Dornröschen... von EmmaAngen ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Kapitel Sieben …Lügen über Lügen. „Oh mein Gott. Oh mein Gott. Oh mein Gott“ die Hände in meinen mittlerweile viel zu langen Haaren verkrallt, lief ich wie ein wildgewordener Tiger auf und ab. Shirin saß im Schneidersitz auf meinem Bett, Martin nachdenklich an meinem Schreibtisch. Vielleicht bräuchte ich mal einen Friseurtermin – verdammt Noah, scheiß auf den Friseurtermin, du verarbeitest gerade gänzlich andere Sorgen. „Ein halbes Jahr – einfach weg, verschwunden, ausgelöscht. Ein halbes Jahr meines Lebens und ich erinnere mich an gar nichts“ wäre die Situation nicht so unfassbar grauenhaft, könnte ich mich vielleicht darüber freuen, dass ich das hin und her tigern komplett ohne Krücken absolvierte. „Ganz ruhig Nono“ versuchte mich Shirin zu beruhigen, mein Handy fest von ihren Händen umschlossen. Martin hatte es mir sicherheitshalber entrissen als ich Wut entbrannt erst Marko, dann meine Mutter und schlussendlich Pelle anrufen wollte. „Ruhig? Ruhig? Ruhig? Wie soll ich in so einer Situation ruhig bleiben“ meine Stimmte nahm hysterische Tonlagen an „Ein ganzes halbes Jahr wurde einfach aus meinen Erinnerungen entfernt! Ich war mir so sicher, dass der Unfall kurz nach Leons Geburtstag geschah, dass mir nicht einmal auffiel, wie groß die Zeitspanne dazwischen ist. Wie kann mir so etwas Wichtiges entgehen“. Wo Anna ist fragt ihr euch? Tja, Anna hat auf Empfehlung der ihr komplett unbekannter Menschen – Shirin und Martin – mir ihr gekochtes Essen in den Kühlschrank getan, ihre Sachen gepackt und schläft somit bei einer ihrer unzähligen Freundinnen. Besser so, für ihre Gesundheit zumindest. „Oh was habt ihr nur angerichtet“ Nun meldete sich auch Martin zu Wort „Moment. Angerichtet? Nichts haben wir angerichtet, außer du meinst damit, dass wir uns für dich auf die Suche nach deinen fehlenden Erinnerungen machen wollten“. „Aber ich habe euch doch gesagt, ich habe keine Amnesie“ „Na ganz offensichtlich hast du die schon“ würde man es mir übel nehmen, falls ich meine Beherrschung verlor und Martin den Kopf einschlug? Ich schnaufte und warf mich zu Shirin aufs Bett „Ich will sterben“ – „Rede keinen Scheiß Nono, wir bekommen es schon wieder hin“. Missmutig blickte ich zu Shirin auf „Warum seid ihr eigentlich so besessen davon mir zu helfen. Wir kennen uns doch quasi gar nicht…“ Diese Frage hatte mich bereits seit der Mittagspause beschäftigt. Warum wollten die Beiden mir unbedingt beistehen? Die Dunkelhaarige zuckte lächelnd mit den Schultern „Du bist nett, brauchst Unterstützung, wie sollten wir dir da nicht helfen wollen Nono?“. Sollte die Antwort wirklich so simple ausfallen? Ich schloss meine Augen und dachte nach. Ein komplettes halbes Jahr an jenes ich mich nicht erinnern konnte. Sechs Monate – eine verdammt lange Zeit. Ich erinnerte mich an Leons Geburtstagsfeier als wäre sie gestern gewesen, an meinen Unfall und sogar an das beschissene Eis, welches ich mir davor noch gekauft hatte. Doch dazwischen – nichts. Mein eigenes Erinnerungsvermögen schien sich zu meinem Erzfeind erklären zu wollen. „Mist“ Shirin sprang von meinem Bett „Wir überlegen uns morgen einen Schlachtplan, wenn ich heute zu spät komme, dann bekomme ich bis an mein Lebensende Hausarrest“. „Ich bring dich noch, es ist schon spät“ mein Klassenkamerad erhob sich ebenfalls, allerdings nicht ohne mir noch einen aufmunternden Blick zu schenken „Kopf hoch, Noah. Shirins Mutter hat mir mal gesagt, dein Leben ist nur so schlecht wie du es selber zulässt. Wahre Worte, wenn du nach meiner Meinung fragst“. „Du erinnerst dich daran noch?“ Shirin klang irritiert. Also kannten die Beiden sich wie vermutet doch länger als nur ihre Schulzeit über. „Ja, ich glaube der Pantoffel, welchen sie davor nach mir geworfen hat, hinterließ einen gewissen Eindruck“ er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Mühsam richtete ich mich auf „Danke…“. Ich wusste ich war in solchen Dingen nicht der Beste, doch auch wenn mich die Entdeckung der Beiden mir Bauchschmerzen bereitete, so musste ich ihnen Danken. Shirin beugte sich zu mir herunter, zog mich in eine feste Umarmung „Das ist doch klar, immerhin sind wir jetzt Freunde Nono“. ~ Die Beiden gingen und ich blieb in der leeren Wohnung zurück. Einerseits wünschte ich mir Anna her, doch wenn ich ehrlich war wollte ich sie nicht sehen. Sie steckte genauso dort mit drin, hatte mir kein Wort gesagt und mir die heile Welt vorgespielt. Unmengen an Fragen spukten in meinem Kopf herum. Was geschah in diesem besagten halben Jahr und könnte ich mich je wieder daran erinnern? Sollte ich meinen Arzt sagen, dass ich von allem wusste und mich therapieren lassen? Egal wie sehr ich versuchte darüber nachzudenken, mich anstrengte, ich kam zu keinem zufriedenstellenden Entschluss. Was konnte ich den Menschen die ich kannte noch glauben und wie sollte ich Wahrheit von Lüge unterscheiden. Obwohl ich kein sonderlich sentimentaler Mensch war lehnte ich mich den Tränen nahe zurück. In Momenten wie diesen wünschte ich mir nie aufgewacht zu sein. Mein Handy, welchen nicht weit entfernt von mir auf dem Bett lag, zog ich näher an mich heran. Ich zögerte bevor ich die Nachricht an Mr. Unbekannt verfasste. Ich sehnte mich nach jemanden der mich aufmunterte und wenn es nur durch flache Witze inklusive dummer Scherze geschah. >Mir geht es nicht gut. Munter mich auf< Erst geschah gar nichts, die Minuten zogen dahin ohne eine Antwort. Für einen Moment glaubte ich schon nicht mehr daran, doch mein Handy gab ein Lebenszeichen von sich. >Zieh dich an und fahre in die Holzenbacher Allee 45-50. Pack dir Geld ein< * Ich bekam nicht mehr als eine Aufforderung zurück. Normalerweise kam jetzt der Moment in dem ich mein Handy von mir weg warf und über diesen Spinner schimpfen würde, doch ich tat nichts von alle dem. Ohne weiter darüber nachzudenken stand ich auf, stopfte mir mein Handy in die Hosentasche und verließ mein Zimmer. Aus dem Rucksack im Flur packte ich alles bis auf meine Brieftasche heraus, griff nach meiner Krücke und machte mich auf den Weg. War die Aktion verrückt? Vielleicht. Doch wie viel Verrückter konnte ein Amnesie Patient schon noch werden. Die Fahrt verging wie im Flug, als die Haltestelle in der Nähe der Holzenbacher Allee angesagt wurde stieg ich aus. Nun stand ich hier, mitten in der City und fragte mich ob ich komplett bescheuert war. Was wenn dieser Happy ein Irrer war, ein Psychopath? Er könnte mich in eine Wohnung locken und niemand wusste Bescheid. Mittlerweile stand die Sonne tief und es wurde Nacht in unserer Stadt, die Menschen erledigten ihre letzten Einkäufe oder saßen in den Cafés und sprachen über den neusten Tratsch. Ich mied unsere City bereits so lange, dass ich ganz vergaß wie schön sie war und wie gern ich selbst abends durch ihre Straßen geschlendert bin. Nur nach wenigen Gehminuten erkannte ich, dass in der Holzbacher Allee kein Wohnhaus stand. Trotz der Menschenmassen um mich herum, entkam mir ein Wimmern. Hastig strich ich mir die aufkommenden Tränen weg. Woher wusste er es? Wie konnte er ahnen womit er mich aufmuntern konnte ohne lange darüber nachzudenken? Meine Augen glitten über den Eingang des Geschäfts und der Hauch eines Lächelns strich über meine Lippen. Marko ging mit mir oft hierher als ich jünger war. Ich hatte als Kind Schwierigkeiten einen neuen Mann im Haushalt zu akzeptieren und wenn ich nicht weinte, dann wütete ich. Irgendwann packte mich Marko und zerrte mich in sein Auto, wir fuhren eine gefühlte Ewigkeit durch den Stau der City bis wir an diesem Laden landeten. Oh wie oft wir hier unsere Nachmittage verbrachten und ich Marko die Möglichkeit gab einander besser kennenzulernen. Ich war ein Kind und wie hätte man ein Kind besser auf seine Seite ziehen können als durch Süßigkeiten. Wobei diese Angewohnheit im Alter blieb, wenn ich mich nicht gut fühlte oder traurig war fuhr ich an diesen Ort. Eigentlich kindisch und dumm, doch es machte mich glücklich, da ich diesen Ort mit wunderschönen Erinnerungen verknüpfte. Noch einmal wischte ich mir entschlossen die Tränen beiseite und betrat den M&M-Store. Riesige Säulen voll mit den verschiedensten Sorten und Farben türmten sich an den Wänden und mitten im Raum, doch dominiert wurde er von riesigen Statuen der M&M-Maskottchen. Genau das brauchte ich jetzt, eine riesige Ladung feinsten Zuckers. Im Idealfall bis mir schlecht wurde. Es dauerte nicht lang bis ich mir eine Tüte mit allerlei Sorten befüllt hatte und stolzierte zur Kasse. Auch wenn das Unterfangen mit nur einem freien Arm wirklich nicht leicht war. Das Anstehen kannte man in diesem Laden und dennoch erfreute mich die eingehende Nachricht, welche durch das penetrante vibrieren meines Handys angekündigt worden war. Hastig versuchte ich mich weiterhin auf meiner Krücke zu stützen und nebenbei die Tüte in der Hand unterzubekommen um mein Handy aus der Hosentasche zu ziehen. Vermutlich konnte ich meine Verwunderung kaum verbergen, besonders nicht da mir die Tüte und ebenfalls das Handy beinah aus der Hand gerutscht wären. Ich riss meinen Kopf empor und suchte die Menschenmasse ab. Ein bekanntes Gesicht, nur ein bekanntes Gesicht, wiederholte ich wie ein Gebet während meine Hand sich fest um mein Mobiltelefon schloss: >Du siehst doch gleich viel süßer aus, wenn du so zufrieden lächelst<. Er war hier, irgendwo in meiner Nähe und beobachtete mich. Sich unwohl zu fühlen wäre in solch einem Moment normal, doch es war Aufregung die in meiner Brust pochte. Ein warmes Gefühl machte sich in mir breit, doch wurde es getrübt als ich keines der Gesichter um mich herum wiedererkannte. Eines stand fest, ich schien für Mr. Unbekannt keinen Platz in meinen Erinnerungen zu haben, doch er kannte mich. Er musste mich kennen. Leon? Jan? Pelle oder vielleicht Max? „Sie sind als nächstes dran junger Mann“ die Stimme der Kassiererin störte meinen Gedankenfluss und ich ließ von meiner Suche ab. Rasch bezahlte ich meinen Einkauf und verließ schweren Herzens das Geschäft. Die Süßigkeiten wurden in meinem Rucksack verstaut und mein Handy fand seinen Platz in meiner Hand >Darf ich dir persönlich danken?<. Dieser Typ konnte mir erzählen was er wollte, ich war fest davon überzeugt, dass er sich in der Nähe aufhielt. Doch ich wartete vergebens auf eine Antwort. Mr. Unbekannt schickte keine Nachricht, keine Erwiderung und ich entschied mich nicht länger zu warten. Die kühle Nachtluft zog durch meine Kleidung und ließ mich frösteln. Auf dem Heimweg blieb mir genügend Zeit um Nachzudenken, einen klaren Gedanken zu erfassen um ihm am Ende dabei zu beobachten wie er im Nichts verschwand. Das halbe Jahr blieb in der Dunkelheit zurück, unklar und ohne den geringsten Anhaltspunkt – ich hatte Kopfschmerzen. ~ „Guten Morgen Deutschland. Wir haben es kurz nach neun, der Morgen beginnt sonnig und verspricht uns einen angenehmen Sommeranfang mit zirka Achtzehn Grad zum Mittag hin. Wir spielen heute alle aktuellen Hits und wie jeden Dienstag ihre Wunschsongs auf Abruf. Immerhin fröhlich, immer aktuell mit Felix Rosenthal – ihr Mann für den wirklich guten Start in den Tag“ Stöhnend schob ich mir meine Hände auf die Ohren, seit wann arbeitete Rosenthal wieder im Radiosender – hatte seine Auszeit ein wirklich so baldiges Ende gefunden. Würde er mich jetzt jeden Morgen mit seiner viel zu positiven Laune quälen und foltern? Als sie Tür unserer Wohnung aufgeschlossen wurde spitzte ich die Ohren, der Geräuschkulisse zu urteilen, eindeutig meine jüngere Schwester. „Guten Morgen Anna“ rief ich laut, die Antwort bestand aus einem Poltern – da hat wohl jemand nicht damit gerechnet, dass ich mich noch nicht zur Schule aufgemacht hatte. „Morgen…“ meine Schwester tauchte am Türrahmen zur Küche auf, ihr Blick huschte nervös hin und her, während sie an dem Saum ihres Shirts spielte „Deine Freunde sind gestern Abend noch gegangen?“. „Ja“ antwortete ich knapp, ließ Anna nicht eine Sekunde aus den Augen. „Uh-hu“ die Situation schien ihr nicht zu gefallen, dabei wusste sie doch noch nicht einmal was ich nun alles wusste. Oder eher, dass ich wusste von was ich alles nicht wusste – das klang seltsam. „Was war gestern los, du wirktest aufgebracht“ tastete sich Anna vor. Ich schnaubte verärgert auf „Ach nichts Wichtiges. Shirin fand nur heraus, dass ihr Bruder sie eine ziemlich lange Zeit hinweg angelogen hat. Sie brauchte etwas beistand, aber beim besten Willen, die enge Bindung der Beiden ist jetzt wohl Geschichte“. Da war es, das Rattern hinter ihrer Stirn, das verräterische Funkeln in ihren Augen – sie ahnte es, doch blieb stumm. „Das ist ja nicht gut“ ihre Lippen pressten sich fest aufeinander, bis nur ein schmaler Strich übrig blieb. Überraschend entspannt gab ich meine Zustimmung „Sowas kann schon mal die besten Familienbande zerstören, ich bin wirklich glücklich, dass wir untereinander stets ehrlich sind“. Es bestand die Möglichkeit, dass mein Handeln nicht in Ordnung war, doch auf einer ganz bestimmten Weise wollte ich meiner Schwester wehtun. Ich wollte sie verletzten, aus Wut. Zorn der auf eine faire Art gesehen nicht nur ihr gebührte. Unter meine Wut regte sich mein Gewissen, denn mein Handeln war falsch – eindeutig. „Nein niemals“ ich glaubten für einen Moment meinen Ohren nicht zu trauen, doch Anna sprach mit leidendem Gesichtsausdruck weiter „Wir lügen einander niemals an“. Langsam ließ sie ihren Kopf sinken „Ich zieh mich schnell um und fahr zu Schule“. Ich blickte ihr nach und dieser unangenehme Knoten in meinem Magen rührte sich. Warum konnte sie nicht einfach ehrlich zu mir sein? ~ Die Woche verging ruhig. Ich sprach weder mit Marko, noch mit meiner Schwester über meine Amnesie – vielleicht da mich ihre Fassade aus Lügen verletzte oder einfach nur aus kindischer Wut. Ich wusste es nicht. Shirin und Martin gaben sich jede nur erdenkliche Mühe mir bei meinen Nachforschungen zu helfen, Pelle schien beschäftigt und Mr. Unbekannt ließ nichts mehr von sich hören. Allerdings glaubte ich was Pelle betraf ganz richtig mit meiner Vermutung zu liegen, dass er mir nach meiner Nachricht aus dem Weg ging. Ich schrieb ihm, bat Pelle um Hilfe, doch seitdem schien er für mich keine Zeit mehr zu finden. Martin stand im Kontakt mit dem Support der Socialmedia-Seite, hoffte die gelöschten Post und Bilder aus dem fehlenden halben Jahr wiederherstellen zu können, doch bisher ohne Erfolg. So langsam glaubte ich nicht mehr daran ohne eine Aussprache mit Marko und meiner Mutter vorranzukommen. „Ich hab was!“ Shirin warf ihre Arme jubelnd in die Luft „Da deine Familie und dein Kumpel ein Problem damit haben dir die Wahrheit zu sagen habe ich jeden deiner restlichen alten Klassenkameraden angeschrieben und es hat sich doch tatsächlich jemand gemeldet!“. Sie schien explodieren zu können vor Freude. Martin und ich tauschten unsicher Blicke, vermutlich wurden wir bei jedem vergehenden Tag pessimistischer. Ich rutschte von dem Fußende meines Betten hinauf zu Shirin „Und wer?“. „Ein Mädchen“ Shirin schien die Nachricht zu überfliegen „Sie schreibt nicht viel, relativ kurz angebunden. Doch sie meint sich mit dir Treffen zu wollen. Eine gewisse Linda?“ Linda? Mein Herz begann nervös zu rasen, etwa meine Linda? Die Zwillingsschwester von Max und das einzige Mädchen mit dem ich beinahe meine gesamte Schulzeit verbrachte? Shirin drehte mir den Laptop hin „Linda Beckenbauer. Sagt sie dir etwas?“. „...Linda ist eine alte Freundin von mir“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)