Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 47: Noch nicht besiegt ------------------------------ Noch nicht besiegt „Wenn die anderen glauben, man ist am Ende, so muss man erst richtig anfangen.“ (Konrad Adenauer, ehemaliger deutscher Bundeskanzler) Ariane spürte einen kühlen Boden unter sich, sie konnte den Geruch der Bäume wahrnehmen und die frische Luft. Sie öffnete die Augen und fand sich im Park wieder, wo sie in einem Kreis mit den anderen auf dem Boden saß, als hätten sie sich nie weg bewegt. Doch einen Unterschied gab es: Sie und die anderen trugen nicht länger die Kleidung von zuvor, sondern ihre Beschützer-Outfits. Die fünf sprangen auf und musterten einander, dann drehten sie sich suchend um, ob jemand sie vielleicht gesehen hatte oder jetzt sehen konnte. Diese Uniformen waren ja schön und gut, aber nicht sonderlich dafür geeignet, unter Leute zu gehen. Als hätten ihre Anzüge ihre Gedanken gelesen, verblassten sie, während ihre ursprüngliche Kleidung wieder zum Vorschein kam. „Hä?“, machte Vitali. „Sie machen, was wir wollen.“, erklärte Vivien freudig. „Und wie wollen wir jetzt testen, ob unsere Kräfte wieder da sind, ohne dass es jemand sieht?“, fragte Ariane. Serena konzentrierte sich. „Schicksalsschlag.“, hauchte sie. Im nächsten Moment floss ein goldener Schimmer aus ihrem Körper und hüllte Vitali und Justin ein. „Ich sagte, ohne dass es jemand sieht.“, bemerkte Ariane. „Erstens sieht uns hier keiner, weil dieser Bereich total zugewachsen ist. Und zweitens: Wenn uns jemand gesehen hat, glaubt er sowieso bloß, dass ihm seine Augen einen Streich gespielt haben.“, entgegnete Serena. Die Worte hätten genauso gut von Vivien stammen können, was Vivien sichtlich freute. Vitali grinste verschmitzt und begann sogleich, ebenfalls seine Kräfte freizusetzen und die anderen in einen bunten Funkenregen zu tauchen. Serena erwiderte die Geste und beschoss ihn, woraufhin auch Vivien sich nicht länger zurückhielt. Ariane warf Justin einen kurzen Blick zu, als wolle sie fragen, ob sie das auch machen sollten. Justin lächelte sanft, woraufhin ein Grinsen sich auf Arianes Gesicht stahl. Dann hielten auch sie sich nicht länger zurück und begannen, ihre Kräfte freizusetzen. Ihre wahren Kräfte. „Wir sind die Größten!“, rief Change euphorisch und riss seinen Arm in die Höhe. „Wohooo!“ „Die Allergrößten!“, stimmte Vivien zu und streckte beide Arme hoch. Ariane lachte. Selbst Serena konnte ein schwaches Lächeln nicht unterdrücken. „Gruppenknuddeln!“, rief Vivien. „Echt jetzt?“, fragte Vitali entsetzt. „Ja!“, beharrte Vivien. Etwas unbeholfen legte Vitali daraufhin den Arm um ihre Schultern und bemerkte, dass Serena neben ihm stand. Als diese das ebenfalls registrierte, huschte sie auf die andere Seite zu Ariane. Alter, war er giftig, oder was? Zumindest konnte er jetzt den Arm um Justin legen, dem das Ganze genauso unangenehm zu sein schien wie ihm. Ariane dagegen hatte Vivien direkt den Gefallen getan, während sich Serena nun zwischen Ariane und Justin eingereiht hatte. „Ich hab euch lieb.“, verkündete Vivien. Die anderen schwiegen einen Moment. „Wir dich auch.“, sagte schließlich Ariane. Vivien kicherte und löste sich aus der Umarmung. Sie winkelte ihren Arm an und rief laut: „Balaaaaaaance“ Die anderen begriffen und machten sich für ihren Gruppenruf bereit. Ihre Arme flogen in die Luft. „Defenders!“ Vivien kicherte, dann wurde sie mit einem Mal still. Nachdenklich sah sie zu Boden. „Wenn das die Kräfte vom Schatthenmeister waren und unsere Kräfte aus unseren Gefühlen kommen, waren das dann die Gefühle vom Schatthenmeister?“, grübelte sie laut. „Quatsch.“, rief Vitali. „Der hat gar keine Gefühle.“ Justin versuchte sich an einer Erklärung. „Diese Kräfte haben das bloß in uns ausgelöst. Das und…“ Er brach ab. Er wollte nicht aussprechen, was sie getan hatten. Vivien verstand. Sie holte Luft. „Ewigkeit lebt!“, verkündete sie entschieden. Die anderen starrten sie an, als gingen sie davon aus, dass sie halluzinierte. „Sie heißt doch Ewigkeit!“, rief Vivien, wie um sich selbst zu überzeugen. „Und Finster hat es doch auf der Kunstausstellung gesagt. Ein kleines Mädchen mit Flügeln ist das Symbol für die unsterbliche Seele.“ Ihre Stimme hatte den Klang eines kleinen Mädchens angenommen. Die anderen wirkten alles andere als überzeugt. Vivien zog die Schultern an. „Sie wird immer in unseren Herzen sein.“ Erneut schnitt der Schmerz des Verlusts und der Schuld den fünfen ins Fleisch. Die Reue würde sie wohl ihr Leben lang verfolgen wie ein Schatten. Aber was geschehen war, war geschehen, sie konnten es nicht mehr rückgängig machen. Nun hieß es, nach vorne zu blicken. Vitali klopfte Vivien fest auf den Rücken. „Wieso eigentlich nicht! Ne Leiche haben wir jedenfalls keine.“ Ariane war entsetzt, wie pietätlos Vitali darüber sprach. „Ist doch so!“, rief er als Antwort auf die Blicke von Ariane und Justin. Serena seufzte. „Wichtiger ist jetzt, was wir als nächstes machen. Wir haben keine Ahnung, wann die Schatthen wieder angreifen.“ Ariane schreckte auf. „Ist euch aufgefallen: Es ist das erste Mal seit Samstag, dass wir außerhalb der Schule wieder alle zusammen sind. Und prompt haben die Schatthen uns angegriffen. Als hätten sie das gewusst.“ „Du meinst, sie wissen, wo wir uns aufhalten?“, fragte Serena schockiert. „Ich weiß es nicht.“, entgegnete Ariane. Justin zog ein besorgtes Gesicht. „Das heißt, dass sie uns wieder angreifen werden, sobald wir uns treffen.“ Vitali blieb optimistisch. „Aber dieses Mal wissen wir es!“ Justin nickte. „Und wir können wieder unsere Kräfte benutzen.“, ergänzte Ariane. Noch immer schaute Justin nachdenklich. „Die Frage ist, ob wir sie wirklich gleich einsetzen sollten.“ Ariane sah ihn fragend an. „Wie meinst du das?“ „Der Schatthenmeister nimmt weiterhin an, dass er uns unter Kontrolle hat. Vielleicht können wir das für uns nutzen.“, überlegte Justin laut. Vitali stand auf dem Schlauch. „Wie willst du denn das nutzen?“ „Ich weiß nicht genau, vielleicht könnten wir mehr über seine Absichten herausfinden, über seine Pläne.“ „Aber wie sollen wir das machen?“, wollte Ariane wissen. „Sobald die Schatthen uns angreifen, müssen wir uns wehren und dann weiß er sofort, wie es wirklich um uns steht.“ Der Bereich zwischen Justins Augenbrauen legte sich in Falten. Serena klinkte sich ein. „Und wenn einer von uns die anderen Kräfte einsetzen würde? Dann würden sie es nicht merken. Ich könnte die Schatthen mit diesen Kraft beseitigen und der Schatthenmeister würde glauben, dass wir noch immer unter seinem Bann stehen.“ „Nein!“, kreischte Vivien und ergriff erregt Serenas Hand. Aufgelöst sah sie sie an. „Du wärst daran schon mal fast gestorben! Das lasse ich nicht zu!“ Ihre Reaktion machte Serena sprachlos. „Serena ist zu anfällig für diese Kräfte, wenn dann würde ich das übernehmen.“, meinte Justin. Ariane antwortete, bevor Vivien es tun konnte. „Diese Kräfte sind für jeden von uns zu stark. Wir haben es gerade erst geschafft, sie wieder los zu werden. Wir wissen nicht, ob uns das auch ein zweites Mal gelingt. Nichts, was wir herausfinden könnten, würde das rechtfertigen.“ Justin nickte. „Ihr habt Recht.“ Vitali sah das Ganze locker. „Es bringt uns doch eh nix rauszufinden, was der Schatthentypi vorhat. Wichtig ist, dass er uns nicht kriegt.“ Er begann zu grinsen. „Also treten wir den Schatthen gehörig in den Hintern, damit er sieht, mit wem er’s zu tun hat!“ Justin musste sich eingestehen, dass seine Überlegungen zum momentanen Zeitpunkt bloß ins Leere liefen. „Selbst wenn wir in die Nähe des Schatthenmeisters kämen, wären wir viel zu schwach, um irgendetwas auszurichten.“ Ariane schlussfolgerte: „Bevor wir solche Pläne schmieden, müssen wir erst einmal stärker werden.“ Vitali grinste sie an und präsentierte seinen Oberarm wie es Bodybuilder taten. „Noch stärker?“ Ariane musste breit lächeln, Vitalis gute Laune war einfach ansteckend. Serenas Gesicht verfinsterte sich angesichts Vitalis und Arianes Schäkerei. „Bevor du stark genug wärst, wäre die Menschheit schon ausgestorben.“, zischte sie. Vitali verzog verstimmt das Gesicht. „Dann ist ja gut, dass wir nicht darauf warten müssen, dass bei dir die Oberweite wächst.“ Serena klappte die Kinnlade runter. Geistesgegenwärtig hielt Ariane sie davon ab, Vitali die Augen auszukratzen. „Müsst ihr immer streiten?“, fragte Ariane. „Sie hat angefangen.“, nörgelte Vitali beleidigt. Serena schnaubte, wandte sich ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Justin seufzte. „Denkt ihr nicht, wir haben gerade größere Probleme?“ „Die haben wir doch immer.“, maulte Vitali. Vivien kicherte. „Ja, lass ihnen doch den Spaß.“ Ariane sah sie irritiert an. „Was ist denn daran Spaß?“ „Na, dass die beiden einander trotz ihrer Minderwertigkeitskomplexe mögen.“, lachte Vivien. „Ich hab keine Minderwertigkeitskomplexe!“, schrie Serena. Die ganze Gruppe starrte sie an. Ertappt wandte Serena das Gesicht ab. „Zurück zum Thema.“, sagte Ariane. „Wenn wir uns das nächste Mal außerhalb der Schule treffen, wird es vermutlich zu einem Angriff kommen.“ Vivien schaute zuversichtlich. „Dann können wir uns aussuchen wo!“ Serena meckerte: „Wir sollten uns einfach nicht mehr treffen.“ „Irgendwann würden sie uns dann einzeln angreifen.“, wandte Ariane ein. Serena stöhnte. „Wir könnten uns im Park treffen.“, schlug Justin vor. „Hier haben wir genug Platz und es sind weniger Leute unterwegs, die in den Kampf hineingezogen werden könnten.“ „Und wann?“, fragte Serena. „Je früher der Schatthenmeister erfährt, dass wir nicht mehr unter seinem Bann stehen, desto schneller wird er sich einen anderen Plan ausdenken.“ „Wir dürfen aber auch nicht zu lange zögern. Er könnte sonst auch Verdacht schöpfen.“, gab Ariane zu bedenken. „Hey, bleibt mal locker!“, rief Vitali. „Das ist das erste Mal, dass wir auf den Angriff der Schatthen wirklich vorbereitet sind. Diesmal sind wir im Vorteil!“ Er grinste. „Genau!“, stimmte Vivien zu. „Die können was erleben!“ Sie streckte den anderen entschlossen ihre Rechte hin. „Für Ewigkeit!“ Einen Moment lang zögerten die anderen. Erneut packte sie die Reue und drückte ihr Herz zusammen. Sie holten tief Luft und legten dann ihre Hände auf Viviens. „Für Ewigkeit!“ Eine dünne Glasplatte, hinter der der Stadtplan Entschaithals sich abbildete. Die Karte war im Norden herangezoomt, wo der Kurpark lag. An einem Punkt in diesem Park leuchteten fünf Lichter unterschiedlicher Farbe auf, die sich durch ihren geringen Abstand zu einander zu einem schmutzigen Farbklecks verbanden. Die Schwingung und Energie, die er damals aus der Inschrift der Steinplatten gelöst hatte, ermöglichte es Grauen-Eminenz die Personen zu orten, die auf die Magie der Prophezeiung ansprachen. Bei seinem allerersten Versuch war das allerdings gehörig schiefgegangen. Aus irgendeinem Grund war ihm zunächst jeder Mensch als Licht angezeigt worden. Daher hatte er an der Feinabstimmung gearbeitet, bis seine Auserwählten sich endlich deutlich von allen anderen abgehoben hatten. Wie er so die gläserne Platte auf ihrem Sockel betrachtete, konnte er sich unliebsamer Gedanken nicht erwehren. Bisher war zwar alles nach Plan verlaufen, aber dass seine Auserwählten sich nach dem Angriff nicht sofort wieder getrennt hatten, machte ihn stutzig. Durch den Gefühlscocktail, der mit dem Einsatz seiner Kräfte einherging, war nicht auszuschließen, dass die fünf sich gegenseitig Schaden zufügten. Er brauchte sie lebend! Anderseits war bisher keiner der Lichtpunkte schwächer geworden. Ein Zeichen dafür, dass ihre Lebensenergie nicht nachließ, er sich also keine weiteren Gedanken machen brauchte. Wie hielten sie es nur so lange miteinander aus? Aber möglicherweise beschimpften sie sich ja auch gerade. Kurz spielte er mit dem Gedanken, ein Blickfenster zu erschaffen, mit dem er an den Ort sehen konnte, an dem sich die Beschützer momentan aufhielten. Jedoch handelte es sich hierbei um ein zeit- und energieaufwändiges Unterfangen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätten die Auserwählten schon längst den Ort verlassen, ehe er mit der Beschwörung fertig war. Es war um einiges leichter, einfach einen Schatthen hinzuschicken, durch dessen Augen er die Szene betrachten konnte. Doch es gab jetzt Wichtigeres zu bedenken. Wann sollte der nächste Angriff stattfinden? Sollte er wieder darauf warten, dass die fünf zusammentrafen? Wie wahrscheinlich war es, dass dies erneut stattfand? Die emotionale Gewalt seiner Kräfte würde die fünf zwangsläufig in die Isolation zwingen oder in eine Zerstörungswut versetzen. Andererseits dauerte dies bei ihrer dümmlichen Unschuld vielleicht etwas länger. Jeden von ihnen einzeln von Schatthen attackieren zu lassen, war umständlich. Vor allem mussten auch die Zivilisten bedacht werden, deren Erinnerungen manipuliert werden mussten, was auch kein Zuckerschlecken war. Ein einzelner Ort für alle fünf war daher ideal. Seine Muskeln spannten sich an. Er durfte auf keinen Fall etwas überstürzen. Egal wie stark die Unruhe in seinem Inneren ihn quälte. Er musste ausharren bis der richtige Moment gekommen war. Die fünf entschieden sich, dass der nächste Angriff der Schatthen am Freitagnachmittag stattfinden sollte. Auch wenn sie es gerne länger hinausgezögert hätten, war das Risiko, dass der Schatthenmeister sie sonst einzeln angriff, zu groß. Sie konnten nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob ihr Feind nicht doch schon wusste, dass sie seinen Trick durchschaut hatten. Vielleicht hatte er sie die ganze Zeit hindurch belauscht. Dieser Gedanke war ihnen jedoch erst gekommen, als schon alles besprochen worden war. In ihrem Hauptquartier hätten sie sicher sein können, dass niemand ihre Unterhaltung verfolgen konnte, aber sie hatten nicht nochmals versucht, hineinzugehen. Zum Glück konnten sie sich in der Schule sehen, ohne Angst vor einem Angriff haben zu müssen, auch wenn sie nicht sicher waren, woran genau das lag. Vielleicht waren im Schulgebäude dann doch zu viele Menschen, die er hätte manipulieren müssen. „Hey!“, donnerte Vitali, als er das Klassenzimmer betrat, und starrte Erik mit finsterem Blick an. Er knallte seinen Rucksack auf seinen Stuhl. „Erst große Töne spucken und dann nicht auftauchen, was!“ Zunächst war sich Erik unsicher, ob Vitali tatsächlich wütend war, besonders da Vivien ihm keine Antwort auf seine gestrige Nachricht geschickt hatte. Doch das kecke Grinsen, das mit einem Mal auf Vitalis Gesicht erschien, machte Erik klar, dass wieder alles in Ordnung gekommen war. Erik grinste zurück. „Ich hatte einfach keinen Bock, deine Visage zu sehen.“ Vitali machte eine legere Geste. „Ja… ja… Ich weiß. Der Neid auf mein gutes Aussehen zerfrisst dich innerlich.“ Künstlich theatralisch bedeckte Erik daraufhin mit der linken Hand das Gesicht. „Ich weiß einfach nicht, wie lange ich es noch aushalte, neben so einem Schönling wie dir zu sitzen.“ Er legte den Kopf mit einem gespielt flehentlichen Ausdruck schräg. „Bitte, du musst mir sagen, wie du das machst!“ Vitali setzte ein selbstgefälliges Grinsen auf und blickte von oben auf Erik herab, seine Stimme bekam einen leicht nasalen Klang: „Bei jemandem wie dir würde das sowieso nichts bringen. Da ist Hopfen und Malz verloren.“ Die Blicke der beiden Jungs begegneten sich und sie brachen in ein herzhaftes Lachen aus. Vitali nahm seinen Platz ein. „Also ist alles wieder klar bei euch.“, nahm Erik an. „Jupp.“ Erik lehnte sich erleichtert zurück. „Viel länger hätte ich eure schlechte Laune auch nicht ausgehalten.“ Vitali blickte ihn spöttisch an. „Sagt Serena in männlich.“ „Wie war das?“, sagte eine gereizte Mädchenstimme aus Richtung der Klassenzimmertür, sodass Vitali kurz zusammenzuckte, derweil Erik schmunzelte. Vitali drehte sich zu Serena um, die gerade gemeinsam mit Ariane ins Zimmer gekommen war. „Mann, musst du immer im falschen Moment auftauchen?“, beschwerte er sich. Ariane lächelte. „Ich wusste überhaupt nicht, dass sie untergetaucht war.“, Sie drehte sich amüsiert zu Serena. „Warst du auf geheimer Mission?“ „Meine einzige Mission ist, den Tag trotz Vitalis Gequatsche zu überleben.“ Erik stieß einen zufriedenen Seufzer aus. „Endlich streiten sie wieder.“ „Findest du das etwa angenehm?“, fragte Ariane ungläubig. Erik zuckte mit den Schultern. „Die beiden sind sehr unterhaltsam.“ „Erik…“, sagte Serena trocken. „Halt die Klappe.“ Sogleich machte Erik eine hektische Auf-und-Ab-Bewegung mit den Händen und senkte seine Lautstärke. „Sag sowas nicht so laut, jemand könnte das falsch interpretieren und dann kommen unangenehme Gerüchte auf!“ „Wie?“ Ariane sah Serena fragend an. Serena fasste sich genervt an die Stirn und schüttelte bloß den Kopf. Vitali dagegen hielt sich mit einer Erklärung nicht zurück: „Erik tut so, als wäre er mit Serena zusammen, damit er nicht mehr von seinem Fanclub belästigt wird.“ Eriks Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass es ihm gar nicht recht war, dass Vitali das so laut aussprach. Oder wollte er bloß nicht, dass Ariane etwas davon erfuhr? Wider Erwarten war es jedoch ein überaus freundliches Lächeln, das sich auf Arianes Zügen zeigte. Sie tat einen weiteren Schritt auf Vitalis und Eriks Bank zu. „Also Erik.“, sagte sie mit einem unverhohlenen Lächeln. „Ich weiß überhaupt nicht, wo dein Problem liegt.“ Ihre Stimme hatte einen zuckersüßen Ton angenommen. „Du müsstest nur einen einzigen Abend mit ihnen verbringen und sie würden sofort damit aufhören, für dich zu schwärmen!“ Endlich konnte sie sich für all seine höhnischen Bemerkungen revanchieren! Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte Erik verärgert, doch in Blitzgeschwindigkeit hatte er seine Lässigkeit wiedererlangt. „Ariane.“, begann er gelassen. „Du solltest nicht zu viel von diesen Mädchen erwarten. Im Gegensatz zu dir würde keine von denen im Geringsten darauf achten, was ich rede! Und unter ‚den Abend mit mir verbringen‘, haben die auch ganz andere Vorstellungen als du. Wobei –“ Er legte eine künstliche Pause ein und machte ein gespielt nachdenkliches Gesicht. „Wenn man bedenkt, dass du mir schon bei der ersten Begegnung die Kleider vom Leib reißen wolltest.“ Zufriedenes Grinsen. „Das wollte ich NICHT!“; kreischte Ariane. Am ersten Schultag hatte sie ihm den Ärmel seines Oberteils nur hochgerissen, um anhand Secrets Wunde beweisen zu können, dass sie nicht verrückt war! Wer hatte denn wissen können, dass mitsamt seinen Erinnerungen auch seine Verletzung verschwunden war?! Erik lachte überlegen. „Versuch ruhig, es zu leugnen.“ „Du weißt, dass es ganz anders war!“, begehrte sie auf. Wieder Eriks selbstgefälliger Blick. „Ach, weiß ich das?“ Ariane biss sich empört auf die Unterlippe. „Dass du eines weißt: Du bist nur halb so toll wie du denkst!“ „Aber Ariane.“, sagte er, als hätte sie ihm ein unerhörtes Kompliment gemacht. „Ich wusste gar nicht, dass du so für mich empfindest!“ „Wie bitte!“, rief Ariane aus. „Wenn ich von dem ausgehe, wie toll ich denke, dass ich bin, und davon die Hälfte nehme, dann bin ich immer noch der großartigste Mann, dem du in deinem ganzen Leben begegnet bist.“ Arianes Gesicht verzog sich. „Der Eingebildetste trifft es eher!“ Er beugte sich leicht zu ihr vor, als müsse er ihr etwas im Geheimen anvertrauen. „Man nennt es selbstbewusst.“ Dieses Mal war es kein überlegenes oder herablassendes, sondern ein verspieltes, jungenhaftes Lächeln, das auf seinen Lippen erschien und das Ariane zu sehr irritierte, als dass sie darüber hätte sauer sein können. „Morgen!“, rief Vivien laut aus, wie sie es immer tat, wenn sie das Klassenzimmer betrat. Sie und Justin gesellten sich zu den anderen. Sie sprach Erik an. „Sorry, dass ich nicht geantwortet habe. Es sollte eine Überraschung sein!“ „Solange ihr jetzt wieder normal seid, ist mir alles egal.“, meinte Erik desinteressiert. „Normal?“, schrie Vivien verstört und riss die Augen auf. Sie packte Justin schockiert am Arm. „Sind wir normal?“ Justin sah sie nur verwirrt an, ohne ihr zu antworten. Erik lachte. Im nächsten Moment trat eine Lehrperson ein. Doch entgegen dem Stundenplan war es nicht ihr Mathematiklehrer, sondern Frau Lange, die sie in Geschichte mit Gemeinschaftskunde unterrichtete. „Morgen in den letzten zwei Stunden machen wir eine Exkursion zum Thema Mittelalter. Wir besuchen die Burg Rabenfels. Um elf treffen wir uns alle im Schulhof. Bringt zwei Euro für die Busfahrt mit. Und sagt es auch den anderen weiter.“, ratterte sie herunter wie unter Trance. Dann machte sie sich auch schon wieder aus dem Staub. „Ziemlich kurzfristige Entscheidung.“, kommentierte Erik. „Hauptsache kein Unterricht!“, stieß Vitali freudig aus. Interessiert sah Ariane die anderen an. „Wo ist diese Burg?“ Justin begann zu erklären. „Wenn man aus Entschaithal hinausfährt Richtung Norden, bevor du zum nächsten Ort kommst, ist im Osten ein kleiner Berg.“ Ariane nickte. „Ich glaube, den habe ich bei der Anfahrt gesehen.“ „Dieser Berg ist Rabenfels mit der Burg Rabenfels. Sie ist noch ziemlich gut erhalten und wurde erst vor ein oder zwei Jahren saniert.“, fuhr Justin fort. Ariane begann vor Vorfreude zu strahlen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)