Quick Time Event von Flordelis ================================================================================ Kapitel 3: Gut, dass wir darüber gesprochen haben. -------------------------------------------------- Es gab nur eine Sache, die Faren an Croissants nicht mochte: Sie krümelten. Anfangs hatte er sich nie darüber Gedanken gemacht und stets Vincents Küche vollgekrümelt, was dieser mit hochgezogener Augenbraue beobachtet hatte. Es war nie ein Wort der Kritik von Vincent gekommen, auch keine Bitte, wieder sauberzumachen, aber Farens schlechtes Gewissen war genug gewesen, so dass er inzwischen immer einen Teller benutzte, um seine Krümel aufzufangen. Auch an diesem Tag balancierte er einen kleinen Teller auf seinen übereinandergeschlagenen Beinen, während er das Croissant auseinanderpflückte, um es nach und nach zu essen. Vincent nippte an seinem Kaffee, der schwarz wie die Nacht war – oder wie Vincents Haar, das stets akkurat kurz geschnitten war, aber dennoch lang genug, dass die Haarspitzen sich zu locken begannen. Faren mochte das an ihm, es wirkte gleichzeitig geordnet und chaotisch und der Gedanke gefiel ihm außerordentlich gut. Auf Platz Nummer Zwei standen Vincents tiefblaue Augen, die einem mühelos in die Seele schauen konnten, dabei aber vollkommen neutral blieben, als wäre es ihnen gleichgültig, was sie dort fänden. Und dann waren da noch seine aristokratischen Gesichtszüge, die Faren oft darüber nachdenken ließen, dass er eigentlich Filmstar und kein Therapeut sein sollte. Oder wenigsten Model. Davon wollte Vincent aber absolut nichts wissen, deswegen erwähnte Faren es auch lieber nicht mehr. „War die Wartezeit heute so lang?“, fragte Vincent schließlich, statt ihm Vorwürfe zu machen. Es fiel Faren schwer, seine Stimme zu beschreiben. Bariton fiel ihm als erstes dazu ein, beruhigend als zweites. Sie umarmte einen nicht, aber sie legte sich auf der Seele ab und hielt jegliche Sorgen von einem fort. Wann immer er sprach, schaffte er es mit wenigen Worten, die Atmosphäre so zu wandeln, dass es wirkte, als vereinnahme er sie. Faren könnte ihm tagelang zuhören, wenn er das Telefonbuch vorlas – was Vincent aber seltsamerweise nie tat und ihm stattdessen nur einen schrägen Blick schenkte, wann immer er das vorschlug. „Nein, es gab keine Wartezeit“, antwortete Faren. Vincent legte die Stirn in Falten. „Hast du dann unterwegs noch geraucht?“ Wie kam er nur darauf? Faren roch an diesem Tag nicht einmal nach Zigarettenrauch. „Nein, auch nicht. Stattdessen hatte ich einen Unfall und mein Ellenbogen wurde fast zertrümmert.“ Faren musste grinsen, als er das sagte, so dass Vincent sich nicht einmal Sorgen machen konnte. Er nahm noch einmal einen Schluck. „Was ist passiert?“ „Ach, nichts weiter. Ich wurde von jemandem über den Haufen gerannt, aber das ist gut ausgegangen, wir sind jetzt Freunde.“ Gut, sein Ellenbogen schmerzte immer noch, aber das musste er ja nicht zum Gegenstand dieses Gesprächs machen. Er hatte ohnehin schon das Gefühl, vollkommen falsch begonnen zu haben. Vincent schien sich noch wesentlich mehr Sorgen zu machen, die Falten auf seiner Stirn bekamen jedenfalls neue Freunde. „Könntest du das vielleicht nochmal ein wenig langsamer erzählen?“ „Ich wurde vor der Bäckerei von jemandem umgerannt“, begann er also noch einmal. „Der Kerl sieht aus wie ich, nur mit schwarzen Haaren. Sein Name ist Ferris und ich hab seine Nummer, falls du von ihm Schmerzensgeld abgreifen willst.“ „Das will ich natürlich nicht“, sagte Vincent. „Aber warum hat er dich umgerannt?“ Zwischen den Bissen erzählte er seinem Gesprächspartner, dass Ferris Ärger mit seinem Bruder hatte und deswegen einfach umhergerannt war. Das verstand Vincent wohl, denn er stellte keine weitere Fragen dazu. Genauso fragte er nicht, wieso sie sofort Freunde geworden waren, denn er kannte Faren bereits lange genug. Glücklicherweise. „Er ist bis hierher mitgekommen, aber dann musste er wieder los.“ „Dann weiß er jetzt, wo du wohnst.“ „Als ob das ein großes Geheimnis wäre.“ „Hast du ihm auch direkt deinen Arbeitsplan gegeben?“ Wo war Vincents Problem? Mit dieser pessimistischen und misstrauischen Einstellung war es ja klar, dass er so wenig Freunde hatte. Aber Faren ließ das nicht so einfach stehen: „Sagt die Person, die einen Straßenjungen einfach in sein Haus geholt hat.“ Vincent blickte ihn streng an. Es war jener Blick, der noch kälter zu sein schien, als sein üblicher, der eigentlich Komm mir gefälligst nicht so sagen wollte, aber doch mehr in die Kategorie Du wirst morgen einen Pferdekopf in deinem Bett vorfinden gehörte. Tatsächlich hatte Faren vor Angst kaum geschlafen, nachdem Vincent ihn das erste Mal so angesehen hatte – inzwischen kümmerte es ihn aber nicht mehr und so erwiderte er ihn freundlich. Schließlich wandte Vincent murmelnd den Blick ab und nahm noch einen Schluck seines Kaffees. „Du solltest mir lieber nicht so oft widersprechen. Irgendwann überlege ich dann nämlich doch noch, dich einfach wieder auf die Straße zu setzen.“ „Das wirst du nicht tun~“, sagte Faren schmunzelnd. „Dafür magst du mich schon viel zu sehr~.“ Vincent kommentierte das nicht weiter und nahm sich stattdessen sein eigenes Croissant, um ebenfalls zu essen. Faren war dagegen gerade fertig geworden und stellte den Teller wieder auf den Tisch. Er mochte diesen Tisch. Nein, eigentlich mochte er alles an Vincents Haus. Es sah zwar nicht seines Alters entsprechend aus – man erwartete doch eine moderne Einrichtung, vielleicht sogar eine sehr unpersönliche – aber die rustikalen Möbel verliehen der Einrichtung den Charme eines Großeltern-Hauses, als wäre die Zeit darin einfach stehengeblieben, und das schätzte Faren sehr daran. Er nutzte die Gesprächspause auch direkt, um das zu sagen, was bislang unausgesprochen zwischen ihnen stand: „Tut mir leid, dass du dir wegen mir Sorgen gemacht hast. Das kommt nicht mehr vor.“ Für einen kurzen Moment verzog sich Vincents Gesicht zu einer Maske des Schmerzes, doch er erhielt sofort die Kontrolle darüber zurück. „Doch, das wird es, Faren. Du und ich wissen das. Du kannst nicht aus deiner Haut heraus.“ Auf einen Schlag war die Atmosphäre unangenehm gespannt, fast schien es, als bräuchte es nur noch einen Funken, um etwas zum Explodieren zu bringen und alle warteten angespannt darauf. Am liebsten wäre Faren aufgestanden und gegangen, nicht aus dem Haus hinaus, einfach in sein Zimmer, aber er verscheuchte diesen Drang und blieb stattdessen sitzen, lächelnd. Da er nichts sagte, fuhr Vincent fort: „Ich will damit nicht in die Kerbe schlagen, in der andere schon ihr Zeichen hinterlassen haben. Meine einzige Bitte ist die, dass du ein wenig Rücksicht auf deine Mitmenschen nimmst.“ Dieselbe alte Leier. Faren war es langsam leid, sie sich anzuhören, aber er blieb weiterhin stumm. „Ich mache mir Sorgen, weil ich deine Vorgeschichte kenne und weil ich mich kümmere. Nicht, weil ich gemein sein will. Ich finde, das solltest du honorieren, indem du nach einem Einsatz eben nicht stillschweigend fortbleibst.“ Faren seufzte innerlich. „Ich werde mir zukünftig mehr Mühe geben.“ Auch wenn es ihn stets aufs Neue störte, dass seine Vergangenheit mit ins Spiel gebracht wurde, verstand er Vincent in dem Punkt doch durchaus. Noch dazu hatte er selbst das Gefühl undankbar zu sein, wenn er seinem Gastwirt immer wieder Sorgen bereitete. „Mehr verlange ich auch gar nicht.“ Das ganze Gespräch über hatte er es geschafft, seine Tonlage nicht ein einziges Mal zu ändern. Es war nicht immer einfach, aus ihm schlau zu werden, aber Faren glaubte daran, dass Vincent eines Tages in der Lage wäre, wirklich seine Emotionen zu steuern. Oder er wurde doch Model. Für Calvin Klein, zum Beispiel, da musste man immerhin nur stets neutral in die Kamera blicken, wenn er sich die Werbeplakate so betrachtete. „Gut, dass wir darüber gesprochen haben.“ Faren nahm seinen eigenen Kaffee und leerte ihn mit wenigen Schlücken. „Man sollte solche negativen Gedanken nicht erst anstauen lassen.“ Auf Vincents Nicken hin, erhob er sich vom Stuhl. „Ich gehe dann mal nach oben. Sollte mich langsam doch mal ein wenig hinlegen.“ Eigentlich wollte er nur der gedrückten Atmosphäre entfliehen. Schlafen klang allerdings auch sehr verlockend und half sicher, die Zeit vergehen zu lassen. Da Vincent nichts weiter dazu sagte, dafür aber noch einmal nickte, ging Faren aus der Küche hinaus. Der Flur war, aufgrund des Mangels an Fenstern, zwar dunkel, aber bei genügend Tageslicht konnte man sich gut zurechtfinden. Er nahm die Treppe nach oben, ignorierte dabei all die Bilder, die Vincent mit seiner Familie, vorrangig seiner Halbschwester, zeigten, da er sie bereits zur Genüge kannte. Selbst in einem seiner Träume waren sie einmal aufgetaucht, derart detailliert und real, dass er nicht hatte glauben können, dass er nur träumte. Sein Zimmer, das einstmals ein Gästezimmer gewesen war, befand sich direkt neben der Treppe. Aber obwohl er schon so lange hier wohnte, dass es nicht einmal mehr als Gästezimmer durchging, gab es nichts Individuelles in diesem Raum. Keine Poster, keine Bilder, lediglich ein paar Bücher auf dem Regal an der Wand stammten von ihm, darunter der ein oder andere Manga. Er hatte nichts gegen das individuelle Einräumen eines Zimmers, es war vielmehr so, dass alles, was ihn ausmachte – namentlich seine Spielekonsole, die er hegte und pflegte, sowie die dazugehörigen Spiele – im Wohnzimmer ruhte, wo immerhin auch der Fernseher stand. Da er in seinem Zimmer keinen solchen besaß, machte es Sinn, die Konsole dort aufzustellen, wo auch einer war. Mit einem wohligen Seufzen ließ Faren sich auf sein gemachtes Bett fallen und rollte erst einmal ein wenig darin herum, um Laken, Decke und Kissen zu zerwühlen und damit jedes Zeichen von Vincents anhaltender Sorge um ihn zu zerstören. Schließlich blieb er ruhig liegen und lauschte nur seinem eigenen Herzschlag, der immer noch gleichmäßig war, und ihm verriet, dass er wieder eine Nacht überlebt hatte, trotz aller Widrigkeiten. Wieder einmal fand er sich, allein, in seinem Bett wieder und musste akzeptieren, dass Kieran nicht zurückkam. Und erneut wurde ihm bewusst, dass er möglicherweise auf ewig vergeblich wartete. Dennoch konnte er nicht anders, als immer wieder neu zu hoffen. Jede Nacht dort hinauszugehen, nur mit dem Wunsch, Kieran doch noch zu finden und zu retten. Auch wenn die Hoffnung mit jedem Tag mehr absterben sollte, wurde sie in seinem Inneren nur größer, fand stetig neue Nahrung in seinen Wünschen, vollkommen substanzlos, ein Feuer, das es schaffte, ohne jeden materiellen Zündstoff zu brennen. Wäre er nicht selbst betroffen, fände er das äußerst erstaunlich – so fand er es aber eher frustrierend, weil damit jede Nacht nur mit einer größeren Enttäuschung endete. Was würde geschehen, wenn die Hoffnung irgendwann sein gesamtes Inneres mit einem Feuer erfüllte, dem er nicht mehr Herr werden könnte? Wandelte sich das alles dann schlagartig in Verzweiflung? Verwandelte er sich darauf in einen Dämon? Er hoffte, diese Antwort niemals erfahren zu müssen. Sein Herzschlag wurde von einem anderen Geräusch unterbrochen, das er als seinen SMS-Ton wiedererkannte. Als er daran dachte, dass Ferris ihm möglicherweise geschrieben hatte, wurde die Aufregung in seinem Inneren so groß, dass er rasch in seine Tasche griff, obwohl er keine Lust verspürte, sich zu regen, und sein Handy hervorholte. Ohne auf das Display zu sehen, öffnete er die SMS – und runzelte leicht verärgert die Stirn, als er feststellte, dass die Nachricht von Seline kam. Besonders, als er den unangenehmen Grund dafür lesen konnte: Vergiss nicht, dich morgen noch bei Cerise zu melden, sie will unbedingt mit dir reden. btw. ich hatte heute viel Spaß in der Spielhalle. =) Bis morgen, Faren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)