Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 59: Fangen ------------------ Fangen „Spielen ist eine Tätigkeit, die man gar nicht ernst genug nehmen kann.“ (Jacques-Yves Cousteau) Change, Unite und Destiny stellten sich Desire und Trust gegenüber. „Die müssen aber wegschauen, wenn wir uns unsichtbar machen, damit sie nicht gleich wissen, wo wir sind!“, bemängelte Change. „Klar, und dann stürmt ihr gleich auf uns zu und gewinnt!“, hielt Desire dagegen. „So einfach ist das nicht.“, meinte Trust. „Die drei müssen es erst mal schaffen, sich ohne einander zu sehen und ohne einen Mucks zu machen, untereinander zu verständigen, wo sie hinlaufen. Die Hände loslassen können sie nicht. Besonders schnell werden sie nicht sein.“ Destiny und Change schauten ihn baff an. Ganz offensichtlich war keiner von ihnen auf die Idee gekommen, dass die Erfüllung ihrer Mission solche Schwierigkeiten mit sich brachte. Unite ruckte an den Händen von Destiny und Change. Zweimal nach rechts, zweimal nach links, nach vorne und nach hinten, je zweimal. Eindeutig verständnislos glotzten die beiden sie an. „So zeigen wir einander, wo’s lang geht. In die Richtung, in die gezogen wird.“, klärte Unite sie auf. „Damit es nicht durcheinander gerät, darf aber nur einer führen, sonst zieht ihr noch in verschiedene Richtungen.“ „Ich führe!“, rief Change, als hätte er nur darauf gewartet. „Du solltest dich besser darauf konzentrieren, unsichtbar zu bleiben.“, kam es von Trusts Seite. „Ich brauche keine Tipps vom Feind!“, gab Change zur Antwort. „Umso besser für mich.“, meinte Desire mit in die Seiten gestemmten Fäusten und siegessicherem Lächeln. „Wart’s ab!“, schimpfte Change. Desire wandte sich an Trust. „Du solltest ihnen nicht so viel helfen, sonst verlieren wir noch am Schluss.“, flüsterte sie ihm hinter vorgehaltener Hand zu. Trust lächelte bloß sanft. Ihm schien das Siegen nicht wichtig zu sein. Change unterhielt sich ebenfalls im Flüsterton mit seinem Team. „Und wie machen wir’s?“ „Destiny! Sie muss sich nicht die ganze Zeit auf ihren Kräfteeinsatz konzentrieren.“, stellte Unite fest. „Ich soll führen?!“, rief Destiny entsetzt. „Shhh…!“, machte Change und hielt sich den Zeigefinger an die Lippen. „Die brauchen nicht gleich wissen, was wir planen! Überhaupt, du willst doch sonst immer, dass alles nach deinem Kopf geht! Da hast du’s!“ Destiny zog eine Schnute. Dass sie eine eventuelle Schlappe verantworten musste, gefiel ihr gar nicht. Wenn ihr Team verlor, war zwar so oder so sie die Schuldige – ihre Erfahrungen im Schulsport hatten sie das gelehrt – aber auch noch offiziell die Dumme zu sein, das … Change riss sie aus ihren Gedanken. Mit verstimmter Miene war er zu ihr getreten und verwuschelte mit einer groben Bewegung ihren Pony. „Du denkst zu viel!“ Die Antwort kam automatisch. „Und du denkst zu wenig!“ „Deshalb passt ihr ja auch so toll zusammen!“, jauchzte Unite. Change und Destiny legten ihr drohend eine Hand auf den Kopf, um sie zum Schweigen zu bringen. Neben ihnen sah Unite mit ihren eins fünfzig sehr klein aus. Change hielt Destiny den Zeigefinger vor die Nase. „Du bist die Anführerin, Tiny!“ „Nenn mich nicht so.“, beschwerte sie sich. „Dann eben der Leitwolf. Der Boss.“ „Ich meinte das andere!“ Change drehte die Augen nach oben und zählte an seinen Fingern scheinbar die Worte ab, die er gerade verwendet hatte. „Tiny!“, schrie Destiny ihn an. Er streckte ihr die Hand entgegen. „Change. Sehr erfreut dich kennenzulernen!“ Destiny schlug seine Hand beiseite, während Unite neben ihr kicherte. „Also, du bist die Anführerin.“, wiederholte Change, dann drehte er sich um, um wieder seinen Platz an Unites Seite einzunehmen. „Und wenn was schief geht,“, er stoppte nochmals in der Bewegung und drehte sich mit finsterem Blick zu Destiny. „dann…“ „…knuddeln wir dich durch!“, beendete Unite seinen Satz. „Genau!“, stimmte Change zu, als hielte er das für eine schlimme Strafe für Destiny. Destinys Mimik konnte sich nicht zwischen verwirrt und verstimmt entscheiden. „Wir wären fertig.“, drang Desires Stimme zu ihnen. Destiny drehte sich zu dem gegnerischen Team. „Wir auch!“ Ihre Stimme klang herausfordernd. Als sie sich wieder zu den anderen beiden wandte, sah sie Change ihr mit erhobenen Daumen zugrinsen. „So gefällst du mir!“ „Hast du gehört, du gefällst ihm!“ „Unite!“, mahnten Change und Destiny zeitgleich. Unite zuckte mit den Schultern. „Ich wollte es nur gesagt haben.“ Change schloss die Augen und konzentrierte sich, fühlte wie der Wind ihm durch das hellbraune Haar fuhr. Er erspürte die Luft um sich herum, nahm ihre unsichtbare Präsenz in sich auf, atmete tief ein und stellte sich vor, wie bei jedem Atemzug die Unsichtbarkeit des Sauerstoffs auf ihn übertragen würde. Alles Schwere, Sichtbare wurde ausgeatmet, bis er vollständig von Leichtigkeit erfüllt war, mit ihr verschmolz, und sich so leicht fühlte, so leicht, als könne er fliegen. Die Augen noch immer geschlossen, hörte er Überraschungslaute von den anderen kommen. Sein Name wurde mit Unglauben in der Stimme genannt. Change grinste breit und selbstherrlich, es konnte ja keiner sehen. Doch wie immer musste Destiny ihm den Triumph verderben. Von wegen beeindruckt! Ihre Stimme klang mal wieder genervt. „Du solltest dich unsichtbar machen, nicht schweben.“ Change riss die Augen auf und erkannte, dass er immer noch genauso sichtbar war wie zuvor, aber unter seinen Füßen kein Boden mehr war. „Ich flieeeege!!!“, schrie er euphorisch. „Wuuuhuuuu!!“ Er streckte den rechten Arm in die Höhe, als wäre er Superman oder Peter Pan. „Falsch.“, entgegnete Destiny ernüchternd. „Du schwebst. Und das keine zehn Zentimeter.“ „Ich fliege!“, beharrte Change. „Nein, du schwebst.“ Change warf ihre einen strafenden Blick zu. „Weißt du, was ich am besten an dir leiden kann?“ „Dass ich dich am laufenden Band beleidige?“, schlug Destiny vor. Gerade setzte er zu einer Antwort an – stockte. „Das auch.“, gab er unzufrieden zu. „Aber –“ „Dass ich deine Erfolge abwerte und schlechte Laune verbreite?“ „Dass du mir das Wort aus dem Mund nimmst!“, schimpfte Change. „Dann kann ich ja mit allem anderen weitermachen.“, meinte Destiny zufrieden. Change verzog das Gesicht. „Ich finde es toll, wie du fliegst!“, rief Unite strahlend. „Wenigstens einer.“, schmollte er und kam wieder auf den Boden. Destiny verschränkte die Arme vor der Brust. „Was willst du hören?“ Sie verstellte ihre Stimme. „Oh Change! Du bist so fantastisch! Du kannst fliegen! Ich bin völlig hingerissen!“ Sie untermalte ihre Worte mit dramatischer Gestik. „Sowas in der Art.“, antwortete Change und begann wieder zu grinsen. „Nur etwas mehr Begeisterung und Geschleime!“ „Du könntest ihm um den Hals fallen!“, war Unites Vorschlag. Destiny und Change warfen ihr strenge Blicke zu. Unite schaute verdutzt. „Würdest du dich nicht darüber freuen?“, fragte sie Change, als könne sie das nicht glauben. Mit verkniffenem Gesichtsausdruck wandte sich Change ab, was wiederum Destiny aus dem Konzept brachte. Ewigkeit sauste über sie hinweg wie ein Kunstflieger. „Das Spiel muss weitergehen!“, jauchzte sie und flog, einen Salto schlagend, wieder in die andere Richtung. Change kam es so vor, als hätte sie sich mit ihrer Luftakrobatik über seinen kleinen Flugerfolg lustig gemacht. Er bemühte sich, dieses Mal tatsächlich unsichtbar zu werden. Es klappte. „Super!“, freute sich Unite und wollte Changes Hand ergreifen, die allerdings nicht dort war, wo sie sein sollte. Ziellos tastete sie umher. „Hey!“, beschwerte sich Changes Stimme. „Ups.“ Unite grinste arglos, dann wurde ihre Hand von etwas Unsichtbarem ergriffen. Augenblicklich wurde sie von der Unsichtbarkeit verschluckt und leitete diese an Destiny weiter. Keiner der drei war mehr zu sehen. „Können wir jetzt anfangen?“, fragte Desire. „Du weißt ja jetzt genau, wo wir sind!“, schimpfte Change. „Ist doch praktisch.“, scherzte Desire. Ewigkeit schwebte zwischen die beiden Gruppen und flog ziellos nach rechts und nach links. Desire verfolgte ihre Bewegungen etwas verwirrt, während Trust neben ihr bereits versuchte, die Gedanken des anderen Teams ausfindig zu machen. Trust war sich nicht sicher, wessen Gedanken er lesen sollte, wusste nicht einmal, ob er sich das willentlich aussuchen konnte. Er dachte an Change, Destiny und Unite, die irgendwo da vorne stehen mussten, oder sich auch schon wegbewegt hatten. „Jetzt!“, gab Ewigkeit das Startsignal. Desire wollte schon vorpreschen, um die anderen sofort zu fassen zu bekommen, ehe diese sich weit von ihrem Ausgangspunkt wegbewegt hatten, entschied sich dann aber um. In der Zeit, in der sie hinüber rannte, konnten die anderen sich unbemerkt auf Trust stürzen, dann wäre das Spiel verloren. Also blieb sie in seiner Nähe. Trust indes suchte weiter nach den Gedankensträngen der anderen drei Beschützer. Bisher hatte er keinen Erfolg gehabt. Wie bei einem Radio, das nicht auf einen Sender eingestellt war, empfing auch er nur leere, gehaltlose Stränge, die sich bei ihm nicht in Rauschen äußerten, sondern in Stille. Sobald eine Welle sich zu formen begann, lief sie auch schon wieder aus, wie eine Woge auf dem Meer, die plötzlich verschluckt wurde. Zahllose Linien zogen an ihm vorbei, keine ergab einen Sinn, keine gab sich die Mühe, sich ihm verständlich zu machen. Links. Die Eingebung kam plötzlich. Es war nicht so sehr ein Wort gewesen, nicht der Gedanke eines einzelnen, der sich herauskristallisiert hatte, sondern drei Fäden, die nur aufgrund ihrer Gleichartigkeit hervorgestochen waren und sich zu dieser Idee geformt hatten. Das musste daran liegen, dass die drei anderen sich beim Gehen auf das Gleiche konzentrieren mussten. Das war der einzige Anhaltspunkt, den er hatte. „Sie laufen nach links.“, sagte Trust leise. „Also rechts von uns.“, übersetzte Desire. Trust nickte, ohne die Augen zu öffnen. Desire stellte sich vor ihn. „Merkst du es, wenn sie näher kommen?“ „Nur wenn sie es alle gleichzeitig denken.“, antwortete Trust. „Geradeaus.“ Die Beschützerin nahm Trust bei der Hand. „Wir gehen ein Stück zur Seite.“ Vorsichtig führte sie ihn ein paar Schritte weg. „Ich kann mich während dem Gehen nicht so gut konzentrieren.“, informierte Trust. Seine eigenen Gedanken behinderten ihn. Doch sein Denken auszuschalten hätte bedeutet, über seine eigenen Beine zu stolpern. Desire blieb stehen, stellte sich wieder vor ihn. „Okay.“ Sie betrachtete den Boden, um die Schritte der anderen drei eventuell zu erkennen. Wo würden sie langgehen? Was wäre wohl der geschickteste Weg? Sie würden versuchen, an ihr vorbeizukommen, das hieße, die Richtung ändern. Oder sie umgehen. Geradeaus, rechts oder links? „Desire.“, setzte Trust an, stoppte dann jedoch. „Ja?“ Trust zog ein unsicheres Gesicht. „Tut mir leid. Wenn du so viel denkst, ... Das ist etwas schwierig.“ „Oh. Entschuldige.“ Trust schüttelte bloß den Kopf. Es herrschte Stille. Desire kam sich blöd vor. Sie konnte gar nichts tun – mal wieder. Und ihre Überlegungen waren für Trust auch noch hinderlich. Was sollte sie denn dann tun? Sie stieß die Luft aus. Dann entschied sie, das Risiko einzugehen. Ohne Weiteres stürmte sie in die Richtung, in der sie die anderen vermutete und fuchtelte wild mit den Armen, um sie zu fassen zu bekommen. Aber da war nichts. Jetzt! Schnell! „Desire!“, schrie Justin. Er hatte die Augen jetzt geöffnet und ging schleunigst seitwärts nach links. Desire machte eine Kehrtwendung und rannte auf ihn zu. Als ihr klar wurde, dass sie Trust nicht mehr rechtzeitig erreichen würde, änderte sie die Richtung und stürmte auf die Stelle zu, wo vielleicht noch die anderen zu finden waren, schließlich waren sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Wenn sie sich von ihr bedroht fühlten, würden sie den Angriff auf Trust vielleicht abbrechen. Der Plan ging nicht auf. Sie sah, dass Trust von etwas, davon abgehalten wurde, weiterzugehen, jemand hatte ihn wohl am Arm gepackt. Ihr Team-Partner versuchte sich loszureißen. „Tiny!“, drängte der unsichtbare Change, der Desire natürlich kommen sah. Desire entriss Trust im letzten Moment Changes Griff. Das Risiko, Zeit damit zu verschwenden, Changes unsichtbare Hand zu suchen, war ihr zu groß gewesen. Nun aber stürzte sie sich auf ihn, und fiel zu Boden. Kein Change. „Weg!“, rief Change und ging vermutlich nach hinten, dabei brachte er wohl den ganzen Zug durcheinander, denn Destiny machte einen geschockten Laut. „Du Idiot!“, hörte man Destinys Stimme. Desire war wieder auf den Beinen und schlug nach der Luft. Als müsse sie sich gegen ein imaginäres Bataillon Fliegen zur Wehr setzte, fuchtelte sie umher. Man hörte Unite leise kichern. „Trust, lauf auf die andere Seite!“, befahl Desire. Anstatt sich in Sicherheit zu begeben hatte Trust erneut versucht, die Gedanken der drei ausfindig zu machen, doch diese waren ein heilloses Durcheinander gewesen. Nun schreckte er auf, und wollte Desires Anweisung folgen, als ihn etwas am Knöchel packte. „Trust!“ Desire machte den ersten Schritt, um zu ihm zu rennen, und stolperte über etwas Großes, das am Boden lag. Der am Boden liegende Unsichtbare stöhnte laut, als sie ihm beim Fallen das Knie in die Seite rammte und dann noch halb auf ihm landete. Desire griff nach ihm. Dieses Mal verfehlte sie ihn nicht. Vor allem da er keine Möglichkeit mehr zur Flucht besaß. Ihre Beine lagen ja auf ihm. Doch während noch ihre läuternden Kräfte auf Change über gingen, hörte man einen Körper zu Boden gehen. Daraufhin war es nicht mehr nötig, dass sie die anderen wieder sichtbar machte. Vor Schreck ließ Unite Change und Destiny los, wodurch sie und Destiny wieder sichtbar wurden. Desire konnte nun erkennen, dass alle drei sich auf allen Vieren auf dem Boden befunden und sich kriechend weiter zu Trust vorgekämpft hatten. Und sie sah noch etwas – den am Boden liegenden Trust. Der Beschützer war direkt neben Destiny in sich zusammengesackt. Destinys Linke hielt noch seinen Knöchel umfasst. Wie eine der Energieversorgung beraubte Maschine rührte Destiny sich nicht mehr, als habe ihr eigenes Werk sie erstarren lassen. Unite sprang auf und rannte an Trusts Seite. Change, weiterhin unter Desire begraben, konnte sich nicht verkneifen, die noch immer bewegungslose Destiny aufzuziehen. „Du hast ihn umgebracht!“, kreischte er gewollt melodramatisch. Zu spät erkannte er die Ernsthaftigkeit der Situation und dass sein Scherz das letzte war, das Destiny gebrauchen konnte. Entsetzt starrte Destiny auf ihr Werk. Sie hatte gerade noch Trusts Fußgelenk zu fassen bekommen und eilig ihre Kräfte bei ihm angewandt. Sie hatte sich extra darauf konzentriert, dass er keinerlei Schmerzen dabei empfand! Hatte seinem Körper den Befehl gegeben, sich zu entspannen! Übelkeit und Schuldgefühle schossen in ihr hoch. Alles schien sich um sie herum zu drehen und sich in einen albtraumhaften Strudel zu verwandeln, von dem sie hinfortgesogen zu werden drohte. Sie bekam kaum noch mit, wie sich Unite um den Jungen am Boden kümmerte. „Er atmet!“ In der Zwischenzeit mussten sich Desire und Change entwirrt haben, denn als nächstes hörte sie Desires Stimme neben sich. „Was ist passiert?“ „Was hast du gemacht?“, ertönte auch Changes ungläubige Stimme und brach abrupt ab. Doch all das war unwichtig geworden. Destiny wollte sterben... Immer wenn sie ihre Kräfte einsetzte, passierte etwas Schreckliches! Immer tat sie jemandem weh! Das wollte sie nicht. Das wollte sie nicht. Plötzlich erschallte Ewigkeits quietschfidele Stimme. „Team 1 hat gewonnen!“ Ihr Kommentar machte die Beschützer sprachlos. „Bist du bescheuert?!“, schrie dann Change. Nachdem er Destinys plötzliches Zittern bemerkt hatte, hatte er sich wie Desire neben sie gekniet, was sie allerdings auch nicht mehr wahrzunehmen schien. „Was ist mit Trust?“, forderte Desire von Ewigkeit zu wissen, und hatte dabei nicht bedacht, dass diese mit dem Namen Trust nichts anzufangen wusste. Dafür bekam sie eine Antwort von Unite. „Es geht ihm gut.“, rief Unite und bewies einmal mehr, dass sie wohl bei jeder Situation zuerst vom Besten ausging. Wie gewöhnlich klang ihre Stimme normal, als wäre die unerwartete Situation für sie mehr aufregend als erschreckend. „Er kommt zu sich.“ Trust gab ein Stöhnen von sich, dann hob er seinen Arm und bedeckte damit seine Augen, wie um sich vor dem Sonnenlicht zu schützen. „Trust!“, schrie Unite freudig auf ihn ein. „W… Was?“ Seine Stimme klang verschlafen. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und öffnete dann langsam die Augen. Unite beugte sich über ihn. „Vivien…?“ Verwirrt blinzelte er. Er schien noch immer nicht ganz bei sich zu sein, sonst wäre er wohl aufgrund der Nähe zu ihr verängstigt zusammengezuckt und puterrot angelaufen. „Kannst du aufstehen?“, erkundigte sich Unite nun mit erstaunlich sanfter Stimme. „Was?“, sagte er zum zweiten Mal. Desire kniete sich ebenfalls zu ihm. „Geht es dir gut?“ „Eh…“ Er schien zu überlegen. Unite wandte sich an Desire. „Setz deine Läuterung bei ihm ein.“ „Wozu?“ Unite zuckte lächelnd mit den Schultern. „Vielleicht hilft es.“ Mit leicht skeptischer Miene sah Desire sie an und folgte schließlich dem Vorschlag. Sie legte beide Hände auf Trusts Brustkorb, schloss die Augen, um sich zu sammeln, und ließ die frische Energie, wie kühlendes Quellwasser, in sein Inneres fließen. Der benebelte Ausdruck wich aus Trusts Gesicht und die dunklen Augenringe verschwanden. Hellwach sah er die anderen an. „Was ist passiert?“ „Das wollten wir dich fragen.“, antwortete Desire. Ewigkeit schwebte über ihren Köpfen und besah sich die Szene, als verstünde sie die ganze Aufregung nicht. Trust setzte sich auf. „Etwas hat mich am Fußgelenk gepackt. Und dann, bin ich plötzlich so müde geworden. Schrecklich müde.“ Er sah die anderen an. Links und rechts von ihm knieten Unite und Desire. Hinter Desire sah er Change hocken, neben Change auf allen Vieren kauerte Destiny, tränenüberströmt. Sofort sprang Trust auf, sodass die beiden Mädchen an seiner Seite überrascht nach hinten wichen, und war mit einem Satz bei Destiny, kniete vor ihr. Erschrocken legte er ihr die Hände auf die Schultern. „Ist alles okay mit dir?“ Mit qualvoll verzerrten Mundwinkeln nickte Destiny. Mehr nicht. Trust musterte die anderen. „Was hat sie?“ Schuldbewusst presste Change Worte hervor. „Ich hab gesagt, sie hat dich umgebracht.“ Kleinlaut fügte er hinzu. „Im Scherz.“ Trust war anzusehen, dass er nicht verstand, wie man darüber Scherze machen konnte! Sanft redete er auf Destiny ein. „Mir geht’s gut. Es ist nichts passiert.“ Er versuchte es mit einem Lächeln. „Sie kann Leute einschläfern!“, schlussfolgerte Unite begeistert. „Ja.“, stimmte Ewigkeit zu, als sei das die ganze Zeit hindurch offensichtlich gewesen. „Warum hast du uns das nicht gleich gesagt?!“, beschwerte sich Desire bei ihr. Die Kleine legte ihren Kopf schief. „Was?“ Desire sparte sich den Atem. Trust widmete sich weiter Destiny. „Hast du gehört? Du hast gelernt, jemanden in Schlaf zu versetzen. Freu dich. Das wird uns sicher irgendwann helfen. Ja?“ Er sah, wie ihre Augen sich wieder mit Tränen füllten. Sie schüttelte den Kopf. Einmal. Zweimal. Und bedeckte mit den Händen das Gesicht. Change berührte sie an der Schulter. „Hey, ich hab’s nicht so gemeint.“, sagte er vorsichtig. Ihr Körper erbebte von den Schluchzern. Hilflos sah er zu Trust. „Tu doch was!“ Trust zeigte sich genauso planlos. „Was denn?“ „Keine Ahnung!“, rief Change und zog ein nervöses Gesicht. „Nimm sie in den Arm!“ Trust zögerte, offenbar unsicher, ob das bei Destiny eine gute Idee war. „Du oder ich!“, rief Change gehetzt. Unentschlossen zuckte Trust mit den Schultern, offensichtlich hatte er es als Frage verstanden. „Ihr Idioten!“, keifte Destiny mit einem Mal lautstark. Ihr Aufschrei ließ die Jungs vor Schreck zusammenfahren und in Schutzposition gehen, als stünden sie einem feuerspeienden launischen Drachen gegenüber, während ihr Gegenüber sie aufgebracht anfunkelte. Von dem Anblick erheitert begann Unite zu kichern. Lachend kniete sie sich zu den beiden Jungen und legte ihnen von hinten jeweils einen Arm um die Schultern. Trust und Change sahen sie verdutzt an, ebenso Destiny. Doch Unite lachte einfach weiter, unbeschwert und frei. Change war der erste, auf dessen Gesicht sich ein Grinsen schlich und der in Unites ansteckendes Gelächter einstimmte. Desire folgte. Und als sich Ewigkeit auf Destinys Kopf niederließ, brachte auch sie ein ersticktes Lachen zustande, dem sich Trust anschloss. Ob das eine weitere von Unites Fähigkeiten war oder ein gottgegebenes Talent blieb ungeklärt. „Das Training ist noch nicht vorbei!“, rief Ewigkeit, woraufhin Desire sie packte und ihr mit einem Finger den Mund zuhielt, was eine erneute Lachsalve der anderen zur Folge hatte. Schließlich setzten sie den Stationenlauf fort. Bei dem Apfel-Spiel wollte Unite sich wieder neben Trust setzen, aber Ewigkeit bestand darauf, dass sie die Plätze bei jedem Mal wechselten. Etwas unzufrieden überließ Unite daraufhin Change ihren Platz und setzte sich aufgrund von Destinys hilfesuchender Mimik zwischen ihn und Destiny, Zu ihrer Freude war Destiny ihr gegenüber weniger ängstlich beim Ausführen der Aufgabe. Dann musste sich Unite mit dem Apfel unter dem Kinn aufrichten, um den Größenunterschied zu Change ausgleichen zu können. Anschließend verfolgte sie mit einiger Begeisterung, wie Change den Apfel etwas verlegen an Trust weitergab. Das sah so niedlich aus! Auch wenn sie in einem Shonen Ai Manga Vitali eher mit Erik geshippt hätte, was vor allem an dessen Ähnlichkeit zu Serena lag. Beim dritten Durchgang der Stationen schaffte es Unite, sich bei der Apfel-Aufgabe ans Ende der Kette neben Trust zu schummeln und beobachtete mit diebischer Freude, wie Change den Apfel von Desire an Destiny weitergeben musste. Aufgrund der bereits gewonnenen Übung funktionierte das jedoch deutlich schneller und unspektakulärer als Unite es erhofft hatte. Ihr Shipper-Herz war enttäuscht. Sie hatte sich das so schön ausgemalt! Wie die beiden rot wurden und der Apfel runterfiel, sie beide gleichzeitig danach griffen, dadurch noch verschämter wurden und einander tief in die Augen sahen. Aber Pustekuchen. Zumindest war es ein kleiner Trost, dass Destiny Trust, der den Apfel von ihr entgegennahm, offenbar ziemliches Vertrauen entgegenbrachte, obwohl die Nähe zu ihm Destiny dennoch peinlich berührte. Allgemein schien Desire die einzige der anderen zu sein, die von dieser Art von Tuchfühlung nicht nervös oder verlegen wurde. Endlich war Unite an der Reihe und betete, dass Ewigkeit den Moment nicht durch einen Zwischenruf ruinierte. Trust näherte sich ihr. Unite wechselte von ihrer Sitzposition in eine kniende und griff nach Trusts Kopf, der augenblicklich den Apfel fallen ließ. Sie ließ von ihm ab und gab ihrer Stimme einen möglichst unschuldigen Klang. „Tut mir leid. Desire hat das vorhin bei Destiny gemacht. Ich dachte, das würde helfen.“ Trust schaute beschämt und hob den Apfel auf. In der Sekunde, in der er nicht in ihre Richtung sah, grinste Unite. Trust klemmte erneut den Apfel unter sein Kinn. „Mir würde es helfen, wenn ich mich an dir festhalten könnte.“, behauptete Unite in mädchenhaftem Ton. Von Destiny kam ein Stöhnen. Trust antwortete nicht, wirkte aber so angespannt, dass Unite davon ausging, dass er sich darauf gefasst machte. Sie rückte näher an ihn heran und legte ihm ihre Rechte in den Nacken. Er blieb reglos sitzen, offenbar darauf bedacht, den Apfel nicht nochmals fallen zu lassen. Sie berührte mit ihrer Wange die seine und gab sich nicht die Mühe zu vertuschen, dass das kein Zufall war, schließlich wusste sie nicht, wann sie noch einmal die Gelegenheit bekam, ihm so nahe zu kommen. Sie legte ihren linken Arm um seine Schulter und drückte sich einen Moment an ihn. Dann tat sie ihm den Gefallen und nahm ihm den Apfel ab. Doch anstatt sich wieder von ihm zu entfernen, wich sie nur minimal von ihm zurück, nahm die Hand von seinem Nacken und ließ den Apfel in diese fallen. Sie lachte ihn freudig an. Trust schien nicht zu wissen, wie er darauf reagieren sollte. In einem Anflug von Übermut beugte Unite sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann sprang sie auf die Beine, zu aufgeregt, um sitzen zu bleiben, kurz davor wie ein Gummiball durch die Gegend zu hüpfen, und kicherte aufgekratzt. Neugierig drehte sie sich wieder zu Trust, um seine Reaktion zu sehen. Puterrot im Gesicht starrte er sie an. Strahlend hielt sie ihm die Hände hin, wie um ihm aufzuhelfen. Dazu hatte sie den Apfel zu Boden fallen lassen. Trust war unfähig, irgendetwas anderes zu tun, als sie anzustarren. „Du solltest aufstehen, bevor sie vollends über dich herfällt.“, warnte ihn Destiny und erhob sich. Unite lachte aufgedreht. In dieser dritten Runde des Stationenlaufs funktionierte auch das aneinander gebundene Laufen schon deutlich besser, sie kamen sogar schon einigermaßen flüssig voran, als plötzlich ein Piepsen erklang. Den anderen fiel es gar nicht auf. Aber Trust. Er stoppte in der Bewegung, und noch ehe die anderen ihn nach dem Grund fragen konnten, schoss etwas aus dem Waldstück links von ihnen. Trust packte Change, der neben ihm stand, stieß ihn aus der Schussbahn, und schleuderte seine Attacke auf das Geschoss. Seine Energiewelle schloss die Kreatur ein. Wie gelähmt starrten die Beschützer auf das Ergebnis. Der Glitzer von Trusts Vertrauensband löste sich auf und dahinter wurde Ewigkeit sichtbar. Sie strahlte über das ganze Gesicht. „Ihr habt die Übung bestanden! Glückwunsch!“ Noch von dem Schock perplex standen die Beschützer bloß da und begriffen nicht, was hier vorging. „Ihr habt schnell genug reagiert und konntet eure Kräfte auch in der Stress-Situation einsetzen. Zumindest Vertrauen.“, referierte Ewigkeit. „Leistungssteigerung klar ersichtlich. Zweck des heutigen Trainings: Erfüllt!“ Noch immer gafften vier der fünf sie bloß an. „Super Idee!“, lobte Unite. „Perfektes Überraschungsmoment!“, Mit einem bescheidenen Lächeln fasste sich Ewigkeit an den Hinterkopf und sah zu Boden. „Bist du bescheuert?!“, schrie Destiny Unite an. „Sie hat uns fast zu Tode erschreckt!“ „Aber das war doch perfekt! Wir waren nicht darauf vorbereitet, keiner von uns hat damit gerechnet und wir mussten unsere Kräfte einsetzen.“, meinte Unite. „Perfekt!“, spie Destiny aus. „Perfekt um mich ins Krankenhaus zu bringen!“ „Allerdings.“ Change baute sich wieder zu voller Größe auf. „Trust ist ziemlich brutal, wenn’s darum geht, einem das Leben zu retten.“ Grinsend wandte er sich seinem Freund zu und erwartete, dass sich Trust, wie es für ihn typisch war, für die harsche Behandlung entschuldigte, aber dem war nicht so. Noch immer war Trust regungslos auf Ewigkeit fixiert, wie in eine Leichenstarre verfallen. Seine Mimik war angespannt, voller Misstrauen, als erwarte er, dass Ewigkeit sich vor seinen Augen häuten und ein Schatthen darunter hervorkommen würde. „Das Piepsen.“, sagte er wie in Trance. „Das Warnsignal.“ Das Schmetterlingsmädchen sah ihn unwissend an. „Warnsignal?“, fragte Desire. „Ich hab es dieses Mal gar nicht gehört.“ Trust riss den Kopf zu ihr herum. „Natürlich! Da war ein Piepsen!“, rief er heftig und begegnete verständnislosen Gesichtern. „Ich hab mir das nicht eingebildet!“ „Ah!“, machte Unite, wollte nach rechts zu ihrer Tasche gehen, merkte, dass sie noch an die anderen gefesselt war, und musste sich erst losbinden. Dann lief sie zu ihrem Rucksack, in den sie vor der Verwandlung ihr Handy gesteckt hatte. Sie öffnete die vordere Tasche und zog ihr Mobiltelefon hervor. Sie hob das Gerät über ihren Kopf, ging zurück zu den anderen und hielt es Trust hin. „Eine Mitteilung erhalten.“ Trust sah sie verständnislos an. Da er noch nie ein Handy besessen hatte, kannte er sich damit nicht aus. Unite zog ihre Hand zurück und tippte ein paar Tasten. Plötzlich erzeugte das Handy ein schrilles Gepiepse, das Trusts Augen groß werden ließ. „Das ist mein Kurzmitteilungs-Signalton.“, erklärte Unite. Ungläubig sah Trust sie an. Unite lächelte. Trust ging nicht darauf ein. Mit bedrückend finsterer Miene senkte er den Blick. Ariane kam aus dem Bad. Ihr blondes Haar war in den Längen noch feucht, weshalb sie sich ein Handtuch um die Schultern gelegt hatte. Auf dem Weg zu ihrem Zimmer schwirrte Ewigkeit um sie herum, drehte Pirouetten in der Luft und schraubte sich in die Höhe. Selbst nach dem Training war sie noch putzmunter, obwohl sie doch am laufenden Band hin und her geflogen war. Ariane fragte sich, ob sie überhaupt schlafen oder wie ein Glühwürmchen unter Koffeinschock die ganze Nacht lang umherflitzen würde. Sie setzte sich auf ihr Bett und griff nach ihrem Smartphone. Als sie auf ihre E-Mail App tippte, kam leise Vorfreude in ihr auf. Sie wurde nicht enttäuscht. Nathan war wirklich schnell im Antworten. Sie musste lächeln. Während sie las, ließ sich Ewigkeit auf ihrem Kopf nieder, legte sich auf den Bauch und las laut mit. Sie betonte die Sätze nicht, so dass es leicht apathisch klang und Ariane schmunzeln ließ. „Liebe Ariane, nach deiner Interessebezeugung werde ich mir sofort einen Verlag suchen, der meine Autobiografie druckt! - Ist das ein Gesicht?“ „Man nennt das Smiley.“, erklärte Ariane. „Hm.“, machte Ewigkeit verständig und las weiter vor. „Da es bis dahin noch etwas dauern könnte, schreibe ich dir vorerst nur die wichtigsten Details auf. Allerdings wird sich das noch etwas verzögern, weil ich momentan damit beschäftigt bin, einen neuen Steuerberater für die Finster GmbH zu finden. Aber Freitagabend nehme ich mir extra Zeit für dich. Bis dahin noch eine schöne Woche. Freundliche Grüße. Nathan.“ Sofort sprang Ewigkeit auf. „Nathan!“, rief sie wie vom Donner gerührt. „Nathan ist Waise!“ Ariane kicherte. Einmal mehr missverstand sie Ewigkeits Ausruf als ‚Nathan ist weise‘, und fand es süß, dass die Kleine sich diesen Satz gemerkt hatte, der damals bei ihrer Besprechung über Nathans Rolle gefallen war. Es musste einige Stunden später sein, als ein penetranter Laut Ariane unsanft aus ihrem Schlummer zurück in den Wachzustand zerrte. Schwer atmend riss sie die Augen auf und wusste nicht, was geschehen war. Panik ließ ihr Herz hektisch gegen ihren Brustkorb hämmern, als wolle es aus ihrem Inneren flüchten. Ariane wusste nicht, woher diese plötzliche Angst kam. Aufgeregt fuhr sie herum und schaute aus dem Fenster. Für einen Moment erwartete sie, dort auf der Straße einen zwielichtigen Mann mit langem Trenchcoat und Hut zu sehen, aber da war nichts. Nur der Mozartweg im dämmrigen Schein der Straßenlaternen. In ihren Augenwinkeln erkannte sie eine Bewegung. Sie riss den Kopf in die entsprechende Richtung. Fast hätte sie aufgeschrien. „Wunsch?“ Schlaftrunken rieb sich Ewigkeit die Augen Sie lag wieder auf Arianes Nachttischchen in ihrem Bett aus Schals. Ihre Gestalt strömte ein sanftes Licht aus. Ariane hatte völlig vergessen, dass sie hier war, und atmete erleichtert auf. Das Halstuch, das sie Ewigkeit als Decke gegeben hatte, musste ihr Leuchten, das im Schlaf nachließ, so stark gedämpft haben, dass sie es eben übersehen hatte. „Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Ewigkeit. „Ja…“, antwortete Ariane verwirrt. „Ich muss schlecht geschlafen haben.“ Ihr Blick ging wie automatisch erneut in Richtung Fenster. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)