Rabenkind von Kadan (Kind der Nacht) ================================================================================ Erinnerung II - Schwarzstahl - Teil IV -------------------------------------- Als ich erwachte, schliefen die Anderen noch. Nur von Netarius und Felarion war keine Spur zu sehen, doch das war sie meist nie. Ich streckte mich, gähnte leise und beschloss, einfach noch einen Moment liegenzubleiben und die Ruhe zu genießen. Wann konnte man denn schon auf Reise und dazu noch in den Bergen so friedlich erwachen? Ich warf einen kurzen Blick zum Eingang der Höhle - der Horizont hatte ein sattes Orange angenommen und die Praiosscheibe ging gerade auf, während die ersten Vögel ihre Lieder sangen und das Schnarchen Ogrims deutlich in der Höhle hallte. Ein Falke schrie, was selbst den Zwerg einen Moment zum Schweigen brachte, ehe das Blöken einer Ziege in der Ferne die Geräuschkulisse wieder erweckte. Ich konnte ein Lächeln auf meinen Lippen nicht unterdrücken, erfreute mich in diesem Moment einfach des puren Lebens. Es war wunderbar! Der Traum von der Nacht war nahezu vergessen, war verdrängt, und ich genoss die klare Bergluft, die ein wenig nach feuchtem Stein roch, mit einem süßen Unterton von Beeren, der uns schon seit fast einem Tag stetig begleitete. Ja, das war einfach herrlich. Als ich mich erneut streckte, diesmal auf dem Rücken und die Arme weit von mir gestreckt, stieß ich mit der rechten Hand gegen etwas, stockte und wandte den Blick zur Seite. Kjaska lag neben mir, jedoch wesentlich näher als zu dem Moment, an dem ich eingeschlafen war. Ich wusste, vorher lag sie weit außerhalb meiner Reichweite. Doch nun… Ich zog meine Hand langsam zurück, ließ es mir jedoch nicht nehmen, ihr einmal durch die Haare zu fahren. Sie waren kurz, geradeso, dass man sie im Kampf nicht mehr greifen könnte und kupferrot. Selbst bei Nordfrauen, so sagte man zumindest in Bosparan, recht selten. Ob es nun stimmte oder nicht, wusste ich nicht… Sie jedoch schien dadurch aufgewacht zu sein, öffnete leicht die Augen und sah mich an. Ein Lächeln legte sich kurz auf ihre Lippen, ehe auch sie sich streckte, sich auf die Seite legte und mich ansah, den Kopf auf eine Hand gestützt. Sie wirkte noch etwas müde, ein wenig schläfrig, doch ich selbst sah auch nicht anders aus. Vielleicht sogar ein wenig zerzauster… “Guten Morgen. Hast du den Rest der Nacht noch schlafen können?” Ich nickte, leicht nur, und legte die Arme hinter den Kopf, den Blick auf sie gelegt. Ja, sie war eindeutig eine Nordfrau. Ihre Gesichtszüge waren recht hart, die Augen von strahlendem Blau und ihr Lächeln besaß einen fast schon frechen Charakter, gepaart mit einem Ausdruck, der ihre innere Stärke zeigte. Ich ertappte mich kurz bei dem Gedanken daran, ob ihre Lippen genauso weich wären wie Kamiljias zu sein schienen, ehe ich den Blick recht schnell wieder abwandte und lächelte. “Ja. Ich muss sogar zugeben, dass ich lange nicht mehr so gut geschlafen habe.” Ein kurzes Auflachen folgte, jedoch ein wenig heiser, was seltsam für mich war. Ich spürte, wie Nervosität in mir aufstieg, obwohl ich dafür keinerlei Grund hatte. Auch das war seltsam, immerhin war ich sonst nicht so schüchtern, immerhin war ich Rahja sonst auch sehr zugetan und hatte auch keine Probleme, diesbezüglich zu agieren. Jetzt jedoch… “Das freut mich. Allerdings…” Sie stockte kurz, schien sich nicht sicher zu sein, die Frage wirklich stellen zu können, die ihr auf der Zunge lag. Einen Moment verzog sie die Lippen, etwas nachdenklich, und schien sich dann doch dafür zu entscheiden. “Was hast du eigentlich geträumt? Ich meine… ich habe ja schon öfters jemanden gesehen, der einen Alptraum hatte, doch deine Reaktion war wirklich… unheimlich.” Erneut schwieg sie kurz, sah mich fast ein wenig entschuldigend an, während ich mich nun aufrichtete, mich auf meinen Schlafsack setzte und sie fragend ansah. Ihre Frage verwunderte mich ein wenig, um ehrlich zu sein eigentlich sogar sehr, denn es gab nicht viel, was eine Nordfrau als unheimlich betrachten würde. Und dass es sich hierbei um mich und nicht um einen Untoten oder dergleichen handelte, ließ jenes Gefühl nur stärker werden. Sie schien zu verstehen, setzte sich nun ihrerseits auf und zuckte leicht mit den Schultern, als wollte sie das Thema etwas abschwächen. “Naja… Du hast mit einem Mal angefangen zu schreien, hast wie wild um dich geschlagen und bist dann, als wir dich wecken wollten, von einem Moment auf den Anderen, komplett erstarrt. Als wäre das nicht genug, hast du, wie Netarius schon sagte, deine Augen tatsächlich ziemlich seltsam nach hinten verdreht… und du hast irgendwas vor dich hergeflüstert, irgendeinen Namen und einen seltsamen Satz…” Damit verstummte Kjaska wieder und sah mich mit einer Mischung aus Sorge und Neugierde an. Ich hingegen war reichlichst verwirrt. Das Schreien konnte ich mir ja noch erklären, ebenso wie das wilde Gefuchtel, doch warum hätte ich erstarren sollen? Warum einen Namen vor mich herflüstern? Es sei denn… “Waren es vielleicht eure Namen? Ihr… kamt drin vor.” Ich wollte nicht wirklich über das Reden, was ich in der Nacht hatte durchlebt, denn auch jetzt jagte es mir noch einen Schauer über den Rücken und ließ ein fast beklemmendes Gefühl in mir aufsteigen. Die Freude zumindest, die ich beim Erwachen verspürt hatte, war geschwunden. “Wir haben zwar den Namen nicht verstanden, doch von uns hast du keinen genannt, dessen bin ich mir gänzlich sicher. Allerdings war der Rest, den du gesagt hast, nicht minder seltsam. ‘Eine Klinge, schwarz wie die Nacht, von Unheil erfüllt, wird dein Leben beenden’ - du hast es immer und immer wiederholt.” Anscheinend verlor ich in jenem Moment die Farbe aus meinem Gesicht, denn Kjaska machte einen Satz in meine Richtung und packte mich an einer Schulter, wohl in der Befürchtung, ich würde jeden Moment nach hinten wegsacken. Tatsächlich jedoch hatte ich das Gefühl mein Herz setze für einen Moment aus. Es waren Corvinias Worte, jene Prophezeihung, die sie mir gegeben hatte, an jenem Abend, an dem ich mich dieser Gruppe hatte angeschlossen, an jenem Abend, an dem das geschwärzte Schwert Kjaskas mein altes Leben hatte beendet. Doch warum widerholte ich sie jetzt? Warum redete ich sie im Schlaf, wo es keinerlei Bezug dazu gab? Ich reiste nun schon seit fast zwei Wochen mit ihnen, es konnte nicht sein, dass ich das, was sie mir dereinst hatte gesagt, jetzt noch wiederholte. Ja, ich hatte die Worte eigentlich schon längst vergessen, hatte keinen einzigen Gedanken an sie oder an Corvinia selbst verloren! Doch warum kam es jetzt wieder? Ich seufzte schwer, nachdem ich einige Momente versucht hatte mir einen Sinn aus all dem zu ziehen und den Versuch schlussendlich aufgab. So sehr ich es versuchte, so wenig kam ich zu einem Resultat. Ich legte die Hände einen Moment vor die Augen, versuchte alles einfach zu vergessen. „Geht es?“ Kjaska ließ mich langsam los und setzte sich wieder vor mich, wobei ihre Haltung noch immer ausstrahlte, dass sie im Grunde nur darauf wartete, dass ich wieder wegsackte. „Ja... Keine Sorge.“ Ich schüttelte den Kopf... und schwieg. Auch Kjaska sprach kein Wort mehr, was eine schwere, drückende Stille hervorrief, die uns beiden jedoch ersehnt vorkam. Ich wollte nicht weiter über den Traum reden und Kjaska mich nicht weiter damit belasten. Auch, wenn es uns beiden keine Ruhe ließ... „Ah, guten Morgen!“ Es war Netarius, der die Stille dann wieder brach und Kjaska stieß ein fast schon erleichtertes Seufzen aus. Auch ich war froh, dass er das unangenehme Thema fortwischte. Netarius grinste breit und hielt seinen rechten Arm etwas weiter in die Höhe – er hielt einen fetten Berghasen darin. „Ich wollte nur Bescheid geben, dass wir heute reichlich frühstücken werden.“ Sein Grinsen wurde einen Ticken breiter, ehe er sich abwandte und wieder hinaustrat. „Ich könnte übrigens Hilfe gebrauchen.“ Kurz nur warf ich Kjaska einen Blick zu, stand dann auf und folgte Netarius hinaus. Ich hörte, wie Kjaska nochmal aufatmete und wie Ogrim ein lautes Schnarchen von sich gab. Es hatte etwas beruhigendes an sich, etwas, dass die letzten Momente fortwischte. Draußen stand Netarius einige Schritt entfernt vom Höhleneingang, das tote Tier bereits an beiden Ohren haltend, das Messer in meine Richtung zeigend. „Entweder du nimmst ihn aus oder du hältst ihn. Allerdings... Ach, du bist kräftiger, du hältst ihn.“ Ich hatte keine Chance überhaupt ein Wort dazu zu sagen, denn er drückte mir das Tier in die Hand und kümmerte sich um den Rest. Ich hatte schon häufig die Schlachtung eines Tieres mitbekommen, hatte den abstoßenden Geruch des Blutes vernommen, der selbst in einigen Gassen der Stadt zu finden war. Das jedoch, was mir entgegenkam, übertraf diese Erinnerung um ein vielfaches. Der Blutgeruch, als Netarius dem Tier die Kehle aufschnitt, um es ausbluten zu lassen, war schwer, stechend und hinterließ ein beißendes Gefühl in der Nase... und ein flaues im Magen. Ja, ich war verwöhnt. Mir war der Geruch von Holz zu eigen, von frischer Späne, von feuchtem Holz und von dem Lack, den wir nutzten, um das Holz zu versiegeln. Blut hingegen hatte ich eher gemieden, war stets dem Wind so gefolgt, dass der metallische Geruch der Schlachttage in der Stadt von mir weg wehte. Nun jedoch stand der Wind, hielt den Blutgeruch direkt bei mir und ließ mich würgen. In der gesamten Zeit, in der wir unterwegs waren, hatten wir nicht gejagt, hatten uns von dem Reiseproviant ernährt – Brot, Trockenfleisch, Käse und Abends meist dazu eine Brühe und Tee – und waren nicht in die Not gekommen zu jagen. Zumal keiner von uns dafür überhaupt die Geschicke besaß... Das, was Netarius nun in Händen hielt, schien reines Glück. Nicht, dass mich das bei ihm wunderte... Während Netarius den Hasen ausnahm, schloss ich die Augen schaute erst, als er es entsorgt hatte und half beim Häuten. Letzteres war kein so großes Problem, wie das Ausweiden... „Gut, danke... Du kannst ja schonmal einen Stock zurechtschnitzen, Gran-Kor.“ Ein Grinsen auf seinen Lippen ließ mich ahnen, dass er auf meine frühere Arbeit ansprach. Ich nickte, zufrieden dass ich mich entfernen konnte, und suchte nach einem passenden Stock, dick genug um nicht zu verbrennen. Doch ich will Euch nicht weiter mit solchen Kleinigkeiten langweilen. Wir ließen uns diesen Morgen also Zeit, verbrachten ihn damit auf das Garwerden des Hasen zu warten, schwatzten und eilten selbst dann nicht, als wir die Rucksäcke wieder packten. Erst, als die Sonne auf halbem Zenit stand, gingen wir weiter, folgten den Spuren, die Ogrim gefunden hatte. Es waren nur immer mal wieder kleine, abgeflachte Steine, an denen Ogrim stehenblieb, minutenlang etwas vor sich hermurmelte und uns dann wieder weiterführte. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was Ogrim sah und wonach er suchte, doch ich folgte ihm einfach, folgte Kjaska und Netarius. Felarion lief hinter mir, ganz am Ende, und hielt Abstand zum Zwerg, sein Gesichtsausdruck wirkte fast schon angewidert und auch er murmelte etwas auf Isdira vor sich her. Gegen Mittag rasteten wir erneut, ebenso wie gegen Nachmittag. Der klare Himmel allerdings, der sich am Morgen noch gezeigt hatte, wurde zunehmend dunkler und tiefe Wolken drängten sich an die Klippen der Berge. Am frühen Abend war es bereits so dunkel, dass Kjaska sich erste Sorgen darum machte, einen Lagerplatz zu finden. Die Tatsache, dass es kurz darauf zu regnen begann, ließ auch Netarius nervös werden und als das Grollen von Donner erklang, waren wir uns alle einig, dass wir so schnell wie möglich einen geschützten Ort aufsuchen sollten... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)