Satisfy Me! - Ein neues Mitglied für Team Satisfaction! von Mitsuki_Insanity ================================================================================ Kapitel 1: Second Satisfaction: Allein unter Jungs -------------------------------------------------- Der Regen prasselte immer noch auf meinen Kopf, während ich Kyousuke schweigend folgte. Den Schrottplatz hatten wir längst hinter uns gelassen und die Gegend, durch die wir nun liefen, wirkte zwar nicht gerade einladender, aber immerhin ein klein wenig freundlicher. Die Häuser hier in diesem Viertel schienen alle leer zu stehen und wirkten baufällig. Die Wände waren schmutzig und grau verfärbt und der Boden unter meinen Stiefeln war bedeckt mit Kies und Bauschutt. Von weit her konnte ich das Geräusch einer Sirene vernehmen. Der Geruch in der Luft war durch den Regen zwar etwas klarer geworden, aber es muffelte immer noch nach Müll und Rauch. Einzig die leichte Meeresbrise vom Hafen aus, machte es ein wenig angenehmer. Gedankenverloren hob ich meinen Kopf und beobachtete Kyousuke eine Weile. Er war ziemlich groß. Um die eins-achtzig herum, schätzte ich und sportlich schlank. Noch dazu hatte er so verdammt lange Beine, dass ich für jeden Schritt den er tat, mindestens drei machen musste. Wenn ich so darüber nachdachte, war es das erste Mal, dass ich mir einen Jungen so genau ansah. Ich schüttelte den Kopf. Warum tat ich das überhaupt? Diesem Kerl hinterherlaufen. Mein Leben war bisher völlig in Ordnung gewesen, so wie es war und nun war ich auf dem besten Weg, mich auf etwas einzulassen, was ich ganz sicher im Endeffekt bereuen würde. Mein knurrender Magen ließ mich aus meinen Gedanken hochschrecken. „Bald sind wir da. Dann hol ich dir etwas zu Essen.“ Kyousuke hatte sich im Gehen halb zu mir gedreht und lächelte mich an. Ich nickte nur unsicher. Irgendwie kam mir alles immer noch so surreal vor. So unwirklich wie ein Traum. Erneut versank ich in Gedanken, ohne groß auf meine Umgebung zu achten. Einzig der salzige Geruch des Meerwassers wurde immer stärker. Auch der Boden fühlte sich ein klein wenig anders an und ich schrak auf, als ich mit dem Gesicht in Kyousukes Rücken knallte. „S-Sorry!“, stammelte ich und rieb mir meine Nase. Kyousuke war stehen geblieben und hatte sich zu mir umgewandt. „Schon gut. Hast du dir weh getan?“ Ich konnte die Röte in meinem Gesicht fühlen und schüttelte den Kopf. „Ich hab nicht aufgepasst“, gestand ich wahrheitsgemäß. Kyousuke tippte mir mit dem rechten Zeigefinger gegen die Stirn. „Dann muss ich dir wohl beibringen nicht blind durch die Weltgeschichte zu marschieren.“ Ein freches Grinsen huschte über seine Lippen und ich erwiderte dieses mit einem tödlichen Blick. „Halt die Klappe!“ „Mhh irgendwie erinnerst du mich ja ein klein wenig an Jack...“ Kyousuke zerwuschelte mir meine kurzen violetten Haare und ließ seinen Blick zu dem Gebäude schweifen, vor dem wir standen. „Hier sind wir.“ Schnaubend versuchte ich mein Haupt wieder in Ordnung zu bringen und fragte mich innerlich, wer denn nun bitte dieser „Jack“ war. Dann blickte ich ebenfalls in Richtung des Gebäudes. Die oberen drei Stockwerke waren teilweise eingestürzt, nur das Unterste schien noch intakt zu sein. Eine Feuerleiter führte bis zum Dach hinauf. Ich vermutete, dass es früher einmal eine Schule gewesen war. Bei genauerer Betrachtung meiner Umgebung, fiel mir auf, dass wir uns auf einem Hügel befanden. Auch wenn es dunkel war und der Mond von Regenwolken bedeckt, so konnte ich dennoch das Meer von hier aus wahrnehmen, welches schwarz und tiefgründig im Regen umher peitschte. Kyousuke stieg vor mir die Feuerleiter nach oben, bis zum zweiten Stockwerk. Die Tür war aus ihren Scharnieren gerissen und lag auf dem Boden. Ich betrat nach ihm den Raum. Hier drinnen war es noch dunkler als draußen und irgendwie gespenstisch. „Ich bin wieder da!“, hörte ich Kyousuke plötzlich vor mir rufen und zuckte zusammen. Seine Stimme hallte von den Wänden wieder und aus dem Schatten traten drei schemenhafte Gestalten hervor. Draußen ließ der Regen ein wenig nach und der Mond trat hinter den Wolken hervor und warf sein fahles Licht auf meine Gegenüber. Es waren drei Jungs. Der Größte von ihnen war sogar noch größer als Kyousuke und hatte hellblonde, nach oben abstehende Haare und recht muskulöse Oberarme. Seine kalten amethystfarbenen Augen musterten mich scharf. „Wer ist das, Kiryuu?“, fragte er mit tiefer Stimme. Instinktiv trat ich einen Schritt hinter Kyousuke. Der Junge in der Mitte wirkte nicht ganz so respekteinflößend. Eher sogar sehr vertrauenswürdig und freundlich. Seine schwarzen zu beiden Seiten abstehende Haare, waren von blonden Strähnen durchzogen. Seine dunkelblauen Augen, soweit ich diese erkennen konnte, machten ebenso einen netteren Eindruck. „Ein Mädchen?“, murmelte er. Der Dritte und Kleinste im Bunde besaß eine orangerote Stachelfrisur, die von einem Stirnband noch zusätzlich nach oben gehalten wurde. Ebenso wie ich, besaß er eine Markierung, direkt auf der Stirn, die wie ein „M“ aussah. Meine bestand lediglich aus zwei Punkten auf meiner linken Wange, die ich mir eingefangen hatte, als ich einmal auf die glorreiche Idee gekommen war, etwas aus dem Lagerhaus der Sector Security zu stehlen. Der Rotschopf schien in etwa in meinem Alter zu sein und wirkte ziemlich aufgeweckt und energiegeladen. „Wo hast du die Kleine denn aufgegabelt?“ Ein Grummeln entwich meinem Mund. „Wen nennst du hier, 'Kleine'!?“ Kyousuke legte beruhigend seine Hand auf meine Schulter, die ich jedoch schnell wegschob. Musste er mich als antatschen? „Das ist Ryoko-chan. Ich hab ihr heute geholfen, als sie in der Klemme gesteckt hat.“ Er sah zu mir. „Ryoko-chan, das sind Jack Atlas, Fudou Yuusei und Crow Hogan.“ Dabei zeigte er jeweils erst auf den großen Blonden – das war also dieser Jack von dem er eben geredet hatte?-, dann auf den Jungen mit den schwarzen Haaren und schließlich auf den Rotschopf. Alle Jungs trugen die selbe dunkelbraune Weste, wie die, die Kyousuke trug, bevor er sie mir umgelegt hatte. „Meine Jungs von Team Satisfaction. Keine Angst, sie beißen nicht. Zumindest dich nicht.“ Ich schluckte einen großen Kloß in meinem Hals herunter. Lauter Jungs. Diese Duel Gang bestand nur aus Jungs. Und ich sollte hier mitmachen? Als einziges Mädchen!? Das Gefühl, geradewegs zum Abschuss freigegeben worden zu sein, breitete sich rasend schnell in mir aus. Bitte, bitte, nicht!, schoss es mir durch den Kopf. Alles, nur das nicht. Ich hätte wissen müssen, dass das böse Enden würde. So schnell wie möglich wollte ich das Weite suchen und wandte mich schon zum Gehen. Kyousuke jedoch reagierte schneller, als ich erwartet hatte und legte seine Hände auf meine Schultern. „Hey, die sind echt alle harmlos.“ Ich warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Du bringst sie einfach hier her, ohne ihr etwas über uns zu erzählen?“, fragte der Blonde namens Jack und verschränkte seine Arme. Er grinste amüsiert. „Das ist mal wieder typisch für dich, Kiryuu.“ Kyousuke ließ mich los und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ich hab jetzt nicht gedacht, dass das so schlimm ist...“ Yuusei trat einen Schritt auf mich zu. „Tut mir Leid, falls wir dich erschreckt haben.“ Crow grinste breit und rammte Jack seinen Ellenbogen in die Seite. „Wenn ich ein Mädchen wäre, würde ich bei deinem Anblick auch die Flucht ergreifen!“ „Was soll das jetzt bitte heißen!?“ Mein Blick glitt zwischen den Beiden hin und her und unwillkürlich entfuhr mir ein leises Kichern. Es musste das erste Kichern seit... seit einer halben Ewigkeit gewesen sein. Ich bemerkte, wie mich Kyousuke überrascht ansah und mir einfach wieder durch meine Haare wuschelte. „Du kannst ja lachen!“ Innerlich fluchend bekam ich seinen Arm zu packen. „Jetzt lass das endlich! Noch einmal und ich gehe!“ Meine gefauchte Drohung brachte die Jungs dazu, mich baff anzustarren. Jack hob eine Augenbraue. „Die Kleine hat Temperament!“, hörte ich Crow mit einem leisen Pfeifen flüstern. „Einfach so unseren Anführer anzuschnauzen.“ Yuusei lächelte verlegen, als wäre ihm das alles gerade ein wenig unangenehm. Ich verschränkte die Arme und versuchte, den bösesten Blick aufzusetzen, den ich bieten konnte. Sollten sie ruhig alle sehen, dass ich mich nicht einfach wie ein kleines Kind behandeln ließ und auch nicht wie ein schwaches Mädel, das sich nicht wehren konnte. „Und nun?“ Kyousuke schien zumindest etwas aus der Fassung gebracht. Allem Anschein nach, war er es wohl nicht gewohnt, dass man ihm Paroli bot. Vor allem nicht von Frauen. Darauf verwettete ich alles. Ein attraktiver Kerl wie er, hatte gewiss viele Verehrerinnen. Trotzig blieb ich erst einmal stehen und wartete ab. Mein Magen rumorte erneut hörbar. „Jetzt....“, begann Kyousuke und lächelte, als er das Grummeln vernahm. „Setzt du dich am besten erst einmal hin und ich hol dir was zu Essen.“ Damit verschwand er um die nächste Ecke des Raumes. Jack kam zu mir und führte mich zu einer alten, zerschlissenen Couch, aus deren Polsterung schon hier und da Federn hervorsprangen. Vor dieser stand ein kleiner, alter Metalltisch. Ich setzte mich ohne Murren und hielt mir den Bauch. Da ich auch immer noch nichts getrunken hatte, wurde mir nun doch etwas schwummrig. Jack ging wieder zu den anderen beiden und ich lehnte mich nach hinten und schloss meine Augen. Worauf hatte ich mich nur eingelassen? Ich vernahm Schritte, die auf mich zukamen und blinzelte. Kyousuke war wieder zurück und hatte eine Dose mitgebracht, deren Inhalt soweit ich es entziffern konnte, Limonade enthielt, so wie ein paar verpackte Melonenbrötchen. „Hier!“ Er drückte mir beides in die Hand und setzte sich neben mich. Durstig wie ich war, öffnete ich erst einmal die Dose und trank in großen Zügen. Es war angenehm, nach so langer Zeit diese süße Flüssigkeit auf meiner Zunge willkommen zu heißen. Nachdem ich getrunken hatte, versuchte ich die eingeschweißten Brötchen aus der Verpackung zu bekommen. Meine Hände waren jedoch so zittrig, dass das nicht so recht funktionieren wollte. „Lass mich mal machen.“ Ehe ich mich versah, hatte Kyousuke die Packung an sich genommen und geöffnet. Mit einem freundlichen Lächeln hielt er mir eines der süß-gefüllten Brötchen hin, welches ich zaghaft annahm. Schneller als gewollt, verputzte ich das Brötchen und Kyousuke hielt mir gleich das Nächste hin. Ich kam mir wie ein halb verhungertes Kätzchen vor, das er aufgefunden und einfach mit nach Hause genommen hatte. Und ich war mir sicher, dass er in diesem Moment genauso dachte. Im Glauben, noch nie etwas besseres als Melonenbrötchen aus einem kleinen, billigen Supermark gegessen zu haben, seufzte ich zufrieden nach diesem Mahl und gab einen nicht gerade gewollten Rülpser von mir. Verlegen hielt ich mir die Hand vor den Mund, doch Kyousuke lachte nur. „Na, satt?“ „H-Halt die Klappe!“, gab ich stammelnd zurück. „Nicht gerade damenhaft.“, konnte ich Jacks tiefe Stimme sagen hören. Er stand mit Crow und Yuusei einige Meter weiter und ich streckte ihm einfach die Zunge raus. „Blödmann!“ „Und das ist erst recht nicht damenhaft.“ Ein Grinsen umspielte seine Lippen. Yuusei gab ein Seufzen von sich. „Jack...“ „Jack, jetzt hör auf damit.“ Der große Blonde sah zu Kyousuke, zuckte mit den Schultern und ging langsam in Richtung des Nebenraumes, wo noch immer der Vollmond durch die kaputten Mauern schien. Gähnend lehnte ich mich zurück. Ich fühlte mich müde und ausgelaugt, aber zumindest war ich nun satt. Ohne groß noch etwas zu sagen, rollte ich mich auf der Couch zusammen und schloss meine Augen. Auf Zehenspitzen schlich ich den dunklen Flur entlang, bemüht, kein zu lautes Geräusch von mir zu geben. Nur noch ein paar Meter und ich hatte mein sicheres Zimmer erreicht. Nicht mehr lange und - Eine Hand riss mich am Kragen meines Shirts zurück. Das Klirren von Glas direkt neben meinem Ohr und die laute Stimme meines Erzeugers. „Hast du dich schon wieder herumgetrieben!?“ Er drehte mich zu sich um. Ich wurde am Kragen durchgeschüttelt, doch ich sah ihn nicht am Hielt die Augen geschlossen. Ganz fest. Ein scharfer Schmerz breitete sich in meiner rechten Wange aus. Dann in meiner Linken. Immer und immer wieder. Alles schmerzte. Mein Gesicht, meine Arme und Beine, mein Bauch. Wie ein Häufchen Elend kauerte ich am Boden. Ein letzter Schlag direkt gegen meine linke Schläfe ließ mich ohnmächtig werden. Ich riss meine Augen auf. Um mich herum war es stockdunkel. Einzig das fahle Mondlicht erhellte einen Spalt breit den Raum. Vorsichtig setzte ich mich auf und fasste mir an meine linke Schläfe. Ich strich ein paar Ponysträhnen zur Seite und fühlte die Kontur der kleinen Narbe. Danke, Arschloch. Fast fünf Jahre war das her und selbst jetzt noch verfolgte mich mein Erzeuger in meinen Träumen. Benommen versuchte ich aufzustehen und bemerkte die Decke, die auf mir lag. Sie war alt und völlig durchlöchert, aber sie hatte mir Wärme gespendet, während ich geschlafen hatte. Ich fragte mich, ob Kyousuke sie mir übergelegt hatte. Vielleicht hatte ich gefroren. Vorsichtig wollte ich sie von mir herunternehmen, als ich Stimmen hörte. Mir bekannte Stimmen. Neugierig stand ich auf, tapste leise durch den Raum und schielte um die Ecke. Ich erkannte die schattenhaften Gestalten von Kyousuke, Jack, Yuusei und Crow, wie sie um einen kleinen Tisch herumstanden, auf dem etwas lag. Was es war, sah ich jedoch nicht. „Wir haben jetzt schon diese fünf Viertel durch. Ein bisschen Arbeit liegt also immer noch vor uns, Jungs.“, hörte ich Kyousukes Stimme sagen. „Morgen nehmen wir uns den Block vor. Ich denke, Ryoko-chan könnte uns da gut helfen.“ „Bist du dir da sicher, Kiryuu? Ich meine mit der Kleinen. Sie wirkt nicht gerade wie eine starke Duellantin. Duelliert sie sich überhaupt?“ „Sei nicht immer so pessimistisch, Jack. Ich hab mich mit ihr duelliert. Sie ist wirklich nicht schlecht, auch wenn sie gegen mich verloren hat. Und wohin sollte sie sonst, wenn nicht zu uns?“ Wachsam schlich ich mich noch ein Stück näher. „Du hast uns immer noch nicht verraten, wo genau du sie getroffen hast?“ „Ich hab doch gesagt, ich hab ihr aus der Klemme geholfen, Crow.“ Ich hörte Kyousuke aufseufzen. „Sie wurde von der Duel Gang verfolgt, um die wir uns morgen kümmern. Hatte wohl irgendwas geklaut oder so. Zumindest sind ein paar von denen immer noch unterwegs. Das dürfte lustig werden....“ „Verstehe. Dann kümmern wir uns also morgen um die Übriggebliebenen. Und Ryoko... sie hat kein Zuhause oder so?“ „Sie lebt auf dem großen Schrottplatz. Hat sich da irgendwie eine Art Zelt zusammengebastelt, aber das ist nichts halbes und nichts ganzes. Ich gehe mal davon aus, dass sie eine Waise ist. Aber keine Ahnung... Ich weiß nur, dass sie ein besseres Leben verdient hat, als auf diesem Schrottplatz zu hausen und zu stehlen, nur um zu überleben. Deswegen habe ich sie mitgenommen. Wir könnten zumindest auf sie aufpassen und uns um sie kümmern. Verstehst du, Yuusei?“ Ich musste schlucken. Langsam drehte ich mich um und sank an der Wand herunter, bis ich auf dem kalten Steinboden hockte. Ich spürte, wie Tränen meine Wangen hinabliefen und schlang meine Arme um mich. Warum? Warum tat jemand so etwas für mich? Wie konnte ein Mensch nur so nett sein? Er kannte mich doch gar nicht. Wusste nichts über mich. War das wirklich Mitleid? War ich denn wirklich so bemitleidenswert? Dabei wollte ich kein Mitleid. Ich brauchte keine Aufpasser. Aber... Aber... Mein Kopf war so voll mit Fragen und dieser Angst, die sich in mir ausbreitete. Und auf der anderen Seite war da diese Wärme. Für einen kurzen Moment glaubte ich, tatsächlich ein Zuhause gefunden zu haben. Einen Ort, wo ich hingehörte. Ich lächelte leicht und schüttelte den Kopf. Das war doch absurd. Ich gehörte nirgendwo hin. Auch wenn Kyousuke nett zu mir war. Oder zumindest versuchte, nett zu mir zu sein. Aber die Wahrheit sah dennoch anders aus. Keiner der anderen wollte mich hier haben. Warum auch? Vor allem dieser Jack nicht. Und ich war mir sicher, dass Yuusei und Crow auch nicht wollten, dass ich hier blieb. Sie zweifelten doch scheinbar alle an mir. Ich glaubte ja nicht einmal selber an mich, geschweige denn, dass ich in irgend eine Gruppe passte, die noch dazu nur aus lauter Jungs bestand. Jetzt war es schon zu spät in der Nacht und so beschloss ich, morgen früh einfach zu gehen. Dann würde ich auch nicht nutzlos im Weg herumstehen und keiner wäre enttäuscht darüber, dass ich eben keine Top-Duellantin war. Kyousuke sollte seine Freundlichkeit und Selbstlosigkeit lieber an Jemanden verschwenden, der es mehr verdient hatte, als ich. Behutsam stand ich auf, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und wankte zu der Couch zurück, wo ich mich wieder unter die Decke kuschelte. Vor meinem geistigen Auge sah ich schon Kyousukes trauriges Gesicht, wenn er aufwachte und feststellen würde, das ich fort war. Irgendwie schmerzte mich dieser Gedanke. Ich wusste nicht einmal, warum. Sonnenstrahlen fielen warm in mein Gesicht. Ich blinzelte verschlafen und setzte mich auf. Noch völlig müde rieb ich mir den Schlaf aus den Augen und fragte mich für einen kurzen Moment, wo ich hier war. Das war nicht mein selbstgebauter Unterschlupf, sondern ein Gebäude. Leerstehend, mit teilweise kaputten Fenstern, durch die frischer Wind wehte. Ich lag auf einer alten, von Motten zerfressenen Couch und als ich aufstehen wollte, traf mich der Schreck meines Lebens, als ich einen Jungen vor mir sah, der sitzend, mit dem Rücken an die Couch gelehnt, seelenruhig noch zu schlafen schien. Ich erkannte die kurzen, knapp nackenlangen silbrig-hellblauen Haare und das violette Stirnband. Wie vom Blitz getroffen fiel es mir wieder ein. Die Gang, die mich verfolgt hatte, weil ich Metallteile geklaut hatte, in der Hoffnung, mir ein D-Wheel bauen zu können. Kiryuu Kyousuke, der Junge vor mir, der mich gerettet und hier her gebracht hatte. Das Gespräch von ihm und den anderen drei Jungs von Team Satisfaction, seiner Duel Gang, der ich beitreten sollte. Ich erinnerte mich an Kyousukes Frechheiten, aber auch an seine Freundlichkeit. Daran, wie er mir seine Weste gegeben hatte, die ich nach wie vor trug; Leicht schmunzelnd zog ich diese nun aus und legte sie ihm über die Schultern; daran, wie er mir Limonade und Melonenbrötchen gebracht hatte, dass er mich wohl zugedeckt haben musste, als ich schon mal eingeschlafen war. Und ich erinnerte mich daran, dass ich eigentlich vorgehabt hatte, trotz alledem zu gehen. Ein Vorhaben, das mir nach wie vor im Kopf schwebte. Behutsam rutschte ich etwas zur Seite, streckte meine Füße aus und schob mich zum Rand der Couch. Ich wollte ihn beim besten Willen nicht wecken. Zumindest schien meine Angst, dass er oder die anderen Nachts über mich herfallen könnten, unbegründet. Von den anderen fehlte jede Spur und Kyousuke war sogar so anständig, dass er vorlieb mit dem unbequemen Boden genommen hatte, anstatt sich mit zu mir auf die Couch zu legen. Noch ein Grund mehr, dass es mir innerlich einen Stich versetzte, einfach zu gehen. Aber ich konnte nicht hier bleiben. Sacht stand ich auf und wollte an Kyousuke vorbei schleichen. Weit kam ich jedoch nicht. Ich fühlte eine Hand an meinem Handgelenk und hörte eine Stimme, die mich verschlafen fragte: „Wo willst du hin?“ Ich drehte mich um. Kyousuke sah mich aus seinen gelbgrünen Augen fragend an. „Ich...“ Was sollte ich jetzt sagen? Er ließ mich los, stand auf und streckte sich kurz, wobei sein rotes T-Shirt hochrutschte und mich einen Blick auf seinen sportlich-muskulösen Bauch erhaschen ließ. Kurz legte er seine Arme hinter seinen Kopf und bewegte seinen Oberkörper nach links und rechts. Die Weste war ihm schon beim Aufstehen von den Schultern gerutscht. „Wolltest du abhauen?“ Ich spürte, wie ich rot wurde und schüttelte einfach den Kopf. „Ich ehm... w-wollte mal... für ehm... n-na ja... kleine Mädchen...“, brachte ich nur stammelnd hervor. Ich konnte ihm jetzt unmöglich die Wahrheit sagen. Zumal ich langsam wirklich den Drang verspürte, dass die Limonade von gestern raus musste. Kyousuke bemerkte seine Weste am Boden, hob diese auf und starrte mich mit einem leicht peinlich berührten Gesichtsausdruck an. Eine kurze, unangenehme Stille trat ein. Er kratzte sich am Hinterkopf und war ein wenig rot geworden. „Ehm... Also....“, begann er nuschelnd. Dann nahm er einfach meine Hand zog mich mit. Mit gesenktem Kopf trottete ich hinter Kyousuke her. Ich war mir sicher, dass ich aussehen musste, wie eine überreife Tomate. Zumindest fühlte sich mein Gesicht glühend heiß an, als wir wieder auf dem Rückweg waren. Auch Kyousuke sagte keinen Ton. Es gibt Sachen, über die spricht man einfach nicht. Man lässt sie schweigend im Raum stehen und hofft, dass man sie ganz schnell wieder vergisst. Das eben, war so eine dieser Sachen. Meinen Fluchtversuch konnte ich nun zumindest getrost vergessen. Vielmehr fragte ich mich nun, wo die anderen alle hin waren. Ich setzte mich wieder auf die Couch, als wir wieder in dem Raum waren. Kyousuke ging noch einmal raus und kam mit zwei Dosen Limonade wieder von denen er mir eine gab, die ich dankend annahm und öffnete. „Ich hoffe, die Jungs kommen bald her und bringen was mit. Mein Magen hängt durch.“ Er lachte verlegen. „Wo sind sie denn gerade?“ Eigentlich stellte ich so gut wie nie Fragen, aber es fühlte sich seltsam an, einfach zu schweigen. „Schätze, bei Martha.“ „Bei Martha?“ Kyousuke nickte und trank einen Schluck aus seiner Dose. „Ihre Adoptivmutter. So weit ich weiß, kümmert sie sich um verwaiste und heimatlose Kinder hier in Satellite. Hat Yuusei, Jack und Crow bei sich aufgenommen, als die noch klein waren.“ „Verstehe...“, murmelte ich vor mich hin und trank ebenso kurz einen Schluck. „Warum lebst du nicht dort?“ Ich hörte Kyousuke neben mir leise lachen. „Was will ich da? Ich bin kein Kind mehr!“ Ich hob meinen Blick von der Dose in meiner Hand und drehte meinen Kopf leicht zu ihm. Stimmt. Ein Kind war er definitiv nicht mehr. Zuerst hatte ich ihn auf um die achtzehn geschätzt, aber vermutlich war er sogar schon volljährig. Ich wusste es nicht. Wenn es darum ging, das Alter von jemandem einzuschätzen, war ich schon immer eher schlecht. Ich fragte mich ja, ob er auch eine Waise war, wie es wohl die anderen waren, aber ich traute mich nicht, ihn zu fragen. „Zumindest kann diese Martha ziemlich gut kochen. Die Jungs bringen oft selbstgekochtes Essen von ihr hier her.“, hörte ich Kyousuke noch sagen. Ich lächelte leicht. „Scheinen echt tolle Freunde zu sein, wenn sie immer so an dich denken.“ „Die Besten sogar.“ Er legte seine Hand auf meine Schulter. „Ich hab dir doch gesagt, dass sie alle in Ordnung sind.“ „Uhm... Noch kenne ich sie ja nicht so gut.“, nuschelte ich und schreckte hoch, als ich Schritte vernahm. Yuusei, Jack und Crow waren wohl wieder da. Und ich hatte recht. Die drei kamen zu uns. Yuusei legte eine Tüte auf den Tisch in dem sich dem Geruch nach zu urteilen, Essen drin befand. Und es roch wirklich lecker. „Morgen. Hab ein paar Bentô-Boxen mitnehmen können.“, sagte Yuusei und verteilte die Boxen aus der Tüte auf dem kleinen Tisch vor der Couch. „Denke Mal, du und Ryoko habt noch nichts gegessen. Ich schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich.“, gestand Kyousuke und griff gleich zu. Jack gesellte sich einfach zu uns auf die Couch und lehnte sich nach hinten. „Martha hat Fragen gestellt.“ „Wegen dem Essen?“ Ich ließ erst einmal Kyousuke in Ruhe mit Jack reden und schnappte mir ein Sandwich aus einer der Boxen. Irgendwie war ich froh darüber, nicht mehr mit Hunger und Durst kämpfen zu müssen. Yuusei setzte sich auf den Boden und Crow, der mich kurz zu beobachten schien, hockte sich neben ihn und schnappte sich ebenso eine Box. „Wann gefft's eiffentliff lof?“, fragte er nach einer Weile mit vollem Mund und schluckte schnell runter. Kyousuke beugte sich etwas vor und schnappte sich wieder seine Dose. „So wie ich Ryoko-chan den Plan erklärt hab und worum es geht.“ Er sah wieder zu mir. „Iss erst einmal auf. Wir reden danach.“ Ich schluckte den letzten Bissen meines Sandwiches herunter und nickte. Ob ich ihm eigentlich sagen sollte, dass ich in der Nacht gelauscht hatte? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)