Darker than you think von Nordwind ================================================================================ o7 -- o7| Die Sonne sank bereits hinter die bewaldeten Berghänge im Westen und tauchte den Himmel und die Wolken in helle gelbe und rote Farben. Die Wärme des Spätsommers kühlte allmählich auf angenehme Temperaturen herab, als der Tag sich dem Ende neigte. Tala stand auf der Terrasse vor dem Eingang des Hauses und lehnte mit den Armen auf der hölzernen Balustrade, während er dem Kleinbus nachsah, der die Straße hinabfuhr. In der Hand hielt er einen daumengroßen, schwarzen Stein, dessen Oberfläche so glatt poliert war, dass sie sanft im Licht der Abendsonne schimmerte. Tala rollte den Stein zwischen seinen Fingern ohne ihm besondere Beachtung zu schenken. Hinter ihm trugen Max und Ray die letzten Kisten mit Vorräten ins Haus, die Mr. Dickenson ihnen hatte einpacken lassen. Als der Kleinbus zwischen den Laubbäumen verschwunden war, wandte sich Tala um und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Geländer. Durch die hohen Fenster des Wintergartens konnte er ins Innere des großen Wohnraums sehen. Direkt an den Fenstern stand sich eine große, einladende Couchgarnitur vor einem hohen, gemauerten Kamin und einer Regalwand mit einem Fernseher. Darüber gab es im zweiten Stock eine Galerie von der aus Tyson in den Wohnbereich hinab spähte. In der Mitte des Raumes stand ein massiver, hölzerner Esstisch mit Stühlen für zehn bis zwölf Personen. Dahinter befand sich die offene, modern ausgestattet Küche, in der Hilary damit beschäftigt war die Inhalte der Kartons in Schränke zu räumen. Max und Ray luden ihre Kartons auf der Arbeitsplatte ab und machten sich umgehend und unaufgefordert daran Hilary zur Hand zu gehen. Auf der anderen Seite des Raums führte eine Türe hinaus auf einer weitere Terrasse, die auf der Rückseite des Hauses lag, und hinter einer zweiten lag ein Arbeitszimmer, in dem Kenny damit beschäftigt war seine Ausrüstung auszupacken und sein Basislager einzurichten. Es war nicht zu übersehen, dass sie alle nicht zum ersten Mal gemeinsam reisten. Jeder schien seine Aufgabe zu haben, der er unaufgefordert nachging. Hilary achtete mit wachsamen Blick darauf, dass alles seine Ordnung hatte und an einem möglichst effizienten Ort platziert wurde, während Kenny mit größter Sorgfalt seinen Laptop auspackte und seine Kisten mit Ersatzteilen sortierte. Ray bewegte sich mit geschmeidigen Schritten immer dort hin, wo es noch etwas für ihn zu tun gab, wobei er aufmerksam zuhörte wie Max, der Getränke in den Kühlschrank räumte, fröhlich und voller Energie von seiner Reise berichtete. Immer ein Lachen auf den Lippen. Sie waren gut aufeinander abgestimmt, wie eine gut geölte Maschinerie und das obwohl sie alle sehr starke, individuelle Persönlichkeiten besaßen. Tala legte den Kopf schief und beobachtete die harmonische Geschäftigkeit. Etwas störte ihn an diesem Gesamtbild. Etwas passte nicht. Es war nicht leicht auszumachen, aber Tala konnte es dennoch sehen. Ein Blick, der nachdenklich zur Seite gewandt wurde, nur für einen winzigen Augenblick, ein Lächeln, das ein klein wenig zu schnell von den Lippen wich, ein gutmütiger Witz auf den das Lachen nur ein bisschen zu spät folgte. Die Hinweise waren so subtil, dass sie, wäre nicht Tala der Beobachter, vielleicht gar nicht auffallen würden. Ein Schatten folgte jedem von ihnen, trotz dem unbeschwertem Lächeln, das sie auf den Lippen trugen. Doch ehe Tala weitere Zeichen für eine gewisse Dissonanz aufspüren konnte, kam Tyson unter lautem Gepolter die Treppe im Eingangsbereich des Hauses herunter gestürmt um sich zu den anderen in den offenen Wohnbereich zu gesellen. Er war der Mittelpunkt des Teams. Er war nicht ihr Anführer. Zumindest nicht nach Talas Definition. Tyson führte das Team nicht, er lief voraus und vertraute fest darauf, dass der Rest folgen würde. Besonders deutlich war es bei den letzten Weltmeisterschaften geworden, als er überrascht hatte feststellen müssen, dass sein Teamkollegen andere Wege eingeschlagen hatten statt ihm zu folgen. Tala zweifelte nicht daran, dass Tyson die Anlagen hatte ein guter Anführer zu werden, doch er war noch nicht so weit. Und vielleicht war das ganz gut so. „Hey Leute, wart ihr schon oben?“ rief Tyson enthusiastisch und seine Augen funkelten vor Begeisterung. „Das Haus ist riesig und es gibt sogar einen Whirlpool!“ „Während du dich verdrückt hast, haben wir das Gepäck ausgeladen,“ erwiderte Max, der gerade vom Keller heraufkam, vorwurfsvoll, doch Tala konnte den belustigten Ton in der Stimme des Blonden und das breite Grinsen auf seinen Lippen erkennen. Tyson kratzte sich mit einem Lächeln verlegen am Kopf. „Oh, he he, ups!“ „Du könntest dich wirklich mal nützlich machen, Tyson,“ Hilary schloss die Schranktüre, drehte sich um und deutete auf einige Getränkekisten. „Wie wärs, wenn du Max hilfst die in den Keller zu tragen?“ „Ja ja, mach ich schon,“ erwiderte Tyson, während er sich im großen, offenen Wohnraum umsah. Sein Blick streifte den Esstisch und die Couch, ehe er einen schnellen Blick in das Arbeitszimmer warf, wo Kenny von seinen Vorbereitungen aufsah. „Wo ist denn Kai?“ Tala konnte Max lachen hören. „Das ist wahrscheinlich die am meist gestellte Frage, wenn wir alle zusammen unterwegs sind,“ bemerkte er heiter und schüttelte den blonden Schopf. Tala kam diese Frage nur allzu bekannt vor, allerdings hatte er irgendwann aufgehört sie zu stellen. Es wusste ohnehin niemal irgendwer wohin Kai verschwand. „Wie oft ich die schon gehört habe!“ Ray lachte ebenfalls und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Arbeitsplatte. „Bestimmt schaut er sich draußen um und sucht nach einem passendem Platz fürs Training.“ „Und plant, wie er uns am besten quälen kann,“ fügte Tyson offenbar Böses ahnend hinzu, während er das Gesicht zu einer gequälten Grimasse verzog und schließlich zu den Kisten hinüber ging, die ihm von Hilary zugewiesen worden waren. „Ich hoffe sehr, ihr habt ihn auf der Fahrt hierher in Ruhe gelassen,“ warf Max grinsend ein. „Sonst wird dieses Trainingscamp die Hölle auf Erden.“ Ray zog die Stirn in Falten, als ob er darüber nachdachte, ob sie Kai auf der bisherigen Reise in irgendeiner Weise verstimmt hatten. „War es das jemals nicht mit Kai?“ Tysons Stimme klang wehmütig und Tala schnaubte geringschätziges. Was wusste jemand wie Max schon von der Hölle auf Erden oder davon wie es war wirklich hart zu trainieren? Sie mochten Witze darüber machen, doch in Wirklichkeit konnten sie froh sein, dass sie nur von Kai trainiert wurden und nicht von jenen Menschen, die für Kais Training verantwortlich gewesen waren oder für Talas. Das Klirren der Flaschen war zu hören, als Max eine der Getränkekisten anpackte. „Mir tut jetzt schon jeder Muskel weh, wenn ich nur daran denke,“ erwiderte er theatralisch, ehe seine Schritte dumpf auf den Stufen hallten, die in den Keller führten. „Jetzt stellt euch mal nicht so an,“ warf Hilary tadelnd ein, die Mundwinkel zu einem amüsierten Lächeln gebogen und die Hände in die Hüften gestemmt. „Ihr Jammerlappen übertreibt doch total!“ „Klar, du musst ja auch nicht unter Kais ungnädigem Kommando leiden,“ kam prompt Tysons patzige Antwort, bei der sich Hilarys Gesicht sofort verfinsterte. Tala kam nicht umhin zu bemerken, dass Tyson mit seinen Worten wohl einen wunden Punkt getroffen hatten. Manchmal konnte er schon ein Trampel sein. Wie ein Elefant im Porzellanladen, der auf den Gefühlen seiner Freunde herumtrampelte ohne es zu bemerken. „Ich trage meinen Teil für das Team bei, genau wie ihr euren,“ erwiderte das Mädchen bissig. „Oh ja, du könntest für uns kochen und waschen,“ zog Tyson sie witzelnd auf. „Er ist mutig,“ bemerkte Tala an Kai gewandt, der die Treppe zur Veranda herauf kam, während er den kleinen, schwarzen Stein in seiner Tasche verschwinden ließ und weiter lauschte wie Hilary Tyson ordentlich Kontra gab. „Er ist dumm,“ erwiderte Kai unverblümt, der die Situation mit einem schnellen Blick erfasst hatte, und warf Tala einen schrägen, abschätzenden Blick zu, „aber du konntest noch nie das eine vom andern unterscheiden. Sieht so aus, als hättet ihr beide etwas gemeinsam.“ Tala zog irritiert die Stirn in Falten und setzte zum Widerspruch an, als Tyson plötzlich durch die offen stehende Eingangstüre auf sie aufmerksam wurde. „Kai!“ rief er ertappt und stellte die Kiste ab, die er eben in den Keller hatte tragen wollen, nachdem es in seinem Wortgefecht mit Hilary zu einem sporadischen Waffenstillstand gekommen war. „Wie lange stehst du schon da?“ Kai wandte sich von Tala ab und betrat den Eingangsbereich des Hauses. „Lange genug um zu wissen, dass ihr morgen besonders früh mit dem Training anfangen wollt.“ „Oh nein,“ stöhnte Tyson ergeben, nahm seine Kiste wieder auf und ging die Treppe zum Keller hinab, die Max gerade rechtzeitig herauf gekommen war um Kais Worte zu hören. „Schätze, wir haben es mal wieder geschafft,“ konnte Tala ihn murmeln hören. „Alles beim Alten.“ „Wir fangen um 6 Uhr an und ihr werdet alle pünktlich sein.“ Kai wandte sich der Treppe zu, die ins Obergeschoss führte, hielt jedoch auf der ersten Stufe noch einmal inne. „Und wenn ich sage alle, dann meine ich alle,“ fügte er lauter hinzu. „Und wann frühstücken wir?“ rief Tyson vom Keller herauf, doch Kai war bereits die Treppe hinaufgegangen ohne ihm Beachtung zu schenken. „Kaaahai?“ Tala stieß sich von der Balustrade ab und schulterte seine Tasche, ehe er ebenfalls das Haus betrat und Kai nach oben folgte. Die Treppe führte auf die Galerie oberhalb des Wintergartens hinauf und von dort in einen Flur von dem mehrere Türen abgingen. Tala entdeckte drei Zweibettzimmer, zwei Bäder und eine Treppe die nach oben unter das Dach führte, wo sich zwei weitere Dreibettzimmer befanden. Er war nicht wählerisch was seinen Schlafplatz anging und bezog eines der Doppelzimmer, das er sicherlich nicht würde teilen müssen bei der Menge an Räume die das Haus bereit hielt. Es war ein schlichtes Zimmer mit zwei einfach Betten, einem Kleiderschrank und einem gut gepolsterten Sessel in einer Ecke. Tala stellte seine Tasche auf einem der beiden Betten ab und trat an das Fenster heran, das den blick auf die Wiese vor dem Haus und den Wald freigab, der sich über die ansteigenden Hänge zog. Hinter den Baumwipfeln zeichnete sich vor dem dunkelblauen Himmel im letzten Licht der Dämmerung die Gipfel der Berge ab. Er öffnete das Fenster und ließ die frische Abendluft herein. Es war beinahe vollkommen still, bis auf das Gelächter, das aus dem Erdgeschoss des Hauses herauf drang. Mit auf diese Reise zu kommen war vielleicht doch keine allzu schlechte Idee gewesen. Tala schob seine Hände in die Taschen seiner Jacke und stieß mit den Fingerspitzen auf einen kleinen, glatten Gegenstand. Er zog erneut den daumengroßen, schwarzen Stein hervor, der schwer und kühl in seiner Handfläche lag. Tala nahm den Stein zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete ihn nachdenklich, als er plötzlich Schritte hinter sich im Korridor hörte, die in der offenen Türe zu seinem Zimmer verstummten. Tala wandte sich um und fand sich Kai gegenüber, der offenbar das Zimmer nebenan bezogen hatte. Welchen Grund auch immer Kai gehabt haben mochte Talas Zimmer zu betreten, war offenbar unwichtig geworden, als seine wachsamen, amethystfarbenen Augen auf den Stein in Talas Hand fielen. „Woher hast du den?“ Tala kam nicht umhin das Misstrauen zu bemerken, dass in Kais leicht verengten Augen aufglomm, auch wenn die Stimme seines ehemaligen Tag-Team-Partners keine Spur davon aufwies. Talas Blick fiel ebenfalls auf den Stein in seiner Hand und er musterte ihn erneut aufmerksam, doch wie schon zuvor konnte er nichts besonderes daran entdecken. „Warum interessiert dich ein Stein?“ Tala hob fragend eine Augenbraue und sah auf. „Hast du ein neues Hobby? Steine-Sammeln?“ Daraufhin bedachte ihn Kai jedoch lediglich mit einem kurzen, argwöhnischen Blick, ehe er kaum merklich den Kopf schüttelte und sich abwandte. „Vergiss es,“ erwiderte er nur, während er das Zimmer wieder verließ, den Korridor hinunter ging und einen zutiefst irritierten Tala zurück ließ. Von allen Gesprächen, die Tala mit Kai führte, waren ihm diejenigen, die nicht einmal lang genug anhielten, dass er begriff worum es eigentlich ging, die aller liebsten. Es gab einen guten Grund dafür, warum sie beide kaum miteinander sprachen und nur dann, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Tala warf einen letzten, verdrossenen Blick auf den kleinen Stein, ehe er ihn in seine Tasche zurück steckte. Um ehrlich zu sein konnte er sich noch nicht einmal daran erinnern, wo er das Ding gefunden hatte oder wie es in seine Jackentasche gelangt war. ~ später am Abend ~ Tala stand auf der Terrasse, mit dem Rücken gegen die Hauswand gelehnt und dem Blick auf die schwarzen Schatten der Bäume gerichtet, die sich vage vor dem dunklen Blau der Nacht abzeichneten. Der Himmel war wolkenlos und voller Sterne, ein Anblick, den man in einer Großstadt wie Moskau, die des Nachts durch zahllose Straßenlaternen und Reklametafeln beleuchtet war, nur selten zu sehen bekam. Durch die weit geöffneten Fenster des Wintergartens drang lautes Gelächter nach draußen in die Stille der Nacht. Ray und Hilary hatten, wie er ehrlich zugeben musste, ein wahres Festmahl gezaubert um Max Rückkehr – wenn man es denn so nennen konnte – zu feiern. Tala war es nicht gewöhnt, dass man für ihn kochte. In der Wohnung der Blitzkrieg Boys in Moskau kümmerte sich jeder selbst um sein Essen und sie aßen äußerst selten gemeinsam. Meisten ließ derjenige, der als erstes kochte etwas für die anderen übrig. Im Glücksfall war es Spencer, der kochte nämlich wirklich gut, wohingegen Bryans Kreationen meist mit äußerster Vorsicht zu genießen oder besser komplett zu meiden waren. Anschließend hatten Tyson und Max zur abendlichen Unterhaltung sämtliche Brettspiele, die sich im ganzen Haus hatten finden lassen, ins Wohnzimmer geräumt und die Schachteln dort zu einem hohen, schwankenden Turm aufgestapelt. Tala hatte das zum Scheitern verurteilte Vorhaben gespannt beobachtet, bis schließlich Kai vorbei gekommen war und die beiden Bauherren mit einem einzigen drohenden Blick dazu gebracht hatte die Lage zu deeskalieren. Dem letzten Objekt seines Interesses beraubt, hatte Tala es seinem ehemaligen Tag-Team-Partner gleich getan und war schnell und lautlos verschwunden, ehe noch jemand auf die Idee kam ihn zu fragen, ob er sich nicht an einem der Spiele beteiligen wolle. Die anderen hatten es sich irgendwann auf der Couchgarnitur vor dem Kamin gemütlich gemacht und begonnen über alte Zeiten zu sprechen, während Tala mit halber Aufmerksamkeit von außen lauschte. „Oh, erinnert ihr euch noch daran, wie Tyson fast unseren ersten Flug nach Hongkong verpasst hätte?“ konnte er Kenny sagen hören, woraufhin Max laut lachte. „Da wäre die ganze Reise fast zu Ende gewesen ehe sie richtig angefangen hat!“ „Warum überrascht mich das nicht?“ Tala hörte wie Hilary leise kicherte, während Ray eher nachdenklich, aber mit einem amüsierten Unterton in der Stimme hinzufügte: „Das habt ihr mir nie erzählt.“ Tala konnte hören wie Tyson aufsprang und sich lautstark, wohl um seine Verlegenheit zu verbergen, verteidigte. „Hey, ich war genau pünktlich da!“ „Wohl eher auf die letzte Sekunde,“ bemerkte Max, woraufhin allgemeines Gelächter den Wintergarten füllte. Eine sanfte, angenehm kühle Brise zog über die Terrasse und spielte mit den langen, roten Strähnen, die Tala ins Gesicht fielen. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte er einen Schatten, der sich langsam in der Dunkelheit der Nacht und dem sanften Licht des Sichelmondes über die Wiese bewegte. Als er genauer hinsah, erkannte Tala, dass es sich um Kai handelte, der sich ins Gras setzte und mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zurücklehnte um in den Himmel hinaufzublicken. „Wisst ihr noch, wie wir in Europa unser Schiff verpasst haben und diese Gruselgestalten uns in diesem Tunnel aufgelauert haben, nachdem unser Zug liegen geblieben ist,“ warf Ray eine weiter Erinnerung auf, als das Lachen schließlich verebbt war. „Die Dark Blader, die hätte ich fast vergessen,“ erwiderte Tyson, als ihm der Name wieder einzufallen schien. „Die sind uns durch ganz Europa gefolgt!“ Max kicherte. „Und der Chef hatte eine Heidenangst!“ „Weil die auch wirklich furchteinflößend waren,“ verteidigte sich Kenny bestimmt, woraufhin Tyson spöttisch schnaubte. „Waren sie überhaupt nicht.“ „Waren sie wohl!“ Max lachte laut und Ray mischte sich schließlich ein, um seine beiden Freunde zu beschwichtigen. „Wärst du von denen als Geisel genommen worden, wärst du bestimmt auch nicht so cool geblieben, Tyson!“ „Ganz im Gegensatz zu Kai, der ihnen Kenny zum Abendessen überlassen wollte,“ fügte Max hinzu und prustete erneut los. „Das glaub ich nicht,“ warf Hilary ein und fügte, als niemand ihre Zweifel bestätigte, leise hinzu: „Oder vielleicht doch. Es ist ein Wunder, dass sie euch ohne erwachsene Begleitung haben reisen lassen.“ „Ach wir hatten doch Kai,“ erwiderte Tyson und Tala konnte ihm das breite Grinsen auf den Lippen anhören. „Er ist vielleicht der größter Spielverderber und Miesmuffel, aber er ist jedes Mal wie aus dem Nichts aufgetaucht, wenn wir in Schwierigkeiten geraten sind.“ „Wie das eine Mal in New York bei den All Stars,“ pflichtete Max ihm bei, „als er mich davor gerettet hat von einem Sicherheitstor zerquetscht zu werden.“ „Was habt ihr angestellt, dass man die Sicherheitstore...“ begann Hilary nachdenklich, hielt jedoch inne und fügte schließlich hinzu: „Oh, vergesst es, ich will es gar nicht wissen.“ „Das waren die guten, alten Zeiten,“ bemerkte Ray belustigt. Tala wandte seine Aufmerksamkeit ab. Musste nett sein, wenn man so viele gute Erinnerungen an die Geschehnisse der Meisterschaften von vor drei Jahren hatte. Tala konnte das von sich selbst jedenfalls nicht behaupten. Sein Blick fiel erneut auf Kai, der noch immer ein Stück entfernt im Gras lag, und er fragte sich unwillkürlich, wie sich sein ehemaliger Tag-Team-Partner an die Ereignisse damals erinnerte. Waren es gute Erinnerungen oder überwogen die schlechten? Bei Kai konnte man das nie wissen, vielleicht hatte er bereits alle Erinnerungen daran verdrängt, dachte Tala bitter. „Oh hey,“ rief Max plötzlich und unterbrach Talas Gedanken. „Als ich die Schlüssel für das Haus bekommen habe, hat mir die Verwaltungsdame von einer Tierrettungsstation hier ganz in der Nähe erzählt. Wir könnten da morgen mal vorbeischauen.“ „Es schadet sicher nicht, die Gegend ein wenig zu erkunden, wenn wir schon mal aus der Stadt heraus kommen,“ erwiderte Hilary enthusiatisch, während Tyson halb belustigt, halb ernst hinzufügte: „Du meinst, wenn wir Kais Höllentraining überleben.“ Als Tala wieder zu der Stelle sah, an der Kai gelegen hatte, war sein ehemaliger Tag-Team-Partner verschwunden. Tala legte den Kopf schief und rieb mit einer Hand über die Stirn. Etwas war anders an Kai, seit Tala zum letzten Mal mit im gesprochen hatte. Das war noch vor der ganzen Sache mit BEGA gewesen. Danach waren sie sich nur einmal kurz nach dem Finale des Justice-Five Turniers begegnet, ohne aber miteinander zu sprechen. Während ihrer Zeit als Tag-Team war er immer voller Energie darauf konzentriert gewesen sich konstant zu verbessern und neue Strategien zu entwickeln. Jede freie Minute hatte er genutzt um zu Trainieren und seine Abläufe zu perfektionieren. Perfektionismus war es, den Kai kontinuierlich angestrebt hatte ohne sich jemals von seinem Ziel abbringen zu lassen, doch seit Tala nach Japan gekommen war, hatte er seinen ehemaligen Tag-Team-Partner noch kein einziges Mal trainieren sehen. Verdammt, wenn er so drüber nachdachte, hatte Kai seit dem noch nicht einmal ein Beyblade in die Hand genommen. Etwas an seinem ganzen Verhalten war verändert. Kai stellte keine Fragen in Situationen in denen Tala erwartete hatte sich herausreden zu müssen. Kai hatte nicht gefragt, warum er nach Japan gekommen war und es hatte Kai nicht interessiert, als er das Match gegen Tyson abgebrochen hatte. Kai war niemals leicht zu durchschauen gewesen und es fiel Tala zunehmend schwerer zu erraten, was seinem ehemaligen Tag-Team-Partner durch den Kopf gehen mochte, dennoch war ihm nicht entgangen, dass ihn eine gewisse Dunkelheit umgab, die nur schwer in Worte zu fassen war. Auch ihm folgte ein Schatten, doch er war nur schwer auszumachen vor Kais gewöhnlichem kalten und ablehnendem Verhalten. Es war, als fehlte ihm plötzlich etwas von der Entschlossenheit und dem Ehrgeiz, dem Stolz, der Kai ansonsten umgab und ihm trotz seiner kalten, abfälligen Art zu Respekt verhalf. Tala schüttelte den Kopf und stand langsam auf um zurück ins Haus zu gehen. Oder vielleicht bildete er sich das alles auch nur ein um von seinen eigenen Problemen abzulenken. ~~~ Kai ging mit langsamen, beinahe lautlosen Schritten über die dunkle Wiese und beobachtete aus der Ferne das hell erleuchtete Haus. Dumpf trug der sanfte Winde helles Gelächter aus den geöffneten Fenstern zu ihm herüber. Er konnte die schattenhafte Gestalt Talas ausmachen, der von seinem Platz auf der Veranda aufstand und ins Haus hinein ging. Tala, den er noch immer nicht gefragt hatte, warum er nach Japan gekommen war, ausgerechnet um ihn zu 'besuchen'. Es war offensichtlich, das etwas mit ihm nicht stimmte, doch Kai fand nicht die Energie sich mit Talas Problemen zu beschäftigen. Die richtigen Fragen zu stellen und damit womöglich in die Gefahr zu geraten selbst Fragen beantworten zu müssen. Dazu war er noch nicht bereit und würde es vielleicht niemals sein. Und Tala war zu gut darin die richtigen Fragen zu stellen, ihn zu durchschauen, hinab in den dunkelsten Winkel seiner Seele zu blicken. Tala musste nicht erst den Weg dorthin finden, er kannte ihn bereits, denn er war schon einmal dort gewesen. Ein kurzer Blick würde Tala genügen um Kai zu durchschauen. Ein kurzer, winziger Blick in sein Inneres, wo dieses große, dunkle Loch klaffte. Die Leere, die sich langsam in ihm ausbreitete und ihn verschlang. Talas messerscharfer Verstand würde nicht lange brauchen um die richtigen Schlüsse zu ziehen, doch Kai war noch nicht bereit sich der Wahrheit zu stellen. Noch war es zu verlockend sich der Leere hinzugeben, der Taubheit, der Lüge. Nur noch ein wenig länger. Ein plötzliches Rascheln in den nahen Sträuchern riss Kai aus seinen Gedanken und ließen ihn herumfahren. Ein Schatten huschte zwischen den Bäumen am Waldrand schnell und geduckt auf das hell beleuchtete Haus zu. Es war zu groß um ein Tier zu sein, zu sehr darauf bedacht in den Schatten zu bleiben, nicht gesehen zu werden, doch Kai vermutete, dass er selbst ebenfalls noch nicht gesehen worden war. Mit leisen Schritten schlich er der Gestalt um das Haus herum nach und konnte bald einen schlanken Schatten ausmachen, der auf die hintere Veranda kletterte um durch eines der Küchenfenster in den Wohnraum zu spähen. Im Schein des Lichtes, das von Innen durch die Scheibe auf die Veranda fiel, konnte Kai jedoch nur eine menschliche Gestalt in einem weiten, dunklen Hoodie ausmachen. Die Kapuze trug sie tief ins Gesicht gezogen, so das Kai kaum etwas erkennen konnte ohne näher heran zu gehen. Als er die Veranda erreichte musste ihn ein Geräusch verraten haben, denn die Gestalt fuhr herum, schwang sich mit einer schnellen Bewegung über das Geländer und verschwand im Schatten der Bäume. Kai wusste, dass er eine vage Chance hatte, die Gestalt einzuholen, wenn er ihr gleich in den Wald folgte, doch er blieb stehen. Er stand nur da und starrte auf die dunklen Schatten der Bäume, während die schnellen Schritte in der tiefen Stille des Waldes verklangen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)