Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 115: Willkommen im Team ------------------------------- Willkommen im Team   „Die Welt braucht sehr viel Liebe, sonst wird sie kalt und leer. So viele denken nur an sich, sind herzlos und gemein, doch immer mehr bemühen sich, zueinander nett zu sein. Lasst uns Freunde sein, keiner schafft es ganz allein.“ (aus dem Lied Bärchi-Herz-Verein aus Die Glücksbärchis – Der Film)   „Tadaaa!“, rief Unite, als sie in ihrem Aufenthaltsraum ankamen. „Hier ist unsere tolle Couch und hier ist unser Lernbereich, den wir nie benutzen, und da drüben ist“ Sie fuhr damit fort, Secret alles zu beschreiben. „Wo sind wir?“, fragte Secret, völlig desinteressiert an Unites Ausführungen. Er sah sich suchend nach einem Hinweis um, wo sie sich hier genau befanden. „Unser Hauptquartier!“, verkündete Unite. Secret sah sie kalt an. „Und wie soll ich normalerweise hierherkommen?“ In seinem Blick lag die klare Drohung, dass er nur hier war, um sich eine weitere Möglichkeit zu beschaffen, sie aus dem Hinterhalt anzugreifen. Die Anspannung der anderen verschlimmerte sich. Unites Einfall, Secret ins Hauptquartier zu bringen, brachte nur umso größere Gefahren mit sich. Sie hätten ihn anderswo hinbringen sollen und einfach behaupten, dass dort ihr Hauptquartier war. Aber auf die Schnelle war ihnen natürlich kein passender Ort eingefallen. „Oh, das ist kein Problem.“, antwortete Unite. „Du rufst einfach Ewigkeit und dann bringt dich Change her.“ „Einen Weg ohne eure Hilfe.“ Unite kicherte vergnügt. „Du kannst ja einen finden.“ Secrets Gesicht verzog sich. Unites Verhalten war ihm eindeutig zuwider. Unite jedoch ging darauf nicht ein. „Komm, ich zeig dir die Zimmer.“ Sie eilte voraus. Secret warf den anderen einen argwöhnischen Blick zu und gab ihnen zu verstehen, dass sie nicht einmal daran denken sollten, ihn hinterrücks anzugreifen. Er bewegte sich nicht vom Fleck, ehe Destiny und Change vorausgingen. Ewigkeit, Trust und Ariane folgten. Als Unite ihm beschrieb, dass eines der Zimmer für ihn bereitstand, verzog Secret keine Miene, als wäre ihr Geschwätz ohnehin nichts anderes als ein großes Ablenkungsmanöver. Unite lotste sie also weiter zum Trainingsraum. „Hier trainieren wir!“ Secret schnaubte verächtlich und warf den Beschützern einen abschätzigen Blick zu, als wäre es für die fünf ohnehin Zeitverschwendung irgendetwas zu trainieren. Trust sah, dass Change sich aufgrund von Secrets abfälligen Verhaltens nur schwer davon abhalten konnte, ihm die Meinung zu sagen. Unite jedoch ging kichernd über Secrets Provokation hinweg. „Vielleicht kannst du uns ja noch was beibringen.“ Secret verging das Lächeln. Dann hob er seine Hand zum Angriff. Die anderen zuckten zusammen. „Äh-äh.“, machte Unite mit erhobenem Zeigefinger. „Du musst dich erst verwandeln!“ Sie klang wie eine Mutter, die ihr Kind zum Händewaschen aufforderte. Und Secrets Antwort bestand in einem ebenso unwilligen Gesichtsausdruck wie man es von einem trotzigen Kind hätte erwarten können. Die anderen konnten es nicht fassen. Als hätte er die Gedanken der anderen erraten, drehte sich Secret prompt zu ihnen und warf Ariane einen finsteren Blick zu, der sie zusammenfahren ließ. Erst dann begriff sie. Auch sie war nicht verwandelt. Ariane biss die Zähne zusammen. Dass sie seiner unausgesprochenen Forderung Folge leisten sollte, behagte ihr nicht, aber ihr blieb in dieser Situation wohl nichts anderes übrig. Was auch immer Unite vorhatte, offenbar war nicht geplant, dass sie sich mit Secret anlegten. Ariane begegnete Secrets Blick mit entschlossener Miene und rief dann ihr Wappen herbei. Im gleichen Moment wurde sie in ihre Beschützerkleidung gehüllt. Herausfordernd reckte Desire ihr Kinn, wie um Secret das Signal zu geben, dass er nun an der Reihe war. Wieder schnaubte Secret. Ohne Vorwarnung zog sich eine graue Düsternis um ihn herum zusammen. Die Beschützer zuckten zurück, um von den dunkelblauen Blitzen, die plötzlich um ihn zuckten, nicht getroffen zu werden. Ewigkeit flüchtete in eine andere Ecke des Raumes. Für eine Sekunde glaubte, Desire die Wunde an Secrets Arm erkennen zu können. Dann stand er in seiner grauen Bedroherkleidung da. Von der Wunde war nichts mehr zu sehen. Secret machte eine ausladende Armgestik und fegte die vor ihm stehenden Beschützer von den Füßen. Allein Unite neben ihm blieb von dem Angriff verschont. „Lasst uns trainieren.“, sagte Secret mit einem Grinsen im Gesicht. Im gleichen Atemzug hatte er seine Telekinese auf Unite angewendet und hievte sie in die Höhe. Sie gab einen überraschten Laut von sich. „Lass sie runter!“, forderte Trust entschieden. Das Grinsen auf Secrets Gesicht wurde noch breiter. „Bring mich dazu.“ Unite begann plötzlich laut zu lachen. „Los, rettet mich!“, kicherte sie, als würde es sich um ein Spiel handeln. Die anderen waren verwirrt. War das Ernst oder tatsächlich nur ein Spiel? Was ging hier vor? Destiny ergriff Changes Hand. Sofort teleportierten sie hinter Secret. Doch ehe Destiny ihre Paralyse einsetzen konnte, beförderte Secret Unite mit einer Armbewegung schützend vor sich. Im gleichen Moment stürzte sich Trust von hinten auf Secret. „Lass sie runter.“, forderte er. Secret klang gelangweilt. „Sie ist eh zu schwer.“ Er setzte Unite langsam auf dem Boden ab. In der gleichen Sekunde packte er Trusts Arm und verdrehte ihn, sodass er sich aus seinem Griff winden und ihn von sich stoßen konnte. Augenblicklich nahm er eine Position ein, in der er beide Seiten attackieren konnte. Unite lachte erneut. Sie rappelte sich auf und hüpfte an Secrets Seite. Offenbar war er sich auch nicht ganz sicher, was sie vorhatte, denn er attackierte sie nicht. „Darf ich mit dir zusammen kämpfen?“, fragte sie freudig. Skeptisch zog Secret eine Augenbraue hoch. Dann wandte er sich wieder den anderen zu. „Von mir aus.“ „Oh, oh...“, machte Unite, als hätte sie eine dringenden Frage. „Darf ich auch deine Kräfte benutzen?“ Secret warf ihr einen Blick zu, der eindeutig sagte, dass er mit der Frage nichts anzufangen wusste. Unite hielt ihm ihre Hand hin. „Teilst du deine Kräfte mit mir?“ Secret schien darüber nachdenken zu müssen. Sollte die Beschützerin es auf seine Kräfte abgesehen haben, hatte sie schlechte Karten. Selbst wenn sie die gleichen Fähigkeiten anwenden würde, könnte sie ihn nicht besiegen. Davon war er überzeugt. Er ließ seinen linken Arm sinken und streckte Unite seine Hand entgegen. Erst in diesem Moment begriffen die anderen, dass Secret das Ganze wohl tatsächlich als Training ansah und er sie nicht wirklich angriff. War Unite dabei, sein Vertrauen zu gewinnen? „Sollen wir dann nicht drei gegen drei kämpfen?“, fragte Desire zögerlich. Secret gab ein Geräusch des Spottes von sich. Es war nicht schwer zu erraten, dass er damit sagen wollte, dass sie selbst zu fünft keine Chance gegen ihn hatten. Trust schluckte und versuchte das Gefühl der akuten Bedrohung, das für ihn noch immer von Secret ausging, hinunterzuschlucken. „Pass auf, dass du die anderen nicht verletzt, du kannst mit seinen Kräften nicht umgehen.“, sagte er laut und deutlich zu Unite. Er hoffte, dass die Aussage ankam. Er wusste, dass es ein Fehler war, Secret irgendetwas verbieten zu wollen. Daher war das die einzige Möglichkeit ihn vielleicht darauf zu stoßen. Aber konnte man davon ausgehen, dass das wirkte? Vielleicht spielte Secret auch jetzt nur mit ihnen und würde im nächsten Moment wieder ernstmachen.  Er musste Vertrauen haben. Wenn Unite glaubte, dass sie Secret auf diese Weise zu einem von ihnen machen konnten, dann musste er sie dabei unterstützen. Er würde nicht noch einmal an ihr zweifeln und sie so im Stich lassen. Das hatte er sich geschworen. „Ha.“, machte Secret. „Ohne Verletzte wird Begierde doch langweilig.“ Er grinste teuflisch. Desire musste sich schwer zusammenreißen, um ihn nicht anzufahren, dass ihr Name nicht Begierde war! Und auch nicht Verlangen! Dass sie darüber hinaus nur dazu da sein sollte, um die Verletzten zu heilen, ärgerte sie ungemein. Ausgerechnet Change wandte ein: „Wäre es dann nicht besser, wenn wir zwei Leute hätten, die uns heilen können, anstatt zwei Leute, die uns verletzen?“ „Teleportier dich schneller, dann wirst du nicht verletzt.“, schimpfte Destiny. „Du hast gut reden, du wirst ja bloß mit teleportiert. Lern du lieber mal deine Paralyse selbst aufzulösen.“, gab Change zurück. „Pass auf, sonst paralysiere ich dich!“ „Tust du doch sowieso ständig!“ Secret wandte sich an Unite. „Tun sie das immer?“ „Immer.“, bestätigte Unite. „Ist das nicht nervig?“ Sie strahlte. „Eigentlich ist es ziemlich amüsant.“ Desire widersprach. „Es ist nervig.“ Trust meldete sich in ungewohntem Ton zu Wort. „Könntet ihr sie nicht mit der Telekinese auseinanderhalten, bevor sie sich was antun?“ Secret beschwerte sich: „Jetzt soll ich auch noch Samariter spielen?“ „Klappe!“, schimpfte Destiny. „Wir hören alles, was ihr sagt!“ „Ja, wollten wir nicht trainieren?“, maulte Change. Secret spottete. „Bist du so scharf drauf, verprügelt zu werden?“ „Ja, ist er.“, antwortete Destiny an seiner Stelle. „Hey, das darf ich doch wohl noch selbst entscheiden!“, beanstandete Change. „Wolltest du ihm etwa sagen, dass du nicht von ihm verprügelt werden willst?“ Change verzog das Gesicht. „Ich hätte es anders formuliert.“ Secret lachte leise. Sofort waren alle Blicke auf ihn gerichtet. „Was glotzt ihr so!“, beschwerte er sich. Desire murmelte eine Antwort. „Es ist nur komisch, dich lachen zu hören, wenn du gerade niemandem wehtust.“ „Ich kann gerne wieder damit anfangen.“, erwiderte Secret, offenbar pikiert. Unite rief: „Ich will mitmachen!“ Secret verdrehte die Augen und reichte ihr nochmals die Hand. Begeistert ergriff Unite seine Linke und begann ihre Kräfte einzusetzen. Ein grässlicher Schrei ließ die Beschützer zusammenfahren.   Von Secrets Arm aus schoss etwas durch Unites Körper. Von ihren gequälten Schreien eingehüllt, musste Trust mit ansehen, wie ihr Körper unter Schmerzen einknickte. Vor Schock konnte er sich nicht regen, stand hilflos dabei, während Unite sich die Seele aus dem Leib schrie. Er hörte Destiny schreien: „Lass sie los!“ Dann blitzte auch schon ein grelles Licht vor Secret auf, sodass er endlich von Unite abließ und zurücktaumelte. Im gleichen Moment löste sich Trust aus seiner Starre und rannte zu Unite. Er bettete sie in seine Arme und brüllte nach Desire. Diese schien sich nicht rühren zu können und starrte entsetzt auf Secret. Erneut rief er ihren Namen. Desire stürzte daraufhin an seine Seite, ihre Hände zitterten und Trust war sich unsicher, ob sie in diesem Zustand ihre Kräfte einsetzen konnte. Gleichzeitig hörte er Secret brüllen. „Komm nicht näher!“ Trust blickte auf. Secret wandte sich zu Change um, während er die Rechte benutzte, um Destiny zu drohen. „Bring mich hier weg, sonst töte ich euch!“ Change reagierte nicht sofort. „Los!“ Changes Gesicht verzog sich in Rage. „Du Scheißkerl!“ Destiny schrie dazwischen. „Change!“ Sie schien Secret anzusprechen. „Es war nicht deine Schuld!“ „Los!“, brüllte Secret umso lauter und fordernder. Change setzte sich in Bewegung, wurde aber von Destinys Ruf aufgehalten. „Es war nicht seine Schuld!“ Im gleichen Moment wurde Destiny von Secrets Kräften brutal zur Seite geschleudert. „Ich bring sie um!“, donnerte er. Change biss die Zähne zusammen, trat an Secrets Seite und hielt ihm die Hand entgegen. „In den Park.“, befahl Secret.   Als Destiny wieder auf die Beine kam, waren Change und Secret bereits verschwunden. Sie eilte zu Trust. „Du hättest ihn nicht gehen lassen dürfen!“ Trust reagierte ungehalten. „Hätte ich noch mehr von euch von ihm verletzen lassen sollen!“ „Hört auf!“, rief Desire, offenbar weil sie durch den Streit ihre Kräfte noch schlechter unter Kontrolle hatte. Unite war immer noch nicht fähig zu sprechen. Im gleichen Moment tauchte Change wieder auf. „Wo ist er?“, forderte Destiny zu wissen. „Ist doch völlig egal!“, fuhr Change sie an. Destiny wurde laut. „Jetzt war alles umsonst, was Unite getan hat!“, hielt sie ihm vor. „Bist du total bescheuert!“, schrie Change. „Er hätte dich umgebracht!“ „Hätte er nicht.“, entgegnete Destiny überzeugt. Changes Wut wuchs an. „Kapierst du, dass er mit einer Handbewegung dein Genick brechen könnte!“ „Das kann jeder!“ „Aber nicht unabsichtlich!!!“ Destiny stockte. Erst jetzt erkannte sie die heftige Aufregung, die aus Changes ganzer Erscheinung sprach. Der Bereich um seine Augen hatte eine purpurne Farbe angenommen. Er hatte wirklich Angst gehabt. „Unite.“, sagte Desire. Unite versuchte sich aufzusetzen und stützte sich dann auf ihre Arme. Sie rang sich ein Lächeln ab. „Alles in Ordnung. Mein Fehler.“ „Nichts ist in Ordnung!“, sagte Trust streng. Unite blieb gelassen. „Ich hätte wissen müssen, was passiert. Ich hab ja schon mal versucht, ihn anzuzapfen und es hat nicht funktioniert. Nächstes Mal –“ „Es wird kein nächstes Mal geben!“ Mit durchdringendem Blick fixierte Trust sie. „Wir werden uns von nun an von ihm fernhalten.“ Unite versuchte es mit einem Lächeln. „Trust, das ist –“ „Nein!“, unterbrach er sie grob. „Ich werde nicht zulassen, dass ihr euch in Gefahr bringt.“ Destiny mischte sich ein. „Sollen wir jetzt die Schule wechseln und unsere Telefonnummern ändern oder besser gleich wegziehen?“, spottete sie. „Du weißt genau, dass das an Secrets Angriffen nichts ändert! Er braucht uns.“ Trust sah sie unerbittlich an. „Ist er wichtiger als jeder einzelne von uns?“ Unite wollte etwas entgegnen, doch Trust ließ es nicht zu. „Sieh dir Change an und dann sag ihm ins Gesicht, dass es völlig egal ist, wie er sich fühlt. Hauptsache, Erik geht es gut.“, forderte er von Unite. Unite hielt inne und sah zu Change auf. Sie bemerkte erst jetzt, wie völlig fertig er aussah. Nun endlich fand Desire ihre Stimme wieder. „Das stimmt nicht! Wir haben einander versprochen, dass wir Erik nicht im Stich lassen. Das heißt nicht, dass er wichtiger ist als jeder von uns. Ich würde Change genauso beschützen. Und wir haben Destiny genauso beschützt. Die Frage ist viel eher, ob er weniger wichtig ist als jeder von uns!“ Trust brüllte: „Ja!“ Die anderen fuhren zusammen. „Er ist unwichtiger! Weil er nicht zu uns gehört! Weil er bereit ist, uns zu töten!“ „Das war ich doch auch.“, rief Destiny dazwischen. „Ich hätte euch auch getötet!“ Change wurde laut. „Du bist nicht Secret!“ Unite drehte sich zu Trust um und sah ihn mit verletzlichem Blick an „Würdest du die gleiche Entscheidung treffen, wenn es um mich ginge?“, Trust schaute ernst. Sein Gesichtsausdruck änderte sich kurz. Bitteres Leid zeichnete sich auf seinen Zügen ab, ehe sie wieder hart wurden. „Ja.“ „Ich würde dich nie allein lassen!“, rief Unite. „Und wenn du mich umbringen würdest!“ „Denkst du nicht, dass es schlimmer für mich wäre, dich umzubringen, als von dir allein gelassen zu werden?“, plädierte Trust eindringlich. „Vielleicht würdest du erst deshalb durchdrehen!“, wandte sie entschieden ein. „Dadurch würde ich doch alles schlimmer machen!“ „Unite.“, sagte Trust streng. „Würdest du mich dafür hassen, dass ich dich beschützen will?“, verlangte sie zu wissen. Trusts Gesicht wurde ausdruckslos. „Ich würde mich hassen.“ „Dann sorge ich einfach dafür, dass du mich nicht umbringst!“, verkündete sie entschieden. Trust stöhnte und schloss die Augen. In diesem Moment bemerkte er, was die ganze Zeit fehlte – der leise Glöckchenklang von Ewigkeit. Er sprang auf die Beine und suchte die Gegend ab. „Wo ist Ewigkeit?“   Er wollte weg. Nur noch weg von diesem Albtraum. Das kleine Etwas, er hatte es fast getötet. Es hatte nicht verschwinden wollen! Ihn nicht alleine lassen wollen! Bis er ausgerastet war. Es war so winzig, aber er hatte seine ganze Kraft eingesetzt, ehe er sich hatte losreißen können und seine Wut an den umstehenden Bäumen abreagiert hatte. Dann war er weggerannt. Er wollte sich bloß noch ins Schatthenreich retten. Hektisch atmend trat er durch das Portal in einen Zwischenraum, der wohl dazu vorgesehen war, Schatthen nach draußen zu schleusen. Er hatte Unites Schreie noch im Ohr. Der reglose Körper Ewigkeits. Er wollte sich verstecken. Er rannte aus dem Raum. Der Gang war kaum beleuchtet, düster und eng. Seine Schritte wurden schneller, dem Ende des Ganges entgegen. Plötzlich schien sich die Umgebung zu krümmen. Die Wände, die Türen, waren nicht länger solide, der Gang wurde breiter und wieder schmaler, als befände er sich in einer Wahnvorstellung. Secret eilte weiter. Jäh schwanden die Wände und er stand auf einem nunmehr freien Platz. Der Boden schien sich zu heben und abzuebben unter seinen Füßen. Nur für einen kurzen Augenblick. Er blieb stehen. Nicht länger konnte er ein Ziel ausmachen. Eine tief dunkle Stimme erklang und ein grauer Mann trat aus einer Finsternis, die vorher nicht einmal sichtbar gewesen war. „Du!“ Ehe Secret noch agieren konnte, wurde er von einer ungeheuren Last bäuchlings zu Boden geschleudert. „Was glaubst du, wer du bist?“ Grauen-Eminenz‘ Stimme klang anders als sonst, bedrohlich. Secret hörte, dass Grauen-Eminenz sich ihm näherte, durch sein zu Boden gepresstes Gesicht konnte er ihn nicht sehen. Dann spürte er Grauen-Eminenz‘ Atem an seinem Ohr. Er flüsterte. „Wenn du es noch einmal wagen solltest, einen Schatthen zu stehlen.“ Der Druck auf Secrets Körper nahm für einen Moment so stark zu, dass er einen kurzen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. „Merk dir das.“ Schritte entfernten sich. Instinktiv wusste er, dass die Umgebung wieder in ihren vorigen Zustand übergegangen war. Er hörte, wie Grauen-Eminenz durch die Zwischentür den Gang verließ. Noch immer konnte er sich nicht rühren.   Dieser dumme Bengel! Er hoffte, dass der Junge jetzt endlich kapiert hatte, dass das hier kein großer Spielplatz war! Grauen-Eminenz hielt an und wandte sich nochmals um. Ach! Er hatte extra darauf geachtet, dass der Druck gleichmäßig auf den Körper verteilt war. Es war also unwahrscheinlich, dass er dem Burschen irgendwas gebrochen hatte. Ansonsten hätte er ihn ja jetzt auch noch verarzten müssen! Das wäre äußerst kontraproduktiv gewesen und hätte seine Mühen, als harter Herrscher dazustehen, wieder zunichte gemacht. Er konnte nicht fassen, dass er zu solchen Mitteln greifen musste. War seine sonstige Erscheinung etwa nicht respekteinflößend genug? Er erinnerte sich an die Reaktion seiner Auserwählten, als sie ihn das erste Mal zu Gesicht bekommen hatten: Sie hatten ihn kein bisschen furchteinflößend gefunden. Vielleicht sollte er etwas an seinem Aussehen ändern… Als hätte er Zeit für solchen Unfug! Ob es wohl Schönheitssalons für Schatthenmeister gab? Und müssten die dann nicht eher Hässlichkeitssalons heißen? Naja, Schönheit lag ja im Auge des Betrachters. Er hatte seinen Weg fortgesetzt, hatte eine Abkürzung durch eine Verknüpfung innerhalb seines Reichs gewählt, und war in seinem Arbeitszimmer angekommen. Auf dem Tisch lag das Kuvert vom Pandämonium, wegen dem er überhaupt hergekommen war. War ja nicht so, als hätte er den Weg wegen dem unverschämten Bengel gemacht. Auch wenn es praktisch gewesen war, dass er jetzt gerade im Schatthenreich aufgetaucht war. Der Bursche hatte längst mal gemaßregelt werden müssen. Zurück zu dem Umschlag. Es handelte sich um einen neuen Auftrag. Schon wieder! Dabei war er schon froh gewesen, diesen dämlichen Bericht zum Einsatz der Allpträume endlich vom Tisch zu haben. Seufzend setzte er sich hin und öffnete das Kuvert. Er stockte nochmals und rief ein Blickfenster auf, das den Gang zeigte, in dem er den Jungen attackiert hatte. Er ging davon aus, dass der Bursche nun wieder einen seiner Wutausbrüche haben würde wie üblich. Doch er lag immer noch da. Grauen-Eminenz war sich sicher, dass er das Druckfeld längst aufgelöst hatte. Dem Jungen war doch nichts zugestoßen? Ach was. Verdammt, er war doch hier kein Krankenpfleger und auch kein Kindermädchen! Er wollte das Blickfenster schließen, entschied sich dann aber doch dagegen. Nur für den Fall, dass der Junge noch länger so liegenbleiben sollte. Vielleicht wollte das Balg ja auch nur testen, wie er reagierte, ob er Schwäche zeigen und ihm zu Hilfe eilen würde. Genau! Das war eine sehr geschickte Taktik. Er durfte nicht unvorsichtig werden, nur weil es sich um sein Versuchskaninchen handelte. Der Junge war schließlich komplett geisteskrank, dem durfte man nicht vertrauen. Irgendwann würde er es mit diesem Burschen noch an den Nerven kriegen. Kurz bevor Secret durch das Portal gekommen war, hatte er sogar plötzlich schlimme Rückenschmerzen gehabt. Das war eindeutig besorgniserregend. Wurde er etwa alt? Zum Glück beherrschte er die Selbstheilung so gut. Er schloss das Blickfenster und zog die Unterlagen aus dem Kuvert.   Ewigkeit teleportierte sich zurück zu den Beschützern. Sie war erst jetzt wieder dazu fähig. Nach der Attacke des Bedrohers hatte sie sich eine Zeit lang nicht bewegen können, ehe eine angenehme Ruhe ihre Schmerzen gelindert hatte. Bei dem Angriff des Jungen hätte sie umkommen können, das wusste sie. Aber vielleicht konnte sie ja gar nicht sterben. „Ewigkeit!“, schrie Trust noch einmal, ehe er sie vor sich entdeckte. „Alles okay?“, fragte Unite. Ewigkeit zögerte. „Er wollte nicht, dass ich ihm folge.“ „Du hättest es erst gar nicht versuchen sollen!“, schimpfte Trust. „Er hätte dir sonst was antun können!“ „Aber… Ich kann doch sonst nichts tun.“, rechtfertigte sich Ewigkeit. „Ich bin doch euer Gleichgewichtsbegleiter!“ „Diese Sache ist viel zu gefährlich.“, antwortete Trust. Ewigkeit senkte den Kopf. „Er… sah traurig aus.“ Trust atmete geräuschvoll aus. Es herrschte kurzes Schweigen, dann wandte er sich an die anderen. „Dass eins klar ist, wir werden nicht noch mal versuchen, Secret auf unsere Seite zu ziehen.“ Unite wollte Einspruch erheben, doch Trust gab ihr nicht die Zeit dazu. „Secret ist unser Feind. Was auch immer seine Beweggründe sind, so wie die Dinge momentan stehen, wird er sich nicht zur Vernunft bringen lassen. Wir können nichts für ihn tun.“ „Man kann immer –“ Wieder wurde Unite von ihm unterbrochen. „Secret spielt nur mit uns. Er taucht auf, um uns Angst einzujagen, er möchte, dass wir nach seiner Pfeife tanzen. Wenn wir nicht tun, was er sagt, oder die Dinge sonstwie nicht laufen, wie er es geplant hat, reagiert er mit Gewalt.“ Desire erinnerte sich an Secrets Reaktion, als sie ihn auf seine Erinnerungen angesprochen hatte. Er hatte ihre Spieluhr zerschmettert und darauf gepocht, dass endlich geschah, was er befohlen hatte. „Wie ein jähzorniges Kind.“, murmelte sie. „Dem gehört der Hintern versohlt!“, schimpfte Change. Trust beendete die Diskussion. „Heute Abend wird trainiert.“   Die heißen, brennenden Tränen des Zorns und des verletzten Stolzes waren versiegt. Er hatte geweint wie ein kleiner Junge, so wütend war er gewesen. Secret schämte sich nicht. Tränen waren nur ein weiterer Weg seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Und das war es, was er sich nicht nehmen ließ. Er raffte sich auf und hatte einen tödlichen Blick aufgesetzt. Seine Rache würde fürchterlich sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)