Ein unerfüllter Wunsch von Rabenkralle ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Ein gelegentliches Schlagen von Metall auf Porzellan erklang im Raum. Temari legte den Schwamm beiseite und nahm sich ein frisches Geschirrtuch, um die Teller und die Gabeln vom Abendessen abzutrocknen. Das Geräusch war erneut zu hören, dann wechselte in einen helleren Ton, bis es schließlich verstummte. Sie öffnete den Schrank, räumte erst die Teller und schließlich das Besteck in die Schublade und da sie es mit der rechten Hand tat, war der Klang nicht mehr zu hören. Sie wischte die Spüle trocken und benutzte das Tuch zum Schluss für ihre Hände. Temari streckte sie vor sich aus und betrachtete sie. Ihre Haut war vom Abwasch, den sie jeden Tag erledigte, ziemlich rau und einer ihrer nicht besonders langen Fingernägel war eingerissen. Sie musste zugeben, dass ihre Hände schon bessere Zeiten gesehen hatten, doch da sie mit einem Mann verheiratet war, der sich nicht daran störte oder dem es zumindest nicht wichtig genug war, um sie darauf anzusprechen, strebte sie in dem Punkt keine Veränderungen an. Ihr Blick fiel auf das schlichte Stück Silber, das sie am linken Ringfinger trug. Sie nahm den Ring nur selten ab – nicht mal zum Abwaschen, seit er einmal in den Ausguss gefallen war und sie ihn drei Tage lang gesucht hatte – und bis auf ein paar Monate, in denen er zwangweise an eine Kette an ihrem Hals gewandert war, hatte sie ihn immer an diesem Finger getragen. Sie berührte ihn mit ihrer Rechten und drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Wie sie hatte dieser Ring in den zehn Jahren, seit sie ihn besaß, einiges erlebt, doch sie hatte nicht einmal ernsthaft daran gedacht, ihn seinen ursprünglichen Besitzer wiederzugeben. Es hatte Momente gegeben, in denen sie sich gefragt hatte, ob er die Ursache für das Unglück sein konnte, das ihr nach der Heirat widerfahren war, bis sie gemerkt hatte, wie lächerlich der Gedanke war. Es war schließlich nur ein Schmuckstück und dass sie es zu etwa dem Zeitpunkt bekommen hatte, ab dem so vieles schief gelaufen war, war reiner Zufall gewesen. Ein Seufzen zog Temaris Aufmerksamkeit auf sich. Sie drehte sich um. Ihr Sohn saß am Küchentisch und erledigte seine Hausaufgaben. Seit er vor eineinhalb Jahren in die Akademie eingeschult worden war, hatte sich dies als tägliches Ritual etabliert und er erledigte es, ohne dass sie ihn dazu auffordern musste. Shikadai war ein intelligentes Kind. Er verstand schnell Zusammenhänge und das Lernen fiel ihm leicht, ohne dass er großartig etwas dafür tun musste. Er war nicht der Klassenbeste – dazu hatte er zu wenig Ehrgeiz und lernte nicht konsequent genug –, doch er schrieb meist gute Noten und das machte sie stolz. Sie hatte ihn streng aber liebevoll erzogen und sie wusste nicht, warum er sich mit seinen nicht einmal siebeneinhalb Jahren schon mit dem Ernst des Lebens beschäftigen sollte. Vor allem in dieser Zeit des Friedens wollte sie es ihm ermöglichen, dass er so lange wie möglich ein Kind sein konnte. Sie zog einen freien Stuhl vom Tisch ab, setzte sich und überflog das Blatt mit den Rechenaufgaben des kleinen Einmaleins, das er gerade löste. Vierzehn Aufgaben hatte er bereist richtig gelöst, nur mit der Fünfzehnten schien er zu hadern. Er zählte an den Fingern ab und fuhr sich über die Schläfen. »Acht mal sieben, acht mal sieben«, murmelte er. »Ach, Mist!« Temari schmunzelte. »Du sollst doch nicht fluchen«, ermahnte sie ihn. Shikadai sah auf und rollte mit den Augen, sagte aber nichts darauf. »Vierundfünfzig, fünfundfünfzig …« »Brauchst du vielleicht Hilfe?« »Danke, Mama« – ihr Sohn schaute sie vorwurfsvoll an – »jetzt kann ich mit dem Zählen von Vorne anfangen!« »Du sollst nicht zählen, sondern rechnen«, erinnerte sie ihn mit ruhiger Stimme. Der Junge seufzte. »Kannst du nicht irgendwem anders auf die Nerven gehen?«, fragte er. Die Frage traf sie wie eine Ohrfeige. Er tat ihre Ermahnungen gerne mal unbeeindruckt ab, aber so frech war er nur selten zu ihr. »Ich versuche nur, dir zu helfen«, meinte sie beherrscht. Das Gesicht ihres Sohnes erhellte sich wie nach einem Geistesblitz und er schrieb rasch eine Zahl. Es war die Sechsundfünfzig und somit das richtige Ergebnis. »Danke«, erwiderte er und präsentierte seiner Mutter ein breites Grinsen. »Aber wie du siehst, brauche ich deine Hilfe nicht.« Temari schenkte ihm ein falsches Lächeln und wandte sich ab. »Wenn du fertig mit deinen Hausaufgaben bist«, setzte sie an, »kannst du dich schon mal bettfertig machen.« »Was?«, empörte er sich. »Es ist noch nicht mal halb acht! Ich dachte, ich darf noch etwas fernsehen. Ich war schließlich den ganzen Tag unterwegs.« »Falsch gedacht«, gab sie zurück. »Du bist selbst Schuld, wenn du dich den ganzen Nachmittag mit Inojin im Wald herumtreiben musst.« »Er wollte mir eine Technik zeigen, die Tante Ino ihm beigebracht hat.« »Und das hat drei Stunden gedauert?« »Nein, ich –« Shikadai brach ab, räumte seine Sachen zusammen und schmollte: »Das ist unfair.« »Ist es nicht«, widersprach seine Mutter. »Du hast deine Prioritäten falsch gesetzt. Außerdem kannst du froh sein, dass es nur ein Abend ohne Fernsehen ist. Du weißt genau, dass du das Dorf nicht ohne die Begleitung eines Erwachsenen verlassen darfst.« »Behandle mich nicht immer wie ein Baby«, erwiderte er. »Inojin war dabei und Papa hat mir neulich auch erst etwas beigebracht.« Temari runzelte die Stirn. Dieses ewige Herumdiskutieren war eine Eigenschaft, die er sich leider von ihr abgeguckt hatte und das er für sein Alter schon ziemlich gut konnte. »Oh ja, ein feindlicher Shinobi wird von Inojins Holzschwertern und deinem Kagemane, das dreißig Sekunden hält, sicher eingeschüchtert sein«, meinte sie sarkastisch. Der Schmollmund ihres Sohnes verschwand und an seine Stelle trat ein Ausdruck, der ihr Herz eine Etage tiefer schickte. Es war ein Ausdruck purer Enttäuschung. »Du bist manchmal echt blöd!«, schmetterte er ihr entgegen, sprang auf und lief mit seinen Schulsachen aus der Küche. Nachdenklich starrte sie auf den Türrahmen und ein schlechtes Gefühl überkam sie. Wie sollte sie weiterhin von ihm verlangen, dass er andere mit Respekt behandelte, wenn sie ihm diesen selbst nicht immer entgegenbrachte? --- Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es fast halb neun war. Ihr schlechtes Gewissen hatte gewonnen und sie hatte Shikadai doch erlaubt, etwas länger aufzubleiben. Ein paar Minuten gab sie ihm noch, dann … Temari hörte, wie die Haustür geöffnet wurde und einen Moment später wieder ins Schloss fiel. Ihre Augen huschten nicht von dem Buch weg, das sie gerade las. Sie wusste schließlich, wer nach Hause gekommen war und so hatte sie sich jeden Kontrollblick abgewöhnt. Schritte erklangen und nach ein paar Sekunden, die sie schon routinemäßig innehatte, sagte sie: »Es ist spät geworden.« »Ich weiß«, antwortete Shikamaru und seufzte. Da sie wusste, dass sie gleich eine halbherzige Entschuldigung erwarten würde, die sie keineswegs zufriedenstellte, bevorzugte sie es, das Thema zu wechseln. »Der Rest vom Abendessen steht im Kühlschrank«, sagte sie, ohne von dem Roman aufzusehen. Er seufzte erneut, murmelte etwas, das sie wie »Schöne Begrüßung« anhörte und fragte dann: »Was hat dir die Laune verdorben?« »Nichts.« »Nichts?« »Ja, nichts«, bestätigte sie. »Wenn man mal davon absieht, dass deine Mutter mich heute Morgen wieder genervt hat.« »Sie ist halt ein wenig einsam.« »Dann soll sie sich ein paar Freundinnen in ihrem Alter suchen oder sich mehr um ihren Enkel kümmern«, meinte sie beiläufig. »Aber ich kann auf ihre Gesellschaft verzichten.« »Dann solltest du ihr das sagen.« Sie tat ein Lesezeichen zwischen die Seiten und klappte geräuschvoll das Buch zu. Für diesen großartigen Ratschlag hätte sie sich gerne nur allzu erkenntlich bei ihm gezeigt, aber die Energie sparte sie sich. Nach dem langen Arbeitstag ließ er ihre Argumente ohnehin nur wortlos über sich ergehen und damit war niemandem geholfen. Temari legte den Roman auf den Tisch und sagte: »Ich seh noch mal nach unserem Sohn und geh dann auch zu Bett.« »Schon?«, fragte Shikamaru überrascht. »Ja«, erwiderte sie, »ich treffe zwar keine wichtigen, politischen Entscheidungen, aber dieses viel zu große Haus instand zu halten ist alles andere als ein Waldspaziergang.« Im Anschluss stand sie von der Couch auf und verließ das Wohnzimmer, ohne ihn noch mal anzusehen. Er kam ihr auch nicht hinterher, denn er wusste ebenso gut wie sie, dass eine Diskussion über ein Thema, das spätestens morgen vergessen war, keinen Sinn machte. Sie ging den Flur entlang und blieb an dessen Ende vor Shikadais Zimmer stehen. Sie betrachtete die dunkle Tür und ihre Augen wanderten zu dem einsamen Haken, der aus ihr hervorragte. Bis vor ein paar Tagen hatte an ihm ein buntes Namensschild gehangen, das sie vor vier Jahren zusammen mit ihm gebastelt hatte. Ihr Sohn hatte es abgenommen, nachdem sein bester Freund ihn gefragt hatte, ob er dieses alberne, quietschbunte Ding noch so lange dort hängen lassen wollte, bis er Genin geworden war. Temari mochte Inojin – er war ein korrekter, fleißiger und manchmal etwas zu ehrgeiziger Junge, aber seine unsensible Art und dass er anderen gerne auf nicht gerade nette Weise sagte, was er von ihnen hielt oder was ihm an ihnen nicht passte, schätzte sie weniger. Sie drückte die Klinke herunter und spähte in das Zimmer. Shikadai saß auf seinem Bett und las in dem Sammelband mit Kurzgeschichten, den er zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Sie beobachtete sie einen Moment – sich in Bücher vertiefen konnte er genauso gut wie sie selbst –, dann meinte sie: »Es ist Zeit zum Schlafen.« »Gleich«, murmelte er, »nur noch zwei Seiten …« Sie schwieg kurz und sagte: »Ein Vorschlag: Du legst dich schon mal hin und ich lese dir den Rest vor.« Der Junge schaute sie skeptisch an. Er schien über das, was seine Mutter vorgeschlagen hatte, nachzudenken und antwortete schließlich: »Nein, ich möchte selbst lesen.« Temari war einen Augenblick sprachlos, dann setzte sie wieder an: »Ich verrate es Inojin auch nicht, damit er dich damit aufziehen kann.« Er schüttelte den Kopf. »Niemand in meiner Klasse lässt sich noch was von seinen Eltern vorlesen.« Sie wusste genau, dass das nicht stimmte. Karui hatte erst vor einigen Tagen erzählt, dass Chouji seiner Tochter immer noch jeden Abend zum Einschlafen dieselbe Geschichte vorlas. »Und was ist mit Chouchou?«, fragte sie und zog die Brauen hoch. »Chouchou ist ein Mädchen«, gab Shikadai prompt zurück. »Und ich bin kein Mädchen.« »Würdest du denn wollen, dass ich dir etwas vorlese, wenn du eins wärst?« »Auf keinen Fall!«, erwiderte er selbstsicher. »Ich bin schließlich schon groß und kein kleines Baby mehr.« »Dann warst du letzten Monat also noch ein kleines Baby?« »Mama, bitte«, begann er, »ich möchte einfach nur alleine lesen.« Sie starrte ihn ohne ein Wort an und bemerkte zu spät, dass sie sogar das Blinzeln vergessen hatte. »Du musst nicht so nett zu mir sein, weil du denkst, dass du mich ungerecht behandelt hast«, sprach er weiter. »Ein Tag ohne Fernsehen ist nichts gegen das, was Inojin wahrscheinlich aufgebrummt bekommt. Und Papa sagt auch dauernd, dass du sarkastisch ohne Ende bist und ich dann das, was du gesagt hast, nicht ernst nehmen soll – auch wenn ich nicht so ganz verstehe, was genau sarkastisch ist.« Er zuckte die Achseln und fuhr fort: »Es ist also alles okay. Und jetzt lass mich bitte zu Ende lesen.« »Gut«, sagte Temari und drehte sich wieder um. »Aber in einer Viertelstunde bin ich wieder hier.« Als sie wieder kam, war das Licht bereits aus und ihr Sohn eingeschlafen. Sie schlich aus seinem Zimmer und zog die Tür leise hinter sich zu. Ein flaues Gefühl lag ihr in der Magengegend und eine bittere Erkenntnis beschleunigte ihren Herzschlag, bis er sich für sie fast unangenehm anfühlte. Sie sank mit dem Rücken an die Tür und richtete niedergeschlagen ihren Blick auf den Boden. In ihrem Kopf tanzte unaufhörlich ein einziger Satz und der sorgte dafür, dass sie sich überflüssig und nutzlos fühlen ließ. Er braucht dich nicht mehr, dachte sie und lächelte traurig. Ihr kleiner Junge brauchte sie nicht mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)