Follow your Heart von Linchen-86 ================================================================================ Kapitel 20: Die richtige Entscheidung ------------------------------------- 28.11.2010 Taichi war heute bei Sora gewesen, die am nächsten Tag gemeinsam mit ihrer Chefin für zwei Wochen nach Kyoto reisen würde, um dort bei einer Modenschau arbeiten sollte, die über mehrere Wochen ging. Zusätzlich sollte sie nach neuen Trends sowie Auftraggebern Ausschau halten. Sora war schon sehr aufgeregt was sie dort alles erleben würde und freute sich auf die Erfahrungen die sie sammeln würde. Gemeinsam mit Tai sah sie sich eine DVD an, einen Actionfilm, aßen Chips dazu und tranken Cola. „Und du bist sicher, dass ich dich alleine lassen kann?“, fragte Sora besorgt nach. Tai rollte mit den Augen und sah die Rothaarige ernst an. „Ich habe es dir doch schon ein paar Mal gesagt. Ich bin ein großer Junge und ich schaffe das schon.“ „Ich meine ja nur...“ „Du schlägst dich doch auch durch“, stellte Tai nüchtern fest. Immerhin wusste Tai, wie sehr seine besten Freundin unter der Trennung zu dem Musiker litt. Sie hielt sich tapfer, aber er wusste auch, dass es in ihrem Inneren ganz anders aussah. Sie stürzte sich in die Arbeit und versackte darin, aber vielleicht war das auch die einzige Möglichkeit die Trennung zu ihrer großen Liebe zu überleben. Sora kratzte sich nervös an ihrem Unterarm und setzte sich aufrecht hin. „Am Montag sind sie aufgebrochen...“ „Wer?“ „Na Knife of Day, ihre Tour hat in Chicago begonnen und ich weiß nicht mal wie es war, aber er wird es mir auch sicher nicht sagen... Weißt du etwas?“, erkundigte sich die Rothaarige bei ihrem besten Freund und sah ihn erwartungsvoll an. Tai zuckte nur mit den Schultern. „Nein, ich habe nichts mehr von ihm gehört... ich denke er wird jetzt sehr im Stress sein. Ich meine, wenn eine den Tourplan auswendig kennt, dann bist du das.“ Sora nickte nur betrübt und ließ sich wieder nach hinten fallen. „Heute müssten sie in Seattle sein...“ Eine plötzliche Explosion im Fernseher ließ sie beide kurz aufschrecken, doch kurz darauf redeten sie weiter. „Und weißt du schon, ob du nach Aoshima nachreisen wirst?“, hakte Sora interessiert nach. „Nein, ich bin noch hin und hergerissen...“, erwiderte der Braunhaarige und versuchte sich wieder auf den Film zu konzentrieren, auch wenn seine Gedanken immer wieder wegdrifteten und er doch wieder an seine familiäre Situation denken müsste. Er wünschte, es würde ihn einfach alles kalt lassen, aber es beschäftigte ihn pausenlos. „Also wenn du aufbrichst möchte ich es wissen und du kannst auch anrufen, wenn was ist...“, erwähnte Sora, während sie erneut in die Chipstüte griff. „Ich habe es verstanden, ehrlich“, seufzte Tai. Er konnte es nicht mehr hören, auch wenn er wusste, dass Sora es nur gut meinte. Nachdem der Film beendet war, machte der Braunhaarige sich langsam auf den Weg. Er half Sora noch die leere Chipstüte zu entsorgen, sowie die ausgetrunkenen Flaschen und Gläser wegzustellen, ehe er sich sich auf den Flur begab, wo seine Schuhe standen. „Danke, dass du noch geholfen hast aufzuräumen“, gab Sora mit einem Lächeln von sich. „Na, das war doch nichts“, winkte Tai an. „Wann fahrt ihr morgen los?“ „Wir fahren um drei Uhr los, vormittags kann ich dann sogar noch in die Uni und von dort aus geht es kurz nach Hause den Koffer holen und dann zum Bahnhof“, erklärte Sora. „Klingt ja mal wieder komplett durchgeplant und organisiert. Wie immer eben“, zuckte Tai beiläufig mit den Schultern. „Eine gute Organisation ist alles...und meine To-Do-Liste sind wirklich hilfreich“, erwiderte die Rothaarige. Tai lächelte wissend, Sora und ihre To-Do-Listen. Er hatte so etwas noch nie gehabt, er schaffte es sein Leben auch so zu organisieren. Na ja, mehr oder weniger, aber die wichtigsten Dinge hatte er im Kopf. Tai umarmte Sora zum Abschied nochmal und wünschte ihr viel Spaß in Kyoto. Sora erwähnte zum zehnten Mal an diesem Abend, dass er sich melden könne, wenn etws wäre. Das bestätigte Tai mit einem weiteren Kopfnicken und ging schließlich nach Hause.   04.12.2010 Drei Tage waren vergangen. Jetzt war es genau eine Woche her, dass seine Familie nach Aoshima aufgebrochen war. Noch immer konnte Tai nicht ganz begreifen, dass sein Vater tatsächlich im sterben liegen könnte. Und obwohl Kari und auch seine Mutter täglich mit ihm sprachen und ihn über alle Geschehnisse unterrichteten, blieb er in Tokio. Er wusste was seine Familie sich wünschte, was sein Vater hoffte und seine Freunde befürworteten, aber irgendetwas hielt ihn fest. Irgendetwas ließ ihn einfach nicht los. Mimi meldete sich noch öfter bei ihm, was ihn freute, aber auch beunruhigte. Er wollte auch sie nicht enttäuschen, auch wenn er stets an ihre Worte zurückdenken musste. Wie an jedem Samstag ging er auch diesen Samstag Vormittag wieder zu Riku. Er kaufte für sie ein und blieb immer noch zum Frühstück um mit der Oma seiner Freundin zu reden. Riku öffnete die Wohnungstür und ein Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie den Braunhaarigen sah. „Du bist heute aber früh dran“, stellte sie fest. Tai zuckte mit den Schultern, zog seine Schuhe aus und ging in die Küche. Wie selbstverständlich räumte er alles in die Schränke ein und Riku zückte ihr Portmonee um den Einkauf gleich auszugleichen. „Frühstück ist ja trotzdem schon fertig“, erwiderte er grinsend. „Ich bin ja auch immer schon um sechs Uhr auf. Wie geht es dir denn Junge?“, erkundigte sich die ältere Dame. „Passt schon.“ „Erzähl schon, du kannst mir nichts vormachen. Dass ihr jungen Leute immer meint, alles mit euch selbst ausmachen zu müssen“, sprach sie einfühlsam. Sie machte für Tai eine Tasse Tee und setzte sich zu ihm an den Tisch. Tatsächlich erzählte Tai ihr was in der letzten Woche passiert war. Er wusste selber nicht warum. In einer Situation wie dieser war er noch nie gewesen. Er hatte immer jemanden um sich gehabt mit dem er reden oder auch schweigen konnte. Aber derzeit war keiner in der Nähe. Seine Familie, seine Freundin, seine besten Freunde... alle waren gerade unerreichbar und auch wenn alle irgendwie da waren, waren sie es doch nicht. Er konnte keinem einem Vorwurf daraus machen. Sie lebten eben alle ihr Leben und er... Er tat ja eigentlich dasselbe, nur führte sein Lebensweg ihn nicht aus Tokio heraus. Dennoch fühlte er sich einsam und er hasste dieses Gefühl von der ganzen Welt verlassen zu werden. „Lass mich dir aus eigener Erfahrung folgendes sagen... Es ist niemals leicht einen Menschen den man liebt gehen zu lassen und natürlich liebst du deinen Vater trotz allem was passiert ist. Einem Menschen beim sterben zuzusehen ist nie einfach. Ich habe meinem Mann kennengelernt als ich 14 Jahre alt war und mit 15 war ich mit ihm zusammen bis zum Schluss. Die letzten fünf Monate ohne ihn waren entsetzlich und nein, die Zeit heilt nicht alle Wunden. Wir hatten viel Streit, ich war sehr oft sehr stur. Nach einem Streit und nachdem wir alles geklärt hatten, war es für ihn schnell wieder gut, während ich immer noch nachtragend war. Heute wünschte ich mir, ich hätte vieles anders gemacht, hätte jeden noch so kleinen Moment mehr genossen, anstatt auf falschen Stolz zu plädieren. Ich glaube, dass die Angst dich lähmt und ich kann dich verstehen. Ich bin auch oft in diesen Momenten weggelaufen, wenn mir alles zu viel wurde, aber ich bin immer wieder zurückgegangen und du solltest auch zurückgehen. Du solltest dir die Chance nicht nehmen lassen dich mit deinem Vater auszusöhnen.“ Riku beendete ihre Rede und stand wieder auf um den Tisch abzuräumen. Tai saß gedankenverloren auf seinem Stuhl und dachte über die Worte der älteren Dame nach. „Und wenn ich nur wütend werde?“ „Dann ist es so... Emotionen lassen sich nicht ein und ausstellen. Es sagt ja auch keiner, dass du ihm alles vergeben sollst, nur weil du zu ihm fährst und er im sterben liegt. Vielleicht hilft es dir und auch ihm, wenn du einfach nur da bist. Man muss nicht immer reden, in diesem Stadion fällt das Reden allen Beteiligten sehr schwer und die richtigen Worte gibt es sowieso nicht.“ „Danke, wirklich“, erwiderte Tai, er rappelte sich auf. „Danke Oma“, grinste er und half ihr die restlichen Dinge wegzuräumen. Nach dem Gespräch ging er wieder nach Hause. Das erste Mal hatte er das Gefühl, dass er sich besser fühlte. Man sollte ältere Leute nicht unterschätzen. Er ging in sein Zimmer und unwillkürlich sah er das Paket, das ihm sein Vater zum Geburtstag geschickt hatte. Seit einem Monat stand es ungeöffnet dort. Stur und Stolz wie er war, hatte er es nicht geöffnet und stehen lassen. Tai dachte an Rikus Worte zurück und auch an das, was Mimi gesagt hatte. Vielleicht müsste er es erst mal schaffen, das Paket zu öffnen, ehe er nach Aoshima reisen konnte. Mit dickem Kloß im Hals trat er näher an das Paket heran. Er zog sein Taschenmesser hervor, das in einer Schublade war und entfernte das Klebeband. Tai atmete schwer ein und aus, als er es schließlich öffnete. Es waren Gegenstände aus seiner Kindheit drinnen. Gegenstände an die er sich kaum oder gar nicht mehr ganz erinnern konnte. Inliner in Miniaturform. Das hatte er damals mit seinem Vater gelernt... Es war ein kleiner Fußball drin, eine Leidenschaft die Vater und Sohn verband, sogar das erste Trikot von seiner Lieblingsfußballmannschaft war darin. Tai dachte, dass es damals weggeschmissen wurde, aber nicht dass sein Vater es all die Jahre aufgehoben hatte. Selbst Bilder die er für seine Eltern gemalt oder gebastelt hatte und alles andere als gut aussahen, waren ebenfalls im Paket. Er fand noch einen kleinen Brief. Es standen nur zwei Sätze darauf und dennoch reichten diese aus um ihn vollkommen aus der Bahn zu werfen. `Es tut mir so Leid mein Junge, ich wollte dich nie enttäuschen... Dennoch wünsche ich dir zu deinem Geburtstag nur das Beste.´ Tai packte aufgewühlt und wie in Trance alles zurück in das Paket. Er wusste nicht, was er fühlen oder denken sollte. Aber er wusste, was er zu tun hatte... Er musste jetzt nach Aoshima reisen. Egal, ob er seinem Vater verzeihen konnte oder nicht, er musste dorthin. Er wollte auf sein Herz hören und das riet ihm, dass er jetzt genau dahin gehörte. Susumo war sein Vater trotz allem, das würde sich nicht ändern. Er hatte immer zu ihm aufgesehen, deshalb war er auch so enttäuscht, weil dieser all das einfach so aufs Spiel gesetzt hatte. Wenn dein Held aus Kindheitstagen auf einmal nicht mehr dein Held war ist das erst einmal schwer zu verkraften. Tai stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Er suchte nach der nächstmöglichen Zugverbindung und fand schließlich eine - am nächsten Tag, da die heutige Möglichkeit schon verstrichen war. „Toll, erst morgen früh“, brummte er verärgert. Jetzt wo er sich entschieden hatte, wollte er keine Zeit mehr verlieren und am liebsten sofort losfahren. Aber jetzt musste er warten, sich gedulden üben und er hasste es. Der Brünette rief seine Schwester an, er wollte ihr sagen, dass er nachkommen würde. Er wählte ihre Nummer und wartete ungeduldig, dass sie das Gespräch entgegen nahm. „Kari, endlich.“ „Tai? Alles okay?“, sprach sie unruhig durch das Telefon. „Ja, alles okay. Ich wollte euch nur sagen, dass ich nach Aoshima kommen werde. Ich habe gerade das Ticket gebucht. Morgen um zehn Uhr geht die Fahrt los“, klärte er seine Schwester auf und war stolz auf seine Entscheidung. „Tai, das ist wirklich prima. Papa wird sich so freuen. Es geht ihm wirklich nicht gut, er wird mit jedem Tag schwächer.“ „Sagst du ihm, dass ich komme...“, nuschelte er durch das Telefon. „Natürlich, ich kann es kaum erwarten ihm das zu sagen, das wird ihn so freuen. Ich freu mich auch und Mama auch und überhaupt.“ „Wie geht es Mama denn?“, fragte er interessiert nach. „Schlecht, sehr schlecht... eigentlich weint sie nur, wenn wir nicht gerade im Krankenhaus sind.“ „Ich hätte gleich mit euch fahren soll“, ärgerte Tai sich jetzt, dass er es vorher einfach nicht geschafft hatte. „Hauptsache du kommst jetzt, alles andere ist doch egal...“ „Kari, sagst du ihm nur für alle Fälle, dass ich das Paket von ihm aufgemacht habe...?“ „Natürlich, das mache ich. Was war denn drinnen?“, fragte sie gleich neugierig nach. „Frag Papa...“ „Papa? Du hast Papa gesagt...“ Tai hielt inne. Seit Susumo damals plötzlich Hals über Kopf die Familie verlassen hatte, hatte er seinen Vater nur noch bei seinem Vornamen genannt, einfach, weil dieser das, was einen Vater ausmachte, weggeschmissen hatte und in seinen Augen nicht mehr verdient gewesen war, so von ihm genannt zu werden. Warum er jetzt wieder Papa sagte, konnte er sich daher selber nicht erklären. „Scheint so...“, murmelte er verlegen. Kari kicherte in den Hörer rein und Tai rollte mit den Augen. „Das sage ich ihm auch.“ „Tu, was du nicht lassen kannst“, richtete Tai an seine Schwester, als es plötzlich still um seine Schwester wurde und er eine weitere Stimme vernahm. „Ich telefoniere mit Tai... Ja, ich komme jetzt, Keru. Tai? Ich muss auflegen“, erklärte Kari kurz. „Kein Problem, Kröte. Machs gut und bis morgen“, richtete er an seine Schwester, ehe er das Gespräch beendete. Er schrieb Mimi noch kurz, dass er sich dazu entschlossen habe, nach Aoshima zu reisen und legte sein Handy wieder weg. Er holte aus einem Abstellraum einen Koffer und fing schon mal an zu packen, damit er am nächsten Morgen nur noch das Nötigste einpacken müsste. Viel benötigte er nicht, er legte nur ein paar Hosen, sowie Shirts, Hosen, Unterhosen und Socken in den Koffer und wollte den Rest dann morgen dazu legen. Er war erleichtert, dass er diese Entscheidung getroffen hatte. Es fühlte sich richtig an und er selbst fühlte sich dadurch besser. Er war sich zwar immer noch nicht sicher, ob er Vergangenes vergessen konnte, aber er hatte auch Jahrelang einen guten Vater gehabt und dafür war er ihm doch dankbar. Dann konnte er auch runter fahren und ihn noch einmal sehen. Nachdem Tai duschen und gegessen hatte, war es auch schon wieder spät am Abend. Er ging in sein Zimmer und wollte noch etwas fernsehen, bevor er schlafen gehen würde. Das Leuchten seines Handys erhaschte seine Aufmerksamkeit und er nahm es in seine Hand. Mimi hatte geschrieben, damit war sie wohl gerade wach geworden – dachte er sich verträumt. Er öffnete den Nachrichteneingang und ein breites Grinsen schlich sich über seine Lippen. >Ich bin so stolz auf dich, du machst das richtig so. Ich liebe dich und bitte melde dich, sobald du in Aoshima angekommen bist oder wenn sonst irgendetwas ist. Egal welche Uhrzeit. Kuss.< Taichi dachte nicht lange über seine Antwort nach und schrieb gleich zurück. >Natürlich Prinzessin, mache dir nicht so viele Gedanken oder Sorgen um mich. Ich wünsche dir einen schönen Tag und ich liebe dich auch.< Er versendete die Nachricht und stellte den Wecker ein, damit er nachher nicht doch noch ein Zeitproblem bekam. Dann schaltete er den Fernseher aus und legte sich schlafen. Bereit und fest entschlossen am nächsten Tag nach Aoshima zu reisen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)