Leben im Sommer von nataschl91 ================================================================================ Kapitel 5: Die Frau mit den roten Haaren ---------------------------------------- Gabriell packte seine Sporttasche zusammen und sah auf sein Handy. Er hatte eine neue Nachricht. „Warte um 18 Uhr bei euch zu Hause. Freu mich, dich endlich wieder zu sehen!“ Sein Herz machte Freudensprünge als er sich diese Nachricht immer und immer wieder durchlas, so dass Gabriell beinahe gegen einen seiner Mitschüler rannte. „Oh sorry!“, entschuldigte er sich. „Kein Problem…“, entgegnete der andere Junge, „weißt du, wie ich in das Sekretariat komme?“ „Klar!“ Gabriell beschrieb ihm schnell den Weg dorthin und eilte weiter. Er löste das Schloss seines Fahrrads und fuhr los, als er auf der anderen Straßenseite Julien und Clarissa laufen sah. Ohne großartig zu gucken lenkte er ein und stoppte knapp hinter den beiden. „Ich würde danach gleich schnell wegrennen!“, kicherte Julien. „Wovor würdest du schnell wegrennen?“ Julien und Clarissa zuckten zusammen und starrten Gape groß an. „Hab…ich euch grade bei etwas bestimmten gestört?“, fragte er und lehnte sich über den Lenker. „N…nein…nur überrascht!“, antworteten die beiden im Chor. Gabriell hob beide Augenbrauen, erwiderte jedoch nichts. „Bis wann kommst du heute Abend zu mir?“, fragte Clarissa und hatte wieder dieses unbeschreibliche Funkeln in den Augen, welches er so liebte. „Oh…deswegen wollte ich noch mal mit dir reden. Ich kann dich heute Abend leider nicht besuchen. Mir ist etwas dazwischen gekommen.“ „Oh“, gab sie überrascht zurück. „Ja tut mir sehr leid…“, gestand er. Seine eigenen Worte stachen ihm wie glühende Spieße in die Magengrube, und erst recht, als er ihre enttäuschte Miene bemerkte. „Und…was genau ist dir dazwischen gekommen, wenn ich mal als deine Freundin fragen darf?“ „Das erzähl ich dir ein andermal.“ Mit diesen Worten drückte er ihr einen Kuss auf die Wange und gab seinem Drahtesel die Sporen. Zu Hause schmiss Gabriell seine Tasche in die Ecke und schwang sich unter die Dusche. Danach zog er ein frisches Hemd und Jeans an, was seinen Großvater stutzen lies. „Gell du führst deine Schnecke heute Abend gut aus?“, fragte dieser schmunzelnd. „Nein“, grinste der Junge über beide Wangen, „heute werde ich mal ausgeführt!“ „Aber…ich habe weder Geburtstag noch einen anderen gegebenen Anlass dafür parat“, überlegte Oliver. „Louisa kommt mich heute besuchen!“ „Ah…hat sie sich endlich wieder daran erinnert, dass es dich gibt?“ „Opa…“, seufzte der Junge. „Nein! Komm mir nicht mit der ‚Opa‘ Schmollmundnummer mit Hundeblick! Du weißt ganz genau, wie ich über Louisa denke!“ Gabriell ließ die Schultern sinken und guckte traurig drein. „Wirst…du mir jetzt verbieten sie zu treffen?“ „Ich denke, dass du alt genug bist um darüber selbst entscheiden zu können…“, antwortete Oliver niedergeschlagen, „dennoch…ich bin nicht heiß drauf, ihr über den Weg zu laufen.“ *** Gabriell hüpfte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. Gleich würde sie kommen und ihn abholen! Endlich würde er sie wieder sehen! Er blickte auf sein Handy. Keine neue Nachricht…weder von seiner Louisa noch von Clarissa. Hab ich sie vorhin vor den Kopf gestoßen? Plötzliches Hupen ließ Gabriell aufschrecken und er staunte nicht schlecht, als knapp vor seinen Füßen ein Audi r8 Spyder hielt. „Wahnsinn…“, hauchte er und erwischte sich selbst, wie er zu sabbern begann. „Hey! Der Tisch ist reserviert und das Restaurant voll ausgebucht! Du kannst dich später an ihm satt sehen!“, rief eine Frauenstimme aus dem Innenraum. Der Junge strahlte, als er die Frau in dem Auto erkannte, stieg hastig ein rutschte zu ihr rüber, um sie zu umarmen. „Hallo Mama!“ „Herr Gott bist du groß geworden!“, schwärmte sie, „und wie muskulös! Wahnsinn!“ „Du…siehst auch gut aus, Mama…“ „Ach jetzt übertreibst du aber!“, lachte sie und fuhr los, „ich habe seit langem wieder mal eine andere Haarfarbe, sonst nichts!“ „Orange?“ „Kupferrot.“ Sie stiegen beide an einem Restaurant aus, in das man dank seiner riesigen Fenster bis an die Bar sehen konnte und das wirklich bis auf vereinzelte Tische ausgebucht war. Seine Mutter ging zu der Empfangsdame und sagte ihr den Namen auf den sie reserviert hatte. Sofort wurden die beiden an einen Tisch nahe des Pianos geführt und nahmen Platz. Gabriell sah sich leicht unwohl um denn trotz, dass er ein Hemd inklusive Weste trug stach er durch seinen lässigen Stil aus der Menge heraus. „…und extra schick hast du dich für mich gemacht. Ich bin begeistert!“, lobte ihn seine Mutter. „Ich hätte ruhig noch mein Sakko anziehen können…“, bemerkte er und sah sich weiter um. „Ach…mach dir über die anderen keine Gedanken, Liebling“, beruhigte Louisa ihn und schlug die Karte auf, „du darfst dir aussuchen, was du möchtest!“ Gabriell tat es ihr gleich und verschluckte sich beinahe an seiner eigenen Spucke. Diese Preise… „Verzeih mir, dass ich dich das jetzt frage, Gabriell…“, begann seine Mutter und legte eine Hand auf seine, „aber wie alt bist du jetzt eigentlich?“ „Äh…fast achtzehn…“ „Was? Schon fast achtzehn? Na dann kannst du ja einen Wein mit mir trinken!“ Hat…sie mich jetzt ernsthaft nach meinem Alter gefragt? In diesem Moment kam der Kellner an ihren Tisch und zückte den Kugelschreiber. Während er seinen Begrüßungssatz runter leierte starrte Gape auf seine Hände, welche auf seinem Schoß lagen. Sie hat mich nach meinem Alter gefragt…meine Mutter…! „Hallo! Ich hätte gerne die Weinbergschnecken an Weißweinschaumsauce, dann das Ingwerschnitzel an Fenchelsamen und Sommergemüse…was möchtest du haben mein Schatz?“ Gabriell schreckte leicht hoch. Der Kellner starrte ihm in die Augen und hielt in seiner Schrift inne. Der Junge blickte zu seiner Mutter, welche ihn besorgt anlächelte. „Ist mit dir alles in Ordnung?“ „J…ja…“ Sie wandte sich an den Kellner: „Ich glaube er braucht noch ein bisschen…“ Der Mann verschwand nach kurzem Zögern wieder und Louisa beugte sich zu ihrem Sohn. „Gabriell…? Was ist denn?“ „N…nichts.“ „Wirklich?“ „Ich…ich war nur erstaunt…von den Preisen…“ „Ich habe dir doch gesagt, dass du dir heute aussuchen darfst, was du willst!“ Ja heute…und das soll dann für die nächsten 10 Jahre anhalten? Er schlug die Karte erneut auf und ließ seine Gedanken schweifen. Als er kurz zu seiner Mutter aufsah, bemerkte Gape, dass sie in der Gegend herumschaute, nicht auf ihn… „Ich hab mir was ausgesucht…“, verkündete er knapp und nahm einen kräftigen Schluck Wasser. „Schön“, lächelte seine Mutter und winkte erneut den Kellner zu ihnen. „Ja bitte…?“ „Ich hätte gerne das Tomaten-Melone Gazpacho mit Garnelenspießen und als Hauptgang die Putenrouladen mit Spinat und Frischkäsefüllung…“ „Können Sie uns einen Wein dazu empfehlen?“, fügte seine Mutter gleich hinzu. „Oh ja Madame. Einen Château Mouton-Rothschild Premier Grand Cru Classé von 2009 saftig, verspielt und ungemein elegant am Gaumen, herrliche Würze und sehr feine, typische Fruchtaromatik, fein nuanciert und endlos tief…“ „Wir hätten gerne eine Flasche davon“, unterbrach sie ihn lächelnd. „Sicher“, nickte er und sah ein letztes Mal zu Gape. Dieser bemerkte natürlich den forschenden Blick und grinste herausfordernd und meinte: „Bernstein.“ „Bitte Monsieur?“ „Sie fragen sich welche Farbe meine Augen haben…Bernstein. Nicht gelb!“ Der Kellner erwiderte nichts darauf, er lief nur rot an da er ertappt worden war und verschwand in die Küche. Louisa nippte an ihrem Glas und schielte zu ihrem Sohn. „Ja Mama. Man guckt mich immer noch deswegen komisch an. Aber ich mach mir mittlerweile einen Spaß daraus.“ „Hab ich gehört“, entgegnete sie etwas kühl, „fandest du dein Benehmen nicht etwas unverschämt?“ „Äh…was?“, lachte er gekränkt auf, „findest DU es nicht etwas unverschämt nach fast zehn Jahren plötzlich wieder in meinem Leben aufzutauchen, so zu tun, als wäre alles happy? Du führst mich in ein Nobelrestaurant aus, um einen Wein im Wert für 450 Euro zu bestellen?“ Louisa starrte ihn für einige Sekunden sprachlos an, dann registrierte sie was er gesagt hatte. „Du…bist also…immer noch böse auf mich?“ „Du hast mich gerade gefragt wie alt ich bin…beantwortet das deine Frage?“ Der Kellner brachte die Vorspeisen und den Wein, welchen er gleich einschenkte und einen guten Appetit wünschte. Gabriell und seine Mutter schwiegen bei den ersten Bissen, sahen sich ab und zu aus den Augenwinkeln aus an und probierten den Wein. „Hm…der ist lecker…“, schwärmte Louisa und nahm gleich noch einen Schluck. „Der kratzt im Hals…“ „Aber der Geschmack ist gut!“ Gabriell fuhr sich mit der Zunge noch mal am Gaumen entlang und stellte schließlich das Glas mit einer Grimasse im Gesicht zurück. Als seine Mutter sein Gesicht bemerkte musste sie herzhaft auflachen und hatte große Mühe, sich wieder zu beherrschen. Auch Gape musste sich zwingen nicht mit zu lachen, so biss er sich auf die Unterlippe und kniff die Augen zusammen. Jetzt wurden sie beide von dem Kellner angestarrt, welcher gerade nach dem Rechten sehen wollte. „Es ist alles in Ordnung!“, kicherte Louisa und winkte dem Kellner ab, bevor er nachfragen konnte. *** „Das war ein wirklich schöner Abend…“, schwärmte die rothaarige Frau. „Ja. War wirklich schön.“ „Und wann hast du wieder für mich Zeit?“, fragte sie. „Hm…demnächst nicht. Meine Freundin hat mich heute schon richtig misstrauisch angeguckt…“, überlegte Gabriell, „wir können das also auch nicht so oft machen.“ „Also muss ich jeden Abend mit dir genießen, hm?“, kicherte Louisa. „So in etwa. Ich kann dir aber noch gerne einen Kaffee machen wenn du willst?“ „Nur einen Kaffee? Morgen ist Samstag!“ „Sorry…aber ich habe morgen noch so einiges vor.“ Die Frau legte ihre Arme um seinen Nacken und grinste: „Dann werde ich meinen Kaffee ganz schnell leertrinken, so dass wir noch Zeit zum reden haben…“ Der falsche Engel lachte auf. „Reden willst du also? Also gut komm rein!“ Louisa küsste Gabriell auf die Wange. Er schloss die Tür auf und die beiden verschwanden kichernd im Haus. „Ich kann dir aber auch gerne einen Latte Macchiato machen, wenn dir das lieber wäre…?“, schlug der Junge vor, während Louisa ihre Jacke auf dem Barhocker ablegte. „Oh ja! Das wäre sehr lieb von dir!“ Gabriell machte sich gleich ans Werk unterhielt sich trotzdem mit ihr weiter: „Du…sagtest, dass du mich wieder öfters sehen willst…? An wie oft hast du denn gedacht?“ „Ich weiß es selber nicht…es kam so über mich, weil ich mich so sehr gefreut habe, dich wieder zu sehen!“ „Ach so…“ „Bist du jetzt enttäuscht?“ „Ich glaube nicht…“ „Wirklich…?“ „Nein. Nein ich denke nicht“, grinste er und schäumte die heiße Milch auf, „können wir das Thema wechseln?“ „Klar!“, strahlte Louisa, „erzähl mir von deiner Freundin! Ich frage mich jetzt schon, ob du sie mir mal vorstellen wirst?“ „Weiß ich noch nicht.“ „Du bist fies! Kannst du deiner Mutter wirklich einen Wunsch ausschlagen?“ „Wie viele Wünsche hast du mir als Kind ausgeschlagen…? Ach ja richtig! Du hast mich mit acht Jahren bei meinem Großvater gelassen und hast dich über zehn Jahre lang nicht gemeldet.“ Louisa ging die Bemerkung quer über die Leber, doch die lächelte traurig. „Erzähl mir wenigstens von ihr…“ „Hm…sie ist einfach wundervoll! Sie ist unheimlich hübsch und kann mir sogar Veto geben!“ „Oh!“, hellte Louisas Stimme auf, „dann muss sie etwas ganz Besonderes sein.“ „Ist sie!“ „Dann pass auch gut auf sie auf.“ Gabriell lächelte stolz und goss die Milch samt Schaum auf den Espresso und stellte ihn seiner Mutter vor die Nase. Gerade als er ihr einen Strohhalm in das Glas stecken wollte nahm sie einen kräftigen Schluck und verbrannte sich die Zunge an der heißen Milch. „Pass auf!“, rief Gabriell aus, doch da hatte seine Mutter den Schluck schon wieder ausgespuckt…direkt auf Gabriells Hose… Die beiden sahen sich kurz schweigend an, lachten dann schließlich laut auf. „…ich Dummerchen! Jetzt ist deine Hose ganz nass…tut mir leid, dass ich so gierig war…“ „Ich hätte dich ebenfalls vorwarnen müssen…“ „Ach“, kicherte sie und leckte sich die Finger ab, „das Bisschen, was ich dich vollgespritzt habe ist doch nicht der Rede wert. Ich hätte aber nie gedacht, dass es so heiß ist!“ Gabriell zog eine Schnute und brachte ihr ein Handtuch. Dann holte er das kleine Alupäckchen aus ihrer Handtasche und packte es auf der Küchenzeile aus. „Oh nein wie geil!“, jubelte er glücklich, „du hast mir Petits Fours gemacht!“ Louisa grinste breit: „Ich weiß doch, das du ein Naschkater bist!“ „Oh…danke Mama!“, strahlte der Junge und schob sich ein Küchlein nach dem anderen in den Mund. Die Frau saß auf einem Barhocker und sah Gabriell zu, wie er sich den Daumen und Zeigefinger genüsslich ablutschte. „…und du warst besonders lecker…“, grinste er schließlich und leckte seine Mundwinkel mit der Zunge, nachdem er das letzte Küchlein gegessen hatte. Louisa reagierte sehr gelobt und druckste ein bisschen herum, bis sie sich eine lange rote Locke ihres Haares um ihren Finger wickelte: „Ach du…das sagst du nur so! Willst dich bestimmt bei mir einschmeicheln, stimmt’s?“ „Das hab ich gar nicht nötig“, lächelte Gape. „Stimmt“, grinste sie ihn an und beugte sich zu Gabriell vor, „du warst ja schon mal zwischen meinen Schenkeln…und so lange wie du da verbracht hast, hat es dir anscheinend sehr…sehr gut gefallen.“ „Mama!“, beschwerte er sich und wurde rot, „das war bei meiner Geburt!“ „Ich schwelge halt gerne in Erinnerungen…“ Plötzlich hörten die beiden, wie etwas vor der Haustür knallte. Gabriells Augen funkelten und er eilte zur Haustür. Nach wenigen Augenblicken kam er zurück zu seiner Mutter und zuckte nur mit den Schultern. „Du…hast es doch auch gehört?“ Louisa nickte und nahm einen Schluck ihres Latte Macchiatos. „Da war aber niemand…“ „Vielleicht ein Tier?“ „Möglich…“, meinte der Junge und setzte sich wieder neben seine Mutter. „Also…was hast du morgen alles vor?“ „Ich möchte mit Clarissa in die Stadt gehen. Ich habe sie heute schon fast eiskalt stehen lassen, um mit dir essen gehen zu können, so dass ich jetzt ein schlechtes Gewissen habe.“ „Ohje…soll ich mitkommen und dich bei ihr entschuldigen?“ „Nein…sie hat mir sicherlich schon eine SMS geschrieben. Sie ist nicht so nachtragend…“ „Wie gesagt: pass gut auf sie auf!“ Gabriell und Louisa stießen mit ihren Kaffees an. *** Ich blickte den falschen Engel mit weit aufgerissenen Augen an, als er seine Version der Story beendet hatte. Ich nahm zögernd meinen Zeigefinger aus dem Mund, nachdem ich vor lauter Spannung wie verrückt darauf rumgekaut hatte. Gabriell stand mit ein wenig Abstand zu mir an sein Fahrrad gelehnt, während ich auf der obersten Stufe der Veranda saß. Louisa hatte sich schräg hinter ihren Sohn gestellt, nachdem Gabriell sie mir vorgestellt hatte. Sie war aus nächster Nähe noch viel hübscher, was mich nur noch mehr einschüchterte. Ich war damit beschäftigt gewesen, mir auszumalen, wie viele Jobs ich später ausüben müsste, damit ich mir dieselben Desingerklamotten wie Gapes Mutter kaufen konnte. Louisa war mit dem bekleidet, was Daniela und ich immer von den Schaufenstern aus anhimmelten. Wir trauten uns kaum die Markennamen laut auszusprechen! „Das war’s“, fügte Gape nach ein paar Minuten seiner Geschichte hinzu, nachdem er immer noch keine Reaktion von mir gesehen hatte. Ich zuckte kurz auf und nickte ihm zu. „Was…und was war für dich jetzt so schlimm daran?“, kicherte er vorsichtig. Ich zog den Kopf zwischen die Schultern ein, was Gabriell dazu veranlasste laut aufzulachen. „Oh…du…! Komm her…“ Noch bevor ich irgendwie reagieren konnte zog mich der falsche Engel zu sich rüber und nahm mich in seinen Arm. Oh Gott wie hatte ich seinen Geruch und seine Körperwärme vermisst! Ich musste kurz aufschluchzen, weshalb er mich nur noch mehr an sich drückte. „Ihr zwei seid so goldig…“, schwärmte Louisa und klatschte verzückt in die Hände. Ich wandte mich zu ihr und meinte niedergeschlagen: „Es…tut mir leid, dass ich gedacht habe…“ Louisa winkte ab und kam mir ein Stückchen näher. Sie grinste mich voller Freude an. „Jetzt da die Fronten geklärt sind…hättest du Lust morgen mit mir in der Stadt einen kleinen Beautyparkour zu machen?“ „Ich denke nicht…“, mischte sich Gape ein, doch seine Mutter ignorierte ihn eiskalt. „Nur wir Mädels!“, fügte sie ihrem Angebot hinzu. „Danke, aber ich habe diesen Monat nicht so viel verdient…und…ich wollte auf unseren Urlaub sparen“, versuchte ich mich rauszureden. Louisa winkte erneut ab und machte eine unbesorgte Geste. „Ich lade dich natürlich ein, Clarissa! Keine Frage…ist doch selbstverständlich!“ Aus dem Augenwinkel sah ich zum falschen Engel rüber und betete, dass Louisa meinen hilfesuchenden Ausdruck nicht bemerkte. Gabriell hob selbst ratlos die Schultern. „Okay…“, willigte ich zögernd ein, während Louisa beinahe Luftsprünge vollführte. „Supi!“, quietschte sie, „dann hol ich dich morgen so um neun Uhr ab.“ „Um neun?“ „Na klar! Für das, was wir beiden hübschen vorhaben brauchen wir sehr viel Zeit! Und du weißt ja, nur wer sich stresst und hetzt kriegt Falten.“ *** „…sag mal, als was arbeitet deine Mutter eigentlich?“, fragte ich Gabriell beunruhigt am Telefon, während Louisa in einer Umkleidekabine stand und ich mich ein paar Meter abseilen konnte. Gabriell schwieg einige Zeit am Telefon, so dass ich nachfragte, ob er noch dran war. „Ich kann es dir ehrlich gesagt nicht sagen…“, stutzte der falsche Engel. „Wieso weißt du nicht, was deine Mutter…warte kurz sie kommt wieder!“ Louisa präsentierte sich mir in ihrem neuen Outfit und stolzierte vor ihrer Kabine herum, wie auf einem Catwalk. Erst als die Frau erneut hinter dem Vorhang verschwand hielt ich mir das Handy wieder ans Ohr. „Ehrlich, Gape! Ich hab aufgehört zu rechnen, wie viel sie jetzt schon für uns beide ausgegeben hat!“ „Wenn du dich unwohl fühlst, dann geh.“ „Ich kann doch nicht einfach gehen!“ „Klar nicht einfach gehen…“, seufzte er, „sag ihr, dass du noch mit mir was vorhast. Sie versteht das schon…“ Ich seufzte ebenfalls und rang mit mir selbst. Wie sollte ich reagieren? „Na?“, rief mir Gabriells Mutter stolz entgegen, „wie findest du dieses Kleid?“ „…ähm…“ „Komm schon! Der Farbton steht mir doch, oder?“ Ich wusste nicht, ob ich staunen oder erschrecken sollte. „Na?“ „Ich…also…“, stotterte ich, „es ist…kurz.“ Louisa sah im Spiegel an sich runter und formte ihre Lippen zu einem Kussmund. „Ich finde…es genau richtig…“ Ehrlich…?, dachte ich mir, während ich meinen Blick nicht von ihr nehmen konnte. Das Kleid, welches vielleicht fünf Zentimeter unter ihren Hintern endete schlang sich regelrecht um ihren schlanken Körper. Ihre roten lockigen Haare fielen ihr geschmeidig über die Schultern und ihre grasgrünen Augen leuchteten vor Freude. „Das nehme ich!“, rief Louisa schon beinahe freudig aus und deutete der Dame, welche ihr das Kleid gebracht hatte, dass sie es einpacken sollte. „Sicher, Madam“, entgegnete die junge Frau und vollführte beinahe eine Verbeugung. Gabriells Mutter begab sich erneut in die Umkleide und zog sich ihre Kleidung an. Ich lehnte gelangweilt gegen die eine Kabine, als plötzlich Shane neben mir auftauchte. Sie schaute mich entgeistert an und rümpfte beinahe schon die Nase. „Was machst DU denn hier?“, wollte sie wissen. „Ich diene als Kleiderständer…“, gab ich desinteressiert von mir. Shane zog ihre perfekt gezupften Augenbrauen zusammen und schien mich genauer zu begutachten. „Du warst doch beim Friseur?!“ „Gut beobachtet…“ „…und du trägst Gelnägel!“ „Willst du mich abschleppen, oder warum siehst du mich so genau an?“ „Woher hast du kleine Wochenendbedienung das Geld für sowas her?“, fragte Shane herablassend. „Trinkgeld, Shane…“, scherzte ich, bevor Louisa mir mit einem stolzen Grinsen entgegen kam. „Willst du es auch mal anprobieren?“ „Nein, danke…“ „Komm schon!“ „Ich passe da niemals rein…“, lehnte ich wieder ab. „Die haben es sicher auch in deiner Größe“, versprach Louisa, „welche brauchst du?“ Ich lief dezent rot an und senkte den Kopf, in der Hoffnung, dass meine neue Frisur mein Gesicht verbergen würde. „Ja, Clarissa“, kicherte Shane, „welche Größe brauchst du denn?“ Louisa blickte kurz meine Mitschülerin an, ignorierte sie jedoch wieder. „Schämst du dich grade?“ Halt die Klappe!, dachte ich mir, schüttelte jedoch stumm den Kopf. Louisa zuckte desinteressiert mit ihren schmalen Schultern und ging an die Kasse. „Clarissa…du brauchst dich doch nicht zu schämen!“, meinte Shane gespielt besorgt zu mir und legte mir schon fast fürsorglich eine Hand auf die Schulter. Oh…mein…Gott! Am späten Nachmittag fanden sich Louisa und ich uns in einem angesagtem Lokal wieder, wo sie sich gleich einen Wein und für mich eine Saftschorle bestellte. Die dickgefüllten Einkaufstaschen standen links und rechts neben uns und verrieten anderen Passanten, dass Louisa viel Geld besitzen musste. „Und? Hat es dir heute gefallen?“, fragte mich Louisa neugierig und nippte an ihrem Wein. „Äh…ja…danke…“ „Danke?“ „Danke, dass du das alles für mich gezahlt hast.“ Louisa winkte müde ab. „In was für einem Job verdient man denn so viel?“, wollte ich wissen. „Was soll das heißen?“ Ich zuckte zusammen, als Louisas Tonfall plötzlich dermaßen umschwang. „D…das sollte jetzt nicht vorwurfsvoll klingen!“, entschuldigte ich mich gleich, „ich war nur neugierig, weil ich wissen wollte, was ich später mal arbeiten würde…“ Louisa ignorierte meine Entschuldigung und nahm einen kräftigen Schluck ihres Weins. Wir schwiegen uns zirka fünf Minuten lang an. „Wer war das Mädchen von vorhin eigentlich?“, brach Louisa das Schweigen, blickte jedoch irgendwo in der Gegend rum. „Shane…“, entgegnete ich genauso uninteressiert, „sie ist eine Mitschülerin.“ „Aha. Eine Freundin von dir?“ „Ne“, lachte ich, „zum Glück nicht!“ Louisa sah mich fassungslos an, erwiderte aber nichts. Sie bestellte sich lieber noch ein Glas Wein. „Ähm…du weißt…aber schon, dass du noch Auto fahren musst…?“ „Ist eh nicht meins…“, gab Louisa plötzlich von sich. Ich verschluckte mich heftig an meiner Saftschorle, während Gabriells Mutter mich immer noch ansah, als wäre ihre Aussage von Eben das normalste überhaupt. Als ich mich wieder einigermaßen eingefangen hatte, wollte ich von ihr wissen, wie sie das gemeint hatte. „Na er ist nicht mein Auto…“ „Von wem denn dann?“ „Sagen wir, dass er ‚geliehen‘ ist. Ein alter Freund war mir noch was schuldig.“ Mir lief ein eisiger Schauer über den Rücken und mein Frühstück machte Anstalten, wieder hochzukommen. Instinktiv griff ich nach meinem Handy und wollte Frederik anrufen, damit er mich sofort aus dieser Misere befreite, als Louisa hell auflachte. „Du solltest dein Gesicht sehen!“, lachte sie schallend, „sorry…ich wollte nur sehen, wie weit ich bei dir gehen kann…“ Ich starrte sie entgeistert an, während die Frau eine Freudenträne aus dem Augenwinkel wischte. „Ich arbeite in einer privaten Arztpraxis…ich bin sozusagen…die Sekretärin vom Chef.“ „Gabriells Papa?“ „Nein.“ Louisa nahm erneut einen kräftigen Schluck ihres Weins, spätestens jetzt wusste ich, dass ich definitiv nicht mehr mit ihr fahren würde. „Wo…wo ist sein Vater eigentlich?“ „Was weiß ich…“, seufzte Louisa. „Entschuldigung…“ „Er war eh n‘ Trottel…“ „Aha…“ „Wollte mich an der ‚kurzen Leine‘ halten…mieser Drecksack!“ „A…aha…“ „…mich heiraten wollte er auch noch! Stell dir das mal vor!“ „Ist das…nicht schön?“ „SCHÖN? Den Rest meines Lebens an einen Mann gebunden zu sein, sich um den Haushalt zu kümmern und ein Kind großzuziehen ist SCHÖN?“ „Fände ich schon“, entgegnete ich ihr entschlossen, „ich kann mir sehr gut vorstellen, den Rest meines Lebens mit Gabriell, deinem Sohn zu verbringen.“ „Diese Augen…“, raunte Louisa und stützte ihren Kopf auf eine Hand, „wie kannst ihm nur in die Augen schauen?“ „Ich muss zugeben, dass es am Anfang Gewöhnungsbedürftig war…“, lächelte ich, „aber schlussendlich…“ „Diese Augen…“, stammelte Louisa erneut, schon fast wie in Trance, „ich hasse sie…“ Mit diesen Worten stand sie von ihrem Platz auf, nahm ihre Einkaufstaschen und ging einfach. Noch im selben Atemzug setzte sich ein mir ach so vertrautes Gesicht auf den Platz mir gegenüber. Ich stöhnte genervt. „Du stalkst mich doch, oder Shane?“ Das Mädchen lächelte mich schief an, während der Kellner zu mir kam und fragte, ob ich die Rechnung zahlen würde. Zum Glück hatte ich vorsichtshalber etwas Geld mitgenommen, um genauer zu sein meinen Lohn der letzten zwei Monate. „Ja…ich zahle…“, entgegnete ich dezent überrumpelt und nahm die Rechnung entgegen. „Wer war eigentlich die hübsche Frau vorhin bei dir?“, wollte Shane wissen und lugte zu mir rüber, „kann mir nicht vorstellen, dass das deine Mutter war…“ Meine Augen wurden immer größer, fielen mir beinahe aus dem Kopf und meine Kinnlade klaffte auf. Ich starrte zum Kellner, welcher mich vielsagen anblickte. „Clarissa?“, klang Shane zum ersten Mal beinahe besorgt. „Darf…kann…ich…kurz wo…anrufen…?“, fragte ich den Kellner und versuchte nicht nervös zu lächeln. Der Kellner hob eine Augenbraue, nickte jedoch wortlos und entfernte sich. Schnell griff ich zu meinem Handy und wählte die mir vertraute Nummer. „Jetzt sag schon! Was ist los?“, fragte Shane erneut. „Hallo?“, hörte ich Annas Stimme am anderen Ende. „Tante!“, atmete ich erleichtert auf, „holst du mich bitte ab?“ „Ich dachte du bist mit Gabriells Mutter shoppen?“ „Ich erzähl es dir gleich…ach ja: könntest du bitte etwas Geld mitnehmen?“ „Klar. Wie viel denn?“ Ich zögerte kurz, las mir die Rechnung noch mal durch, nur um sicher zu gehen, dass ich mich nicht verlesen hatte. „Ähm…genau da ist der Haken…“ „Clarissa? Ist alles in Ordnung?“ Genau in diesem Moment erblickte ich den Kellner, wie er zwei Männer in Uniform den Weg zu meinem Platz wies. Mein Magen wurde flau und ich bekam eiskalte, schwitzige Hände. „Nein, Anna…“, seufzte ich zittrig, „nichts ist in Ordnung…“ Der Polizist trat neben meinen Sitzplatz, setzte seine Mütze ab und sah mich prüfend an. „Sie sind Clarissa Ulmer?“ „J…ja…?“ Shane sah den Mann mit ebenso großen Augen an, wie ich. „Würden sie bitte mit uns mitkommen?“ „Meine Tante kommt gleich! Sie bringt das Geld für die Rechnung mit!“ Der Polizist seufzte tief und meinte: „Es geht nicht um diese Rechnung hier, Frau Ulmer.“ „O…kay…?“ „Würden Sie bitte mit uns mitkommen?“ Ich sah nur noch, wie Shane ihr Handy zückte und wie von der Tarantel gestochen darauf herumtippte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)