Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 64: Telefonterror ------------------------- Telefonterror „Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.“ (Terry Pratchett, britischer Autor) „Du musst vor 18 Uhr zu Hause sein, weil du den Tisch decken musst?“, fragte Erik zweiflerisch. „Menschen, die nicht von Goldtellern essen, müssen so was.“, gab Vitali patzig zurück. „Ich esse nicht von Goldtellern.“, meinte Erik geradezu beleidigt. „Aber du hast sicher noch nie den Tisch gedeckt.“ Erik schwieg kurz. „Ich wusste nicht, dass das so eine enorm lebenswichtige Erfahrung ist.“ „Wichtig genug, dass meine Ma mir den Kopf abreißt, wenn ich es nicht tue.“ Justin klärte Erik auf. „In Vitalis Familie hat jede Woche ein anderer Tischdienst.“ Erik hörte interessiert zu, als würde Justin von den Gebräuchen der Eingeborenen auf den Fidschi-Inseln erzählen. „Aha.“ Ariane klinkte sich ein. „Du wolltest noch vor 18 Uhr zu Hause sein?“ „Jaaa?“, antwortete Vitali, als verstünde er den Einwand nicht. „Dann solltest du dich aber beeilen.“, sagte Ariane. Vitali sah auf die Uhr. „Shit!“ So schnell er konnte, rannte er los. Die anderen riefen ihm noch ein Tschüss hinterher, auf das er bloß noch mit einer Handbewegung antwortete. Wenn er Glück hatte und jetzt gleich der Bus in seine Richtung fuhr, konnte er es gerade noch rechtzeitig nach Hause schaffen! Vitali spurtete die Strecke zur Bushaltestelle und wäre dabei fast mit ein paar Leuten zusammengestoßen, die auf dem Weg zum Jahrmarkt waren. „Sorry!“, rief er, ohne anzuhalten, und war schon wieder weiter. Außer Puste erreichte er endlich die Haltestation und stützte sich schnaufend auf seine Knie, bis er dazu fähig war, auf dem Fahrplan nachzusehen. Ha! Er war eben doch ein Genie! Alles perfekt getimt! Selbstzufrieden grinsend stellte er sich zwischen die anderen Wartenden. Jetzt musste nur noch der Bus – Vitali ließ einen Schrei los und riss die Hände an den Kopf. Der schrille Ton jagte unbarmherzig durch seinen Schädel. Das Alarmsignal! Gehetzt fuhr sein Kopf erst in die eine, dann in die andere Richtung. Die Umstehenden wichen automatisch zurück und betrachteten ihn wie einen gemeingefährlichen Verbrecher. Vitalis Atem ging stoßweise. Wenn die Schatthen jetzt angriffen, würde er vielleicht sich verteidigen können, aber niemals all die anderen Leute. Er suchte den Boden nach ungewöhnlichen Schatten ab. Aber genauso gut konnten sich die Bestien in den Schatten der Umstehenden verstecken. Oder waren sie in einem der umliegenden Läden versteckt? Vielleicht hatten sie dort die Ladenbesitzer überwältigt und warteten auf den Moment, um herauszustürmen. Er musste zurück zu den anderen rennen! Das würde er niemals schaffen. Vorher hätten sie sich auf ihn gestürzt. Der Bus! Das große Fahrzeug kam gerade angefahren, entsetzlich langsam! Als sich die Türen endlich öffneten, drängte Vitali Hals über Kopf in das Businnere, als ginge es um sein Leben, was rein technisch gesehen auch stimmte. Der Fahrer wies ihn darauf hin, dass er seine Fahrkarte zeigen musste. Kaum noch fähig, sich zu konzentrieren, kramte Vitali die Schülerfahrkarte hervor und flüchtete in die Busmitte. Mit zitternden Knien blieb er stehen. Hinsetzen hätte eine etwaige Flucht verlangsamt. Sollte er näher bei den Türen stehen? Aber wenn sie durch die Türen kamen, hätte er keine Zeit mehr, seine Kräfte einzusetzen! Justin und die anderen. Er brauchte sie! Aber was sollte er tun? Sie wären niemals rechtzeitig hier! Und er wollte nicht riskieren in der Minute, in der er auf sein Handy starrte, von den Schatthen überrascht zu werden. Mit vor Aufregung wirren Gedanken wartete Vitali verzweifelt darauf, dass sich die Türen schlossen und der Bus endlich losfuhr! Noch nie war es ihm so lange vorgekommen. Verdammt! Ewigkeit! Ewigkeit würde sich herteleportieren können! Aber was würde das nützen?!! Andererseits, er musste die anderen informieren! Vielleicht waren auch sie in Gefahr!!! In Gedanken schrie er hektisch Ewigkeits Namen, aber nichts geschah! Dann endlich setzte sich der Bus in Bewegung. Vitali versuchte, sich zu beruhigen. Es gelang ihm nicht. Der Bus brauchte ewig! Furchtbar langsam tuckerte er voran. Vitali starrte aus den Fenstern. Sie würden neben dem Bus herjagen. Die dunkelgrauen Bestien. Mit ihren muskulösen, schnellen Bewegungen geborene Räuber. Sie würden zum Sprung ansetzen, durch die Fenster preschen. Es würde Scherben regnen, schrille Schreie, dann würden sie auf ihn springen, ihre stinkenden Mäuler mit den rasiermesserscharfen Zähnen weit aufgerissen, um ihn zu töten. Er musste ruhig bleiben – äh, werden. Er würde einfach sein Wappen rufen, wenn es soweit war. Das Wappen würde bereits einige der Schatthen auflösen und dann – Vitali fingerte nach seinem Handy, ohne die Fenster aus den Augen zu lassen. Warum erkannte dieses dumme Handy nie seinen Fingerabdruck?! Wozu hatte das Ding einen Scanner, wenn er nicht funktionierte?! Er ging dazu über, stattdessen die Pin einzugeben. Währenddessen lugte er immer wieder aus dem Fenster und schrie in Gedanken wieder und wieder nach Ewigkeit, aber das Schmetterlingsmädchen schien ihn zu ignorieren. Von wegen: ‚Wenn ihr an mich denkt, bin ich sofort da!‘ Unzuverlässige Heldenhelfer! Vitalis Augen zuckten von den Fenstern immer wieder auf den Handybildschirm und zurück. Er musste schnell genug sein. Aus Viviens Rucksack ertönte die Titelmelodie von Superman. „Das muss Vitali sein.“, erklärte sie fröhlich, als Justin sie verwundert ansah. Sie hatte gerade erst das Handy wieder weg gesteckt, nachdem Erik ihr wegen Bruno eine Nachricht geschrieben hatte. Am Nachmittag, nachdem Erik Ariane das T-Shirt übergeben hatte, hatte er sich direkt nach dem Verbleib von Bruno erkundigt. Ariane war verwirrt gewesen, aber Vivien hatte sofort verstanden, dass er dem Teddy einen Namen gegeben hatte. Aus praktischen Gründen hatte Erik ihr den Teddy für die Zeit auf dem Jahrmarkt überlassen, doch beim Verabschieden hatten sie beide nicht mehr daran gedacht. Daher hatte er ihr eine Nachricht geschrieben, sie solle Bruno am nächsten Tag in die Schule mitbringen. Vielleicht war es unter seiner Würde gewesen, ihr wegen dem Teddy nachzulaufen. Oder vielleicht war er davon ausgegangen, dass Serena und Ariane nicht auf ihn warten würden, wenn er nochmals zurückging. Auf jeden Fall hatte die Bitte, ihm den Teddy in der Schule zu übergeben, deutliche Erheiterung in Vivien ausgelöst. Es hatte sie daran erinnert, wie anders Vitali auf ihre Drohung reagiert hatte, ihm das Kinderfoto von ihm in der Schule zurückzugeben. Sie musste grinsen und nahm Vitalis Anruf entgegen. „Hallo!“, rief sie ausgelassen. Justin hörte nicht, was Vitali sagte, aber es konnte nichts Gutes sein. Das freudige Lächeln Viviens wandelte sich augenblicklich zu Besorgnis und ehe Justin registriert hatte, was vor sich ging, hatte sie ihn am Arm gepackt und zog ihn näher zu sich. Vivien neigte den Kopf, sodass er den seinen an das Handy halten konnte, um das Gesagte mitzuhören. Im ersten Moment war diese Nähe zu ihrem Gesicht das einzige, woran er denken konnte, ehe er verstand, was Vitali da gerade sagte. „Wo bist du gerade?“, schrie er umgehend, sodass sich Vivien reflexartig von ihm weg lehnte. „Im Bus!“, kam Vitalis Antwort. Zeitgleich stellte Vivien das Handy auf Lautsprecher um. Justin wandte sich an Vivien. „Wir müssen Serena und Ariane alarmieren.“ „Dann nimm du dein -“, Vivien brach ab, sie vergaß jedes Mal, dass Justin kein Handy besaß. Sie wandte sich an das Mobiltelefon. „Vitali, ruf Ewigkeit.“ „Das mach ich schon die ganze Zeit!“, schimpfte er lauthals. Vivien und Justin tauschten einen kurzen Blick. „Selbst wenn wir zu Vitali nach Hause rennen, brauchen wir mindestens zwanzig Minuten.“, sagte Justin. „Und wenn an der Bushaltestelle Schatthen sind, sollten wir dort nicht hin.“ Vivien nickte. „Vitali, bleib im Bus, da bist du am sichersten.“, antwortete sie dem Handy. „Warte zwei Minuten und dann ruf Serena an. Wir verständigen Ariane.“ Vitali klang alles andere als begeistert. „In zwei Minuten bin ich vielleicht –“, Vivien legte auf, bevor Vitali den Satz beenden konnte. Sogleich hatte sie Ariane mit ihrer Kurzwahl ausgewählt. Das Handyklingeln riss Ariane aus ihrem Gespräch mit Serena und Erik. Sie wunderte sich, als sie auf dem Display Viviens Namen angezeigt bekam. „Hallo?“ „Du musst Erik ablenken.“, flüsterte Viviens Stimme vom anderen Hörer. Ariane verstand nur Bahnhof. „Was?“ „Gleich wird Vitali bei Serena anrufen und euch alles erklären. Auf eurem Weg ist eine Bushaltestelle. Fahrt zu Vitali nach Hause –“ Plötzlich wurde die Verbindung unterbrochen. „Vivien?“ Verwundert sah Ariane auf das Display und verstand überhaupt nichts mehr. „Mist!“, rief Vivien. „Was ist?“, wollte Justin erschrocken wissen. „Mein Akku ist alle. Wir müssen schnell zu mir nach Hause!“ Mit diesen Worten ergriff sie Justins Hand und rannte los. „Wo ist die nächste Bushaltestelle?“, fragte Ariane. „Wir sind gerade an einer vorbeigelaufen. In der Rohnstraße.“, antwortete Erik. „Ist was passiert?“ „Ähm, nein. Nicht wirklich. Es war Vivien.“ „Was ist denn?“, hakte Erik nach. „Ähm, wahrscheinlich hat sie was bei Vitali vergessen und wir sollen es abholen, Serena und ich.“, druckste sie herum. Serena brauste auf. „Was? Das soll sie gefälligst selbst machen! Wann war sie überhaupt bei ihm?“ Ariane warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Allerdings schien Erik diesen schneller deuten zu können als Serena. „Ich begleite euch.“, verkündete er. Fast wäre Ariane ein entsetztes Nein herausgerutscht. Sie musste sich beherrschen. Seit den letzten Wortgefechten hatte sie sich viele Gedanken über eine geeignete Strategie gemacht, wie man mit Erik umgehen musste. Sie wusste nicht, ob es klappen würde, es war riskant, aber schlimmer konnte es ohnehin nicht mehr werden. Außerdem hatte Vivien gehetzt geklungen, sie hatte also nicht viel Zeit. „Oh, das wäre voll lieb von dir!“, sagte Ariane so überzeugend wie möglich, auch wenn sie wusste, dass ihr Schauspieltalent zu wünschen übrig ließ. „Wenn du zu Vitali fährst, dann können Serena und ich ja nach Hause gehen.“ Mit seiner abschätzenden Miene erinnerte Erik sie an einen gewieften Ermittler, dann war der Anflug eines Grinsens auf seinen Lippen zu erkennen. „Ich weiß leider nicht, wo Vitali wohnt, eine von euch müsste also mitfahren.“ Ariane stockte und sog die Luft ein. „Das ist ganz einfach, von der Bushaltestelle aus läufst du einfach über die Straße nach links und dort die Hausnummer Sieben.“ „Wie heißt die Bushaltestelle?“ Mist! Sie erinnerte sich gerade nicht. Damals war sie mit den anderen zusammen gefahren und Vivien hatte alles koordiniert. Halt! Sie wollte doch ohnehin nicht, dass er dorthin fuhr, also konnte sie irgendetwas erfinden! – Konnte sie nicht. Er würde vielleicht wissen, dass es diese Haltestelle nicht gab oder dass sie sich an ganz anderer Stelle befand. Arianes Gedankengang wurde von einem erneuten Handyklingeln unterbrochen, diesmal aus Serenas Richtung. „Sicher meine Mutter.“, meinte Serena, zog ihr Handy hervor und staunte nicht schlecht über die Anruferinfo. „Was willst du?“, begrüßte sie Vitali so genervt es nur ging. ‚Erik ablenken!‘, schoss es Ariane durch den Kopf. Er durfte auf keinen Fall das Telefonat belauschen, was auch immer Vitali zu sagen hatte. „Ähm, Erik, weißt du, wie die Haltestellen in der Nähe des Kurparks heißen? Vielleicht fällt es mir dann wieder ein.“ „Nein, leider nicht.“ „Ähm, dann...“ Erik grinste sie an. Arianes Augenbrauen zogen sich zusammen. „Es wird dunkel, ich lasse Serena nicht alleine nach Hause gehen.“, entgegnete sie energisch. „Und es ist unnötig, dass wir alle drei extra zu Vitali fahren, nur um etwas abzuholen.“ „Wieso bringt er es nicht morgen einfach in die Schule mit?“ Ariane brauchte nicht zu antworten, Serenas aufgelöste Stimme machte es unmöglich, Erik noch länger von ihrem Telefonat abzulenken. Ihre Stimme überschlug sich fast. „Ist alles okay bei dir? – Wo bist du? – Bleib dran!“ Serena schaute entsetzt zu Ariane. „Was ist hier los?“, fragte Erik in das stumme Gespräch der beiden. „Das geht dich nichts an.“, gab Serena so patzig und abweisend von sich, dass nicht nur Erik für einen Moment baff war. Ohne Weiteres ging Serena dann über seinen Einwand hinweg und wandte sich an Ariane. „Wir gehen zu mir.“ Ariane widersprach. „Vivien hat gesagt, wir sollen zu Vitali.“ „Bist du irre?“, blaffte Serena sie an. „Hier.“ Sie hielt Ariane das Handy hin. Bevor Ariane es jedoch ergreifen konnte, hatte Erik es Serena aus der Hand genommen. „Was ist los?“, fragte er in den Hörer. „Mann! Ich hab grad echt keinen Bock auf dich!“, schimpfte Vitalis Stimme. Im selben Augenblick wurde Erik das Handy von Ariane entrissen. „Du spinnst wohl!“, schrie sie ihn an, ehe sie sich das Handy ans Ohr hielt. „Vitali?“ „Ihr müsst aufpassen. Schatthen.“, informierte Vitali sie. „Wo?“ „Keine Ahnung. Das Warnsignal kam an der Bushaltestelle.“ „Sollen wir zu dir kommen?“ „Wie denn?“, fragte Vitali. „Wir nehmen den nächsten Bus zu dir nach Hause.“ Vitali klang wenig überzeugt. „Was soll das bringen?“ Beruhigend redete Ariane auf ihn ein. „Dann bist du nicht allein.“ „Hast du eigentlich zugehört, was er gesagt hat?“, mischte sich Serena ein. Ihr Tonfall verärgerte Ariane. „Du würdest ihn lieber allein lassen?“ Serena blitzte sie böse an. Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. „Ja! Es hilft ihm sicher viel, wenn wir unser Leben riskieren!“ „Tolle Partnerin!“, blaffte Ariane. „Das geht dich nen Scheißdreck an!“ Serena riss ihr das Handy aus der Hand und brüllte hinein: „Ruf doch deine tolle neue Partnerin Ariane an, wenn du Hilfe brauchst!“, und legte auf. „Bist du verrückt geworden?!“, rief Ariane „Du kannst mich mal!“ Serena wirbelte herum, um zu gehen. „Du bist eine echt miese Freundin!“, schrie ihr Ariane nach. Serena reagierte nicht, sondern lief einfach weg. Erik blieb einen Augenblick lang stehen, sah kurz Ariane an und lief dann Serena hinterher. Ariane ballte ihre Hände zu Fäusten und begab sich auf den Weg zurück zur Bushaltestelle. Wenige Schritte genügten Erik, um Serena einzuholen. Ihre Stimme war zu einem Flüstern zusammengeschrumpft. „Lass mich in Ruhe…“ Erik erwiderte nichts. Er lief neben ihr, ließ ihr zwei Schritte Vorsprung. Hatte Serena solche Angst, im Dunkeln durch Entschaithal zu fahren, dass sie gleich von ‚Leben riskieren‘ sprach? Das war eindeutig übertrieben. Entschaithal war beim besten Willen keine Großstadt. Die Kriminalität hielt sich in Grenzen, zumal es erst kurz nach achtzehn Uhr war. Vielleicht hatte sie auch etwas völlig anderes gemeint. Etwas musste bei Vitali passiert sein. Doch während Ariane der Überzeugung war, man dürfe Vitali nun nicht allein lassen, war Serena anderer Meinung. Dennoch gab dieses ‚unser Leben riskieren‘ keinen Sinn. Erik hätte noch lange darüber sinniert, wäre nicht ein seltsamer Laut aus Serenas Richtung gekommen. Er lauschte und hörte, wie sie hektisch atmete, als wäre sie völlig außer sich. Er versuchte seiner Stimme einen möglichst sachten Ton zu verleihen. „Du willst zu Vitali, nicht wahr?“ Als Antwort mischten sich in das erregte Atmen japsende Laute. Erik fasste Serena bei der Schulter und drehte sie halb zu sich. „Wir gehen zu ihm.“ Kopfschüttelnd entzog sich Serena seinem Griff. „Was ist dir wichtiger: Vitali oder dein Stolz?“ „Mein Stolz.“, jammerte Serena prompt. Langsam verstand Erik, was die anderen damit meinten, dass er und Serena sich ähneln würden. Serena kam sich blöd vor. Wieso war sie so ausgetickt? Und wieso heulte sie schon wieder? Wieso konnte sie nichts anderes als ständig bloß heulen? Sie war so eine Versagerin und die anderen wären froh, wenn sie nicht zum Team gehörte. ‚Tolle Partnerin‘, tönte es in ihrem Kopf. Sie würde aus diesem ganzen Balance Defenders Schwachsinn aussteigen. Das war doch alles Blödsinn. …Oh, hätte sie doch bloß anders reagiert! „Ich kann nicht.“, flüsterte sie. „Wieso nicht?“ Serena schluckte Tränen hinunter. „Ich gehöre nicht dahin.“ „Natürlich tust du das!“, antwortete Erik bestimmt und drehte sie nun ganz zu sich, um ihr ins Gesicht sehen zu können. „Du bist Vitalis Freundin und du bist ihm wichtig. Wenn es ihm schlecht geht, dann braucht er dich!“ Erik und Serena nahmen im hinteren Ende des Busses Platz, sie am Fenster, er am Gang. Dann beugte sich Serena nach vorne und machte sich klein, als wolle sie sich vor jemandem verstecken. Erik sah sie nur fragend an. „Bei der nächsten Station steigt Ariane zu.“, erklärte Serena. Erik musste schmunzeln. „Sie wird sowieso sehen, dass du mit dem gleichen Bus gefahren bist, wenn du aussteigst.“ „Wir könnten ja eine Station weiter fahren und dann zurücklaufen.“, murmelte Serena. Nun lachte Erik. Serena schwieg. Er lehnte sich nach vorne, sodass er ihr in ihrer geduckten Haltung näher war. „Sie wird sich freuen, dass du mitgehst.“, sagte er beruhigend. Serena machte ein unglückseliges Gesicht. Sanft lächelte Erik. „Gut, dann bleiben wir eben in Deckung.“, verkündete er, woraufhin sie ihn mit großen Augen ansah. Er gab ihr mit einer Geste zu verstehen, dass sie nun still sein sollte, ehe ihm ein Gedanke kam. „Weißt du überhaupt, wo wir aussteigen müssen?“ Serena brauchte nicht antworten, ihr Gesicht sprach Bände. Eine Sache, in der sie und Vitali sich ähnelten, wie Erik bemerkte. Der Bus hielt und die beiden lauschten. Vielleicht würde Ariane sie ja gar nicht sehen. Schritte. Abruptes Stehenbleiben. Erik lugte auf, um zu kontrollieren, wer neben ihren Sitzplätzen stand, und sah sich einer ihn ungläubig anstarrenden Ariane gegenüber, die ihr Handy leicht von sich weg hielt, aber eindeutig noch jemanden am Apparat hatte. „Ähm, Serena.“, begann Erik. „Ich bin nicht da.“ „Wo bist du dann?“, fragte Ariane streng und hielt sich an Eriks Sitzplatz fest, als der Bus anfuhr. „Gleich zu Hause.“, kam Vitalis Stimme aus dem Lautsprecher des Handys. „Ich meinte nicht dich.“, antwortete Ariane ihm. „Wen meintest du dann?“, hörte man Vitalis Stimme. „Serena.“ „Du hast doch gerade noch gesagt, sie kommt nicht!“ Augenblicklich sprang Serena auf und schrie das Handy an. „Ich komme auch nicht, du Vollidiot!“ „Ey, hast du sie noch alle!“, brüllte Vitali zurück, der offensichtlich die volle Lautstärke von Serenas Stimme abbekommen hatte. „Du kannst mich mal!“, schimpfte Serena. „Und du kannst mich mal!“, gab Vitalis Stimme zurück. „Du kannst mich zweimal!“ „Immer eins mehr!“ Erik sah Ariane an. „Die beiden könnten auch ein bescheuertes TikTok Video sein.“ Ariane schien ihm wortlos zuzustimmen. Zusammen mit Justin stürmte Vivien in ihr Haus und direkt hoch in ihr Zimmer. Erst wollte Justin in der Diele stehen bleiben, aber Vivien zog ihn mit sich. Vor ihrer Zimmertür blieb er erneut stehen und diesmal ließ er sich nicht weiterziehen. Vivien hatte keine Zeit, eine Diskussion über Sinn und Unsinn seines Anstands zu führen, rannte selbst hinein und wurde von ihren beiden Geschwistern freudig begrüßt. Im gleichen Moment bemerkten die zwei den fremden Gast und musterten ihn mit großen Augen, sodass Justin vor Scham noch ein Stück weiter zurückwich. „Keine Zeit.“ Vivien ergriff ihr Ladekabel. „Hat Ewigkeit die Schatthen gefunden?“, fragte Kai. Vivien hielt inne. „Was?“ „Sie ist mit uns auf den Jahrmarkt, um nach Schatthen zu suchen!“, posaunte Ellen aus. „Und wo ist sie jetzt?“, wollte Vivien wissen. Ihre beiden Geschwister zuckten mit den Schultern. Mit einem Mal stand Justin neben ihr. „Wo habt ihr euch getrennt?“ Ariane starrte auf ihr Handy. Sie hatte eine wütende Frauenstimme vernommen, ehe Vitali den Anruf unterbrochen hatte. „Was war denn das?“, fragte Erik skeptisch. „Vitalis Mutter.“, brummte Serena. „Klang gruselig.“ „In echt ist sie noch schlimmer.“, meinte Serena. Dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Unsicher sah sie zu Erik neben sich. „Gehst du mit zu Vitali?“ Erik schien zunächst überrascht, ehe er sie sanft anlächelte. „Das kriegst du auch ohne mich hin.“ Serena errötete. Eriks Aussage von zuvor trat ihr wieder in den Sinn: dass Vitali sich freuen würde, wenn sie zu ihm kam. Ariane beobachtete die Szene in stiller Verwunderung. In den letzten Minuten war sie zig Möglichkeiten durchgegangen, wie sie Erik davon abhalten konnte, mit zu Vitali zu gehen – ohne großen Erfolg. Und nun das. Mit einem Mal tat es ihr leid, dass sie ihm insgeheim unterstellt hatte, er habe Serena nur zu diesem Zweck begleitet. Dabei hätte sie es wissen müssen. Er hatte die ganze Zeit über nicht mehr danach gefragt, was passiert war, stattdessen war er einfach stillschweigend neben Serena gesessen und hatte ihr dadurch Kraft gegeben. Erik fing ihren Blick auf und deutete mit einer leichten Aufwärtsbewegung seiner Augenbrauen die Frage nach der Bedeutung ihrer Fokussierung an. Anstatt zu antworten richtete sie ihre Augen wieder nach vorne. Ein Hip Hop Song spielte an und wurde abgewürgt, als Erik den Anruf entgegennahm. „Donner. – Hi. – Im Bus. – Was? Wie kommst du darauf? – Ich dachte, er wollte nicht… – Was hat er denn gesagt? – Gut. Dann sehen wir uns dort. Tschau.“ Mit einem Druck auf den Touchscreen seines Handys beendete er das Telefonat und sah zu Serena und Ariane. „Vivien will, dass ich mit zu Vitali gehe.“ Serenas Gesichtsausdruck war der Unglaube deutlich anzusehen. „Auf den Trick falle ich nicht noch mal rein!“, schimpfte Ariane indes und nahm Erik das Mobiltelefon ab, bevor es sich ausschaltete. Sie öffnete die Anruferliste und traute ihren Augen nicht. Dort stand wirklich Viviens Name und die korrekte Uhrzeit. Erik sah sie nur gelangweilt an. Ariane rang mit sich, sie wusste, dass sie sich ganz schön lächerlich machen konnte, aber das Risiko musste sie eingehen. Sie zückte ihr Handy und wählte Viviens Nummer, schließlich war Erik durchaus zuzutrauen, dass er den ganzen Inhalt des Gesprächs bloß erfunden hatte. „Vivien, was hast du gerade – Ja bin ich. – Was? Aber …“ Ariane schwieg. „Hör zu, Ewigkeit ist verschwunden. Sie war auf dem Jahrmarkt, um nach Schatthen zu suchen, und jetzt meldet sie sich nicht mehr.“ Vivien griff automatisch nach Justins Hand neben sich. Dieses Mal ließ er sie gewähren. „Erik ist der einzige, der weiß, wo die Schatthen genau sind. Er hat auf dem Jahrmarkt sicher seine Wunde gespürt, deshalb war er so wütend. Wir brauchen seine Hilfe. – Ich lasse mir was einfallen. Bis dann.“ Vivien seufzte und nahm das Handy vom Ohr. Sie spürte wie Justin ihre Hand drückte. Seine sanfte Stimme erklang. „Es wird alles gut.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)