Rabenkind von Kadan (Kind der Nacht) ================================================================================ Erinnerung I - Weißkristall - Teil II ------------------------------------- Zuhause angekommen war meine Mutter in der Küche beschäftigt und mein Vater räumte wohl gerade die Tischlerei auf. Ich hatte also die beste Gelegenheit unbemerkt meiner Dinge nachzugehen. Ja, ganz richtig. Unbemerkt. Ich hatte nicht vor, meinen Eltern davon zu erzählen, was ich an diesen – und an den anderen Tagen allgemein – vorhatte. Es hätte sie nur beschämt, hätte ihnen Sorgen bereitet oder derlei, mit dem ich mich nur ungern beschäftigen wollte. Mein Vater war der Ansicht, dass es nötig war, in sein Erbe zu treten und die Tischlerei zu führen. Meine Mutter teilte diese Ansicht, wobei es ihr eigentlich egal war, was ihr Sohn machte, solange es eine ehrbare Aufgabe war. Doch hätte ich ihr nun offenbart, welchen Wunsch ich hege... es hätte ihr womöglich das Herz gebrochen. Also hatte ich vor, mich für diesen Abend still und heimlich davonzuschleichen und mein Glück zu versuchen. Immerhin war ja nicht einmal klar, dass alles so klappen würde, wie ich es mir wünschte und vorstellte... Ich huschte also in unser Haus – einfach, aber nach heutigen Maßstäben prunkvoll verziert und eine architektonische Meisterleistung. Aber das war jedes Haus in Bosparan. Es waren einfach goldene Zeiten... Die Wand war glatt wie Marmor, perfekt verfugt und mit etwas geglättet, dass ein Geheimnis der Maurer war, gehütet wie ihr Augapfel. Das gesamte Haus war schneeweiß getüncht und das Dach hatte tiefrote Ziegel, an denen sich nur an manchen Stellen das Moos abgesetzt hatte. Mein Vater hatte das Dach vor einem Jahr erst gründlich gesäubert, wobei ich natürlich geholfen hatte... Über der großen Eingangstür waren ein Hammer und ein Amboss gemeißelt worden – das Zeichen Ingerimms – und den Eingang zur Tischlerei und in den angrenzenden Laden verzierten zahlreiche Reliefs, die die Arbeit eines Tischlers darstellten. Die Fenster waren groß, perfekt zum Stoßlüften und die Rahmen waren ebenso verziert. Neben dem Hauptgebäude war ein kleines Lager, in dem sich allerlei Holzsorten und verschiedene Größen von Hölzern fanden, mit denen mein Vater und ich arbeiteten. Es war alles bestens sortiert – mein Vater hatte einen starken Sinn für Ordnung. Ich schlich durch den kurzen Eingangsflur, auf Zehenspitzen. Die Schuhe hatte ich draußen gelassen, um keine unnötigen Geräusche zu machen. Das Holz knarrte zum Glück nicht und ich stieß die Tür in mein Zimmer auf, entschwand hinein und schloss ab. Mein Zimmer... Es war nur einfach eingerichtet, ein Schreibtisch, ein Bett, ein Schrank, ein Beistelltisch. Es war alles aus eigener Herstellung und ich war froh damit. Mehr brauchte ich so oder so nicht. Was sollte ich Tagträumer auch mit mehr? Auf dem Schreibtisch stand noch ein Tintenfass, daneben lag meine Feder und ein kleiner Haufen Pergament. Ich schrieb nicht viel, doch ich hatte in letzter Zeit meinem Vater die Arbeit abgenommen, die Verträge auszufüllen. Einfach aus dem Grund, dass ich dann weniger Zeit in der Schreinerei selbst verbringen musste... Mein Bett war gemacht – eine Angewohnheit, die ich mit der Zeit verlor, wie ich gerade feststellen muss. Wenn ich heute ein Bett verlasse, dann regt sich in mir nicht mehr der Drang, es sofort zu glätten... Doch egal. Mein Schrank war aus fester Eiche, dunkel gebeizt und verziert. Prunkvoll verziert, wie ich früher fand. Aber das lag wohl mit daran, dass eben jener Schrank mein wirklich erstes und eigenes Arbeitsstück gewesen war... Der eigene Stolz tat also seinen Teil dazu bei. Auf dem Nachttisch fand sich eine große Schale mit Wasser und einem Schwamm darin. Daneben ein Stück Kernseife. Meine Mutter musste es hierher gebracht haben. Wie jeden Tag... Oh, ich sage Euch, sie war eine herzensgute Person. Sie sorgte sich immer nur um mich und meinen Vater. Immer kamen wir, dann sie. Egal bei was. Wisst ihr, eine Sache ist mir besonders hängen geblieben, im Gedächtnis: Es war Winter. Ein sehr harter Winter und das Essen wurde knapp, da der Schnee so hoch lag, dass sogar das Vorankommen innerhalb der Stadt kaum möglich war. Meine Mutter hatte das Essen bereitet und ich weiß noch, dass es eigentlich gerade so für uns alle gereicht hätte. Sie aber stellte nur zwei Schalen auf den Tisch und sagte, dass mein Vater und ich essen sollen, damit wir nach dem Winter weiterarbeiten könnten. Und sie sagte es mit einem solch sanften Lächeln auf den Lippen, dass mir gar jetzt noch warm wird, wenn ich daran denke... Oh ja, sie war einen reine, herzensgute Person. Ein Mensch, wie man ihn selten trifft. Und vor allem heutzutage immer seltener... Sie tat immer nur das, was gut für andere war. Sie beklagte sich nie, erledigte, was es zu erledigen gab und half sogar manches Mal meinem Vater aus. Und das alles mit einem Lächeln auf den Lippen und einem glücklichen Lachen. Einem, das ich leider nie wieder hören werde... Doch lassen wir das. Ich machte mich also schnell fertig, wusch mich und zog die Arbeitskleidung aus, die ich fein zusammenlegte und sie dann auf das Bett platzierte. Ich zog meine weiße Toga über, setzte... Was? Was eine Toga ist? Verzeiht, ich vergesse immer, dass ihr das alles ja nicht kennt... Eine Toga ist ein Kleidungsstück, das einer Tunika sehr ähnlich ist. Es besteht aus einem Tuch über einer der Schultern, meistens links, dass man sich über den Oberkörper band und einem unteren Teil, der die Hüften bedeckte, einem Rock ähnlich. Die Länge konnte dabei variieren, zwischen knie- und knöchellang. Auch die Farbe variierte, wobei der Adel sie in bunten Farben trug und das Volk sie meist in schlichtem Weiß. Man muss allerdings erwähnen, dass man die Toga nur zu bestimmten Anlässen trug. Ansonsten war eine einfache Tunika in allen möglichen Variationen, manchmal kombiniert mit einer Lederweste, die Alltagskleidung. Auch jene, die ich an dem Tag anzog, war weiß. Sie reichte mir bis zu den Knöcheln und ich konnte mit einer Fibel das Schulterstück an den Rest stecken, um mir das Binden zu ersparen. Ich säuberte auch meinen Schwertgurt, legte ihn mit um und polierte sogar meine Klinge einmal nach. Das nötige Zeug hatte ich auf meinem Zimmer, da ich es meist immer dort tat, damit Vater und Mutter es nicht mitbekamen. Als ich fertig mit der Klinge war, ließ ich sie in die Lederscheide gleiten und kämmte mir das Haar, band meine Geldkatze um und war fertig. Und nun hieß es, unbemerkt wieder hinaus... Ich drückte mein Ohr einen Moment an das Holz, lauschte und als ich sicher war, dass niemand im Gang war, drehte ich den Schlüssel um, öffnete die Tür und entschwand hinaus. Mutter war nicht in der Küche und auch Vater war nirgends zu sehen. Vielleicht war ein Kunde da? Egal. Es lenkte ab und das war, was mir gelegen kam. Ich ergriff also die Chance und entschwand nach draußen. Flugs noch die Sandalen angezogen und ich war auf dem Weg zurück in die Stadtmitte, um mich in den Tavernen umzusehen..! Ich hatte die Wahl zwischen den verschiedenen Stadtvierteln: Dem Elendsviertel Haldurias im Süden, das Viertel Stadiona, das sich rund um die gewaltige Rennbahn im Osten erstreckte, die Siedlung Vincitus Saltus im Norden und dem Hafen mit dem anschließenden Handwerksviertel im Westen, wo ich mich gerade befand. Ich überlegte einen Moment. In Haldurias würde ich sie kaum finden, denn arm sahen die vier Recken bei weitem nicht aus. Hier, im Hafengebiet würde ich sie auch nicht vermuten, denn bis auf ein paar Schenken am Hafen, in denen jedoch eigentlich nur die Seemänner rasteten und in denen bisweilen ein sehr rauer Ton herrschte, gab es nicht viel, außer den Geruch von Fisch und Meer und einigen, teils sehr pompösen Schiffen, die man begutachten konnte. Stadiona und Vincitus Saltus schienen mir da eher angebracht. Also weiter... Wohin würde ein angekommener, reich beladener Händler seine Gäste als erstes bringen, um ihnen eine gute Unterkunft zu gewähren? Schaut nicht so verwundert, dass gehörte damals zum guten Ton. Hatte man jemanden gefunden, der einem Reisegeleit stellte und war jene Reise gekrönt von Erfolg, dann gehörte es sich, dass man die Begleiter bis in einer Schenke brachte, die ihren Taten angemessen war. Man bezahlte ihnen die Unterkunft, denn der Auftraggeber sorgte dafür, dass seine ‚Untergebenen‘ gut versorgt waren. Heute hingegen... Aber gut. Ich entschied mich in dem Moment also dafür, erst einmal nach Vincitus Saltus zu gehen und mich da in den Schenken, Tavernen und Gasthäusern umzusehen. Würde ich dort nichts finden, könnte ich immer noch weiter nach Osten nach Stadiona. Diesmal kam ich auch einfacher voran, denn die Menschenmassen hatten sich zum Großteil aufgelöst. Auch die Tierherden waren verschwunden, nur vereinzelt sah man noch ein paar Ferkel, Schafe oder Hühner in den Gassen herumlaufen, meist begleitet von einem kleinen Jungen oder einem Mädchen, die auf die Tiere aufpassten. Der Misch aus Gerüchen hatte sich ebenso gelichtet, und wo vorher Schweiß und Parfüm, Blumen und Lebensmittel die Note beherrschten, stachen nun der Geruch von Unrat, Tod und Rauschkräutern heraus. Es war ein Gemisch, an das man sich jedoch schnell gewöhnte, wenn man in dieser Stadt lebte. Wie der Tag vorbeiging und die Praiosscheibe ihren Stand änderte, änderte sich auch die Mischung der Düfte und der Anblick des Lebens in der Stadt von Stunde zu Stunde. Morgens, wenn die Praiosscheibe aufging, dominierten Arbeiter, Händler, Karren, Zugtiere und Laufburschen das Bild. Die Marktstände der Händler auf dem großen Platz, die ihre Waren drapierten; Laufburschen, die für ihre adligen Herren und Damen Dinge erledigten, zwischen all dem Gewusel hindurch huschten; Karren, von starken Pferden oder Bullen gezogen, mit Tieren darauf, mit Tonkrügen und -töpfen, mit Weinfässern und Statuetten, mit Lebens- und Genussmitteln und anderen, unzähligen Waren mehr. Später dann, wenn die Praiosstunde sich näherte, drängten sich Menschenmassen durch die Gassen, um an den Waren und Angeboten der Händler teil zu haben. Marktschreier priesen in ungeahnter Lautstärke die besten Waren an, Marktfrauen kreischten und lockten Kundschaft, Die angebotenen Tiere blökten, wieherten und gackerten und manches Mal stieß eines von ihnen einen grellen Todesschrei aus, wenn in den Gassen der Schlachtereien eines der ihren mit dem Messerstich getötet wurde. Manchmal vernahm einen Tulamiden beim feilschen und fluchen in seiner Sprache, wenn man Glück hatte konnte man gar einen der seltenen Nordmänner sehen. Kräftig und muskulös gebaut, die Haut wettergegerbt und die Haut mit Tinte verziert, trugen sie die oftmals blonden Haare meinst lang, zu Zöpfen geflochten. Ihr Blick war streng, stark und selbstbewusst und oftmals hatte ich als junger Bursche - ich hatte ein-, zweimal in meinem bisherigen Leben einen solchen Hünen gesehen - nicht wenig Angst vor ihnen. Die Tulamiden hingegen, mit ihrer hellbraunen Haut, ihren dunklen Haaren und scharfen Gesichtszügen, waren ein Anblick, den man öfter sah. Ob es nun aus den Landen im Osten war oder aus dem Süden. Man kannte sie. Zwar waren auch Tulamiden eher etwas seltenes, da die meisten Abneigung gegen das bosparanische Reich hegten, doch man sah sie weitaus öfter, als einen der Nordmänner. Zwerge hingegen sah man oft und einige hatten sich gar mit den Schmieden zusammengetan. Elfen jedoch waren noch seltener, als die Nordmänner es ohnehin schon waren. Einen Elfen bekam man vielleicht sein ganzes Leben lang nicht zu Gesicht. Und wer es doch tat, der konnte sich glücklich schätzen. Zwar kurierten die unglaublichsten Gerüchte über diese Wesen in Bosparan, doch betrat mal ein solches Wesen eine Menschenstadt, dann gab es allem zum Trotz, was man hörte, einen riesigen Auflauf... Es war ein Gedränge und Gewimmel in den Gassen, wenn der Markt in vollem Gange war. Natürlich war nicht jeden Tag Markt, doch mindestens jeden zweiten. Doch auch an den Tagen, an denen kein Markt war, waren die Plätze voll, denn dann nutzten die Menschen die Zeit für anderes. Für einen Besuch beim Barbier oder beim Badehaus, bei den kleinen Lokalen, in denen man allerlei Zeug nehmen konnte, dass einem die Sinne vernebelte oder gleich in einem der vielen Bordelle. Doch nicht nur dafür fanden sich die Menschen ein. Natürlich riefen die Praioten zur Praiosstunde zum Gebet, die Geweihten der Peraine segneten Heu und Vieh, halfen bei Geburten, kümmerten sich um Kranke und ähnlichem, die Boroni riefen zum Gedanken an den Tod auf und manches Mal fanden sich auch die Anhänger des Sonnengottes und seiner Geschwister zusammen ein, um zu einer gemeinsamen Andacht zu rufen. Es war immer etwas los. Gegen Nachmittag dann ließ der Strom der Menschenmassen ab und die Adligen dominierten das Straßenbild. Das normale Volk befand sich dann bei meist der Arbeit oder tat, was zuhause getan werden musste. Gegen Nachmittag erfreuten sich Weinlokale und kleine Bäckerstuben hoher Beliebtheit, doch auch manch Badehaus und manch Schenke war gut gefüllt. Es gab Theater, Operetten und die Rennbahn, in der fast jeden Tag irgendetwas ausgetragen wurde. Sei es nun ein Wagenrennen, ein Pferderennen oder ein Gladiatorenkampf... Das Volk hatte alles, um sich nicht in Langeweile zu wälzen. Auch ich besuchte damals regelmäßig das große Stadion und erfreute mich an Wagenrennen und Gladiatorenkämpfen. Ich sah Tiere, die ich nicht einmal benennen konnte, ich sah den Männern und Frauen zu, wie sie gegeneinander antraten und ich sah mit Freude, wie Sklaven von ihnen gehetzt und getötet wurden. Es war ein Spektakel, ein blutiges Spektakel, das vom Trott ablenkte. Und es gehörte zum Leben, wie heute das Sklavenverbot... Und gegen späten Abend dann strömten die Menschenmassen zurück in die Stadt. Bauern kamen von den Feldern, Kinder liefen nach Hause, Tierherden wurde zurück in die Stadt und ihre Ställe getrieben und die Läden schlossen. Bosparan war eine pulsierende Hauptstadt – nein, sie war DIE Hauptstand. Bosparan war einzigartig, in so vieler Weise. Und ich kenne auch heute keine Stadt, die auch nur annähernd an meine geliebte Heimatstadt heranreicht. Nicht einmal das wunderbare Gareth..! Doch kommen wir zurück zu mir. Ich hatte es an diesem Tag also leicht, mir den Weg durch die Gassen zu bahnen. Wie in Gareth auch, gab es damals einen Teil des Weges, der etwas tiefer lag, als die Seitenränder. Einen Weg für Karren und Kutschen und einen für die Bewohner der Stadt, an den Rändern gelegen und erhöht. Und wie in Gareth besaß die Stadt eine Kanalisation. Unterirdische Gänge, in denen alles Unrat und aller Abfall verschwanden. Wohin die Gänge sich richteten, kann ich jedoch nicht sagen. Ich vermute allerdings ins Meer. Doch nicht nur das! Denn die Stadt besaß ebenso ein Tunnelwerk aus Gängen und Becken, aus Leitungen und Rinnsalen, die es möglich machten, die gesamte Stadt mit frischem Wasser zu versorgen. Sogenannte Aquädukte, komplizierte, architektonische Meisterleistungen, die das Wasser vom Yaquir bis in jeden Winkel der Stadt bringen konnten! Überall in der Stadt fanden sich kleine Brunnen, meist in Form eines Adlers oder Löwen, denen das frische Wasser aus den Mäulern und Schnäbeln rann und sich in kleinen Auffangbecken sammelte, ehe es hinab, unter die Erde floss, in die großen Sammelbecken unterhalb der Stadt. Nun schaut nicht so, als ob ich spinnen würde... Ich habe sie doch selbst mein Leben lang gesehen! Oder glaubt ihr mir nicht? Nun gut, ich kann Euch nicht zwingen, es zu glauben, doch ich kann Euch versichern, dass alles, was ich erzähle, der Wahrheit entspricht. Hesinde sei mein Zeuge. Doch ich schweife erneut ab... Ich begab mich also nach Vincitus Saltus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)