Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 66: Schicksalsrad ------------------------- Schicksalsrad „Schatten löschen die Sonne nicht aus.“ (Franz Kafka) Verwundert blickten Serena und Erik aus den Fenstern. Das Licht des Riesenrads war erloschen. Auch die umliegenden Stände waren in Dunkelheit getaucht. Im gesamten Bereich rund um das Riesenrad musste der Strom ausgefallen sein. „Zumindest sind wir an einer schönen Stelle stehengeblieben.“, meinte Erik. Ihre Gondel hatte gerade erst den höchsten Punkt verlassen, um wieder nach unten zu schwenken. Ängstlich starrte Serena nach draußen. „Keine Sorge, der Strom wird gleich wieder da sein.“ Serena war dadurch wenig beruhigt. Sie holte die Taschenlampe aus ihrer Tasche, die ihr Vivien zuvor überlassen hatte. Suchend schwenkte sie den Lichtkegel um ihre Gondel herum, doch das kleine Licht konnte die Finsternis kaum durchdringen. „Verdammt.“ „Was ist denn?“, fragte Erik. „Setz dich auf den Boden.“, befahl Serena. Erik sah sie nur verständnislos an. „Geh von den Fenstern weg.“ Noch immer reagierte Erik nicht, stattdessen schien er wortlos fragen zu wollen, ob sie übergeschnappt war. Dann wurden seine Züge wieder weicher und er seufzte. „Ist das wieder so eine Rollenspiel-Sache?“ „Tu’s einfach!“ Gerade wollte er widerwillig ihrem Wunsch Folge leisten, als – Der quälende Schmerz durchschoss seinen Arm wie ein Blitzschlag und vernebelte seinen Verstand. Sein eigenes Aufstöhnen hörte er kaum noch. „Erik!“ Was dann geschah ging zu schnell als dass Erik – von seinem Schmerz noch betäubt – alles hätte erfassen können. Explosionsartiges Klirren. Scherben. Serenas Schrei. Ihr Körper wurde nach hinten gerissen durch die zerstörte Fensterscheibe hinter ihr, die Erik noch gar nicht wahrnehmen konnte. Allein aus Reflex warf er sich vor, um sie festzuhalten, und hätte später nicht mehr sagen können, woher dieser Reflex stammte. Er erwischte noch ihre Beine und klammerte sich fest, stemmte sich mit aller Kraft gegen die Gewalt, die ihren Körper nach außen zerrte. Ihr Kreischen wurde immer schriller. Dann war da wieder der Schmerz. Erik kämpfte dagegen an, spürte wie sein Körper ihm den Dienst zu versagen drohte. Er hielt Serena fest. Doch ihr Schreien klang immer weiter entfernt, ertrank in einem Piepsen. Dann war sein Hörvermögen völlig verschwunden. Übelkeit und Schwindel übermannten ihn. Er presste die Augen zu und versuchte mit einem Schrei nochmals sämtliche Kraftreserven zu mobilisieren und sein ganzes Körpergewicht gegen seinen unbekannten Gegner einzusetzen. Das nachfolgende Geschehen verschwamm vor seinen Augen. Serena wurde von dem Schatthen nach hinten gerissen. Ihr Oberkörper hing im nächsten Moment in der Schwebe und sie glaubte, zerfetzt zu werden. Die Bestie hatte ihre Pranken in den Boden der Gondel geschlagen, um Halt zu finden, und zerrte nun mit aller Kraft an ihrem Opfer. Serena schrie. Panik kreischte durch jede ihrer Zellen, ließ keinen Platz mehr für einen klaren Gedanken. Sie glaubte, in die Tiefe stürzen zu müssen. Dann wurde sie von etwas an ihren Beinen zurück in die Gondel gezerrt. Die Krallen des Schatthens schlitzten ihre Jacke auf, konnten sie aber nicht halten. Sie schlug hart auf, wusste nicht mehr, wo oben und unten war, nur eines: Schicksalswappen. Ihre Gedanken formten das Wort, ohne dass sie noch etwas dazutun musste. Augenblicklich erstrahlte ein helles Licht, sodass sie unwillkürlich die Augen schloss. Das Innere der Gondel wurde davon ausgefüllt. Es strömte nach außen. Als Serena die Augen wieder öffnete, erkannte sie über sich ihr Wappen, das weiter sein schützendes Leuchten aussandte, dem kein Schatthen standhalten konnte. Erst jetzt nahm sie wahr, wo sie sich genau befand. Sie lag halb auf dem Boden der Gondel, halb auf dem Sitz. Zu ihren Füßen – Erik. Unter Schmerzen rappelte sie sich auf und kniete zu ihm. Er regte sich nicht. Sie beugte sich über ihn und versuchte ihn wachzurütteln. Kurz flatterten seine Augenlider, öffneten sich, ohne dass seine Augen etwas zu erkennen schienen, und fielen wieder zu. „Erik“, presste Serena atemlos hervor, sie schnappte nach Luft. Sie drehte sich um, suchte das Innere nach ihrer Tasche ab, entdeckte sie neben sich am Boden, holte ihr Handy hervor. Sie musste die anderen verständigen, solange der Schutz des Wappens anhielt. Ungläubig starrte Serena auf das Handydisplay. Das konnte nicht sein, durfte nicht sein… Eriks Handy! Sie holte es aus der Hosentasche, in die sie es ihn zuvor hatte stecken sehen, aber das gleiche Bild. Sie stieß einen weinerlichen Fluch aus und ließ das Handy sinken. Dann gewahrte sie Eriks schneller werdendes Atmen, ein Ringen nach Luft, als würde er gegen etwas ankämpfen. „Erik.“ Serena drehte ihn auf den Rücken, was ihr aufgrund seines Gewichts nicht leicht fiel. Ängstlich betrachtete sie seine reglose Miene und drückte seinen Unterarm, ohne dass er darauf reagierte. Hier war niemand, der sie beschützen konnte, weder ihn noch sie. Der verängstigte Ausdruck auf ihrem Gesicht erlosch und machte etwas anderem Platz. Hier war jemand! Gebieterisch erhob sie ihren Arm zu ihrem Wappen. In der gleichen Sekunde war die Verwandlung abgeschlossen. „Ich beschütze dich.“, verkündete Destiny mit fester Stimme, obgleich sie nicht davon ausging, dass Erik noch irgendetwas davon wahrnahm. Das Riesenrad war noch ein paar Meter entfernt, Vivien und die anderen mussten Slalomlaufen, an den verwundert umherstehenden Jahrmarktbesuchern vorbei, als ein helles Licht aus einer der Gondeln ihren Lauf kurzzeitig verlangsamte. „Serena.“, hauchte Ariane. Vitali hielt sich nicht mit langer Überraschtheit auf, sondern preschte weiter. Die jähe Gewissheit, dass Erik und Tiny in Gefahr waren, ließ ihn zu Höchstleistungen auflaufen. Destiny konzentrierte sich. Kurz suchte die Angst sie erneut in ihre Gewalt zu bringen. Zweifel züngelten in ihr empor. Doch sie verwehrte der Empfindung den Zunder ihrer Aufmerksamkeit. Sie wusste, was jetzt wichtig war, und fand zu sich. „Schicksalsschlag!“ Destiny spürte die Kraft wie etwas, das zu ihr gehörte, ein Teil ihres Körpers, ein Gefühl, dem sie Ausdruck verlieh. Das goldene Glühen, das im nächsten Moment entfacht wurde, blendete nicht, vielmehr glich es einer körpereigenen Essenz, wie etwas Alltägliches, das Erheben eines Arms in vollstem Bewusstsein, das Spüren der eigenen Präsenz, die natürliche Veränderung eines Körperzustands. Sie hielt die Energie um ihren Leib, ließ sich von ihr umschmeicheln, umlodern, ehe die Energie wieder zu ihrer Hand zurückfand und freigelassen wurde. Ein sanftes Glimmen und Schimmern, klar und ungetrübt wie ein Vorbote des Morgens, lohte aus dem zerbrochenen Fenster, umschloss in wallenden Bewegungen die Gondel und flammte schließlich zu einem sonnenartigen Strahlen auf. Nun konnte kein Schatthen mehr die Gondel auch nur berühren. Destiny senkte den linken Arm, von dem die Energie ausging, und bettete ihn in ihren Schoß, die Muskulatur möglichst entspannt, um so die optimale Leitfähigkeit zu gewährleisten. Sobald sie sich verkrampfte, würde ihr Kräfteeinsatz abbrechen, das wusste sie. Destiny schloss die Augen. Sie hielt mit der Rechten Eriks Hand umfasst, fühlte die Schwere seines Körpers, aber diese Schwere beruhigte sie. Sie wusste, wofür sie kämpfte. Vitali und Ariane kamen als erste vor dem Riesenrad an. Ariane erkannte mit Entsetzen, dass sämtliche Menschen in einem Radius von dreißig Metern um die Attraktion herum wie Leichen den Boden säumten, ohne dass die Leute jenseits dieses Bereichs davon Kenntnis nahmen. Vitali indes interessierte sich dafür herzlich wenig, die einzige Aufmerksamkeit, die er diesem Fakt schenkte, war diejenige, die er brauchte, um nicht über die Bewusstlosen zu stolpern. In einem stürmischen Lichtstoß hatte er seine Beschützergestalt angenommen und setzte zum Flug an. Allerdings hatte er gewisse Startschwierigkeiten. Im Training hatte er zwar bereits geschafft, eine gewisse Höhe zu erreichen, die man durchaus als Fliegen bezeichnen konnte, und einige einfache Manöver waren ihm auch schon geglückt, doch noch wirkte es eher wie die ersten Flugversuche eines übereifrigen Kükens, das immer wieder zu Boden stürzte. „Er muss eine Art Tarnung verwenden.“, hörte Ariane Justin hinter ihr sagen und sah, dass auch er seine Kleidung bereits gegen die Beschützertracht getauscht hatte, ebenso wie Vivien. Mit ‚er‘ hatte Trust unverkennbar den Schatthenmeister gemeint. Wie automatisiert änderten die Leute ihre Richtung, sobald sie dem Bereich der Bewusstlosigkeit zu nahe kamen. Und wie in Trance schienen sie die Dunkelheit des Riesenrads nicht wahrzunehmen, während die ausgefallene Beleuchtung der anderen Stände ein großes Gewusel und Durcheinander verursachte. Trust rief sein Vertrauensband herbei, in seiner Rechten hielt er noch immer Ewigkeit. „Bleibt zusammen.“ Change hörte ihn offensichtlich nicht, noch immer war er mir seinen Startversuchen beschäftigt. Trust nahm dies mit einiger Besorgnis zur Kenntnis. Wenn Change erst einmal eine gewisse Höhe erreichen und dann abstürzen würde, könnten sie ihm nicht mehr helfen. Doch Change zur Vorsicht zu mahnen, hätte alles nur noch schlimmer gemacht, so gut kannte er ihn. Change war ein solcher Dickkopf, dass er sich dann nur noch mehr auf seinen Plan versteift hätte. Vielleicht würde er ja von selbst wieder zur Vernunft kommen. Mittlerweile war auch Desire in ihre Uniform gehüllt. „Wo sind sie?“ „Da oben!“, schrie Change ungehalten und zeigte mit dem Finger auf die in lohendes Licht gehüllte Gondel. „Ich meinte die Schatthen.“, antwortete Desire. Unite deutete auf die schrägen Stützen des Riesenrads, die in der Mitte in der Radnabe zusammenliefen. Drei schwarze Flecken huschten daran hinauf. Change wollte gerade darauf zu eilen, doch Trust hielt ihn auf. „Wir sollten uns erst um die kümmern.“ Er verwies auf etwas vor ihnen. Aus dem Dunkel hinter dem Riesenrad schlichen Schatthen heran. Im gleichen Moment nahm Unite Trust Ewigkeit aus der Hand. Sie hatte kurzerhand ihren Anzug um eine seitliche Bauchtasche erweitert, in die sie Ewigkeit bettete. Desire feuerte derweil ihre Wunschkraft auf die Bestien ab. Schließlich brauchten sie keine wertvollen Sekunden damit verschwenden, den grausigen Anmarsch der Kreaturen zu bestaunen. Die Attacke schoss auf die Schatthen zu, doch bevor diese sie erfassen konnte, verschwanden diese spurlos. Erst im nächsten Moment wurde Desire klar, dass die Monster ihre Schattengestalt angenommen hatten, um dem Angriff zu entgehen. So etwas hatten sie noch nie gemacht! „Von wegen die sind blöd.“, kommentierte Change. Sofort rasten die schwarzen Punkte auf dem Boden auf sie zu, dabei die Richtung so häufig wechselnd, dass man ihnen kaum mit den Augen folgen konnte und ein gezielter Schuss unmöglich wurde. Die vier versuchten ihre Kräfte auf die Angreifer zu lenken, doch diese waren zu wendig. Nur einer nahm in letzter Sekunde seine dreidimensionale Gestalt wieder an, sprang zur Seite, als er angegriffen wurde, und gab ein ohrenbetäubendes Brüllen ab, das Unite mit einer erneuten Attacke zum Schweigen brachte. Die restlichen Bestien flitzten in ihrer Schattengestalt auf dem Boden um sie herum, als wollten sie sie verhöhnen. Die Beschützer waren vergeblich damit beschäftigt, auf sie zu zielen. Schließlich setzte Unite eine breitgefächerte Welle frei, doch wieder gingen die schwarzen Flecken zur Seite. Hätten die anderen sofort nachgelegt, hätten sie vielleicht ein paar von ihnen erwischen können, doch sie waren von allen Seiten von den zweidimensionalen Schemen umgeben und versuchten jeweils ihre Front unter Kontrolle zu halten. Change war von diesem Geschicklichkeitsspiel restlos entnervt und schaute hinüber zum Riesenrad. Die hinaufkletternden Schatthen hatten die Streben hinter sich gelassen und krochen nun an den Speichen weiter zu der leuchtenden Gondel. Sie schienen nicht ganz so clever zu sein wie ihre Kumpanen, ansonsten hätten sie den Weg ebenfalls in der wendigeren Schattenform hinter sich gebracht, ohne Absturzgefahr. Aber in Kürze würden sie Erik und Tiny erreicht haben. Er musste da hoch! Einen Moment zu lange war Change abgelenkt. Einer der schwarzen Punkte flitzte auf ihn zu, nahm seine wahre Gestalt so schnell an, als wäre er aus dem Nichts erschienen und brachte mit der jähen Drohgebärde Change zu Fall. Dieser riss Desire, die hinter ihm stand, mit sich. Zu langsam war Unites und Trusts Reaktion als dass sie das Unvermeidliche noch hätten aufhalten können. In einem Satz hätte der Schatthen mit seinem mächtigen Gebiss Changes Kehle zerfetzen können, doch er tat es nicht. So schnell wie er sich verwandelt hatte, so schnell war er auch wieder in seine Schattengestalt übergewechselt. Desire hatte nicht solches Glück. Bevor sie wieder auf die Beine kommen konnte, wurde sie gepackt und schreiend über den Boden geschleift. Einer der Schatthen hatte seine Arme materialisiert und zog die Beschützerin halb in seiner Schattengestalt von den anderen weg. Unite und Trust hatten nicht die Möglichkeit zu reagieren. Sobald die Feinde die Gruppe auseinanderbrechen sahen, bestürmten sie die Beschützer umso mehr, und eine Sekunde der Unaufmerksamkeit hätte bedeutet, den Schatthen die Möglichkeit einzuräumen, die ganze Gruppe auseinander zu sprengen. „Change!“, brüllte Trust stattdessen, ohne den Blick von den Angreifern zu wenden und ohne seine unablässigen Kräfteeinsatz zu unterbrechen. Change, völlig verwirrt, wirbelte herum, kam nicht mehr auf die Idee, seine Kräfte einzusetzen, sondern stolperte stattdessen Desire hinterher und warf sich in einem Satz auf den Boden, wo er gerade noch ihre Beine erwischte. Doch das machte die Angelegenheit nicht besser. Desire schrie. Der Schatthen drohte ihr die Arme auszukugeln. Hinter dem Schmerz bäumte sich etwas anderes in ihr auf: Unwille, Auflehnung, Widerstand. Dann betäubte etwas den Schmerz. Ihr ganzer Körper wurde mit einem Mal von etwas eingehüllt, das ihr plötzliche Ruhe schenkte und sie für eine Sekunde in eine Art Trance versetzte, als würde sie unter Wasser getaucht. Sie bekam gar nicht mit, wie sich dieses Etwas von ihrer Körperoberfläche ausgehend nach außen weitete, ehe es sich zu einer Kuppel ausbildete, die sowohl sie als auch Change einschloss. Change sah, wie der Schatthen hinweggeschleudert wurde, als hätte Desire ihm einen übermächtigen Stoß versetzt. Doch es blieb nicht dabei. Die Gliedmaßen, die Desire eben noch festgehalten hatten, lösten sich in einem sanften Nebel auf, so zart wie der sichtbar gewordene Atem an einem Wintertag. Wie eine übermächtige Flutwelle setzte sich dieser Prozess fort, schwappte über den gesamten Körper des Angreifers und ließ ihn in einem wogenden Glanz verschwinden. Changes Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf seine Beschützerkollegin. Desire fühlte sich wie in tiefem Schlummer, selig in Ruhe und Frieden. Changes Stimme klang so entfernt, als befände sie sich unter Wasser und er an der Oberfläche, jenseits von der beruhigenden Schmerzlosigkeit. „Desire!“ Sie wurde umgedreht, auf den Rücken, das wusste sie, obwohl sie es nicht spürte. Etwas angenehm Linderndes wogte über die Schrammen und Schürfungen an ihrem Oberkörper, im Gesicht und an den Beinen, als treibe sie auf Wasser und die sanften Wellen liebkosten ihre Wunden hinweg. Changes leiser Aufruf des Erstaunens war nichts als ein sanftes Plätschern in dieser Stille. Change starrte ungläubig auf den Schimmer, der über Desires Körper hinwegging und ihn an die Lichtreflexionen auf einer Wasseroberfläche erinnerte. Er wusste beim besten Willen nicht, was das zu bedeuten hatte. Langsam öffnete Desire ihre Augen, als würde sie aus einer unbekannten Ewigkeit erwachen. Keinerlei Schrammen waren zurückgeblieben. Anschließend nahm sie die fast durchsichtige orangefarben schimmernde Kuppel über ihren Köpfen wahr. Sofort war sie wieder bei vollem Bewusstsein. Es war die gleiche Art von Schutzschild, die sie damals im Schatthenreich vor der Felskugel bewahrt hatte. Desire sprang auf die Beine. Sie mussten zurück zu Unite und Trust. „Schnell!“ Wie konnte jemand noch im einen Moment seelenruhig schlafen und dann ihn zur Eile mahnen, fragte sich Change missmutig und stand auf. Desire stürmte bereits los. „Wie machst du das?“, fragte Change perplex. „Was?“ Change gaffte auf die sich bewegende Kuppel über ihm. „Dass das Ding sich mit bewegt!“ „Keine Ahnung.“ Die zweidimensionalen Schatten um sie herum wurden von dem Schutzschild abgestoßen. Davon wohl perplex, standen die Angreifer einen Moment zu lange still, so dass Change in einem Anflug von Übermut seine Kräfte einsetzte, ohne zu bedenken, ob der Schutzschild diese überhaupt nach außen dringen lassen würde. Doch er hatte Glück. Wie eine semipermeable Membran ließ die Schutzhülle seinen Wind der Veränderung nach außen dringen. Pech für die Schatthen. Change ließ einen Freudenschrei los. Trust und Unite schlugen sich wacker. Mit immer neuen Varianten ihrer Energiewellen versuchten sie der Übermacht Herr zu werden. Wie ein Lichtteppich sauste Unites Angriff über den Boden, doch die Schatten wurden dadurch nur in Windeseile zum Rückzug gedrängt, um sogleich wieder näherzukommen. Derweil prasselte Trusts leuchtender Kometenhagel auf die Gegner nieder, ohne dass diese den Aufschlagspunkt vorhersehen konnten. Dies schien die richtige Methode zu sein oder zumindest eine weniger erfolglose. Wenigstens zwei der Schemen lösten sich auf, die anderen flüchteten rechtzeitig rückwärts. Die Erschöpfung war den beiden Beschützern anzusehen. Anspannung verhärtete Trusts Gesichtsausdruck und ließ seine Attacken zwar in verschiedenen Formen auf die Angreifer regnen, doch ihre Reichweite nahm zusehends ab. Vor den beiden blieb Desire stehen, sich unsicher, ob der Schutzschild auch ihre Freunde abprallen lassen würde und sie dadurch noch mehr Schaden anrichtete. Die Lösung lieferte Change, der nicht mitbekommen hatte, dass Desire stehenblieb und daher einfach weiterlief und dabei die Grenze des Schildes problemlos überschritt. Daraufhin wagte sich Desire abermals nach vorne, bis die Schutzhülle auch Unite und Trust in ihren Radius aufgenommen hatte. Trust scherte sich nicht um die nahezu durchsichtige orange Lichtkuppel, sondern feuerte unablässig seine Kräfte ab. Wieder und wieder in einem regelrechten Wahn. „Trust, hier drin sind wir sicher. Sie können hier nicht hinein.“, informierte Desire ihn. Trust reagierte nicht. Fortdauernd beschoss er die Feinde, schien weggetreten. Change blickte derweil in Richtung Riesenrad. Die Schatthen mussten Erik und Tiny längst erreicht haben. „Hör auf, die ganze Zeit die Gondel anzugaffen!“, donnerte Trust. Change zuckte zusammen. Wie konnte Trust überhaupt wissen, was hinter seinem Rücken vorging? „Wenn du noch mal so einen Mist machst, rettet dich niemand!“, brüllte Trust. So hatte Change ihn noch nie erlebt. Offensichtlich war Trust stinksauer wegen dem Vorfall mit Desire. Change konnte nicht wissen, welche Höllenqualen sein Freund ausgestanden hatte, als er die Stellung hatte halten müssen, mit dem Wissen, dass er damit Desire und Change tatenlos einem unbestimmten Schicksal überließ. Trusts Muskulatur war verkrampft, Schweiß lief ihm über die Stirn, alles an ihm wirkte, als würde es schreien. Desire wagte es nicht, das Wort erneut an ihn zu richten. Alsdann trat Unite an ihr vorbei zu ihm. Im nächsten Moment stand Trust still. Wie plötzlich ausgeschaltet, regte er sich nicht mehr. Zerbrechlich und zart klang Unites Flüstern in seinem Rücken. „Hör auf.“ Trusts Arme fielen herab wie etwas, dessen Antrieb mit einem Mal ausgeschaltet worden war. Sein Atem ging schwer. Mit sanfter Entschlossenheit schlang sie die Arme noch enger um seinen Bauch, weiterhin an seinen Rücken geschmiegt, riss ihn damit aus seiner Selbstbeherrschung. Trust ging in die Knie, stützte sich auf den Boden vor sich, sodass sie von ihm ablassen musste. Schweißperlen tropften von seinem Gesicht. Er rang nach Atem. Dann war Unite an seiner Seite. Ihre Arme legten sich wie Schwingen um seinen Kopf und zogen ihn näher zu sich bis er ermattet in ihren Armen lag und sich nicht dagegen wehren konnte. Er wusste nicht, wie sie es machte, dass er in ihren Armen alles zu vergessen schien. Für diese Szene zeigte Change wenig Verständnis. Es war keine Zeit für eine Kuscheleinlage, solange Erik und Tiny immer noch in Gefahr waren! – Feingefühl war noch nie seine Stärke gewesen. Er sah erneut zum Riesenrad, das er durch den orangefarbenen Schimmer des Schutzschilds nicht mehr völlig klar erkennen konnte. Vor seinem geistigen Auge erschien das Bild der Gondel, in der Erik und Tiny saßen. Der Gedanke daran war so lebendig in ihm, dass er es schon körperlich spürte. Das Innere der Gondel, direkt dort, die Fenster, aus denen man die Schatthen sehen konnte, wenn die Bestien sie nicht schon zertrümmert hatten. Destinys ängstliches Gesicht, dennoch tapfer kämpfend. Er musste dorthin, er musste! Um jeden Preis. Er musste dorthin! Wie ein Windstoß packte etwas seinen Körper, riss ihn hinfort, ohne dass er den Standpunkt zu wechseln schien, er hörte nur noch Desires Rufen. Dann knallte sein Schädel gegen etwas Hartes, sodass er die Augen zukniff und lautstark fluchte, um dem Schmerz Ausdruck zu verleihen. „Gott verdammt! Fu-“ In dem Moment vernahm er eine andere Stimme als Desires. „Change?“ Mit der Linken seinen Kopf haltend, wirbelte Change herum und wäre fast von dem Sitz gefallen, auf dem er plötzlich stand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)