Bedrohte Bestimmung von Varlet ================================================================================ Kapitel 6: Rückblende: Der Morgen danach ---------------------------------------- Langsam öffnete Jodie ihre Augen. Die ersten Sonnenstrahlen schienen in das Zimmer. Noch müde strich sie sich über das Gesicht. Sie brauchte einen Moment, bis sie wieder wusste, wo sie war und was passiert war. Die Erinnerung war noch frisch. Sie hatten miteinander geschlafen und ihre Vergangenheit in die Gegenwart geholt. Sie hatten sich geliebt, so wie viele Male zuvor. Alles hatte sich vertraut angefühlt. Nach der langen Zeit waren sie sich wieder so nah – und doch so fern. Jodie hatte immer noch das Gefühl ihn spüren zu können. Seine Küsse und seine Berührungen. Sofort legte sich eine wohlige Gänsehaut auf ihren Körper und sie zog die Decke noch enger an sich. Ihr Blick glitt zu Shuichi. Sein Körper hob und senkte sich im Takt seiner ruhigen Atmung. Jodie spürte seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht. Sie lächelte und robbte automatisch näher zu ihm heran. Sie hatte das Bedürfnis ihn zu küssen. Ganz langsam streckte sie ihre Hand aus und berührte sachte eine Strähne seiner schwarzen Haare. Mit einem Mal versiegte Jodies Lächeln. Was wenn er wach wurde? Würde er sie wieder abservieren oder hatten sie eine neue Chance? Sie schluckte. War sie bereit es zu riskieren? Wieder verletzlich zu sein und würde sie den Schmerz ein weiteres Mal ertragen können? Die Trennung hatte ihr sehr zugesetzt und der Schmerz war so stark, dass sie glaubte es nicht zu überleben. Es war schlimmer als alles, was ihr je passiert war. Jodie schloss ihre Augen. Minuten später öffnete sie ihre Augen wieder. Sie konnte nicht mehr schlafen oder liegen bleiben. Jodie seufzte leise und stieg langsam aus dem Bett. Sie sammelte ihre Sachen auf und ging zu ihrer kleinen Tasche mit den Utensilien für den Tag. Jodie zog sich an und stopfte die Kleidung vom Vortag in die Tasche. Sie ging zurück zum Nachttisch und hinterließ ihm auf Hotelpapier eine kurze Nachricht. Es fiel Jodie schwer ihre Tränen zu unterdrücken, aber sie musste stark sein. Das sagte sie sich immer wieder. Ehe sie nicht mehr den Mut fand zu gehen, schnappte sie sich ihre Tasche und ging zur Tür. Jodie warf einen Blick auf den schlafenden Shuichi. Ein letzter Blick ehe sie verschwand… Shuichi wachte alleine im Hotelzimmer auf. Er drehte sich auf die Seite und tastete intuitiv das Bett nach Jodie ab. Sie war fort. Sofort setzte sich Shuichi auf. Er sah sich im Raum um. Von Jodie fehlte jede Spur. „Jodie?“, rief er in Richtung des Badezimmers. Nachdem er keine Antwort bekam, stand er auf und zog sich seine Boxershorts an. Auch wenn er keine Dusche hörte, trat er in das Badezimmer. Akai seufzte leise auf. Sie war tatsächlich weg. Aber was hatte er auch erwartet? Das sie immer da war und nur den Moment abpasste, wo er wieder mit ihr zusammen sein wollte? Er musste die Nacht abhaken. Sie hatten nur ihrer Leidenschaft freien Lauf gelassen und waren übereinander hergefallen. Allein bei dem Gedanken musste er lächeln. Egal was passiert war, er vermisste sie. Nicht erst seit kurzem, schon nach ihrer Trennung spürte er die Leere. Er vermisste ihre Fröhlichkeit, ihr Lachen und den Optimismus den sie an den Tag legte. Auch wenn sie es nicht wusste, sie war sein Antrieb und sie machte ihn zu einem besseren Menschen – bis er sie eiskalt abservierte. Es war der größte Fehler in seinem Leben, aber er musste ihn machen. Shuichi drehte den Wasserhahn auf und wusch sich das Gesicht. Er blickte nach oben in den Spiegel. Was hast du nur getan?, fragte er sich selbst und ging zurück in das Zimmer. Shuichi hob seine restlichen Sachen vom Boden auf und zog sie an. Erst in diesem Moment sah er einen Zettel auf dem Nachttisch. Sofort erkannte er Jodies Handschrift. Danke für die schöne Nacht. Leb wohl. Shuichi schluckte und sah sich wieder um. Jodies Sachen waren ebenfalls weg. Er hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend und lief aus dem Zimmer. Im Foyer des Hotels standen bereits einige Hochzeitsgäste und unterhielten sich. Andere waren im Restaurant und hatten ihre Plätze eingenommen. Shuichi hoffte, trotz allem Jodie unter den Gästen zu erspähen. Stattdessen kam sein Bruder zu ihm. „Shuichi, da bist du ja. Du bist gestern so schnell verschwunden“, entgegnete er. „Hat dir die Hochzeitsfeier gefallen?“ Akai nickte. „Alles gut“, murmelte er. „Hast du heute Jodie schon gesehen?“ „Jodie?“ Shukichi sah ihn fragend an. „Oh nein, was hast du getan?“ „Wie kommst du darauf, dass ich etwas getan habe?“, wollte der junge Agent wissen. „Ich kenne Jodie, ich kenne dich und ich weiß, was zwischen euch gewesen ist“, zählte Shukichi auf. „Du warst gestern Abend auf einmal weg, genauso wie Jodie und jetzt fragst du mich nach ihr. Da ist es naheliegend, dass irgendwas vorgefallen ist.“ Shuichi seufzte. Sein kleiner Bruder konnte schon immer gut kombinieren und hätte ebenfalls eine polizeiliche Laufbahn einschlagen können. Hätte – denn auch wenn Shukichi das Rätseln mochte, so wollte er es nicht zu seinem Beruf machen. „Später“, entgegnete Shuichi. „Ich muss Jodie suchen.“ „Shuichi! Shukichi!“ Mary kam zu ihren beiden Söhnen. „Was steht ihr zwei hier so rum und schaut Löcher in die Luft?“ „Mutter“, fing Shuichi an. „Es tut mir wirklich leid, aber ich hab keine Zeit. Ich muss los.“ „Komm mir nicht so, Shuichi. Du wirst dir gefälligst die Zeit nehmen“, kam es von Mary. „Was soll denn so wichtig sein, dass du wieder verschwindest?“ „Er sucht nach Jodie.“ Mary sah ihren Ältesten an. „Was hast du getan?“ Shuichi stöhnte auf. „Wieso glaubst du, dass ich etwas gemacht habe?“ „Ich kann eins und eins zusammen zählen, Shuichi. Jodie hat sich vorhin ziemlich aufgelöst von mir verabschiedet, weil sie zu Hause einen Notfall hätte. Sie wollte unbedingt ihren Flug umbuchen, um sofort fliegen zu können.“ Mary ließ ihren Sohn nicht aus den Augen. „Habt ihr euch gestritten? Wollte sie deswegen wieder nach Hause?“ „Nein, wir haben uns nicht gestritten“, antwortete Shuichi. Wie auch, sie war nicht mehr im Zimmer, sagte er zu sich selbst. „Sie fliegt also zurück? Wann hast du mit ihr gesprochen?“ „Das war heute Morgen, gegen 8 Uhr. Dein Vater saß bereits am Frühstückstisch und ich sah sie beim rauslaufen.“ Shuichi sah auf die große Uhr im Foyer und verengte die Augen. Egal wie spät es wurde – er war wie der Großteil seiner Familie ein Frühaufsteher. Dass er ausgerechnet heute nicht aus dem Bett kam, ärgerte ihn ungemein. Hatte er Jodie schon verpasst oder wartete sie noch immer am Flughafen. „Mamaaaaaaaa.“ Masumi stand neben ihren Cousinen und winkte ihrer Mutter zu. Mary sah zu ihrer Jüngsten. „Ich komme gleich, Masumi“, rief sie und sah zu ihren Söhnen. „Ich kann euch alleine lassen?“ Beide nickten, sodass Mary zu ihrer Tochter ging. „Danke für die Einladung“, fing Shuichi an. „Ich muss jetzt los.“ „Warte, großer Bruder.“ Shukichis Tonfall wurde auf einmal ernst. Shuichi sah zu ihm. „Ich hab keine Zeit, Shukichi.“ „Du solltest sie gehen lassen.“ Shuichi sah ihn fragend an. Was bezweckte sein Bruder damit? „Ich meine es ernst.“ „Shukichi“, kam es von dem Älteren. „Nein!“ Shukichi stellte sich ihm in den Weg und verschränkte die Arme. „Du musst mich schon umrennen, wenn du zum Flughafen willst. Aber ich werde nicht zulassen, dass du Jodie ein weiteres Mal so wehtust.“ „Shukichi, du weißt nicht, worum es geht.“ „Und ob ich das weiß“, entgegnete er. „Kannst du mir versprechen, dass es dieses Mal mit Jodie klappt? Was ist, wenn deine Probezeit rum ist? Wirst du in New York bleiben oder gehst du weg und verlässt Jodie ein weiteres Mal? Nimmst du sie mit? Was hast du vor?“ „Shukichi!“ „Nein, Shuichi.“ Er blieb stur. „Erst wenn du dir selbst diese Fragen beantworten kannst, lass ich dich gehen. Also?“ Der Jüngere trat zur Seite. Shuichi bewegte sich nicht. „Das dachte ich mir schon.“ „Ich hab noch zu tun“, sagte Shuichi und drehte sich um. „Das glaub ich jetzt nicht“, kam es von seinem Bruder. „Du kämpfst nicht um sie. Was ist nur los mit dir? Steckt diese andere Frau dahinter?“ Shuichi seufzte. „Du weißt nichts.“ „Dann sag mir wie es ist. Du bist noch verschlossener als sonst. Ich versuche dich zu verstehen, aber du machst es mir nicht leicht.“ „Was willst du wissen?“, fragte der Agent. „Was?“ „Stell mir Fragen, Shukichi“, forderte er ihn auf. „Ich werde dir jetzt deine Fragen beantworten und dann nicht mehr über dieses Thema reden.“ Shukichi schluckte. „Stimmt es, dass du Jodie wegen einer anderen Frau verlassen hast? Ich mein…ich frage mich, ob diese Frau wirklich existiert. Du hast nie von ihr gesprochen. Oder ist es nach einigen Wochen in die Brüche gegangen?“ Shuichi drehte sich wieder zu ihm um. „Was glaubst du denn?“ „Ich…ich glaube nicht, dass du dich in eine andere Frau verliebt hast. Aber ich verstehe auch nicht, warum du dich von Jodie getrennt hast. Was ist passiert? Hast du aufgehört sie zu lieben?“ „Jodie war diejenige, die mich fragte, ob es eine andere Frau in meinem Leben gibt. Ich habe geschwiegen und sie hat sich den Rest selbst zusammen gereimt. Ich habe es weder bestätigt noch verneint. Aber wenn du hier und jetzt die Wahrheit wissen willst: Nein, es gab und es gibt keine andere Frau.“ „Warum hast du ihr das nie gesagt?“ „Um es ihr leichter zu machen“, antwortete Shuichi. „So konnte sie mich wenigstens hassen.“ „Aber warum? Warum hast du dich von ihr getrennt? Sie scheint dir doch noch was zu bedeuten.“ „Ihre Noten und ihr Leben“, sagte Shuichi ruhig. „Was?“ Einen absurderen Grund hatte Shukichi noch nie gehört. „Als ich in Buffalo gelebt habe, sind wir regelmäßig zu einander gependelt. Da ich immer häufiger auch am Wochenende gearbeitet habe, war es Jodie die ihr Leben vernachlässig hat. Sie hatte keine Zeit mehr für ihre Hausarbeiten und für das Lernen, obwohl sie mehrere Stunden in der Bahn saß. Sie hat mir nie erzählt, dass sie diese Probleme hatte.“ „Und woher wusstest es dann?“ „An jenem Wochenende wollte ich sie von zu Hause abholen. Während sie sich im Badezimmer fertig gemacht hat, hab ich ein paar Hausarbeiten auf ihrem Schreibtisch gesehen. Ich habe nicht geschnüffelt, falls du das Denken solltest. Ihre Noten sind schlechter geworden und sie hatte Broschüren über einen Studienortswechsel nach Buffalo.“ Shuichi schüttelte den Kopf. „Es war eine hirnrissige Idee. Wäre ich Wochen später wieder nach New York gekommen, hätte sich nichts geändert. Stattdessen wäre sie alleine in einer wildfremden Stadt.“ „Aber warum so? Warum hast du nicht mit ihr darüber geredet?“ „Du kennst Jodie“, fing Shuichi an. Er seufzte. „Sie hätte darauf gepocht, dass alles in Ordnung ist. Es hätte ihr nicht geholfen. Hätte ich zulassen sollen, dass sie ihre Zukunft wegen mir aufs Spiel setzt? Damals hätte sie, dass nicht als Problem gesehen. Aber sie würde mich früher oder später hassen, weil ich ihre Zukunft zerstört habe. Deswegen zog ich an diesem Tag die Notbremse. Es war nicht elegant, das gebe ich zu, und wenn ich die Zeit zurück drehen könnte, hätte ich es anders gemacht.“ „Du musst ihr die Wahrheit sagen“, entgegnete Shukichi. „Sie hat ein Recht darauf. Sie liebt dich noch immer.“ „Es ist besser für sie, wenn sie die Wahrheit nicht kennt.“ Shukichi schluckte. „Das…das kannst du doch nicht machen. Jodie muss die Wahrheit erfahren.“ „Ich habe Nein gesagt“, zischte Shuichi. „Versprich es mir, Shukichi, du wirst Jodie kein Wort sagen.“ Dazu war es noch zu früh. Er musste Jodie die Zeit lassen, die sie jetzt brauchte. „Aber…“ „Sie wird es erfahren, wenn ich es für richtig halte.“ „Na gut…“, murmelte er leise. „Aber ich bin nicht glücklich darüber. Und wenn sie mich fragt, werde ich ihr die Wahrheit sagen.“ „Das glaube ich kaum, aber mehr werde ich nicht von dir verlangen“, nickte der Agent. „Und…was hast du jetzt vor?“, wollte Shukichi wissen. „Willst du Jodie wirklich ziehen lassen?“ „Das ist in der momentanen Situation das Beste. Erst muss ich mir im Klaren werden, ob wir wirklich noch eine Chance haben. Und ich muss Jodie Zeit lassen, damit auch sie über alles nachdenken kann. Wenn sie mit mir reden wollte, wäre sie heute früh nicht einfach aus dem Zimmer verschwunden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)