Two days of Winter von _Delacroix_ ================================================================================ A Day of Winter --------------- Seine Füße flogen über die verschneite Wiese. Sein Atem ging schwer. Ein paar Haare hatten sich aus seinem Zopf gelöst und fielen ihm ins Gesicht. Trotzdem dachte er nicht daran stehen zu bleiben. Die dunkelblaue Daunenjacke war feucht geworden und zog ihn unnachgiebig mit sich nach unten.   Plötzlich ein Schrei. „Hab ich dich!“, dröhnte es hinter ihm, doch er drehte sich nicht um.   Es war bereits zu spät. Sie war nicht schnell genug gewesen und nun war ihr nicht mehr zu helfen. Er wechselte die Richtung, schlitterte knapp an einer Eiche vorbei und fischte noch im Laufen nach dem kalten, weißen Schnee unter sich. Oboros Opfer verschaffte ihm wertvolle Sekunden. Sekunden, die er nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte. Takumi presste den Schnee zusammen, drehte sich auf dem Absatz um und warf. Kurz glaubte er, er würde nicht treffen und hätte seine Chance so doch noch vertan, aber schließlich klatschte der Schneeball mit einem dumpfen Knall gegen Hinatas Oberarm. Einen Moment lang starrte der ihn an, dann griff er in einer übertriebenen Geste nach der feuchten Stelle auf seiner Jacke.   „Warum?“, jammerte er, nur um im nächsten Moment unter einem ganzen Berg Schnee begraben zu werden. Die Übeltäterin grinste Takumi an, dann stürzte sie sich auf ihn.   Weitere Schneebälle flogen auf ihn zu. Oboro lachte.   Etwas traf auf seine Jacke, doch Takumi interessierte das nicht. Viel zu beschäftigt war er damit Oboros anderen Schneebällen zu entkommen und weiter zu laufen. Weiter hinein in den Park, wo die Schneefläche noch unberührt war und jede Menge Munition für einen Gegenschlag bot.   Hinter ihm schnaufte Oboro. Irgendwo dahinter erklang ein unglückliches „Wartet!“ Vermutlich war es Hinata, der sich erst vom Schnee befreien musste, aber natürlich war Warten keine Option. Warten hieß Schnee und Schnee wollte er im Moment nur zwischen seinen Fingern spüren.   Takumi beschleunigte noch einmal und verschwand keuchend hinter einem kahlen Busch. Die Gelegenheit um einen weiteren Schneeball aufzunehmen. Eilig bückte er sich nach der weißen Masse und presste sie in einen Ball. Es war nur eine Frage von Sekunden bis Oboro hinter dem Gestrüpp hervorkommen würde und dann – Dann hatte er sie. Takumi blieb in der Hocke, machte sich zu einem möglichst kleinen Ziel und wartete. Er wartete auf ein Rascheln, auf Oboros knallige, orangefarbene Jeanshose, die durch die Zweige blitzte, auf eine Bewegung oder einen Laut...   Doch nichts geschah.   Kein Hinata brach durch das Gestrüpp, keine Oboro tauchte hinter den Zweigen auf. Selbst ihr Lachen schien auf einmal verstummt zu sein. Im Entengang wagte sich Takumi näher an die Ecke heran. Wenn das eine Falle war, war es eine miese. Trotzdem musste er nachsehen. Selbst wenn er dabei Gefahr lief, vielleicht einen Schneeball abzubekommen, er musste wissen, wo seine Freunde sich verkrochen hatten. Nur so konnte er einen potentiellen Gegenschlag vorhersehen und vermeiden.   Einmal noch atmete er ganz tief durch, dann blickte er um die Ecke, sah eine Bewegung und warf. Der Schnee machte ein ekelhaft klatschendes Geräusch, in der Ferne gackerte Oboro und Takumi wurde heiß und kalt zugleich. Das da vor ihm war definitiv keiner seiner Freunde.   Mit großen Augen starrte er auf den Schnee, den er zielsicher im Gesicht eines Fremden platziert hatte.   Er bröckelte.   Die Welt schien stillzustehen, während der andere Junge sich den Schnee aus dem Gesicht wischte. Seine Wangen waren rot. Ob vor Scham oder vor Wut, Takumi wusste es nicht. Dennoch beeilte er sich, sich wieder aufzurichten.   „Das ähm -“ „Spar es dir“, fiel ihm sein Opfer prompt ins Wort. Es klang wütend, wirklich ziemlich wütend. „Wenn ihr schon meint, den Park für eure kindischen Spiele missbrauchen zu müssen, könntet ihr wenigstens darauf achten, wohin ihr werft.“ Grüne (1) Augen starrten finster zu ihm hinab, doch Takumi schüchterte das nicht ein. Hatte ihm sein Versehen eben noch leid getan, sah die Welt jetzt schon wieder ganz anders aus. „Du könntest auch einfach darauf achten, wohin du läufst“, knurrte er zurück. Ganz egal ob es seine Schuld gewesen war oder nicht, kein dahergelaufener Privatschüler nannte ihn und seine Freunde „kindisch“. Und ein Privatschüler musste er sein, das verriet schon die teure Jacke mit der gestickten Aufschrift auf der Brust.   Anya Academy. - Das klang schon total bescheuert.   Der Privatschüler ließ die Schlittschuhe sinken, die er über der Schulter getragen hatte. Ein weiteres Mal starrte er ihn finster an, dann begann er sich Schnee von der Kleidung zu klopfen, der schon längst nicht mehr dort war. „Wegen dir komme ich jetzt zu spät“, meckerte er dabei und hätte es Takumi nicht so sehr geärgert, er hätte es vielleicht sogar ganz amüsant gefunden. „Vielleicht solltest du mir dankbar sein“, zischte er zurück und veranlasste den anderen Jungen so dazu, von dem nicht vorhandenen Schnee abzulassen. „Bitte?“, fragte er auf eine Art, die so arrogant klang, dass sie nur von einem echten Privatschüler stammen konnte. Takumi grollte finster. „Immerhin verhindert mein Schneeball gerade, dass du dich auf den Teilen da zum Affen machst“, erklärte er ihm das Offensichtliche. Er deutete auf die Schlittschuhe, doch wenn er damit einen Nerv traf, zeigte der Andere es nicht. Schlanke Arme wurden vor der Brust verschränkt, ein weiteres Mal trafen ihn tödliche Blicke, die Takumi kälter nicht hätten lassen können. „Ich habe keine Zeit für deinen Unsinn“, lenkte sein Gegenüber schließlich ein, schnappte sich seine Schlittschuhe vom Boden und stapfte eilig weiter. Takumi blies die Backen auf. Er wusste, er sollte die Chance nutzen, um zu den Bäumen zurückzulaufen, hinter denen seine Freunde verschwunden waren. Vielleicht würden sie ihm sogar glauben, dass er das Ekelpaket in die Flucht geschlagen hatte, wenn er es nur laut genug erzählte, aber …   … er würde es besser wissen und das würde fortan an ihm nagen.   Einen Moment lang starrte Takumi dem fremden Jungen nach, dann setzte er sich in Bewegung. Nicht so schnell, als wollte er ihn einholen, aber schnell genug, dass er jeden Richtungswechsel bemerken würde, der dem Anderen bis zum Harlem Meer noch einfallen mochte. Er ahnte wohin er wollte und er würde auf keinen Fall zulassen, dass er sich dort amüsierte. Nicht nachdem er ihm gerade erfolgreich den Tag verdorben hatte.   ❄❄❄❄   Es dauerte nicht lange, bis der Lasker Rink in Sichtweite kam, aber eigentlich hörte er ihn mehr, bevor er ihn sah. Jauchzende Kinder und kitschige Musik verrieten, dass er an einem schönen Wintertag wie heute nicht ungenutzt blieb. Takumi wollte lieber nicht versuchen, sich die Menschenmassen vorzustellen, die sich um den deutlich beliebteren Wollman Rink drängen würden. Vermutlich glich Eislaufen dort inzwischen einem Slalomlauf zwischen New Yorkern und Touristen, bei dem alle Beteiligten nur verlieren konnten. Stumm richtete er den Kragen seiner Jacke und folgte seinem Opfer in Richtung Haupteingang. Er hätte nach ihm rufen können, zwar nicht mit Namen, aber ein „He Blondi“ hätte sicherlich ausgereicht, um dafür zu sorgen, dass der Andere ihn bemerkte. Allerdings wollte er das nicht. Er wollte der Nervensäge bestimmt nicht die Zeit vertreiben, während er auf seine Freunde wartete. Er wollte … Ja, was eigentlich?   Unschlüssig blieb er stehen, den Blick weiter auf den Jungen in der lilafarbenen Jacke gerichtet. Wenn er ehrlich war, war die ganze Aktion schon ziemlich dumm. Er kannte ihn nicht, er mochte ihn nicht und doch hatte er seine Freunde stehenlassen, um ihm nachzulaufen und das nur, weil er seinen spontanen Abgang nicht hatte akzeptieren können. Unzufrieden presste Takumi die Hände in die Taschen seiner Daunenjacke. Jetzt, wo die Bewegung nachgelassen hatte und der Schnee endgültig geschmolzen war, war ihm auch noch kalt. Und da war er scheinbar nicht der Einzige. Ein Stück den Weg hinauf stand der Grund für seine nächste Erkältung und trat unglücklich von einem Bein auf das Andere. Takumi beobachtete das seltsame Tänzchen.   Ob es seine Schuld war, dass er fror?   Nein! Nein, ganz sicher nicht. Der Idiot hätte ja nicht gerade hinter dem Busch vorkommen müssen, hinter dem er Oboro vermutet hatte. Wenn, dann war es ganz eindeutig seine Schuld, alleine schon deshalb, weil man, wenn man keine Schneeballschlacht gewinnen musste, natürlich auf den Wegen blieb!   Takumi ballte die Hände in den Taschen zu Fäusten, um sie ein wenig aufzuwärmen. Die Freunde seiner neuen Bekanntschaft ließen sich ganz schön Zeit. Mit der Meinung schien er nicht allein zu sein, denn auch die nervige Blondine hatte sich inzwischen darauf verlegt, ein ums andere Mal auf sein Handy zu starren. Takumi sah es nur aus der Ferne, doch es schien eines dieser neuen Teile zu sein, für die zur Zeit überall geworben wurde. Es waren eben Weihnachtszeit, die Zeit im Jahr, wo nicht nur Schnee vom Himmel fiel, sondern auch jede Menge neuer Werbespots.   Genervt beobachtete er, wie der andere Junge auf das Display schielte, seufzte und sich wieder daran machte das Handy in seiner Tasche zu verstauen. Dort blieb es vielleicht zwei Minuten, dann fing er wieder von vorne an. Takumi war nicht begeistert. Nicht nur, dass ihm in der nassen Jacke immer kälter wurde, jetzt war ihm auch noch langweilig. Wären die Freunde des Anderen da gewesen, er hätte sie beobachten und eine Schwachstelle suchen können, so aber war das einzig interessante, der stetige Strom an Menschen, die vor dem Zaun stehen blieben um einen Blick auf einen besonders guten Eiskunstläufer zu erhaschen.   Hier sah er einen Kinderwagen, der in Richtung Harlem Meer weitergeschoben wurde, da zerrte ein kleiner Junge an seiner Mutter herum, damit sie ihm ein paar grüne Schlittschuhe kaufte und dort stand immer noch die Nervensäge und sah aus wie bestellt und nicht abgeholt.   Takumi seufzte, als er sich von seinem Platz löste. Das konnte man ja wirklich nicht mit ansehen. Diese Nervensäge machte nicht nur seinen Tag kaputt, sondern auch den von jedem, der an ihm vorüberging. Was fiel ihm eigentlich ein? Er konnte sich doch nicht einfach vor eine Eislaufbahn stellen und so aussehen wie ein getretener Hund. Das schadete der Stimmung!   Seine Füße waren wieder einmal schneller als sein Kopf, denn noch bevor er richtig darüber nachgedacht hatte, wie dämlich das alles war, stand er bereits neben ihm.   „Sie kommen spät“, bemerkte er, einfach weil es das einzig brauchbare war, was ihm vor lauter Schreck noch einfiel. Dem Anderen schien es ähnlich zu gehen, denn nachdem er ihn eine gefühlte Sekunde lang angestarrt hatte wie einen sprechenden Schneemann, nickte er.   „Ich verstehe das gar nicht, normalerweise ist Odin immer pünktlich“, erklärte er und schaffte es dabei nicht nur so zu klingen als müsste Takumi eigentlich wissen wer Odin war, sondern auch als wäre das Gespräch zwischen ihnen das Natürlichste auf der Welt.   Takumi räusperte sich. „Hat er dir nichts geschrieben?“, wollte er wissen.   Der andere Junge zog zum x-ten Mal sein Handy hervor, tippte auf dem Display herum und schüttelte dann den Kopf. „Nur das wir uns an der Eislaufbahn im Central Park treffen und das er jetzt in das Tal des Todes hinabsteigt um mit der glorreichen 7 bei Niña wieder aufzuerstehen und dann gemeinsam mit Niles die dunkle Macht auf den Wegen des Central Parks zu verbreiten. Er meint damit, er nimmt den 7 Avenue Express (2) bis Columbus Circle und trifft sich da an der Statue mit Niles um dann mit ihm in den Park zu kommen. Aber das wollte er schon vor fast einer Stunde.“   Takumi fand die Nachricht ziemlich irre, doch er fragte lieber nicht nach.   Die U-Bahn war in der Regel schnell und zuverlässig, dass Odin sich deshalb verspätete, glaubte er nicht. Zwar hätte es erklärt, warum keine weiteren Nachrichten angekommen waren, aber nein – die U-Bahn verspätete sich nicht. Punkt. Aus. Ende. Zumindest nicht so drastisch und schon gar nicht von allen unbemerkt. „Vielleicht ist er in die falsche Linie eingestiegen“, schlug er schließlich vor.   „Das hätte er inzwischen längst gemerkt und dann hätte ich eine SMS bekommen“, beharrte der Andere.   Takumi gab es ungern zu, aber da hatte er vermutlich recht. Das man mal ein oder zwei Stationen zu weit fuhr, konnte passieren, aber das hätte inzwischen sicher jeder gemerkt und sich gemeldet, selbst ein Kerl, der die U-Bahn „Tal des Todes“ nannte. „Hmm“, machte er, auch weil ihm langsam die Ideen ausgingen, die netter waren als: „Der Typ hat dich versetzt.“   Dabei stimmte das vielleicht sogar, aber es war schon ein ganz schön starkes Stück Jemanden ausgerechnet beim Eislaufen im Central Park zu versetzen. Immerhin wusste doch jeder, wie schwer es war Karten für - „Oh“.   Der andere Junge sah ihn skeptisch an. „Oh?“, wiederholte er.   Takumi nickte. „Oh“, machte er ein weiteres mal, obwohl er das Geräusch inzwischen eigentlich schon albern fand. „Er wollte sich mit dir an der Eislaufbahn treffen“, wiederholte er, was er inzwischen wusste, „Der Central Park hat aber zwei davon.“   Die Blondine guckte ihn an als habe er den Verstand verloren, doch hinter dem ungläubigen Blick arbeitete es. Takumi konnte förmlich sehen wie er darüber nachdachte, ob sein Kumpel wirklich so irre war, an einem der beliebtesten Tage des Jahres auf den Wollman Rink zu wollen und das Ergebnis hieß offensichtlich „Ja.“   „Ich glaube, ich muss jetzt dringend zum Wollman Rink“, erklärte er, mit den Fingern längst dabei eine Nachricht in das Handy zu hämmern. Takumi nickte. Das glaubte er auch.   Für einen Moment sah er dem Anderen beim tippen zu. Jetzt war der Zeitpunkt, wo er sich eigentlich verabschieden sollte. Immerhin interessierten ihn weder Lasker - noch Wollman Rink, stattdessen war ihm kalt und das Rätsel hatte er scheinbar auch gelöst. Doch als er den Mund öffnete um ein knappes „Tschüss“ zu murmeln, platzte stattdessen etwas ganz anderes aus ihm heraus: „Ich denke, ich kenne eine Abkürzung“, hörte er sich erklären und hätte er nicht so gespannt auf eine Reaktion seines Gegenübers gewartet, er hätte sich sicherlich dafür geschämt.   Der Blonde ließ das Handy sinken. „Führt sie durch den See?“, fragte er in eben jenem arroganten Ton, der Takumi vorhin noch so geärgert hatte. Dieses Mal jedoch entlockte das Sticheln ihm nur ein schwaches Grinsen: „Nein, aber über das Eis und an einem Stand mit heißen Maronen vorbei.“   Grüne Augen begannen bei der Erwähnung freudig zu glitzern. „Maronen?“, echote der Junge, von der Idee hörbar angetan, „Oh, die musst du mir zeigen.“   Takumi nickte begeistert. Heiße Maronen waren genau das, was er brauchte um seine schmerzenden Finger wieder aufzuwärmen und vielleicht würde sich ja auch ihre Bekanntschaft über der warmen Leckerei noch ein wenig vertiefen lassen.   Nicht das er das wirklich hoffte, oder doch?   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)