Dornröschen... von EmmaAngen ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Kapitel DREI …wurde zur Berühmtheit – eher unfreiwillig! „Wenn ihr mich fragt hat der Vogel sie nicht mehr alle“ brummte ich und stocherte mit leicht angewiderter Miene in meinen Spagetti herum. Nicht das ich Spagetti nicht mochte, doch seit der Lernphase des Essens standen feste Nahrung und ich allgemein auf Kriegsfuß. Man konnte es quasi mit der unsinnigen Angst vergleichen etwas zu schlucken. Oh Gott, das klang auf so unglaublich vielen Ebenen falsch… „Ich finde es unheimlich romantisch“ warf meine Schwester ein, doch Marko schüttelte nur den Kopf „Noah hat schon irgendwo recht. Dieser Felix nimmt sich gewaltig viel raus, aber er hat Noahs neuen kratzbürstigen Charakter noch nicht kennengelernt – da erscheint es mir falsch von Liebe zu reden“. „Na danke aber auch“ so eine männliche Zicke war ich sicherlich nicht. Obwohl ich meine derzeitigen Stimmungsschwankungen selbst kaum ertrug. Wenn ein Arzt bei mir nun Schizophrenie diagnostiziert, würde ich es ihm ohne weites abkaufen. Zumindest unter den momentanen Umständen. „Viel schlimmer finde ich es allerdings, dass ihr Beide auch gar nichts dagegen unternommen habt. Ihr habt dabei zugesehen wie ein wildfremder Typ in eurer Abwesenheit in meinem Zimmer ein und aus ging. Was wenn es ein Psychopath gewesen wäre? Vergewaltigung? Mord?“ es schüttelte mich am ganzen Leib. Schon allein die Vorstellung genügte. Was wenn er mich berührte während ich schlief? „Du bist ein ziemlicher Schwarzseher geworden Noah“ Marko deutete mit seiner Gabel auf mein Essen um mich aufzufordern auch endlich mit dem Verzehr seiner Kreation zu beginnen. „Außerdem ist Felix wirklich super nett“ mischte sich meine Schwester erneut ein und schien den Mann aus dem Radio geradezu anzuschmachten. Verdammt, sie war erst zwölf! Entschuldigung, dreizehn. „Schön für dich, dann heirate ihn doch wenn du alt genug dafür bist. Außerdem kann das doch auch nicht rechtens sein!“ zickte ich über den Tisch, doch mein abwehrendes Verhalten löste bei meiner pubertierenden Schwester nur ein Schmunzeln aus „Ach du bist wirklich ein süßer großer Bruder Noah“. „Zudem deine Mutter ja auch mal etwas hätte sagen können“ verteidigte sich Marko, auch wenn mir sein belustigter Gesichtsausdruck nicht entging. Wenigstens konnte er sich köstlich amüsieren. Marko geriet ja auch nicht in die Lage seinen Namen nie wieder in der Öffentlichkeit erwähnen zu können. „Mal ganz abgesehen davon, dass Felix Rosenthal gar nicht so unbedingt fremd ist“ erneut gerieten meine Gedanken ins Strudeln und das leichte stetige Pochen im Bereich meiner Schläfe wurde drängender „Wie bitte?“. Und dann geschah etwas Ungewöhnliches. Für einen Bruchteil der folgenden Sekunde wurde es ungewöhnlich still am Essenstisch. Beinahe wäre es mir sogar entgangen wie unauffällig Anna und Marko rasche Blicke austauschten. Was ging hier gerade vor? Was bekam ich nicht mit? Und zum Teufel noch einmal, was verschwiegen die Beiden mir? Marko räusperte sich leise „Na Felix ist nicht unbedingt fremd meinte ich“. Doch seine Worte ließen mich weiterhin im Dunkeln tappen. „Aha. Ich kenne ihn also?“ hakte ich ruhig nach und zog voller Misstrauen eine Augenbraue in die Höhe. Nun war auch Anna an der Reihe auffällig kräftig zu nicken „Seine Mama hat geheiratet und eigentlich heißt Felix mit Familiennamen Lemke“. Meinem Gesicht konnte man deutlich entnehmen, dass ich kein Stück schlauer wurde. „Ich kenn keinen Lemke“ endlich fand eine Gabel voller Spagetti ihren Weg in meinen Mund. „Doch, doch. Der Junge dessen Mutter das Café Goldregen gehört. In dem hat Papa uns doch immer nach der Schule Eis gekauft“. Nein, bei mir klingelte nichts. Mein Blick wanderte von Marko zu Anna bis hin zu meinem Teller, welchen ich nun doch von mir schob. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass mir meine Familie etwas verschwieg. „Nein. Ich kenne weder einen Felix Rosenthal noch einen Felix Lemke und ich werde jetzt meine Volljährigkeit dafür nutzen um herauszufinden ob er meinen Namen überhaupt vollständig im Radio nennen darf. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sowas erlaubt sein soll“ niemand sollte sich momentan über meine Verärgerung wundern. Irgendein Typ den ich nicht kannte veröffentlichte meinen vollständigen Namen im Radio und nur ich sollte darunter zu leiden haben? Sicherlich nicht. Brummend griff ich nach meinen Krücken und stand auf. „Was hast du jetzt vor Noah?“ fragte Marko unsicher und ich konnte ein spottendes Schnauben nicht verhindern „Ich werde zu diesem Radiosender fahren und verlangen, dass man diesen Spinner feuert. Oder sie verklagen!“ „Und von welcher Rechtsschutzversicherung willst du das tun?“ nun war ich komplett verwirrt „Rechtsschutz was?“. Marko schmunzelte „Na ja, entweder stellst du einen Antrag auf Rechtsbeistand bei der zuständigen Behörde oder du hast eine Rechtsschutzversicherung. Andersherum musst du die Anwaltskosten selbst tragen. Ganz zu schweigen von den Kosten die auf dich zukommen falls du mit deiner geplanten Klage nicht durchkommst“. Erwachsen sein ist scheinbar ziemlich scheiße…“Ich werde da trotzdem hinfahren“. Mein Trotzkopf wollte nicht nachgeben. „Um die Uhrzeit ist Felix vermutlich gar nicht mehr im Radiosender“ ich folgte Markos Hand, welche kurz auf die Uhr an der Wand deutete – fast neun Uhr abends. Mist. „Zudem…von welchem Geld willst du das Fahrticket bezahlen?“. Geld. Geld. Geld. Alles schien sich mit einer Volljährigkeit nur um Geld zu drehen. „So ein blödes Fahrticket wirst du mir ja wohl zahlen können. Ich bin dein Kind. Bekomme ich jetzt plötzlich kein Taschengeld mehr?“ ich klang vermutlich etwas pampig. Markos schmunzeln entwickelte sich zu einem Grinsen als er sich nach hinten lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte „Ich dachte du bist jetzt volljährig. Wie sieht es damit aus, dass du deine Fahrtickets selbst zahlst“. „Und von welchem Geld du Schlaumeier“ Anna schien unser Gespräch still und gespannt zu verfolgen. „Na ja, solltest du eine Schule besuchen würde ich dich natürlich finanziell unterstützen und dich morgen sogar an dem Radio absetzten. Doch anderweitig musst du dir wohl ziemlich schnell einen Job suchen“. Es wurde still in der Küche. Ich spürte wie sich mein Kiefer anspannte und mir eine schreckliche Tatsache bewusst wurde. Dieses Gespräch existierte nur teilweise um mich auf den Arm zu nehmen. Unter anderem war es auch ein versteckter Wink mit dem Zaunpfahl. Oder wohl eher mit dem gesamten Zaun. „Das ist Erpressung“ zischte ich Marko entgegen, welcher nur leise lachend den Kopf schief legte „Nein lieber Noah. Ich bin Geschäftsmann. Wir erpressen nicht, wir verhandeln“. „Bekomme ich dann mehr wenn ihr Noah kein Taschengeld mehr zahlt?“ ertönte die leise Stimme aus dem Hintergrund und meine Schwester erntete einen giftigen Blick meinerseits „Nein, aber ich kann dich gerne in den Keller sperren, wenn du mir weiterhin dermaßen in den Rücken fällst. Wie gefällt dir das?“. „Wenn du jemanden versuchst zu bedrohen, dann bist du wirklich zuckersüß Noah“ manchmal würde ich meine kleine Schwester gerne erwürgen. Denn es lag nicht an mir. Es lag an ihr. Seitdem ich wieder hier wohnte, spürte ich erst die Auswirkungen der weiblichen Pubertät. Es war ein Grauen. „Auseinander ihr beiden Oberzicken“ Marko stand auf, griff nach den Tellern und begann mit dem Abräumen, seinen strengen Blick auf mein kaum angerührtes Essen entging mir nicht. Er machte sich einfach zu viele Sorgen. Hätte ich mit den Händen nicht meine Krücken führen müssen, dann hätte ich meine Arme bestimmt bockig vor meiner Brust verschränkt „Ich bin keine Zicke. Ich bin ein Mann“. Anna grinste „Dann bist du halt ein Ziegenbock“ – „Anna. Stelle dir jetzt einfach vor, dass ich dir meinen Mittelfinger ins Gesicht halte“. Von Marko kam ein schwaches Räuspern. „Was soll’s“ ich schnalzte verärgert mit der Zunge und machte mich daran die Küche zu verlassen „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen…“. ~ Neugierig machte ich mich daran meinen neuen Laptop auszuprobieren. Offenbar sollte es doch Vorteile haben, ein ehemaliger Komapatient zu sein. Marko und meine Mutter schienen äußerst spendabel. Ein neuer Laptop, ein hübsches Handy mit verflucht großem Display und sogar richtige Chucks standen in meinem Zimmer herum. Nebenbei tat sich die Frage auf wo zur Hölle mein altes Handy abgeblieben war. Was würde ich darum geben es mir endlich wieder irgendwo im Schneidersitz bequem zu machen, doch stattdessen saß ich in einer ziemlich unbequemen Pose an das Kopfende meines Bettes gelehnt und malträtierte die Suchmaschine. Die Ergebnisse auf meine Suchanfrage überschlugen sich nahezu. Die Suchmaschine zeigte mir endlos viele Seiten zu dem Namen Felix Rosenthal an – gefolgt von dem Bild eines breit grinsenden Sonnyboys. Es schüttelte mich. Schon vor meinem Unfall stand ich nicht auf solche Dauergrinser. Jan besaß zwar eine ordentliche Portion grandiosen Humor, doch genauso liebte ich seine stets grimmige Art. „Hör bloß auf mich so anzugrinsen. Du Spast…“ die gesamte Situation machte mich unfassbar wütend. Im Internet standen nur Dinge geschrieben, welche ich bereits von meiner Schwester wusste. Fünfundzwanzig Jahre alt, Frauenschwarm, arbeitet fürs Gute Laune Radio und ist schwul. Ich meine so richtig schwul. Er mochte lange Spaziergänge, Shoppingtouren, hätte gerne mindestens ein Kind, einem Essen in Kerzenschein schien er auch nicht abgeneigt und außerdem mochte er Hundewelpen. Okay, jeder mochte Hundewelpen, doch die restlichen Vorlieben fand man dann doch eher bei dem anderen Geschlecht. Außerdem fuhr er einen quietschgelben Opel Adam. Was lief nur falsch bei dem Typen. Was machte seine Mutter in seiner Erziehung für einen entscheidenden Fehler? Woher bekam ich die Zeitkapsel um diesen Fehler zu beheben und meine Zukunft zu retten? Schnaufend öffnete ich sein Facebook Profil und klickte wahllos durch seine Bildergalerie. Auf jedem gottverdammten Bild grinste er wie ein Honigkuchenpferd in die Kamera – egal ob selbst geschossen oder von einem Zweiten. Mir kam es ganz labbrig die Galle hoch. Doch vielleicht lag es nicht unbedingt an seinem sonnigen Gemüt – vielleicht viel mehr daran, dass ich mich darin wiedererkannte. Zumindest in der Zeit vor meinem Unfall. Es fiel mir um einiges leichter auf alles und jeden wütend zu sein, anstatt einfach mal zu lächeln. Die Ärzte meinten es wäre normal, doch es belastete mich furchtbar. Ich wollte lachen und glücklich sein, dankbar dafür überlebt zu haben. Aber es gelang mir nicht, dafür drängten sich des Öfteren unangenehme Gedanken auf welche mich scheinbar mit größter Mühe vom Gegenteil überzeugten wollten. Seufzend wollte ich den Laptop zu klappen als ein leiser Ping ertönte. Irritiert schob ich den Laptop wieder auf – eine Nachricht. »Es tut mir schrecklich leid. Das war absolut dumm von mir. Irgendwie sind heute Nachmittag die Pferde mit mir durchgegangen. Deine Mutter rief im Radiosender an und hat meinen Vorgesetzten geradezu durchs Telefon gezogen. Mit Klage gedroht und mein Chef ist daraufhin explodiert – ich glaube das war es erstmal mit meiner Gehaltserhöhung. Falls es dich beruhigt, ich wurde dafür beurlaubt. Na ja, vermutlich sollte ich glücklich sein meinen Job im Radiosender irgendwann noch einmal ausüben zu dürfen. Viele Grüße Felix Rosenthal. P.S. hoffentlich liest du das hier überhaupt…« „Jetzt muss ich dich wenigstens nicht mehr im Radio ertragen“ damit loggte ich mich aus uns fuhr den Laptop herunter. Ein sachtes Klopfen an meiner Zimmertür ließ mich aufschauen. Marko steckte seinen Kopf hinein „Und beruhigt?“. „Mama hat im Radiosender angerufen und die Sache geregelt. Zumindest was Rosenthals gerechte Strafe betrifft. Es ändert nur immer noch nichts an der Tatsache, dass alle die heute den Sender gehört haben nun meinen Namen kennen. Glaubst du es gibt die Möglichkeit eine Namensänderung zu beantragen? Oder vielleicht auch ins Zeugenschutzprogramm eingegliedert zu werden“ Markos lachen drang durch den Raum als er die Tür aufstieß und sich meinem Bett näherte um am Rand einen Platz einzunehmen. „Mh. Ich denke wohl eher nicht. Zumindest nicht wegen solch einem Vorfall“. Fürsorglich tätschelte Marko mir mein Schienbein „Aber die Menschen neigen dazu Dinge rasch zu vergessen. Vielleicht nimmt es auch niemand wirklich für voll und noch unwahrscheinlicher ist der Fall, dass sich wirklich alle den genannten Namen merken“. „Deine Worte in Gottes Ohren Marko“ ich schien dahingehend um einiges pessimistischer als Annas Vater. Er zuckte mit den Schultern „Aber lass es für heute einfach ruhen. Es ist spät und ein wenig Schlaf tut dir gut. Außerdem wartete Anna nur darauf dich zu fragen ob sie bei dir schlafen kann. Aber pscht“ er legte sich den Zeigefinger auf die Lippen „Die Information hast du nicht von mir“. Ein Schmunzeln meinerseits keimte auf „Schon okay. Kannst du mir etwas zum Schlafen aus dem Schrank holen?“. Eigentlich würde ich es selbst tun, doch in meinen Beinen spürte ich deutlich die Anstrengung des Tages. „Selbstverständlich“ ein weiteres Mal klopfte mir Marko liebevoll auf mein Bein und stand auf um nur wenige Sekunden später in meinem Kleiderschrank herumzukramen. Mit einem weiten grauen Shirt und einer dünnen Jogginghose kam er zurück „Soll ich dir helfen?“. Rasch schüttelte ich meinen Kopf „Ne, das schaffe ich schon alleine…“. Ich wollte nicht mehr von anderen wie eine Puppe an und ausgezogen werden. „Schlaf schön Noah“ Marko begab sich zur Tür, wendete sich noch einmal zu mir herum und lächelte schon fast traurig in meine Richtung „Ich bin unglaublich glücklich, dass du wieder zuhause bist mein Großer“. Mein Herz zog sich zusammen und dennoch verspürte ich tiefe Erleichterung „Ich bin auch froh noch hier sein zu können“. Er drehte sich um, wollte gerade die Tür hinter sich zuziehen als ich noch einmal meinen Mut zusammen nahm „Marko?“ irritiert trafen mich seine Brauen Augen „Ich hab dich lieb“. Und nun wurde das traurige Lächeln zu einem weichen „Ich dich auch Noah“. ~ Doch der Albtraum brach nicht ab. Kaum schaffte ich es am nächsten Morgen mein neues Handy einzurichten traf mich der nächste Schock. Kaum hatte ich mich auf der Social Media Plattform angemeldet wurde mein Messenger mit abstrusen Nachrichten überfüllt. Als allererstes fragten einige freundlich ob ich denn der junge Mann aus dem Radio wäre, einige anderen beschimpften mich als eklige Schwuchtel, wiederum gänzlich andere drückten mir und Rosenthal die Daumen. Um Gottes willen, drehten die alle am Rad? „Ist doch halb so wild“ äußerte sich meine Schwester zu der momentanen Situation „Ist doch cool, jetzt bist du so etwas wie eine Berühmtheit“ „Ja, aber ich möchte vielleicht keine ‚Berühmtheit‘ für irgendwelchen unnötigen Mist sein“ es reichte schon, dass Anna mir heute Morgen erzählte wie häufig man über den Jungen berichtete der vor ein Auto lief – zumindest damals. Erstens, nein danke. Zweitens, ich bin nicht vor dieses Auto gelaufen, man hat mich knallhart überfahren. Ich flog mehrere Meter durch die Luft, bis ich auf der Straße aufkam und ins Koma fiel – zumindest wenn man der Presse Glauben schenken konnte. Mir gefiel solch ein unnötiger Presserummel überhaupt nicht. Besonders da es allgemein kein schönes Gefühl auslöste von seinem eigenen Unfall in irgendeinem Schmierblatt zu lesen. Anna zuckte mit den Schultern und erklärte das laufende Thema damit für beendet. Allerdings nur um sogleich ein neues an die Oberfläche zu drücken „Ach und übrigens, Leon hat mir geschrieben. Er fragte wie es dir geht und ob ich nicht herausfinden könnte wie interessiert du an einem möglichen Treffen wärst“ „Leon?“ ich zog die Stirn kraus „Als ich im Krankenhaus lag, wann hörten seine Besuche bei mir auf?“ Meine Schwester schien mit ihrer Antwort zu zögern „Nach dem Schulabschluss. Also so ungefähr nach einem Jahr? Warum?“ „Dann kannst du ihm ausrichten: Kein Interesse“ entschied ich strickt und wühlte mich weiter durch die Nachrichten – eine penetranter als die andere. Fragte da einer wirklich nach dem Hochzeitstermin? „Och Noah“ protestierte meine jüngere Schwester „Leon und du, ihr wart vor dem Unfall doch beste Freunde“, ich blockte ihren Versuch mich umzustimmen mit einem grimmigen Blick ab „Ist jetzt vor dem Unfall? Nein, jetzt gerade ist ‚musst du nicht langsam zur Schule‘“. Meine Schwester schien weniger begeistert als sie vom Frühstückstisch aufstand und missmutig die Küche verließ „Du solltest ihm echt eine Chance geben!“ – „Und du solltest echt in die Schule gehen Anna“. Ich wollte mit meiner jüngeren Schwester nicht über richtig oder falsch debattieren. Nur sah ich keinen Grund darin mich mit Menschen zu treffen die in schweren Stunden für mich ebenfalls keine Zeit besaßen. Wo wir wieder beim Thema waren: Wer sollte hier wohl der wahre Egoist sein. Fluchend ließ ich mein Handy unsanft auf den Tisch fallen und lehnte mich zurück. Ich wollte niemanden sehen. Nicht Leon und auch nicht Jan. Genauso wenig Linda, Pelle oder Max. Niemanden. Mein alter Freundeskreis existierte nicht mehr und für mich erst Recht nicht. Als ich im Krankenhaus lag – wach - schaffte es niemand zu mir. Jetzt wo ich zuhause war meldeten sie sich? Mit frustrierter Miene blickte ich von meinen geschwächten Beinen hin zu meiner zitternden Hand. Vermutlich würden meine alten Freunde so oder so die Flucht ergreifen, wenn Sie begriffen das Party machen für mich keine Option war. Zumindest nicht in den nächsten Monaten. Doch auch ihr Mitleid wollte ich nicht. Es gab bereits zu viele Menschen die mich stets mit diesem ganz bestimmten Blick bedachten. Ich benötigte nicht noch mehr von dieser Sorte. Die Übungen in der Rehaklinik verliefen wie üblich nur mit mäßigem Erfolg. Eine folgende Frustration schien unausweichlich. Natürlich wollte auch ich irgendwann an einem Punkt ankommen mich ohne die Krücken fortbewegen zu können, doch momentan schien dieses Ergebnis in ungreifbarer Nähe. Man versicherte mir regelmäßig, dass meine Beine nur wieder eine anständige Muskulatur aufbauen müssten, doch wie lange sollte es denn noch dauern. Die Tatsache dass ich ohne Krücken bereits stehen konnte munterte mich auch nicht wirklich auf – dieser Fortschritt erschien mir einfach zu winzig. „Aber es läuft gut und wenn du weitermachst wirst du sicher bereits in den nächsten Monaten die Krücken in den Keller räumen können“ startete Kelly einen Aufmunterungsversuch als sie mich vermutlich wie ein Häufchen Elend auf dem Gang sitzen sah. Kelly war eine hübsche rothaarige Frau Ende dreißig. Sie hatte zwei bezaubernde Kinder und wir lernten uns vor einigen Monaten in der Rehaklinik kennen. Sie war im Gegensatz zu mir an den Rollstuhl gefesselt und wenn man den Ärzten Glauben schenkte sollte sich dieser Umstand auch niemals ändern. Doch Kelly gab nicht auf und das bewunderte ich an ihr. „Das sagst du so einfach“ antwortete ich seufzend und hob den Kopf. Kellys Gesicht zierte ein breites Grinsen, selbstsicher und voller Zuversicht. Diese Frau war ein richtiges Energiebündel „Willst du mir ein wenig von deiner positiven Einstellung abgeben?“ Kelly zuckte mit den Schultern „Ach weißt du, es ist nicht immer zum Vorteil in allem etwas Gutes zu sehen“. Das stimmt wohl. Erst vor einigen Wochen hatte mir Kelly von ihrem Unfall erzählt – obwohl Unfall hier wohl das falsche Wort war. In einem Streit zwischen ihr und ihrem Mann ging es scheinbar heftig zur Sache. Nicht nur das er sie vor den Augen ihrer Kinder halbtot prügelte, am Ende stieß er sie aus dem Fenster im vierten Stock. Sie erzählte ihm wäre bereits hin und wieder die Hand ausgerutscht, doch es traf nie die Kinder und sie tat es als aus Versehen ab. In meinen Augen war er ein Mistkerl. Man schlug keine Frauen, besonders nicht die eigene. Schon körperlich wirkte so was auf mich absolut unfair. Doch in der besagten Nacht drehte ihr Mann komplett durch, eigentlich wegen einer Kleinigkeit meinte Kelly. Ihre große Tochter allerdings rettete ihr vermutlich das Leben. Als ihr Vater anfing Kelly durch die Wohnung zu treten packte sie ihren kleinen Bruder und das Handy ihrer Mutter. Sie schloss sich und ihren Bruder im Badezimmer ein und rief die Polizei. Ein Grauen wenn man sich vorstellte, dass die Kleine erst zehn war. Kelly überlebte diese Nacht nur, da der Rettungswagen bereits da war als ihr Mann sie aus dem Fenster stieß. Sie wurde sofort ins Krankenhaus gefahren und über Stunden operiert, während die Polizei ihren Mann wegen versuchten Mordes festnahm. Es glich einem Wunder, dass Kelly den Sturz überlebte. „Schau nicht so. Mir geht es gut und für dich kommt auch irgendwann der Moment an dem es dir besser gehen wird Noah“ meine Antwort bestand aus einem schwachen Nicken. Vermutlich würde Kelly Recht behalten. „Frau Petrowski?“ einige Meter von uns entfernt öffnete sich die Tür zu einem Behandlungszimmer „Kommen Sie?“. Kelly winkte dem Arzt zu „Ja. Einen Moment noch“. „Also Noah. Lass den Kopf nicht hängen. Aufgeben sollte niemals eine Option sein! So, jetzt muss ich aber los. Mach dir noch einen schönen Tag Kleiner“ ich beugte mich vor um ihren ausgestreckten Armen entgegenzukommen „Du Dir auch Kelly“. Die rothaarige Frau setzte ihren Rollstuhl in Bewegung und machte sich auf den Weg ins Ärztezimmer, als sie noch einmal stoppte. Sie drehte den Rollstuhl ein Stück in meine Richtung und strahlte mich verschmitzt an „Ach ja und dir viel Glück“. „Wobei?“ ich war leicht irritiert. „Dir und Herrn Rosenthal, Dornröschen“ Meine Mimik überschlug sich um kurz darauf fassungslos in Kellys Richtung zu starren. Diese empfand die Situation ganz eindeutig als amüsant und verzog sich leise kichernd in das Behandlungszimmer. Ihr Ernst? „Ich bin kein Dornröschen!“ versuchte ich ihr noch hinterherzurufen, doch die Tür fiel bereits ins Schloss „Verflucht!“. ~ Aber nun gut, vielleicht glaubte ich kein Dornröschen zu sein, doch die Presse sah es anders. Zittrig starrte ich auf die Zeitung in meinen Händen und blickte mit grimmiger Miene auf das billige Klatschblatt. Mein Vater lehnte an seinem geparkten Auto und blieb still. Es gelang mir nicht einzuschätzen ob er Mitleid für mich empfand oder sich am liebsten kringelig gelacht hätte. Nachdem ich mit meinen Untersuchungen und Übungen fertig war rief ich Marko an um abgeholt zu werden. Ich weigerte mich mit den Krücken die öffentlichen Verkehrsmittel zu gebrauchen. Marko brauchte Zigaretten und ich frische Luft, also hielten wir vor einem Zeitungsstand und wollten - nichts Schlimmes ahnend - Markos Sucht befriedigen. Doch leider bemerkte ich die unsicheren Blicke des Verkäufers und stellte die Fragen aller Fragen: „Hab ich was im Gesicht“. Gut, vielleicht nicht unbedingt sonderlich freundlich, doch für sein perfides Gaffen würde er sicherlich auch keine Ehrenmedaille erhalten „Bist du Noah Bram. Der aus dem Gute Laune Radio?“ seine Worte kamen zögernd, doch änderten nichts an meiner rapide sinkenden Laune „Was?“. „Der junge Mann hier?“ und bereits im nächsten Moment hielt er mir eine Zeitung unter die Nase. Wer hätte geglaubt, dass ein fast drei Jahre altes Bild meiner selbst irgendwann auf der Titelseite eines Klatschmagazins prangern würde. Ich sicherlich nicht. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis ich schnaubend die Zeitung auf die Verkaufstheke warf und zum Auto meines Vaters ging „Willst du sie nicht kaufen?“ fragte Marko neugierig, doch mein warnender Blick schien Bände zu sprechen. Noch ein falsches Wort und ich würde ihn mit meinen Krücken steinigen. Der Motor startete und eine Sintflut brach über mich hinein „Wie können die mein Bild einfach in der Zeitung veröffentlichen. Brauchen die dafür nicht irgendeine Genehmigung. Was fällt den überhaupt ein über solch einen Schwachsinn zu schreiben. Die spinnen doch allesamt. Über mich und die angebliche Liebesgeschichte zwischen Felix Rosenthal wurde in ganzen sieben Zeitungen berichtet. Bitte, es gibt doch wesentlich wichtigere Themen in unserem Land als die Liebesfantasien eines Verrückten!“. Marko blickte mit konzentrierter Miene auf die Fahrbahn „Weißt du, ich glaube damit hat niemand gerechnet. Sicherlich auch nicht Rosenthal. Wobei diese Situation bestimmt auch nicht beabsichtigt war“ „Ja klar, nehme den Irren auch noch in Schutz“ ich verschränkte schmollend die Arme vor der Brust. Ja, auch junge Männer durften schmollen, diese Eigenschaft war sicherlich nicht von dem weiblichen Geschlecht reserviert. „Nein, ich will ja nur sagen. Es fängt sich bestimmt alles wieder ein. Es wird jetzt ein oder zwei Tage vermutlich eher chaotisch, aber es vergeht auch wieder. Und sobald ich auf Arbeit bin sehe ich zu was sich mit diesen Pressespinnern machen lässt“. „Marko, denkst du wirklich es interessiert die? Das Thema Pressefreiheit hatte ich bereits in der Schule“ „Mit dem Unterschied, dass du keine Person der Öffentlichkeit bist. Das ist ja nahezu Verleumdung was die dort schreiben?“ Verwirrt schaute ich zu Marko „Du hast die Zeitungen bereits gelesen?“, zögerlich nickte mein Stiefvater und zuckte kurz darauf mit den Schultern „Meine Sekretärin hat sie mir alle gekauft und ins Büro gelegt. Sie glaubte wohl es könnte mich interessieren….“ Erst an dieser Stelle schien mein Gehirn zu schalten und ich fühlte mich als würde ich jeden Moment explodieren „Deshalb wolltest du noch Zigaretten kaufen!“. Ich fühlte mich auf eine gewisse Weise vielleicht sogar etwas hintergangen „Es war beabsichtigt von dir! DU wolltest mich quasi mit der Nase auf die Zeitungen stoßen!“ Hastig schüttelte Marko den Kopf, drückte den Blinker und fuhr in unsere Straße ein „Nein. Nein. Nein. So was das sicherlich nicht geplant. Ich habe eine Zeitschrift in der Tasche und wollte sie dir erst zuhause zeigen. Du wolltest immerhin unbedingt das Auto verlassen“. „Ja aber natürlich“ spüre meinen Sarkasmus! Marko wirkte nicht unbedingt glücklich als er das Auto einparkte und den Motor ausstellte „Noah. Hör auf mir irgendwelche Dinge zu unterstellen. Ich arbeite weder mit Rosenthal zusammen, noch habe ich deine Bilder der Presse gegeben. Ganz im Gegenteil. Die beschissene Social-Media-Sucht von euch Jugendlichen brockt euch diese Suppe ganz alleine ein. Hättest du damals nicht ständig irgendwelche Bilder von dir überall hochgeladen, dann hätte die Presse überhaupt kein Fotomaterial von dir. Aber nein, ihr müsst euer Leben ja der gesamten Weltbevölkerung offenbaren. Also hör verdammt nochmal auf mich so an zu zicken!“. Und schon war ich still. Kein Versuch der Widerworte. Nicht einer. Vielleicht weil Marko recht hatte, vielleicht aber auch nur da ich solche Gefühlsausbrüche von ihm nicht gewohnt war. „Ich habe das doch gar nicht so gemeint…“ erwiderte ich kleinlaut und starrte auf meine Hände, welche auf meinem Schoß ruhten. „Ich weiß, deshalb habe ich dich ja auch nicht aus dem fahrenden Auto geworfen…“ kam es komplett tonlos und Marko stieg aus, lief um das Auto herum um meine Krücken aus dem Kofferraum zu holen. Ich stieß meine Tür auf und bereits eine Sekunde später reichte man mir die Krücken „Da. Sei aber vorsichtig“. In meiner Bewegung stoppend begann mein Gehirn zu rattern, meine Augen wanderten hinauf und erblickten einen Fremden. Nicht Marko. Nicht Anna. Einen völlig fremden jungen Mann. Er stand an der offenen Autotür und hielt mir seine Hand hin. Hochgewachsen – verflucht hoch -, breites Kreuz, schlanke Beine, Jeans, Shirt und darüber die Jacke unseres heimischen Rugbyvereins. „Und du bist wer?“ versuchte ich meine Unsicherheit hinter einer Frage zu verbergen und suchte Marko. Sichtlich nervös zog sich der Fremde zurück und wischte sich die Hände hektisch an seiner Jeans ab „Tut mir leid. Ich dachte du würdest mich erkennen. Ich weiß durch Leon und Anna dass du eigentlich niemanden sehen willst, aber ich konnte nicht anders und dachte…“ er brach ab und ich nutzte die Gelegenheit um mich aus dem Auto zu hieven. Jetzt entdeckte ich auch Marko, welcher lässig am geschlossenen Kofferraum lehnte und eine rauchte. „Ja keine Ahnung was ist dachte. Sorry Noah. Das ist so unheimlich dumm von mir“. Der Typ sprach so vertraut mit mir, dass ich ihn erneut einer Musterung durchzog. Groß, gutgebaut, kurzgeschorene Straßenköter-blonde Haare. Wirklich, kein Schimmer wer das sein sollte. „Ähm du erkennst mich wirklich nicht?“ hakte er noch einmal nach „Ich bin’s der kleine Pelle“. Hiermit dankte ich meinem Körper dafür, dass Augen nicht wirklich ihre Augenhöhlen verlassen konnten. Konnten sie doch nicht oder? Der kleine Pelle welchen ich nämlich in Erinnerung hatte war zwei Köpfe kleiner als ich, kugelrund, absolut verschüchtert und wollte unbedingt ein Goth sein. Von dem jungen Mann der nun vor mir stand konnte ich das nicht unbedingt behaupten. „Pelle…echt jetzt“ ich starrte ihn immer noch verzweifelt an. Das war doch ein schlechter Scherz. „Also eigentlich nennt man mich jetzt Patrick – nicht mehr Pelle. Aber ja. Ich freue mich wirklich unglaublich das du wieder da bist Noah“. Ein Rollentausch der mir nicht gefiel, denn der kleine Pelle war jetzt gut zwanzig Zentimeter größer als ich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)