Von Hogwarts nach Pays-sur-Mer von abranka ================================================================================ Kapitel 1: Von Hogwarts nach Pays-sur-Mer ----------------------------------------- Sally-Anne Perks hatte das Gefühl, dass sie die vermutlich schlechteste Schülerin in der Geschichte Hogwarts' war. Sie starrte auf den Trank, den sie gerade zusammengebraut hatte, schielte zurück in ihr Buch und seufzte leise. Der Trank sollte nicht graubraun sein und leise globsen. Hellgrün und ein heller Dampf waren das Ziel gewesen. Das unerreichbare Ziel. Hannah Abbott, ihre engste Freundin, saß neben ihr und tätschelte ihr tröstend die Schulter. Das half jedoch nur wenig. Natürlich würde Sally-Anne von Snape eine schlechte Note für diesen Trank bekommen. Und wieder würde sie diese mit dem nächsten Aufsatz ausgleichen und somit im Durchschnitt landen. Aber das hieß dennoch auch, dass sie in der Praxis keinen verdammten Trank brauen konnte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Sally-Anne musste zugeben, dass sie nicht unbedingt das umfangreichste Buch in der Bibliothek war und sicher die hellste Kerze des Kronleuchters, aber auch sie begriff, dass sie ein ernsthaftes Problem hatte. Mit vierzehn Jahren war man schließlich nicht mehr so unbedarft, wie man es die Jahre davor war. Und da ihre Eltern schwerlich in der Lage waren, ihr zu helfen oder irgendeine Unterstützung anzubieten – ihr Vater war Bergbauarbeiter, ihre Mutter Verkäuferin in einem Supermarkt und beide von Natur aus Muggel –, musste sie selbst eine Entscheidung treffen und sich einen Plan überlegen. Und der erste Schritt war, um Hilfe zu bitten. Anstatt in die Mittagspause zu gehen, suchte Sally-Anne somit an diesem kühlen Oktobertag die Hufflepuff-Hauslehrerin Pomona Sprout in ihrem kleinen Büro bei den Gewächshäusern auf. „Miss Perks, was kann ich für sie tun?“ Die kleine runde Hexe sah sie freundlich an und winkte sie zu sich herein. „Professor, ich habe ein Problem.“ Sally-Anne ließ sich auf dem Stuhl nieder und seufzte leise. „Die einfachste Beschreibung ist: Ich kann nicht zaubern. Ich bekomme die einfachsten Zauber und Tränke nicht hin und gleiche die schlechten Noten dafür immer mit meinen Aufsätzen aus. Am Ende steht eine durchschnittliche Note, aber ich kann einfach nichts.“ Professor Sprout sah sie irritiert an. Sally-Anne konnte ihr das nicht verdenken. Wenn man jemand wie Neville Longbottom in dem Jahrgang hatte, der ständig irgendetwas in die Luft jagte – egal, ob das sein Kessel war oder die Haarnadel, die er verwandeln sollte –, dann fiel jemand wie sie selbst daneben eben einfach nicht auf. So, wie sie nie auffiel. Sie war zu ruhig, zu zurückhaltend, dazu kamen das mausbraune Haar und die schlammgrünen Augen, die einem auch vermutlich nicht übermäßig in Erinnerung blieben. „Das kann doch nicht sein, Miss Perks... Einen Augenblick. Ich schaue eben in Ihre Noten.“ Sprout schob ihren Stuhl an die Wand und holte eine Schriftrolle aus einem Schrank. Stirnrunzelnd las sie, rollte das Pergament weiter aus, las stirnrunzelnd weiter und ließ sie schließlich zusammenschnappen. „Sie... haben Recht. Ich verstehe nicht, wie mir und meinen Kollegen das entgehen konnte. Das hätte uns auffallen müssen...“ „Aber ich falle einfach nicht auf.“ Sally-Anne seufzte leise. „Haben Sie eine Idee, wie wir dieses Problem lösen können?“ „Ein Problem?“, kam es von der Tür und beide drehten sie um. Dort stand Professor McGonagall. „Entschuldigen Sie, ich möchte mich nicht ungefragt einmischen, aber Probleme sind mein Spezialgebiet.“ Professor Sprout sah Sally-Anne an, die nur die Schultern hob. „Je mehr Ideen, desto besser.“ „Entschuldigen Sie, ich wollte Pomona eigentlich nur zum Mittagessen abholen.“ Professor McGonagall trat ein und richtete ihre Aufmerksamkeit dann ganz auf Sally-Anne. „Schildern Sie mir das Problem bitte auch noch einmal?“ Und Sally-Anne wiederholte es ganz brav und so ausführlich, wie sie nur konnte. Auch Professor McGonagall schaute sich ihre Noten an und wurde ähnlich blass wie zuvor Sally-Annes Hauslehrerin. „In der Tat, Sie sind uns vollkommen durch das Raster gerutscht, weil Ihre Gesamtnote immer durchschnittlich und damit in Ordnung ist. Aber in der Praxis haben Sie gravierende Lücken. Diese gehen zurück bis in das erste Schuljahr.“ McGonagall blinzelte Sally-Anne über den Rand ihrer Brille an. „Ich vermute mal, Sie können keinen Wingardium Leviosa wirken?“ Sally-Anne schüttelte stumm den Kopf. „Die Wiederholung eines Jahres macht unter diesen Umständen einfach keinen Sinn, Minerva“, sagte Sprout und schüttelte den Kopf. „Und noch mal ins erste Jahr können wir Sie nicht stecken.“ McGonagall runzelte die Stirn und dachte sichtbar angestrengt nach. Sally-Anne bekam langsam Angst. Sie wusste, dass ihr Problem groß war. Aber so groß? Würde sie so weitermachen müssen wie bisher und mit Trommeln und Dudelsäcken scheitern? Sie konnte sich auch Nachhilfeunterricht hier in Hogwarts nicht vorstellen. Wie sollte das denn neben dem dicht getakteten Stundenplan, dem neuen Stoff und den Hausaufgaben funktionieren? Sie hatte doch so schon ziemlich wenig Freizeit. Wenn sie das alles aufgeben musste, war sie innerhalb kürzester Zeit sicher komplett ausgebrannt – und würde im aktuellen Unterrichtsstoff auch noch in der Theorie hinterherhinken. „Ich habe da eine Idee.“ Professor McGonagall sagte die Worte langsam. „Und die wäre?“, fragte Professor Sprout noch vor Sally-Anne. „Nun, ich habe eine Freundin, die als Lehrerin tätig war. Sie ist letztes Jahr in den Ruhestand gegangen. Sie schuldet mit seit 1958 einen großen Gefallen... Damals... nun...“ Sie stockte und fand den Faden wieder. „Nun, warum sie ihn mir schuldet, ist ja auch nicht weiter wichtig. Wichtig ist, dass sie es tut. Das bedeutet, sie würde dich kostenlos unterrichten. Allerdings lebt sie in Frankreich. Keine Sorge, sie spricht Englisch“, warf sie ein, als sie erkannte, wie sorgenvoll Sally-Annes Gesichtsausdruck wurde. „Du müsstet natürlich parallel noch Französisch lernen... Allerdings ist sie wirklich ausgezeichnet. Ihr Spezialgebiet sind zwar Verwandlungen, aber Zauberkunst und Zaubertränke und alle weiteren notwendigen Fächer beherrscht sie auch. Ich könnte sie kontaktieren und eventuell könntest du schon nächste oder übernächste Woche bei ihr beginnen.“ „Und Hogwarts?“, fragte Sally-Anne leise. „Du würdest die Schule verlassen. Ihr hättet dann ein knappes Dreivierteljahr, um deine Lücken aufzufüllen. Danach... Du könntest dir überlegen, ob du nach Hogwarts zurückkommen und das vierte Jahr wiederholen möchtest oder ob du auf die französische Zauberschule Beauxbatons gehen möchtest. Dort könntest du komplett neu anfangen. Die Entscheidung bleibt dir überlassen. Wir werden solch einen Fehler wie bei dir sicher nicht noch einmal machen, aber natürlich wäre es nur zu verständlich, wenn du uns dein Vertrauen nicht noch einmal schenken möchtest, nachdem wir so eklatant versagt haben.“ McGonagall verstummte und Sally-Anne fühlte sich durch ihre Worte vollkommen verschlagen. Großbritannien verlassen? Nach Frankreich gehen? Dort lernen? Eventuell nicht nach Hogwarts zurückkommen und in Frankreich bleiben? Nun, eine Luftveränderung würde ihr sicher gut tun. Und wenn sie aus dem normalen Schulbetrieb heraus war, konnte sie gut all das üben und lernen, was sie jetzt eben nicht beherrschte. Es war eine Chance. Vielleicht die einzige, die sie bekommen würde. Und es war vermutlich die beste, die es überhaupt gab. Über Beauxbatons konnte sie ja noch nachdenken. Außerdem war doch gerade erst angekündigt worden, dass in zwei Tagen die Delegationen aus Beauxbatons und Durmstrang für das Trimagische Turnier eintreffen würden. Somit konnte sie die französischen Schüler einmal von Ferne beschnuppern. Natürlich war es tragisch, wenn sie das Turnier verpasste. Aber Sally-Anne war auch klug genug zu wissen, dass sie gerade eine wichtige Entscheidung über ihre Zukunft treffen musste. Und wenn sie Hogwarts verließ, war das Trimagische Turnier eh nicht mehr wichtig. „Schreiben Sie meinen Eltern?“, bat sie. „Ich weiß nicht, ob ich es ihnen gut erklären kann und einem offiziellen Brief der Schule werden sie nicht widersprechen. Sie sind Muggel und sie verstehen diese ganze Zauberer- und Hexensache nicht. Wenn sie begreifen, dass ich hier scheitere, dann nehmen sie mich einfach von der Schule und ich sitze demnächst auch im Supermarkt an der Kasse... Und habe ein schlummerndes magisches Talent, das ich absolut nicht unter Kontrolle habe.“ Sally-Anne schnitt eine Grimasse. „Und wo ich weiter zur Schule gehen werde, das würde ich gerne entscheiden, sobald der Nachhilfeunterricht abgeschlossen ist.“ McGonagall und Sprout nickten. „Natürlich. Das ist eine gute Entscheidung.“ Professor Sprout lächelte Sally-Anne aufmunternd an. „Alles wird gut werden.“ Dann stockte sie. „Minerva, wie heißt deine Freundin eigentlich?“ „Arlette Melisende Delalloutier.“ *** Tatsächlich dauerte es nur eine Woche, bis das Okay aus Frankreich kam, Sally-Anne ihre Sachen gepackt hatte und in Begleitung von Minerva McGonagall Hogwarts verließ. Es war ein komisches Gefühl fortzugehen und nicht zu wissen, ob sie jemals hierher zurückkehren würde. Sie machten einen Spaziergang bis Hogsmeade, von dort führte sie das Flohnetzwerk in den Portschlüssel-Hafen unterhalb des Muggel-Flughafens Heathrow in London und von dort per Portschlüssel wiederum in die französische Küstenstadt Bordeaux. Hier wiederum wartete erneut ein Kamin auf sie, der sie in eine kleines Dorf an der Atlantikküste brachte. Genauer gesagt landeten sie in einem kleinen Restaurant mit dem Namen Marée du jour. Professor McGonagall grüßte den Wirt freundlich, der hinter der Theke leise vor sich hingrummelte, als sie ohne längeren Aufenthalt direkt das Lokal wieder verließen, und dann standen sie auf einer schmalen Straße, die mehr an einen sandigen Trampelpfad erinnerte. Sally-Anne schaute sich um. Die handvoll Häuser waren alle aus Holz und sie sahen alle etwas heruntergekommen aus. Das mochte aber auch an dem scharfen Wind liegen, der den Sand der Düne vor sich her trieb. Außerdem war die Saison gerade vorbei – keine Touristen kamen mehr und somit brauchte sich das Örtchen auch nicht mehr herauszuputzen. Ein wenig fühlte sich Sally-Anne an ihren Heimatort erinnert, hier jedoch roch es deutlich besser. Dafür sorgten schon allein der durchdringende Geruch nach Salz und dem nahen Meer sowie der frische Duft des Pinienwaldes auf der Landseite des Dorfes. „Minerva!“ Eine schmale Frau kam ihnen entgegengeeilt. Sie war klein, sehr zierlich und der Wind zerrte an ihrem aschblonden Haar. „Arlette!“ Professor McGonagall begrüßte die alte Freundin herzlich und Sally-Anne musste ein wenig schmunzeln als die beiden Frauen Wangenküsschen austauschten. „Das ist also die schwarze Schaf?“, erkundigte sich dann die fremde Hexe und musterte Sally-Anne aufmerksam. Diese fühlte sich durch die Wortwahl doch etwas angegriffen und gleichzeitig durch den prüfenden Blick regelrecht durchleuchtet. „Der Flubberwurm namens Sally-Anne Perks, ja“, gab sie frech zurück und erntete eine kraus gezogene Nase. „Zumindest bist du nicht auf den Kopf gefallen. Schlagfertigkeit ist gut. Für dich bin ich Madame Arlette, meine liebe Sally.“ Madame Arlette sprach ihren Namen mit einem langen A aus und Sally-Anne stellte fest, dass ihr das ganz gut gefiel. Sie mochte noch nicht einmal protestieren, dass die zweite Hälfte ihres Vornamens, auf die sie immer Wert legte, weggelassen wurde. „Aber bitte, kommt mit in mein bescheidenes Haus.“ Die französische Hexe deutete auf das Haus auf der Spitze der Düne, das über dem gesamten Ort zu thronen schien. Das Haus war eher spartanisch, aber gemütlich eingerichtet. Alle Möbel und anderen Einrichtungsgegenstände wirkten alt und abgenutzt, aber auch sorgfältig gepflegt. Sally-Anne lauschte dem Gespräch zwischen den beiden älteren Hexen und war froh, noch ein wenig schweigen zu dürfen. Sie war müde von der Reise und hatte das Gefühl gehabt, die ganze Zeit eine besondere Prüfung durch die Gryffindor-Hauslehrerin bestehen zu müssen. Jetzt konnte sie sich langsam ein klein wenig entspannen. „Also“, wandte sich Madame Arlette schließlich an Sally-Anne. „Mein Enkel Florimon wird mit dir Französisch lernen. Es ist gut für sein Englisch und du musst unsere Sprache sprechen, damit du hier zurecht kommst und dich niemand für eine dumme Touristin hält. Sobald dein Französisch gut genug ist, wird unser Unterricht nicht mehr in Englisch stattfinden. Und sei dir sicher, ich werde es merken, falls du dich nicht bemühst.“ Sie schenkte Sally-Anne einen scharfen Raubvogelblick. So langsam ahnte das Mädchen, dass das hier ein anstrengendes Unterfangen werden würde. „Aber... geht ihr Enkel“ - sie hatte den komplizierten Namen schon wieder vergessen - „nicht zur Schule?“, fragte sie schüchtern. „Doch. Er ist ein Squib und geht in Mimizan auf die Muggelschule, das Collège Jacques Prévert de Mimizan. Er lebt allerdings mit seiner Mutter nur drei Häuser weiter, kann sich also abends gut um dich kümmern. Er kennt die Zaubererwelt.“ Madame Arlettes Miene schien mehr als deutlich zu sagen, dass Sally-Anne es bloß nicht wagen sollte, auf ihn herunterzublicken. Aber wie könnte sie das auch? Sie hatte ja eh meist kaum das Gefühl, etwas anderes zu sein als ein Squib... Gemeinsam entwickelten sie mehrere Stunden lang einen Lehrplan und Sally-Anne musste immer wieder vorführen, was sie konnte und was sie nicht konnte. Außerdem erläuterte Professor McGonagall die Lehrmethoden, die in Hogwarts zum Einsatz kamen, und Madame Arlette bemühte sich, nicht zu offensichtlich das Gesicht zu verziehen, während ihr wohl immer mehr das Ausmaß ihrer Aufgabe vor Augen geführt wurde. Nach dem Abendessen verabschiedete sich die Lehrerin und machte sich auf den langen Rückweg nach Hogwarts. Sally-Anne dagegen sank in ihrem neuen Zimmer – das nett, aber eher karg eingerichtet war – todmüde auf das Bett. Sie hatte langsam Angst vor dem, auf das sie sich eingelassen hatte. *** Liebe Hannah, habe herzlichen Dank für Deinen Brief. Ich bin so froh, dass du mich nicht vergessen hast! Ich beneide dich ein wenig um die Vorbereitungen auf den Julball. Bitte schick mir ein Foto von Dir und Ernie in Eurem Ball-Outfit. Ich möchte Euch unbedingt darin sehen! (und ich freue mich soooo, dass er Dich gefragt hat! Hab viel Spaß!) Tja... bei mir besteht die Zeit aus Lernen. Es ist unglaublich viel, aber das ist auch kein Wunder, da ich ja drei Jahre nachholen muss und für das vierte Schuljahr am besten auch gleich lernen sollte... Aber so langsam wird es. Madame Arlette ist aber auch wirklich speziell. Stell dir Professor McGonagall in schick, noch strenger, mit einem französischen Akzent und Snapes bissigen Kommentaren vor. Das trifft es ungefähr. Aber ich lerne und so langsam kann ich wirklich zaubern! Wir hatten den Durchbruch, als ich den Zauberstab von der rechten in die linken Hand wechseln sollte. Ich dachte erst „was ein Blödsinn“, aber das war es überhaupt nicht! Ich bin ein Linkszauberer, wie Madame sagt. Das heißt, ich mache zwar alle anderen Dinge mit der rechten Hand, aber meine Verbindung zur Magie liegt in der Linken. Ich habe also all die Jahre mit der falschen Hand gezaubert... Verrückt, dass ein Teil meiner Unfähigkeit an so etwas liegen kann... Aber seither wird es wirklich. Ich lerne aber auch den ganzen Tag. Wenn ich einmal eine Pause machen darf, dann spaziere ich durch Pays-sur-Mer. Das Dorf ist wirklich winzig, aber es liegt wunderschön direkt auf den Dünen. Man läuft nur die Düne hinunter und steht schon am Strand. Und das Meer ist hier einfach gewaltig. Kein Vergleich zu dem, was ich Zuhause gesehen habe. Der Atlantik scheint einen mit seinem Zauber regelrecht zu erschlagen. Ich gehe gerne am Strand spazieren oder durch den Pinienwald, der das Dorf an der Landseite umgibt. Es ist nicht weit bis zur nächsten Muggel-Siedlung, aber Pays-sur-Mer ist sehr gut mit Zaubern abgeschirmt. Mein Nachhilfelehrer für Französisch geht in Mimizan, einem der Muggelorte, zur Schule. Florimon heißt er (was für ein komplizierter Name!), aber ich darf ihn Flori nennen. Er ist Madames Enkel und ein Squib. 13 Jahre ist er alt, aber das Jahr Altersunterschied merkt man gar nicht. Er findet es schade, nicht zaubern zu können, aber er hat sich damit abgefunden. Er will das Beste aus beiden Welten mitnehmen, wie er immer sagt. So viel Magisches kennenlernen, wie möglich, aber sich auch in der Muggelwelt orientieren. Ein schwieriger Weg, finde ich. Aber ich kann ihn auch verstehen. Mir würde es genauso gehen, wenn dieser Magie-Nachhilfeunterricht nichts bringen würde. Dann wäre ich ja auch nichts anderes als ein Squib. Flori ist wirklich großartig. Er hat riesige graue Augen und schulterlange blonde Haare. Ein bisschen wie Draco Malfoy, aber in nett und in gutaussehend. Nicht so missmutig, sondern sehr lebenslustig. Er ist mein Lichtblick hier. Es macht Spaß, von ihm Französisch zu lernen. Ich bin mittlerweile so gut, dass Madame die Hälfte ihres Unterrichts auf Französisch macht. Immerhin stelle ich sie so etwas zufrieden. Bei allem anderen brauche ich ihr wohl noch immer viel zu lange... Am schlimmsten finde ich den Unterricht in Zaubertränke. Dabei bekommt Madame Unterstützung von Monsieur Fontelianne. Er ist der ortsansässige Heiler und kritisiert alle meine Versuche in Grund und Boden. Merlin sei Dank ist er dabei freundlicher als Snape, aber ich komme mir jedes Mal vor wie ein totaler Flubberwurm... Aber immerhin: Meine Tränke globsen nicht mehr so komisch. Ich schätze, das wäre schon fast eine Auszeichnung wert. Schreib mir bald wieder und erzähl mir mehr vom Trimagischen Turnier und vom Julball. Ich drücke Harry und Cedric ganz fest die Daumen! Grüß bitte alle, die noch an mich denken. Alles Liebe, Deine Sally-Anne *** Sally-Anne stand auf der Düne und blickte auf den Atlantik hinaus. Es war warm an diesem 30. Juni und die Sonne blendete sie ein wenig. Ihre Sonnenbrille hatte sie in den Haaren stecken, an denen der Wind zerrte, aber momentan genoss sie diese Helligkeit. Heute endete das Schuljahr in Hogwarts und ihre Schulkameraden fuhren nach Hause. Es würden traurige Sommerferien werden, wie sie aus Hannahs letztem Brief entnommen hatte. Cedric Diggory, ein sehr beliebter Schüler aus Hufflepuff und etwas älter als sie, war bei dem Trimagischen Turnier ums Leben gekommen. Und nicht nur das: Gerüchten und Professor Dumbledore zufolge war er von Dem-dessen-Namen-nicht-genannt-wird umgebracht worden. Ein kalter Schauer rann über ihren Rücken. Sie konnte sich gar nicht ausmalen, wie es all den anderen ergehen mochte. Trauer und Mitgefühl überwältigten sie. Aber Angst vor dem Dunklen Lord machte sich auch in ihr breit. Was, wenn er wirklich zurückgekehrt war? Sie war muggelgeboren. Ein Schlammblut. Sie dachte an ihre Eltern, die so unglaublich wenig mit der magischen Welt zu tun hatten und die ihre Tochter so überhaupt nicht verstanden. Ja, die sich noch nicht einmal groß Gedanken darüber gemacht hatten, sie nach Frankreich zu ihnen vollkommen fremden Menschen zu schicken. Offenbar waren sie der Ansicht, dass sie mit damals vierzehn und mittlerweile fünfzehn Jahren über sich selbst zu entscheiden hatte. Und wenn Sally-Anne ehrlich zu sich war, dann wusste sie, dass sie das auch musste. Sie liebte ihre Eltern, aber sie gab sich auch keinerlei Illusionen über sie hin. Sie würden ihr bei ihrem Leben und ihren Entscheidungen nicht helfen können. Sicher waren sie irgendwo und irgendwie stolz auf sie und sie liebten ihre Tochter auch sicherlich. Nur: Verstehen konnten sie das alles nicht. Alles, womit sich Sally-Anne befasste, war ihnen vollkommen fremd. Wenn der Dunkle Lord zurückkehrte, dann wurde Großbritannien für sie gefährlich. Es war schließlich allgemein bekannt, dass er für eine altmodische Sichtweise stand, die reinblütige Zauberer und Hexen über alle anderen stellte. Wenn sie nicht dorthin zurückkehren würde, würde nicht nur sie aus dem Blickfeld verschwinden, sondern auch ihre Eltern... Wer interessierte sich denn schon für ein Muggelehepaar, dessen Kind aus Großbritannien fortgegangen war? Ihre Gedanken zogen weiter dazu, wie sehr sie sich in diesem Jahr an der Atlantikküste verändert hatte. Sie konnte endlich zaubern. Zwar brauchte sie immer noch ewig, um einen neuen Zauber zu lernen, aber sie schaffte es. Sie blockierte sich nicht mehr selbst, indem sie mit ihrer schwachen rechten Hand zaubern wollte, sondern nahm ihre 'magische' linke Hand. Außerdem ließ sie sich Zeit, um einen neuen Zauber zu lernen. Sie setzte sich nicht mehr unnötig unter Druck, sondern übte einfach ausdauernd und in dem Wissen, dass es eben so lange dauerte, wie es dauerte. Das war das Gegenstück zur Legasthenie – Magicathenie, wie ihr Madame Arlette erklärt hatte. Ihre Nachhilfelehrerin würde das ihrer neuen oder alten Schule mitteilen, damit das bei Prüfungen berücksichtigt werden konnte und sie einfach etwas mehr Zeit bekam. Tja, nur welche Schule sollte es werden? Sie stand vor der Wahl: Rückkehr nach Hogwarts oder Neuanfang in Beauxbatons. Ihr Französisch war mittlerweile gut genug, dass sie sich für die französische Schule entscheiden konnte. Madame Arlette hatte ihr angeboten, ein Stipendium für sie zu organisieren, so wie sie es auch für Hogwarts bekommen hatte, weil ihre Eltern einfach nicht wohlhabend genug waren, um das Schulgeld aufzubringen. Sie hatte die freie Wahl. Sie blickte hinunter zum Strand, wo Florimon einen Drachen steigen ließ. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. In diesem besonderen Jahr waren sie enge Freunde geworden und vielleicht auch auf dem Weg, mehr als das zu sein. Sie war sich nicht ganz sicher. Sie wusste nur, dass sie ihn sehr mochte und es genoss, Zeit mit ihm zu verbringen. Sie streckte die Arme aus und genoss den Wind auf ihrer Haut. Den Kopf in den Nacken gelegt atmete sie tief durch. Ja, Frankreich konnte vielleicht doch der Ort sein, an dem sie bleiben wollte. Ein Ort, an dem ihr anderes, neues Ich sich weiter entfalten würde und sie einen Neuanfang machte. Sally-Anne senkte den Kopf wieder und rannte die Düne hinunter zu Florimon. Aber heute, heute war sie einfach ein Mädchen an einem Sommertag am Meer, das sich darauf freute, gleich in den Wellen zu toben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)