war keine Zeit. Ich kämpfte mich an ihm vorbei. Er durfte sich nicht auf diesen Streit einlassen. Sein Sohn stand nur wenige Meter von uns entfernt. Ich hatte noch immer Bens erschrockene Augen vor mir. Er sollte nicht den falschen Eindruck von seinem Vater bekommen. Bevor ich wusste was ich tat, spürte ich, wie meine Hand mit einem lauten Knall auf Fritz’s Wange aufschlug. Fritz hielt augenblicklich in seiner Bewegung inne und verharrte einen Moment so. Ich starrte ihn entgeistert an. Hatte ich ihn gerade wirklich ins Gesicht geschlagen? Seine Wange, die sich langsam rosa färbte und sein überraschter Blick, gaben mir die Antwort, die ich befürchtete. Mir lag bereits ein `Tut mir leid´ auf der Zunge, aber ich konnte es einfach nicht aussprechen. Ich spürte, dass meine Hand noch immer von dem Schlag kribbelte. Meine Ohrfeige musste ordentlich wehgetan haben. Als ich daran dachte, zog ich ruckartig meine Hand an meine Brust und hielt sie dort fest. Reflexartig ging ich einige Schritte nach hinten um ein wenig Abstand zu gewinnen. Ich konnte seinem Gesichtsausdruck nicht ablesen, ob er stinksauer, beleidigt oder enttäuscht war. Ich konnte gar nichts erkennen. Für wenige Sekunden hatte ich seine Überraschung gesehen, aber schnell hatte sich sein Blick verfinstert, als er zu Stefan blickte. Natürlich hatte ich mich zwischen die beiden gestellt. Ich wollte doch verhindern, dass sie aneinander gerieten. Dachte er etwa, dass ich versuchte Stefan zu schützen? Wenn ich ihn jetzt ansah, konnte ich keine Regung in seinem Blick erkennen, keine Wut oder Bedauern, keine Überraschung - einfach nichts. Und das beunruhigte mich. Ich wollte was sagen, aber mir blieben die Worte im Hals stecken. Er hob eine Hand zu seiner Wange und fuhr sich zwei, drei Mal über die Stelle, an der ich ihn getroffen hatte. Er straffte seine Schultern. „Dann wäre das ja auch geklärt“, sagte er ohne mich dabei anzusehen. Im nächsten Augenblick drehte er sich von mir weg. Er ging auf Benny zu. „Wir gehen“, sagte Fritz zu Benny mit Nachdruck, der keinen Protest zuließ. Benny folgte ihm, sah aber immer wieder zu mir. Ich konnte in seinen Augen das Flehen sehen. Ich sollte etwas sagen, sollte Fritz aufhalten. Aber während die beiden sich von mir entfernten, konnte ich nur wie angewurzelt da stehen und ihnen nachsehen ohne ein Wort zu sagen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)