Der Weihnachtsgast von blechdosenfee ================================================================================ Wieder einmal stand er in der gehobenen Einfamiliensiedlung vor dem weiß gestrichenen Gartentor. Es reichte ihn gerade mal bis zu den Knien und so musste er sich wie stets runter beugen, um die gusseiserne Klinke zu erreichen, auf der glitzernder Neuschnee lag. Das Türchen quietschte leise und kündigte seinen Besuch an. Jedoch bezweifelte er, dass seine Gastgeber das Geräusch im Inneren des schmucken Einfamilienhäuschen hatten vernehmen können. Er schob die Tür wieder zu und ein leises Klick erklang in der abendlichen Winterstille als die Falle des Türschlosses in die Zarge einrastete.   Mit gemäßigten Schritten ging er durch den Vorgarten. Unter seinen profilierten Schnürstiefeln knarzte der frisch gefallene Schnee. Kleine weiße Hügel, links und rechts von ihm, Stunden zuvor durch Besen oder Schieber entstanden, um den Steinplattenweg freizulegen, säumten ihm den Pfad zur Haustür. Sein Blick schweifte über das kleine Stück gezähmter Natur, welches in einem sanften Farbenrausch an weihnachtlicher Beleuchtung erstrahlte. Die Ziersträucher, im Sommer grüne Verstecke für das gefiederte Volk, waren mit einer Schicht glitzerndem Pulverschnees überzogen und die Vogeltränke wurde durch einen Jutesack verdeckt, damit der Frost ihr nichts anhaben konnte. Zugleich diente das verhüllte Gebilde als Weihnachtsbaumersatz für eine Lichterkette, die mit ihren funkelnden LEDs das danebenstehende Vogelhaus erhellte. Es erschien ihm fast als solle der Lichterschmuck für die Vögel eine Landemarkierung sein.   Kurz vorm Eingangsbereich, zwei Stufen führten hinauf, blieb er stehen. Der weihnachtliche Gesang eines wunderbaren Chors drang gedämpft durch die Haustür an sein Ohr. Als er den Blick erhob und das Einfamilienhaus mit seinem dunklen, aber festlich geschmückten Fensterläden, dem geschindelten, von pudrigen Schnee bedeckten Dach und dem Vordach über der Tür sah, entkam ihm ein ungewollter Seufzer. Überrascht davon senkte er den Kopf und betrachtete den Abtreter auf der obersten Treppenstufe. Seine behandschuhten Hände gruben sich tief in die Manteltaschen. Er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Die Kälte, die nach seiner Nasenspitze und Wangen griff, ignorierte er.   Zweifel an seinem Besuch wallten in ihm auf. Er schluckte sie wieder runter. Noch konnte er umkehren, hallte es in seinem Kopf. Noch war seine Anwesenheit nicht bemerkt worden. Dies würde erst passieren, sobald er die Klingel betätigte. Der Gedanke brachte ein ungutes Gefühl mit sich. Er presste seine Zähne aufeinander und ignorierte die bittere Galle im Rachen. Vor Anstrengung bebten seine Nasenflügel.   Langsam hob er seinen Blick und starrte auf die dunkle Haustür, deren Türblatt von einem festlichen Weihnachtskranz geschmückt war. Seine Hände ballten sich in den Manteltaschen zu Fäusten. Sie spiegelte die Spannung wider, die ihn fast zerriss. Zur besseren Konzentration schloss er die Augen und atmete tief durch. Die Möglichkeit auf dem Absatz kehrt zu machen und Weihnachten nicht mit seinem Bruder und dessen Familie zu verbringen, bestand noch. Er musste sie nur nutzen, doch sein Gewissen haderte und jedes Mal fluchte er sich einen Narren. Aber was konnte er schon groß gegen seine Gefühle ausrichten? Seit sein Bruder vor einigen Jahren die Freundin zum Weihnachtsfest in die WG mitgebracht hatte, welche die Brüder zusammen mit Kisame einst bewohnten, war Heiligabend eine Qual für ihn. Für die Freundin, spätere Verlobte und jetzige Ehefrau seines Bruders, brauchte er seine gesamte Selbstbeherrschung, um ihr gegenüber nicht die Kontrolle zu verlieren. Stets wallten die Gefühle in ihrer Gegenwart auf und jedes Mal fragte er sich, warum er nicht den blanken Hass für sie empfinden konnte. Er war ein närrischer Dummkopf. Vom ersten Moment an begehrte er sie und es machte ihn rasend, sie nicht in seinen Armen zu wissen. Vor zehn Jahren hatte sie ein Feuer in ihm entfacht, dass er nicht mehr zu löschen wusste.   ~*~   Gebannt fixierte er das Namenschild. Die metallene Oberfläche spiegelte das Leuchten der Weihnachtslichter wider. Nur dort, wo die Zeichen Uchiha im eleganten Schwung eingraviert und mit schwarzer Farbe ausgefüllt waren, unterbrach sich der herrliche Widerhall. Obwohl ihn mit einmal Magenschmerzen plagten, stieg er die Stufen hinauf, ohne das Schild aus den Augen zu lassen. Bebend sog er die kalte Winterluft durch den Mund ein und stieß sie kurz darauf, geformt in einen weiteren Seufzer, wieder aus als er seine linke Hand aus der Tasche zog. Vor seinen Augen materialisierte sich sein Atem zum weißen Hauch, der in der Luft nach oben wogte und dabei verblasste. Verdrossen sah er auf die Klingel, direkt unter dem Namensschild. Sie besaß einen kleinen weißen Kopf, umgeben von einem kreisrunden, schwarzen Rahmen. Welch schöner Kontrast. – Er wollte seinen Finger darauflegen und drücken, aber er zögerte. Stattdessen ballte er seine Hand nur wieder zur Faust. Ihm kam erneut der Gedanke, die Möglichkeit zu ergreifen und umzukehren und die Begegnung mit ihr zu vermeiden. In seiner Vorstellung schien es so einfach, auf dem Absatz kehrt zu machen und in die WG zurückzugehen, die er noch immer mit Kisame und Sasori bewohnte. Warum war er aber nicht in der Lage seinen Körper entsprechend zu bewegen? In der WG konnte er mit einigen Leuten, die Kisame eingeladen hatte und Freunden aus Studienzeiten genauso gut feiern. Vorhin noch hatte er eine Facebook-Nachricht von Deidara gelesen, einem alten Kommilitonen.   Kisame sagt, du machst schon wieder einen auf Spießer. Bestell deinem Bro und dessen Family schöne Grüße. Sag der Prinzessin, ihr Geschenk bekommt sie von uns allen zw. dem Jahr.   Bei der Bezeichnung Prinzessin, hatte er Lächeln müssen. Damit war seine fünfjährige Nichte gemeint.     Ach ja, … soll dir von Nagato ausrichten: Konan erwartet ihr 2. Kind. Yahiko war erst einmal baff als sie von der Fr.ärztin kam. Nagato meint, langsam muss Yahiko mit nem Ring um die Ecke kommen und Nägel mit Köpfen machen. Hidan hat nur die Hände übern Kopf zusammengeschlagen und gestöhnt. Weißt doch, Babyparty und so weiter ist nicht sein Ding und mit Sicherheit richtet Konan wieder eine aus. Such dir schon mal nen Baum, damit du bei drei oben bist. Die lädt doch wieder die halbe Clique samt Freundesfreunde ein. Kannst ja deinen Bro und dessen Darling schon mal Bescheid geben. Na dann, nen Besinnlichen.   Beim Lesen war ihm der Gedanke gekommen, sofort wieder umzudrehen und sich der Party dieser Vollidioten anzuschließen; sich mit ihnen an Heiligabend einfach die Kante zu geben. Hidans Erwähnung in der Nachricht, sprach für dessen Anwesenheit, was wiederrum der Garant für jede Menge Schnaps und Whiskey, Gin und Rum war. Bei der Menge, die heute Nacht dort niedergeknüppelt wurde, sah die WG morgen sicherlich wie ein Schlachtfeld aus. Übersät mit Alkoholleichen, leeren Flaschen, geöffneten Chipstüten, Resten von Sushi, Kleidungsstücken in allen Zimmerecken und BH’s, die von der Zimmerleuchte baumelten, wie auch immer die da hochkamen. Zum Glück hatte er seinen Raum abgeschlossen. Ansonsten konnte er damit rechnen, dass sich dort irgendeiner der Jungs mit zwei, drei Frauen einnistete oder sein Laptop in Kotze von irgendjemanden badete; wie beim letzten Mal.   Er war dem Ruf des Partyvolkes, trotz aller Verlockung, nicht gefolgt. Stattdessen hatte er Facebook geschlossen und das Handy in die Manteltasche gleiten lassen, damit er den spärlich geräumten Weg ohne unvorhergesehene Glatteisstellen und Stolpersteine fortsetzen konnte. Eine törichte Denkweise, denn jetzt wünschte er, irgendein Hindernis hätte ihn außer Gefecht gesetzt. Ihm entfloh dieser Erkenntnis wegen ein verächtlicher Laut und für den Augenblick konnte er sich selbst nicht ausstehen. Er fand sich regelrecht erbärmlich. Daher straffte er seine Schultern und obwohl alles in ihm gegen sein Vorhaben war, fing er an seine Fluchtgedanken in die hinterste Ecke seines Kopfes zu verbannen, wie jedes Jahr zu Heiligabend.   War die Selbstbeherrschung nicht das Maß aller Dinge und erhielt er nicht gerade dafür Bewunderung? Nun gut, einige sprachen bei ihm von nüchternem Denken, andere von stupider Arroganz und wieder andere von mangelndem Interesse, aber … Er schnalzte mit der Zunge und seine Lippen verzogen sich zu einem verächtlichen Lächeln bei der Vorstellung, wie er seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Er, dem man nachsagte, selbst beim Sex einem Eisblock ähnlich zu sein, bis auf dem Moment, der als La petite mort bekannt war. Ihm entkam ein unwirscher Ton. Wenn er also in so geringen Maße sein Innerstes nach außen kehrte, dann konnte er auch am heutigen Abend Herr seiner Gefühle sein und die verdammten Qualen duldsam ertragen. Den aufkommenden Brechreiz schluckte er hinunter. Noch einmal betrachtete er das elegante und schlichte Namensschild, ehe er den Knopf für die Klingel betätigte.   ~*~   Die Tür öffnete sich und etwas Kleines huschte durch den kaum vorhanden Spalt. Bevor er realisieren konnte, wer ihm gegenüberstand, spürte er ein Gewicht an seinen Beinen hängen, welches seine Aufmerksamkeit forderte. Ein lautes: „O-nkel!“, drang an seine Ohren. Perplex starrte er nach unten, während er darum kämpfte das Gleichgewicht zu halten. Mit einem Ausfallschritt zurück, entging er dem Übergewicht nach hinten – verursacht durch den Schwung seiner anhänglichen Nichte. Er begegnete zwei großen schwarzen Augen, die ihn von unten herauf ansahen. Ein breites Grinsen offenbarte einen von Mäusezähnchen verzierten Kindermund, dessen Besitzerin wie ein Klammeräffchen an ihm hing. Ihm schoss es durch den Kopf, dass der Kosename Affe besser zu seiner Nichte passte als Prinzessin.   „Sa-chan, du hast keine Schuhe und auch keine Jacke an. Komm rein! Und bring deinen Onkel gleich mit.“ Beim Klang der Stimme stellten sich ihm die Nackenhaare auf und für einen Herzschlag lang, setzte seine Atmung aus. Zudem erfüllte das Pochen einer unangenehmen Hitze seine Wangen. Er konnte nicht verhindern, den Blick zu heben und ihren grünen Augen zu begegnen. Da stand sie, sein Problem, seine Begierde, seine größte Angst und sein sehnlichster Traum. Sie war alles, alles in einem.   Sakura.   Ihr Name verursachte Schmetterlinge im Bauch und Stiche im Herzen; beides gleichermaßen. Der Gedanke an sie, erschien ihm wie die größte Sünde auf Erden. Versuchte er dies zu unterbinden, machte ihm sein Unterbewusstsein des Nachts einen Strich durch die Rechnung, denn die meisten seiner Träume handelten von ihr, sehr zu seinem Leidwesen. Am darauffolgenden Tag konnte er sich an die Gegebenheiten erinnern und an nichts anderes mehr denken. Er träumte wie sie seine Geliebte war, bereit ihn willkommen zu heißen und seine Liebe zu empfangen und mit aller Treue brach, die sie in ihrem Hochzeitsschwur an seinen Bruder gelobt hatte. Manchmal war er es auch, der mit ihr am Altar stand … es war die reinste Utopie.   Bei Sakuras Anblick glaubte er stets zu spüren, wie auf seiner linken Schulter sein teuflisches Ich erschien und auf der Rechten das himmlische Gegenstück. Von beiden wurde er angeschrien, weil jeder seine Meinung durchsetzen wollte. Der Teufel stichelte in bekannter Manier. Mit bezirzenden Worten träufelte er Gift in das Ohr, das davon sang, dem Verlangen nachzugehen und zu nehmen, was so schön vor ihm stand. Dies blieb nicht ohne Folgen, schon waren da Fantasiegebilde von Sakura in seinem Kopf, wie sie erregt und mit geröteten Wangen unter ihm lag und genüsslich seinen Namen über die Lippen wandern ließ. – Welch herrlich, süße Vorstellung, die unter dem Einfluss des Engels aber ein schnelles Ende fand. Er hörte sein himmlisches Ich flehentlich an Verstand und Vernunft appellieren und zu allem Übel kam auch noch die Reue mit ins Spiel … Die utopische Seifenblase zerplatzte. Erneut gewann der Engel, aber die Versuchung, Hand an Sakura zu legen, nahm zu, je öfter er sie sah.   ~*~   Mehr als einmal hatte er den Versuch unternommen seine Gedanken anderen Frauen zu widmen. Er musste aber bald einsehen, dass es ihm keinen Nutzen und den Liebschaften keine Freude brachte. Sobald er den neuen Bekanntschaften länger gegenübersaß, sie ansah, mit ihnen redete oder gar das Bett teilte, erblickte er grüne Augen und fand nur das zarte Aroma von Kirschblüten anziehend. Sakuras Duft. Irgendwann hörte er auf andere Frauen zu daten. Es hatte ja eh keinen Zweck. In dieser Stadt und auch aus der Umgebung reichte keine an Sakura heran und lieber verging er fast vor Sehnsucht als weiter nach einem Ersatz für seine unstillbaren Begierde zu suchen.   ~*~   Er kam in das Hier und Jetzt zurück als seine Nichte nach seiner Hand griff. Sein Blick löste sich von Sakura, während er in das Haus hineingezogen wurde. Trotz des stürmischen Ziehens des Kindes, schaffte er es die Schuhe auf dem Abtreter vom Schnee zu befreien.   Im Haus angekommen, bemerkte er, dass der Flur nur von einer langen Lichterkette erhellt wurde. Das warme Licht schlängelte sich entlang der Garderobe und des Spiegels, über Bilder- und Türrahmen und um einige Holzstreben des dunklen Treppengeländers. Hinter ihm schloss Sakura die Tür und er hörte jemanden Rufen: „Wer ist es?“ Die Stimme seines Bruders sorgte dafür, dass auch der letzte Rest seiner Vorstellungskraft an Wirkung verlor. Rasch zog er die Handschuhe aus, steckte sie in die Taschen und knöpfte den Mantel auf. In der Zwischenzeit rief Sakura: „Dein Bruder, Liebling. Sa-chan hätte in fast umgerannt.“   Liebling. Es zerstach ihm das Herz.   Er bemerkte nur am Rande, wie seine Nichte vor Freude um ihn herumsprang. Ihm entging ihr lauernder Blick als er seinen Mantel, samt Schal, an den Haken hing. Seine Aufmerksamkeit galt nur Sakura und nachdem er seine Schuhe gegen die bereitgestellten Pantoffeln gewechselt hatte, ging diese mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. „Lass dich umarmen, Schwager.“ Die Worte ließen in ihm die Panik aufleben. Blinzelnd sah er ihr entgegen und kam nur zögerlich der Aufforderung nach. Seine Bewegungen fühlten sich fremd und steif an, als sei es nicht sein eigener Körper, den er befehligte. Alles in ihm schrie danach Abstand zu nehmen und im gleichen Maß mehr zu verlangen als ihm zustand.  Sein teuflisches Ich brachte das Streben nach ihr in Wallung. Der Wunsch sie gegen die Wand zu drängen, um erst ihren Mund und dann ihren Hals mit den Lippen in Beschlag zu nehmen, flammte in ihm auf. Er spürte wie die Mauern der Selbstbeherrschung bröckelten als er ihre körperliche Wärme wahrnahm und ihm der Duft nach Kirschblüten in die Nase stieg. Unwillkürlich brachen die Worte: „Schön dich zu sehen“, aus ihm heraus. Er freute sich wirklich und labte sich an dieser Umarmung. Sie kicherte. „Wenn du öfters die Einladungen annehmen würdest, könnten wir uns viel häufiger sehen.“ Der Satz hallte in ihm nach und versetzte sein Innerstes in Schwingung. Wie gerne würde er dem nachkommen, wenn der Ablauf nur wie in seinen Träumen wäre. Doch die Zusammenkünfte würden nie ohne die Anwesenheit seines Bruders, seiner Nichte oder Dritter geschehen und so spürte er langsam die Ernüchterung einsetzten. Er war gerade dabei sich wieder zu beruhigen als ihm auffiel, wie nah ihr Hals seinem Mund war. Es genügte den Kopf ein wenig seitlicher zu drehen, um –   Stopp! Alle Sirenen in ihm schrien schrill auf. Diese Umarmung durfte sich nicht in eine unnormale Länge ausdehnen. Er musste sich normal verhalten und die Mauern der Selbstbeherrschung wieder stärken. Leichter vorgenommen als umgesetzt. Was war denn schon normal? – Allein diese Frage sorgte dafür, dass die Panik in ihm weiter anstieg. Herzte er sie zu sehr, warf dies Fragen auf. Schenkte er ihr nur wenig Beachtung, konnte dies auch falsch ausgelegt werden; und plötzlich war er da, der nagende Zweifel und mit ihm kam auch eine plagende Unsicherheit, die er nur in Bezug auf Sakura verspürte. Seine Nerven erzitterten unter der Anspannung, jenen Moment nicht zu verpassen, wo Sakura ihre Arme lockerte und die Umarmung löste. In diesem Augenblick musste er es ihr gleichtun, ohne seiner Gefühle wegen aufzufallen. Alles musste … normal sein.   ~*~   Zum Abschluss der Umarmung spürte er wie Sakura ihn nochmal an sich drückte und sofort betete er, dass sie seinen wild hämmernden Herzschlag nicht wahrnahm. Erleichterung machte sich in ihm breit, sobald er sich von ihr lösen konnte. Doch die Gefahr war noch nicht gebannt. Er sah in das lächelnde Antlitz seiner Schwägerin und es verlangte ihn sich ihr wieder zu nähern, um die Lippen auf ihren Mund zu legen. Ein Kuss, ungestüm und mit all seiner Leidenschaft für sie …   Der helle Aufruf seiner Nichte zerschnitt seinen Wunsch. Sakura wandte sich von ihm ab und er folgte ihrem Beispiel, nachdem das hocherfreute: „PAPA!“, an seine Ohren drang.   Seine Nichte sauste auf einen Mann zu, der am Ende des Flurs aus dem Esszimmer getreten war. Die Kleine wurde mit ausgebreiteten Armen empfangen und hochgehoben. Ihre kleinen Armen schlangen sich um den Hals ihres Vaters. Lächelnd und die Tochter tragend, kam sein Bruder auf ihn zu. Der wärmende Blick brachte sein Herz zum Stocken und er schämte sich für die schändlichen Gedanken, die ihm wenige Augenblicke zuvor im Kopf umhergeschwirrt waren. Er beobachtete wie seine Nichte wieder runtergelassen wurde und kurz darauf fand er sich in den Armen seines Bruders wieder. „Hallo Itachi.“ „Sasuke.“   Die Brüder lösten die Umarmung. „Haben sich die Öffentlichen wegen dem Schnee verspätet, oder warum die Unpünktlichkeit?“, mit einem Seitenblick betrachtete sein Bruder Sakura. „Sie war schon kurz davor eine Vermisstenmeldung rausgeben zu lassen.“ Empört über diese Unterstellung, entgegnete Sakura entrüstet: „Gar nicht wahr“, und boxte ihrem Mann spielerisch gegen den Oberarm. Die Kabbelei der beiden ließen die Stiche in seinem Herzen heftiger werden. Rasch lenkte er sich damit ab, indem auf die Frage seines Bruders die Antwort gab: „Kisame.“ Sakura hielt inne und sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Sein Bruder nickte verstehend. Ein leises: „Hn“, war von diesem zu vernehmen. Seiner Schwägerin reichte eine so minimalistische Äußerung nicht und so wetterte sie: „Was? Kisame? Was war denn bei dem so dringend?“ „Ähm … eigentlich, nun ja … nichts Wichtiges“, es war nur die gleiche Diskussion wie jedes Jahr zu Weihnachten. Sein Mitbewohner hatte ihm in den Ohren gelegen, den Heiligabend in der WG zu feiern. An den hochgezogenen Augenbrauen seiner Schwägerin erkannte er, dass seine Antwort nicht befriedigend genug für sie war. Selbst das: „Lass ihn doch“, von seinem Bruder, konnte Sakuras bohrenden Blick nicht mildern. Im Gegenteil, ein Funkeln trat in ihre Augen und verlieh ihr einen dämonischen Ausdruck, der dafür sorgte, dass er fast einknickte. Seine Antwort entsprach zwar nur der halben Wahrheit aber sie genügte ihr. „Irgendein Frauenproblem.“ „Irgendein Frauenproblem? Zu Heiligabend? … Tche“, Sakura entkam ein schnalzender Ton, während sie die Hände in die Hüften stemmte und einen Schritt auf ihn zutrat. Mit einem eindringlichen Blick sagte sie: „Das nächste Mal kannst du ruhig mit mir drohen, wenn er wieder solche Anwandlungen bekommen sollte und glaubt, seine Probleme mit irgendwelchen dahergelaufen Weibern seien wichtiger als ein festliches Essen bei deinem Bruder und seiner Familie.“ „Sakura …“, mahnte ihr Mann sie. Doch darauf ging sie gar nicht ein. Sie wandte sich nur kurz zu ihm um und er verstummte.   Das dämonische Funkeln ihrer Augen konnte selbst in Hidan die Angst schüren. Sakuras Wutausbrüche waren grausam, aber effektiv. Zum Glück befand sie sich im Moment noch in einem Stadium, der besänftigt werden konnte. Ein: „Mami“, ihrer Tochter reichte vollkommen aus.   Die drei Erwachsenen sahen nach unten und blickten in die großen Augen der Fünfjährigen. „Ja, Prinzessin?“, in Sakuras Stimme schwang keinerlei Zorn mehr mit, sondern nur der Klang mütterlicher Fürsorglichkeit. „Hunger.“   ~*~   Der Bratenduft ließ ihm den Mund wässrig werden und der Anblick der knusprigen Ente brachte seinen Magen zum Grummeln. Sollte der Braten auch noch so schmecken, wie er aussah, dann hatten sich Sakuras Kochkünste enorm gesteigert. Er konnte sich noch an einen Weihnachtsabend erinnern als sie zu dritt, seine Nichte war noch nicht geboren, um ein geliefertes Sushi-Buffet saßen. Der Braten für den damaligen Abend hatte eine Kruste besessen, die an ein Stück Kohle erinnerte und leider auch so schmeckte. Anscheinend schienen die Zeiten der verkohlten Heiligabendessen vorbei zu sein, denn die Ente schmeckte vorzüglich. Ihr Fleisch zerging ihm auf der Zunge und die Beilage war einfach famos.   Auf die Gefahr hin, in den berühmte Fettnapf zu treten, fragte er: „Hast du einen Kurs fürs Weihnachtsessen besucht?“, dabei griff er zum Weinglas und nippte daran, um dem bösen Blick der grünen Augen zu entgehen. Der erwartete Ausbruch fand nicht statt. Sakura hielt inne und schnitt das Stück Ente für ihre Tochter nicht weiter klein. Sie schüttelte lediglich den Kopf. Es war sein Bruder, der ihm die Antwort gab: „Das nicht. Hinata und sie haben geübt. Naruto und Neji waren die Testesser“, seufzend fügte er mit an. „Ein Wunder, das beide nicht geplatzt sind.“ Diese Aussage entlockte ihm ein: „Wieso?“, während er skeptisch den Teller betrachtete, wo sein Entenfleisch brav neben dem Kloß und dem Rotkraut lag und darauf wartete, verspeist zu werden. „Beide haben schon Mitte November angefangen. Jedes Wochenende.“   Jedes Wochenende. – Mit Erstaunen sah er von seinem Bruder zu Sakura, die leicht gerötete Wangen zu haben schien und sich sehr intensiv mit dem der Zerkleinerung des Fleisches für ihre Tochter beschäftigte. Anscheinend war es ihr peinlich. Er amüsierte sich über ihre Verlegenheit und auf eine merkwürdige Weise war er sehr erfreut darüber, Verursacher dieser Reaktion zu sein. Sein Herz machte einen kleinen Hüpfer, während das Wohlempfinden Aufwind bekam.   Beim Essen lag sein Blick immer wieder Mal auf seiner Nichte. Er war von ihrem artigen Verhalten, für eine Fünfjährige nicht typisch, verblüfft. Beharrlich benutzte sie die Serviette, um sich großzügig das halbe Gesicht damit abzutupfen, bevor sie zum Kinderbecher griff und den Kirschsaft trank. Zu seinen Bruder geneigt, raunte er in dessen Ohr: „Für ihre fünf Jahre ist sie wirklich gut erzogen.“ „Kein Wunder“, gab dieser ebenso leise zurück. „Sakura hat damit gedroht Weihnachten ausfallen zu lassen, wenn sie sich wie King Kong auf dem Wolkenkratzer aufführt. Kein Weihnachten, ergo keine Geschenke.“ Das leuchtete ein und er war sich sicher, Sakura hätte diesen Vorsatz gnadenlos durchgezogen. „Ihr solltet sie King Kong nennen und nicht Prinzessin, wenn sie sich immer wie ein Affe verhält.“ Sein Bruder verzog die Mundwinkel minimal und wartete den Moment ab, in dem seine Frau damit beschäftigt war, die Musik leiser zu drehen, weil das Glockenläuten in einem der Lieder zu sehr dröhnte. „Wenn sie will, kann sie eine Prinzessin sein.“   Vor zwei Jahren noch, hätte er keinen Gedanken an seine Nichte verschwendet. Ihre Geburt hatte er als Ärgernis angesehen, war sie in seinen Augen doch nur ein weiterer Störfaktor gewesen; ein zusätzliches Hindernis, das seine Hoffnungen schmälerte mit Sakura zusammenzukommen. Vom Tag ihrer Geburt an, empfand er bei ihrem Anblick nichts als puren Hass. Es dauerte fast drei Jahre, bis er einsah, dass seine Nichte keinerlei Schuld traf und ihr Charme selbst sein Herz erweichte.   ~*~   Gebannt starrte seine Nichte auf die doppelflüglige Schiebetür, hinter der sich der Wohnbereich verbarg. Sie saß noch immer am Esstisch und wurde nur von der Hand ihres Vaters, die auf ihrer Schulter ruhte, davon abgehalten, aufzustehen. Weihnachtliche Festbeleuchtung schimmerte durch das edelverzierte Buntglas der Türen und immer wieder war Sakuras Silhouette zu sehen, die mal nach links und mal nach rechts verschwand. Als dann der lang ersehnte Klang des Glöckchens zu vernehmen war, gab seine Nichte im gleichen Moment einen erfreuten Ton von sich. Fragend sah sie ihren Vater an, der mit einem Kopfnicken das Zeichen zum Aufstehen gab. Seine Tochter glitt vom Stuhl und sauste zur Tür. Zur selben Zeit schob Sakura die Flügeltüren auf und trat aus dem Raum. „War er das? War er das?“, rief Sa-chan aufgeregt. Ihre Mutter lächelte. „Wen meinst du denn?“ Hibbelig sprang ihre Tochter von einem Bein auf das andere. „Na, der Weihnachtsmann!“ „Ja, das war er. Sag bloß, du hast das Glöckchen vernommen?“ Sa-chan nickte eifrig und bekam dann zu hören. „Na, dann musst du wirklich brav dieses Jahr gewesen sein, denn nur brave Kinder vernehmen den Klang.“ Sakura schob die Türen weiter auf und ihrer Tochter verschlug es den Atem. Langsam erhoben sich auch Sasuke und Itachi von den Stühlen und folgten der Fünfjährigen.   Ein herrlich geschmückter Weihnachtsbaum stand mitten im Raum und seine Lichter erhellten das ganze Zimmer. Rote, grüne, blaue und silberne Kugeln hingen zusammen mit kleinen Holzfiguren und Strohsternen verteilt an den Ästen. Neben der funkelten Lichterkette, bahnten sich goldene Ketten den Weg hinauf zur Spitze, auf der ein strahlender Stern thronte. Der sanfte Duft von Tannengrün und Plätzchen stieg allen in die Nase und unter den weitausladenden Ästen lagen, in buntes Papier verpackt, die Geschenke. Große, rote Samtschleifen verzierten die Päckchen und an jedem hing ein Namensschild.   Sa-chan quietschte vor Freude als ihre Mutter die Erlaubnis gab den Raum zu betreten. Sie flitzte auf den Baum los, blieb aber kurz vor ihm auf den Zehenspitzen stehen und betrachtete ihn mit weit geöffneten Mund und strahlenden Kinderaugen. Ihr Onkel erinnerte sich, dass sie vor einem Jahr noch in Tränen ausgebrochen war als sie dem großen, hellen Weihnachtsbaum gegenübergestanden hatte. Nun konnte er beobachten, mit welcher glückseligen Begeisterung sie ihre Geschenke auspackte. Ihre Euphorie ließ sie wie ein kleiner Schneekönig aussehen und das breite Grinsen entlockte selbst ihm ein seltenes Lächeln. Sein Blick fiel auf ihren Vater, der neben ihm stand. Dieser hatte nur Augen für das Treiben, welches Sakura gemeinsam mit der Tochter unter dem Weihnachtsbaum und zwischen all den Geschenken verursachten. Es kam selten vor, dass er auf dem Gesicht seines Bruders einen so friedvollen Ausdruck sah und erneut spürte er heftige Stiche durch sein Herz jagen, als er sich an diese Momente erinnerte … … der Eröffnungstanz bei der Hochzeit. Ringsherum waren Tränen geflossen als sein Bruder und Sakura den Walzer tanzten. Selbst Hidan konnte sich das Wasser in den Augen nicht verkneifen und dann war es die Geburt seiner Nichte gewesen. Sein Bruder hatte die Kleine zum ersten Mal auf den Arm gehalten und den Blick nur abwenden können, um Sakura mit der gleichen Zärtlichkeit zu betrachten, die sich schlafend von den Strapazen der Geburt erholte. Momente, die seinem Bruder im vollkommenen Glück baden ließen, waren für ihn eine Katastrophe, sobald Sakura darin eine Rolle spielte. Zeigten sie ihm doch, wie weit er sich schon von ihr entfernt hatte, ganz gegen seinen Willen.  Oft wünschte er sich an der Stelle seines Bruder sein zu können, doch sobald diese Gedanken aufkamen, schämte er sich dafür. Sein Bruder hatte dieses Glück verdient.   Ein Zupfen an seiner Hose holte ihn aus seinen Erinnerungen und er sah nach unten. Seine Nichte stand vor ihm und hielt einen flachen, verpackten Gegenstand in den Händen. Er ging in die Hocke und nahm das Geschenk entgegen. Zuerst dachte er an ein Buch, aber seine Finger ertasteten den Rand eines Bilderrahmens. Vorsichtig löste er die Schleife und riss das Papier auf und tatsächlich, ein Bilderrahmen kam zum Vorschein. Er holte sein Geschenk raus und betrachtete das gerahmte Bild. Er konnte seine Nichte leise sagen hören: „Von mir. Habe dem Weihnachtsmann gebeten es dir zugeben. Der Weihnachtsmann ist klug. Er wusste, du bist heute bei uns.“ Liebevoll strich er ihr über den Kopf und bedankte sich. Als er aus der Hocke kam, betrachtete er skeptisch die dargestellten Figuren. Der Finger seines Bruders kam in sein Sichtfeld und tippte auf jede einzelne, gemalte Gestalt. „Das sind Sakura, Sa-chan selbst, ich und du.“ „Und was ist das?“, damit zeigte er auf eine unförmige braun-graue Zeichnung, die mit vier Stelzen ausgestattet war und merkwürdig über den Boden schwebte und anscheinend eine rote Mütze trug. „Das ist Akamaru.“ „Wer?“ „Akamaru“, kam es dieses Mal von Sakura. Sofort zog sich sein Herz zusammen und er nahm die merkwürdige Gestalt zum Vorwand, um nicht aufblicken zu müssen. „Das ist der Hund unserer neuen Nachbarn. Sa-chan nennt ihn Aka und unter Aufsicht darf sie mit ihm spielen, wenn es seine Besitzer erlauben“, seufzend fügte sie mit an, was ihn nun doch dazu brachte, sie anzusehen. „Seit sie den Hund kennt, will sie auch einen haben.“ Er wagte es ihren Augen zu begegnen und fragte verschmitzt: „Warum ist keiner unterm Baum?“ Sakura stemmte empört die Hände in die Seiten. „Also wirklich, ein Hund ist doch kein Geschenk für Weihnachten. So was muss gut überlegt sein“, und von seinem Bruder bekam er ein: „Scherze stehen dir nicht“, zu hören. Autsch! Wieder ein Fettnapf mitgenommen. „Außerdem finden wir, dass Sa-chan mit ihren fünf Jahren noch zu jung für ein eigenes Haustier ist“, erklärte Sakura. „Ein Haustier bedeutet jede Menge Arbeit und Verantwortung. Sobald sie älter ist und noch immer den Wunsch hegt, ein Tier haben zu wollen, werden wir vorerst mit etwas Kleinem anfangen. Vielleicht ein Meerschweinchen oder ein Kaninchen. Für Kleintiere findet sich schneller jemand aus dem Freundeskreis, der mal ein Auge drauf werfen kann als bei einem Hund oder einer Katze.“ „Tierpension“, warf er in die Runde, wusste aber sofort, dass er wieder etwas Falsches gesagt hatte. Sakura verzog das Gesicht und bei seinem Bruder hob sich elegant eine Augenbraue, die den skeptischen Ausdruck in seiner Mimik noch unterstrich. Um sich aus dem Fettnapf halbwegs noch zu retten, brummte er: „War ja nur ein Vorschlag“, und senkte den Blick wieder auf das Bild. Er blinzelte und merkte, dass diese Tat ein weiterer Fehler gewesen war.   Verdammt.   Statt des gemalten Motivs seiner Nichte, sah er einen Auswuchs der eigenen Fantasie: Sa-chan, Sakura, der Hund und er selbst waren auf dem Bild noch vorhanden, von seinem Bruder fehlte jedoch jede Spur. Er war wie ausradiert, wie ausgeschnitten. Erneut blinzelte er, um das Trugbild aus dem Kopf zu bekommen. Es half aber nicht und so deutete er mit einem vagen Lächeln an, das Geschenk an seinem Platz am Esstisch bringen zu wollen. Beim Tisch angekommen, genehmigte er sich zwei, nein vier kräftige Züge vom Rotwein. Süßlich, herb mit einem schweren Nachgang lag ihm der Alkohol auf der Zunge. Sich selbst ermahnend, sagte er sich in Gedanken: Nur noch ein wenig, ehe er zur Garderobe ging und das Geschenk für seinen Bruder und dessen Frau, in Form eines Briefes, aus der Innentasche des Mantels zog.   Seine Abwesenheit hatte auch Sakura genutzt, um aus dem Wust von Geschenken seines zu entnehmen. So bekam er bei seiner Rückkehr ein unförmiges Päckchen in die Hand gedrückt. Er steckte das Kuvert in die Hosentasche und zog ebenso sacht, wie zuvor bei seiner Nichte, das Papier von seinem Geschenk. Ihm entkam ein heißeres: „Wahnsinn“, als er das aktuelle Album seiner Lieblingsband auf Vinyl gebannt in den Händen hielt. Mit dabei war eine kleine Schachtel, in der sich verschiedene Merchandising-Artikel eben jener Band und eine VIP-Konzert-Karte befanden. Fassungslos starrte er seinen Bruder und Sakura an und konnte sich nur schwerlich eine Träne verkneifen. Seine Stimme klang belegt als er sich bedankte und zugleich fragte: „Wie seid ihr an die Karte gekommen? Das Konzert ist seit Monaten ausverkauft!“ Sein Bruder, die Hände in den Jeanstaschen ruhend, zuckte mit den Schultern. „Naruto. Er kennt jemanden, der den Manager der Band kennt.“ „Bitte?“, stolperte es ihm über die Lippen. Soeben war ihm teilweise der Teppich unter den Boden weggezogen worden. Naruto? Der blonde Chaot? … Wie? Seine Frage musste ihm im Gesicht gestanden haben, denn Sakura lachte über seine Reaktion. „Eigentlich musst du sowohl Naruto, als auch Hinata dankbar sein. Sie hat mit ihrem Familiennamen ein wenig Vitamin B betrieben und übers Narutos Bekannten ist der Kontakt zum Manager entstanden. – Du weißt ja, sein Freundeskreis ist riesig. Ich erinnere nur an diesen Gaara. Der ist doch um mehrere Ecken mit Sasori verwandt.“ Das stimmte und eigentlich war Naruto kein Chaot, sondern ein bunter Hund. Schließlich kannte er gefühlt an jeder Straßenecke mindestens einen Menschen, was aber auch keine Wunder war. Der Typ strahlte mit der Sonne um die Wette, war immer gut gelaunt und zeigte stets ein Lächeln, wenn nicht sogar ein breites Grinsen. Nicht zu vergessen, er war eine so treue Seele, wie es sie nur noch wenige davon auf der Welt gab.   „Ganz so stimmt das aber nicht“, entgegnete sein Bruder. „Den Einfall zu deinem Geschenk hatte Sakura. Die beiden haben geholfen es umzusetzen. – Wäre es nach mir gegangen, hätte es nur eine Flasche Wein gegeben.“ „Nur eine?“, warf Sakura spitz ein. „Du wolltest ihn halb Elsass schenken bei der Menge an Weinflaschen, die online im Warenkorb lagen.“ Das neckische Gezänk der beiden interessierte ihn nicht, er war von dem Gedanken gefesselt, dass die Idee des Geschenks von Sakura stammte. Seiner Sakura. Sie dachte an ihn; wusste, was er sich wünschte. Plötzlich fühlte er sich von Glückseligkeit durchströmt und sein nach Wärme lechzendes Herz sog jeden Tropfen dieses herrlichen Gefühls auf. Er kam erst wieder in das Hier und Jetzt zurück als Sakura auf das Kuvert in seiner Hosentasche deutete. „Ist das noch für Sa-chan?“ „Äh… nein. Für euch“, sagte er rasch. Das Geschenk für Sa-chan hatte er online bestellt und gleich an die Adresse seines Bruders liefern lassen. Natürlich mit Rücksprache, damit es nicht zu einer Dopplung kam.   Für seinen Bruder und Sakura gab es einen Gutschein zum Dinner-Abend in einem 4-Sterne-Restaurant. Dass die Idee nicht auf seinem Mist gewachsen, sondern ein Einfall Kisames gewesen war, verschwieg er lieber. Bei seiner Kreativität wäre es etwas Praktisches geworden wie ein Fußabtreter oder die andere Hälfte des elsässischen Weines. In diesen Dingen waren sich Sasuke und Itachi einfach zu ähnlich.   Sakura entlockte ihm mit ihrer Freude ein Lächeln. Vergnügt zwitscherte seine Schwägerin: „Das ist ja großartig. Danke“, und sah erst ihn und dann ihren Mann begeistert an. „Wann waren wir das letzte Mal ohne Sa-chan essen? Seit unser Schatz da ist, essen wir entweder daheim oder wir sind in einer kinderfreundlichen Gaststätte. Das Geschenk ist klasse“, und schon bekam er eine weitere Umarmung. Dieses Mal musste er seine Gefühlsregungen noch mehr im Zaum halten, denn er sah direkt in die Augen seines Bruders. Der zog die Brauen hoch und zuckte mit den Schultern, bevor er sich erkundigte: „Wer macht den Babysitter?“ Sakura löste sich von ihrem Schwager und klopfte ihm mit einem gönnerhaften Blick auf die Schulter. „Der steht vor uns.“ Entsetzt sahen sich Sasuke und Itachi an und kurz darauf war im gesamten Haus Sakuras Lachen zu vernehmen. Als sie sich einigermaßen beruhigte, kicherte sie: „Also wirklich, ihr hättet mal eure Gesichter sehen sollen. Die Panik in euren Augen. Ich weiß nicht, wer erschrockener ausgesehen hat.“ „Sakura“, brummten beide Unisono.  „Schon gut, schon gut“, winkte sie ab. „Ich denke bei Hinata und Naruto wäre Sa-chan sehr gut aufgehoben. Boruto und sie verstehen sich ja blendend. Ansonsten hätte ich auch Ino fragen können …“ – mehr brauchte es nicht, um die Brüder wieder zu beruhigen. Es war nicht so, dass der eine dem anderen nicht zutraute auf Sa-chan aufzupassen aber beide wussten wie anstrengend dieses Kind manchmal sein konnte.    ~*~   Als Sa-chan das Geschenk von ihrem Onkel fand und auspackte, konnte ein lauter Freudenjubel vernommen werden. Sie hatte sich seit Monaten ein ferngesteuertes Auto gewünscht und jetzt stand es vor ihr. Die Versuche ihres Vaters, von Sakura stets mit einem Augenrollen quittiert, ihr einen mädchenhafteren Wunsch, vielleicht in Rosa abzuringen, waren allesamt fehlgeschlagen. Sa-chan besaß ihren eigenen Kopf und für ihre fünf Jahre setzte sie ihn bravourös durch.   Zum Dank für das Geschenk wurde ihr Onkel ein weiteres Mal stürmisch von seiner Nichte gedrückt. Dieses Mal dauerte der Kontakt nur kurz an, denn gleich darauf sauste sie zu ihren Eltern und bat um Erlaubnis mit dem Wagen spielen zu dürfen. Bald schon düste das Auto über die Dielen bis es Zeit für die Prinzessin war ins Bett zu gehen. Sie kam dem Wunsch ihrer Eltern nur unter Protest nach, doch ein breites und großes Gähnen sprach seine ganz eigenen Bände.   ~*~   Weit nach Mitternacht kam endlich für ihn die Zeit zu gehen. Er wirkte leicht angeheitert vom Wein und konnte nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken als er den Türrahmen anstieß, auf seinem Weg vom Esszimmer in den Flur. Sein Bruder fasste ihn am Arm. „Bist du dir sicher, dass es kein Taxi braucht?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein. Lass mal“, dabei streifte er die Hand ab. „Die frische Luft wird mit guttun.“ „Sicher?“ Sakura war neben ihren Mann getreten und hielt ihm sein Geschenk in einem Stoffbeutel entgegen, der das Logo seiner Lieblingsband trug, wie er zu seiner Überraschung erkannte. „Ja“, entgegnete er und lächelte. Der Engel auf seiner rechten Schulter hielt ihn gerade noch davon ab, ihr so nah zu kommen, dass er sie hätte auf den Mund küssen können. Stattdessen nahm er den Beutel entgegen, während er dem Teufel zu seiner Linken lauschte, der geräuschvoll schmollte. „Schreib, wenn du in der WG angekommen bist“, bat Sakura ihn, wobei sie den Kopf leicht schief legte. Sein Herz schlug bei diesem Anblick höher und der Alkoholrausch war abrupt verflogen. Er musste gehen. Jetzt. Sofort. Mit gepresster Stimme sagte er rasch: „Meine liebe Schwägerin, das werde ich.“ Er umarmte sie zuerst, um es hinter sich zu bringen. Sakura hatte kaum die Arme um ihn gelegt als er sich auch schon wieder löste und seinen Bruder zuwandte, der es sich nicht nehmen ließ, ihm auf den Rücken zu klopfen. Nachdem beide auseinandertraten, hörte er ihn sagen: „Vergiss nicht, am zweiten Weihnachtsfeiertag bei Naruto und Hinata.“ „Wie könnte ich?“, und mit vielsagenden Blick sah er auf das Geschenk in seiner Hand, bevor er sich der Garderobe widmete und die Pantoffeln gegen seine Schnürstiefel tauschte.   Er hatte gerade den Mantel geschlossen und die Handschuhe hervorgeholt als Sakura die Tür öffnete. „Brr, ist das kalt da draußen“, bibberte sie als der erste kalte Luftzug sie erfasste. Itachi und Sasuke wandten sich um und sahen dabei zu, wie sie sich die Arme rieb, während ihr Blick am Himmel hing. Fasziniert hauchte sie: „Keine Wolken. Eine sternklare Nacht. Wahnsinn.“ Ihr Atem wandelte sich in der Kälte zu einem weißlichen Hauch, der am nächtlichen Himmel verflog. Als sie von der Türschwelle zurücktrat, nutzte ihr Schwager die Gelegenheit endlich das Haus verlassen zu können. Auf der obersten Stufe blieb er stehen und drehte sich um. Er wünschte, es nicht getan zu haben, denn sein Herz setzte für den Moment aus. Sein Bruder hatte den Arm um Sakura gelegt und sie an sich gezogen. Was für ein schmerzhaft, harmonisches Bild, welches die beiden doch boten. Der Stich in seinem Herzen wurde größer und die Qualen heftiger. Zu seiner Linken konnte er den Teufel zetern hören, während der Engel auf der rechten Schulter zu besänftigen versuchte.   Er zwang seine Mundwinkel für ein Lächeln nach oben als er Abschied nahm. Damit er den Anblick der zwei nicht länger ertragen musste, senkte er beim Überziehen der Kapuze den Blick. Noch während er: „Bis Übermorgen“, sagte, drehte er sich schon ab. Er hörte, wie sein Bruder ihn berichtigte: „Bis Morgen. Es ist schon nach Mitternacht.“ „Ah, ja stimmt“, entgegnete er knapp über die Schulter hinweg. Noch einmal würde er das harmonische Bild nicht ertragen können und so hob er beim Verlassen des Vorgartens nur den Arm zum Abschiedsgruß. Als er das Einfamilienhaus und die Straße hinter sich ließ, wünschte er, die Wirkung des Weines würde wiederkommen. Doch die Kälte sorgte für einen solch klaren Verstand, dass es ihn innerlich zu zerreißen drohte. Am liebsten hätte er losgeschrien. Hinter der nächsten Ecke blieb er für einen Moment stehen. Er wischte sich unwirsch die Nässe aus den Augen und schluckte den schweren Kloß in seiner Kehle hinunter, der sich seit seinem Fortgang beständig vergrößert hatte. Sakuras glückliches Lächeln, während sie an seinem Bruder lehnte, hatte ihm für heute den Rest gegeben. Er wünschte, es wäre der Todesstoß gewesen aber im Gegenteil, seine Sehnsucht hatte sich nur noch vergrößert. Mist.   Die nächsten Nächte würde er sicherlich damit zubringen von ihr zu träumen und sich nach ihren warmen Körper zu verzehren. In solchen Momenten verspürte er eine unglaubliche Eifersucht auf seinen Bruder. Er beneidete ihn um sie und fühlte sich doch schlecht dabei; so zwiegespalten, schließlich gönnte er ihm seine Familie aber … eben nicht mit ihr.   ~*~   Als sein Bruder hinter den verschneiten Sträuchern des nachbarlichen Gartens verschwunden war, schloss Itachi die Tür. Er drehte sich zu Sakura, die im Flur die Pantoffeln wegstellte. „Er erschien mir ein wenig bedrückt.“ Sie sah auf und nickte. „Das ist mir auch aufgefallen“, und nachdenklich fügte sie an: „Sollen wir Hinata und Naruto fragen, ob er auch zur Silvesterfeier erscheinen kann?“ Itachi lächelte und ging auf sie zu. „Fragen kostet nichts und es würde ihm auch nicht schaden, einmal den Silvesterabend nicht mit Kisame zu verbringen. Letztes Jahr ist die Truppe nur knapp der Ausnüchterungszelle entgangen.“ Von Sakura kam ein Nicken. Sie konnte sich noch lebhaft an das letzte Silvesterfest und an den Anruf eines befreundeten Beamten von der Wache erinnern, kurz nach zwei Uhr in der Nacht.   Zärtlich strich Itachi ihr über die Wange. „Denk nicht so viel“, flüsterte er. „Dabei ziehst du immer deine Stirn so kraus.“ „Tu ich gar nicht“, empörte sie sich spielerisch und schmiegte ihren Körper an seinen als er die Arme um sie legte.   ~*~   Sasuke lehnte an einer der Haltestangen im U-Bahnwaggon. Es ging im rasanten Tempo durch die Tunnel der Stadt. Um das linke Handgelenk hatte er die Träger des Stoffbeutels geschlungen, während die Rechte tief in der Manteltasche ruhte. Sein Blick war starr aus dem Fenster gerichtet und er sah eine dunkle Welt mit hellen Lichtschlieren. Er spürte, wie beim Anblick der vorbeifliegenden Lichter seine innere Unruhe verschwand, aber der Gedanken an den morgigen Tag, ließ erneut sein Herz schmerzen. Fantasiegebilde von ihm und Sakura flammten auf. Wütend darüber ballte sich seine rechte Hand zur Faust. Sasuke schloss die Augen und verbannte die Vorstellungen aus seinem Kopf. Er musste nur noch einmal stark sein, für sich und vor allem für seinen Bruder. Sobald der morgige Tag vorüber war, würden diese kräftezerrenden Aufeinandertreffen ein Ende haben.   Seine Pläne für das kommende Jahr hatte er noch niemanden mitgeteilt. Ihm erschien aber Neujahr als ein guter Zeitpunkt, um jedem zu sagen, dass er am ersten Februar in einer neuen Firma anfing; am anderen Ende der Welt. Von dem Ortswechsel erhoffte sich Sasuke, endlich die Kraft aufzubringen, Sakura zu vergessen oder sie soweit aus dem Kopf zu verbannen, damit er endlich wieder die Ambitionen besaß andere Frauen kennenzulernen. Vielleicht fand er am anderen Ende der Welt doch noch seine Sakura.   Durch die Lautsprecher der U-Bahn wurde die baldige Ankunft seiner Station verkündet und er löste sich von der Haltestange. Langsam bahnte er sich den Weg durch die wenigen Menschen und stieg rasch aus, nachdem der Waggon stand und sich die Türen öffneten. In der Station hasteten einige Menschen an ihm vorbei, um die Bahn zu erwischen oder noch vor ihm der unterirdischen Welt zu entsteigen. Er ließ sich gemächlich von der Rolltreppe hinaufbefördern. Oben angekommen, sog er die kalte Nachtluft ein. Ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass es nach zwei Uhr war. Mit einmal fühlte er die Zuversicht in sich aufsteigen, die ihn beflügelte. Die morgige Konfrontation mit Sakura würde er auch überstehen, denn der Neustart wartete auf ihn. Mit dieser Aussicht war er sich seiner sicher.   Sasuke richtete den Blick zum Himmel. Tatsächlich, er war wolkenlos. Die hellen Sterne funkelten auf ihn hinab und trotz der erleuchteten Stadt, konnte er viele klar und deutlich erkennen. Nur noch morgen, dann begann sein Leben ohne Sakura. In seiner Kehle manifestierte sich ein Lachen, während sich in seinen Augen die Tränen sammelten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)