So eisig die Nacht von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 3: Chapter 3 -------------------- Der Schlüssel lag unter dem Blumentopf hinter der Eingangspforte, so, wie er es immer getan hatte, solange sie in diesem Haus lebten. Nicht, dass Tasha sich daran erinnert hätte – sie erinnerte sich nicht einmal an das Haus – aber der Wendigo hatte es ihr gesagt, und als sie dort nachgeschaut hatte, hatte sie den Schlüssel gefunden. „Ich kann auch einfach klingeln.“, murmelte sie halbherzig, als sie nun vor der Haustür stand und das Schloss betrachtete, doch sie wusste selbst, dass sie das nicht tun würde. Es war früher Morgen, und wenn sie klingelte würde sie wahrscheinlich das ganze Haus aufwecken; Tommy, Alana und Mike, und natürlich Kenneth. Dieser Gedanke gefiel ihr nicht. Sie konnte nicht sagen, weshalb, vielleicht einfach, weil es unhöflich wäre, ihre Familie aus dem Schlaf zu reißen, die morgen womöglich früh aufstehen und zur Schule oder zur Arbeit gehen musste. Welcher Wochentag mochte es wohl sein? Letztlich war der Grund für diese Entscheidung jedoch irrelevant, wichtig war, dass sie nicht klingeln würde. Und, dass sie den Schlüssel hatte. Das Klicken des Schlosses klang gleichermaßen vertraut wie befremdlich, angenehm und erschreckend. Die Tür öffnete sich ohne ein Geräusch (hatte sie nicht früher immer geknarrt?) und gab den Blick frei auf das Wohnzimmer, das dunkel dalag, und nicht mehr erkennen ließ als die Silhouetten der Möbel, die dort standen. „Es sieht anders aus.“, schoss es Tasha durch den Kopf, während sie eintrat und die Tür hinter sich zuzog. „Ich weiß nicht mehr, wie es ausgesehen hat… aber nicht so.“ Vielleicht stimmte das, vielleicht auch nicht. Aus den Augenwinkeln sah Tasha den Wendigo wieder neben sich. Er war nicht durch die Tür hereingekommen, da war sie sich sicher, aber das musste er wohl auch nicht. Nun jedenfalls stand er hier und betrachtete den Raum, dann streckte er einen Arm aus und deutete auf eine Stelle hinter Tasha. „Na los, mach das Licht an.“ Sie musste seiner Anweisung Folge geleistet haben, denn einen Augenblick später flammte das Licht auf, und sie sah, dass sie vor der Wand stand, eine Hand auf dem Schalter, doch konnte sie sich nicht erinnern, sich in Bewegung gesetzt zu haben. Egal. Vollkommen egal. Hör auf, so viel nachzudenken! Sie drehte sich wieder um, ließ den Blick über die Einrichtung des Raumes wandern… und ja, es stimmte. Das hier hatte nichts mehr mit dem Raum gemein, den sie nach Diagnose ihrer Krankheit verlassen hatte, nichts davon war gleich; nicht die Möbel, nicht die Regale an der Wand, nicht die Dielen. Sie wusste nicht, wie es ausgesehen hatte. Aber nicht so. Unschlüssig machte sie ein paar Schritte in den Raum hinein. Ein eisiger Windhauch fuhr durch ihr Haar und ließ sie frösteln – in diesem Moment dachte sie sich nichts dabei, doch die Tür hatte sie hinter sich geschlossen und keines der Fenster war geöffnet. Mit einer Mischung aus Neugierde und Argwohn musterte sie das Inventar. Sie sah nicht, wie der Wendigo sie dabei beobachtete, aber sie konnte seine Blicke spüren; sie schienen sich in ihr Fleisch zu brennen und verursachten körperliche Schmerzen, und grade wollte sie sich zu ihm umdrehen um ihm zu sagen, dass er damit aufhören sollte, als sie mit dem Schienbein gegen etwas stieß und das Gleichgewicht verlor. Der Versuch, sich abzufangen, blieb erfolglos, und so stürzte sie mit einem Schrei nach vorne, wobei sie noch etwas mitriss, das mit einem lauten Klirren auf dem Boden zerschellte, einen Augenblick, bevor Tasha selbst direkt daneben aufschlug. Einige Sekunden lang blieb ihr die Luft weg. Großartig. Ganz, ganz großartig. Reglos blieb sie liegen, lauschte auf ein Geräusch, und grade, als sie erleichtert aufatmen wollte, bereits dabei war, sich wieder aufzurappeln, hörte sie etwas. Schritte. Leise zunächst, doch dann immer näher kommend, und Tasha begriff, dass sie die Treppe hinabkamen, die sich zu ihrer Rechten befand, und auch die Stufen knarrten nicht mehr, so wie sie es ganz sicher früher getan hatten. „Ist das hier überhaupt mein Haus?“, schoss es ihr durch den Kopf, während sie zurückwich, darauf bedacht, nicht noch einmal zu stolpern. Aber das musste es sein, der Schlüssel hatte doch dort gelegen, wo sie gedacht hatte… nein, wo der Wendigo es ihr gesagt hatte. Und legten nicht eine Menge Leute Schlüssel an solche Orte? Oder war das bloß in Geschichten der Fall? Und wieso zerbrach sie sich darüber ausgerechnet jetzt den Kopf, wo sie doch grade entdeckt worden war und… Dann trat der Urheber der Schritte hinter der Ecke hervor, und alle Zweifel fielen von Tasha ab. Kenneth. Das war eindeutig ihr Ehemann! Er war älter geworden, die grauen Strähnen, die sein Haar durchzogen, waren mehr geworden als bei seinem letzten Besuch, aber vielleicht lag das auch bloß am Licht, zumindest versuchte sie, sich das einzureden. Doch auch die Falten auf seinem Gesicht schienen mehr geworden zu sein, er stand seltsam schief und gebückt da, und dann erst erblickte Tasha das Gewehr, das er auf Brusthöhe in seiner rechten Hand hielt. Es war seine uralte Winchester, und ganz kurz freute Tasha sich tatsächlich darüber, denn zumindest das war gleichgeblieben. Dann jedoch lief ihr ein Schauer den Rücken hinab. „Kenneth…“, begann sie und machte einen Schritt auf ihn zu. Den Ausdruck in seinen Augen konnte sie sie recht deuten, er wirkte verschlafen, vielleicht ein wenig verärgert und gleichzeitig nervös… natürlich, schließlich musste er einen Einbrecher erwartet haben. Hier nun seine Frau vorzufinden war mit Sicherheit verwirrend… „Was zur…“ Kenneths Stimme klang dünn und brüchig. Er starrte Tasha an, scheinbar unfähig, sich zu bewegen, doch dann schien dieser Bann zu brechen und er hob die Winchester, richtete den Lauf nach vorne… Tasha klappte der Mund auf. Nun war sie es, die wie erstarrt dastand, in die dunkle Mündung der Waffe blickend. Er… er zielte auf sie. Er… erkannte er sie denn nicht? Doch dann wurde es ihr klar. Es war nicht sie, vor der er sich fürchtete. Es war der Wendigo. Er stand noch immer hinter Tasha, oder zumindest war das das, was sie annahm, als sie sich umdrehte… aber dort war nichts. Dort nicht, und auch sonst nirgendwo in ihrem Sichtfeld. Der Wendigo war verschwunden. Ein weiteres Mal setzte sie an, nun mit ebenfalls brüchiger Stimme, doch sie kam ohnehin nicht weiter als „Kenneth, was…“, bis er sie unterbrach: „Ich weiß nicht, was zur Hölle du bist, aber ich geb dir drei Sekunden Zeit, dich zu verpissen!“ Die Winchester zitterte in seinen Händen, er schwankte, und nun bemerkte Tasha den Geruch. Beißend und brennend schlug er ihr entgegen, und obgleich sie es tief im Inneren besser wusste, wusste, dass Kenneth sie ganz genau erkannte, konnte sie in diesem Moment glauben, dass eben dieser Geruch den Grund für sein seltsames Verhalten offenlegte. Kenneth war betrunken. Auch das war neu. Früher hatte er nur selten einen Tropfen Alkohol angerührt, und Tasha war diejenige gewesen, die sich des Öfteren mal ein Glas zu viel gegönnt hatte. Und nun stand ihr Mann hier vor ihr und erkannte sie nicht, versuchte, mit ungeschickten Bewegungen, die Winchester zu entsichern, während er Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Das war falsch. Das alles war falsch. Falsch, falsch, falsch! Ein weiteres Mal öffnete Tasha den Mund, doch brachte sie keinen Ton heraus, ihr Hals fühlte sich an wie ausgetrocknet, und das einzige, was sie zu tun vermochte, war Kenneth dabei zu beobachtet wie er schließlich und endlich die Sicherung löste… „Er wird mich erschießen!“, schoss es ihr durch den Kopf, und der stumpfe und zugleich angsterfüllte Blick ihres Ehemannes, der nun mit der Waffe direkt auf ihren Kopf zielte, bestätigte diese Annahme noch. Aber das ergab doch einfach keinen Sinn… Paradoxerweise verspürte Tasha keinerlei furcht. Sie war verwirrt, verunsichert, aber nicht verängstigt, ganz im Gegensatz zu Kenneth, der am ganzen Körper zitterte, und das wohl nicht bloß aufgrund des Alkohols. „Verschwinde!“, nuschelte er in verwaschener Aussprache, und schaumiger Speichel lief ihm aus dem Mundwinkel. „Mir Scheiß egal was du bist, aber verpiss dich! Ich brauch keinen verfickten Geist der mich heimsucht oder was auch immer! Verpiss dich, hast du mich verstanden?“ Langsam schüttelte Tasha den Kopf. Nein. Nein sie verstand nicht. Sie verstand nicht das Geringste; Kenneth redete komplett wirres Zeug… wie viel Alkohol hatte er wohl konsumiert? Oder war es vielleicht nicht bloß Alkohol gewesen. Ein weiteres Mal versuchte sie, zu sprechen, und dieses Mal gelang es ihr, wenngleich ihre Stimme auch heiser und kratzig klang :“Kenneth, Schatz, was ist los mit dir? Ich bin es! Tasha! Wir… wir sind verheiratet! Seit sieben Jahren… oder zumindest waren es sieben als ich… krank geworden bin. Ich war krank, erinnerst du dich? Krebs! Darum bin ich…“ Der Schuss, der sich aus der Winchester löste, brachte sie abrupt zum Schweigen. Verblüfft starrte sie Kenneth an, der durch den Rückstoß der Waffe zurückgestolpert war und nun verzweifelt versuchte, sein Gleichgewicht zu halten. Die Kugel hatte ihr angedachtes Ziel um beinahe zwei Meter verfehlt. Steckte in der Wand neben dem Fernseher, schimmernd im grellen Licht der Deckenbeleuchtung. Einen Augenblick lang starrte Tasha sie fasziniert an. Noch immer war da keine Furcht, sie hatte sich noch nicht einmal erschrocken. Alles, was sie spürte, war… Verblüffung. Gemischt mit einer langsam, aber stetig anwachsenden eisigen Leere. Und dann begann Kenneth zu schreien. Seine ersten Worte waren unverständlich, seine Aussprache zu verwaschen, doch dann wurden sie deutlicher, während sich mit jeder Silbe ein Regen aus Speichel auf den Teppich vor ihm ergoss. „…dein Maul! Halt dein Maul! Du bist nicht meine Frau! Meine Frau ist tot! Am Krebs verreckt, vor zwei Jahren! Die Urne mit ihrer Scheiß Asche steht auf dem Kamin, und ich kann dir auch den beschissenen Totenschein zeigen, wenn du dich dann verpisst! Oder ich jag dir einfach eine Kugel durch den Kopf, du Missgestalt!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)