Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 31: Endlosdiskussionen ------------------------------ Endlosdiskussionen „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ (Bertolt Brecht, dt. Dramatiker) Serena sah Ewigkeit grimmig an. „Du behauptest, wir seien irgendwelche Gleichgewichtsbeschützer. Ja?“ Ewigkeit nickte. „Und wieso gerade wir? Wieso nicht irgendwelche Spezialagenten oder so was?“ Ariane überlegte laut: „Vielleicht weil wir alle aus dem Entscheidungstal stammen.“ „Wir sind ja wohl nicht die einzigen Menschen in Entschaithal!“, wetterte Serena. „Wir sind halt was Besonderes.“, lachte Vivien. Serena funkelte sie an. „Toll! Wenn man was Besonderes ist, wird man zur Belohnung von Monstern verfolgt. Schönen Dank auch! Außerdem ist es doch total bescheuert, irgendwelche Jugendlichen zu Beschützern zu erklären, nur weil sie in Entschaithal geboren wurden. Das ist ja wohl total diskriminierend!“ Ewigkeit, die bisher noch gar nicht zu Wort gekommen war, mischte sich nun ein: „Vielleicht wurdest du ja in Entschaithal geboren, weil es deine Bestimmung ist?“ „Dann würde ich mich beschweren, dass ich nicht gefragt wurde!“, keifte Serena. „Ich bin doch kein Roboter, der für irgendeinen bestimmten Zweck gebaut wurde.“ Ewigkeit sah sie verständnislos an, als würde ihr nicht einleuchten, warum Serena sich beschwerte. „Was?“, forderte Serena zu wissen. „Ich dachte…“, begann Ewigkeit und unterbrach sich nochmals, legte den Kopf schräg. „Wollen Menschen nicht den Sinn des Lebens wissen?“ Serena biss die Zähne zusammen. „Das ist was völlig anderes!“ Ewigkeit blinzelte unwissend. Serena wurde laut: „Was soll dieser verdammte Sinn denn bitteschön sein? Von einem Ort zum anderen reisen, um überall die Schatthen auszurotten?!“ „Nicht ausrotten!“, schrie Ewigkeit entsetzt. „Nicht töten!“ „Achso, wir sollen ein ernsthaftes Gespräch mit ihnen führen, oder was?!“, stieß Serena sarkastisch aus. Ewigkeit zog einen Schmollmund. „Nicht töten.“, beharrte sie mit ihrer Kinderstimme. Ariane sah Ewigkeit fragend an. „Was sollen wir denn gegen die Schatthen tun?“ „Sie retten!“, rief Ewigkeit überzeugt. Serenas Stimme dröhnte in den Köpfen der fünf und schleuderte Ewigkeit fast schon durch die Luft. „Waaaaaaaaaaaaas!!!!!!“ Auch Vitali schimpfte: „Hey, vielleicht hast du’s ja nicht mitgekriegt, aber die wollen uns töten!“ Vivien scherzte: „Vielleicht sind sie ja nur mit dem falschen Fuß aufgestanden.“ Serena deutete mit ihrem ausgestreckten Arm auf Ewigkeit und starrte die anderen durchdringend an. „Dieses Ding ist total gestört!“ Ewigkeit blinzelte unschuldig und drehte ihren Kopf nach hinten, um auszumachen, auf was die Beschützerin zeigte, aber da war nichts. Auf die Reaktion hin, musste Vivien lachen. Justin blieb ruhig. „Wie meinst du das, Ewigkeit? Wie sollten wir die Schatthen retten? Und wieso sind sie hinter uns her?“ „Schatthen befolgen nur die Befehle ihres Schatthenmeisters.“ Serena fuhr ihr ins Wort. „Ach, und eigentlich sind Schatthen total lieb und nett!“ Ewigkeit schüttelte entschieden den Kopf. Sie lächelte freundlich. „Ihr Schatthenmeister wird nett sein.“ Die fünf gafften bloß noch fassungslos und ungläubig. Ungerührt sprach Ewigkeit weiter. „Von sich aus hätten die Schatthen euch in Stücke gerissen.“ Übelkeit überwältigte die fünf. Diese Offenbarung ließ ihre Mägen sich zu einem harten Klumpen zusammenziehen. Selbst Serena war für einen Moment unfähig, das Wort zu ergreifen. „Was will dieser Schatthenmeister von uns?“, wollte Ariane wissen. Ewigkeit zuckte mit den Schultern. Vivien setzte zu Überlegungen an: „Er wollte uns auf seine Seite ziehen. In den Texten heißt es doch, die Beschützer können auch alles zerstören.“ Vitali verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann hätte er es vielleicht besser mit Bestechung versucht. So hat er sich keine Freunde gemacht!“ „Er wollte uns ja auch nicht überreden, sondern manipulieren.“, sponn Vivien ihre Idee weiter. „Die Spiegel! Dazu waren sie da.“ „Bei Serena haben sie ja auch ganze Arbeit geleistet.“, entgegnete Vitali und grinste Serena schelmisch an. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Ewigkeit allerdings schien die Sache ernst zu nehmen. „Was ist geschehen?“, fragte sie besorgt. Vitali antwortete mit leicht spöttischer Lockerheit. „Ach, nichts Besonderes. Serena hat bloß ein bisschen um sich geschossen und uns alle fast umgebracht. Nicht der Rede wert.“ „Ich hätte dich umbringen sollen.“, zischte Serena, worauf Ewigkeit sie ängstlich ansah, als sei sie ein außerirdisches Monster. „Wie können wir fünf so entscheidend sein?“, fragte Ariane Ewigkeit, ohne auf das Gerede von Vitali und Serena einzugehen. Ewigkeit schaute unsicher und zuckte dann mit den Schultern. „Das ist doch alles Schwachsinn.“, entfuhr es Serena. „Wie kann von einen Tag auf den anderen so etwas geschehen? Wenn wir wirklich diese bescheuerten Gleichgewichtsbeschützer sind, warum hat dann keiner von uns jemals auch nur das Geringste davon mitbekommen? Warum sind diese Fähigkeiten erst nach unserer Entführung da gewesen? Überhaupt: Alles hat an dem Tag angefangen, an dem dieses Ding aufgetaucht ist.“ Sie deutete auf Ewigkeit. „Wie kann es sein, dass wir gerade an diesem Tag entführt wurden? Wie kann es sein, dass sie behauptet, uns nicht entdeckt zu haben, aber die Schatthen wussten sofort, wo sie uns finden konnten?! Wie kann es sein, dass sie die ganzen Tage nicht zu uns gekommen ist, aber ganz plötzlich vor uns steht, sobald die Schatthen wieder da sind? Ist es nicht genauso gut möglich, dass wir durch sie erst von den Schatthen entdeckt werden konnten? Sie ist bestimmt bloß ein Spion, der unser Vertrauen erschleichen soll. Ihre Erklärungen passen einfach nicht. Und dieses kitschig unschuldige Äußere ist ja wohl mehr als verdächtig! Das typische Klischeebild von einer niedlichen Fee.“ Ariane warf ihr einen kalten Blick zu. „Ich dachte, das hätten wir endlich hinter uns. Als nächstes behauptest du wohl auch noch, dass die Steintafeln und die Schriften in der Ausgrabungsstelle Fälschungen sind, nur um uns glauben zu lassen, dass wir Auserwählte sind.“ Serena entgegnete mit verkniffenem Gesichtsausdruck. „Weißt du’s?“ Ariane stöhnte. Vitali lehnte sich grinsend gegen den Schrank hinter sich. „Ich finde Serenas Idee hat was.“ „Ihr meint, wir sind bei Verstehen Sie Spaß?!“, rief Vivien aufgeregt. „Ihr seid so bescheuert!“, rief Serena, die sich von den beiden verspottet fühlte. „Ich finde das wirklich interessant!“, erwiderte Vivien. Vitali nickte heftig. „Ich auch.“ „Halt’s Maul!“, zickte Serena ihn an. „Wieso gehst du immer nur auf mich los?“, beanstandete Vitali. Vivien antwortete an Serenas Stelle: „Von dir erwartet sie mehr. Der potentielle Partner muss bestimmte Kriterien erfüllen.“ Vitali stand auf dem Schlauch. „Hä?“ „Du bist so duuuumm!!!!“, kreischte Serena Vivien an. Vitali sah sie an und deutete mit seinem Finger fragend auf sich. Vivien hatte sofort eine Antwort parat. „Ja, weil du nicht merkst, dass sie –“ „Klappeeee!!!!!!“, brüllte Serena. „Du bist dumm, Vivien. Du bist duuuuumm!!!“ Vitali starrte die von ihrem Wutanfall heftig nach Luft schnappende Serena neben sich mit großen Augen an. „Was ist?!“, stieß Serena aus. Noch immer schaute Vitali sie an, wie ein Kind, das zum ersten Mal einen Flughafen sah und sich über die riesigen Flugzeuge wunderte. „Ich bin es nicht gewöhnt, dass du jemanden dumm nennst, und nicht mich meinst.“ Serenas Mund nahm eine mimiktechnisch künstlerisch wertvolle Form der Unzufriedenheit an. „Du bist auch dumm! Geht’s dir jetzt besser?“, ächzte sie. Vitali nickte mit erleichtertem Gesichtsausdruck. „Ja. Viel.“ Dieses Mal ersparte sich Serena einen Kommentar, aber ihr Gesicht sprach Bände. „Zurück zum Thema.“, sagte Ariane. „Deine Theorie ergibt noch viel weniger Sinn als Ewigkeits.“ Gerade wollte Serena wieder etwas entgegnen, als ihr Justin zuvorkam. „Diese Streitereien bringen uns nicht weiter. Wir können bloß mit dem arbeiten, was wir haben. Also lassen wir Ewigkeit ausreden.“, schlug er vor und richtete das Wort an das Schmetterlingsmädchen. „Was wird von uns erwartet?“ Serena stöhnte bloß noch erschöpft, während die Gruppe ihre Blicke erwartungsvoll auf Ewigkeit richtete. Doch einmal mehr wurden sie enttäuscht. Verzagt erwiderte Ewigkeit ihre Blicke. „Ich weiß nicht genau.“ „Wie, du weißt es nicht genau?!“, zeterte Serena. Plötzlich verzog sich Ewigkeits kleines Gesichtchen wehleidig. „Wieso bist du immer so gemein?“, jammerte sie. „Warum soll ich immer die Antworten wissen?“ Ewigkeit schniefte, hielt sich den Kopf und schüttelte sich. „Ich weiß es doch auch nicht!“, rief sie verzweifelt. Ungläubig sahen die fünf sie an. Ariane, Justin und Vivien tat die Kleine leid. Serena biss sich wütend auf die Unterlippe, dann ging sie hinüber zu dem noch freien Sitzkissen rechts neben Vitali und nahm entnervt Platz. Ein seltener Anblick. Aber augenscheinlich war Vitali momentan der Einzige, der ihre Einstellung teilte: Diese Ewigkeit war verrückt! „Toll, echt toll.“, grummelte sie leise. „Die Bösen setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um uns zu entführen, und die Guten schicken uns das da.“ Vitali grinste sie an. „Tja, willst du nicht doch lieber die Königin der Schatthen werden? Deine Fähigkeiten dazu hast du ja schon unter Beweis gestellt.“ Er stupste sie mit seinem Ellenbogen spielerisch an. Serena schupste ihn von sich, so dass er auf die Seite kippte. „Waaah! Serena greift mich an! Sie ist zu den Schatthen übergelaufen!“, rief Vitali gekünstelt aus und konnte sich anschließend ein Lachen nicht verkneifen. Die anderen gafften die beiden an, während Ewigkeit in Windeseile auf Serena zuschoss. „Nicht!“ Serena war nahe dran, sie mit den Fingern wegzuschnippen, entschloss sich jedoch sie nur zynisch anzufunkeln, während sich Vitali nun vor Lachen gar nicht mehr halten konnte. Gereizt blitzte Serena ihn an und wandte dann den Blick zur noch offen stehenden Tür des Zimmers. Im gleichen Moment schrie sie auf. „Ein Schatthen!!!“ Die anderen sprangen panisch auf, der Schock war vor allem in Vitalis Augen deutlich zu lesen. Nur Serena hatte sich nicht vom Fleck gerührt. „Wer lacht jetzt?“, sagte sie überlegen zu Vitali, der total baff war. „Serenaaa!“, kreischte Ariane sie aufgebracht an. „Findest du das etwa witzig?!“ Vivien jedenfalls schien es ziemlich witzig zu finden, denn sie begann ausgelassen zu lachen. „Du blöde Kuh!“, brüllte Vitali Serena an. „Du hast angefangen!“, gab Serena patzig zurück. „Du hast sie doch nicht alle!“, fuhr Vitali sie an. „Über Viviens Späße regst du dich immer tierisch auf und jetzt das!“ „Scheint wohl ansteckend zu sein.“, konterte Serena ruhig. „Ansteckend?! Ich geb dir gleich ansteckend!!!“ „Ruhe!“, schrie Ariane, während Justin nur noch ungläubig den Kopf schütteln konnte. Ewigkeit blickte irritiert von einem Beschützer zum anderen. Justin atmete geräuschvoll aus und sein Gesichtsausdruck wurde streng. „Die Sache ist ernst und gerade deshalb sollten wir so viel wie möglich über das Ganze erfahren.“ Die anderen gaben Ruhe und setzten sich wieder. Vitali ergriff das Wort: „Ich hab noch ein ganz großes Problem.“, begann er. Die anderen richteten ihre Blicke auf ihn. „Also“, begann er mit ernster Miene. „Verändern, das ist doch ein blöder Name. Das kann man doch nicht als Name nehmen!“ Jäh wandelte sich der interessierte Blick der anderen in ausdrucksloses Starren, als zweifelten sie an der enormen Wichtigkeit von Vitalis Problem, allein Vivien strahlte ihn so aufgeweckt und aufmerksam an wie sie es immer tat. Vitali ließ sich nicht vom Desinteresse seiner Freunde beirren und setzte fort: „Jetzt mal ehrlich! Wie sollen wir das denn in einem Kampf machen? Ruft ihr mich dann mit 'Verändern!'“. Er machte den Ruf mit einer verzerrten Stimme nach. „Das geht doch nicht! Kann ich das auch ins Englische übersetzen? Also Change wäre ja schon mal um einiges besser.“ „Deine Probleme möcht ich haben!“, fauchte Serena ihn an. Vitali machte ungerührt weiter mit seinen Überlegungen: „Du bist dann Destiny.“, sagte er zu Serena gewandt. „Und Vivien, dich nennen wir Connect oder so.“ „Connect? Als nächstes willst du sie noch Link nennen.“, nörgelte Serena. „Außerdem heißt ‚connect‘ verbinden und nicht vereinen. Dann musst du sie schon Unite nennen.“ Auf einmal brach Serena ab und rief laut: „Was red ich da! Das alles ist vollkommener Schwachsinn! Wir haben keine zweiten Namen!“ „Aber alle Superhelden haben eine geheime Identität!“, erinnerte Vivien. „So ein Blödsinn.“, grummelte Serena. „Könntest du mal aufhören, alle zu unterbrechen.“, sagte Vitali mit gekünsteltem Ernst und schüttelte den Kopf, als sei Serena ein kleines Kind, das ständig eine äußerst wichtige Konversation störte. Serena stieß hörbar die Luft aus. „Also, wo war ich?“, begann Vitali von Neuem. „Ach ja. Justin du heißt ab jetzt Trust und Ariane Wish.“ „Wish! Wie einfallsreich!“, spottete Serena. „Du könntest sie wenigstens Desire nennen.“ Vitali streckte Serena seine linke Hand entgegen: „Sprich mit der Hand, der kluge Kopf will’s nicht hören.“ Serena schlug wütend seine Hand beiseite, doch Vitali ließ sich nicht mehr bremsen. „Ewigkeit, wenn du mit deiner anderen Stimme redest, nennen wir dich ab jetzt Eternity. Jawoll! Und Gleichgewichtsbeschützer, hmm…“, Vitali legte eine kurze Pause ein, dann rief er triumphierend aus: „Balance Defenders!“ Doch Serena wollte ihm den Triumph nicht gönnen. „Defenders heißt Verteidiger, nicht Beschützer.“, bemängelte sie. „Balance Protectors klingt ja auch bescheuert!“, konterte Vitali. Darauf konnte Serena nichts entgegnen. „Kann ich mal den Text von den Tafeln haben?“, bat Vitali. Vivien reichte ihm den durchnässten Zettel aus ihrer Hosentasche. „Also: Change Destiny Unite Trust Secret Desire.“ „Seit wann steht denn bitteschön Verändern vor Schicksal?“, beanstandete Serena. „Es hieß: Schicksal Verändern, Vereinen Vertrauen, Wunsch – Geheim!“ „Das ist aus Gründen der Gleichberechtigung.“ „Wie bitteee?!“ „Ihr könnt ja wohl nicht erwarten, dass ihr immer noch zuerst genannt werdet, nur weil ihr Frauen seid.“, meinte Vitali selbstüberzeugt und fügte hinzu: „Außerdem hört es sich so einfach besser an.“ Serena gab es auf. Justin sah sich in dem spärlich möblierten Raum um, zumindest tanzte sein Blick umher. Tatsächlich waren seine Gedanken ganz woanders. Bis mit einem Mal das Hier und Jetzt ihn wieder einholte, als sich die Sinneseindrücke, die ihm seine Augen boten, mit seinen Gedanken vermischten. „Ariane“, begann er. „Ja?“ „Wann seid ihr eigentlich hergezogen?“ „Also, so richtig hier sind wir seit Freitag, also seit dem Freitag, an dem – ihr wisst schon.“ Justin starrte sie an und auch die anderen horchten auf. „Hast du schon zuvor hier übernachtet?“ Ariane schüttelte den Kopf und schreckte auf. „Aber...“ Justin nickte. „Die Schatthen haben genau zu dem Zeitpunkt angegriffen, an dem wir alle hier in Entschaithal versammelt waren. Das kann kein Zufall sein. Überhaupt, die Schatthen wussten, wo sie uns finden konnten.“ „Meint ihr etwa, dass wir das alles bewirkt haben, also wir selbst, nur dadurch, dass wir alle zusammen hier waren?“ Ariane sah die anderen fragend an. „Vielleicht.“, antwortete Ewigkeit. „Also hat unser Schicksal uns eingeholt.“, sagte Justin. Vitali musste lachen und gab Serena einen Seitenblick. „Dabei ist Schicksal gar nicht gut im Einholen.“ Serena verdrehte die Augen. Sie wollte gar nicht wissen, wie oft nun Anspielungen auf ihren angeblichen Namen folgen würden. „Soll das heißen, das alles wäre nie passiert, wenn ich nicht nach Entschaithal gekommen wäre?“ Ariane fühlte sich mit einem Mal schuldig. „Vielleicht war es einfach eure Bestimmung zusammenzufinden.“, gab Ewigkeit zu bedenken. Vitali schaute skeptisch. „Ich raff echt nicht, was an Entschaithal so wichtig sein soll. Ist doch bloß ein Kaff.“ „Es ist das Entscheidungstal!“, rief Vivien. „Und wieso ist das hier? Hätten die nicht ’nen aufregenderen Ort aussuchen können?“, mäkelte Vitali. Ariane überlegte laut. „Wenn man die deutsche Geschichte ansieht, ist es nicht so abwegig, dass das Entscheidungstal hier liegt.“ Die anderen verstanden nicht. „Deutschland war der Aggressor in beiden Weltkriegen.“, erklärte Ariane. „Und wenn man die Gräueltaten im Dritten Reich bedenkt…“ „Ey, ich kann’s nicht mehr hören!“, fuhr Vitali ihr ins Wort. „Wenn ich mir nochmal ’ne Rede über das Dritte Reich reinziehen muss, dreh ich durch!“ Ariane schien seine Meinung nicht zu teilen. „Man sollte diese grauenhaften Taten niemals vergessen.“, plädierte sie. Serena unterbrach die beiden: „Sind wir jetzt zu einer Diskussion über die deutsche Vergangenheit übergegangen, oder was?“ Vivien mischte sich mit verschwörerischer Stimme ein. „Überlegt doch mal. Dass Hitler ständig den ganzen Attentaten entgangen ist und seine Leiche nie gefunden wurde, das ist doch schon seltsam. Sicher hatte er seine Seele an den Teufel verkauft, der ihn dann in die Hölle gezogen hat. Oder er war selbst ein Teufel, der die Weltherrschaft an sich reißen wollte.“ „Ziemlich bescheuerter Teufel, der seine Truppen im Winter nach Russland gehen lässt.“, meinte Serena. Ariane wurde nachdenklich. „Die Sütterlin-Schrift, also die Schrift von den Steintafeln, wurde in den 1940er Jahren von Hitler verboten. Sie wurde also das letzte Mal zu jener Zeit verwendet. Nach dem zweiten Weltkrieg ist sie zwar an Hochschulen noch gelehrt worden, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass die zwei Skelette aus der Zeit vor oder während des Dritten Reiches stammen.“ Vivien ergriff das Wort: „Ich weiß, was passiert ist!“ Die anderen waren gespannt und Vivien begann ihre Überlegungen herunterzurattern: „Also: Hitler war ein Böser. Und die Guten, also die zwei Skelette, wollten ihn aufhalten, aber er hat sie erwischt und eingesperrt. Aber trotzdem haben sie mit ihren Zauberkräften auch außerhalb von ihrem Verließ noch auf den Wänden ihre Prophezeiungen über die Beschützer geschrieben. Daher hat Hitler dann das gesamte Gebäude mit seinen dämonischen Kräften von einer Schlammlawine überrollen lassen, so dass niemals jemand die Inschriften entdecken würde.“ Vivien strahlte die anderen voller Stolz an. Allerdings begegnete Serena ihr eher abweisend: „Ach ja, und die Alliierten waren dann wohl die Engel, die das Böse vernichtet haben, oder was? So ein Blödsinn! Außerdem, was hätte es diesen zwei Gefangenen gebracht, Texte über irgendwelche Auserwählten an die Wände zu schreiben? Wenn man Zauberkräfte hat, mit denen man Texte in Steinwände brennen kann, warum kann man sich dann nicht selbst befreien?“ „Na, die Teufel hatten die beiden natürlich mit einem Bannspruch belegt, damit sie sich nicht befreien konnten. Und für die Guten war es vor allem wichtig, die Prophezeiung über die Auserwählten am Leben zu halten, wichtiger als ihr eigenes Leben. Ist doch ganz klar.“, begründete Vivien. Ewigkeit lauschte Viviens Ausführungen interessiert. Serena dagegen verdrehte genervt die Augen und ächzte. Dann spießte sie Ewigkeit erneut mit ihren Blicken auf. „Wieso verdammt wissen eigentlich alle von diesem bescheuerten Beschützer-Quatsch außer uns selbst!“, schimpfte sie. „Hätte man uns nicht geheim halten können? Sechzehn Jahre lang ist es vor mir geheim gehalten worden, aber die Bösen scheinen ja besser informiert zu sein!“ „Das hat die Dramatik gesteigert.“, antwortete Vivien lächelnd. „Sehr witzig!“, blaffte Serena. Vivien setzte zu weiteren Überlegungen an: „Vielleicht war es ja so geplant, dass die Beschützer erst erwachen, wenn sie alle im Entscheidungstal sind.“ In theatralischem Tonfall fuhr sie fort. „Und als Ariane hier eingetroffen ist, hat das eine Energie freigesetzt, die den Bösen die Ankunft der Auserwählten verkündete.“ „Wenn Ariane als Kind hier gewohnt hat, dann hätte das doch schon damals passieren müssen.“, wandte Serena ein. „Vielleicht waren wir da noch zu jung.“, erwiderte Vivien. Serena gab ein Grummeln von sich. „Ich weiß überhaupt nicht, was das alles soll. Welt retten. Welt zerstören. Die Menschen sind doch gut darin, die Welt auch ohne irgendwelche Auserwählten kaputt zu machen. Und ich weiß wirklich nicht, was man an dieser Welt retten sollte.“ „Miss Schwarze Weltsicht wie sie leibt und lebt.“, kommentierte Vitali in gelangweiltem Tonfall. Serena rechtfertigte sich. „Schaut euch das Ganze doch mal an. Die Bösen hab ich schon gesehen, aber wo bitteschön sind die Guten! Die schicken uns nur ein kleines fliegendes Ding, von dem nicht mal sicher ist, dass es nicht doch zu den Bösen gehört.“ „Aber du siehst die Guten doch jeden Tag.“, wandte Vivien ein. „Wo denn?“, wollte Serena wissen. Vivien strahlte über das ganze Gesicht und sprang von ihrem Platz auf. Ihre Stimme war voller Euphorie und Heldenmut. „Na, wir sind doch die Guten!“ Ihre Worte klangen so mitreißend und begeisternd, dass es sich für einen kurzen Moment tatsächlich so anfühlte, als sei es eine große Ehre und Chance, die Gleichgewichtsbeschützer zu sein, und nicht eine tödliche Gefahr. Allerdings ebbte das Gefühl so schnell wieder ab wie es gekommen war und machte der Realität Platz, in der der Kindertraum von Abenteuern und Heldenmut zu einer düsteren Bedrohung mutiert war. „Wir könnten genauso gut die Bösen sein.“, rief Serena ihnen ins Gedächtnis. „Aber das sind wir ja nicht.“, lachte Vivien. Serenas Gesichtsausdruck wurde hart, ihre Stimme wandelte sich zu einem gespenstischen Wispern. „Wenn das Gutsein uns das Leben kostet…?“ Vivien strahlte sie zuversichtlich an. „Du würdest doch nie gegen uns kämpfen!“ Serena verschränkte die Arme vor der Brust. „Wer weiß...“ Vivien kicherte und setzte sich wieder auf das Bett. „Dann müssten wir dich halt wieder gut machen, so wie letztes Mal.“ Serenas Gesicht zuckte und sie wandte sich ab, damit die anderen das schwache Lächeln nicht sehen konnten, das sich auf ihre Lippen geschlichen hatte. Plötzlich wurde sie von einem Klingeln aus ihrem Rucksack neben ihr aufgeschreckt. Sie zog ihr Handy hervor. „Meine Mutter.“, informierte sie nach einem Blick auf das Display. Sie nahm den Anruf entgegen. „Hallo.“ Die anderen sahen, wie Serena der Stimme aus dem Handy lauschte. „Ja, der Stadtbummel war schön.“, sagte sie. „Wir sind jetzt bei Ariane.“ Vitali hörte, wie die Stimme von Frau Funke sagte: Hast du auch deinen Schirm nicht im Zug liegen lassen? Serenas Gesichtsausdruck entgleiste. „Den … Schirm?“ „Ja, wieso?“, drang es misstrauisch von der anderen Seite der Verbindung. Was sollte Serena jetzt nur sagen? Wenn sie behaupten würde, sie habe den Schirm einfach verloren, wäre ihre Mutter ziemlich wütend auf sie, und sie konnte sich auf eine Predigt gefasst machen. Außerdem, wie wahrscheinlich war es, bei strömendem Regen einen Schirm zu verlieren? Aber was gab es denn noch für Ausreden? In einem Geschäft liegen lassen? – Warum hatte sie das dann nicht beim Verlassen des Geschäfts bemerkt? Und gestohlen worden? – O ja, weil es so viele Taschendiebe gab, die sich auf den Diebstahl von Regenschirmen spezialisiert hatten! Plötzlich sah Serena, dass Vivien begonnen hatte, wie wild herumzuhampeln, was Serena sichtlich verwirrte. Wie bei einem pantomimischen Ratespiel machte Vivien bestimmte Bewegungen. Zunächst lief sie mit einem imaginären Schirm durch die Gegend, dann zeigte sie eine Reaktion, als würde sie von einem Windstoß erfasst werden, um dann ganz traurig auf ihren Fantasieschirm zu schauen, während sie eine Handbewegung machte, die offenbar zum Öffnen des Schirms gedacht war. „Kaputt!“, rief Serena freudig aus, als sie das Rätsel gelöst hatte. Ihre Mutter, die durch die lange Pause vermutlich bereits irritiert gewesen war, war ihrem Schweigen nach zu urteilen nun vollends in Argwohn versetzt worden. Serena war sich sicher, dass sie sich gerade unzählige Horrorszenarien ausmalte, bei denen die anderen vier zu boshaften Monstern mutierten. „In Schweigen war es sehr windig. Tut mir leid wegen dem Schirm. Da konnte man nichts mehr machen, daher hab ich ihn gleich weggeschmissen, sonst liegt er bei uns eh bloß rum und keiner kann ihn benutzen.“, versuchte Serena die Situation wenigstens halbwegs plausibel zu machen. Vitali hörte nun ein unzufriedenes Gegrummel, wagte aber nicht näher an Serena heranzurutschen, um Genaueres mitzubekommen. Serena gab anschließend nur noch zustimmende Geräusche von sich, ehe sie sich endlich von ihrer Mutter verabschiedete. Nachdem sie aufgelegt hatte, stieß sie einen langen Seufzer aus. „Mann, wir sind vorhin fast gekillt worden und du machst dich wegen deiner Mutter verrückt.“, spottete Vitali. Serena blickte auf den Boden. Vitali hatte erwartet, dass sie ihn auf seinen Kommentar hin anzicken würde, aber stattdessen lag ein trauriger Ausdruck auf ihrem Gesicht. Och nee, sie wollte doch nicht schon wieder heulen? Argh! Bei diesem Mädchen wusste man doch echt nie, ob sie gerade den Psychopathen oder die Jungfer in Nöten raushängen ließ. „Wie soll das alles gehen?“, fragte Serena tonlos. „Auserwählte!“, spie sie aus. „Sollen wir unser gesamtes bisheriges Leben hinter uns lassen? Sollen wir die Schule abbrechen und uns dem Kampf gegen die Schatthen widmen? Unsere Familien zurücklassen und nie wiedersehen, um sie nicht in Gefahr zu bringen? Soll es so sein?“ Serena sah noch immer nicht auf. „Ich kann das nicht.“ Die anderen erkannten erst durch Serenas Worte, wie schwerwiegend die Angelegenheit tatsächlich war. Sie hatten sich diese Dinge noch gar nicht überlegt, und Serenas Gedankengang brachte sie nun völlig aus der Fassung. Bisher hatten sie nur daran gedacht, sich endlich gegen die Schatthen wehren zu können, um nicht länger in dieser quälenden Angst zu leben. Aber nun… Der Gedanke alles, was man liebte, hinter sich zu lassen, war einfach zu gewaltig, zu fremd, zu bedrückend. Schlussendlich waren sie doch nur aus einem Grund auf die Suche nach Antworten für die Geschehnisse gegangen: Um danach endlich wieder ein normales Leben führen zu können! Ohne irgendwelche Monster, ohne ständige Angst, getötet zu werden! Ewigkeit blickte von einem der traurigen Gesichter zum anderen, ehe sie den Blick senkte. Sie fühlte sich schlecht, als habe sie den fünfen diese grausame Bürde auferlegt. „Niemand hat behauptet, dass ihr euer jetziges Leben aufgeben müsst.“ „Wie stellst du dir das vor?“, fragte Serena bitter. „Dieser Schatthenmeister weiß offenbar, wer wir sind. Er weiß, wo wir wohnen und kann auch alles andere über uns in Erfahrung bringen. Die Schatthen könnten uns jederzeit wieder angreifen. Und unsere Familien könnten als Druckmittel verwendet werden. Wir bringen jeden in Gefahr, in dessen Nähe wir sind.“ Ewigkeits Gesichtsausdruck wandelte sich, ihr Medaillon begann wieder zu glühen. Ihre Stimme war erneut verändert. „Dann wird es Zeit für euer Training. Um die zu schützen, die euch wichtig sind.“, sagte Eternity. „Kommt in einer Stunde in den Park.“ Im gleichen Atemzug war sie verschwunden. Ungläubig starrten die fünf auf den leeren Fleck in der Luft. „Das gibt’s doch nicht!“, wetterte Serena und sprang auf. „Was soll das?!!“ „Wir sollten tun, was sie gesagt hat.“, meinte Justin und erhob sich. „Vielleicht ist das auch eine Falle.“, hielt Serena entgegen. Vitali stand auf. „Tss...“, machte er belustigt. „Du würdest sogar noch glauben, dass ich zu den Bösen gehöre.“ Serena ließ einen zynischen Blick über seine Gestalt schweifen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein. Wenn sie jemanden wie dich auf ihre Seite nehmen würden, wäre das nur schlecht für ihr Image. Schließlich müssen die Bösen cool und gerissen sein.“, stichelte sie. Vitali war sichtlich getroffen. „Ich bin cool und gerissen!“, rief er energisch. „Um mich würden sich alle Bösen streiten!“ Sofort ging er dazu über, einen Streit zwischen zwei Bösewichten nachzuahmen, wobei er abwechselnd den Kopf in die eine und in die andere Richtung drehte. „Ich will Vitali diesen obercoolen , schlauen Mann in meinem Team haben. Ha! Nur über meine Leiche! Der gehört zu meinen Leuten! Der ist doch viel zu cool für deine Verlierertruppe.“ Sag das noch mal!“ Serena unterbrach ihn. „Bei dir würden sie sich eher darum streiten, wer dich nicht kriegt.“ „Ach ja?“ „Ja.“ „Fängt das schon wieder an.“, seufzte Ariane und wandte sich dann an Justin und Vivien: „Und was tun wir jetzt?“ „Als erstes heim uns umziehen.“, schlug Vivien vor. „In nassen Klamotten lässt sich nicht gut trainieren.“ „Hauptsache, wir machen nicht mit diesen Endlosdiskussionen weiter.“, meinte Vitali. „Davon zermatscht mein Hirn.“ Serena war gerade im Begriff etwas darauf zu entgegnen, als sie überlegen lächelnd davon abließ. Nein. Das war zu einfach… Vitali warf ihr einen mürrischen Blick zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)