Night Crawler von Dabi (Die Geschichten der Night Crawler Gilde) ================================================================================ Kapitel 2: R E C R U I T M E N T -------------------------------- Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, obwohl ich schon seit geschlagenen zwanzig Minuten vor diesem Verkaufsstand einer unbekannten Gilde stand und die Skills der Waffe verglich. Eigentlich interessierte mich keine dieser Waffen, sie waren nicht mal auf einem guten Level und vollkommen nutzlos. Wäre ich in einer Gilde gewesen, hätte ich ins @HOME gehen können, um sie aufzuwerten, aber genau das konnte ich nicht. Und diese Gedanken führten mich zu meinem eigentlichen Problem: Vor einigen Tage sprach mich so ein Typ an und fragte mich, ob ich nicht in seine Gilde eintreten wollen würde… ich wollte nicht. Grundsätzlich wollte ich in keine Gilden, man ging zu viele Verpflichtungen ein und jeder glaubte dann plötzlich, er würde dein Freund sein. Beides wollte ich nicht, weder Freunde in diesem Spiel oder mich denen auch noch verpflichtet zu fühlen. Ich spielte doch gerade deswegen The World, um meinen Verpflichtungen im realen Leben aus dem Weg zu gehen. Aber irgendwie ließ mich das nicht mehr los, es lag nicht mal daran, dass der, der mich fragte, einen sonderlich beeindruckten Charakter spielte, obwohl ich zugeben musste, dass der unglaublich auffällig war und man ihn schwer vergessen konnte… lag vielleicht auch nur an diesen schwulen pinken Haaren. Der eigentliche Grund war die Gilde selbst, sie war sehr bekannt und wohl schon seit Beginn der The World R:2“-Erweiterung da. Obwohl manche Idioten in Foren schrieben, sie sei davor schon da gewesen. Aber sie hatten sich von einer kleinen Low-Level-User-Gruppe zu einer der erfolgreichsten Gilden hocharbeiten können und das mit maximal sieben Mitgliedern, die wohl ständig wechselten. Meines Wissens nach waren nur die beiden Gründer der Gilde die einzigen Beständigen dort. Also warum sollte ich in eine Gilde, die ihre Members wechselten wie Socken? - abgesehen von dem hohen Ansehen, dem Reichtum, den seltenen Items und einem eigenen Server als Gildenhaus… wie hatten die das bloß geschafft…? Aber ich hatte genug gegrübelt und den Kleinen vor mir lange genug schmoren lassen, also ging ich ohne etwas zu kaufen weiter und zum Chaos Gate. Ich hörte von den Holy Grounds, geheimen Orten außerhalb der Zuständigkeit der Admins. Sie konnten weder verändert noch gelöscht werden und schienen von sich selbst weiter zu entwickeln. Sie hatten ihr Eigenleben und funktionierten immer weiter. Die wollte ich mir wirklich nicht entgehen lassen. Also gab ich die Keywords Δ Hidden Forbidden Holy Ground. Der Wechsel ging einfacher als ich gehofft hatte, nicht wie in der alten Version von The World. Dort musste man sich regelmäßig in Sever hacken, damit man ihn erkunden konnte. Ich hatte die alte Version vermisst, ich war zwar noch sehr jung gewesen, aber ich dachte sehr oft daran zurück und zu Beginn verfluchte ich die Erweiterung, aber mittlerweile konnte ich mich damit anfreunden. Das Area war wirklich anders als die anderen, keine große Gegend, sondern nur eine einsame Kathedrale inmitten einer verlassenen Landschaft. Hinter den kleinen Mauern, die mich und dieses Gebäude umgaben, war ein tiefer Abgrund, in dem sich die Textur von Wasser langsam bewegte. Ich ging zu der Mauer hin und beugte mich vor, um in den Abgrund zu schauen, der diesen ruhigen Platz umgab. In der Ferne erstreckte sich eine Felswand in die Höhe und alles getaucht in das Rot einer Abendsonne. Es war wirklich ein harmonischer Anblick und wirkte sehr beruhigend auf mich. Das es hier solche Orte geben sollte, kam mir so unwirklich vor. Wie konnte sich so eine Landschaft einfach alleine erstellen und friedlich weiter existieren, wenn ganze Admin-Teams versuchten, sie für immer aus dem Spiel zu verbannen. Ich wandte mich von diesem Anblick ab und machte mich auf den Weg zur Kathedrale, die nicht sonderlich weit war, ein kurzes Stück und schon ging es eine Treppe hinauf. Kaum war ich am Fuße der Treppe angelangt, gaben meine Kopfhörer leise den Sound von kirchlicher Musik wieder. Ich musste eingestehen, dass ich das sogar ganz gut gemacht fand, denn mit jedem Schritt, dem ich mich dem Tor näherte, wurde der Sound lauter, als käme er wirklich aus der Kirche selbst. Ich ging hinein und fand das typische Bild einer Kirche wieder, Bänke zum Sitzen, große Fenster und einen Altar, auch wenn dieser umzäunt war. Und obwohl alles so typisch war, beeindruckte mich dieser Ort. Schon in der alten Version des Spieles hörte ich von diesem Ort, nur das beschrieben worden war, dass auf dem Sockel hinter dem Zaun eine große Statur stehen würde. Damals spielte sie wohl einen NPC wieder. Jetzt aber war er leer und ansonsten gab es hier auch keine Highlights. Ich ging näher an den Altar heran, da ich Inschriften darauf erkennen konnte und ich wollte natürlich wissen, was dort stand. „Skeith… Innis… Magus...“ murmelte ich die eingravierten Worte nach. Ich kannte sie zu gut. Ich kannte viele Dinge in dieser virtuellen Welt, die so vielen unbekannt war. Damals waren sie die ersten drei Zeichen im Epitaph des Zwielichts. Ich hatte davon lange nichts mehr gehört oder gesehen. Wahrscheinlich waren die verblichenen Schriften die restlichen Phasen… für einen Moment vergaß ich sogar, dass das hier nur ein Spiel ist und eigentlich die Textur dort absichtlich so angelegt war, dass man wohl nur diese drei Phasen lesen konnte. Wie lächerlich so etwas mal zu vergessen. Doch bevor diese Erkenntnis bei mir richtig ankam, erkannte ich in den harmonischen Klängen der Kirche Schritte. Es war ein alarmierendes Geräusch. The World war nicht mehr diese friedliche Welt, wo man unbedacht erkunden konnte - nein, sie war eine gefährliche Welt. Immer und überall war es möglich, dass Player-Killer auf einen treffen konnten, einem die Fortschritte zunichtemachten und einem das gesamte Inventar leer räumten. Damals war das auch möglich gewesen, doch früher hatten die Leute noch mehr Verstand und nicht das immerwährende Bedürfnis, einem Steine in den Weg zu legen. „Oh, was macht so ein süßes Ding hier ganz alleine?“, spottete eine Frau, die mir schon bekannt war. Bordeaux war wohl eigentlich jedem bekannt, sie hatte immer schon Gleichgesinnte gesucht, die mit ihr Spieler um Spieler auflauern und ausrauben konnten, und das mit wachsendem Erfolg. Und wie zu erwarten war diese Blade Brandier Spielerin nicht alleine. In Begleitung waren ein Winzling und ein Fettsack… sie waren mir unbekannt und mir fehlte jede Lust, auch nur deren Statusdaten mir anzuschauen. Ich war Realist, ich würde auf legalem Wege hier nicht mehr rauskommen und ich hatte wohl nicht mehr genug Zeit, um die Gesetzte dieser Welt mit ein paar Codes abzuändern. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren öffnete ich das für Shadow Warlocks typische Buch, was mir als Waffe diente. Auch wenn es aussichtslos war, öffnete ich dennoch ein Popup-Fenster, um nebenher, während ich mich versuchen würde zu verteidigen, mich aus diesem Areal zu transportieren. Aber die gebräunte Frau mit dem Twin Blades griff mich schon an, gefolgt von ihren Begleitern. Innerlich hatte ich mich schon von meinem ganzen Inventar verabschiedet, als etwas die beiden Handlanger traf und die Figuren ergrauten und zu Boden sackten. Bordeaux hielt inne, wollte sich umdrehen, aber da lag sie schon wie die anderen beiden reglos dar und nicht in der Lage, mir noch zu schaden. Das war fast wie in einem dieser schlechten Action-Filmen, wo eine wehrlose Frau von dem unbekannten Helden gerettet wurde. Nur das mein fadenscheiniger Held kein anderer war als dieser schwul wirkende Typ von der Super-Gilde. „… Ich muss mich wohl bedanken.“ Obwohl mir nicht danach war, vermutlich hörte man mir dies auch an. „Eigentlich nicht, ich war dir schon vorher auf der Spur und habe gesehen, wie die drei dir nachgegangen waren. Ich hätte schon früher etwas unternehmen können, aber ich wollte sehen, ob ich mit meiner Vermutung richtig liege.“ Vom Aussehen her hätte ich ihn eigentlich für eine eher aufgedrehte und schrille Persönlichkeit gehalten, aber Castiel sprach alles so ruhig und besonnen aus, dass er nicht mehr ganz so merkwürdig auf mich wirkte. Aber mich beschlich eine Ahnung, das er wohl etwas ahnte, was an sich nicht gut war. „Welche Vermutung, dass ich ein wehrloses Mädchen bin oder doch ein paar Super-Skills habe, mit denen ich die hätte alle erledigen können?“ Es war schon irrsinnig, was ich da so von mir gab, weil nur meine Figur, die Rolle der Frau übernahm. Ich hatte einige Charaktere, die ich hätte spielen können, aber irgendwie spielte es sich mit meinem Shadow-Warlock-Mädchen am besten. „Nein, für unsere Gilde brauchen wir keine 0815-Leute. Ich habe dich schon mal gesehen in einem anderen Areal. Und damals war ich mir ganz sicher, dass du einfach durch eine Wand gelaufen bist. Sicher war ich mir nicht.“ Das war es. Er wusste es. Ich konnte nur hoffen, das er das keinem Admin verraten hatte, sonst konnte ich mich endgültig von diesem Spiel verabschieden. Obwohl ich immer schon wissen wollte, ob ich es schaffen könnte, einen gelöschten und gesperrten Charakter beizubehalten und ungehindert zu spielen. „Und heute sah ich deinen Versuch wieder, etwas ähnliches zu machen.“ Und mit dieser Antwort deutete er auf das noch geöffnete Fenster, was ich sogleich verschwinden ließ. „Ich werde nichts verraten, ich kann Geheimnisse für mich behalten, aber so jemanden wie dich könnten wir gebrauchen.“ Ich wusste nicht, was ich denken sollte, aber bevor ich noch etwas sagen konnte, drückte er mir einfach die Karte der Gilde in die Hand. Ich glaube, ich wollte nicht einmal mehr ablehnen, ich war nie wirklich in einer Gilde gewesen, um zu wissen, dass man vielleicht meine Fähigkeiten gebrauchen konnte, das hatte was für sich. Dennoch ging ich an ihm vorbei in Richtung Ausgang und wie erwartet ging er mir hinterher. Ich bereute es nicht mich darauf eingelassen zu haben, es war eine kleine Gilde, aber eine mit viel Einfluss. Doch die Leute darin waren es wohl, an denen ich wirklich Gefallen gefunden hatte. Wäre dem nicht so gewesen, hätte ich mich auf Castiel Angebot nie eingelassen. Auch wenn ich es so nie zeigen würde, da er wirklich genug Gelegenheiten einem bietet, ihn zu verarschen, ist er wohl in dieser Welt zumindest einer der Personen, auf die ich am meisten bauen werde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)