Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 24: Anhaltspunkte ------------------------- Anhaltspunkte „Carpe diem! Nutze den Tag.“ (Horaz, röm. Dichter) Das erlösende letzte Läuten für diesen Tag erklang und Erik verabschiedete sich von ihnen. Erst einige Augenblicke später und ganz langsam, damit sie ihn heute bloß nicht nochmals zu Gesicht bekommen musste, ging Ariane mit den anderen aus dem Klassenzimmer. Endlich konnte sie offen mit ihnen reden. „Was ist bloß geschehen, dass er sich an nichts erinnert?“, fragte sie unglücklich. „Er scheint ja öfter so was zu haben.“, kommentierte Vitali. Vivien überlegte laut: „Vielleicht hat er doch noch einen Spiegelsplitter gefunden. Aber aus Selbstschutz hat sein Hirn das Ganze verdrängt!“ „In dem Fall bestünde die Möglichkeit, dass er sich eines Tages wieder erinnert.“, schlussfolgerte Justin. Vitali stupste Ariane an. „Hast du gehört? Dann hält er dich auch nicht mehr für verrückt.“ Ariane sah ihn bestürzt an. „Er hält mich für verrückt?“ Vitali wich ihrem Blick aus. Das hatte er ja wieder toll hinbekommen!. Mittlerweile waren sie im Vorhof der Schule stehen geblieben und hatten ihre Rucksäcke auf den Boden gestellt. Die ganzen Bücher waren eine schreckliche Last. Ariane ergriff wieder das Wort. „Ihr erinnert euch doch an Secrets Wunde.“ „Wer könnte die vergessen?“, gab Vitali angeekelt von sich. „Erik hat dort nicht den geringsten Kratzer!“, informierte Ariane. Justin sah sie verwundert an. „Woher weißt du das?“ Ariane zog ein gequältes Gesicht. „Ich habe nachgeschaut, als ich ihn im Gang traf.“ Vivien musste lachen. „Ich bin mir vorgekommen wie der letzte Idiot!“, klagte Ariane. „Kein Wunder denkt er so über dich.“, entschlüpfte es Vitali, worauf Serena ihm gegen den Oberarm schlug. „Warum immer ich?“, beschwerte er sich. „Weil du’s verdient hast.“, erwiderte Serena und wandte sich dann wieder den anderen zu. „Aber das ist doch eindeutig Secret.“ „Oder er hat einen Zwillingsbruder.“, spaßte Vivien. „Oder einen Kloooon!“ Ariane seufzte. „Das klingt nicht mal so viel unwahrscheinlicher als dass er schon wieder sein Gedächtnis verloren hat.“ Justin setzte zu weiteren Überlegungen an. „Wir wissen nicht, was mit ihm passiert ist, bevor wir ihn vor dem Labyrinth getroffen haben. Die Spiegelsäle waren vielleicht nicht die einzigen Räume für Gehirnwäsche. Sein Gedächtnis wurde eventuell manipuliert.“ „Du meinst, Secret ist nicht entkommen, sondern von unseren Entführern zurückgeschickt worden?“, hakte Ariane nach. „Möglich wäre es.“, antwortete Justin. „Und die Wunde?“, wollte Serena wissen. Vivien meldete sich zu Wort. „Das war keine normale Wunde.“ Sie machte eine kurze Pause und sprach in vollkommen unbekümmertem Ton weiter. „Vielleicht haben sich die schwarzen Adern ja einfach in seinen Arm hineingefressen und jetzt sieht man sie nicht mehr.“ Vitali schaute angewidert. „Erik könnte also auch gefährlich für uns werden...“, schlussfolgerte Serena. Zum ersten Mal wirkte sie, als würde ihr eine solch pessimistische Sichtweise widerstreben. „Das ist nicht auszuschließen. Wir wissen nicht, was mit ihm gemacht wurde.“, antwortete Justin. „Aber“, setzte Serena an. „Er gehört doch immer noch zu uns…“ Sie blickte hilfesuchend zu den anderen. Doch Justin und Ariane waren im ersten Moment zu überrascht davon, dass ausgerechnet Serena diese Worte ausgesprochen hatte. Allein Vivien strahlte. Auch Vitali zögerte nicht. Er boxte Serena geradezu begeistert gegen den Oberarm, dass sie ihn aufgrund der Geste im ersten Moment verstört ansah. „Jo, endlich raffst du’s.“ Er grinste breit. Serena schürzte daraufhin die Lippen. Ariane seufzte. „Du hast Recht.“ Ihre Stimme bekam wieder mehr Kraft. „Secret gehört zum Team. Auch wenn er sich jetzt nicht mehr daran erinnert.“ Serena schenkte ihr ein dankbares Lächeln. „Wir freunden uns einfach noch mal neu mit ihm an!“, entschied Vivien. „Dennoch sollten wir vorsichtig bleiben.“, gemahnte Justin. Vivien grinste. „Je näher wir ihm sind, desto besser können wir ihn im Auge behalten.“ „Wenn er uns für verrückt hält, wird er sich von uns fernhalten.“, wandte Justin ein. „Deshalb sollten wir ihn in dem Glauben lassen, dass er uns nicht kennt. Einverstanden?“ Die anderen nickten. „Hauptsache, er lebt.“, sagte Ariane. Der leise Kummer war ihr immer noch anzusehen. Vivien nahm ihre Hand und drückte sie aufmunternd, woraufhin Ariane sie anlächelte. „Das ist erst mal das Wichtigste.“, stimmte Justin ihr zu. „Da fällt mir ein.“, begann Ariane. „Mein Vater hat mir erst gestern gesagt, dass heute Abend eine Jubiläumsfeier der Finster GmbH stattfindet. Alle Mitarbeiter mit Familie sind eingeladen. Vielleicht kann ich dort mehr herausfinden!“ Vivien klatschte begeistert in die Hände. „Super!“ „Sei vorsichtig.“, sagte Serena streng. „Dort sind so viele Leute, es wird mir schon nichts passieren.“, beruhigte Ariane sie lächelnd. Serenas Gesichtsausdruck blieb hart. „Und verrat uns nicht.“ Und da hatte Ariane sich gerade doch tatsächlich eingebildet, Serena würde sich Sorgen um sie machen. „Die wissen vielleicht nicht, dass wir zusammenarbeiten.“, fügte Serena an. Sie stockte und wurde nachdenklich. „Findet ihr es nicht seltsam, dass wir alle in einer Klasse sind? Ich meine, selbst Secret.“ „Das hat mich auch gewundert.“, gestand Ariane. „Aber worauf willst du hinaus?“ „Ich weiß nicht. Aber mir kommt es wie ein zu großer Zufall vor.“, antwortete Serena. Vitali gefiel die Idee, dass die Schule etwas mit ihrer Entführung zu tun haben könnte. „Vielleicht ist der Direktor der Bösewicht. Oder unser Klassenlehrer! Der kam mir gleich verdächtig vor!“ Serena stöhnte. Wenn Vitali das sagte, klang es wirklich bescheuert. „Vielleicht ist es einfach Schicksal!“, rief Vivien freudig. Ariane fasste sich grüblerisch ans Kinn. „Wir sind auch alle im gleichen Alter.“ Schüchtern wandte sich Justin an Vivien. „Ich dachte du wärst ein Jahr jünger.“ Diese Info hatte seine Mutter von Viviens Mutter. „Ich bin ein Jahr früher eingeschult worden.“, erklärte Vivien. „Bist du irre?“, rief Vitali fassungslos. „Wieso geht man freiwillig früher in die Schule?“ Vivien lächelte unbekümmert. „Ich wollte unbedingt mit meiner damaligen besten Freundin eingeschult werden.“ „Und was ist daraus geworden?“, fragte Serena argwöhnisch. „Dadurch kann ich jetzt mit euch in einer Klasse sein!“, rief Vivien freudig. Ariane versuchte an den Gedankengang von zuvor anzuknüpfen. „Denkt ihr, dass noch mehr Personen als wir entführt wurden? Vielleicht unsere ganze Klasse?“ „Ok, das ergibt noch weniger Sinn als dass es einfach Zufall ist.“, mäkelte Serena. „Wir sollten es im Hinterkopf behalten.“, beschloss Justin. „Aber momentan bringt es uns wohl nicht weiter.“ An dieser Stelle entschieden sie, die Diskussion zu beenden und sich auf den Heimweg zu machen. Vivien umarmte jeden von ihnen noch zum Abschied. Das Treffen um drei war nun nicht mehr nötig. Nachdem die anderen gegangen waren, wandte sich Ariane an Serena. „Ich wohne im Mozartweg.“ Eine Pause entstand. Ariane wurde von Serenas Reaktionslosigkeit leicht verunsichert. Wohnte sie etwa in einer besonders gefährlichen Gegend? „Ist das … schlimm?“ „Nein.“, erwiderte Serena. „Ich weiß bloß nicht, wo das ist. Ich kenne mich in Entschaithal nicht aus.“ Ariane war sichtlich erleichtert. „Seit wann wohnst du denn hier?“ Plötzlich verfinsterte sich Serenas Gesichtsausdruck. „Schon immer.“ Überraschung zeichnete sich auf Arianes Gesicht ab. „Und du kennst dich trotzdem nicht aus?“ „Nein.“, gab Serena halb knurrend zurück. „Ich hasse diese Stadt!“ Nun sah Ariane besorgt drein. „Es ist doch eine schöne Stadt.“ Serena verfiel in bedrohliches Schweigen und Ariane fragte sich, ob Serena ihr für diesen Kommentar gleich an die Gurgel gehen würde. „Ähm … Ich muss in diese Richtung.“ Eifrig deutete Ariane nach Osten. „Du wohnst nicht weit weg von meinem Haus. Ich könnte dich nach Hause begleiten. Wäre das okay für dich?“ Serenas böser Gesichtsausdruck wandelte sich zu dem eines ausgehungerten kleinen Straßenkindes, dem plötzlich etwas zu Essen angeboten wurde – unsicher, ob es die Gabe wirklich annehmen durfte, unsicher, ob es sich dabei nicht um eine arglistige Falle handelte. Ariane wunderte sich über die jähe Veränderung. Dieses Mädchen schien ein lebender Gegensatz zu sein. Lächelnd ergriff sie Serenas Arm. „Also los!“ Während des Weges versuchte Ariane eine unverfängliche Unterhaltung zu führen, über den ersten Schultag, den Stundenplan, die Lehrer. Obwohl Serena sich an dem Gespräch beteiligte, spürte Ariane, dass es Serena wohl unangenehm war, mit ihr Arm in Arm zu gehen. Ob sie allgemein keinen Körperkontakt mochte? Aber Viviens Umarmung zuvor schien ihr nicht unangenehm gewesen zu sein. Als die beiden an einem Zeitschriftenladen vorbeikamen, fiel Ariane ein, dass sie ihrer Mutter versprochen hatte, eine Zeitung mitzubringen. Momentan hatten sie zuhause weder Fernsehen, noch Internet, noch eine Tageszeitung. Ohne Smartphone hätte sich ihre Mutter wohl ganz von der Außenwelt abgeschnitten gefühlt. In dem Kiosk zogen die beiden erneut ihr schweres Gepäck ab und entschieden sich, wo sie schon einmal da waren, die große Auswahl an Magazinen und Taschenbüchern genauer in Augenschein zu nehmen. Ariane hatte schnell ein Historikmagazin gefunden, während Serena sich noch umblickte, dann fiel ihr ein Heft mit einem skurrilen Umschlag auf. Neugierig nahm sie es zur Hand und blätterte darin. Es schien um UFOs und andere unerklärliche Phänomene zu gehen. In dieser Ausgabe war ein großer, mehrere Seiten umfassender Bericht über Außersinnliche Wahrnehmungen enthalten. Telepathie, Hellsehen und dergleichen. Ariane lugte über Serenas Schulter. „Was ist das?“ „Hier steht was über übersinnliche Fähigkeiten. In dem Buch, das ich zuhause habe, habe ich nicht viel gefunden. Nur mit welchen verschiedenen Utensilien man in die Zukunft sehen kann.“ Für einen Moment war Ariane überrascht, dass Serena ein Buch über solch ein Thema besaß, andererseits hatte sie ja erfahren, dass Serena eine Fantasy-Geschichte schrieb, da konnte man so etwas wohl gut gebrauchen. „Na, wenn das In-die-Zukunft-Sehen funktionieren würde, wäre es doch ganz nützlich.“, scherzte Ariane. „Willst du das Heft kaufen?.“ „Ich hab kein Geld mitgenommen.“, gestand Serena. Ariane kramte in ihrem Rucksack und holte ihren Geldbeutel hervor. „Dann bezahle ich es.“ Serena wollte protestieren. „Aber-“ Ariane machte eine abwehrende Handbewegung. „Es geht hier schließlich um uns alle, oder nicht?“ Dann nahm sie Serena das Heft aus der Hand und schaute auf den Preis. „Nicht gerade billig. Wir sagen den anderen morgen einfach, sie sollen ihren Beitrag dazu auch zahlen.“, entschloss sie und ging zur Kasse. Nachdem sie gezahlt hatte, drückte sie Serena das Heft in die Hand. „Hier.“ Serena erhob Einspruch. „Du hast doch bezahlt.“ „Ich werde heute sowieso nicht mehr zum Lesen kommen. Du weißt doch, die Jubiläumsfeier.“ Serena nickte zögernd. Sie setzten ihren Weg fort. Am späten Nachmittag saß Serena in ihrem Zimmer und blätterte durch das Heft. Eigentlich hatte sie vorgehabt, zunächst den Leitartikel zu lesen, wegen dem sie dieses Magazin überhaupt ausgesucht hatte, doch dann lenkte ein anderer Beitrag ihre Aufmerksamkeit auf sich. Der Titel lautete: „Angriff der Untoten“. Entgegen dem ersten Eindruck handelte es sich nicht um eine in dem Heft veröffentliche Kurzgeschichte oder dergleichen, sondern um einen Bericht. Die Einleitung fand sie ziemlich lächerlich, klischeehaft geschrieben, wie man es von einem UFO-Heftchen erwartete. Dann war die Sprache von einem jungen Amerikaner namens Tylor, der vor kurzem in Deutschland als Assistent bei einer Ausgrabung in Schweigen in Süddeutschland tätig gewesen sei. Es wurde auf eine seltsame Entdeckung hingewiesen. Diese habe der Mann – ohne über den genauen Inhalt in Kenntnis gesetzt worden zu sein – auf Geheiß in den Norden Deutschlands verfrachtet. Der Artikel schwenkte kurzzeitig ab, um über den Inhalt des Pakets, den der Interviewte als äußerst schwer beschrieben hatte, nachzusinnen. Verschiedene Verschwörungstheorien wurden angeschnitten. Dann informierte der Verfasser darüber dass der Fund mit zwei tragischen Schicksalschlägen zusammenhing. Der erste hätte sich direkt nach der Übergabe des Fundes an den besagten Amerikaner zugetragen. Der Professor, der den Fund gemacht hatte, sei kurz darauf tot aufgefunden worden. Herzstillstand. Sein Büro sei komplett durchwühlt worden, doch nicht das Geringste sei gestohlen worden – äußerst mysteriös. Der Artikel wechselte in einen erzählenden Stil und schilderte das Geschehen, das sich fünf Monate zuvor abgespielt haben sollte, nachdem dieser Tylor seine Lieferung in Norddeutschland abgegeben hatte. Eine Autofahrt in strömendem Regen und eine seltsame Begegnung mit einem mysteriösen Untier, das der Fahrer zunächst nicht erkannt habe, wurden beschrieben. Aufgrund eines Motorschadens am Wagen, sei Herr Tylor zurück zu dem Anwesen, wo er den Fund abgegeben hatte, gelaufen. Dort habe sich Grauenvolles zugetragen. Der Amerikaner sei durch einen Schrei aufgeschreckt worden und durch ein zerbrochenes Fenster in das Innere gestiegen, wo er in einem Raum den Mann vorgefunden habe, dem er den Fund ausgehändigt hatte. Doch dieser sei völlig apathisch gewesen, ja irre. Als Serena die darauffolgenden Zeilen las, stockte ihr der Atem. Sie sprang samt dem Heft auf und stürmte aus dem Zimmer, die Treppe hinunter bis ins Esszimmer. Dort hatte sie in einer der Schubladen den Zettel mit den Telefonnummern der anderen verstaut. Sie nahm ihn zur Hand und ging zum Telefon. Da Ariane bisher keinen Festnetzanschluss hatte und vielleicht schon auf dem Weg zu der Jubiläumsfeier war, versuchte sie es zunächst bei Vivien. Nach Kurzem nahm eine Jungenstimme ab. „Bei Baum.“ „Hallo. Ist Vivien da? Hier ist Serena.“ „Nein. Die ist gerade einkaufen.“ Serena war enttäuscht. „Okay, danke. Tschüss.“ „Tschüss.“ Der nächste auf der Liste war Justin. Justin saß vor dem Computer. Die Suchseite, die er angewählt hatte, zeigte zwar sehr viele Ergebnisse, aber wirklich brauchbar waren keine davon. Was hatte er sich auch erhofft? Seine Anfrage war nicht gerade die eindeutigste. In dem Suchfeld stand „Schatten böse“ Etwas Besseres war ihm nicht eingefallen. Er klickte auf den nächsten Link. Die Seite öffnete sich und zeigte eine Begriffsdefinition. Schatten: C.G. Jung hat diesen Begriff geprägt. Unter Schatten versteht man eine Zentralisation jeglicher als schlecht erkannter Eigenschaften im Menschen. Diese Eigenschaften versucht der Mensch von sich abzuspalten, wodurch der Schatten ein ungewolltes Eigenleben innerhalb der Psyche der Person entwickelt und alles repräsentiert, was der Mensch als böse empfindet. Justin seufzte. Das half ihm leider nicht weiter. Er klickte auf Zurück und änderte seine Eingabe ab. Diesmal war es „Schatten Dämon“ Daraufhin wurde er auf einige Seiten mit Beschreibungen über Dämonen aus allen möglichen Sagen und Erzählungen verwiesen. Aber keine Beschreibung passte auf die Kreaturen, denen sie begegnet waren. In seine Suche vertieft, überhörte er das Festnetztelefon, das im Erdgeschoss klingelte. Serena sah ein, dass niemand mehr abnehmen würde, und legte auf. War denn keiner zu erreichen? Sie stöhnte auf, starrte auf den letzten Namen auf der Liste und beschloss, es erst noch auf Arianes Handy zu versuchen. Doch Ariane nahm nicht ab. Erneut starrte sie auf die letzte Nummer und biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte Vitali nicht anrufen! Nein, nein, nein! Serena schüttelte den Kopf. Sie benahm sich ja wie ein Kind. Sie brauchte sich doch nun wirklich nicht so anstellen. Schließlich war es bloß Vitali... Das war es ja gerade! Es war Vitali! War es die Tatsache bei einem Jungen anzurufen? Wohl kaum. Bei Justin hatte sie auch nicht so einen Aufstand gemacht. Genau. Warum machte sie denn so ein Theater? Das war doch lächerlich. Nur weil sie sich ständig mit ihm stritt? Sie saßen immer noch im selben Boot! Also... Zögerlich wählte Serena seine Nummer. O hoffentlich ging er selbst dran! Vitali saß mal wieder vor seiner Spielekonsole und lieferte sich mit seinem kleinen Bruder Viktor ein erbittertes Rennen. Die beiden Sportwagen flitzten auf dem Bildschirm um die nächste Kurve. Vitali überholte den ersten Fahrer, dicht gefolgt von Vicki. Sie fuhren über die Startgerade. Die letzte Runde. Das Telefon klingelte. „Vitali, gehst du mal ran?“, rief seine Mutter aus einem anderen Teil des Hauses. „Jetzt nicht!“, brüllte Vitali zurück. Im nächsten Moment hörte er eine Tür knallen. „Glaub ja nicht, dass ich noch mal was für dich mache!“, krakeelte seine Mutter und nahm dann den Hörer ab. „Hallo?“, fragte sie mit deutlicher Gereiztheit in der Stimme. Serena blieb fast das Herz stehen. „Äh, hallo. Ist Vitali da?“ „Wer ist denn da?“, wollte die Stimme am anderen Hörer wissen. „Ähm, ich bin eine Klassenkameradin von ihm.“ „Warte mal.“ „Vitali, es ist für dich! Ein Mädchen aus deiner Klasse.“ Aufgrund der Lautstärke musste Serena für einen Moment den Hörer von sich weg halten. „Hä? Wer?“, rief Vitali zurück, immer noch auf das Spiel fixiert. Die letzten paar Kurven lagen vor ihm. Seine Mutter brummte und sagte dann in den Hörer: „Wie ist denn dein Name?“ Eine Sekunde später schrie sie zurück zu Vitali: „Es ist Serena!“ „Serena?!“ Vitali war für den Bruchteil einer Sekunde abgelenkt und rutschte aus der letzten Kurve. Sein Bruder zog an ihm vorbei durchs Ziel und jubelte. „Erster! Erster!“ Sonst ziemlich stinkig nach einer Niederlage, stand Vitali diesmal eher verwirrt als verdrossen auf und lief zu seiner Mutter. Diese knurrte ihn an, nächstes Mal solle er gleich selbst dran gehen, sie sei ja nicht seine Sekretärin. Unsicher nahm er den Hörer entgegen. „Hallo...?“ „Hi.“, hörte er Serenas ungewöhnlich zaghafte Stimme. Vitali war sichtlich verwirrt, allerdings konnte man das durch ein Telefon ja nicht sehen. „Was gibt’s?“ „Vielleicht will sie mit dir gehen!“, kam die Stimme seines kleinen Bruders aus dem Wohnzimmer. „Noch so’n Kommentar und du bist ‘nen Kopf kürzer!“, schimpfte Vitali. „Was hat er gesagt?“, wollte Serena wissen, die nichts verstanden hatte. „Ah, nichts.“, entgegnete Vitali eilig. „Also warum rufst du an?“ Serena wurde aufgrund seiner forschen Sprechweise unsicher. „Stör ich?“ „Nein, nein. Wundert mich bloß, dass du mich anrufst.“ „Von den anderen erreiche ich keinen.“ „Na danke, dass ich deine erste Wahl bin.“, murrte Vitali. „Du hast doch eben noch selbst gesagt, dass du nichts anderes erwartet hast!“ „Ja, ja. Was wolltest du denn von ihnen?“, wich er aus. „Es geht um das hier.“ Serena nahm wieder den Artikel zur Hand und las die entsprechenden Zeilen vor: „Ein Schatten kam wie ein lebendiges Wesen auf ihn zugekrochen. Dann wuchs er zu einer mannshohen Gestalt an. Ein regelrechtes Monster soll das Wesen gewesen sein, so Herr Tylor. Das Aussehen erinnerte an eine vergammelnde Leiche. Einzelne faulig graue Hautlappen hingen von der Kreatur weg. Das Gesicht ähnelte einem Totenkopf. Aber besonders die Augen beschreibt Herr Tylor als angsteinflößend. Sie seien durchzogen von graulila Äderchen und ihre Pupille ähnle denen einer Schlange. Des Weiteren soll die Kreatur einen penetranten modrigen Geruch ausgesondert haben. Was danach passierte, kann Herr Tylor nicht sagen, wahrscheinlich sei er ohnmächtig geworden.“ „Woher hast du das?“, fragte Vitali aufgeregt. „Das ist ein Bericht aus einem Heft, das Ariane und ich vorhin gekauft haben.“ „Echt jetzt?“, rief Vitali. „Der Typ, der das erzählt hat, wer ist das?“ Serena erzählte ihm die ganze Hintergrundgeschichte. „Und wo ist dieser Tylor jetzt?“, erkundigte sich Vitali. Serena sah auf den Artikel. „Er war erst in Untersuchungshaft. Danach ist er in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, um diesen Albtraum hinter sich zu lassen.“ „Verdammt. Dann ist er jetzt für uns unerreichbar.“, ärgerte sich Vitali. „Und dieser Doktor Schmidt ist wohl in eine psychiatrischen Anstalt eingeliefert worden. Mehr steht da nicht.“ „Meinst du, das hängt mit uns zusammen?“, fragte Vitali. „Keine Ahnung.“, gestand Serena. „Aber wir werden es herausfinden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)